ANSPRACHE 2006 110


September 2006


PILGERREISE ZUM HEILIGTUM DES "HEILIGEN ANTLITZES" VON MANOPPELLO

Freitag, 1. September 2006





Grußworte des Heiligen Vaters an die vor dem Heiligtum versammelten Gläubigen

Liebe Brüder und Schwestern!

Danke für diesen herzlichen Empfang. Ich sehe, daß die Kirche eine große Familie ist. Wo der Papst ist, versammelt sich die Familie in großer Freude. Für mich ist das ein Zeichen des lebendigen Glaubens und der Freude, die uns der Glaube schenkt, ein Zeichen der Gemeinschaft und des Friedens, die der Glaube schafft. Und ich bin euch sehr dankbar für diesen Empfang. So sehe ich die ganze Schönheit dieser Region Italiens hier auf euren Gesichtern.

Ich grüße insbesondere die Kranken. Wir wissen, daß der Herr euch besonders nahe ist, daß er euch hilft und euch in euren Leiden begleitet. Ihr seid in unser Gebet eingeschlossen. Und betet auch ihr für uns.

Einen besonderen Gruß richte ich an die Jugendlichen und an die Erstkommunionkinder. Danke für eure Begeisterung, für euren Glauben. Wir alle »suchen das Antlitz des Herrn«, wie es in den Psalmen heißt. Und das ist auch der Sinn meines Besuchs. Gemeinsam versuchen wir, das Antlitz des Herrn immer besser kennenzulernen, und aus dem Antlitz des Herrn schöpfen wir jene Kraft der Liebe und des Friedens, die uns auch unseren Lebensweg zeigt.

Danke und alles Gute für euch alle!
***


Exzellenz,
111 verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!

Vor allem muß ich noch einmal aus tiefstem Herzen Dank sagen für den Empfang, für Ihre so tiefgehenden und freundlichen Worte, Exzellenz, für den Ausdruck Ihrer und eurer Freundschaft und für die Geschenke, die eine große Bedeutung haben: das Antlitz Christi, das hier verehrt wird, für mich, für mein Zuhause, und dann die Gaben aus eurer Region, die die Schönheit und Liebenswürdigkeit dieser Region und der Menschen, die hier leben und arbeiten, sowie die Schönheit und Güte des Schöpfers zum Ausdruck bringen. Ich möchte einfach dem Herrn danken für die heutige schlichte und familiäre Begegnung an einem Ort, an dem wir über das Geheimnis der göttlichen Liebe nachdenken können, indem wir die Ikone des »Heiligen Antlitzes« betrachten. Allen Anwesenden gilt mein tiefempfundener Dank für den herzlichen Empfang und für den Einsatz und die Diskretion, mit denen ihr meine private Wallfahrt - die jedoch als kirchliche Wallfahrt nicht ganz privat sein kann - unterstützt habt. Wie ich bereits sagte, grüße ich insbesondere euren Erzbischof und danke ihm. Ich bin seit vielen Jahren mit ihm befreundet; wir haben zusammen in der Theologenkommission gearbeitet. Und in vielen Gesprächen habe ich stets aus seinen großen Kenntnissen gelernt, ebenso wie aus seinen Büchern. Danke für die Geschenke, die ihr mir überreicht habt und die ich gerade in ihrer Eigenschaft als »Zeichen«, wie Erzbischof Forte sie nannte, sehr schätze. Sie sind in der Tat Zeichen der echten und zuneigungsvollen Gemeinschaft, die das Volk dieser geliebten Region, der Abruzzen, an den Nachfolger Petri bindet. Einen besonderen Gruß richte ich an euch, die hier versammelten Priester, Ordensleute und Seminaristen. Ich freue mich besonders, eine große Anzahl von Seminaristen und damit die Zukunft der Kirche unter uns gegenwärtig zu sehen. Da es mir nicht möglich ist, der gesamten Diözesangemeinschaft zu begegnen - vielleicht kann das ein anderes Mal geschehen -, freue ich mich, daß ihr sie hier vertretet, ihr, die ihr euch bereits dem priesterlichen Dienst oder dem geweihten Leben widmet oder euch auf das Priestertum vorbereitet. Ihr seid Personen, die ich gerne als Menschen betrachte, die in Christus verliebt sind und von ihm angezogen werden, als Menschen, die sich bemühen, das eigene Leben zu einer beständigen Suche nach seinem heiligen Antlitz zu machen. Einen dankbaren Gruß richte ich schließlich an die Gemeinschaft der Kapuzinerpatres, die uns empfängt und die seit Jahrhunderten Sorge trägt für dieses Heiligtum, das Ziel vieler Pilger ist.

Als ich vorhin im Gebet verweilte, habe ich an die beiden ersten Apostel gedacht, die - ermutigt durch Johannes den Täufer - Jesus am Jordan nachfolgten, wie wir am Anfang des Johannesevangeliums lesen (vgl.
Jn 1,35-37). Der Evangelist berichtet, daß Jesus sich umwandte und sie fragte: »Was wollt ihr?« Sie antworteten: »Rabbi, wo wohnst du?« Er sagte: »Kommt und seht!« (vgl. Jn 1,38-39). Am selben Tag machten die beiden, die ihm nachfolgten, eine unvergeßliche Erfahrung, die sie sagen ließ: »Wir haben den Messias gefunden« (Jn 1,41). Derjenige, den sie wenige Stunden zuvor nur als einfachen »Rabbi« angesehen hatten, hatte eine eindeutige Identität angenommen, die des seit Jahrhunderten erwarteten Christus. Aber welch lange Wegstrecke hatten jene Jünger in Wirklichkeit noch vor sich! Sie konnten nicht einmal erahnen, wie tief das Geheimnis des Jesus von Nazaret war, wie sehr sein »Antlitz« sich als unerforschlich, unergründlich erweisen sollte, so sehr, daß einer von ihnen, Philippus, nachdem er drei Jahre lang sein Leben zusammen mit Jesus verbracht hat, beim Letzten Abendmahl hören muß: »Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus?« Und dann folgen jene Worte, die die ganze Neuheit der Offenbarung Jesu ausdrücken:

»Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen« (Jn 14,9). Erst nach seinem Leiden, wenn sie ihm als dem Auferstandenen begegnen werden, wenn der Heilige Geist ihren Verstand und ihr Herz erleuchten wird, dann werden die Apostel die Bedeutung der Worte Jesu verstehen und werden ihn als Sohn Gottes erkennen, als den verheißenen Messias für die Erlösung der Welt. Dann werden sie seine unermüdliche Boten werden, mutige Zeugen bis zum Martyrium. »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen«. Ja, liebe Brüder und Schwestern, um »Gott zu sehen«, muß man Christus kennen und sich von seinem Geist formen lassen, der die Gläubigen »in die ganze Wahrheit« führt (vgl. Jn 16,13). Wer Jesus begegnet, wer sich von ihm anziehen läßt und bereit ist, ihm bis zum Opfer des eigenen Lebens nachzufolgen, der erfährt persönlich - wie Er selbst es am Kreuz erfahren hat -, daß nur »das Weizenkorn«, das in die Erde fällt und stirbt »reiche Frucht« bringt (vgl. Jn 12,24). Das ist der Weg Christi, der Weg der vollkommenen Liebe, die den Tod besiegt: Wer ihn geht und »sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben« (Jn 12,25). Das heißt, er lebt bereits auf dieser Erde in Gott, vom Glanz seines Antlitzes angezogen und verwandelt. Dies ist die Erfahrung der wahren Freunde Gottes, der Heiligen, die in den Brüdern, besonders in den ärmsten und bedürftigsten, das Antlitz jenes Gottes erkannten und liebten, den sie im Gebet lange Zeit liebevoll betrachtet haben. Sie sind für uns ermutigende Vorbilder, die wir nachahmen sollen; sie versichern uns, daß auch wir, wenn wir in Treue diesen Weg - den Weg der Liebe - gehen, uns satt sehen werden an Gottes Gestalt, wie der Psalmist sagt (vgl. Ps 17,15).

»Jesu … quam bonus te quaerentibus! - Wie köstlich bist du, Jesus, für den, der dich sucht!«: So haben wir eben im alten Hymnus »Jesu, dulcis memoria« gesungen, der von einigen dem hl. Bernhard zugeschrieben wird. Es ist ein Hymnus, der in diesem dem »Heiligen Antlitz« geweihten Heiligtum besondere Ausdruckskraft erhält und den 24. Psalm ins Gedächtnis ruft: »Das sind die Menschen, die nach ihm fragen, die dein Antlitz suchen, Gott Jakobs« (V. 6). Aber wer sind »die Menschen«, die das Antlitz Gottes suchen, welche Menschen sind würdig, »hinaufzuziehn zum Berg des Herrn«, zu »stehn an seiner heiligen Stätte«? Der Psalmist erläutert: Es sind die, die »reine Hände« haben »und ein lauteres Herz«, die nicht betrügen und keinen Meineid schwören (vgl. V. 3-4). Um also in Gemeinschaft zu treten mit Christus und sein Antlitz zu betrachten, um das Antlitz des Herrn zu erkennen in dem der Brüder und in den alltäglichen Begebenheiten, sind »reine Hände und ein lauteres Herz« vonnöten. Reine Hände, das heißt ein Leben, das erleuchtet ist von der Wahrheit der Liebe, die Gleichgültigkeit, Zweifel, Lüge und Eigensucht besiegt; und darüber hinaus ist ein lauteres Herz notwendig, ein Herz, das ergriffen ist von der göttlichen Schönheit, wie die kleine Theresia von Lisieux in ihrem Gebet an das Heilige Antlitz sagt, ein Herz, dem das Antlitz Christi eingeprägt ist.

Liebe Priester, wenn in euch, den Hirten der Herde Christi, die Heiligkeit seines Antlitzes eingeprägt bleibt, dann habt keine Angst: Auch die Gläubigen, die eurer Sorge anvertraut sind, werden davon angesteckt und verwandelt werden. Und ihr, liebe Seminaristen, die ihr euch darauf vorbereitet, verantwortungsvolle Leiter des christlichen Volkes zu sein, laßt euch von nichts anderem anziehen als von Jesus und von dem Wunsch, seiner Kirche zu dienen. Dasselbe möchte ich euch, liebe Ordensleute, sagen, auf daß jede eurer Tätigkeiten ein sichtbarer Widerschein der göttlichen Güte und des göttlichen Erbarmens sei. »Dein Antlitz, o Herr, will ich suchen«: Das Antlitz des Herrn zu suchen muß unser aller Wunsch, der Wunsch aller Christen sein; wir nämlich sind »die Menschen«, die in dieser Zeit sein Antlitz suchen, das Antlitz des »Gottes Jakobs«. Wenn wir beharrlich sind in der Suche nach dem Antlitz des Herrn, dann wird am Ende unserer irdischen Pilgerreise Jesus unsere ewige Freude, unsere immerwährende Belohnung und Herrlichkeit sein: »Sis Jesu nostrum gaudium, / qui es futurus praemium: / sit nostra in te gloria, / per cuncta semper saecula«.

Diese Gewißheit hat die Heiligen eurer Region beseelt, von denen ich besonders Gabriel von der schmerzensreichen Jungfrau und Camillus von Lellis erwähnen möchte; ihnen gilt unser ehrfürchtiges Gedenken und unser Gebet. Aber mit besonderer Verehrung denken wir jetzt an die »Königin aller Heiligen«, die Jungfrau Maria, die ihr in verschiedenen Heiligtümern und Kapellen überall in den Tälern und auf den Bergen der Abruzzen verehrt. Die Gottesmutter, auf deren Antlitz mehr als in jedem anderen Geschöpf die Züge des menschgewordenen Wortes erkennbar sind, möge über die Familien und über die Pfarreien, über die Städte und die Nationen der ganzen Welt wachen. Die Mutter des Schöpfers helfe uns, auch die Natur zu achten, ein großes Geschenk Gottes, das wir hier bestaunen können, wenn wir die wunderbaren Berge betrachten, die uns umgeben. Dieses Geschenk ist jedoch immer ernsthafter den Gefahren der Umweltzerstörung ausgesetzt und muß daher verteidigt und geschützt werden. Es handelt sich um ein dringendes Anliegen, die, wie Erzbischof Forte sagte, durch den »Tag der Reflexion und des Gebets zur Bewahrung der Schöpfung«, den die Kirche in Italien heute begeht, auf angemessene Weise hervorgehoben wird.

Liebe Brüder und Schwestern, während ich euch noch einmal für eure Anwesenheit und für eure Geschenke danke, rufe ich auf euch alle und auf eure Angehörigen den Segen Gottes herab mit der uralten biblischen Segensformel: »Der Herr segne euch und behüte euch; der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten und sei euch gnädig; er wende euch sein Antlitz zu und schenke euch seinen Frieden« (vgl. Nb 6,24-26). Amen!

AN HERRN PEDRO PABLO CABRERA GAETE, NEUER BOTSCHAFTER CHILES BEIM HL. STUHL

Castelgandolfo

Freitag, 8. September 2006



Herr Botschafter!

112 1. Ich freue mich, Sie zu dieser Audienz zu empfangen, in der Sie mir das Beglaubigungsschreiben überreichen, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Chile beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden. Ich heiße Sie willkommen, während Sie die hohe Verantwortung übernehmen, die Ihre Regierung Ihnen übertragen hat, und spreche Ihnen die besten Wünsche dazu aus, daß Ihre Mission fruchtbar sein möge, um die guten diplomatischen Beziehungen, die zwischen Ihrem Land und dem Apostolischen Stuhl bestehen, fortzusetzen und zu stärken.

Ich danke Ihnen für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben, sowie für den ehrerbietigen Gruß, den die Präsidentin der Republik, Frau Michelle Bachelet, mir durch Eure Exzellenz übermitteln ließ, als Ausdruck der geistigen Nähe des chilenischen Volkes zum Nachfolger Petri, die sich im Zusammenwirken mit der kontinuierlichen Arbeit der Kirche durch ihre Mitglieder und Einrichtungen im Laufe der Geschichte herausgebildet hat.

2. Chile nähert sich seinem 200jährigen Bestehen als Republik mit Hoffnungen, die in einer besonders wichtigen Periode entstehen, in der beachtliche Entwicklungsziele erreicht worden sind, die Institutionen sich gefestigt haben und das Klima eines friedlichen Zusammenlebens herrscht. Die positive wirtschaftliche Entwicklung hat auch Fortschritte in Bereichen wie Erziehung oder Gesundheitswesen sowie bei sozialen Initiativen begünstigt, die unternommen worden sind mit dem Ziel, daß alle Bürger in Übereinstimmung mit ihrer Würde leben können.

Diese Faktoren sind - zusammen mit der Öffnung von Perspektiven, die weit über die eigenen Grenzen hinausreichen - sicher Grund zur Zufriedenheit und auch ein neuer Appell an das Verantwortungsbewußtsein, um die höchsten Ideale aufrechtzuerhalten, die am Ursprung jedes echten Fortschritts stehen und ihn dauerhaft ermöglichen. Wie Eure Exzellenz in Ihrer Ansprache erwähnt haben, ist die stete Förderung der Werte, an denen sich die technischen Errungenschaften orientieren müssen, eine Dimension, in der sowohl die nationale als auch die internationale Gemeinschaft wachsen muß, um dem Gemeinwohl zu dienen.

3. In dieser Hinsicht erfüllt die Kirche ihre Sendung, indem sie das Evangelium Christi verkündet, sein Licht auf die Wirklichkeit der Welt und des Menschen richtet und damit dessen höchste Würde aufzeigt. »Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht, enthüllt den göttlichen Ratschluß hinsichtlich der integralen Berufung des Menschen und orientiert daher den Geist auf wirklich humane Lösungen hin« (Gaudium et spes
GS 11). In diesem Sinne teilt sie den Wunsch nach einer Gerechtigkeit, die nicht geschmälert wird durch die mangelnde Achtung der Menschenwürde und der aus ihr abgeleiteten unveräußerlichen Rechte.

Diese Rechte sind eben deshalb unveräußerlich, weil der Mensch sie aufgrund der ihm eigenen Natur besitzt und sie daher nicht im Dienst anderer Interessen stehen. Zu erwähnen ist unter diesen Rechten vor allem das Recht auf Leben in allen Phasen seiner Entwicklung und in jeder Situation, in der es sich befindet. Ebenso auch das Recht auf die Gründung einer Familie, gegründet auf den Banden der Liebe und Treue, die in der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau geknüpft werden, und die Schutz und Unterstützung erhalten muß, um ihren unvergleichlichen Auftrag zu erfüllen, nämlich Quelle des Zusammenlebens und Keimzelle der ganzen Gesellschaft zu sein. Als natürliche Institution steht ihr zudem das vorrangige Recht zu, die Kinder gemäß den Idealen zu erziehen, mit denen die Eltern sie beschenken wollen, nachdem sie sie voll Freude in ihr Leben aufgenommen haben.

4. Eure Exzellenz wissen sehr wohl, daß Ihre geliebte chilenische Heimat reiche historische und spirituelle Ressourcen besitzt, um sich der Zukunft zu stellen mit der begründeten Hoffnung, neue Ziele der Menschlichkeit zu erreichen und auf diese Weise im Konzert der Nationen beizutragen zur Förderung der Zusammenarbeit und des friedlichen Zusammenlebens. Das wird deutlich durch seine Heiligen, die überall großen Ruhm erlangt haben, wie Teresa de los Andes oder Pater Alberto Hurtado. Die vielen natürlichen Gaben, die der Schöpfer den Söhnen und Töchtern Chiles gewährt hat, müssen weiterhin Früchte tragen, damit den jungen Generationen eine glücklichere Zukunft eröffnet wird und sie den Frieden lieben und an einem transzendenten Sinn des Lebens festhalten, wie er den jahrhundertealten christlichen Wurzeln des Landes entspricht.

Zum Abschluß dieser Begegnung heiße ich Sie noch einmal willkommen. Ich wünsche Ihnen einen glücklichen Aufenthalt in Rom, der reich sein möge nicht nur an beruflichen, sondern auch an persönlichen Erfahrungen. Es ist eine Stadt, die selbst viele Möglichkeiten bietet und zugleich in gewisser Weise eine privilegierte Warte ist, von der aus man die Wechselfälle der Welt verstehen kann.

Mit diesen Empfindungen erbitte ich den mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria, die mit dem Titel »Unsere Liebe Frau vom Berge Karmel« Schutzpatronin der Chilenen ist, und erteile Ihnen, Ihrer verehrten Familie und allen, die Ihnen nahestehen, sowie Ihren Mitarbeitern an der Botschaft von Herzen den Apostolischen Segen.



AN DIE BISCHÖFE AUS ONTARIO (KANADA) ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES


Konsistoriensaal im Päpstlichen Palast von Castelgandolfo

Freitag, 8. September 2006



Eminenz,
113 liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm« (
1Jn 4,16). Ich heiße euch, die Bischöfe von Ontario, mit brüderlicher Zuneigung willkommen, und ich danke Bischof Smith für die freundlichen Worte, mit denen er eure gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat. Ich erwidere sie von Herzen und versichere euch und alle, die eurer Hirtensorge anvertraut sind, meines Gebetes und meiner Fürsorge. Euer Besuch »ad limina Apostolorum« und des Nachfolgers Petri ist eine Gelegenheit, eure Verpflichtung zu bekräftigen, Christus in der Kirche und in der Gesellschaft durch das freudige Zeugnis für das Evangelium, das Jesus Christus selbst ist, immer sichtbarer zu machen.

Die vielen Ermahnungen des Evangelisten Johannes, in der Liebe und in der Wahrheit Christi zu bleiben, lassen das schöne Bild einer sicheren und geschützten Wohnstatt vor unserem geistigen Auge entstehen. Gott liebt uns zuerst (vgl. 1Jn 4,10), und wir finden, angezogen von diesem Geschenk, einen Ort der Ruhe. Hier können wir »immer wieder aus der ersten, der ursprünglichen Quelle trinken - bei Jesus Christus, aus dessen geöffnetem Herzen die Liebe Gottes selber entströmt« (Deus caritas est ). Der hl. Johannes sah sich auch gedrängt, seine Gemeinden inständig zu bitten, in dieser Liebe zu bleiben. Einige waren schon geschwächt worden durch Streitigkeiten und Abwege, die letztendlich zu Spaltungen führen.

2. Liebe Mitbrüder, eure Diözesangemeinschaften sind dazu aufgerufen, das lebendige Glaubensbekenntnis zum Ausdruck zu bringen: »Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen« (1Jn 4,16). Diese Worte - die den Glauben anschaulich darlegen als persönliche Hinwendung zu Gott und als damit verbundene Zustimmung zu der ganzen von Gott geoffenbarten Wahrheit (vgl. Dominus Iesus, 7) - können nur aus einer Begegnung mit Christus heraus glaubwürdig verkündet werden. Von seiner Liebe angezogen, vertraut sich der Glaubende Gott vollständig an und wird so ein Geist mit dem Herrn (vgl. 1Co 6,17). In der Eucharistie wird diese Vereinigung gestärkt und erneuert, indem wir in die Dynamik der Hingabe Christi hineingenommen werden und so am göttlichen Leben teilhaben: »Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm« (Jn 6,56 vgl. Deus caritas est ). Nachdem er die Ansprache auf englisch begonnen hatte, sagte der Papst auf französisch:

Die Mahnung des hl. Johannes ist auch heute noch aktuell. In den immer stärker säkularisierten Gesellschaften macht ihr selbst die Erfahrung, daß die Liebe, die aus dem Herzen Gottes heraus auf die Menschheit zuströmt, unbeachtet bleiben oder sogar zurückgestoßen werden kann. Wenn der Mensch meint, daß es in irgendeiner Weise ein Schlüssel zur eigenen Befreiung sein kann, sich dieser Bindung zu entziehen, entfremdet er sich in Wirklichkeit von sich selbst, denn »tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf« (Gaudium et spes GS 22). Aus Mangel an Interesse für die Liebe, die die volle Wahrheit über den Menschen offenbart, entfernen sich viele Männer und Frauen immer weiter von der Wohnstatt Gottes, um in der Wüste der persönlichen Isolation, des sozialen Bruches und des Verlustes der kulturellen Identität zu leben. Der Heilige Vater fuhr auf englisch fort:

3. Innerhalb dieser Sichtweise wird deutlich, daß die grundlegende Pflicht bei der Evangelisierung der Kultur die Annahme der Herausforderung ist, Gott im menschlichen Antlitz Jesu sichtbar zu machen. Wenn ihr den einzelnen Menschen helft, die Liebe Christi zu erkennen und zu erfahren, werdet ihr in ihnen den Wunsch wecken, im Haus des Herrn zu wohnen und am Leben der Kirche teilzuhaben. Das ist unsere Sendung. Sie ist Ausdruck unserer kirchlichen Natur und stellt sicher, daß jede Initiative der Evangelisierung zugleich die christliche Identität stärkt. In dieser Hinsicht müssen wir erkennen, daß jede Verkürzung der zentralen Botschaft Jesu, also des »Reiches Gottes«, auf ein vages Reden von »Werten des Reiches« die christliche Identität schwächt und dem Beitrag der Kirche zur Erneuerung der Gesellschaft ihre Kraft nimmt. Wenn »glauben« durch »tun« ersetzt wird und das Zeugnis durch eine Erörterung von »Fragen«, dann ist es dringend notwendig, die tiefe Freude und das ehrfurchtsvolle Staunen der ersten Jünger wiederzuerlangen, denen in der Gegenwart des Herrn das Herz »in der Brust brannte« und sie drängte, zu erzählen, »was sie erlebt« hatten (vgl. Lc 24,32 Lc 35).

Die stärksten Hindernisse für die Verbreitung des Reiches Christi erfährt man heute höchst dramatisch in der Kluft zwischen Evangelium und Kultur und in dem Ausschluß Gottes aus dem öffentlichen Leben. Kanada steht in dem wohlverdienten Ruf, ein Land zu sein, das sich hochherzig und konkret für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt, und eure multikulturellen Städte sind verlockend, voller Leben und voller Chancen.

Gleichzeitig haben jedoch gewisse Werte, von ihren sittlichen Wurzeln und ihrer in Christus enthaltenen vollen Bedeutung abgetrennt, eine höchst beunruhigende Entwicklung durchgemacht. Im Namen der »Toleranz« mußte euer Land die Torheit einer Neudefinition des Begriffs »Ehepartner« ertragen, und im Namen der »Entscheidungsfreiheit « steht es täglich der Tötung ungeborener Kinder gegenüber. Wenn der göttliche Plan des Schöpfers nicht beachtet wird, hat dies den Verlust der Wahrheit der menschlichen Natur zur Folge.

Selbst innerhalb der christlichen Gemeinschaft sind falsche Dichotomien nicht unbekannt. Sie richten besonderen Schaden an, wenn christliche Verantwortungsträger im öffentlichen Leben die Einheit des Glaubens preisgeben und die Zersetzung der Vernunft und der Grundsätze der natürlichen Ethik billigen, indem sie sich kurzlebigen gesellschaftlichen Trends und den Scheinforderungen der Meinungsumfragen fügen. Demokratie gelingt nur in dem Maße, in dem sie auf der Wahrheit und auf einem richtigen Verständnis des Menschen gründet. Die Teilnahme am politischen Leben von katholischer Seite darf im Hinblick auf diesen Grundsatz keine Kompromisse eingehen, denn sonst würde das christliche Zeugnis des Glanzes der Wahrheit im öffentlichen Leben zum Schweigen gebracht und eine Unabhängigkeit von der Moral erklärt (vgl. Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben, 2-3; 6). Ich ermutige euch, in euren Gesprächen mit Politikern und Verantwortungsträgern des öffentlichen Lebens zu zeigen, daß unser christlicher Glaube keineswegs ein Hindernis für den Dialog ist, sondern eine Brücke, gerade weil er Vernunft und Kultur zusammenführt.

4. Im Zusammenhang mit der Evangelisierung der Kultur möchte ich das hervorragende Netzwerk katholischer Schulen erwähnen, das eine Grundlage des kirchlichen Lebens in eurer Provinz bildet. Die Katechese und die religiöse Erziehung sind anspruchsvolles Apostolat. Ich bringe meinen Dank und meine Ermutigung zum Ausdruck gegenüber den vielen Männern und Frauen - Laien und Ordensleuten -, deren Bestreben es ist, dafür zu sorgen, daß eure jungen Menschen das Geschenk des Glaubens, das sie empfangen haben, mit jedem Tag höher schätzen lernen. Mehr denn je erfordert dies, daß das vom Gebet genährte Zeugnis das Leben jeder katholischen Schule allumfassend prägt. Als Zeugen müssen die Lehrer Rede und Antwort stehen für die Hoffnung, die ihr Leben erfüllt (vgl. 1P 3,15), indem sie die Wahrheit leben, die sie ihre Schüler lehren, und das stets mit Bezugnahme auf Christus, dem sie begegnet sind und dessen verläßliche Güte sie mit Freude gekostet haben (vgl. Ansprache zur Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema der Familie am 6 2006 in O.R. dt., Nr. 24,17 24,6, S. 7-8). So können sie mit dem hl. Augustinus sagen: »Wir, die wir sprechen, und ihr, die ihr zuhört, wissen, daß wir gemeinsam Schüler ein und desselben Meisters sind« (vgl. Augustinus, Sermones, 23,2).

Ein besonders heimtückisches Erschwernis für die Erziehung ist, wie aus euren eigenen Berichten hervorgeht, in der heutigen Gesellschaft die ausgeprägte Anwesenheit jenes Relativismus, der nichts als endgültig betrachtet und so als letzten Maßstab nur das Ich und seine Wünsche übrigläßt. In einem solchen relativistischen Horizont tritt eine Verdunkelung der höchsten Lebensziele ein - durch eine Herabsetzung des Qualitätsniveaus, eine Scheu vor der Kategorie des Guten und eine unermüdliche, aber dennoch sinnlose Suche nach Neuem, die sich als Verwirklichung der Freiheit präsentiert. Solche schädlichen Tendenzen zeigen die besondere Dringlichkeit eines Apostolats der »intellektuellen Nächstenliebe«: Es muß die grundlegende Einheit des Wissens hervorheben und die jungen Menschen zur höchsten Erfüllung führen, die im Gebrauch der eigenen Freiheit in Verbindung mit der Wahrheit liegt, und muß die Beziehung zwischen dem Glauben und allen Aspekten des familiären und des öffentlichen Lebens zum Ausdruck bringen. Ich bin sicher, daß die kanadischen Jugendlichen, wenn man sie dazu anleitet, die Wahrheit zu lieben, Geschmack daran finden werden, das Haus des Herrn zu erkunden, des Herrn, der »jeden Menschen erleuchtet« (Jn 1,9) und jede Sehnsucht der Menschheit stillt.

114 5. Liebe Mitbrüder, ich überlasse euch diese Reflexionen in Liebe und brüderlicher Dankbarkeit und ermutige euch in eurer Verkündigung der Frohen Botschaft Jesu Christi. Macht die Erfahrung seiner Liebe, und laßt damit das Licht Gottes in die Welt ein! (vgl. Deus caritas est ). Indem ich die Fürsprache Marias, Sitz der Weisheit, auf euch herabrufe, erteile ich euch, den Priestern, den Ordensleuten und den Laien eurer Diözesen von Herzen meinen Apostolischen Segen.



APOSTOLISCHE REISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

NACH MÜNCHEN, ALTÖTTING UND REGENSBURG

(9.-14. SEPTEMBER 2006)

GESPRÄCH VON BENEDIKT XVI.

MIT DEN JOURNALISTEN IM FLUGZEUG


Bei seiner Apostolischen Reise nach Bayern beantwortete Papst Benedikt XVI. im Flugzeug einige Fragen, die ihm Journalisten stellten. Auf die Frage nach der gegenwärtigen Situation des Katholizismus in Deutschland antwortete er:


»Erstens fliege ich mit Freude nach Hause. Es ist schön, daß ich wenigstens einmal noch meine alte Heimat sehen darf, auf den Stätten herumgehen, wo ich gewesen bin. Und ich fliege nach Hause in der Freude darauf, daß wir ein großes Fest des Glaubens feiern werden und daß das auch das Miteinander mit euch stärken wird. Ich würde nicht einfach sagen, daß der deutsche Katholizismus müde ist, Müdigkeiten gibt es überall, aber ich habe in diesen Wochen der Vorbereitung gesehen, wie viel Dynamik auch da ist. Unglaublich, wer alles mit wie viel Energie sich eingesetzt hat. Ich weiß gar nicht, wie ich da danken soll. Das kann sich nicht auf meine Person beziehen, es kann sich nur darauf beziehen, daß wir gemeinsam Kirche sein wollen, daß wir also gemeinsam eine Kraft des Friedens für die Nation und die Welt sein möchten. Insofern fliege ich mit großen Hoffnungen nach Hause und bin eben dankbar für alles, was ich gesehen habe, was zeigt: So müde ist der deutsche Katholizismus nicht, wie manche meinen.«

Auf die Frage, warum bei dieser Reise kein Aufenthalt in Berlin vorgesehen sei und ob der Papst einmal nach Berlin kommen möchte, antwortete der Heilige Vater:

»Ja, irgendwie würde es sich vielleicht gehören, daß man, wenn man nach München reist, auch einmal nach Berlin kommt, aber ich bin ja ein alter Mann. Wieviel Zeit mir der Herr noch gibt, weiß ich nicht, und ich bin der Papst für die ganze Weltkirche. Ich denke jetzt vor allem an Türkei, an Brasilien als die nächsten Reisen. Wenn ich noch mal nach Deutschland kommen kann - dann eben auch in die anderen Teile Deutschlands -, würde es mich freuen, würde ich es als ein Geschenk von Gott betrachten.«

Die Frage, ob er auch ein bißchen Heimweh habe, beantwortete Benedikt XVI. mit den Worten:

»Ja schon, denn ich meine, da bin ich eben aufgewachsen. ›Mein Herz schlägt bayrisch‹ - ist ein Buch herausgegeben worden. Andererseits ist so viel Erinnerung in meiner Seele, daß ich in den Landschaften der Erinnerung immer herumwandern kann, mich gar nicht so weit weg fühle, zumal ich jeden Abend mit meinem Bruder telefonieren kann. Also so ganz arg weit entfernt fühle ich mich nicht.«

APOSTOLISCHE REISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

NACH MÜNCHEN, ALTÖTTING UND REGENSBURG

(9.-14. SEPTEMBER 2006)

BEGRÜSSUNGSZEREMONIE


Internationaler Flughafen "Franz Joseph Strauss", München

Samstag, 9. September 2006

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

verehrte Frau Bundeskanzlerin,
115 sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
meine verehrten Herren Kardinäle,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Landsleute!

Bewegten Herzens betrete ich heute zum ersten Mal nach meiner Erhebung auf den Stuhl Petri bayerischen deutschen Boden. Ich kehre in meine Heimat, zu meinen Landsleuten zurück in der Absicht, einige Orte zu besuchen, die in meinem Leben eine grundlegende Bedeutung hatten. Ich danke Ihnen, verehrter Herr Bundespräsident, für die herzlichen Worte, mit denen Sie mich willkommengeheißen haben. In diesen Worten habe ich die Resonanz der Empfindungen unseres ganzen Volkes wahrgenommen. Ich danke der Frau Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, und dem Herrn Ministerpräsidenten, Dr. Edmund Stoiber, für die Freundlichkeit, mit der sie meine Ankunft auf deutschem und bayerischem Boden ehren. Mein dankbarer Gruß gilt darüber hinaus den Regierungsmitgliedern und den kirchlichen, zivilen und militärischen Persönlichkeiten, die sich hier versammelt haben, sowie allen, die gekommen sind, um mich in dieser für mich so bedeutsamen Reise zu empfangen.

In diesem Augenblick steigen in meinem Innern viele Erinnerungen an die in München und Regensburg verbrachten Jahre auf - Erinnerungen an Menschen und Ereignisse, die tiefe Spuren in mir hinterlassen haben. Im Bewußtsein all dessen, was ich empfangen habe, bin ich hier vor allem, um meine herzliche Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, die ich all denen gegenüber empfinde, die zur Formung meiner Persönlichkeit in den Jahrzehnten meines Lebens beigetragen haben. Aber ich bin hier auch als Nachfolger des Apostels Petrus, um die tiefen Bindungen zwischen dem Römischen Bischofssitz und der Kirche in unserer Heimat erneut zu bekräftigen und zu bestätigen.

Es sind Bindungen, die in ihrer jahrhundertelangen Geschichte stets lebendig erhalten wurden durch die Treue zu den Werten des christlichen Glaubens, derer sich gerade die bayerischen Lande besonders rühmen dürfen. Zeugnisse dafür sind berühmte Baudenkmäler, majestätische Kathedralen, Skulpturen und Gemälde von hohem künstlerischen Wert, literarische Werke, kulturelle Initiativen und vor allem viele Schicksale Einzelner und von Gemeinschaften, in denen sich die tiefen christlichen Überzeugungen der Generationen widerspiegeln, die in diesem mir so lieben Land aufeinander gefolgt sind. Die Beziehungen Bayerns zum Heiligen Stuhl waren, abgesehen von einigen Momenten der Spannung, stets geprägt von respektvoller Herzlichkeit. In den entscheidenden Stunden seiner Geschichte hat das bayerische Volk immer seine tiefe Ergebenheit gegenüber dem Stuhl Petri und seine Treue zum katholischen Glauben bestätigt. Die Mariensäule, die auf dem zentralen Platz unserer Hauptstadt München steht, ist ein beredtes Zeugnis dafür.

Der heutige gesellschaftliche Kontext ist in vieler Hinsicht verschieden von dem der Vergangenheit. Trotzdem denke ich, daß uns alle die Hoffnung verbindet, die kommenden Generationen mögen dem geistigen Erbe treu bleiben, das durch alle Krisen der Geschichte hindurch standgehalten hat. Mein Besuch in dem Land, in dem ich geboren wurde, möchte in diesem Sinn auch eine Ermutigung sein: Bayern ist ein Teil Deutschlands, der Geschichte Deutschlands in ihrem Auf und Ab zugehörig, und kann mit Recht stolz sein auf die von der Vergangenheit ererbten Traditionen. Mein Wunsch ist es, daß alle meine Landsleute in Bayern und in Deutschland insgesamt sich aktiv an der Weitergabe der grundlegenden Werte des christlichen Glaubens an die Bürger von morgen beteiligen, der uns alle trägt und der nicht abgrenzt, sondern der öffnet und die Menschen aus den verschiedenen Völkern, Kulturen und Religionen zueinander bringt. Ich hätte gerne meinen Besuch auch auf andere Teile Deutschlands ausgedehnt, um zu all den verschiedenen Ortskirchen zu kommen, besonders zu denen, mit denen mich persönliche Erinnerungen verbinden.

Viele Zeichen der Zuneigung habe ich von überall und besonders aus den bayerischen Diözesen während meines Pontifikatsbeginns und all die Jahre hindurch erhalten dürfen. Das stärkt mich Tag um Tag. So möchte ich diese Gelegenheit benützen, um meinen ganz herzlichen Dank gegenüber Euch allen zum Ausdruck zu bringen. Ich habe auch lesen und verfolgen können, was in diesen Wochen und Monaten alles getan worden ist, wie viele Menschen sich mit all ihren Kräften daran beteiligt haben, daß dieser Besuch schön wird. Und jetzt danken wir dem Herrn, daß er uns auch den bayerischen Himmel dazu schenkt, denn den konnten wir nicht bestellen! Vergelt’s Gott also für all das, was geschehen ist von den verschiedensten Seiten - ich werde auch bei anderen Anlässen darauf zurückkommen können -, um einen schönen Ablauf dieses Besuches und dieser Tage zu gewährleisten. Über diesen Gruß an Euch, liebe Landsleute, hinaus - ich sehe vor mir die Stationen meines Weges von Marktl über Tittmoning nach Aschau nach Traunstein nach Regensburg nach München - über diesen Gruß an Euch hinaus möchte ich natürlich meinen Gruß an alle Einwohner Bayerns und ganz Deutschlands richten und denke dabei nicht nur an die katholischen Gläubigen, denen mein Besuch in erster Linie gilt, sondern auch an die Mitglieder der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, besonders an die evangelischen und die orthodoxen Christen. Und Sie, lieber Herr Bundespräsident, haben mir aus dem Herzen gesprochen: Auch wenn man fünfhundert Jahre nicht einfach bürokratisch oder durch gescheite Gespräche beiseite schieben kann - wir werden uns mit Herz und Verstand darum mühen, daß wir zueinander kommen.

Schließlich grüße ich die Angehörigen anderer Religionen und alle Menschen guten Willens, denen der Friede und die Ruhe des Landes und in der Welt ein Herzensanliegen sind. Möge der Herr die Bemühungen aller segnen, die auf die Schaffung einer Zukunft in echtem Wohlstand und auf der Grundlage der Gerechtigkeit, die den Frieden schafft, ausgerichtet sind. Diese Segenswünsche vertraue ich der Jungfrau Maria an, die in diesem unserem Land als Patrona Bavariae verehrt wird. Ich tue es in der klassischen Formulierung der Fürbitte von Jakob Balde, die zu Füßen der Mariensäule geschrieben steht: Rem regem regimen regionem religionem conserva Bavaris, Virgo Patrona, tuis! - Erhalte, Jungfrau Patronin, Deinen Bayern das Gut, oder wie man im Dialekt sagt „das Sach“, die Regierung, das Land und die Religion!

116 Euch allen ein herzliches „Grüß Gott!“

ANSPRACHE 2006 110