ANSPRACHE 2006 158


ABSCHLIESSENDES TREFFEN MIT DEN SCHWEIZER BISCHÖFEN

Donnerstag, 9. November 2006



Ich möchte in erster Linie allen für diese Begegnung danken, die mir sehr wichtig zu sein scheint als Ausdruck der kollegialen Zuneigung und als Zeichen unserer gemeinsamen Verantwortung für die Kirche und für das Evangelium in der heutigen Welt. Danke für alles! Es tut mir leid, daß ich aufgrund anderer Verpflichtungen, vor allem wegen »Ad-limina«-Besuchen (in diesen Tagen sind die deutschen Bischöfe an der Reihe), nicht bei euch sein konnte. Ich hätte wirklich den Wunsch gehabt, die Stimme der Schweizer Bischöfe zu hören, aber es werden sich vielleicht noch weitere Gelegenheiten bieten, und natürlich auch das Gespräch zwischen der Römischen Kurie und den Schweizer Bischöfen zu verfolgen: In der Römischen Kurie spricht immer auch der Heilige Vater in seiner Verantwortung gegenüber der ganzen Kirche. Ich danke euch daher für diese Begegnung, die - wie mir scheint - uns allen hilft, da sie für alle eine Erfahrung der Einheit der Kirche ist und auch eine Erfahrung der Hoffnung, die uns in allen Schwierigkeiten, von denen wir umgeben sind, begleitet. Ich möchte auch um Entschuldigung dafür bitten, daß ich bereits am ersten Tag ohne einen vorher geschriebenen Text gekommen bin; ein bißchen hatte ich natürlich bereits nachgedacht, aber ich hatte keine Zeit zum Schreiben gefunden. Und so komme ich auch jetzt mit dieser Armut; aber vielleicht ist in jeder Hinsicht arm zu sein in diesem Moment der Kirchengeschichte auch für einen Papst besser. Auf jeden Fall kann ich jetzt keine große Ansprache halten, wie es eigentlich richtig wäre nach einer Begegnung, die diese Früchte getragen hat. Ich muß nämlich sagen, daß ich die Zusammenfassung eurer Gespräche bereits gelesen hatte, und jetzt habe ich sie mit großer Aufmerksamkeit angehört: Es scheint mir ein sehr gut abgewägter und reicher Text zu sein, der wirklich auf die wesentlichen Fragen antwortet, die uns sowohl im Hinblick auf die Einheit der Kirche in ihrer Gesamtheit als auch im Hinblick auf die spezifischen Fragen der Kirche in der Schweiz beschäftigen. Es scheint mir, daß dieser Text wirklich den Weg für die nächsten Jahre vorzeichnet und unseren gemeinsamen Willen aufzeigt, dem Herrn zu dienen. Ein sehr reicher Text. Als ich ihn las, dachte ich: Es wäre ein bißchen widersinnig, wenn ich jetzt anfinge, noch einmal über diese Themen zu sprechen, die drei Tage lang tiefgehend und intensiv besprochen worden sind. Ich sehe hier das zusammengefaßte und reiche Ergebnis der Arbeit, die getan wurde; noch etwas zu den einzelnen Punkten hinzuzufügen erscheint mir sehr schwierig, auch weil ich zwar das Ergebnis der Arbeit kenne, aber nicht das, was die Gesprächsteilnehmer im einzelnen persönlich gesagt haben. Daher habe ich gedacht, daß es vielleicht richtig ist, heute nachmittag beim Abschluß noch einmal auf die großen Themen zurückzukommen, die uns beschäftigen und die letztlich die Grundlage aller Einzelheiten sind - auch wenn jede Einzelheit natürlich wichtig ist. In der Kirche ist es nicht so, daß die Institution nur eine äußere Struktur und das Evangelium dagegen nur rein geistlich wäre. In Wirklichkeit sind Evangelium und Institution nicht voneinander zu trennen, weil das Evangelium einen Leib besitzt, weil der Herr in dieser unserer Zeit einen Leib besitzt. Daher sind die Fragen, die auf den ersten Blick fast nur institutionelle Fragen zu sein scheinen, in Wirklichkeit theologische und zentrale Fragen, weil es sich dabei um die Verwirklichung und die konkrete Umsetzung des Evangeliums in unserer Zeit handelt. Daher ist es jetzt das Richtige, noch einmal die großen Perspektiven hervorzuheben, innerhalb derer sich unsere ganze Reflexion bewegt. Ich gestatte mir - mit der Nachsicht und der Großherzigkeit der Mitglieder der Römischen Kurie -, zur deutschen Sprache zurückzukehren, weil wir sehr gute Übersetzer haben, die sonst unbeschäftigt bleiben würden. Ich habe an zwei bestimmte Themen gedacht, über die ich bereits gesprochen habe und die ich jetzt weiter vertiefen möchte.

Noch einmal also das Thema „Gott“. Mir ist das Wort des hl. Ignatius eingefallen: „Christentum ist nicht eine Sache der Überredung, sondern der Größe“ (Brief an die Römer 3,3). Wir sollten uns unseren Glauben nicht durch vielfältige Einzelheiten zerreden lassen, sondern doch zu allererst seine Größe immer wieder vor Augen haben. Ich kann mich erinnern: Wenn ich in den achtziger, neunziger Jahren nach Deutschland kam, wurde ich um Interviews gebeten, und ich wußte immer schon im voraus die Fragen. Es ging um Frauenordination, um Empfängnisverhütung, um Abtreibung und um ähnliche Probleme, die ständig wiederkehren. Wenn wir uns einfangen lassen in diese Diskussionen, dann fixiert man die Kirche auf ein paar Ge- oder Verbote, wir stehen da als Moralisten mit ein paar etwas altmodischen Ansichten, und die eigentliche Größe des Glaubens erscheint gar nicht. Daher meine ich, diese Größe unseres Glaubens immer wieder herauszustellen, ist etwas ganz Grundlegendes, wovon wir uns durch solche Situationen nicht abbringen lassen dürfen.

Unter diesem Aspekt möchte ich nun unsere Überlegungen vom vorigen Dienstag ergänzend fortzusetzen und noch einmal betonen: Wichtig ist vor allem, die persönliche Beziehung zu Gott zu pflegen, zu dem Gott, der sich uns in Christus gezeigt hat. Augustinus hat wiederholt die zwei Seiten des christlichen Gottesbegriffes unterstrichen: Gott ist Logos, und Gott ist Amor - bis dahin, daß er ganz klein wird, einen menschlichen Leib annimmt und sich schließlich als Brot in unsere Hände gibt. Und diese beiden Seiten des christlichen Gottesbegriffes sollten wir immer gegenwärtig halten und gegenwärtig machen. Gott ist Spiritus Creator, ist Logos, ist Vernunft. Und daher ist unser Glaube etwas, das mit Vernunft zu tun hat und durch Vernunft weitergegeben werden kann und sich nicht vor der Vernunft auch dieser unserer Zeit zu verstecken braucht. Aber diese ewige, unermeßliche Vernunft ist eben nicht nur Mathematik des Alls und noch weniger irgendeine prima causa, die den Big Bang ausgelöst und sich dann zurückgezogen hat, sondern diese Vernunft hat ein Herz, so sehr, daß sie auf ihre Unermeßlichkeit verzichten kann und Fleisch annimmt. Und erst darin, meine ich, liegt die letzte und eigentliche Größe unseres Gottesbegriffs. Wir wissen: Gott ist nicht eine philosophische Hypothese, nicht etwas, das es vielleicht gibt, sondern wir kennen ihn, und er kennt uns. Und wir können ihn immer genauer kennen, wenn wir im Gespräch mit ihm stehen.

159 Deshalb ist es eine Grundaufgabe der Pastoral, beten zu lehren und es selber immer mehr zu lernen. Schulen des Gebets, Gebetskreise, gibt es heutzutage; man sieht, daß Menschen das wollen. Viele suchen Meditation irgendwo anders, weil sie die spirituelle Dimension im Christentum nicht zu finden glauben. Wir müssen ihnen wieder zeigen, daß es diese spirituelle Dimension nicht nur gibt, sondern daß sie die Quelle von allem ist. Dazu müssen wir vermehrt solche Schulen des Gebetes, des Miteinander-Betens, bilden, wo man das persönliche Beten in all seinen Dimensionen lernen kann: als schweigendes Hinhören auf Gott, als Hineinhören in sein Wort, in sein Schweigen, in sein Tun in der Geschichte und an mir; auch seine Sprache in meinem Leben verstehen und dann antworten lernen im Mitbeten mit den großen Gebeten der Psalmen des Alten und des Neuen Testaments. Wir haben selber nicht die Worte für Gott, aber Worte sind uns geschenkt: Der Heilige Geist hat selber für uns schon Gebetsworte geformt; wir können hineintreten, mitbeten und darin dann auch das persönliche Beten lernen, Gott immer mehr „erlernen“ und so Gottes gewiß werden, auch wenn er schweigt - Gottes froh werden. Dieses innere Sein bei Gott und dadurch Erfahren der Gegenwart Gottes ist das, was sozusagen immer wieder die Größe des Christentums spüren läßt und uns dann auch durch all das Kleine hindurchhilft, in dem es freilich gelebt und Tag um Tag leidend und liebend, in Freude und Trauer, Wirklichkeit werden muß.

Und von da aus - denke ich - ist dann die Bedeutung der Liturgie zu sehen, eben auch als Schule des Betens, in der der Herr selbst uns beten lehrt, in der wir mit der Kirche beten, sowohl in der einfachen, demütigen Feier, in der nur ein paar Gläubige sind, als auch im Fest des Glaubens. Ich habe das gerade jetzt in den verschiedenen Gesprächen wieder wahrgenommen, wie sehr für die Gläubigen einerseits die Stille in der Berührung mit Gott wichtig ist und andererseits das Fest des Glaubens, Fest erleben zu können. Die Welt hat auch ihre Feste. Nietzsche hat sogar gesagt: Nur wenn es Gott nicht gibt, können wir ein Fest feiern. Aber das ist Unsinn: Nur wenn es Gott gibt und er uns anrührt, kann es ein wirkliches Fest geben. Und wir wissen ja, wie diese Feste des Glaubens doch den Menschen dann das Herz aufreißen und Eindrücke schaffen, die ihnen weiterhelfen. Ich habe es bei den Pastoralbesuchen in Deutschland, in Polen, in Spanien wieder erfahren, daß da Glaube als Fest erlebt wird und dann den Menschen wieder nachgeht und sie führt.

Und noch etwas möchte ich in dem Zusammenhang erwähnen, das mir sehr aufgefallen ist, und das mich nachhaltig beeindruckt hat. In dem letzten, Fragment gebliebenen Werk des hl. Thomas von Aquin, dem Compendium Theologiae, das er ja einfach aufbauen wollte nach den drei theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe, hatte der große Kirchenlehrer das Kapitel Hoffnung noch angefangen und ein Stück weit ausgeführt. Und dort hat er Hoffnung und Gebet sozusagen miteinander identifiziert: Das Kapitel über die Hoffnung ist zugleich das Kapitel über das Gebet. Das Gebet ist Hoffnung in Akt. Und in der Tat, im Gebet öffnet sich der eigentliche Grund, warum wir hoffen dürfen: Wir können mit dem Herrn der Welt in Berührung treten, er hört uns zu, und wir können ihm zuhören. Das ist es, was der hl. Ignatius meinte, und was ich Ihnen heute noch einmal ins Gedächtnis rufen wollte: Ou peismones to ergon, alla megethous estin ho Christianismos (
Rm 3,3) - das eigentlich Große des Christentums, das uns nicht dispensiert vom Kleinen und Alltäglichen, das aber auch davon nicht verdeckt werden darf, ist diese Möglichkeit, mit Gott in Berührung zu treten.

Das Zweite, was mir gerade in diesen Tagen wieder in den Sinn gekommen ist, betrifft die Moral. Ich höre oft, daß eine Sehnsucht nach Gott, nach Spiritualität, nach Religion bei den Menschen durchaus vorhanden ist und daß man auch wieder anfängt, die Kirche als einen möglichen Ansprechpartner anzusehen, wo man in dieser Hinsicht etwas empfangen kann. (Es gab ja eine Zeit, da man eigentlich nur noch bei anderen Religionen suchte.) Das Bewußtsein wächst wieder: Die Kirche ist ein großer Träger spiritueller Erfahrung und gleichsam ein Baum, in dem Vögel nisten können, auch wenn sie dann wieder wegfliegen wollen - aber eben doch ein Ort, an dem man sich einmal niederlassen kann für eine Weile. Was dagegen den Menschen sehr schwerfällt, ist die Moral, die die Kirche verkündet. Darüber habe ich nachgedacht - denke auch schon lange darüber nach -, und mir fällt immer mehr auf, daß in unserer Zeit die Moral sich gleichsam in zwei Hälften geteilt hat. Die gegenwärtige Gesellschaft ist nicht einfach „moral-los“, aber sie hat einen anderen Teil der Moral sozusagen „entdeckt“ und nimmt ihn in Anspruch, der vielleicht in unserer kirchlichen Verkündigung in den letzten Jahrzehnten und auch schon länger nicht genügend zur Sprache kam. Es sind die großen Themen „Friede“, „Gewaltlosigkeit“, „Gerechtigkeit für alle“, „Sorge um die Armen“, „Ehrfurcht vor der Schöpfung“. Das ist zu einem Ensemble von Moral geworden, das gerade als politische Kraft auch sehr mächtig ist und für viele eigentlich den Ersatz oder die Nachfolge der Religion darstellt. An die Stelle der Religion, die als Metaphysik und jenseitig gilt - und individualistisch vielleicht - treten die großen moralischen Themen als das Eigentliche, das dem Menschen dann Würde gibt und ihn auch fordert. Das ist die eine Seite, daß es also diese Moralität gibt, die auch junge Menschen begeistert, die sich für Frieden einsetzen, für Gewaltlosigkeit, für Gerechtigkeit, für die Armen, für die Schöpfung. Und es sind ja auch wirklich große moralische Themen, die gerade auch der kirchlichen Tradition zugehören. Die Instrumente, die man dafür anbietet, sind dann oft sehr parteilich und nicht immer glaubwürdig, aber darauf muß hier nicht eingegangen werden. Die großen Themen stehen im Raum.

Die andere Hälfte der Moral, die oft sehr kontrovers von der Politik aufgegriffen wird, ist die Moral des Lebens. Dazu gehört der Einsatz für das Leben von der Empfängnis bis zum Tod, das heißt seine Verteidigung gegen die Abtreibung, gegen die Euthanasie, gegen die Manipulation und gegen die Selbstermächtigung des Menschen, über das Leben zu verfügen. Häufig wird versucht, diese Eingriffe mit den scheinbar großen Zwecken zu rechtfertigen, späteren Generationen damit dienen zu können, sodaß auch dies, das Leben des Menschen selbst zu manipulieren und in die Hand zu nehmen, wieder geradezu moralisch erscheint. Aber auf der anderen Seite gibt es ja das Bewußtsein, daß das menschliche Leben ein Geschenk ist, das unsere Ehrfurcht und unsere Liebe vom ersten bis zum letzten Augenblick verlangt, auch für die Leidenden, die Behinderten und die Schwachen. Im Zusammenhang damit steht dann auch die Moral von Ehe und Familie. Die Ehe wird sozusagen immer mehr marginalisiert. Wir kennen ja das Beispiel aus einigen Ländern, wo eine Gesetzesänderung vorgenommen wurde, durch die nun die Ehe nicht mehr definiert wird als Verbindung zwischen Mann und Frau, sondern als eine Verbindung zwischen Personen, womit natürlich die Grundidee zerstört ist und die Gesellschaft von ihren Wurzeln her zu etwas ganz anderem wird. Daß Sexualität, Eros und Ehe als Einswerden von Mann und Frau zueinander gehören - „Sie werden ein Fleisch sein“, sagt der Schöpfungsbericht - dieses Bewußtsein schwindet immer mehr; alle Arten von Verbindungen erscheinen als ganz normal, wiederum als eine Art Moralität der Nicht-Diskrimination und als eine Art von Freiheit, die dem Menschen geschuldet ist. Damit ist natürlich die Unauflöslichkeit der Ehe fast zu einer utopischen Idee geworden, die gerade auch bei vielen Persönlichkeiten, die wir in der Öffentlichkeit sehen, dementiert erscheint. So zerbröckelt auch die Familie in zunehmendem Maße. Natürlich gibt es für das Problem, daß die Geburtenrate so stark zurückgeht, vielerlei Gründe, sicher spielt dabei aber auch eine entscheidende Rolle, daß man das Leben für sich selber haben möchte, daß man der Zukunft wenig traut und daß man eben die Familie als eine beständige Gemeinschaft, in der dann auch die nächste Generation heranwachen kann, kaum noch für realisierbar hält.

In diesen Bereichen also stößt unsere Verkündigung auf ein gegenläufiges Gesellschaftsbewußtsein und sozusagen auf eine Art Gegenmoralität, die sich auf einen Begriff der Freiheit als des Allein-selber-wählen-Könnens und der Nicht-Diskimination, also der Zulassung aller Arten von Möglichkeiten, stützt und sich damit auch selber für moralisch hält. Doch das andere Bewußtsein ist ja nicht ausgestorben. Es ist da, und ich denke, wir müssen uns darum mühen, die beiden Hälften der Moral wieder zusammenzubringen und deutlich zu machen, daß sie untrennbar zueinander gehören. Nur wenn das menschliche Leben von der Empfängnis bis zum Tod geachtet wird, ist auch die Friedensethik möglich und glaubhaft; nur dann kann die Gewaltlosigkeit ganzheitlich werden, nur dann nehmen wir die Schöpfung wirklich an und nur dann kann es zu wahrer Gerechtigkeit kommen. Ich denke, da haben wir eine ganz große Aufgabe vor uns: einerseits Christentum nicht als bloßen Moralismus erscheinen zu lassen, sondern als Gabe, in der sich uns die Liebe schenkt, die uns trägt und die uns dann die Kraft des Sich-Verlierens gibt; und andererseits in diesem großen Kontext der geschenkten Liebe dann auch zu den Konkretisationen schreiten, deren Grundlage uns immer noch der Dekalog anbietet, den wir mit Christus, mit der Kirche in dieser Zeit weiterlesen und neu lesen müssen.

Das waren also die zwei Themen, die ich glaubte, hinzufügen zu sollen oder zu dürfen. Danke für Ihre Nachsicht und für Ihre Geduld. Hoffen wir, daß der Herr uns allen hilft auf unserem Weg!

AN DIE ERSTE GRUPPE DEUTSCHER BISCHÖFE ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Freitag, 10. November 2006



Meine Herren Kardinäle!
Liebe Brüder im Bischofsamt!

Willkommen im Hause des Nachfolgers Petri! In der Freude am Glauben, dessen Verkündigung unser gemeinsamer Hirtendienst ist, begrüße ich Euch zu dieser Begegnung der ersten Gruppe deutscher Bischöfe anläßlich des ad limina Besuchs. Ich freue mich, mit Euch nach meinen Deutschlandbesuchen zum Weltjugendtag 2005 und kürzlich im September, bei denen ich vielen von Euch wenigstens kurz begegnen konnte, hier zusammenzukommen, um mit Euch einen Blick auf die Lage der Kirche in unserer Heimat zu werfen. Ich brauche es gewiß nicht eigens zu sagen: Die Katholiken in den deutschen Diözesen und überhaupt alle Christen in unserem Land liegen mir am Herzen. Täglich bete ich um den Segen Gottes für das deutsche Volk und für alle in unserer Heimat lebenden Menschen. Möge die große Liebe Gottes die Herzen aller berühren und verwandeln! - Ich bin dankbar, daß ich in den Einzelgesprächen mit Euch nicht nur unsere persönliche Freundschaft und Verbundenheit vertiefen kann, sondern vieles über die Lage in Euren Bistümern lernen darf. In den beiden Reden, mit denen wir die persönlichen Begegnungen beschließen, möchte ich einige Aspekte des kirchlichen Lebens hervorheben, die mir in dieser unserer geschichtlichen Stunde besonders am Herzen liegen.

160 Die Bundesrepublik Deutschland teilt mit der ganzen westlichen Welt die Situation einer von der Säkularisierung geprägten Kultur, in der Gott immer mehr aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwindet, die Einzigkeit der Gestalt Christi verblaßt und die von der kirchlichen Tradition geformten Werte immer mehr an Wirkkraft verlieren. So wird auch für den einzelnen der Glaube schwieriger; die Beliebigkeit an Lebensentwürfen und Lebensgestaltungen nimmt zu. Dieser Situation sehen sich Hirten wie Gläubige der Kirche gegenübergestellt. Nicht wenige hat deshalb Mutlosigkeit und Resignation befallen, Haltungen, die das Zeugnis für das befreiende und rettende Evangelium Christi hindern. Ist das Christentum nicht am Ende doch auch nur eines von vielen anderen Angeboten zur Sinnstiftung? So fragt sich manch einer. Zugleich aber schauen angesichts der Brüchigkeit und Kurzlebigkeit der meisten dieser Angebote viele wieder fragend und hoffend auf die christliche Botschaft und erwarten von uns überzeugende Antworten.

Ich denke, die Kirche in Deutschland muß die so angedeutete Situation als providentielle Herausforderung erkennen und sich ihr mutig stellen. Wir Christen brauchen keine Angst vor der geistigen Konfrontation mit einer Gesellschaft zu haben, hinter deren zur Schau gestellter intellektueller Überlegenheit sich doch Ratlosigkeit angesichts der letzten existentiellen Fragen verbirgt. Die Antworten, die die Kirche aus dem Evangelium des menschgewordenen Logos schöpft, haben sich fürwahr in den geistigen Auseinandersetzungen zweier Jahrtausende bewährt; sie sind von bleibender Gültigkeit. Von diesem Bewußtsein bestärkt können wir zuversichtlich all denen Rede und Antwort stehen, die uns nach dem Grund der Hoffnung fragen, die uns erfüllt (vgl.
1P 3,15). Dies gilt auch für unseren Umgang mit den Angehörigen anderer Religionen, vor allem den vielen Muslimen, die in Deutschland leben, und denen wir mit Respekt und Wohlwollen begegnen. Gerade sie, die an ihren religiösen Überzeugungen und Riten meist mit großem Ernst festhalten, haben ein Recht auf unser demütiges und festes Zeugnis für Jesus Christus. Um dieses mit Überzeugungskraft abzulegen, bedarf es freilich ernster Bemühungen. Deshalb sollten an Orten mit zahlreicher muslimischer Bevölkerung katholische Ansprechpartner zur Verfügung stehen, die die entsprechenden sprachlichen und religionsgeschichtlichen Kenntnisse besitzen, die sie zum Gespräch mit Muslimen befähigen. Ein solches Gespräch setzt freilich zuallererst eine solide Kenntnis des eigenen katholischen Glaubens voraus.

Damit ist ein anderes - ganz zentrales - Thema angeschlagen: das des Religionsunterrichts, der katholischen Schulen und der katholischen Erwachsenenbildung. Dieser Bereich erfordert neue und besondere Aufmerksamkeit seitens der Oberhirten. Da geht es zunächst um die Curricula für den Religionsunterricht, die es am Katechismus der Katholischen Kirche auszurichten gilt, damit im Laufe der Schulzeit das Ganze des Glaubens und der Lebensvollzüge der Kirche vermittelt wird. In der Vergangenheit wurde nicht selten der Inhalt der Katechese gegenüber den didaktischen Methoden in den Hintergrund gedrängt. Die ganzheitliche und verständliche Vergegenwärtigung der Glaubensinhalte ist ein entscheidender Gesichtspunkt bei der Genehmigung von Lehrbüchern für den Religionsunterricht. Nicht minder wichtig ist auch die Treue der Lehrenden zum Glauben der Kirche und ihre Teilnahme am liturgischen und pastoralen Leben der Pfarreien oder kirchlichen Gemeinschaften, in deren Gebiet sie ihren Beruf ausüben. In den katholischen Schulen kommt es darüber hinaus darauf an, daß Einführung in katholische Weltsicht und Glaubenspraxis sowie ganzheitliche religiöse Persönlichkeitsbildung nicht nur im Religionsunterricht sondern im gesamten Schulalltag - nicht zuletzt durch das persönliche Zeugnis der Lehrer - überzeugend vermittelt werden. Eine ähnliche Bedeutung kommt den vielfältigen Institutionen und Aktivitäten auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung zu. Hier sollte besonderes Augenmerk auf die Wahl der Themen und Referenten gerichtet werden, damit die zentralen Inhalte des Glaubens und der christlichen Lebensgestaltung nicht hinter vordergründig aktuellen oder marginalen Fragestellungen zurückbleiben.

Die umfassende und getreue Weitergabe des Glaubens in der Schule und in der Erwachsenenbildung hängt ihrerseits maßgeblich von der Ausbildung der Priesteramtskandidaten und Religionslehrer an den Theologischen Fakultäten und Hochschulen ab. Da nun kann nicht genug betont werden, daß die Treue zum Depositum fidei, wie es vom Lehramt der Kirche vorgelegt wird, die Voraussetzung für seriöse theologische Forschung und Lehre schlechthin darstellt. Diese Treue ist auch eine Forderung der intellektuellen Redlichkeit für jeden, der ein akademisches Lehramt im Auftrag der Kirche ausübt. Den Bischöfen obliegt es dabei, das oberhirtliche „Nihil obstat“ nur nach gewissenhafter Prüfung zu erteilen. Nur eine theologische Fakultät, die sich diesem Grundsatz verpflichtet weiß, wird in der Lage sein, einen authentischen Beitrag zum geistigen Austausch innerhalb der Universitäten zu leisten.

Laßt mich auch, verehrte Mitbrüder, von der Ausbildung in den Priesterseminarien sprechen. Hierfür hat das Zweite Vatikanische Konzil in seinem Dekret Optatam totius wichtige Normen erlassen, die leider noch nicht voll verwirklicht sind. Dies gilt insbesondere von der Einrichtung des sogenannten Einführungskurses vor Beginn des eigentlichen Studiums. Dieser sollte nicht nur die für das Studium von Philosophie und Theologie mit Nachdruck zu fordernde solide Kenntnis der klassischen Sprachen vermitteln, sondern auch die Vertrautheit mit dem Katechismus, mit der religiösen, liturgischen und sakramentalen Praxis der Kirche. Angesichts der zunehmenden Zahl von Interessenten und Kandidaten, die nicht mehr von einem traditionellen katholischen Hintergrund herkommen, ist ein solches Einführungsjahr dringend notwendig. Darüber hinaus kann der Student in diesem Jahr bereits größere Klarheit über seine Berufung zum Priestertum gewinnen. Andererseits erhalten die für die Priesterausbildung Verantwortlichen die Möglichkeit, sich ein Bild vom Kandidaten, von seiner menschlichen Reife und seinem Glaubensleben, zu machen. Hingegen sind gruppendynamische Rollenspiele, Selbsterfahrungsgruppen und andere psychologische Experimente weniger dazu geeignet und können eher Verwirrung und Unsicherheit schaffen.

In diesem größeren Zusammenhang möchte ich Euch, liebe Brüder im Bischofsamt, die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt besonders ans Herz legen. In ihr besitzt das katholische Deutschland eine hervorragende Stätte, an der eine Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen mit Problemen auf hohem akademischen Niveau und im Lichte des katholischen Glaubens geführt und eine geistige Elite herangebildet werden kann, die den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft im Geist des Evangeliums zu begegnen vermag. Die finanzielle Sicherstellung der einzigen Katholischen Universität Deutschlands sollte als eine Gemeinschaftsaufgabe aller deutschen Diözesen erkannt werden, denn die damit verbundenen Lasten können in Zukunft nicht allein von den Bayerischen Bistümern getragen werden, die gleichwohl eine besondere Verantwortung für diese Universität behalten.

Zum Schluß möchte ich noch kurz auf ein ebenso dringendes wie emotional belastetes Problem eingehen: Es ist das Verhältnis von Priestern und Laien bei der Erfüllung der Sendung der Kirche. Wie wichtig die aktive Mitarbeit der Laien für das Leben der Kirche ist, erfahren wir in unserer säkularen Kultur immer mehr. All den Laien, die die Kirche aus der Kraft der Taufe lebendig mittragen, möchte ich von Herzen danken. Gerade weil das aktive Zeugnis der Laien so wichtig ist, ist auch wichtig, daß die spezifischen Sendungsprofile nicht vermischt werden. Die Predigt in der Heiligen Messe ist ein an das Weiheamt gebundener Auftrag; wenn eine ausreichende Zahl von Priestern und Diakonen anwesend ist, steht ihnen die Ausspendung der heiligen Kommunion zu. Auch wird immer wieder der Anspruch auf von Laien auszuübende pastorale Leitungsfunktionen erhoben. Dabei dürfen wir die damit zusammenhängenden Fragen nicht nur im Licht pastoraler Zweckmäßigkeiten erörtern, denn es geht hier um Glaubenswahrheiten, nämlich um die von Jesus Christus gestiftete sakramental-hierarchische Struktur Seiner Kirche. Da diese auf Seinem Willen und die apostolische Vollmacht auf Seiner Sendung beruhen, sind sie dem menschlichen Zugriff entzogen. Nur das Sakrament der Weihe befähigt den Empfänger in persona Christi zu sprechen und zu handeln. Dies, verehrte Mitbrüder, gilt es, mit aller Geduld und Lehrweisheit immer wieder einzuschärfen und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Die Kirche in Deutschland verfügt über tiefe geistliche Wurzeln und über hervorragende Mittel zur Förderung des Glaubens und zur Unterstützung bedürftiger Menschen im In- und Ausland. Die Zahl der engagierten Gläubigen und auch die Qualität ihres Wirkens zum Wohle von Kirche und Gesellschaft sind wahrlich bemerkenswert. Der Verwirklichung der Sendung der Kirche dient auch die weitgehend gute Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche zum Segen der Menschen in Deutschland. Um der eingangs angesprochenen großen Herausforderung durch den anhaltenden Säkularisierungsprozeß adäquat begegnen zu können, muß die Kirche in Deutschland vor allem die Kraft und Schönheit des katholischen Glaubens neu sichtbar machen: um dies zu können, muß sie in der Gemeinschaft mit Christus wachsen. Die Einheit der Bischöfe, des Klerus und der Laien untereinander und auch mit der Weltkirche, besonders mit dem Nachfolger Petri, ist dabei von fundamentaler Bedeutung. Möge die mächtige Fürsprache der Jungfrau und Gottesmutter Maria, die in unserer deutschen Heimat so viele wunderbare Heiligtümer besitzt, die Fürbitte des heiligen Bonifatius und aller Heiligen unseres Landes Euch und den Gläubigen die Kraft und Ausdauer erwirken, um das große Werk einer authentischen Erneuerung des Glaubenslebens in der Heimat in Treue zu den universalkirchlichen Vorgaben mutig und vertrauensvoll fortzusetzen. Dazu erteile ich Euch allen für die Aufgaben Eures Hirtendienstes sowie auch allen Gläubigen in Deutschland von Herzen den Apostolischen Segen.

AN DIE "FONDAZIONE SACRA FAMIGLIA DI NAZARETH" UND DIE LAIENVEREINIGUNG "COMUNITÀ DOMENICO TARDINI"


Audienzenhalle

Samstag, 11. November 2006



Herr Kardinal,
161 verehrte Brüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!

Mit Freude bin ich heute unter euch, um das 60jährige Bestehen der Einrichtung zu feiern, die aus der weisen Eingebung des damaligen Monsignore und späteren Kardinals Domenico Tardini heraus entstanden ist und anschließend geleitet wurde vom inzwischen verstorbenen Kardinal Antonio Samorè und von unserem Kardinal Silvestrini, unterstützt von Freunden aus der Welt der Schule, der Kultur und der Arbeit sowie italienischer und amerikanischer Wohltäter. Herzlich begrüße ich euch alle - Studenten, ehemalige Alumnen, Freunde und alle eure Familien - und danke euch für den herzlichen Empfang. Insbesondere begrüße ich den Präsidenten der »Fondazione Sacra Famiglia di Nazareth«, Kardinal Achille Silvestrini, und danke ihm für seine Worte, mit denen er mir dieses erzieherische und kirchliche Werk vorgestellt hat, dem er viel Umsicht und Liebe widmet. Ich begrüße die Vizepräsidentin, die Psychologin Prof. Angela Groppelli, die sich seit über 50 Jahren für »Villa Nazareth« einsetzt, und Erzbischof Claudio Maria Celli mit den Bischöfen und Priestern, die dort die Gaben des geistlichen Lebens gespendet haben und spenden, die Mitglieder des Stiftungsrates und der Laienvereinigung »Comunità Domenico Tardini« mit ihrem Vizepräsidenten Pier Silverio Pozzi und allen Mitgliedern. »Villa Nazareth« ist eine wertvolle Einrichtung, die sich weiterentwickelt durch das eifrige Bemühen der Studenten bei ihrer Ausbildung, durch ihre Eingliederung in das Berufsleben und durch die jungen Familien, die entstehen. Diese ganze große Familie möchte ich mit besonderer väterlicher Liebe grüßen.

»Villa Nazareth« hat in den vergangenen 60 Jahren mehrere Generationen von Kindern und Jugendlichen aufgenommen und setzt sich zum Ziel, unter Achtung der menschlichen Freiheit die Intelligenz ihrer Studenten zur Entfaltung zu bringen, darauf ausgerichtet, den Dienst am Nächsten als wahren Ausdruck der christlichen Liebe zu betrachten. »Villa Nazareth« will die jungen Menschen dazu erziehen, den Mut zu Entscheidungen zu haben, in einer für den Dialog offenen Haltung und mit Bezugnahme auf die durch den Glauben gereinigte Vernunft. Der Glaube vermag nämlich jedem Vorhaben, dem das Schicksal des Menschen am Herzen liegt, Hoffnungsperspektiven zu bieten. Der Glaube ergründet das Unsichtbare und ist daher ein Freund der Vernunft, die sich die wesentlichen Fragen stellt, von denen aus unser Weg auf Erden einen Sinn erhalten soll.

In diesem Zusammenhang kann die Frage aufschlußreich sein, die nach dem Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte der Diakon Philippus dem Äthiopier stellt, dem er auf der Straße von Jerusalem nach Gaza begegnet ist: »Verstehst du auch, was du liest?« (
Ac 8,30). Der Äthiopier antwortet: »Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet?« (8,31). Da erzählt Philippus ihm von Christus. So entdeckt der Äthiopier in der Person Christi, den der Prophet Jesaja mit verhüllten Worten angekündigt hatte, die Antwort auf seine Fragen. Es ist also wichtig, daß an den, der auf dem Weg ist, jemand herantritt und ihm »die frohe Botschaft von Jesus« verkündet, wie Philippus es getan hat. Hier wird die »Diakonia« versinnbildlicht, die die christliche Kultur ausüben kann, um den Menschen auf der Suche zu helfen, Christus zu finden, der in der Bibel ebenso wie in der Lebensgeschichte jedes einzelnen verborgen ist. Eines aber darf man nicht vergessen: Jesus sagt, daß in jedem notleidenden Menschen sein eigener »Hunger und Durst gestillt« wird und daß er selbst in diesen Menschen »aufgenommen, gekleidet und besucht« wird (vgl. Mt 25,31-46). Er ist also auch in jenen Menschen und Ereignissen »verborgen«. Ich weiß, liebe Freunde, daß ihr regelmäßig über diese und ähnliche Bibeltexte nachdenkt. Diese Worte begleiten euch in eurem täglichen Leben. Wenn ihr diese Bilder und Ermahnungen miteinander verbindet, dann könnt ihr deutlich verstehen, wie untrennbar Wahrheit und Liebe voneinander sind. Keine Kultur kann mit sich selbst zufrieden sein, solange sie nicht entdeckt, daß sie auf die wirklichen und tiefen Nöte des Menschen, jedes Menschen, achten muß.

In »Villa Nazareth« könnt ihr erfahren, daß das Wort Gottes aufmerksames Zuhören und ein offenes und reifes Herz verlangt, um in Fülle gelebt zu werden. Die Inhalte der Offenbarung Jesu sind konkret, und ein christlich geprägter Intellektueller muß stets bereit sein, sie zu vermitteln, wenn er mit Menschen spricht, die auf der Suche nach Lösungen sind, die das Leben verbessern und auf die Unruhe antworten können, die jedes Menschenherz bedrängt. Man muß vor allem die tiefe Übereinstimmung aufzeigen zwischen dem, was aus der Reflexion über das menschliche Leben hervorgeht, und dem göttlichen »Logos«, dem Wort, das »Fleisch geworden« ist und »unter uns gewohnt« hat (vgl. Jn 1,14). So kommt es zu einem fruchtbaren Zusammenspiel zwischen den Postulaten der Vernunft und den Antworten der Offenbarung; und gerade hier entsteht ein Licht, das den Weg erleuchtet, nach dem man den eigenen Einsatz ausrichten soll.

Im täglichen Kontakt mit der Heiligen Schrift und der Lehre der Kirche findet euer Heranreifen auf menschlicher, beruflicher und geistlicher Ebene statt, und so könnt ihr immer tiefer in das Geheimnis jener schöpferischen Vernunft eintreten, die nicht aufhört, die Welt zu lieben und mit der Freiheit der Geschöpfe im Dialog zu stehen. Ein christlicher Intellektueller - und das wollen diejenigen, die am Ende ihrer Ausbildung »Villa Nazareth« verlassen, mit Sicherheit sein - muß sich in seinem Innern stets das Staunen über diese Grundwahrheit erhalten. Das erleichtert die fügsame Treue zum Geist Gottes und spornt gleichzeitig dazu an, mit Hilfsbereitschaft und Verfügbarkeit den Brüdern zu dienen.

Ihr könnt den »Stil« eures Einsatzes einem Wort des hl. Paulus an die christliche Gemeinde in Philippi entnehmen: »Brüder: Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!« (Ph 4,8). Genau aus dieser Perspektive heraus könnt ihr einen fruchtbaren Dialog mit der Kultur anknüpfen und euren Beitrag dazu leisten, daß viele Menschen in Jesus Christus die Antwort finden. Fühlt auch ihr euch vom Geist Jesu bewegt, wie es dem Diakon Philippus widerfuhr, der hörte, daß zu ihm gesagt wurde: »Steh auf und zieh nach Süden auf der Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt. Sie führt durch eine einsame Gegend« (Ac 8,26). Auch heute, liebe junge Menschen, gibt es nicht wenige »Straßen, die durch einsame Gegenden führen«, auf denen ihr in eurem Leben als Gläubige unterwegs sein werdet: Gerade auf diesen Straßen werdet ihr denen zur Seite stehen können, die nach dem Sinn des Lebens suchen. Bereitet auch ihr euch darauf vor, im Dienst an einer Kultur zu stehen, die die brüderliche Begegnung der Menschen untereinander und das Entdecken des Heils, das von Christus kommt, fördert.

Liebe Brüder und Schwestern, meine verehrten Vorgänger bedachten »Villa Nazareth« von Anfang an stets mit großem Wohlwollen: vom Diener Gottes Pius XII. an, unter dem sie entstand, bis hin zum Diener Gottes Johannes Paul II., der euch vor nunmehr zehn Jahren anläßlich des 50jährigen Gründungsjubiläums besuchte. Dieses Wohlwollen der Päpste hat eure geistliche Verbindung mit dem Heiligen Stuhl genährt und muß sie weiterhin nähren. Gleichzeitig verpflichtet euch dieses Band der Wertschätzung und der Liebe, treu in den Spuren jenes großen »Mannes Gottes« zu wandeln, der Kardinal Domenico Tardini war. Durch seine Worte und sein Vorbild ermahnt er euch, besonders einfühlsam, aufmerksam und empfänglich gegenüber den Lehren der Kirche zu sein. Während ich mit diesen Empfindungen den besonderen Schutz der Muttergottes »Mater Ecclesiae« auf euch herabrufe, versichere ich jeden meines Gebetsgedenkens und segne euch alle herzlich, vor allem eure zahlreichen Kinder.


ANSPRACHE 2006 158