Kommentar zum Evangelium Mt 48

Achtundvierzigste Homilie. Kap.XIII,V.53 - Kap. XIV,V.12.

48 Mt 13,53-14,12
1.

V.53: "Und es geschah, als Jesus diese Gleichnisse beendet hatte, ging er von da weg." 

   Warum sagt der Evangelist "diese"[459] ? Weil der Herr später noch andere erzählte. Warum geht er aber weg? Weil er überall den Samen des Wortes ausstreuen wollte. 

   V.54: "Und als er in seine Vaterstadt kam,lehrte er sie in ihrer Synagoge." 

   Welche Vaterstadt meint der Evangelist hier? Ich glaube Nazareth. "Denn", heißt es, "er wirkte dort nicht viele Wundertaten" (Mt 13,58). In Kapharnaum dagegen wirkte er Wunder. Darum sagte er auch; "Und du Kapharnaum, das du bis zum Himmel erhoben warst, du wirst bis zur Unterwelt hinabsteigen; denn wenn in Sodoma die Zeichen geschehen wären, die in dir geschahen, so würde es bis auf den heutigen Tag bestehen" (Mt 11,23). Nachdem er also dorthin gekommen, stand er von Wunderzeichen ab, damit sie nicht noch mehr von Neid und Haß entbrennten, und nicht noch eine schwerere Verdammnis sich zuzögen, wenn sie in ihrem Unglauben verhärtet würden. Dafür verweilte er um so mehr bei der Lehre, die ja nicht weniger wunderbar war, als die Wunderzeichen. Da hätten selbst die Törichtesten die Macht seiner Rede bewundern und anstaunen müssen; diese aber verachteten ihn im Gegenteil wegen seines vermeintlichen Vaters. Und doch hatten sie aus früheren Zeiten viele Beispiele dafür, daß auch von unansehnlichen Vätern hervorragende Kinder abstammen können. So stammte David von einem einfachen Bauern, dem Jesse, ab; Amos war der Sohn eines Ziegenhirten und selbst Ziegenhirt; auch Moses hatte einen Vater, der ihm selber weit nachstand. Gerade deshalb hätten sie also den göttlichen Heiland am meisten in Ehren halten und bewundern sollen, weil er trotz seiner unansehnlichen Eltern doch so herrliche Lehren verkündete. Es war ja ganz klar, daß diese nicht die Frucht menschlichen Studiums, sondern der göttlichen Gnade waren. Diese hingegen verachteten an ihm gerade das, was sie zur Bewunderung für ihn hätte bewegen sollen. Die Synagogen besuchte der Herr aber deshalb so oft, damit ihm die Juden nicht noch mehr Vorwürfe machten, wenn er sich immer in der Einsamkeit aufhielte, als ob er ein Sonderling und Feind der Gesellschaft sei. 

   Da sie also in Verwunderung und Staunen geraten waren, sagten sie: "Woher hat dieser seine Weisheit und seine Macht?" sei es nun, daß sie seine Wundertaten als Macht bezeichneten, oder auch seine Weisheit. 

   V.55: "Ist dieser nicht der Sohn des Zimmermanns?" 

   Das macht also das Wunder und ihr Staunen noch größer. "Heißt nicht seine Mutter Maria? Und sind nicht seine Brüder Jakob und Joses und Simon und Judas? 

   V.56: Und leben nicht alle seine Schwestern unter uns? Woher hat er also all dies? 

   V.57: Und sie nahmen Ärgernis an ihm." 

   Siehst du also, daß Nazareth die Stadt war, in der der Herr[460] sprach? Sie sagen ja: Sind nicht seine Brüder die und die? Indes, was verschlägt dies? Gerade das hätte euch am meisten zum Glauben bewegen sollen. Doch der Neid ist eben ein Übel, das gar oft mit sich selbst in Widerspruch gerät. Gerade das Außergewöhnliche und Wunderbare war geeignet, die Juden zum Herrn hinzuziehen; statt dessen nehmen sie gerade daran Ärgernis. Was antwortet ihnen also Christus? "Kein Prophet bleibt ungeehrt, außer in seiner Vaterstadt und in seinem eigenen Hause." 

   V.58: "Und er tat nicht viele Wunderzeichen wegen ihres Unglaubens." 

   Lukas schreibt dafür: "Und er wirkte dort nicht viele Zeichen"[461] . Aber dennoch, meinst du, hätte er solche wirken sollen. Denn wenn er wenigstens das erreichte, daß sie ihn anstaunten[462] , weshalb hat er dann keine Zeichen getan? Weil ihm nicht daran gelegen war, sich selber zu zeigen, sondern den anderen zu nützen. Nachdem aber dies nicht zutraf, so achtete er nicht auf sein eigenes Interesse, um nicht ihre Strafwürdigkeit noch zu erhöhen. Und doch, sieh nur, wie lange es gedauert hatte, bis er zu ihnen kam, und welche Zeichen er vorher schon gewirkt hatte! Aber dennoch wollten sie nichts von ihm wissen, sondern entbrannten wiederum von Neid. 

   Warum hat er aber doch wenigstens einige wenige Zeichen getan? Damit sie nicht sagen könnten: "Arzt, heile Dich selbst" (Lc 4,23); damit sie nicht sagten: er ist unser Feind und Gegner, und verachtet seine eigenen Verwandten; damit es nicht dann heiße: Wären Zeichen geschehen, so hätten auch wir geglaubt. Aus diesem Grund hat er zwar Zeichen gewirkt, aber bald damit aufgehört; das erste, um wenigstens das zu tun, was an ihm lag, das zweite, um sie nicht noch einem schwereren Gerichte zu überliefern. 

   Bedenke aber, wie kraftvoll seine Worte gewesen sein müssen, daß sie ihn trotz ihrer neidischen Gehässigkeit bewunderten. Bei seinen Wundertaten haben sie auch nicht das Geschehnis an sich getadelt, dafür aber falsche Erklärungen vorgebracht und gesagt: "In Beelzebub treibt er die Dämonen aus" (Lc 11,15). Ebenso greifen sie auch hier nicht seine Lehre an, sondern nehmen ihre Zuflucht zu der Niedrigkeit seiner Abstammung. Du aber beachte die Sanftmut des Meisters, wie er sie deswegen nicht beschämt, sondern mit aller Sanftmut erwidert: "Kein Prophet ist ungeehrt, außer in seiner Vaterstadt." Ja, er begnügt sich nicht einmal damit, sondern fügt noch hinzu; "und in seinem Hause". Ich bin der Ansicht, er habe mit diesem Zusatz seine Brüder gemeint.



2.

Bei Lukas führt der Herr auch noch Beispiele dafür an und sagt, auch Elias sei nicht zu seinen eigenen Leuten gegangen, sondern zu einer stammesfremden Witwe; und Elisäus habe niemand anderen geheilt, sondern nur den Ausländer Neeman (Lc 4,26 Lc 4,27). Die Israeliten dagegen haben weder Gutes empfangen noch Gutes getan; das geschah nur mit den Fremden. Mit diesem Hinweis will der Herr zeigen, daß die Juden überall und immer böse waren, und daß das, was ihm widerfuhr, durchaus nichts Neues sei. 

   Kapitel XIV. V.1: "In jener Zeit hörte Herodes, der Tetrarch, von dem Rufe Jesu." 

   Der König Herodes, der Vater dieses Tetrarchen, der die unschuldigen Kin der hatte ermorden lassen, war nämlich inzwischen gestorben. Nicht ohne Grund weist der Evangelist auch auf den Zeitpunkt hin; du sollst daraus den Stolz und die Gleichgültigkeit des Tyrannen erkennen. Denn nicht schon von Anfang an erkundigte er sich nach Christus, sondern erst nach langer Zeit. So sind diejenigen, die mit Macht bekleidet und mit vielem Glanz um geben sind. Spät erst erfahren sie diese Dinge, weil ihnen eben nicht viel daran liegt. 

   Du aber beachte die Größe und Macht der Tugend. Herodes fürchtete sogar noch den toten[463] ; deshalb bildete er sich vor lauter Angst ein, er sei wieder auferstanden. 

   V.2: "Denn", heißt es, "er sagte zu seinen Dienern: Das ist Johannes, den ich habe töten lassen; der ist von den Toten auferstanden; und deshalb wirken die Kräfte in ihm." 

   Siehst du da seine außerordentliche Furcht? Er wagte es nicht, dies öffentlich zu sagen, sondern auch jetzt noch sagte er es nur seinen eigenen Dienern. Trotzdem war seine Idee unvernünftig und konnte auch nur von einem[464] Soldaten kommen. Es waren ja schon viele von den Toten auferstanden, aber keiner hatte noch solche Zeichen getan. Ich glaube ferner, daß seine Worte sowohl der Eitelkeit, wie auch der Furcht entsprangen. So geht es eben unvernünftigen Geistern: sie empfinden oft zu gleicher Zeit ganz entgegengesetzte Gefühle. 

   Lukas berichtet hier, die Leute hätten gesagt: "Das ist Elias, oder Jeremias, oder einer von den alten Propheten" (Lc 9,8). Herodes dagegen, der ja etwas Gescheiteres sagen wollte als die anderen, sprach ebenso. Wahrscheinlich haben aber schon früher einige gesagt, es sei Johannes[465] , worauf Herodes dies vielleicht verneinte und sagte: Ich habe ihn ja töten lassen, und sich so dessen noch rühmte und brüstete. Auch Markus und Lukas berichten, Herodes habe gesagt: "Ich habe den Johannes enthaupten lassen (Mc 6,16 u. Lc 9,9). Nachdem aber das Gerücht einmal aufgekommen war, so sagte zuletzt auch er dasselbe wie die große Menge. Darnach machte uns der Evangelist auch mit den geschichtlichen Tatsachen bekannt.Warum aber hat er sie nicht schon früher erwähnt? Weil ihre ganze Sorge nur darauf gerichtet war, das zu berichten, was Christus betraf; anderes, Nebensächliches übergingen sie, außer wenn es zu ihrem Hauptzweck beitrug. Darum hätten sie auch jetzt Profangeschichtliches nicht erwähnt, wenn es sich nicht auf Christus bezogen hätte, und wenn nicht Herodes hier gesagt hätte, Johannes sei von den Toten auferstanden. Markus versichert, Herodes habe eine gewaltige Angst gehabt vor dem Manne, der ihn einst getadelt hatte (Mc 6,20). Eine solche Macht besitzt eben die Tugend. Dann fährt Matthäus mit seinem Berichte also fort: 

   V.3: "Herodes hatte nämlich Johannes ergreifen, in Fesseln legen und in den Kerker werfen lassen wegen der Herodias, der Frau seines Bruders Philipp. 

   V.4: Johannes sagte ihm nämlich; Es ist dir nicht erlaubt, sie[466] zu haben. 

   V.5: Da wollte er ihn töten; doch fürchtete er das Volk, weil dieses ihn für einen Propheten hielt." 

   Warum hat aber Johannes sich nicht an die Herodias gewendet, sondern an den Mann? Weil er eben der Hauptschuldige war. Beachte aber, wie Johannes seine Anklage möglichst schonend vorbringt, indem er eigentlich mehr die Tatsache feststellt, als eine Anklage äußert. 

   V.6: "Als aber der Geburtstag des Herodes gefeiert wurde, da tanzte die Tochter der Herodias inmitten[467] , und sie gefiel dem Herodes." 

   O welch ein teuflisches Gastmahl! Welch ein satanisches Schauspiel! Welch sündhafter Tanz und noch sündhafterer Tanzlohn! Ein Mord,verbreche rischer als alle Morde, wird begangen, und mitten im Feste wird derjenige abgeschlachtet, der den Ehrenkranz und Lobpreis verdient hätte! Das Siegeszeichen des Teufels wird auf dem Tische aufgestellt! Auch die Art des Sieges ist der Sache würdig. "Denn", heißt es, "die Tochter der Herodias tanzte in der Mitte und sie gefiel dem Herodes. 

   V.7: "Deshalb schwur er mit einem Eide, er wolle ihre geben, was immer sie verlange. 

   V.8: Sie aber war schon zum voraus von iher Mutter beredet worden und sag te: Gib mir hier auf einer Platte das Haupt des Johannes des Täufers." 

   Eine zweifache Anklage ist in dem Gesagten enthalten, erstens daß sie tanzte, und zweitens daß sie damit Wohlgefallen erregte, und zwar solches Wohlgefallen, daß sie einen Mord als Belohnung erhielt. Siehst du, wie roh, wie gefühllos, wie unvernünftig Herodes ist? Sich selbst hat er mit einem Eide gebunden; den Inhalt der Bitte hat er der Willkür der anderen überlassen. Als er aber das Unheil sah, das dabei herauskam, da ward er traurig; und doch hätte er schon im Anfang traurig werden sollen. Warum also wird er traurig? So groß ist die Macht der Tugend! Selbst bei den Bösen erntet sie Bewunderung und Lob. Allein, seht dieses rasende Weib! Auch sie hätte Johannes bewundern und ihn verehren sollen, da er sie ja von ihrer eigenen Schande befreien wollte. Statt dessen bereitet sie die ganze Verschwörung vor, legt die Schlinge, und bittet um eine wahrhaft satanische Gunst. 

   V.9: "Er aber scheute sich wegen des Eides und wegen der Tischgenossen." 

   Warum aber scheutest du dich nicht vor dem, was weit schlimmer war? Wenn du dich vor den Zeugen deines Eides scheutest, so mußtest du dich noch viel mehr fürchten, so viele Zeugen eines so verbrecherischen Mordes zu haben.



3.

Indes glaube ich, daß viele nicht wissen, weshalb[468] die Anklage erhob, die zu seinem Morde führte. Es ist daher notwendig, auch hiervon zu sprechen, damit ihr die Weisheit des Gesetzgebers versteht. Wie lautet also das alte Gesetz, das Herodes mit Füßen trat, und Johannes verteidigte? Die Frau eines Mannes, der ohne Kinder starb, sollte dessen Bruder gegeben werden (Dt 25,5). Da nämlich der Tod als ein trostloses Übel galt, und alles nur darauf abzielte, das Leben zu erhalten, so schrieb das Gesetz vor, der überlebende Bruder müsse[469] heiraten, und dem Kinde, das geboren würde, den Namen des Verstorbenen geben,damit dessen Familie nicht aussterbe. Denn würde der Verstorbene nicht einmal Kinder hinterlassen, was ja der größte Trost im Sterben ist, so wäre die Trauer vollends unerträglich. Deshalb hat der Gesetzgeber diesen Trost erdacht für diejenigen, denen die Natur Kinder versagt hat, und hat befohlen, dem Nachgeborenen den Namen des Verstorbenen zu geben. War aber bereits ein Kind vorhanden, so durfte eine solche Ehe nicht mehr stattfinden. Und warum nicht, fragst du? Wenn es schon einem anderen erlaubt war, dann noch viel eher dem Bruder. Durchaus nicht" Gott will eben, daß die gegenseitigen Verwandtschaften sich vermehren. Warum hat aber dann nicht auch im Falle der Kinderlosigkeit ein anderer[470] geheiratet? Weil dann das nachgeborene Kind nicht mehr als dem Verstorbenen gehörig angesehen worden wäre. So aber hatte diese[471] Annahme einen glaubhafteren Grund, wenn der eigene Bruder der natürliche Vater war. Ohne das läge ja auch für einen Fremden keine Notwendidgkeit vor, die Familie des Verstorbenen fortzupflanzen. Der Bruder hingegen erwarb das Recht hierzu durch seine Verwandtschaft. 

   Weil also Herodes die Frau seines Bruders heiratete, die schon ein Kind hatte, deshalb tadelte ihn Johannes. Doch tadelte er ihn mit Maß, und zeigte dabei nicht bloß Freimut, sondern auch Sanftmut. Du aber beachte, wie satanisch das ganze Schauspiel war. Vor allem bestand es nur aus Trunkenheit und Schwelgerei, aus denen ja kaum je etwas Gutes entstehen kann. Ferner waren die Zuschauer verdorbene Menschen, und der Gastgeber der schlechteste von allen.Drittens handelte es sich um eine unvernünftige Belustigung. Viertens hätte man das Mädchen, um dessentwillen die Ehe ungesetzlich war, lieber verbergen sollen, weil es ja für die Mutter eigentlich ein Anlaß zur Beschämung war; statt dessen kommt sie herein, um sich zu zeigen und trotz ihrer Jungfrauschaft sämtliche Huren in Schat ten zu stellen. Auch der Umstand der Zeit trägt nicht wenig dazu bei, die Strafbarkeit dieses sündhaften Benehmens zu erhöhen. Während Herodes Gott hätte danken sollen dafür, daß er ihn an jenem Tage zur Erkenntnis führte, wagt er gerade da jenes Verbrechen; während er den Gefangenen von seinen Fesseln hätte befreien sollen, hat er gerade da zu den Fesseln noch den Mord gefügt. 

   Höret es, ihr Jungfrauen, oder vielmehr auch ihr Verheirateten, die ihr bei fremden Hochzeiten euch solche Schamlosigkeiten erlaubt, die ihr Sprünge macht und tanzet und euer gemeinsames Geschlecht entehrt! Höret es auch, ihr Männer, die ihr so gerne kostspielige Gastmähler voll Trukenheit aufsucht,und fürchtet den Abgrund, in den euch der Teufel hinabziehen will. Der hat ja damals den unseligen Herodes mit solcher Gewalt erfaßt, daß er schwur, er wolle sogar die Hälfte seines Reiches hergeben. Das bezeugt uns Markus, der da schreibt: "Er schwur ihr: Wenn du es willst, so werde ich dir bis zur Hälfte meines Reiches geben" (Mc 6,23). So hoch schätzte er seine Herrschaft ein, und so sehr war er zu gleicher Zeit von seiner Leidenschaft gefangen, daß er wegen ihres Tanzes darauf verzichten wollte. 

   Und was wunderst du dich, daß damals so etwas vorkam, nachdem ja auch jetzt, trotz der erhabenen Lebensweisheit, die uns vermittelt ward, viele wegen des Tanzes von solch verweichlichten jungen Leuten sogar ihre Seelen preisgeben, und dabei nicht einnmal einen Eid nötig haben? Sie sind eben Gefangene der bösen Lust, und werden gleich Schafen umhergeschleppt, wohin immer es dem Wolfe gefällt. So ging es also damals auch dem tollen Herodes, der zwei unendliche Torheiten beging, erstens daß er dieses ra sende und von Leidenschaft trunkene Mädchen, das vor nichts zurückschreckte, zur Herrin[472] machte; zweitens daß er sich durch einen Eid zu der Sache verpflichtete. Obwohl aber er so schlecht war, das Weib[473] war noch schlechter als alle anderen, schlechter als das Mädchen und als der Tyrann. Sie war es ja, die das ganze Unheil geschmiedet, das ganze Drame ersonnen hatte, sie, die am meisten von allen dem Propheten zum Dank verpflichtet gewesen wäre. Ihre Tochter hatte ja nur im Gehorsam gegen sie die Scham abgelegt, den Tanz aufgeführt und den Mord verlangt, und Herodes ward von ihr im Netze gefangen. 

   Siehst du da, wie recht Christus hatte, wenn er sagte: "Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert"? (Mt 10,37). Hätte das Mädchen dieses Gebot beobachtet, so hätte es keine so großen Sünden begangen, so hätte es nicht diese Blutschuld auf sich geladen. Oder was gäbe es Schlimmeres als sich eine Grausamkeit, einen Mord als Gnade sich zu erbitten, einen ungesetzlichen Mord, einen Mord während des Mahles, ei nen Mord, begangen vor der Öffentlichkeit und ohne Scham! Sie kam nicht insgeheim, um darüber zu verhandeln,sondern öffentlich, ohne Maske, ent hüllten Hauptes; sie nimmt den Teufel zu ihem Gehilfen und bringt so ihre Bitte vor. Auch der Teufel half ihr ja mit dazu, durch ihren Tanz das Wohlgefallen zu erregen und so den Herodes zu fangen. Wo eben ein Tanz ist, da ist auch der Teufel dabei. Nicht zum Tanze hat uns ja Gott die Füße gegeben, sondern damit wir auf dem rechten Wege wandeln; nicht damit wir ausgelassen seien, nicht damit wir Sprünge machen wie Kamele[474] , son dern damit wir mit den Engeln den Chorreigen bilden. Wenn schon der Leib bei solcher Ausschweifung besudelt wird, um wieviel mehr noch die Seele? Solche Tänze führen eben nur die Teufel auf; solchen Hohn treiben nur des Teufels Gehilfen.



4.

Beachte aber auch, wie die Bitte selber lautet: "Gib mir hier auf einer Schüssel das Haupt des Johannes des Täufers." Siehst du, wie ausgeschämt das Mädchen ist, wie sie so ganz eine Beute des Teufels ist? Sie erwähnt sogar noch die Würde[475] ;aber auch so empfindet sie keine Scham. Wie mit einer Fessel gebunden, so verlangt sie, daß jenes heilige und selige Haupt auf einer Schüssel hereingetragen werde. Nicht einmal einen Grund gibt sie an; sie hätte ja keinen zu nennen gewußt; sie verlangte einfach, durch fremdes Unglück geehrt zu werden. Sie sagte auch nicht: Führe ihn da herein und töte ihn; sie hätte eben den Freimut des dem Tode Geweihten nicht zu ertragen vermocht.Sie fürchtete auch, die furchtbare Stimme des Gemordeten hören zu müssen. Denn im Angesichte des Todes hätte er wohl kaum geschwiegen. Darum sagte sie: "Gin mir hier auf einer Schüssel"; es verlangt mich, jene Zunge verstummt zu sehen. Sie wollte eben nicht bloß mit Vorwürfen verschont bleiben, sondern auch hingehen und den Gefallenen verhöhnen. Gott aber ließ es so zu. Er schleuderte keinen Blitzstrahl vom Himmel, um das schamlose Schauspiel im Feuer zu vertilgen, noch befahl er der Erde, sich zu öffnen und diese ganze elende Tischgesellschaft zu verschlingen. Er wollte eben zu gleicher Zeit dem Gerechten eine schöne Krone verschaffen, und denen einen großen Trost hinterlassen, die nach ihm irgendein Unrecht zu leiden hätten. 

   Nehmen wir uns also daraus eine Lehre, wer immer aus uns tugendhaft lebt und von bösen Menschen Böses zu ertragen hat. Auch damals erlaubte ja Gott, daß derjenige, der in der Wüste lebte, der einen Ledergürtel trug und ein härenes Gewand, er der Prophet, der alle Popheten übertraf, der keinen Größeren kannte unter den vom Weibe Geborenen, daß er getötet wurde, und und zwar durch ein schamloses Mädchen und eine verdorbene Hure, und das alles, weil er für das göttliche Gesetz eintrat. Das wollen wir also beherzigen und all unsere Leiden standhaft ertragen. Auch damals hat ja dieses blutbefleckte, sündhafte Weib ihr ganzes Verlangen nach Rache an dem, der sie beleidigt hatte, stillen dürfen; sie durfte ihren ganzen Haß befriedigen und Gott hat es so zugelassen. Und doch hatte Johannes nie etwas zu ihr gesagt, und hatte ihr keinen Vorwurf gemacht, sondern nur den Mann allein getadelt. Allein ihr schlechtes Gewissen klagte sie an. Darum ließ sie sich in ihrem Zorn und Groll zu noch größeren Vergehen hinreißen und belud alle zugleich mit Schande, sich selbst, ihre Tochter, ihren verstorbenen Mann, den lebenden Ehebrecher, und fügte zu den früheren Verbrechen noch neue hinzu. Wenn es dich schmerzt, so sprach sie, daß er im Ehebruch lebt, so will ich auch noch einen Mörder aus ihm machen, den Henker seines Tadlers. 

   Höret es, die ihr über das rechte Maß hinaus für eure Frauen eingenommen seid. Höret es, die ihr auf unbekannte Dinge hin Eide schwö ret, die ihr andere zu Herren eures Verderbens macht und euch selbst den Abgrund bereitet. Auch Herodes ging ja auf diese Weise zugrunde. Er hatte erwartet, das Mädchen werde eine Bitte stellen, die für ein Gastmahl paßte; sie war ja noch ein Kind und durfte sich eine glänzende und willkommene Gunst erbitten mitten in einem Fest, bei einem Gastmahl, unter Lobeserhebungen. So erwartete er nicht, sie werde den Kopf[476] verlangen; doch er täuschte sich. Allein nichts von all dem wird ihn ent schuldigen. Wenn auch das Mädchen eine Gemütsverfassung gehabt hätte wie Tierkämpfer, so durfte doch wenigstens er sich nicht mißbrauchen lassen und nicht in dieser Weise tyrannischem Befehle gehorchen. Denn wen hätte nicht Schauder ergriffen, wenn er jenes heilige Haupt bei einem Gastmahle aufgetragen und bluten sah? Aber nicht so der frevelhafte Herodes und sein noch ruchloseres Weib. So sind eben ehebrecherrische Weiber, sie übertreffen alle an Frechheit und Roheit. Wenn wir schon beim Anhören dieser Dinge erschaudern, welchen Eindruck hätte dann nicht erst der wirkliche Anblick selber machen müssen? Was mußten die Tischgenossen empfinden, wenn sie mitten im Mahle das träufelnde Blut eines frisch abgeschlagenen Hauptes sahen? Allein jenes blutdürstige Weib, das noch wilder war als Erinnyen[477] , empfand kein Grauen bei diesem Schauspiel; im Gegenteil, sie frohlockte darüber. Und doch hätte der bloße Anblick allein schon genügt, um einen erstarren zu machen. Doch dieses mordbefleckte, nach Prophetenblut dürstende Weib fühlte nichts dergleichen. So ist eben die Unzucht, sie führt nicht bloß zur Wollust, sondern auch zum Morde.Die Frauen, die ihre Ehe brechen wollen, sind auch bereit, ihre betrogenen Männer zu morden. Und nicht bloß zu einem oder zu zwei Morden sind sie bereit, sondern zu unzähligen. Für solch tragische Vorkommnisse gibt es viele Beispiele. So machte es also damals auch die ses Weib, in der Hoffnung, ihre Missetat werde verborgen und geheim bleiben. Aber das gerade Gegenteil davon geschah. Nach diesem Ereignis ertönte die Stimme des Johannes nur noch lauter.



5.

Indes, die Schlechtigkeit sieht nur auf den Augenblick, gleich den Fieberkranken,die zur Unzeit kaltes Wassert verlangen. Hätte sie nämlich ihren Ankläger nicht töten lassen, so wäre auch ihre Missetat nicht in dieser Weise offenbar geworden. Als Herodes den Johannes ins Gefängnis werfen ließ, da sagten dessen Jünger nichts dergleichen; als er ihn aber töten ließ, da waren sie gezwungen, auch den Grund dafür anzugeben. Den Ehebruch wollten sie geheim halten, und wollten nicht fremde Sünden ausposaunen; als aber die Tatsachen sie zwangen, da erzählten sie die ganze Missetat. Damit nämlich niemand glaube, Johannes sei eines Vergehens wegen hingerichtet worden, wie es bei Theuda und Juda (Ac 5,36-37) der Fall war, so waren sie genötigt, auch die Ursache des Mordes anzugeben. Je mehr du also eine Sünde auf diese Weise verbergen willst, um so mehr machst du sie bekannt. Eine Sünde wird eben nicht durch eine neue Sünde verdeckt, sondern durch reumütiges Bekenntnis. 

   Da beachte auch, wie schonend der Evangelist alles berichtet, und wie er es, soweit es möglich ist, sogar noch entschuldigt. Bei Herodes sagt er: "Wegen seiner Eide und wegen der Tischgenossen", und fügt hinzu, er sei traurig geworden. Von dem Mädchen sagt er, es sei schon vorher von der Mutter beredet gewesen, und es habe das Haupt zu seiner Mutter ge bracht; gerade als wollte er sagen: Sie hat nur dem Befehle ihrer Mutter gehorcht. Die Gerechten trauern eben alle nicht über die, welche Unrecht leiden, sondern über jene, die Unrecht tun; denn gerade die sind es auch, welche am meisten Unheil erfahren. Auch hier widerfuhr nicht dem Johannes ein Unglück, sondern denen, welche sich solcher Missetaten schuldig mach ten. 

   Diese Gerechten wollen also auch wir nachahmen und wollen die Sünden des Nächsten nicht breittreten, sondern soviel als möglich verbergen. Nehmen wir eine weise Gesinnung an! Auch der Evangelist zeigte sich ja, soweit es möglich war, nachsichtig, als er von einem ehebrecherischen, mit Blutschuld beladenen Weibe sprach. So sagte er nicht: Von dem blutbefleck ten, verbrecherischen Weib, sondern; "Es war schon zum voraus von seiner Mutter beredet worden", und gebraucht so besser klingende Namen. Du aber beschimpfst und tadelst deinen Nächsten und würdest dich nie dazu verste hen, von einem Bruder, der dich beleidigte, inder Weise zu reden wie der Evangelist von der Hure. Du ergehst dich in wilden Schmähungen gegen ihn und sagst: der schlechteb Kerl, der Missetäter, der heimtückische Mensch, der Dummkopf, und gibst ihm viele andere, noch schlimmere Namen als diese. Unser Zorn wird ja dabei immer größer, und wir reden von unserem Nächsten wie von einem wildfremden Menschen, mißhandeln, tadeln und beschimpfen ihn. 

   Die Heiligen machen es nicht so. Sie beweinen lieber die Sünder, als daß sie ihnen fluchen. So wollen auch wir es machen und wollen die Herodi as beweinen und alle, die es ihr nachmachen. Auch jetzt gibt es ja noch oft solche Gastmähler; und wenn auch kein Johannes dabei umgebracht wird, so doch die Glieder des Leibes Christi, und das ist noch viel schlimmer. Da verlangen die Tänzer kein Haupt auf einer Schüssel, dafür aber die Seelen der Tafelgenossen.Denn wenn sie dieselben zu ihren Sklaven machen, wenn sie in ihnen sündhafte Leidenschaften erregen und sie mit öffentli chen Dirnen umgeben, so verlangen sie zwar nicht das Haupt, wohö aber töten sie die Seele, da sie ja ihre Tischgenossen zu Ehebrechern, zu verweichlichten und unsittlichen Menschen machen. 

   Da wirst du doch nicht behaupten wollen, wenn du vom Weine trunken bist und siehst, wie ein Weib tanzt und unsittliche Reden führt, daß du da keine Versuchung zu ihr spürst, und nicht von der Lust bezwungen, dich zur Unsittlichkeit verleiten lässest. Ja es widerfährt dir das Schreck liche, daß du Glieder Christi zu Gliedern einer Hure machst. Wenn auch bei dir die Tochter der Herodias nicht zugegen ist, der Teufel, der durch sie tanzte, tanzt auch jetzt wieder durch diese Huren, macht die Seelen der Tischgenossen zu seinen Gefangenen und nimmt sie mit sich fort. Wenn Wenn aber auch ihr die Kraft habt, euch nicht berauschen zu lassen, ihr macht euch doch einer anderen, sehr schlimmen Sünde schuldig. Solche Gastmähler sind ja nur die Frucht vielfachen Raubes.Da sieh nicht auf das Fleisch, das aufgetragen ist, und nicht auf die Kuchen, sondern bedenke nur, mit welchem Gelde das alles zusammengekommen ist; da wirst du sehen, daß es von Übervorteilung, Habsucht, Gewalttätigkeit und Raub herstammt. 

   Aber, sagst du, diese Dinge stammen gar nicht aus solcher Quelle. Gott bewahre! Auch ich möchte nicht, daß es so wäre. Ja, aber wenn sie auch nach dieser Seite hin tadellos sind, ganz ohne Makel sind solche Gastmähler trotzdem nie. Höre nur, wie der Prophet sie auch ohne das tadelt und sagt: "Wehe euch, die ihr den abgeklärten Wein trinket, und euch mit den wohlriechenden Ölen salbt" (Am 6,6). Siehst du da, wie er auch bloße Üppigkeit tadelt? Er erhebt ja hier nicht den Vorwurf unge rechten Gelderwerbes, sondern nur der Verschwendung.



6.

Du issest bis zum Übermaß; Christus aß nicht einmal das Notwendige. Du issest verschiedenartige Kuchen; er hatte nicht einmal trockenes Brot. Du trinkst den Wein aus Thasos[478] ; und ihm, der Durst hatte, gabst du nicht einmal einen Becher kalten Wassers. Du ruhst auf weichem, mit bunten Teppichen beleg tem Lager; er geht vor Frost zugrunde. Wenn also auch deine Gelage nicht den Vorwurf verdienen, mit unrechtem Gelde veranstaltet zu sein, so sind sie doch deshalb zu tadeln, weil du in allem über das notwendige Maß hin ausgehst,jenem aber nicht einmal das gibst, dessen er bedarf, sondern lieber mit seinem Eigenmtum schwelgst. Wärest du der Vormund eines Kindes und würdest dich an seinem Eigentum vergreifen und dich nicht um dasselbe kümmern, wenn es auch äußerste Not litte, da fänden sich da wohl Tausende von Anklägern und du würdest nach den Gesetzen bestraft. Jetzt aber, wo du Christi Eigentum wegnimmst und so zwecklos vergeudest, jetzt glaubst du straflos auszugehen. 

   Das sage ich nicht von denen, die unzüchtige Weiber zu ihren Tischgelagen beiziehen[479] , auch nicht von den ungerechten Reichen, die fremde Baüche füllen, denn auch mit ihnen will ich nichts zu tun haben, so wenig wie mit Schweinen und Wölfen; vielmehr spreche ich zu denen, die ihr eigenes Besitztum genießen, aber anderen nichts davon mitteilen, sondern für sich allein ihr väterliches Erbe verzehren. Auch die sind nicht frei von Schuld. Oder sag mir doch, wie willst du Tadel und Anklagen entgehen, wenn dein Parasit gesättigt wird sowie dein Hund, der daneben steht, während du Christus nicht einmal dessen für wert erachtest? wenn ein Possenreißer so gut bezahlt wird, während der Herr des Himmelreiches auch nicht den kleinsten Teil davon erhält? Der eine geht reich bedacht hinweg, weil er etwas Witziges sagte; Christus dagegen, der uns Dinge gelehrt hat, ohne deren Kenntnis wir uns in nichts von den Hunden unterscheiden, er erhält nicht einmal soviel, wie jener! Erschauderst du bei diesen Worten? Nun, so erschaudere auch über deine Taten. Wirf die Schmarotzer hinaus und mache Christus zu deinem Tischgenossen. Wenn du ihn an deinem Tische teilnehmen lässest, so wird er dir ein gnädiger Richter sein; er weiß[480] eines Gastmahls wohl zu schätzen. Wenn schon Räuber dies verstehen, dann um so mehr der Herr. Denke nur an jene öffentliche Dirne, wie der Herr sie bei einem Gastmahle verteidigte, während er den Simon tadelte und sagte: "Du hast mir keinen Friedenskuß gegeben" (Lc 7,45). Wenn er dich schon ernährt, solange du dies nicht tust, so wird er dich um so sicherer belohnen, wenn du es tust. Beachte es nicht, wenn der Arme schmutzig und unsauber daherkommt; bedenke vielmehr, daß in ihm Christus dein Haus be tritt. Laß darum ab von deiner Unfreundlichkeit und den harten Worten, mit denen du stets die ankommenden Bettler schiltst, indem du sie Betrü ger, Faulenzer und noch schlimmeres als das nennst. Bedenke doch, wenn du solche Ausdrücke gebrauchst, was denn die Schmarotzer arbeiten? welchen Nutzen sie deinem Hause bringen? Sie machen dir das Mahl recht angenehm, sagst du? Aber was ist da Angenehmes dabei, wenn sie sich beohrfeigen las sen und unanständige Reden führen? Und was gäbe es Schimpflicheres, als wenn du den schlägst, der nach dem Ebenbilde Gottes erschaffen wurde, und dein Vergnügen findest an einer solchen Entehrung desselben, wenn du dein Haus in ein Theater verwandelst, und deine Tafel mit Schauspielern be setzest, und wenn du, ein Edel und Freigeborener, Leute nachahmst, die auf der Bühne[481] geschoren werden,[482] . Auch da gibt es ja Gelächter und Faustschlä ge. Und derlei Dinge nennst du ein Vergnügen, während sie doch Ströme von Tränen verdienten, große Trauer und viel Wehklagen? Du solltest deine Tischgenossen im Gegenteil zu einem eifrigen religiösen Leben anhalten und sie an ihre Pflichten mahnen. Atatt dessen verleitest du sie zu Meineiden, zu unanständigen Reden, und nennst das ein Vergnügen, hältst das für einen Grund zur Freude, was der nächste Anlaß zur Hölle ist? Denn wenn solche Leute nicht mehr wissen, welche Possen und Witze sie machen sollen, so suchen sie sich durch Schwören und Fluchen aus der Verlegenheit zu ziehen. Verdient also so etwas, daß man darüber lacht, und nicht vielmehr, daß man darüber trauert und weint? Welcher vernünftige Mensch möchte wohl so etwas behaupten?



7.

Das sage ich, nicht um ihnen ihren Bissen zu rauben; nur möchte ich nicht, daß sie ihn sich mit so etwas verdienen müssen. Die Gastfreund schaft soll eben der Nächstenliebe entspringen, nicht der Roheit, dem Mitleid, nicht entehrender Verachtung. Also gib ihm zu essen, weil er arm ist; gib ihm Nahrung, weil Christus[483] genährt wird, nicht aber deshalb, weil er satanische Reden führt und sein eigenes Leben entehrt. Schau nicht auf sein äußerliches Gelächter, prüfe lieber sein Gewissen, dann wirst du sehen, wie er sich selbst tausendmal verwünscht, über sich seufzt und jammert. Wenn er sich davon nichts anmerken läßt, so geschieht es ebenfalls deinetwegen. Also arme, aber freie Menschen sollen deine Gäste bei Tische sein, nicht Meineidige und Schauspieler. Willst du aber auch eine Belohnung für deine Gastfreundschaft fordern, so sag ihnen, sie sollen diejenigen tadeln und ermahnen, bei denen sie etwas Ungehöriges wahrnehmen, und sollen dich so in der Sorge für das Hauswe sen und in der Aufsicht über die Hausgenossen unterstützen. Hast du Kinder? Sie mögen alle deren Väter sein, die Aufsicht über sie mit dir teilen, und dir solchen Gewinn bringen, der Gott wohlgefällig ist. Treibe mit ihnen eine Art geistigen Handels. Wenn du siehst, daß jemand der Fürsorge bedarf, so bitte sie, daß sie dem Betreffenden helfen, befiehl ihnen, denselben zu unterstützen. Bemühe dich durch sie um die Fremden, durch sie bekleide die Nackten, durch sie schick Hilfe den Gefangenen, rette andere aus der Not. So sollen sie dir deine Gastfreundschaft ent gelten; davon haben sie selbst und hast du einen Nutzen; denn für diesen Ersatz verdienst du keinen Tadel. 

   Auf diese Weise wird auch die Freundschaft fester gekittet. Denn wenn es auch jetzt den Anschein hat, als erweise man ihnen eine Freundlichkeit, in Wirklichkeit schämen sie sich doch, in dem Gedanken, daß sie umsonst bei dir leben. Wenn sie dir aber solch einen Dienst erweisen, so fühlen sie sich selbst leichter an deinem Tisch, und du bietest ihnen freudiger die Nahrung, in dem Bewußtsein, keine nutzlose Ausgabe zu ha ben, während sie viel unbefangener und mit der entsprechenden Freiheit sich bei dir aufhalten, und dein Haus anstatt eines Theaters zu einer Kirche wird, der Teufel die Flucht ergreift und Christus mit seinem Engelchor den Einzug hält. Denn wo Christus ist, da sind auch die Engel, da ist der Himmel, da ist ein Licht, viel glänzender als das Licht der Sonne. 

   Willst du aber auch noch einen anderen Vorteil von ihnen haben, so heiße sie in deinen Mußestunden die Hl.Schrift zur Hand nehmen und dir das göttliche Gesetz vorlesen. Damit werden sie dir viel lieber zu Willen sein als in den anderen Dingen. Denn das erhöht deine und ihre eigene Würde. Das andere dagegen entwürdigt alle zusammen, dich, weil du in deiner Trunkenheit mit ihnen Spott treibst, sie selbst, weil sie sich als erbärmliche Bauchdiener vorkommen. Wenn du sie zu Tische ziehst, nur um an ihnen dein Ergötzen zu finden, so ist das schlimmer, als wenn du sie tötest, tust du es dagegen um des geistigen Vorteiles und Gewinnes wegen, so ist auch das wieder nützlicher, als wenn du einen Verurteilten vom Tode errettetest. So aber entwürdigst du sie noch unter die Sklaven; denn deine Sklaven dürfen sich freier und sicherer bewegen als sie; im anderen Fall aber machst du sie den Engeln gleich. Gib also ihnen und dir selbst die Freiheit; nimm von ihnen die Bezeichnung "Schmarotzer"; nenne sie Tischgenossen, und heiße sie ferner nicht mehr Schmeichler, sondern Freunde. Darum hat ja auch Gott die Freundschaften gemacht, nicht zum Nachteil der Befreundeten, sondern zu ihrem Vorteil und Nutzen. Solche Freundschaften wie diese sind aber schlimmer als jede Feindschaft. Von unseren Feinden können wir sogar noch Nutzen schöpfen, wenn wir nur wol len; von solchen Freunden dagegen werden wir notwendig nur Schaden haben. 

   Halte dir also keine Freunde, die dir nur Schaden bringen; halte dir keine Freunde, denen der Tisch lieber ist als die Freundschaft. Denn die werden alle die Freundschaft aufgeben, sobald du aufhörst, sie zu füttern. Wessen Freundaschaft dagegen auf Tugend gegründet ist, der bleibt dir immer treu und bereit, jedes Ungemach mit dir zu tragen. Die Sippe der Schmarotzer aber nimmt oft Rache an dir und bringt dich in Verruf. Ich kenne viele Freigeborene, die auf diese Weise in schlimmen Verdacht kamen. Einige wurden als Zauberer und Betrüger verschrien, andere als Ehebrecher und Knabenschänder. Da sie nämlich selber nichts zu tun haben, sondern ein müßiges Leben führen, so geraten sie eben vielfach in den Verdacht, daß sie einem derartigen Laster huldigen. 

   So wollen wir uns denn von diesem üblen Rufe befreien, vor allem aber vor der drohenden Hölle, wollen Gottes Gebote beobachten und diese teufli sche Gewohnheit aufgeben, damit wir auch beim Essen und Trinken alles zur Ehre Gottes tun und von ihm dafüt Lob verdienen; das möge uns allen zuteil werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt, jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 48