Kommentar zum Evangelium Mt 49

Neunundvierzigste Homilie. Kap.XIV,V.13-22.

49 Mt 14,13-22
1.

V.13: "Als aber Jesus dies hörte, begab er sich in einem Schifflein von dort weg an einen einsamen, abgelegenen Ort. Und als die Leute dies erfuhren, folgten sie ihm zu Fuß aus allen Städten." 

   Sieh, wie der Herr sich jedesmal in die Einsamkeit begibt: als Johannes eingekerkert ward, als er enthauptet wurde, und als die Juden hörten, daß er nicht wenige zu seinen Schülern mache. Der Herr wollte eben für gewöhnlich so handeln, wie Menschen tun, da die Zeit noch nicht ge kommen war, seine Gottheit deutlich zu enthüllen. Darum befahl er auch den Jüngern, niemand zu sagen, daß er der Christus sei; erst nach der Aufer stehung sollte dies seiner Absicht entsprechend deutlicher offenbar wer den. Darum war er auch gegen die Juden, die noch ungläubig blieben, nicht besonders hart, sondern sogar nachsichtig. Bei seinem Weggehen begab er sich aber nicht in eine Stadt, sondern in die Wüste, und zwar in einem Fahrzeuge, damit niemand ihm folgen könnte. 

   Du aber beachte, wie die Johannesjünger von da an enger an Jesus sich anschlossen. Sie waren es ja, die ihm den Tod des Johannes meldeten, sie verließen alles und flüchteten sich hinfort zu ihm. Dazu hat nebst dem unglücklichen Ereignis auch die Antwort nicht wenig beigetragen, die der Herr ihnen früher gegeben hatte. Warum zog sich aber Jesus nicht eher zurück, bevor sie ihm nicht diese Nachricht überbracht hatten, obgleich er ja das Vorgefallene schon wußte, bevor sie es ihm mitteiilten? Er wollte eben durch alles die Wahrheit seiner Menschwerdung bezeugen. Nicht bloß durch den Anblick, sondern auch durch Taten wollte er zum Glauben an sie führen. Er wußte ja, wie schlecht der Teufel ist, und wie er alles aufbieten würde, um diesen Glauben zu vernichten. Das ist also der Grund, weshalb der Herr sich hinwegbegibt. Die Menge des Volkes läßt aber auch so nicht von ihm ab; sie folgt ihm voll Anhänglichkeit, und auch das traurige Schicksal des Johannes schreckte sie nicht ab. Soviel vermag eben das sehnsüchtige Verlangen, so groß ist die Macht der Liebe: alle Schwierigkeiten besiegt und überwindet sie auf diese Weise. Deshalb wurden sie aber auch alsbald belohnt. 

   Denn, heißt es, 

   V.14: "Als Jesus hinausgegangen war, da sah er eine große Menge Volkes, und er empfand Mitleid mit ihnen, und er heilte ihre Kranken." 

   Wenn auch die Beharrlichkeit der Leute groß war, der Lohn, den sie vom göttlichen Heiland empfingen, überstieg dennoch all ihren Eifer. Darum, nennt auch der Evangelist als Ursache einer solchen Heilungstätigkeit das Mitleid, und zwar ein sehr starkes Mitleid: "und er heilte alle". Nicht einmal den Glauben verlangt hier der Herr. Daß sie nämlich zu ihm gekommen waren, daß sie die Städte verlassen hatten, daß sie ihn mit solchem Eifer aufsuchten und bei ihm ausharrten, obwohl sie der Hunger quälte, das alles bekundete ja ohnehin schon ihren Glauben. Der Herr will ihnen aber auch Nahrung verschaffen. Doch macht er nicht selbst den Anfang damit, sondern wartet, bis er gebeten wird; denn, wie ich schon sagte, er hält überall als Regel fest,. nicht eher Wunder zu wirken, als bis er gerufen ward. Warum ist aber niemand aus der Menge herausgetreten und hat für sie beim Herrn geredet? Weil die Leute eine übergroße Ehrfurcht vor ihm hatten und vor lauter Verlangen, ihm nahe zu sein, nicht einmal ihren Hunger verspürten. Aber auch die Jünger gingen nicht zu ihm und sagten: Gib ihnen zu essen; noch waren sie eben[484] nicht vollkommen ge nug. Sie taten vielmehr was? 

   V.15: "Als es aber Abend geworden war, da traten die Jünger auf ihn zu und sagten; Der Ort hier ist öde und die Zeit ist schon abgelaufen; schick also die Leute fort, damit sie hingehen und sich zu essen kaufen." 

   Wenn die Jünger sogar nach diesem Wunder das Geschehene vergaßen und glaubten, als der Herr die Lehren der Pharisäer einen Sauerteig nannte, er rede von Broten, wie man sie in den Körben trägt, dann konnten sie um so weniger ein solches Geschehnis erwarten, noch bevor sie je ein so großes Wunder[485] geschaut hatten. Und doch hatte der Herr eben zuvor viele Kranke geheilt; gleichwohl waren sie auch so nicht gefaßt auf das Wunder der Brotvermehrung; so schwach waren sie ebene damals noch im Glauben. 

   Du aber beachte, mit welcher Weisheit der Herr seine Jünger zum Glauben bringt. Er erwiderte nicht sofort: Ich geb ihnen Nahrung; das hätten sie doch nicht leicht zu glauben vermocht. Noch betrachteten sie ihn eben als[486] Menschen.[487] . Vielmehr antwortete er wie? 

   V.16: "Jesus aber sprach zu ihnen: Sie brauchen nicht fortzugehen; gebt ihr ihnen zu essen." 

   Er sagte nicht: Ich gebe ihnen, sondern: Gebt ihr. Sie aber vermögen sich auch jetzt noch zu keiner höheren Auffassung zu erschwingen, sondern fahren fort, mit ihm zu reden, als wäre er ein bloßer Mensch, und sagen: 

   V.17: "Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische." 

   Darum bemerkt auch M;arkus: "Sie verstanden nicht, was er sagte, denn noch war ihr Herz verhärtet" (Mc 8,17). Weil sie also immer noch am Boden kriechen, so tritt endlich der Herr selber auf und sagt: 

   V.18: "Führt sie zu mir her." 

   Denn wenn auch der Ort öde ist, so ist doch derjenige zugegen, der dem ganzen Erdkreis Nahrung spendet. Wenn auch die Stunde vorüber ist, es redet derjenige mit euch, der keiner Zeit unterworfen ist. Johannes (Jn 6,9) fügt hier noch hinzu, es habe sich um Gerstenbrote gehandelt; er erwähnt dies nicht ohne Grund, sondern um uns die Lehre zu geben, den Prunk eines üppigen Lebens zu verachten. So einfach war auch der Tisch des Propheten. 

   V.19: "Er nahm also die fünf Brote und die zwei Fische und befahl der Menge, sich auf das dürre Gras niederzulassen; dann blickte er zum Himmelö, sehnete und brach das Brot und verteilte es an seine Jünger, die Jünger aber[488] an das Volk. 

   V.20: Und alle aßen und wurden satt; und sie nahmen die Überreste des Brotes: zwölf Körbe voll. 

   V.21: Die Zahl derer aber, die aßen, betrug ungefähr fünftausend, ungerechnet die Frauen und Kinder."



2.

Warum blickte der Herr zum Himmel und segnete? Man sollte zuerst glauben, daß er vom Vater kommt und ihm gleich ist. Doch scheint ein Widerspruch zu bestehen in dem, was hierfür als Beweis dienen sollte. Seine Gleichheit mit dem Vater bewies der Umstand, daß er alles aus eigener Macht vollbrachte; daß er hingegen vom Vatert stamme, das konnten sie wohl nicht anders erkennen, außer wenn er voll Demut alles ihm zuschrieb und ihn bei allem, was er tat, anrief. Darum hat er weder das eine noch der andere allein getan, um so beides zu erreichen; deshalb wirkt er seine Wunder bald aus eigener Macht, bald nach[489] Gebet. Damit aber dann nicht doch wieder ein Widerspruch in seiner Handlungsweise vorzuliegen scheine, so blickt er bei kleineren Wundern zum Himmel auf, während er die größeren alle aus eigener Macht wirkt. Du sollst daraus ersehen, daß er auch bei den kleineren nicht etwa aus sonstigem Unvermögen so handelt, sondern um den Vater zu ehren. Wenn er also Sünden nachließ, das Paradies öffnete und den Räuber dort einführte, wenn er aus eigener Machtvollkommenheit das alte Gesetz aufhob, unzählige Tote auferweckte, dem Meere gebot, die geheimen Gedanken der Menschen tadelte, ein Auge heilte[490] , lauter Dinge, die nur Gott und sonst niemand zu wirken vermag, da sehen wir ihn nie vorher beten; wo er aber Brot vermehrte, was ja viel leichter war als alles andere, da blickte er zuerst zum Himmel empor. Er will damit sowohl den vorher angegebenen Zweck erreichen, als auch uns die Lehre geben, nicht eher die Mahlzeit zu beginnen, bevor wir nicht demjenigen unseren Dank dargebracht haben, der uns diese Nahrung spendet. 

   Warum aber hat der Herr die Brote nicht aus Nichts erschaffen? Um den Marcion und die Manichäer zu widerlegen, die über seine Schöpfung falsche Lehren verbreiteten, und um uns auch durch die Tatsachen selbst zu überzeugen, daß alles Sichtbare sein Werk und seine Schöpfung ist, und uns endlich zu zeigen, daß er selbst derjenige ist, der die Früchte spendet, und der im Anfang sprach: "Es sprosse die Erde die Pflanze des Grases her vor", und: "Die Wasser sollen kriechende Lebewesen hervorbringen" (Gn 1,11 u. Gn 1,20). Das war ja nichts Geringeres als das andere. Denn wenn auch diese Dinge erschaffen wurden, nachdem sie vorher nicht waren, so entstanden sie doch wenigstens aus Wasser. Es ist aber gewiß nichts Geringeres, aus fünf Broten so viele Brote zu machen und ebenso aus den Fischen, als Frucht aus der Erde hervorzubringen und kriechende Lebewesen aus dem Wasser. Das war eben eine Beweis, daß der er Herr über Erde und Meer ist. Seine Wunder wirkte er ja sonst immer nur an Kranken; deshalb hat er hier eines gewirkt, das dem ganzen Volk zugute kam, damit eben die Leute nicht immer bloß Zuschauer dessen wären, was für andere geschah, sondern auch selbst einmal die Wirkung dieser Gabe verspürten. Das, was die Juden in Anbetracht der Wüste für ein Wunder hielten, indem sie sagten: "Kann er vielleicht auch Brot geben, oder den Tisch bereiten in der Wüste?" (Ps 77,20) gerade das hat der Herr durch die Tat erwiesen. Darum führt er sie auch in die Wüste, damit über die Wirklichkeit des Wunders auch nicht der geringste Zweifel bestehen könn te, und keiner glaubt, man habe aus irgendeinem nahen Dorf die notwendige Nahrung herbeigebracht. Aus demselben Grunde erwähnt der Evangelist auch die Zeit, nicht bloß den Ort. 

   Noch etwas anderes ersehen wir aus dem Bericht, nämlich, welchen Eifer die Jünger für das[491] Notwendige zeigten, und wie wenig sie an Nahrung dachten. Denn obgleich sie zwölf waren, hatten sie doch bloß fünf Brote und zwei Fische. So nebensächlich waren ihnen die leiblichen Bedürfnisse, und so sehr war ihre ganze Aufmerksamkeit nur auf das Geisti ge gerichtet. Ja selbst an dem Wenigen hingen sie nicht, sondern gaben auch das her, als man sie darum bat. Daraus sollen wir die Lehre ziehen, auch unseren geringen Besitz mit den Armen zu teilen. Als ihnen der Herr befahl, die fünf Brote herbeizubringen, da sagten sie nicht: Und womit werden wir uns nähren? womit werden wir unseren Hunger stillen? Nein, sie gehorchten ohne Zögern. Außerdem, glaube ich aber, hat der Herr dieses Wunder auch deshalb an schon vorhandener Materie gewirkt,um die Leute zum Glauben zu bringen; noch waren sie eben hierin sehr schwach. Darum blickt er auch zum Himmel empor.Für andere Wundertaten hatte sie ja schon viele Beispiele; für dieses aber noch keines. 

   Der Herr nahm also[492] , brach sie und verteilte sie durch seine Jünger, wodurch er auch diese ehrte. Aber nicht bloß ehren wollte er sie; er tat es auch in der Absicht, daß, wenn das Wunder geschähe, sie nicht ungläubig blieben, und, wenn es geschehen und vorüber wäre, sie es nicht vergäßen, indem ja das, was sie in Händen hielten, ihnen zum Zeugnis dien te. Darum läßt er es auch zu, daß das Volk zuerst Hunger empfinde, und wartete, bis zuvor die Jünger mit ihrer Bitte an ihn herantreten, läßt durch sie das Volk einladen, sich zu setzen, und nimmt mit ihrer Hilfe die Verteilung vor; er will eben beide Teile durch ihre eigenen Eingeständnisse und Handlungen schon im vorhinein festlegen. Deshalb nimmt er auch von ihnen die Brote, damit viele Zeugen für das Wunder da wären und sie eine dauernde Erinnerung an dasselbe hätten. Denn wenn sie das Vorkommnios trotz all dem wieder vergaßen, was wäre dann nicht erst geschehen, wenn er nicht wenigstens diese Vorsichtsmaßregeln getroffen hätte? Sich auf das GHras niederzulassen befahl er iohnen aber deshalb, weil er das Volk lehren wollte, sich mir dem Einfachsten zu begnügen[493] . Er wollte eben nicht bloß den Leib nähren, sondern auch die Seele belehren.



3.

Also durch den Ort, sowie dadurch, daß er nicht mehr bietet als Brot und Fisch, daß er allen dasselbe gibt und allen gemeinsam verteilt, und keinem mehr zukommen läßt als dem anderen, durch all das lehrt er sie Demut, Enthaltsamkeit, Liebe, gleichmäßige Behandlung aller, sowie das Bewußtsein, daß alles gemeinsam sei. "Und er brach das Brot und gab es den Jüngern, und die Jünger gaben es dem Volke." Die fünf Brote brach er und verteilte sie, und die fünfe vermehrten sich in den Händen der Jünger. Aber selbst hiermit ist das Wunder noch nicht abgeschlossen; der Herr machte, daß auch noch vieles übrig blieb, und zwar nicht ganze Brote, sondern Brotstücke. Er will eben zeigen, daß diese Überreste wirklich von den fünf Broten stammen, und dies in der Absicht, daß sie das Ge schehene auch den Anwesenden mitteilten. Darum ließ er zuerst das Volk Hunger leiden, damit niemand sage, das Ganze sei nur Einbildung gewesen. Deshalb machte er auch, daß gerade zwölf Körbe voll übrig blieben, damit auch Judas einen zu tragen bekäme. Er hätte ja auch den Hunger einfach verschwinden lassen können; dann hätten aber die Jünger seine höhere Macht wohl kaum erkannt, da ja dies auch bei Elias geschehen war (1R 17,9-16). Auf diese Weise setzte er also die Juden in solches Erstaunen , daß sie ihn sogar zum König machen wollten, was sie doch sonst bei keiner anderen Wundertat versuchten. 

   Wer könnte also mit Worten erklären, wie die Brote sich vermehrten? Wie sie mitten in der Wüste immer mehr zunahmen? Wie sie für so viele ausreichten? Es waren ja fünftausend Menschen da, ungerechnet die Frauen und Kinder. Aber gerade das gereicht den Leuten zur höchsten Ehre, daß sogar Frauen und Kinder dem Herrn anhingen.[494] woher die Überreste kamen? Denn diese waren ja nicht geringer, als was im An fang vorhanden war; und wie sie so zahlreich werden konnten, daß die Zahl der Körbe gerade derjenigen der Jünger gleichkam, keiner mehr und keiner weniger? Der Herr nahm also das gebrochene Brot und gab es nicht den Leuten, sondern den Jüngern, weil eben das Volk noch schwächer im Glau ben war als die Jünger. 

   Nachdem aber das Zeichen geschehen war, 

   V.22: "Da nötigte er alsbald die Jünger, in das Schiff zu steigen und ihn an das andere Ufer zu führen, bevor er die Volksscharen entließ." 

   Denn wenn auch einer, solange er anwesend war, auf den Gedankenm kommen konnte, es sei nur Einbildung und nicht Wirklichkeit, was er getan, so war dies doch unmöglich, nachdem er fortgegangen war. Darum überläßt er das Geschehene einer genauen Prüfung und gibt Befehl, daß diejenigen von ihm entfernt werden, die die Grundlage und den Beweis für seine Wunderzeichen in Händen hatten. Auch bei anderen Gelegenheiten, wo er etwas Großes tut, entfernt er sich vom Volk und den Jüngern, um uns zu zeigen, nirgends den Ruhm der Öffentlichkeit zu suchen, und nicht die Menge an uns zu ziehen. Wenn aber der Evangelist sagt: "Er nötigte", so bekundet er damit nur die große Hingebung der Jü+nger[495] . Auch schiocklte er die Jünger fort wegen des Volkes; er selbst aber wollte auf den Berg hinaufgehen. Auch das hat er wieder getan, um uns die Lehre zu geben, uns weder bestän dig unter dem Volk aufzuhalten, noch immerfort das Volk zu meiden, sondern beides in zukömmlicher Weise zu tun, und mit beidem in entsprechendem Maße abzuwechseln. 

   Lernen also auch wir, Jesus mit Eifer anzuhängen, aber nicht, um sinnfällige Wohltaten zu empfangen, damit wir nicht denselben Tadel verdienen wie die Juden. Denn, sagt der Herr: "Ihr suchet mich, nicht weil ihr Wunderzeichen geschaut habt, sondern weil ihr von den Broten aßest und satt wurdet" (Jn 6,26). Darum wirkte er auch dieses Wunder nicht immer, sondern nur zweimal, um sie zu lehren, nicht dem Bauche zu dienen, sondern stets den geistigen Dingen obzuliegen. Diesen wollen also auch wir uns widmen, wollen dem himmlischen Brote nachgehen, und wenn wir es erhalten, alle irdische Sorge von uns werfen. Wenn jene[496] ihre Häuser, ihre Städte, ihre Verwandten und alles verließen und sich in der Wüste aufhielten, und trotz des Hungers, der sie quälte, nicht fortgingen, dann müssen um so mehr wir, die wir uns einem so erhabenen Tische nähern, noch weit größeren Eifer zeigen, die geistigen Dinge lie ben und die materiellen erst nach diesen suchen. Auch jene wurden ja getadelt, nicht weil sie den Herrn des Brotes wegen suchten, sondern weil sie ihn nur deshalb suchten, und in erster Linie deshalb. Wenn jemand die großen Gaben verachtet und sich dafür an die kleinen hängt, die er nach der Absicht des Gebers verachten sollte, so verliert er auch diese. Wenn wir dagegen jene lieben, so gibt er uns auch die anderen dazu. Diese sind nämlich nur eine Zugabe zu jenen; so wertlos und gering sind sie im Vergleich zu jenen, wenn sie auch sonst groß sind. 

   Jagen wir also nicht diesen zeitlichen Dingen nach, sondern halten wir deren Besitz oder Verlust für etwas ganz Gleichgültiges, wie ja auch Job sich nicht an sie hing, solange er sie besaß, und ihnen nicht nachjagte, nachdem er sie verloren. Denn Besitz[497] heißen diese Dinge nicht deshalb, damit wir sie vergraben, sondern damit wir sie in der rechten Weise besitzen. Und wie bei den Handwerkern jeder seine besonderen Kenntnisse hat, so versteht auch der Reiche zwar nicht das Schmiedehand werk, nicht den Schiffsbau, nicht die Webekunst, nicht das Bauhandwerk, auch sonst nichts von all dem; dafür aber soll er lernen, den Reichtum, gut zu gebrauchen und mit den Dürftigen Mitleid zu haben; dann wird er eine Kunst verstehen, die alle anderen übertrifft.



4.

Diese Kunst steht ja höher als alle anderen. Ihre Werkstätte ist im Himmel errichtet worden. Werkzeuge sind nicht aus Eisen und Erz gemacht, sondern bestehen aus Güte und rechter Gesinnung. Diese Kunst hat Christus und seinen[498] Vater zum Lehrmeister. Denn, sagt der Heiland, "seid barmherzig,wie euer Vatert, der im Himmel ist" (Lc 6,36). Das Wunderbare daran ist aber das, daß sie trotz ihrer Erhabenheit über die anderen Künste, keiner Mühe und keiner Zeit bedarf zu ihrer Betätigung; es genügt, zu wollen, und alles ist getan. Beachten wir aber auch, welches ihr Endzweck ist? Welches ist also ihr Endzweck? Himmel, die himmlischen Güter, jene unaussprechliche Herrlichkeit, die geistigen Brautgemächer,die glänzenden Lichter, der Umgang mit dem Bräutigam, alles andere, das weder die Zunge noch der Verstand darzulegen vermag. Also auch nach dieser Seite hin besteht ein großer Unterschied zwischen dieser Kunst und den anderen. Die meisten Künste nützen uns ja nur für das irdische Leben; die se aber auch für das zukünftige. Wenn aber schon die Künste, die wir für dieses Leben brauchen, so verschieden untereinander sind, wie z.B. die Kunst des Arztes und die des Baumeisters und alle anderen dieser Art, so gilt dies noch vielmehr von denen, die man bei genauem Zusehen gar nicht einmal als Künste bezeichnen kann. Darum möchte auch ich die anderen, unnötigen Beschäftigungen gar nicht einmal Künste nennen. Oder welchen Nutzen haben für uns die[499] Kochkunst und die Herstellung von Leckerbissen? Gar keinen. Im Gegenteil, sie sind sogar sehr nachteilig und schädlich und verderben Leib und Seele, weil durch sie die Schwelge rei ihren festlichen Einzug hält, diese Mutter aller Krankheiten und Leiden. Aber nicht bloß diese, sondern selbst die Malerei und Stickerei möchte ich nicht eigentlich Künste nennen; denn sie stürzen uns nur in unnötige Auslagen.[500] . Die wahren Künste hingegen müssen uns das, was zum Unterhalt unseres Lebens notwendig ist, besorgen und verschaffen. Darum hat uns ja auch Gott die Weisheit gegeben, damit wir Mittel und Wege finden, um unser Leben zu erhalten. Welchen Nutzen haben wir aber davon, sag mir, wenn wir an den Wänden oder auf den Kleidern Tiergestalten anbringen? Darum müßte man auch bei der Kunst der Schuhmacher und Weber gar manches Überflüsssige verbieten. Denn sie haben meistens schon zu Auswüchsen geführt, haben das, was wirklich notwendig ist,[501] verkehrt, und zur Kunst die Künstelei gefügt. Dasselbe ist auch bei der Baukunst der Fall. Solage sie nur Häuser und keine Theater errichtet, also das Notwendige und nicht das Überflüssige schafft, solange nenne ich sie auch eine Kunst. Ebenso bezeichne ich die Weberei als Kunst, solange sie nur Kleider und Mäntel erzeugt, nicht aber Spinnen nachahmt und damit viel Gelächter und großen Stumpfsinn weckt. Auch dem Schumacherhandwerk nehme ich den Namen Kunst nicht, solange es nur Schuhe erzeugt. Wenn es aber die Männer zu Weibern macht und sie mit ihren Schuhen verweichlicht und verzärtelt, dann rechne ich es zu den schädlichen und überflüssigen Dingen und spreche ihm überhaupt den Namen Kunst ab. 

   Ich weiß wohl, daß ich vielen als kleinlich erscheine, wenn ich mich um solche Dinge kümmere; deshalb werde ich aber keineswegs davon abste hen. Die Ursache alles Unheils liegt ja gerade darin, daß viele diese Sünden für klein halten und sie deshalb gar nicht beachten. Ja, sagt man mir da, könnte es einen geringfügigeren Fehler geben, als einen schön geschmückten, glänzenden Schuh zu tragen, der auch dem Fuße angepaßt ist, wenn man das überhaupt einen Fehler nennen will? Soll ich also diesem Einwand ein Kapitel widmen und euch zeigen, wie groß dieser Unfug ist? Und ihr werdet deshalb nicht ungehalten sein? Nun, wenn ihr auch ungehalten seid, ich mache mir darüber keine großen Sorgen. Ihr selbst seid ja schuld an dieser Torheit, die ihr nicht einmal für eine Sünde haltet, weil ihr uns damit zwingt, solch törichte Eitelkeit zu brandmarken.



5.

Wir wollen also die Sache einmal näher prüfen und sehen, was für ein Unheil sie ist. Wenn ihr Seidenbänder, die man nicht einmal für Kleider verwenden soll, sogar bei den Schuhen verwendet, verdient ihr da nicht vollauf, daß man darüber spottet und lacht? Wenn du aber meine Ansicht verachtest, so höre wenigstens auf die Worte des hl. Paulus, der dies ganz nachdrücklich verbietet; dann wirst du schon merken, wie lächerlich es ist. Was sagt also der Apostel? "Nicht mit Haargeflechten, mit Gold oder Perlen oder kostbarer Gewandung[502] " (1Tm 2,9). Welche Nachsicht verdientest du also, wenn der hl.Paulus deiner Gattin nicht einmal kostbare Gewänder erlauben will, und du diese eitle Torheit sogar auf die Schuhe ausdehnst, und dir tausenfache Mühe gibst um einer so lächerlichen, schimpflichen Sache willen? Dafür wird ja ein ganzes Schiff ausgerüstet, werdeb Ruderer gemietet mit einem Unter und Obersteuermann, wird das Segel gespannt und das M;eer durchfhren, dafür verläßt der Kaufmann Weib und Kind und Heimat, und vertraut sein eigenes Leben den Wogenm an, zieht in Barbarenländer und besteht tausenderlei Gefahren, nur wegen dieser Seidenbänder, damit du sie nach all dem mehen und auf deinen Schuhen anbringen und das Leder damit zieren könnest. Was gäbe es doch Schlimmeres als solch eine Torheit? Das war in alten Zeiten nicht so; da hatte man Schuhe, die sich für Männer schickten. Jetzt aber bin ich darauf gefaßt, daß unsere jungen Leute im Laufe der Zeit sogar noch Weiberschuhe anziehen ohne sich zu schämen. Das Traurigste dabei ist, daß sogar die Väter dies mit ansehen ohne unwillig zu werden, ja es im Gegenteil für eine ganz unschuldige Sache halten. 

   Und soll ich auch das sagen, was die Sache noch schlimmer macht, daß nämlich so etwas geschieht, wo es doch so viele Arme gibt? Soll ich euch Christus vor Augen stellen, wie er hungert und seiner Kleidert beraubt ist, wie er überall umherirrt und mit Banden gefessselt ist? Wie viele Blitzstrahlen würdet ihr nicht verdienen, wenn er ihn, der sich vor Hunger nicht zu helfen weiß, mißachtet und dafür solche Sorgfalt auf den Schmuck des Schuhleders verwendet? Als der Herr den Jüngern seine Satzun zungen gab, da erlaubte er ihnen nicht einmal, überhaupt Schuhe zu tragen; wir dagegen wollen nicht nur nicht barfüßig gehen, sondern nicht einmal solche Schuhe tragen, wie es sich gehört. Was gäbe es also Schlimmeres, was Lächerlicheres als solch eine Verunzierung? So etwas tut ja nur ein verweichlichter, gefühlloser, roher, zimperlicher Mensch, der nichts Rech tes zu tun hat.Oder wie könnte sich einer jemals mit etwas Notwendigem und Nützlichem abgeben, der seine Zeit mit solch überflüssigen Dingen ver geudet? Wie wäre ein solcher Jüngling imstande, sich um seine Seele zu kümmern, oder überhaupt daran zu denken, daß er eine Seele hat? Der wird ja notwendig ein erbärmlicher Wicht sein, wer solche Dinge bewundern muß, und roh, wer um solcher Sachen willen die Armen vernachlässigt, und aller Tugend bar, wer seine ganze Aufmerksamkeit solchen Gegenständen widmet. Wer sich für den Glanz von Seidenbändern, die Pracht der Farben und das Epheugeranke derartiger Gewebe interessiert, wann soll der zum Himmel aufblicken können? Wann soll mderjeneige die himmliosche SDchjöänheiot bewundern, den es nach der Schönheit von LÖeder gelü+stet und der also am Boden kriecht? 

   Gott hat den Himmel ausgebreitet und die Sonne angezündet, um deinen Blick nach oben zu lenken; du aber zwingst dich gleich den Schweinen, zur Erde zu sehen, und bist dem Teufel gehorsam. Er ist es ja, der böse Dämon, der diese Schamlosigkeit ersonnen hat, um dich von jener Schönheit abzuziehen. Darum hat er dich zu solchen Dingen higezogen, darum wird Gott, der dir den Himmel zeigt, gleichsam besiegt vom Teufel, der dir Häute zeigt, oder vielmehr nicht einmal Häute, denn auch sie sind ja Werke Gottes, sondern unnötigen Luxus und übertriebene Künstelei. So geht der Jüngling mit dem Blick zur Erde gesenkt, der eigentlich das Himmlische betrachten sollte, und er bildet sich mehr auf diese Eitzelkeiten ein,als wenn er eine große Tat vollbracht hätte, stolziert auf offenem Markte umher und macht sich selber ganz unnötig Sorgen und Kummer, es könnten seine Schuhe mit Kot beschmutzt werden, wenn es Winter, oder sie könnten mit Staub bedeckt werden, wenn es Sommer ist. 

   Was sagst du da, o Mensch? Deine ganze Seele hast du in den Schmutz geworfen um solch einer Torheit willen und merkst nicht, wie sie auf dem Boden herumgezogen wird; für deine Schuhe dagegen bist du so ängstlich besorgt! Lerne sie doch recht gebrauchen und schäme dich, daß du so große Achtung vor ihnen hast! Die Schuhe sind ja dafür da, daß sie mit Kot und Schmutz in Berührung kommen und mit jedem Unrat, der auf dem Boden liegt. Wenn dir aber das nicht gefällt, so ziehe sie aus und hänge sie dir um den Hals oder lege sie auf den Kopf.



6.

Ihr lacht bei diesen Worten; ich aber möchte lieber weinen über die Torheit dieser Leute und den Eifer, den sie solchen Dingen widmen. Die würden ja lieber ihren eigenen Leib mit Kot beschmutzen als ihre Schuhe. So zimperlich wurden sie also, und dazu auch noch habsüchtig. Wer nämlich gewohnt ist, nach solchen Dingen gierig zu verlangen, der braucht auch für Kleider und alles andere viel Geld und große Einkünfte. Hat er nun einen ehrgeizigen Vater, so wird er noch mehr in seinen Fehler verstrickt und seine törichte Leidenschaft wird noch gesteigert. Ist sein Vater dagegen knauserig, so sieht er sich noch zu anderen Schamlosigkeiten gezwungen, um das Geld für derartige Auslagen zusammenzubringen. Aus diesem Grund haben schon manche junge Leute ihre Jugendblüte weggeworfen, sind zu Schmarotzern der Reichen geworden und haben sich noch anderen Sklavendiensten unterworfen, um sich damit die Befriedigung derartiger Leidenschaften zu erkaufen. Daraus ergibt sich, daß ein solcher Jüngling so zu gleicher Zeit geldgierig und erbärmlich sein wird und in den notwendigen Dingen vollkommen gleichgültig, ja daß er notgedrungen viele Sünden begehen wird; daß er aber auch zugleich hartherzig und ehrgeizig sein wird, das dürfte wohl auch niemand bestreiten. Hartherzig, weil er vor lauter Sucht nach eitlem Tand beim Anblick eines Armen tut, als sehe er ihn nicht, sondern seine Kleider und Schuhe mit Gold schmückt, um den Armen aber, der vor Hunger stirbt, sich nicht kümmert. Ehrgeizig aber wird er, weil er sich angewöhnt, auch in den kleinen Dingen dem Lobe der Zuschauer nachzujagen. Ich glaube nicht, daß ein Feldherr auf seine Armee und seine Siegestrophäen sich soviel einbildet, als diese weltlich gesinnten Jünglinge auf den Schmuck iher Schuhe, auf ihre Schleppkleider und die Locken ihres Hauptes; und doch haben all das fremde Künstler gemacht. Wenn sie es aber schon nicht lassen können, auf fremde Dinge stolz zu sein, wie werden sie auf ihre eigenen Vorzüge nicht stolz sein wollen? Soll ich noch andere, schlimmere Dinge erwähnen, oder genügt uns das? Nun, so muß ich damit meine Rede beenden, denn ich habe all das wegen derjenigen gesagt, die da in ihrem Ehrgeiz behaupten, es seien diese Dinge durchaus keine Torheit. Ich weiß auch, daß viele Jünglinge meinen Worten kein Gehör schenken werden, nachdem sie doch schon einmal von der Leidenschaft trunken sind. Deshalb durfte ich aber gleichwohl nicht schweigen. Die Väter, die noch einsichtig sind und gesunde Grundsätze haben, werden schon imstande sein, sie zu entsprechendem, anständigen Verhalten anzuleiten. Sage also nicht: Es liegt ja nichts an diesem oder jenem; denn das, gerade das hat ja das ganze Unheil verschuldet. Auch hierin müßte man eben die Knaben unterrichten und sie lehren, auch in scheinbar geringen Dingen würdevoll, edel und besser zu sein, als zu scheinen; dann würde man sie auch in wichtigen Dingen tadellos finden. Oder was gibt es Unscheinbareres als das Erlernen der Buchstaben? Und doch bringt das die Rhetoren, Sophisten und Philosophen hervor; und wenn sie das erste nicht verstehen, werden sie auch das andere nicht erlernen. 

   Das alles habe ich aber nicht bloß für die Jünglinge, sondern auch für die Frauen und Mädchen gesagt. Denn auch sie verdienen in dieser Beziehung Tadel, und zwar um so mehr, weil sich gesittetes Benehmen für eine Jungfrau noch weit eher geziemt. Denket also, was ich von den Jünglingen sagte, das sei auch von euch gesagt, damit ich nicht zweimal dasselbe zu wiederholen brauche. Doch es ist jetzt Zeit, die Rede mit Gebet zu schließen. Betet also alle mit mir, damit die Jugend, besonders die, welche zur hl.Kirche gehört, die Gnade erlange, anständig zu leben und ein ehrenvolles Alter zu erreichen. Wer aber nicht so lebt, für den ist es auch nicht gut, daß er das Greisenalter erreicht. Für jene dagegen, die schon in ihrer Jugend so weise leben wie Greise, für die bete ich, daß sie das höchste Alter erreichen mögen, Väter von wohlerzogenen Kindern werden, die ihren Eltern und vor allem Gott, der sie erschaffen hat, Freude machen, daß jede Krankheit ihnen fern bleibe, und zwar nicht bloß die Krankheit wegen der Schuhe und Kleider, sondern auch alle anderen. Denn wie ein brachliegender Acker, so ist die Jugend, die vernachlässsigt wird; sie wird überall nur Dornen hervorbringen. 

   Entzünden wir also das Feuer des Hl.Geistes und verbrennen wir darin diese schlechten Leidenschaften! Machen wir das Ackerfeld neu (vgl. Jr 4,3) und bereit, den[503] Samen aufzunehmen, und zeigen wir, daß unsere christliche Jugend ein weiseres Leben führt, als anderswo die Greise. Darin liegt ja gerade das Staunenswerte, daß schon die Jugend durch Sittsamkeit hervorragt, während die Sittsamkeit im Alter nicht mehr besonders verdienstlich ist, weil eben da die Zahl der Jahre ihren si cheren Schutzwall bildet. Wunderbar dagegen ist es, wenn man inmitten des Sturmes innere Ruhe genießt, m,itten im Feuerofen nicht verbrannt wird und trotz der Jugend sich keinen Ausschweifungen hingibt. 

   Das alles wollen wir also erwägen und wollen jenem glückseligen[504] Joseph nacheifern, den all diese Tugenden auszeichneten, damit auch wir dieselben Siegeskränze erlangen wie er. Dieser Siegeskrän ze mögen wir alle teilhaft werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem die Ehre gebührt mit dem Vater und dem Hl.Geiste, jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!





Fünfzigste Homilie. Kap. XIV, V.23-36.

50 Mt 14,23-36
1.

V.23: "Und nachdem Jesus die Volksmenge entlassen hatte, stieg er ohne Begleiter auf den Berg, um zu beten. Nachdem es aber schon Abend geworden war, befand er sich dort allein. V.24: Das Schifflein aber war schon mitten auf dem See und wurde von den Wellen hin- und hergeworfen; es herrschte nämlich entgegengesetzter Wind." 

   Warum steigt der Herr auf den Berg hinaus? Um uns zu zeigen, dass die Stille und Einsamkeit besonders geeignet ist, um mit Gott zu verkehren. Darum geht er selbst sehr häufig an einsame Orte und bringt dort die Nächte im Gebet zu, um uns dadurch anzuleiten, sowohl die entsprechende Zeit, wie auch den passenden Ort zum ungestörten Gebet auszuwählen. Die Einsamkeit ist ja die Mutter der Ruhe und ein stiller Zufluchtsort, der uns von all unseren Sorgen befreit. Aus diesem Grunde stieg also der Herr auf den Berg. Die Jünger dagegen werden, von neuem von den Wogen hinund hergeworfen und sind dem Sturme preisgegeben wie schon früher einmal. Allein damals hatten sie den Herrn bei sich im Schiffe, als der Sturm kam; diesmal sind sie ganz allein auf sich angewiesen. Der Herr will sie eben langsam und schrittweise zu Größerem anleiten und sie befähigen, alles mutig zu ertragen. Deshalb war er zwar bei der erstmaligen Gefahr selbst zugegen, hatte sich aber dem Schlafe überlassen, um wenigstens gleich bereit zu sein, sie zu ermutigen. Diesmal wollte er sie zu noch größerer Ausdauer veranlassen und hat darum auch das nicht getan; vielmehr entfernte er sich und läßt zu, dass mitten auf dem See sich ein solcher Sturm erhebt, dass jede Hoffnung auf Rettung ausgeschlossen schien; ja er läßt sie die ganze Nacht hindurch von den Wellen hinund hergeworfen werden, und brachte so, wie ich glaube, deren verblendetes Herz in die entsprechende Verfassung. Das ist eben die Wirkung der Furcht, die nicht bloß durch das Unwetter, sondern auch durch die Länge der Zeit hervorgebracht wurde, So erweckte der Herr in den Jüngern nicht bloß Zerknirschung, sondern auch ein um so größeres Verlangen nach ihm und machte, dass sie das Erlebnis nie wieder vergaßen. Darum kam er ihnen auch nicht sogleich zu Hilfe. 

   V.25: " Denn zur Zeit der vierten Nachtwache kam er zu ihnen, auf dem See wandelnd." Jesus wollte damit den Jüngern die Lehre geben, nicht immer sofortige Befreiung zu suchen von den Leiden und Mühsalen, die sie beschwerten, sondern mannhaft das zu ertragen, was ihnen widerfuhr. Während sie nun aber hofften, aus ihrer Lage befreit zu werden, da ward im Gegenteil ihre Angst noch vermehrt. 

   V.26: "Denn als die Jünger sahen, wie er auf dem See daherkam, da erschraken sie und sagten, es sei ein Gespenst, und sie schrieen vor Angst." So macht es der Herr immer: wenn er von einem Übel befreien will, bringt er zuerst noch schwerere und schlimmere. Gerade so ging es auch damals. Außer dem Sturm verursachte den Jünger auch der Anblick des Herrn keinen geringereren Schrecken als der Sturm selbst. Darum hat der Herr weder das Dunkel der Nacht verscheucht, noch auch sich selbst sogleich zu erkennen gegeben, weil er sie, wie gesagt, durch solch anhaltende Ängste üben und sie zu starkmütigem Ertragen anleiten wollte. So machte er es auch bei Job. Als er im Begriff stand, ihn von seiner Heimsuchung zu befreien, ließ er diese am Ende noch besonders stark werden, nicht infolge des Todes seiner Kinder und der Äußerungen seiner Frau, sondern durch die Schmähreden seiner Hausgenossen und Freunde. Und als er den Jakob aus der traurigen Lage befreien wollte, in die er in der Fremde geraten, da ließ er zuvor noch eine größere Trübsal über ihn kommen: Sein Schwiegervater ergriff ihn und bedrohte ihn mit dem Tode, und dann kam, sein Bruder und brachte ihn in die Äußerste Gefahr. Da man nämlich eine lang anhaltende und heftige Prüfung nicht zu ertragen vermag, deshalb fügte es Gott, dass die Gerechten, bevor das Ende ihrer Kämpfe naht, noch schwerere Prüfungen erdulden müssen, damit auch ihr Lohn größer werde. So machte er es auch bei Abraham, dem er als letzte, schwerste Probe die mit seinem eigenen Kinde auferlegte. Denn so wird auch das Unerträgliche erträglich, wenn es in seinem unmittelbaren Gefolge die Befreiung[505] mit sich führt. So machte es also Christus auch in unserem Falle, und nicht eher gab er sich selbst zu erkennen, als bis die Jünger zu schreien begannen. Denn je mehr ihre Angst sich steigerte, um so willkommener war ihnen sein Erscheinen. Jetzt also, da sie schrieen, 

   V.27: "Da redete Jesus sogleich zu ihnen und sprach: Seid guten Mutes, ich bin es; fürchtet euch nicht." Dieses Wort befreite die Apostel von ihrer Angst und machte ihnen Mut. Da sie ihn nämlich beim bloßen Anblick nicht erkannten, wegen seines wunderbaren Wandelns[506] und auch wegen der Nachtzeit, so gibt er sich an seiner Stimme zu erkennen. Was tut nun da Petrus, der stets voll Eifer ist und den anderen immer voraus eilt? 

   V.28: "Herr", sagt er, "wenn Du es bist, so befiehl, dass ich zu Dir auf dem Wasser komme." Er sagte nicht: bitte und bete, sondern; befiehl. Siehst du da, wie groß sein Eifer ist, wie groß sein Glaube? Und doch bringt gerade das ihn überall in Gefahr, weil er oft über Maß und Ziel hinaus wollte. So hat er ja auch hier etwas überaus Großes verlangt, allerdings nur aus Liebe, nicht aus Stolz. Er sagte nämlich nicht: Befiehl, dass ich auf dem Wasser wandle, sondern: "Befiehl, dass ich zu Dir komme. Kein anderer liebte ja Jesus in demselben Maße. Gerade so machte er es auch nach der Auferstehung; er erwartete es nicht, bis er mit den anderen käme, sondern eilte ihnen voraus. Er gab aber damit einen Beweis nicht bloß seiner Liebe, sondern auch seines Glaubens. Er glaubte ja nicht bloß, dass der Herr selbst auf dem See zu wandeln vermöge, sondern dass er auch andere dazu befähigen könne, und so verlangte es ihn, alsbald in seine Nähe zu kommen. 

   V.29: "Er aber sagte: Komm! Und Petrus stieg aus dem Schifflein und wandelte über dem Wasser, und er kam zu Jesus. 

   V.30: Als er aber den starken Wind bemerkte, geriet er in Furcht, und als er anfing zu sinken, schrie er und rief: Herr, rette mich! 

   V.31: Sogleich aber streckte Jesus die Hand aus und ergriff ihn; und er sprach zu ihm: Kleingläubiger, weshalb hast du gezweifelt?" Dieses Wunder ist noch erstaunlicher als das frühere. Deshalb kommt es auch erst nach dem anderen. Erst nachdem der Herr gezeigt hatte, dass er auch über den See gebiete, erhöht er die Wunderbarkeit dieses Zeichens. Damals hatte er nämlich nur den Winden geboten; hier schreitet er selber[507] und läßt auch einen anderen das gleiche tun. Hätte er das gleich am Anfang zu tun befohlen, so hätte Petrus den Befehl nicht in derselben Weise aufgenommen, weil er noch keinen so starken Glauben besaß.



2.

Warum hat also Christus es ihn geheißen? Weil Petrus bei seinem Feuereifer widersprochen hätte, wenn er gesagt hätte: Du darfst nicht. Er will ihn also durch die Tatsachen selbst belehren, damit er für die Zukunft gewitzigt wäre. Aber auch so läßt Petrus sich nicht zurückhalten. Nachdem er also das Schifflein verlassen hatte, begann er zu sinken, denn er hatte Furcht. Diese war schuld daran, dass er sank; er fürchtete sich aber infolge des Windes. Johannes berichtet hier:"Sie wollten ihn in das Schifflein nehmen, und alsbald gelangte das Schifflein ans Land, dem sie zusteuerten" (Jn 6,21). Er sagt damit im Grunde dasselbe. Während sie also im Begriffe standen zu landen, kam der Herr auf das Schifflein zu. Und Petrus stieg aus dem Schifflein und ging ihm entgegen , wobei er sich nicht so sehr darüber freute, dass er auf dem Wasser wandelte, als darüber, dass er zum Herrn kam. Nachdem er aber das Größere überwunden, sollte er dem Geringeren unterliegen, ich meine der Gewalt des Windes, nicht der des Sees. So ist eben die Menschennatur: oft vollbringt sie das Große und fällt dafür im Kleinen. So ging es zum Beispiel dem Elias mit der Jezabel, so dem Moses mit dem Ägypter, so David mit Bersabee. Auch bei Petrus ging es so: während ihn noch die Furcht beherrschte, hatte er den Mut, über dem Wasser zu wandeln; dem Andrang des Windes aber konnte er nicht mehr standhalten, und das, obgleich Christus in der Nähe war. So nützt es also nichts, dass Christus einem nahe ist, wenn er nicht durch den Glauben nahe ist. Das zeigte denn auch den Unterschied zwischen dem Meister und dem Schüler und war zugleich eine Beruhigung für die anderen. Denn wenn sie schon über die zwei Brüder (die Söhne des Zebedäus: Mt 20,24) unwillig geworden waren, so werden sie es noch mehr hier geworden sein. Sie hatten eben die Gnade des Hl. Geistes noch nicht empfangen. Später waren sie ja nicht mehr so. Da lassen sie überall dem Petrus den Vorrang, schicken ihn in den öffentlichen Versammlungen voran, obgleich er an Feinheit der Bildung den anderen nachstand. Warum hat aber der Herr nicht den Winden befohlen aufzuhören, sondern hat selbst die Hand ausgestreckt und den Petrus gefaßt? Weil es auch des Glaubens Petri bedurfte. Wenn es nämlich auf unserer Seite fehlt, so tut Gott auch das Seinige nicht. Der Herr zeigt also, dass nicht die Gewalt des Windes, sondern die Kleingläubigkeit des Petrus schuld an seinem Unfall ist, und sagt daher: "Warum hast du gezweifelt, Kleingläubiger?" Wäre er also nicht im Glauben schwach geworden, so hätte er auch dem Winde gegenüber leicht standgehalten. Darum läßt auch der Herr, nachdem er ihn gefaßt hatte, den Wind weiter wehen, um zu zeigen, dass er nicht schaden kann, wenn der Glaube festgewurzelt ist. Wenn ein junges Vögelchen vor der Zeit das Nest verläßt und schon im Begriffe steht, herabzufallen, so stützt es die Mutter mit ihren Flügeln und bringt es wieder ins Nest zurück. Geradeso macht es auch Christus. 

   V.32: "Und als sie das Schifflein bestiegen hatten, da hörte der Wind auf." Früher hatten da die Apostel gesagt: "Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar die Winde und das Meer gehorchen"? (Mt 8,27). Jetzt reden sie nicht so. Denn, heißt es weiter, 

   V.33: "Die Insassen des Schiffleins kamen, beteten ihn an und sagten: Wahrlich, Du bist Gottes Sohn." Siehst du, wie der Herr sie langsam zu Höherem anleitet? Da er auf dem See gewandelt und auch einem anderen befohlen, dasselbe zu tun, und den Petrus aus der Gefahr errettet hatte, so besaßen sie jetzt einen starken Glauben. Damals hatte der Herr dem Meere geboten; hier gebot er ihm nicht, und zeigte dafür seine Macht auf andere noch wirksamere Art. Darum sagten auch die Apostel: "Wahrhaftig, Du bist Gottes Sohn." Und der Herr? Hat er ihnen diese Rede verwiesen? Ganz im Gegenteil, er bekräftigte noch ihre Worte, indem er nicht bloß so wie früher, sondern mit noch erhöhtem Machterweis diejenigen heilte, die zu ihm kamen. 

   V.34: "Und als sie ans andere Ufer übergesetzt waren, kamen sie in die Landschaft Genesareth. 

   V.35: Und als ihn die Leute daselbst erkannt hatten, sandten sie Boten in die ganze Umgegend, und man brachte zu ihm alle, die krank waren. 

   V.36: Und man forderte sie auf, den Saum seines Kleides zu berühren, und alle, die ihn berührten, wurden gesund." Die Leute kamen schon nicht mehr zu ihm wie früher, wo sie ihn in ihre Häuser genötigt hatten und wollten, dass er[508] mit der Hand berühre, und ihnen mit Worten befehle. Jetzt suchten sie die Heilung schon in viel höherer und vollkommener Art, und mit viel m ehr Glauben. Die blutflüssige Frau hatte allen den rechten Weg gezeigt. Der Evangelist wollte hier auch zeigen, dass der Herr erst nach langer Zeit wieder in diese Gegenden kam; deshalb sagte er: "Als ihn die Leute daselbst erkannt hatten, sandten sie Boten in die Umgegend und brachten alle zu ihm, die krank waren". Die Länge der Zeit hatte ihnen also gleichwohl ihren Glauben nicht bloß nicht genommen, sondern sogar vermehrt und ihn in voller Kraft bewahrt. Berühren also auch wir den Saum seines Kleides, oder vielmehr, wenn wir nur wollen, können wir Jesum selbst ganz und gar in unserem Besitze haben. Denn auch sein heiliger Leib liegt jetzt vor uns; nicht bloß sein Kleid, sondern auch sein Leib; und nicht, damit wir ihn bloß berühren, sondern ihn auch essen und uns mit ihm sättigen. Treten wir also gläubig hin, wer immer an einer Krankheit leidet. Wenn schon diejenigen, die nur den Saum seines Kleides berührten, eine solche Kraft empfingen, um wieviel mehr dann jene, die ihn ganz besitzen? Das gläubige Hinzutreten verlangt aber, dass wir nicht bloß empfangen, was vor uns liegt, sondern dass wir es auch mit reinem Herzen berühren, dass wir dabei in solcher Verfassung seien, wie wenn wir zu Christus selbst hinzuträten. Was macht es denn, wenn du auch seine Stimme nicht hörst? Du siehst ihn dafür vor dir liegen, ja du hörst auch sogar seine Stimme, denn er spricht ja durch die Evangelisten.



3.

Glaubet also, dass es auch jetzt noch das gleiche Mahl ist, an dem er selber zugegen war. Denn jenes ist von diesem in nichts unterschieden. Es ist nicht etwa so, dass dieses von Menschen bereitet wird und jenes von ihm selber hergerichtet war: vielmehr bereitet er selbst sowohl dieses wie jenes. Wenn du also siehst, wie der Priester dir[509] austeilt, so denke nicht, dass es der Priester sei, der dies tut, sondern dass es Christi Hand ist, die dir entgegengehalten wird, Wenn du getauft wirst, ist es ja auch nicht der Priester, der dich tauft, sondern Gott ist es, der mit unsichtbarer Macht dein Haupt hält; kein Engel und kein Erzengel noch sonst jemand wagt es, hinzuzutreten und dich zu berühren. Geradeso ist es auch hier. Wenn Gott einem Menschen die Widergeburt zuteil werden läßt, so ist dies einzig und allein seine Gabe. Oder siehst du nicht, wie die Menschen es machen, wenn sie jemand an Kindesstatt annehmen? wie sie das auch nicht ihren Dienern überlassen, sondern in eigener Person vor Gericht erscheinen? Ebenso hat auch Gott die Zuweisung dieses Geschenkes nicht den Engeln übergeben, sondern ist selbst zugegen und befiehlt: "Heißet niemanden Vater auf der Erde" (Mt 23,9), nicht aus Geringschätzung gegen unsere Eltern, sondern damit du ihnen allen den vorziehest, der dich gemacht und dich unter seine eigenen Kinder aufgenommen hat. Denn wer das Größere gegeben hat, das heißt sich selbst, der wird es um so weniger unter seiner Würde finden, dir auch seinen Leib zu schenken. Hören wir es also, Priester und Laien, wessen wir gewürdigt worden sind; hören wir es und erschaudern wir! Christus hat uns erlaubt, mit seinem heiligen Fleische uns zu sättigen; sich selbst hat er als Schlachtopfer hingegeben! Wie können wir uns also rechtfertigen, wenn wir trotz dieser erhabenen Speise doch so viele und so schwere Sünden begehen? wenn wir das Lamm essen und zu Wölfen werden? wenn wir vom Lamme uns nähren und dann gleich Löwen zu rauben anfangen? Dieses Geheimnis verlangt ja, dass wir nicht bloß von Raub, sondern auch von bloßer Feindschaft uns vollkommen frei halten. Dieses Geheimnis ist eben ein Geheimnis des Friedens; es verträgt sich nicht damit, dass man[510] dem Reichtum nachjage. Wenn Christus selbst sich um unseretwillen nicht schonte, was verdienen wir dann, wenn wir auf unser Geld achten und um unsere Seele uns nicht kümmern, um derentwillen er seiner selbst nicht schonte? Den Juden hat Gott zur Erinnerung an die Wohltaten, die sie empfingen, ihre Feste vorgeschrieben; dir hat er es sozusagen jeden Tag durch diese Geheimnisse anbefohlen. Schäme dich also des Kreuzes nicht; das ist unsere Ehre, das unser Geheimnis; dieses Geschenk ist unser Schmuck und unsere Zierde. Wenn ich sage, Gott hat das Himmelszelt gespannt, hat die Erde und das Meer gebildet, hat die Propheten und die Engel gesandt, so sage ich nichts, was dem gleich käme. Das ist eben die höchste aller Gaben, dass er des eigenen Sohnes nicht schonte, um seine verirrten Knechte zu retten. Keine Judas möge also diesem Tische sich nahen, kein Simon[511] ;diese sind ja beide wegen ihrer Habsucht zugrunde gegangen. 

   Fliehen wir also diesen Abgrund und glauben wir nicht, es genüge zu unserem Heile, einen goldenen, mit Edelsteinen besetzten Kelch für den Altar zu opfern, nachdem wir zuvor Witwen und Waisen beraubt haben. Wenn du das Opfer ehren willst, so opfere deine eigene Seele, um derentwillen[512] geschlachtet wurde; sie soll aus Gold sein. Wenn dagegen sie wertloser ist als Blei und Scherben, während der Kelch[513] aus Gold ist, welchen Nutzen hast du dann davon? Achten wir also nicht bloß darauf, dass wir goldene Gefäße darbringen, sondern dass wir sie auch mit ehrlichem Verdienste bezahlt haben. Das ist noch mehr wert als Gold, dass kein ungerechtes Gut dabei im Spiele ist. Die Kirche ist ja kein Goldoder Silberladen, sondern ein Lobpreis der Engel. Dazu kommt es auf unsere Seelen an; denn nur der Seelen wegen nimmt Gott solche[514] Gefäße an. Jener Tisch[515] war ja damals auch nicht aus Silber und der Kelch nicht aus Gold, aus dem Christus seinen Jüngern sein eigenes Blut reichte; dennoch war alles kostbar und schaudererregend, weil es eben voll des Hl. Geistes war. 

   Willst du also Christi Leib ehren? Geh nicht an ihm vorüber, wenn du ihn nackt siehst; ehre ihn nicht hier[516] mit seidenen Gewändern, während du dich draußen auf der Straße nicht um ihn kümmerst, wo er vor Kälte und Blöße zugrunde geht! Derselbe, der da gesagt hat: "Dies ist mein Leib" (Mt 26,26), und durch das Wort die Tatsache bekräftigte, derselbe hat auch gesagt: "Ihr habt mich hungern gesehen, und habt mich nicht genährt" (Mt 25,42), und: "Was ihr einem, von diesen geringsten nicht getan habt, habt ihr auch mir nicht getan" (Mt 25,45). Dazu bedarf es ja keiner[517] Decken, wohl aber einer reinen Seele; jenes dagegen braucht viele Sorgfalt. Lernen wir also, weise zu sein, und Christus so zu ehren, wie er selbst geehrt sein will. Dem Geehrten ist ja d i e Ehrenbezeugung die liebste, die er selber wünscht, nicht die, die wir dafür halten. Auch Petrus glaubte ihn ja dadurch zu ehren, dass er ihn hindern wollte, seine Füße zu waschen; gleichwohl war es kein Ehrenerweis, was er tat, sondern das Gegenteil. So erweise auch du ihm die Ehre, die er selbst verlangt hat, und verwende deinen Reichtum zugunsten der Armen. Gott braucht keine goldenen Kelche, sondern goldene Seelen.



4.

Das sage ich aber nicht, um euch davon abzuhalten, solche Weihegeschenke darzubringen. Nur bitte ich euch, dass ihr zugleich, ja noch früher als das, euer Almosen spendet. Gott nimmt zwar auch jene Geschenke an, noch viel lieber aber diese. Bei den Weihegeschenken hat nur der einen Nutzen, der gibt, beim Almosen auch der, der empfängt. Dort hat die Sache auch einen Anschein von Ehrgeiz; hier ist das Ganze Erbarmen und Liebe. Oder was nützt es dem Herrn, wenn sein Tisch voll ist von goldenen Kelchen, er selber dagegen vor Hunger stirbt? Stille zuerst seinen Hunger, dann magst du auch seinen Tisch schmücken, soviel du kannst. Du lässest einen goldenen Kelch herstellen, und reichst ihn dafür nicht einmal einen Becher kalten Wassers. Welchen Gewinn hast du also davon? Du fertigst goldgewirkte Decken für den Altar; ihm selber willst du aber nicht einmal die notwendige Hülle geben. Was nützt dich also das? Sage mir, wenn du einen Menschen siehst, dem die notwendige Nahrung fehlt, und es ihm überließest, wie er seinen Hunger stillen könne, und nur einen silbernen Tisch vor ihn hinstelltest, würde er dir wohl Dank dafür wissen, oder nicht noch mehr sich erzürnen? Und ferner, wenn du einen siehst, der in Lumpen gehüllt ist und vor Kälte erstarrt, und, anstatt ihm Kleider zu geben, würdest du ihm goldene Bildsäulen errichten und sagen, es geschehe ihm zu Ehren, würde er nicht sagen, du treibst Spott mit ihm, und müßte er nicht das Ganze für einen Hohn ansehen, und zwar für den allerschlimmsten? Geradeso denke auch bei Christus, wenn er verlassen und fremd umhergeht und um ein Obdach bittet; denn anstatt ihn aufzunehmen, schmückst du den Fußboden seines Hauses, die Wände und die Kapitäle der Säulen, hängst Lampen an silberne Ketten auf, und ihn selbst, der im Kerker gefesselt liegt, willst du nicht einmal sehen?. 

   Und das sage ich nicht um euch abzuhalten, in solchen Dingen miteinander zu wetteifern; nur bitte ich euch, dass ihr das eine und das andere, oder vielmehr dieses vor jenem tut. Dafür, dass einer keine solchen Gaben[518] brachte, ward noch niemand getadelt; für das andere aber ist sogar die Hölle angedroht, sowie ewiges Feuer und die Strafe mit den Dämonen. Schmücke also nicht das[519] Haus, während du dem Bruder, der in Not ist, keine Beachtung schenkst; dieser Tempel ist ja noch viel wichtiger als der andere. Solche kostbare Weihegeschenke könnten ja auch ungläubige Herrscher, Tyrannen und Räuber wegnehmen; was du aber einmal deinem Bruder getan hast, der hungert, fremd ist und ohne Kleidung dasteht, das kann dir selbst der Teufel nicht mehr nehmen, das bleibt dir in sicherer Schatzkammer geborgen. Was sagt denn nur der Herr selbst? "Die Armen habt ihr stets bei euch, mich aber habt ihr nicht immer bei euch" (Mc 14,7). Gerade das muß uns ja am meisten anspornen, Almosen zu geben, dass wir ihn nicht immer als Hungernden bei uns haben, sondern nur während dieses zeitlichen Lebens. Willst du aber den vollen Sinn seiner Worte erkennen, so beachte, dass er dies nicht zu den Jüngern gesagt hat, wenn es auch so scheint, sondern es war nur für die Schwachheit des Weibes[520] berechnet. Da sie eben noch etwas schwach im Glauben war, und die Jünger sie in Verlegenheit brachten, so sagte der Herr dies, um sie zu gewinnen. Dass er es wirklich nur zu ihren Troste gesagt hat, ergibt sich aus dem Zusatz: "Was fallet ihr diesem Weibe beschwerlich?" (Mt 26,10). Dass nämlich auch wir ihn immerdar bei uns haben, spricht er aus mit den Worten: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt" (Mt 28,20). Aus all dem geht klar hervor, dass er dies aus keinen anderen Grunde gesagt hat, als damit die Scheltworte der Jünger den eben erst im Aufblühen begriffenen Glauben des Weibes nicht verwelken. Machen wir also keinen Einwand mit dem, was nur in ganz bestimmter Absicht gesagt worden ist. Lesen wir lieber all die Gesetze, die des Neuen und die des Alten Bundes, die der Herr über das Almosen gegeben, und zeigen wir großen Eifer in dieser Sache. Das ist es, was uns von Sünden reinigt; denn: "Gebet Almosen, und ihr werdet ganz rein sein" (Lc 11,41). Das ist besser als Opfer; denn: Erbarmen will ich und nicht Opfer" (Os 6,6). Das öffnet die Himmel; denn: "Deine Gebete und deine Almosen stiegen empor zur Erinnerung im Angesicht Gottes" (Ac 10,4). Das ist notwendiger als Jungfräulichkeit; denn aus diesem Grunde wurden jene[521] aus dem Brautgemach ausgeschlossen, aus diesem Grunde die anderen eingelassen. Seien wir also all dessen eingedenk und säen wir reichlich Almosen aus, damit wir auch in um so reichlicherer Fülle ernten und der himmlischen Güter teilhaft werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre sei in Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 49