Kommentar zum Evangelium Mt 5

Fünfte Homilie. Kap. I, V.22-25.

5 Mt 1,22-25
1.

V.22: "Das alles ist aber geschehen, damit erfüllt werde, was der Herr durch des Propheten Worte sprach: V.23:Siehe, die Jungfrau wird im Schoße tragen, und wird einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Emmanuel nennen" (Is 7,14). 

   Vielfach höre ich Leute sagen: So lange wir in der Kirche sind und die Predigt hören, sind wir zerknirscht; kaum sind wir aber draußen, so werden wir schon wieder anders und lassen das Feuer der Begeisterung erlöschen. Was sollen wir also dagegen tun? Geben wir acht auf die Ursache dieser Erscheinung. Woher kommt es denn, dass wir so leicht veränderlich sind? Das kommt davon, dass wir nicht so leben, wie es sich gehört, und dass wir mit schlechten Menschen umgehen. Wenn wir aus dem Gottedienst kommen, sollten wir uns eben nicht alsbald wieder in den Strudel weltlicher Geschäfte stürzen, sondern, wenn wir nach Hause kommen, sogleich die Hl. Schrift zur Hand nehmen, Frau und Kinder zusammenrufen, und mit ihnen das, was in der Predigt gesagt wurde, wiederholen, und dann erst den zeitlichen Geschäften nachgehen. Wenn du schon nicht gerne aus dem Bade unmittelbar in dein Geschäft gingest, um dir nicht deine Erholung durch geschäftliche Dinge zu verderben, so solltest du das um so weniger tun unmittelbar nach dem Gottesdienst. In der Tat tun wir aber gerade das Gegenteil, und damit verderben wir alles. Denn noch ehe der Nutzen, den wir aus der Predigt geschöpft,[91] Wurzel gefaßt hat, reißt und trägt schon der gewaltige Andrang der Dinge, die von außen her auf uns einstürmen, alles mit ich fort. Damit du also dem entgehst, so halte bei deiner Rückkehr aus der Kirche nichts für notwendiger als die Wiederholung der Predigt. Denn es wäre ja doch äußerst unverständig, fünf oder sechs Tage den weltlichen Geschäften zu widmen. den geistlichen aber nicht einmal einen, ja kaum einen kleinen Teil eines Tages zu gönnen. 

   Seht ihr nicht, wie es unsere Kinder machen? Die denken den ganzen Tag an die Aufgaben, die sie zu lernen haben. Machen auch wir es so. Sonst haben wir nach unserem Weggange aus der Kirche keinen größeren Gewinn, als wenn wir den ganzen Tag Wasser in ein durchlöchertes Faß schöpften, da wir ja für die Bewahrung des Wortes Gottes nicht einmal soviel Eifer entwickeln als für die Bewahrung von Gold und Silber. Ja, das Gold, und ist es auch wenig, das legt jeder in einen Beutel und versiegelt ihn; wir aber haben Lehren empfangen, die weit mehr wert sind als Gold und kostbare Edelsteine; wir haben die Schätze des Hl. Geistes erhalten, und die legen wir nicht in die Schatzkammer unserer Seele, sondern lassen sie sorglos verloren gehen,[92] , wie es der Zufall will! Wer wird da noch länger mit uns Mitleid haben, wenn wir so uns selber schaden, und uns in solche Armut stürzen? Damit also das nicht geschehe, machen wir es uns selbst zum unabänderlichen Gesetz, mit unserer Frau und unseren Kindern einen Tag in der Woche, und zwar einen ganzen dem Anhören der Predigt und deren Wiederholung zu widmen. Auf diese Weise werden wir auch viel mehr Verständnis für die jeweilige Fortsetzung haben; es wird unsere Mühe geringer und unser Gewinn größer sein, wenn wir das Frühere noch im Gedächtnis haben, während wir bereits das Folgende hören. Denn das hilft nicht wenig zum Verständnis des Gesagten, wenn ihr die Reihenfolge der Gedanken, die wir euch entwickelt haben, genau gegenwärtig habt. Da es nämlich unmöglich ist, sie alle in einem einzigen Tag vorzubringen, so müßt ihr das, was wir in vielen Tagen euch vorlegen, im Geiste zusammenfassen, und gleichsam eine Kette daraus machen, die ihr so um die Seele legt, dass die ganze Hl. Schrift im Überblicke vor euch steht. Rufen wir uns also das Frühere nochmals ins Gedächtnis zurück, und gehen wir heute so zum Folgenden über.



2.

Welche Schriftverse kommen also heute an die Reihe? 

   "Das alles ist aber geschehen, auf dass erfüllt werde, was der Herr durch des Propheten Worte sprach." 

   Der Größe des Wunders nach Möglichkeit entsprechend rief der Engel aus: "Das alles ist aber geschehen." Da er nämlich die Tiefe und den Abgrund der Liebe Gottes schaute, das Unverhoffteste verwirklicht, die Naturgesetze aufgehoben, die Versöhnung bewirkt, den Höchsten herabgestiegen zum Niedrigsten, die trennende Wand niedergeworfen, die Hindernisse gehoben, und noch weit mehr als all dies, so faßte er das Wunder in ein einziges Wort zusammen und sprach: "Das alles ist aber geschehen, auf dass erfüllt werde, was der Herr durch des Propheten Worte sprach." Glaube nicht, will er sagen, dass all dies erst jetzt[93] beschlossen worden sei; schon seit langem waren die Vorbilder dafür erschienen. Das will ja auch der hl. Paulus bei jeder Gelegenheit nachweisen. Den Joseph verweist der Engel auf Isaias, damit er, hätte er beim Erwachen seine Worte vergessen, die erst kurz zuvor gesprochen waren, sich wenigstens der Worte des Propheten erinnere, mit denen er von Jugend auf vertraut war, und so auch des Engels Worte behielte. Der Jungfrau sagte er nichts dergleichen. Sie war ja noch ein Mädchen und hatte in diesen Dingen keine Erfahrung; mit dem Manne, der gerecht war und eifrig die Propheten las, hat er davon gesprochen. Und zuvor sagte er: "Maria, dein Weib." Dann aber, als er die Worte des Propheten erwähnt hatte, da vertraute er ihm auch den Namen der "Jungfrau" an. Joseph wäre nicht so ruhig geblieben, als er den Namen "Jungfrau" von dem Engel hörte, hätte er ihn nicht früher schon bei Isaias gelesen. Er sollte ja nichts Neues von dem Propheten erfahren, sondern etwas, das ihm längst bekannt, womit er seit langer Zeit vertraut war. Um ihm also das Gesagte annehmbar zu machen, beruft sich der Engel auf Isaias. Doch bleibt er auch dabei nicht stehen, sondern führt die Sache bis auf Gott zurück; denn nicht bloß eines Propheten Worte seien es, sondern sie kämen von Gott, dem Herrn des Weltalls. Darum sagte er auch nicht: "Auf dass erfüllt werde, was Isaias gesagt hat", sondern "was der Herr gesagt hat". Der Mund war allerdings des Isaias Mund, die Weissagung aber kam von oben. Worin besteht also diese Weissagung? "Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und man wird seinen Namen Emmanuel nennen" (Is 7,14). Warum aber, fragst du, ward er dann nicht Emmanuel genannt, sondern Jesus Christus? Weil es nicht heißt "du wirst nennen", sondern "sie werden nennen", die Leute nämlich und die tatsächlich eintretenden Ereignisse. Hier wird ihm nach der wirklichen Tatsache der Name beigelegt; denn die Hl. Schrift pflegt lieber die entsprechende Sache als bloße Namen zur Bezeichnung zu gebrauchen. Nichts anderes also bezeichnen die Worte. "Sie werden ihn Emmanuel nennen", als: Sie werden Gott mit dem Menschen schauen. Allerdings hat Gott immer mit den Menschen verkehrt, aber niemals in so sichtbarer Gestalt. Sollten die Juden sich erkühnen, dagegen Einwendungen zu machen, so werden wir sie fragen: Wann hat man denn das Kind genannt: "Beraube schnell, plündere in Eile"? Darauf werden sie keine Antwort wissen. Warum sagte also der Prophet: Gib ihm, den Namen: "Beraube schnell"?  (Is 8,3) Weil er nach seiner Geburt gleichsam eine Kriegsbeute wurde, die man verteilt; deshalb ist ihm auch im Leben das widerfahren, was sein Name besagt. 

   "Die Stadt aber", sagt der Prophet weiter, "wird die Stadt der Gerechtigkeit genannt werden, die treue Hauptstadt, Sion." Da finden wir auch nirgends, dass Sion den Namen "Stadt der Gerechtigkeit" führte, sondern sie behielt immer ihren Namen: Jerusalem. Da sie jenes aber in Wirklichkeit wurde, als sie ein besseres Jerusalem geworden war, so sagte er, sie werde mit diesem Namen genannt. Wenn nämlich ein tatsächliches Ereignis eintritt, das deutlicher als ein bloßer Name denjenigen bezeichnet, der sein Urheber ist, so sagt man, die Sache selbst habe ihm den Namen gegeben. Sollten aber die Juden, mit diesem Einwand zum Schweigen gebracht, einen anderen suchen, etwa gegen das, was wir über die Jungfrau gesagt, und uns andere Schrifterklärer entgegenhalten, die sagen, es heiße nicht: Jungfrau, sondern: junges Mädchen, so erwidern wir darauf zunächst, dass der Septuagintatext unter allen wohl mit Recht als der zuverlässigste gilt. Unsere Gegner brachten ihre Erklärung erst nach dem Erscheinen Christi vor, und blieben Juden. Es dürfte also der Verdacht nicht unbegründet sein, dass sie mehr aus Voreingenommenheit so redeten und die Propheten absichtlich entstellten. Die Siebzig aber machten sich hundert und mehr Jahre vor Christus an ihr Werk, und bei ihrer großen Anzahl sind sie über jeden solchen Verdacht erhaben, und sowohl in Anbetracht der Zeit als ihrer Zahl, sowie wegen ihrer gegenseitigen Übereinstimmung verdienen sie wohl viel eher Glauben. 

   5.3. Wenn die Juden aber auch deren Zeugnis gegen uns vorbrächten, so wäre der Sieg dennoch unser. Die Hl. Schrift pflegt nämlich auch sonst den Ausdruck, der nur Jugendlichkeit bezeichnet, für Jungfrau zu gebrauchen, und zwar nicht bloß bei Frauen, sondern auch bei Männern. So heißt es: Jünglinge und Jungfrauen, Greise und Jugendliche (Ps 148,12). Und ein andermal, wo sie von einem Mädchen redet, dem man Nachstellungen bereitet, sagt sie: Wenn das junge Mädchen, d.h. die Jungfrau, schreit (Dt 22,27). Diese Erklärung findet ihre Bestätigung in dem, was hier vorausgeht. Denn es heißt nicht einfachhin: "Siehe, eine Jungfrau wird im Schoße tragen", sondern nachdem die Hl. Schrift früher gesagt:"Siehe, der Herr selbst wird euch ein Zeichen geben", fügt sie jetzt hinzu: "Siehe, eine Jungfrau wird in ihrem Schoße tragen." Nun also, wenn sie, die da gebären sollte, keine Jungfrau war, sondern die Sache nach dem Gesetze der Natur vor sich ging, wie könnte dann das Geschehene ein Zeichen sein? Ein Zeichen muß mehr sein als das Alltägliche, muß etwas Ungewöhnliches, Außerordentliches sein. Wie wäre es denn sonst ein Wunderzeichen?



3.

V.24: "Als aber Joseph sich vom Schlafe erhob, tat er, wie der Engel des Herrn ihm befohlen hatte." 

   Siehst du da seinen Gehorsam und seinen bereitwilligen Sinn? Siehst du seine wachsame und ganz und gar rechtlich denkende Seele? Da er etwas Böses und Sündhaftes argwöhnte, wollte er die Jungfrau nicht länger behalten; als er aber von seinem Verdacht befreit worden, beharrte er auch nicht auf ihrer Entfernung; im Gegenteil, er behält sie bei sich und trägt so bei zum allgemeinen Erlösungswerk. "Und er nahm Maria, sein Weib, zu sich." Siehst du, wie häufig der Evangelist diesen Ausdruck[94] gebraucht? Er will eben, dass jenes Geheimnis nicht jetzt schon geoffenbart, und dass doch zugleich jener böse Verdacht beseitigt würde. 

   V.25: "Nachdem er sie aber zu sich genommen, erkannte er sie nicht, bis sie ihrem erstgeborenen Sohn das Leben geschenkt." 

   Das "bis" hat der Evangelist nicht in dem Sinne gebraucht, dass du etwa argwöhnen solltest, Joseph habe sie nachher erkannt, sondern damit du wissest, dass die Jungfrau vor dieser Geburt vollkommen unversehrt war. Warum hat er dann aber "bis" gesagt? Weil es zum gewöhnlichen Sprachgebrauch der Hl. Schrift gehört, dass sie diesen Ausdruck nicht bloß von fest abgegrenzten Zeiten gebraucht. Auch da, wo von der Arche die Rede ist, sagt sie: "Der Rabe kehrte nicht zurück, bis die Erde trocken war" (Gn 8,7); allein er kehrte ja auch nachher nicht zurück. Und wo sie von Gott redet, heißt es: "Von Ewigkeit bis zu Ewigkeit bist du", ohne dass sie ihm damit eine Grenze setzen wollte. Und ein anderes Mal verkündet sie: "In jenen Tagen wird Gerechtigkeit erstehen und vollkommener Friede, bis dass der Mond verschwinden wird" (Ps 71,7). Sie will aber damit diesem schönen Himmelskörper kein Ende setzen. So setzte sie also auch hier das Wörtchen "bis", was uns ganz beruhigt für die Zeit vor der Geburt, und uns für die Zeit nachher den entsprechenden Schluß ziehen läßt. Denn soviel du vom Evangelisten hattest erfahren sollen, hat er dir gesagt, dass nämlich die Jungfrau bis zur Geburt unversehrt blieb; was sich dagegen aus dem Gesagten durch deutliche Schlußfolgerung erkennen läßt, das überläßt er deiner eigenen Denkkraft; dahin gehört, dass Joseph in seiner Rechtschaffenheit es sich auch später nicht erlaubte, diejenige zu erkennen, die auf solche Weise Mutter geworden, die einer so ganz neuen Empfängnis, einer nie erhörten Mutterschaft gewürdigt worden. Denn hätte er sie erkannt und sie als sein Weib behandelt, wie hätte sie da der Herr wie eine, die frei war und niemand angehörte, dem Jünger übergeben, und ihm befohlen, sie in sein eigenes Haus zu nehmen? Wieso aber, fragst du, heißen dann Jakob und die anderen seine "Brüder"? Nun, im gleichen Sinne, wie Joseph der Mann Marias genannt wurde. Man hat eben damals noch diese[95] Geburt auf vielfache Weise verschleiern wollen. Darum gab ihnen auch Johannes diesen Namen und sagte: "Nicht einmal seine Brüder glaubten an ihn" (Jn 7,5). Trotzdem wurden aber diejenigen, die zuerst nicht glaubten, nachher gefeiert und berühmte Apostel. Als darum Paulus mit seinen Freunden nach Jerusalem kam, begab er sich alsbald zu Jakobus. Denn dieser war so angesehen, dass er der erste Bischof dort geworden war. Ja er soll auch ein so strenges Leben geführt haben, dass alle seine Glieder wie abgestorben waren, und da er unablässig betete, und dabei stets am Boden lag, sei die Haut seiner Stirne so hart geworden, wie die Schwielen an den Knien eines Kameles. Er hat auch den hl. Paulus, da er später nochmals nach Jerusalem kam, mit den Worten begrüßt: "Siehst du, Bruder, wie viele Tausende zusammen gekommen sind" (Ac 21,20). So groß war seine Einsicht und sein Eifer, oder vielmehr so groß die Macht Christi. Denn diejenigen, die ihn in seinem Leben verhöhnten, wurden nach seinem Tode so ergriffen, dass sie mit großer Bereitwilligkeit ihr Leben für ihn opferten. Das beweist am besten, welche lebendige Kraft seiner Auferstehung innewohnt. Gerade deshalb ist das größte Wunder erst später geschehen, damit dessen Beweiskraft um so deutlicher würde. Denn wenn wir solche, die wir im Leben bewundert haben, nach ihrem Tode vergessen, wie hätten diejenigen, die den Herrn im Leben verspotteten, ihn nachher für Gott halten können, wenn er nicht mehr war als alle anderen? Wie hätten sie sich um seinetwillen töten lassen, wenn sie nicht den klaren Beweis erkannt hätten, der in der Auferstehung liegt?



4.

Das sagen wir aber nicht, damit ihr es bloß hört, sondern damit ihr diese Mannhaftigkeit, diesen Freimut und diese allseitige Rechtschaffenheit nachahmet; damit keiner an sich selbst verzweifle, wenn er auch bisher in Gleichgültigkeit dahingelebt hätte; damit er nach dem Erbarmen Gottes auf nichts anderes mehr vertraue, als auf seine persönliche Tugend. Wenn diesen[96] eine außerordentliche Verwandtschaft, aus der gleichen Familie und der gleichen Heimat wie Christus, nichts genützt hat, bevor sie nicht persönliche Tugendhaftigkeit aufweisen konnten, wie können dann wir auf Nachsicht rechnen, wenn wir nur die Heiligkeit unserer Brüder aufweisen können, ohne aber selbst zu sein, wie sich's gehört, ohne selbst tugendhaft zu leben? Gerade darauf hat der Prophet hingewiesen, wenn er sagte: "Nicht der Bruder wird loskaufen, sondern der Mensch" (Ps 48,7), und wäre dein Bruder auch Moses, Daniel oder Jeremias. Höre nur, was Gott zu diesem letzteren spricht: "Bitte nicht für dieses Volk, denn ich werde dich nicht erhören" (Jr 11,14). Was wunderst du dich also, so sagt der Herr, wenn ich dich nicht erhöre? Ja wäre Moses selbst zugegen mit Samuel, ich würde ihre Fürbitte für dieses Volk nicht annehmen. Und stünde selbst ein Ezechiel für sie ein, er müßte[97] hören: "Wenn auch Noe, Job und Daniel vor mich träten, ihre Söhne und Töchter werden sie nicht retten" (Ez 14,14 Ez 14,16). Ja, käme selbst der Patriarch Abraham und bäte für diese Unheilbaren und Unbußfertigen, Gott ließe ihn stehen und entfernte sich, um seine Bitte für sie nicht zu hören. Und nochmals, wenn Samuel dies täte, er würde ihm sagen: "Hab kein Erbarmen mit Saul" (1S 16,1). Ja selbst wer für seine Schwester bäte, ohne dass es Gott gefällt, bekäme zu hören, was Moses hörte: "Wenn ihr eigener Vater ihr ins Angesicht gespieen hätte" (Nb 12,14). 

   Schauen wir also nicht hilfelechzend auf andere. Die Gebete der Heiligen haben gewaltige Macht, aber auch nur, wenn wir Reue besitzen und uns bessern. Selbst Moses konnte zwar seinen eigenen Bruder und sechhunderttausend Menschen vor dem Zorne Gottes retten, seiner eigenen Schwester vermochte er nicht zu helfen; und doch war ihre Sünde nicht die gleiche; sie hatte gegen Moses gefehlt, jene hatten es gewagt, gegen Gott zu freveln. Die Erklärung dafür überlasse ich euch. Dafür will ich eine noch viel schwerere Frage zu lösen versuchen. Was brauchen wir von Moses Schwester zu reden? Hat ja doch der Führer dieses so zahlreichen Volkes nicht einmal sich selbst zu helfen vermocht. Nach tausenderlei Anstrengungen und Mühseligkeiten, nach vierzigjähriger Führerschaft ward es ihm verwehrt, das Land zu betreten, das der Gegenstand so vieler froher Verheißungen gewesen. Warum dies? Diese Gunst hätte keine guten, sondern ganz schlimme Folgen gehabt; sie hätte manchen Juden zum Falle gedient. Wenn sie nämlich schon ob ihrer bloßen Befreiung aus Ägypten Gott vergaßen und dem Moses anhängen wollten und ihm das ganze Verdienst zuschrieben, was für Abgötterei hätten sie nicht erst mit ihm getrieben, wenn er sie auch noch ins Land der Verheißung geführt hätte? Deshalb ist nicht einmal sein Grab bekannt geworden. 

   Auch Samuel hat den Saul nicht vor dem himmlischen Zorn zu schützen vermocht; die Israeliten dagegen hat er oftmals davor gerettet. Jeremias im Gegenteil konnte den Juden nicht helfen, einen anderen aber schützte er, wie wir aus seiner Prophetie erkennen. Daniel befreite die Barbaren aus Todesgefahr, die Juden konnte er nicht vor Gefangenschaft bewahren. Auch im Evangelium sehen wir, wie manche nicht an anderen, sondern an sich selbst beides erfahren mußten; wie ein und dieselbe Person das eine Mal sich aus der Gefahr befreien konnte, das andere Mal in ihr unterging: So konnte der Knecht, der zehntausend Talente schuldig war, sich das erste Mal durch Bitten aus seiner Not befreien; ein zweites Mal aber nicht. Umgekehrt konnte ein anderer, der sich zuerst ganz zugrunde gerichtet hatte, nachher ganz bedeutende Hilfe erlangen. Wer war dies? Der, welcher das väterliche Vermögen verschwendet hatte. Wenn wir also leichtfertig leben, so können wir auch durch fremde Hilfe keine Rettung mehr finden; sind wir aber besonnen, so können wir uns selber helfen, und zwar noch besser als durch fremde Hilfe. Auch Gott will ja seine Gnade lieber gleich uns selber geben, als anderen für uns. Denn dadurch sollen wir auch an Zutrauen gewinnen und besser werden, dass wir uns bemühen, einen Zorn zu besänftigen. So hat sich der Herr des chananäischen Weibes erbarmt, so hat er der Ehebrecherin geholfen und dem Räuber, ohne dass jemand den Mittler und Fürsprecher machte.



5.

Damit will ich aber nicht sagen, dass wir die Heiligen nicht anrufen sollen, sondern nur, dass wir nicht gleichgültig werden sollen und uns nicht gehen lassen, dass wir nicht einschlafen und nicht ausschließlich anderen die Sorge um unser Seelenheil überlassen dürfen. Denn wenn der Herr sagt:"Macht euch Freunde", so bleibt er dabei nicht stehen, sondern fügt hinzu "vom ungerechten Mammon" (Lc 16,9), damit auch da die Sache dein eigenes Verdienst werde; denn er wollte damit nichts anderes andeuten als das Almosengeben. Und dabei muß man sich noch verwundern, dass er nicht einmal große Anforderungen stellt, wenn wir nur von dem Unrecht lassen wollen. Er sagt nur gleichsam: Hast du dein Geld auf unrechte Weise erworben? Verwende es zu guten Zwecken! Hast du ungerechtes Gut zusammengerafft? Teile es auf gerechte Weise aus. Und doch! Was soll da für eine Tugend dabei sein, wenn man mit solchem Gelde Almosen gibt? Gleichwohl geht Gott in seiner Liebe soweit, dass er sogar damit zufrieden ist; wenn wir nur wenigstens das tun, verspricht er uns schon großen Lohn. Wir freilich sind schon so verhärtet, dass wir nicht einmal von unserem ungerechten Besitz etwas hergeben wollen; und wenn wir tausendfach unrecht Gut erworben haben, so glauben wir doch unserer Pflicht schon vollauf genügt zu haben, wenn wir auch nur einen noch so geringen Teil davon opfern. Hast du denn nicht gehört, wie Paulus sagt: "Wer sparsam säet, wird auch sparsam ernten" (2Co 9,6). Warum bist du also so karg? Ist denn das Almosen ein bloßer Aufwand? ist es eine einfache Auslage? Nein, ein Gewinn ist es und ein gutes Geschäft. Wo aber ein Geschäft ist, da ist auch Erwerb; wo eine Aussaat ist, da ist auch eine Ernte. Wenn nun du ein fettes, fruchtbares Land bebauen wolltest, auf dem man gar viel anpflanzen kann, so würdest du allen vorrätigen Samen ausstreuen, und sogar noch bei anderen entlehnen, und würdest alle Sparsamkeit in dieser Beziehung für Verlust ansehen. Da du nun aber für den Himmel anbauen sollst, wo es keine schlechte Witterung gibt, wo alle Aussaat mit reichlichem Gewinn zurückkommt, da zögerst du und zauderst und denkst nicht, dass hier Sparsamkeit Verlust ist und Verschwendung Gewinn. 

   Streue also aus, damit du nichts verlierest, behalte nicht, damit du bewahrest; wirf es von dir, damit du es behaltest; gib aus, damit du einnehmest. Und wenn schon jemand diese zeitlichen Güter behüten muß, behüte sie wenigstens du nicht; du würdest alles verlieren: übergib dein Eigentum viel lieber Gott; ihm raubt es niemand. Betreib wenigstens du keine weltlichen Geschäfte, du verstehst doch keinen Gewinn zu machen. Leihe dem, der dir mehr Zins gibt, als dein Kapital beträgt. Leihe da, wo kein Neid ist, kein Streit, keine Hinterlist, keine Gefahr. Leihe dem, der nichts benötigt, und es doch um deinetwillen bedarf; dem, der alle Menschen nährt, der hungert, damit du nicht zu darben brauchst, der arm ist, damit du reich würdest. Leihe dahin, wo es keinen Tod gibt, wo man das Leben für den Tod erntet. Diese Zinsen verschaffen dir den Himmel, jene die Hölle; denn die einen sind die Frucht des Wuchers, die anderen die der Frömmigkeit; diese entspringen der Hartherzigkeit, jene der Liebe. Welche Entschuldigung können wir also vorbringen, wenn wir die Möglichkeit haben, Gewinn zu machen, in vollkommener Sicherheit, zu einer Zeit, die uns am gelegensten ist, in aller Freiheit, ohne Spott, ohne Furcht und Gefahr, wir aber Gewinn Gewinn sein lassen und nur jenen schändlichen, niedrigen, verführerischen, betrügerischen Dingen nachgehen, die uns nur ein gewaltiges Höllenfeuer eintragen? 

   Es gibt in der Tat nichts Schändlicheres, nichts Hartherzigeres als irdische Wucherzinsen. Wer die betreibt, der macht mit fremden Elend sein Geschäft, zieht Nutzen aus dem Unglück seines Nächsten, läßt sich einen Liebesdienst bezahlen, gerade als hätte er Angst, man möchte ihn für barmherzig halten, macht unter dem Scheine der Liebe das Unglück nur noch größer, stürzt in Armut, dadurch dass er hilft, stößt den anderen zurück, dadurch dass er ihm die Hand reicht, und während er ihn in den Hafen aufzunehmen scheint, überantwortet er ihn dem Schiffbruch, den Klippen, Riffen und Felsen. Aber was willst du dann, dass wir tun sollen, fragst du? Sollen wir das Geld, das wir zusammengespart haben und das uns Zinsen trägt, einem anderen geben, damit er damit wirtschafte, ohne für uns einen Lohn zu verlangen? Nein, durchaus nicht; das sage ich nicht; im Gegenteil, ich will, dass du recht hohe Zinsen nehmest, keine alltäglichen und niedrigen, sondern viel höhere; ich will, dass du statt des Goldes den Himmel als Zins annehmest. Was verurteilst du also dich selber zur Armut, indem du am Irdischen klebst, dem Niedrigen nachjagst, statt dem Großen? Das tut nur der, der nicht weiß, wo der wirkliche Reichtum zu finden ist. Wenn Gott dir für ein bißchen Geld die Güter des Himmels verheißt, und du erwiderst ihm: Nein, gib mir nicht den Himmel, sondern statt des Himmels das vergängliche Gold, so kann eben das nur einer sagen, der arm bleiben will. Wer dagegen nach wirklichem Reichtum und Wohlstand verlangt, der wird das Bleibende dem Vergänglichen, die Einnahme den Ausgaben, den Reichtum der Armut, das Unvergängliche dem Vergänglichen vorziehen. Dann wird ihm auch das andere zufallen. Denn wer die Erde dem Himmel vorzieht, wird auch jene vollständig verlieren; wer aber diesen über jene stellt, wird beide in reichlichster Fülle zu genießen bekommen. Damit also das auch bei uns zutreffe, wollen wir alle irdischen Güter verachten, und den zukünftigen den Vorrang geben. Dann werden wir der einen wie der anderen teilhaft werden, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!





Sechste Homilie. Kap. II, V.1-3.

6 Mt 2,1-3
1.

V.1: "Nachdem Jesus geboren ward zu Bethlehem in Judäa in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Magier aus dem Morgenland nach Jerusalem und sagten: 

  V.2: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen, und sind gekommen, ihn anzubeten." 

   Angestrengtes Studium und viel Gebet ist notwendig, um den Sinn der vorliegenden Stelle zu verstehen, um herauszufinden, wer diese Magier sind, woher sie kommen, wie und von wem sie dazu veranlaßt wurden, und was für ein Stern sie hergeführt? Wenn es euch aber gefällt, wollen wir zuerst lieber hören, was die Gegner der Wahrheit vorzubringen haben. Denn sie hat der Teufel so sehr in seinem Banne, dass er sie auch hier wieder veranlaßte, gegen die Wahrheit ins Feld zu ziehen, Was sagen sie also? Siehe, so lautet ihr Einwand, auch bei der Geburt Christi ist ein Stern erschienen; das ist also ein Beweis, dass es mit der Astrologie[98] seine gute Bewandtnis hat. Warum hat also dann Christus die Astrologie verboten, wenn er doch nach deren Gesetz geboren wurde; warum hat er den Glauben an das Fatum verworfen, die bösen Geister zum Schweigen gebracht, den Irrtum verscheucht und alle derartigen Zauberkünste vernichtet? Und was ist es denn, das die Magier aus den Sternen selbst gelesen? Dass Christus der König der Juden sei? Aber er war ja nicht die König eines irdischen Reiches wie er selbst auch dem Pilatus geantwortet hat: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" (Jn 18,36). Auch hat er sich gar nicht als König gezeigt. Keine Speerträger, keine Schildknappen, keine Pferde, keine Gespanne von Mauleseln, nichts dergleichen hatte er um sich. Dafür war sein Leben unansehnlich und arm, und nur 12 Männer aus dem gewöhnlichen Volk bildeten seine Begleitung. 

   Wenn sie aber auch gewußt hatten, dass er ein König ist, weshalb kommen sie überhaupt? Denn die Aufgabe der Sternkunde besteht ja, wie man sagt, nicht darin, aus den Sternen zu sehen, dass jemand geboren ward, sondern aus der Stunde der Geburt die Zukunft vorherzusagen. Die Magier aber waren weder zugegen, solange die Mutter in Schwangerschaft war, noch kannten sie die Zeit der Geburt, und ebensowenig diente ihnen diese als Anhaltspunkt, aus der Bewegung der Sterne die Zukunft vorherzusagen. Im Gegenteil, sie hatten den Stern lange vorher in ihrem Lande erscheinen sehen, und kamen erst dann, das Kind zu sehen; ein Umstand, der sicher noch viel schwieriger zu erklären sein dürfte als das Frühere. Denn was in aller Welt konnte sie dazu veranlassen, was konnten sie Gutes davon erwarten, einem König zu huldigen, der so weit entfernt war? Wenn es wenigstens ihr eigener, zukünftiger König gewesen wäre; aber selbst dann hätte ihr Verhalten kaum einen Sinn gehabt. Wenn in ihrem eigenen Königshause ein Kind geboren worden und sein königlicher Vater anwesend gewesen wäre, dann könnte wohl einer vernünftigerweise sagen, sie hätten den Vater ehren wollen, indem sie dem neugeborenen Kinde ihre Huldigung darbrachten, und hätten die Absicht gehabt, sich dadurch das besondere Wohlwollen des Königs zu sichern. In diesem Falle aber konnten sie unmöglich erwarten, das neugeborene Kind könne jemals ihr König werden, sondern höchstens der eines ganz fremden Volkes, das weit entfernt von ihrem eigenen Lande wohnte. Ja sie mußten sehen, dass es noch nicht einmal zum Manne herangewachsen war. Weshalb unternehmen sie also da eine so weite Reise, bringen Geschenke dar, und setzen sich bei all dem noch Gefahren aus? Als nämlich Herodes von ihnen hörte, erschrak er und auch das ganze Volk geriet bei dieser Nachricht in Aufregung. Nun, das haben sie eben nicht vorausgesehen, meinst du. Aber das wäre ja eine Torheit! Denn wenn sie auch noch so einfältig gewesen wären,. soviel mußten sie doch wissen, dass sie eine Stadt betraten, die bereits einen König hatte. Wenn sie also unter solchen Umständen mit einer solchen Botschaft kamen, und verlauten ließen, es sei noch ein anderer König da als der, der dort regierte, mußten sie da nicht tausendfache Todesgefahr wider sich heraufbeschwören? Und wie kamen sie vollends dazu, vor einem Kind ihr Knie zu beugen, das noch in Windeln lag? Wäre es wenigstens ein Mann gewesen, so könnte man sagen, sie hätten sich deshalb in offene Gefahr gestürzt, weil sie Hilfe von ihm erwarteten. Doch auch das wäre äußerst töricht gewesen, dass ein Perser, ein Barbar, einer der mit dem jüdischen Volke gar nichts zu tun hatte, sein Haus verlassen, seiner Heimat, seinen Verwandten und Bekannten entsagen und sich unter die Herrschaft eines fremden Königs stellen sollte.



2.

Wenn aber schon das unbegreiflich gewesen wäre, so wäre das Folgende noch viel törichter. Und was wäre das? Dass sie nach einer so langen Reise alsbald wieder fortgingen, kaum, dass sie das Kind angebetet und alle Welt in Schrecken versetzt hatten. Und welche königlichen Abzeichen hatten sie den wahrgenommen? Eine armselige Hütte, eine Krippe, ein Kind in Windeln eingewickelt, und eine arme Mutter. Wem haben sie aber da ihre Geschenke gebracht und weshalb? War es vielleicht Gesetz und Brauch, alle Königskinder, die irgendwo auf die Welt kamen, so zu ehren? Oder hatten sie nichts anderes zu tun, als fortwährend in der Welt herumzureisen, um denjenigen, und wären sie auch niedrig und arm, ihre Huldigung darzubringen, von denen sie wußten, sie würden einmal Könige werden, und dies selbst dann, wenn dieselben noch in niedrigen, armseligen Verhältnissen lebten, und noch nicht einmal den Königsthron wirklich bestiegen hatten? Das wird doch wohl niemand behaupten wollen. Warum aber kamen sie zur Huldigung? Wenn aus irdischen Motiven, was konnten sie da wohl von dem Kinde und seiner armen Mutter erhoffen? Wenn aber der Zukunft wegen, woher konnten sie wissen, dass das Kind, das bei ihrer Huldigung in Windeln lag, sich das Geschehenen später noch erinnern werde? Und hätten sie auch erwartet, die Mutter werde es daran erinnern, sie hätten auch so nicht Lob, sondern Strafe verdient, weil sie dasselbe in offenbare Gefahr gebracht haben. Von diesem Augenblick an hat ja Herodes in seiner Bestürzung alles versucht und alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seiner habhaft zu werden. Wer eben einen Menschen, der von Jugend auf arm und einfach lebte, überall als zukünftigen König ausposaunt, der liefert ihn damit nur dem Tode aus, und verursacht ihm tausenderlei Gefahren. Siehst du also, wie viele Unmöglichkeiten sich ergeben, wenn wir diese Sache nur nach menschlichen Gesichtspunkten und nach gewöhnlicher Art beurteilen? Aber nicht bloß das, sondern noch viel mehr könnte man darüber sagen, was uns noch weit größere Rätsel aufgäbe. 

   Damit wir euch aber nicht durch Häufung von Schwierigkeiten verwirrt machen, so wollen wir jetzt an die Lösung der aufgeworfenen Fragen gehen, und dabei gleich mit dem Sterne den Anfang machen. Denn wenn wir einmal wissen, was das für ein Stern war, woher er kam, ob er nur ein gewöhnlicher Stern war, oder verschieden von den andern, ob es ein wirklicher oder nur ein scheinbarer Stern war, dann werden wir auch alles andere leicht verstehen. Wer soll uns also das beantworten? Die Hl. Schrift selber. Dass nämlich dies kein gewöhnlicher Stern war, ja, wie mir scheint, überhaupt kein Stern, sondern eine unsichtbare Macht, die diese Gestalt angenommen hatte, das scheint mir zu allernächst aus dem Wege hervorzugehen, den er genommen hatte. Es gibt nämlich keinen einzigen Stern, der in dieser Richtung wandelte. Die Sonne, der Mond, und alle anderen Gestirne wandeln, wie der Augenschein lehrt, von Osten nach Westen; der aber kam von Norden nach Süden; denn das ist die Richtung von Persien nach Palästina. Zweitens kann man dies auch aus der Zeit seines Erscheinens schließen. Denn nicht bei Nacht leuchtete er, sondern am hellen Tage, während die Sonne schien. Das geht über die Kraft eines Sternes, ja selbst über die des Mondes; denn obgleich dieser weit heller scheint als alle Sterne, so verschwindet er doch und wird unsichtbar, sobald der erste Sonnenstrahl erscheint. Dieser Stern jedoch hat durch die Macht seines eigenen Glanzes selbst die Strahlen der Sonne übertroffen, hat heller geschienen als sie, und trotz solcher Lichtfülle noch mächtiger geleuchtet. 

   Drittens kann man dies daran erkennen, dass er zuerst erscheint und dann wieder verschwindet. Auf dem Wege bis Palästina hat er den Magiern geleuchtet und sie geführt, nachdem sie aber in die Nähe von Jerusalem gekommen waren, verbarg er sich. Als sie dann aber den Herodes über den Zweck ihrer Reise unterrichtet und von ihm fortgegangen waren, da erschien der Stern von neuem. So bewegen sich aber Sterne nicht; das kann nur eine mit großer Einsicht begabte Kraft. Der Stern hatte ja nicht einmal seine eigene Wegrichtung, sondern jedesmal, wenn die Magier sich in Marsch setzen mußten, bewegte auch er sich vorwärts; wenn sie aber stille standen, stand auch wer still und richtete sich ganz nach dem, wie sie es brauchten; gerade so wie die Wolkensäule, die dem jüdischen Heere zeigte, wann es rasten und wann es aufbrechen sollte. Viertens kann man dies deutlich erkennen an der Art und Weise, wie der Stern sich zeigte. Er blieb nicht in der Höhe und zeigte von da aus den Ort, sonst hätten ihn ja die Magier auch gar nicht erkennen können; nein, er kam zu diesem Zweck herab in die Tiefe. Ihr wißt ja, dass ein Stern einen Ort nicht anzeigen kann, der so klein ist, dass gerade noch eine Hütte auf ihm Platz hat, oder vielmehr, dass er eben noch den Leib eines kleinen Kindes aufnehmen kann. Da er so unermeßlich hoch oben ist, ist er nicht geeignet, einen so eng begrenzten Ort zu bezeichnen und für die kenntlich zu machen, die ihn suchten. Das kann man ja auch beim Monde beobachten; obwohl er alle Sterne an Größe überragt, scheint er doch allen Bewohnern der Welt nahe zu sein, obwohl sie über einen so großen Teil der Erdoberfläche zerstreut leben. Wie hätte also unser Stern den schmalen Raum andeuten können, den die Krippe und die Hütte einnahmen, wenn er nicht von der Höhe herabgekommen und über dem Haupte des Kindes stehen geblieben wäre? Das wollte denn auch der Evangelist andeuten, da er sagte: 

   V.9: "Siehe, der Stern ging ihnen voran, bis er an dem Ort stille stand, an dem das Kind sich befand." 

   Siehst du, mit wie vielen Gründen man beweisen kann, dass dies kein gewöhnlicher Stern war, und dass er sich nicht den Gesetzen der sichtbaren Schöpfung unterworfen zeigte?



3.

Und nun! Weshalb erschien denn der Stern? Um die Gefühllosigkeit der Juden etwas aufzuregen und ihnen jede Möglichkeit einer Entschuldigung für ihre Verblendung zu benehmen. Da nämlich der, der da kommen sollte, den Alten Bund auflösen wollte, und die ganze Welt einlud, ihm zu huldigen, und auch überall zu Wasser und zu Land angebetet werden sollte, so öffnete er von Anfang an auch den Heiden das Tor, weil er durch die Fremden die eigenen Stammesgenossen belehren wollte. Denn obwohl sie durch die Propheten fortwährend seine Ankunft hatten verkünden hören, gaben sie doch nicht recht darauf acht. Darum berief er Barbaren aus fernem Lande, damit sie den König suchten, der unter ihnen weilte, und aus persischem Munde mußten sie zuerst vernehmen, was sie von den Propheten nicht hatten lernen wollen. Dies geschah deshalb, damit sie einen möglichst starken Ansporn zum Gehorsam hätten, falls sie zur Einsicht kommen wollten, aber auch jeder Entschuldigung bar wären, wenn sie verstockt blieben. Oder was konnten sie dennoch als Entschuldigung vorbringen, nachdem sie trotz so vieler Propheten doch nicht an Christus glaubten und nun sehen müssen, wie die Magier auf die Erscheinung eines einzigen Sternes hin sich zu ihm bekennen und den Erschienenen anbeten? Wie er es also mit den Niniviten machte, zu denen er den Jonas sandte, und wie er mit der Samariterin und der Chananäerin tat, so machte er es auch jetzt mit den Magiern. Denn deshalb hat er gesagt: "Die Einwohner von Ninive werden aufstehen zum Gericht, und die Königin des Ostens wird sich erheben und dieses Geschlecht verdammen" (Mt 12,41-42). Denn jene haben auf geringe Zeichen hin geglaubt, diese nicht einmal auf große. Warum aber führte der Herr die Magier durch eine solche Erscheinung? Aber was hätte er anders tun sollen? Propheten zu ihnen schicken? Die Magier hätten den Propheten schwerlich geglaubt. Durch eine Stimme von oben zu ihnen reden? Sie hätten nicht darauf geachtet. Ihnen einen Engel senden? Auch auf einen solchen hätten sie schwerlich gehört. Darum hat Gott von all dem abgesehen, hat dafür ihrer Verfassung vollkommen Rechnung getragen und sie durch Dinge gerufen, an die sie gewöhnt waren. Darum zeigte er ihnen einen großen, von den andern verschiedenen Stern, der ihnen durch seine Größe wie durch die Schönheit seines Anblicks und die Richtung seines Laufes auffallen mußte. So hat es auch der hl. Paulus gemacht. Er hat mit den Griechen von ihrem Altar geredet und ihre Poeten als Zeugen angeführt: mit den Juden verhandelte er über die Beschneidung, und beginnt seinen Unterricht für die, die unter dem Gesetze lebten, mit den Opfern. Da nämlich jeder das liebt, womit er seit langem vertraut ist, so schlagen auch Gott sowie die Menschen, die er zur Rettung der Welt gesandt hat, diesen Weg ein. Glaube also nicht, es sei Gottes unwürdig gewesen, die Magier durch einen Stern zu rufen. Sonst verurteilst du damit auch den ganzen Alten Bund, die Opfer, die Reinigungen, die Neumondfeste, die Bundeslade, ja selbst den Tempel. Denn das alles hat in ihrer heidnischen Anhänglichkeit an das Sinnenfällige seinen Grund und Ursprung gehabt. Gleichwohl hat es Gott zur Rettung der Verirrten geduldet, dass er durch solche Dinge verehrt werde, durch die die Heiden die Dämonen verehrten; dabei hat er nur ein wenig daran geändert, um die Juden durch eine leichte Abkehr von ihren Gewohnheiten zu der höheren Weisheit zu führen. So hat er es denn auch bei den Magiern gemacht, die er aus Entgegenkommen durch einen Stern rief, um sie dann für Höheres empfänglich zu machen. 

   Nachdem also Gott sie geführt und geleitet und bis zur Krippe gebracht hat, verkehrt er nicht länger durch einen Stern mit ihnen, sondern durch einen Engel; und hebt sie so langsam auf eine höhere Stufe empor. Gerade so machte es Gott mit den Bewohnern von Askalon und Gaza. Als nämlich jene fünf Städte bei der Ankunft der Bundeslade von schwerer Plage getroffen wurden und keine Rettung aus dem drückenden Unheil finden konnten, beriefen sie ihre Wahrsager, hielten eine Versammlung ab und suchten Befreiung von jenem gottverhängten Verderben. Da befahlen die Wahrsager, man solle junge, ungezähmte Kühe, die zum erstenmal geboren hätten, vor die Bundeslade spannen und sie ohne Führer gehen lassen. Dadurch würde es offenbar, ob die Plage von Gott gesandt oder eine zufällig entstandene Krankheit sei.[99] So also sprachen die Wahrsager, und die Bewohner jener Städte glaubten es und taten, wie sie geheißen waren. Und Gott zeigte sich auch hier wieder entgegenkommend, nahm die Entscheidung der Wahrsager an und hielt es seiner nicht unwürdig, mit deren Vorschlag Ernst zu machen, und ihren Ansprüchen den Schein der Glaubwürdigkeit zu geben. Gerade dadurch ward ja seine Tat noch größer, dass sogar Heiden die Macht Gottes bezeugen mußten, und ihre Lehrer ihm Zeugnis gaben. Noch viele andere Fälle könnte man beobachten, in denen es Gott ähnlich gemacht hat. So hat er z.B. im Falle der Wahrsagerin  (1S 28) in einer Weise gehandelt, die ihr euch jetzt, nach dem bisher Gesagten, selber erklären könnt. Ich habe also all dies wegen des Sternes erwähnt; ihr selbst könntet aber noch mehr darüber sagen, denn: "Gib dem Weisen eine Gelegenheit, und er wird noch weiser sein" (Pr 9,9).



4.

Indes müssen wir wieder zum Anfang unserer Lesung zurückkehren. Wie lautete er doch? "Als aber Jesus geboren ward zu Bethlehem in Judäa, in den Tagen des Königs Herodes, siehe da kamen Magier aus dem Morgenlande nach Jerusalem." Die Magier folgten dem Sterne, der sie führte; die Juden dagegen glaubten nicht einmal der Stimme der Propheten. Weshalb gibt uns der Evangelist aber auch die Zeit an und den Ort? "In Bethlehem", sagt er, und "in den Tagen des Königs Herodes"; und weshalb fügt er auch noch dessen königliche Würde bei? Seine Würde deshalb, weil es auch einen anderen Herodes gab, der den Johannes hatte töten lassen; Jener war aber Tetrarch, dieser König. Den Ort und die Zeit fügt er aber bei, um uns an alte Prophetien zu erinnern. Die eine davon stammt von Michäas, der da sagt: "Und du Bethlehem im Lande Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Juda's" (Mi 5,2). Die andere Prophetie erging durch den Patriarchen Jakob, der uns ganz genau die Zeit angibt und das große Wunderzeichen beschriebt, das sein Erscheinen begleitet. Er sagt: "Nicht wird die Herrschaft von Juda weichen, noch ein Führer fehlen aus seinem Stamme, bis derjenige kommt, der da auserwählt ist: und auf ihn harren die Völker" (Gn 49,10). Es lohnt sich aber auch, zu untersuchen, woher die Magier zu so hoher Einsicht kamen, und wer sie darauf hingewiesen hat? Mir scheint nämlich, der Stern allein habe nicht alles getan, sondern es habe auch Gott selbst in ihren Seelen gewirkt, so wie er es bei Kyrus gemacht hat, den er dazu bewog, die Juden aus der Gefangenschaft zu entlassen. Das hat er aber nicht so getan, dass er dadurch dessen Freiheit beeinträchtigte; denn, auch als er den Paulus durch eine Stimme von oben rief, hat sich in gleicher Weise die Wirkung seiner Gnade wie dessen Gehorsam betätigt. Aber warum, fragst du, hat er dies nicht allen Magiern geoffenbart? Weil auch nicht alle bereit waren zu glauben, sondern diese waren bereitwilliger als alle anderen. Es sind ja auch Millionen Menschen zugrunde gegangen, und zu den Niniviten allein ward der Prophet gesandt: zwei Räuber hingen am Kreuze, der eine nur ward gerettet. Bewundere also die Tugend dieser Magier, und zwar nicht sowohl, dass sie kamen, als vielmehr, dass sie dabei so furchtlos und unbefangen waren. Um nämlich nicht den Schein aufkommen zu lassen, als seien sie nur Betrüger, so erklären sie offen, wer sie geführt hat, wie weit sie herkommen, und geben ein Beweis ihrer Unerschrockenheit, indem sie sagen: "Wir sind gekommen, ihn anzubeten", und dabei fürchten sie weder den Zorn des Volkes, noch die Tyrannei des Königs. Deshalb glaube ich, dass sie auch zu Hause die Lehrer ihrer Stammesgenossen wurden. Denn wenn sie sich hier nicht scheuten, so zu sprechen,. so werden sie mit um so größerem Freimut in ihrem eigenen Lande geredet haben, zumal nachdem sie noch die Mitteilung des Engels und das Zeugnis des Propheten erhalten hatten. 

   V.3: "Als aber Herodes dies gehört hatte, heißt es weiter, erschrak er und ganz Jerusalem mit ihm." 

   Herodes erschrak allerdings mit Recht; er war ja König und fürchtete für sich und seine Kinder. Weshalb aber Jerusalem? Ihm hatten ja doch die Propheten von alters her vorausgesagt, der Neugeborene werde sein Erlöser, sein Wohltäter, sein Befreier sein. Weshalb erschraken sie also? Weil sie geradeso gesinnt waren wie ihre Väter, die sich von Gott und seinen Gaben abwandten, und sich nach den ägyptischen Fleischtöpfen sehnten, obwohl sie so große Freiheit genossen (Ex 16,3). Du aber beachte, wie genau die Propheten sind. Denn gerade das hat der Prophet ebenfalls lange vorher gesagt mit den Worten: "Sie werden darnach verlangen im Feuer verbrannt zu werden; denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt" (Is 9,56). Trotzdem sie aber erschraken, haben sie doch kein Verlangen, zu sehen, was geschehen ist, sie folgen den Magiern nicht und kümmern sich nicht um sie. So sehr waren sie unter allen Menschen zugleich die hochmütigsten und leichtfertigsten. Sie hätten sich je eigentlich rühmen sollen, dass dieser König bei ihnen geboren worden, dass er sogar Persien an sich zog, dass die ganze Welt ihnen würde untertan werden, da ja die Dinge sich bereits zum Besseren wandten, und sein Reich schon im Entstehen solchen Glanz aufwies; sie rührte aber von all dem nichts. Und doch war es noch gar nicht so lange her, dass sie aus persischer[100] Gefangenschaft befreit waren; und selbst wenn sie nichts von den unaussprechlichen, hohen Geheimnissen wußten, hätten sie nur aus dem Vorliegenden einen Schluß ziehen wollen, so hätten sie sich denken müssen: Wenn sie vor unserem König schon bei seiner Geburt so zittern, so werden sie ihn noch viel mehr fürchten und ihm gehorchen, wenn er einmal groß geworden, und dann werden wir noch glorreicher dastehen als die Barbaren. Aber nichts von all dem regt sie an, so gleichgültig waren sie und doch dabei so voll Neid. Diese beiden Laster müssen wir also mit aller Sorgfalt aus unserer Seele ausrotten, und stärker als Feuer muß derjenige sein, der gegen solche Feinde Stand halten will. Darum sagte auch Christus: "Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu senden; und was will ich anders, als dass es brenne?" (Lc 12,49). Deshalb erschien auch der Hl. Geist in Feuergestalt.



5.

Wir dagegen sind kälter geworden als Asche, lebloser als die Toten; und das obgleich wir das Beispiel des hl. Paulus vor Augen haben, der himmelhoch, ja über alle Himmel hin den Flug genommen, der stärker war als das stärkste Feuer, der über alles siegreich hinwegschritt, über Höhe und Tiefe, über Gegenwart und Zukunft, über das, was ist, und was nicht ist" (Rm 8,38-39). Sollte dir aber dieses Vorbild zu hoch sein, so wäre immerhin auch das schon ein Zeichen religiöser Trägheit;[101] Indessen wollen wir nicht miteinander streiten, sondern den hl. Paulus übergehen und die ersten Christen betrachten, die ihr Vermögen und ihren Besitz, ihre Sorgen und jedes irdische Geschäft von sich warfen und sich ganz Gott hingaben und Tag und Nacht der Verkündigung des Gotteswortes oblagen. So ist eben das geistige Feuer. Kein Verlangen nach irdischen Dingen läßt es aufkommen, sondern drängt unsere Liebe auf ein anderes Gebiet. Wen einmal diese Liebe erfaßt hat, der ist zu allem willig bereit, und müßte er sein ganzes Vermögen preisgeben, müßte er Reichtum und Ehrenstellen verachten, ja selbst sein Leben zum Opfer bringen. Die Glut dieses Feuers dringt in die Seele ein, verdrängt daraus alle Trägheit, und macht leichter als eine Feder, wen sie einmal ergriffen. Ein solcher schaut über alles Irdische hinweg und verharrt in innerer Zerknirschung, vergießt unaufhörliche Ströme von Tränen und schöpft aus all dem eine mächtige innere Freude. Denn nichts verbindet und einigt so sehr mit Gott als solche Tränen. Wohnte ein solcher auch mitten in Städten, er lebte doch gleich denen, die in der Wüste, auf den Bergeshöhen oder in einsamen Talschluchten wohnen; er achtet nicht auf die, so um ihn sind und wird seiner freudevollen Trauer niemals satt, ob er nun über seine eigenen Sünden weint oder über fremde. Darum hat Gott solche Menschen vor allen anderen glücklich gepriesen und gesagt: "Selig sind die Trauernden" (Mt 5,5). Ebenso sagt auch Paulus: "Freuet euch immerdar im Herrn" (Ph 4,4); er meinte damit die Freude, die diesen Tränen entströmt. Wie die weltliche Freude nur Trauer in ihrem Gefolge hat, so sproßt aus den Tränen, die man um Gottes willen weint, nur immerwährende unversiegliche Freude. 

   So wurde auch die Hure heiliger als manche Jungfrauen, nachdem sie von diesem Feuer erfaßt worden. Denn da sie von heißer Reue erfüllt war, so entbrannte sie nur noch von Liebe zu Christus, löste ihre Haare auf, benetzte seine heiligen Füße mit Tränen, trocknete sie mit den eigenen Haaren und goß die Salbe darüber aus. Das alles war aber nur der äußere Vorgang, was in ihrer Seele vorging, war noch viel inbrünstiger, und Gott allein hat es gesehen. Darum freut sich auch jeder mit ihr, der davon hört, ist glücklich ob ihrer Tat, und verzeiht ihr all ihre frühere Schuld. Wenn aber schon wir so urteilen, die wir doch böse sind (Lc 11,13), so bedenke, was Gott in seiner Liebe ihr nicht verliehen haben wird und welche Gnaden ihr auch vor der[102] Belohnung durch Gott[103] ob ihrer Reue zuteil geworden sein müssen? Wie durch einen starken Regenguß die Luft gereinigt wird, so folgt auch auf die Tränen, die man vergießt, heitere Stille, und die Finsternis, die von der Sünde stammte, wird verscheucht. Und wie wir aus dem Wasser und dem Geiste gereinigt wurden[104] , so werden wir von neuem gereinigt durch Reuetränen und durch das Bekenntnis[105] vorausgesetzt, dass wir dies nicht bloß zur Schau tragen, um gesehen und geehrt zu werden. Wer nur darum Tränen vergösse, der verdiente meines Erachtens weit mehr Tadel, als wer sich mit Farben und Schminken herausputzt. Ich will nur solche Tränen, die man nicht aus Hochmut vergießt, sondern aus Demut, heimlich und im Verborgenen, wo niemand es sieht; Tränen, die still und geräuschlos fließen, die aus der Tiefe der Seele kommen, aus innerem Weh und Schmerz, die man nur Gottes wegen vergießt, so wie es bei Anna der Fall war. "Denn ihre Lippen",heißt es, "bewegten sich und ihre Stimme ward nicht gehört" (1S 1,13). Aber ihre Tränen allein waren lauter als Trompetenklang. Darum hat auch Gott ihren Schoß geöffnet und den harten Felsen in fruchtbares Erdreich verwandelt.



6.

Wenn auch du solche Tränen weinst, dann bist du dem Herrn ähnlich geworden. Denn auch er hat geweint über Lazarus und Jerusalem, und über das Schicksal des Judas ward er erschüttert (Jn 13,21). Und weinen sehen kann man ihn oft, lachen niemals, nicht einmal stille lächeln; wenigstens hat kein Evangelist etwas davon berichtet. Deshalb sagt auch der hl. Paulus selbst von sich, und andere sagen es von ihm[106] , dass er geweint habe, drei Nächte und drei Tage lang geweint; dass er aber gelacht hätte, das hat er nirgends gesagt, weder er noch andere; aber auch kein anderer Heiliger hat dies weder von sich noch von einem anderen Heiligen erzählt. Nur von Sara allein wird dies berichtet, nämlich damals, als sie getadelt wurde, und ebenso vom Sohne Noes, da er aus einem Freigeborenen zum Sklaven wurde. Das alles sage ich aber, nicht um das Lachen zu verpönen, sondern nur, um die Ausgelassenheit zu verhindern. Denn sage mir doch: Welchen Grund hast du denn, eingebildet und ausgelassen zu sein, der du noch für so viele Sünden verantwortlich bist, vor dem furchtbaren zukünftigen Richterstuhl erscheinen mußt, und über alles, was du hienieden getan, genaue Rechenschaft abzulegen hast? Ja, wir werden für unsere freiwilligen und unfreiwilligen Sünden Rede und Antwort stehen müssen. "Denn", heißt es, "wer mich vor den Menschen verleugnen wird, den werde auch ich vor meinem Vater verleugnen" (Mt 10,35). Selbst wenn diese Verleugnung[107] unfreiwillig ist, geht sie doch nicht straflos aus, sondern auch für sie müssen wir uns verantworten, ja für alles, ob wir darum wissen oder nicht. "Ich bin mir keiner Schuld bewußt", sagt der Apostel, "aber darum bin ich noch nicht gerechtfertigt" (1Co 4,4); für alles, ob wir es unbewußt oder mit Absicht getan haben.[108] "Ich gebe ihnen das Zeugnis", sagt der hl. Paulus, "dass sie Eifer haben für Gott, aber keinen erleuchteten" (Rm 10,2). Das genügt aber nicht zu ihrer Rechtfertigung. Und an die Korinther schreibt er: "Ich fürchte, sie einst die Schlange in ihrer Arglist die Eva verführte, so möchte sie auch eure Gesinnung verderben zum Abfall von der Einfalt des Glaubens an Jesus Christus" (2Co 11,3). Während du also über so vieles wirst Rechenschaft ablegen müssen, sitzest du da und lachst. redest läppische Dinge und gibst dich eitler Lebenslust hin. Ja du sagst: Wenn ich das nicht tue, sondern immer in Trauer lebe, was habe ich davon? Ungemein viel, sogar so viel, dass man es mit Worten gar nicht auszusprechen vermag. Bei weltlichen Gerichten entgehst du nach gefälltem Urteil der Strafe nicht, und wenn du noch so viel weinst. Hier aber brauchst du nur zu bereuen und das Urteil ist aufgehoben, es wird dir verziehen. Darum redet Christus so oft von der Reue zu uns, preist die Bußfertigen glücklich und ruft Wehe über die, die lachen. Diese Welt ist eben kein Theater zum Lachen; nicht dazu sind wir beisammen, um schallendes Gelächter anzuschlagen, sondern um[109] zu seufzen, und mit diesem Seufzen werden wir uns den Himmel erwerben. 

   Wenn du vor deinem Herrscher stehst, wagst du nicht einmal leise zu lächeln; während aber der Herr der Engel in deinem Innern weilt, stehst du nicht da in Furcht und Zittern und mit der geziemenden Ehrfurcht, nein, du lachst, während er so oft sich über dich erzürnt und du bedenkst nicht, dass du ihn damit noch mehr herausforderst als mit deinen Sünden. Denn Gott pflegt sich nicht so fast von den Sündern abzukehren, als von denen, die nach der Sünde keine Buße tun. Aber trotzdem bleiben auch da noch manche so unempfindlich, als wollten sie nach all dem noch sagen: Ich möchte, dass ich niemals zu weinen brauchte; Gott gebe mir lieber, dass ich immer lachen und scherzen kann. Gäbe es aber etwas Kindischeres, als so zu denken? Nicht Gott gibt uns Gelegenheit zur Ausgelassenheit, sondern der Teufel. Höre nur, wie es den Ausgelassenen erging: "Das Volk", so heißt es, "saß beim Essen und Trinken, und dann standen sie auf, sich zu belustigen" (Ex 32,6). So machten es die Sodomiten, so auch die Menschen vor der Sündflut. Denn auch von jenen heißt es: "Sie schwelgten in Hochmut und Üppigkeit, und im Überfluß an Brot" (Ez 16,49). Auch zur Zeit des Noe sahen die Leute durch so viele Jahre hindurch, wie die Arche gebaut wurde; aber sie ließen sich nicht rühren, sondern belustigten sich und dachten nicht an die Zukunft. Darum hat auch die Sündflut sie allesamt verschlungen und die ganze Welt in einem einzigen Schiffbruch begraben .



7.

Erbitte also nicht von Gott, was du nur vom Teufel haben kannst. Gottes Sache ist es, dir ein Herz zu geben, das zerknirscht und demütig ist, das nüchtern ist und besonnen, gelassen, reumütig und bußfertig; das sind seine Geschenke, und die haben wir auch am meisten nötig. Es steht uns ja auch ein schwerer Kampf bevor; "gegen unsichtbare Mächte haben wir zu streiten, haben gegen die Geister der Bosheit, gegen die Gewalten und Mächte  (Ep 6,12) Krieg zu führen. Da muß man freilich wünschen, dass wir voll Eifer, nüchtern und wachsam jenen furchtbaren Ansturm auszuhalten vermögen. Wenn wir dagegen lachen und scherzen und uns um gar nichts kümmern, dann werden wir noch vor dem Zusammenstoß ob unserer eigenen Sorglosigkeit geschlagen. Es steht uns also nicht zu, fortwährend zu lachen, uns zu freuen und in Vergnügungen zu schwelgen; das sollen die Schauspieler tun, die schlechten Dirnen und verkommenen Menschen, die Schmarotzer und Schmeichler, nicht aber die, die für den Himmel berufen sind, nicht die, welche in jener Gottesstadt das Bürgerrecht haben und die Waffen des Geistes tragen, sondern die, so dem Teufel verfallen sind. Ja der Teufel ist es, der Teufel, der eine wahre Kunst daraus gemacht hat, die Soldaten Christi zur Erschlaffung zu bringen und die Spannkraft ihrer Seele zu schwächen. Deshalb hat er in den Städten Theater gebaut, und jene Schauspieler heran geschult, die zum Lachen reizen, und hat durch deren schändliches Treiben die ganze Stadt mit dieser Pest angesteckt. Was uns der hl. Paulus zu meiden gebot, "törichtes und ausgelassenes Geschwätz" (Ep 5,4), gerade das treibt der Teufel uns an, zu suchen. Noch schlimmer aber als all dies ist die Sache, über die man lacht. Wenn die Schauspieler etwas Blasphemisches oder Unflätiges sagen, dann lachen viele solche Toren und freuen sich, und klatschen Beifall über Dinge, für die jene weit eher verdienten, gesteinigt zu werden[110] und damit ziehen sie sich selbst das höllische Feuer zu. Denn diejenigen, die solche Reden loben, die sind es gerade, die am meisten dazu ermutigen. Deshalb verdienen sie die Strafe, die jene erwartet, wohl in viel höherem Maße. Wenn niemand sich fände, der solche Dinge sehen möchte, dann gäbe es auch keine solchen Schauspieler. Wenn diese dagegen sehen, dass ihr eure Werkstätten, eure Arbeit, euren Verdienst, mit einem Wort gar alles im Stiche laßt um jener Lust willen, dann werden sie immer kecker und treiben die Sache immer verwegener. Und das sage ich nicht, um sie von Schuld freizusprechen, sondern damit ihr wisset, dass hauptsächlich ihr selbst Anfang und Ursache solcher Ungehörigkeiten seid, indem ihr ganze Tage an derlei Belustigungen verschwendet, wo die ehrbare Ehe bloßgestellt und das große Mysterium[111] nachgeäfft wird. Ja der Schauspieler, der solche Vorstellungen gibt, ist nicht einmal so schuldbar wie du, der du solche Dinge befiehlst, ja nicht bloß befiehlst, sondern auch noch dazu antreibst, lachst, die Darstellung lobst und auf jede Weise deinen Beifall kundgibst über diese Werkstätten der Hölle. Sag mir doch, mit welchen Augen wirst du hinfort zu Hause auf deine Frau blicken, nachdem du sie dort hast verhöhnen sehen? Und wie ist es möglich, dass du nicht errötest beim Gedanken an deine Lebensgefährtin, wenn du siehst, wie ihr Geschlecht daselbst dem Gespött preisgegeben wird!



8.

Wende mir nur nicht dagegen ein, es sei ja das nur Schein und nicht Wirklichkeit. Dieser Schein hat schon manche zu wirklichen Ehebrechern gemacht und viele Familien zugrunde gerichtet. Gerade das verursacht mir am meisten Kummer, dass man solche Darstellungen gar nicht für schlecht hält, dass vielmehr Beifallklatschen, Lärm und großes Gelächter zu hören sind, während man solche Ehebruchsszenen vorzuführen wagt. Was sagst du? Es ist alles nur Schein und Spiel. Gerade deswegen verdienten eigentlich diese Leute tausendfach den Tod, weil sie mit solchem Eifer Dinge darstellen, die durch alle Gesetze verboten sind. Denn wenn die Sache an sich schlecht ist, dann ist auch deren Darstellung schlecht. Da will ich noch gar nicht davon reden, wie viele Ehebrüche diejenigen veranlaßt haben, die solche Ehebruchstücke spielen, und wie frech und unverschämt sie die Zuschauer machen. Denn es gibt nichts Lüsterneres und Frecheres als das Auge, das solches zu schauen vermag. Auf offener Straße möchtest du kein nacktes Weib ansehen, nicht einmal zu Hause; du würdest dies für eine Schande halten. In das Theater aber gehst du, um das Geschlecht des Mannes und des Weibes in gleicher Weise zu beschimpfen und deine eigenen Augen zu schänden! Sage mit nicht, das nackte Weib ist ja eine Hure; nein, die Hure und die Freie haben die gleiche Natur, denselben Leib. Wenn das nichts Schlechtes ist, warum entfernst du dich dann so eilig, wenn du etwa auf offener Straße so etwas siehst, und sorgst auch, dass das Weib fortgeschafft wird, das eine solche Schamlosigkeit begeht? Oder ist so etwas nur schlecht, so lange wir allein sind, sobald wir aber in großer Anzahl beisammensitzen, ist es keine Schande mehr? Geh, solche Reden sind lächerlich und eine Schmach, und beweisen nur deine große Verlegenheit. Besser wäre es noch, du würdest deine Augen mit Kot und Schmutz besudeln, als dass du solche Ungehörigkeiten ansiehst. Denn der Kot schadet dem Auge nicht so sehr, als ein unkeuscher Blick und das Anschauen eines entblößten Weibes. 

   Höre nur, was zu allererst die Nacktheit verursacht hat, und fürchte dich vor dem, was diese Schmach veranlaßt hat. Was hat sie also verursacht? Der Ungehorsam und die Nachstellung des Teufels. So hat der Teufel schon vom allerersten Anfang an darauf sein Augenmerk gerichtet. Aber jene[112] schämten sich doch wenigstens noch, dass sie nackt waren; ihr aber gefallet euch noch darin, genau, wie der Apostel gesagt hat: "In der Schande finden sie ihre Ehre" (Ph 3,19). Wie wird dich also in Zukunft deine Frau ansehen, wenn du von einem solch schmählichen Schauspiel heimkehrst? Wie wird sie dich empfangen? Wie dich anreden, nachdem du in so schandbarer Weise das weibliche Geschlecht verhöhnt hast, von solch obszönem Anblick gefangen und zum Sklaven eines entehrten Weibes geworden bist? Wenn ihr aber ob meiner Ermahnung Reue empfindet, so macht ihr mir damit eine überaus große Freude. "Denn wer ist es, der mich erfreut, wenn nicht der, der meinetwegen trauert?" (2Co 2,2). Höret also nie auf, über diese eure Sünden zu weinen und euch Gewissensbisse zu machen; denn solch ein Schmerz wird für euch der Anfang einer Wendung zum Besseren sein. Darum habe ich auch heute eine schärfere Sprache als sonst geführt, damit der Einschnitt um so tiefer werde und ich euch so von dem Fäulnis erregenden, berauschenden Gifte befreie, und eure Seele rein und gesund mache. Dessen mögen wir alle uns allweg erfreuen und den Kampfpreis erreichen, der für so edles Handeln ausgesetzt ist, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen.






Kommentar zum Evangelium Mt 5