Kommentar zum Evangelium Mt 12

Zwölfte Homilie. Kap. III, V,13-17.

12 Mt 3,13-17
1.

V.13: "Um diese Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen." 

   Zusammen mit den Knechten kommt der Herr, mit den Schuldigen der Richter, um die Taufe zu empfangen! Doch laß dich nicht irre machen! Gerade in diesen Akten der Erniedrigung glänzt seine Hoheit nur um so mehr. Der Herr hat es sich ja gefallen lassen, so lange Zeit im Schoße der Jungfrau getragen zu werden, und mit unserer Menschennatur bekleidet daraus hervorzugehen, geschlagen und gekreuzigt zu werden und alle anderen Leiden zu ertragen. Was Wunder, wenn er sich auch bereitwillig taufen ließ und zugleich mit den anderen zu seinem eigenen Diener kam? Das Wunderbare war vielmehr das, dass er als Gott Mensch werden wollte; alles andere war nur eine natürliche Folge davon. Deshalb hat auch Johannes gleich zu Anfang seinen bekannten Ausspruch getan, dass er nämlich nicht würdig sei, seinen Schuhriemen zu lösen, und hat all das andere von ihm gesagt, z.B., dass er Christus der Richter sei, der jeden nach Verdienst belohnt, und allen in reichlichem Maße den Geist spenden werde. Er wollte damit erreichen, dass du nicht etwa den Verdacht hegest, es geschehe aus wirklicher Niedrigkeit, wenn du ihn zur Taufe kommen siehst. Deshalb will er auch den Herrn bei seiner Ankunft daran hindern und sagt: 

   V.14: "Ich habe nötig von Dir getauft zu werden, und da kommst Du zu mir?" 

   Hier handelt es sich eben um eine Taufe zur Buße, die zum Bekenntnis der eigenen Sünden führen sollte. Damit also niemand glaube, auch er komme in dieser Absicht zum Jordan, so gibt Johannes schon zum voraus die rechte Erklärung hierfür, indem er ihn "Lamm" nennt und als den bezeichnet, der alle Sünden der ganzen Welt abwaschen werde. Derjenige, der die Sünden des ganzen Menschengeschlechtes hinwegzunehmen vermochte, mußte ja doch in erster Linie selbst von Sünden frei sein. Aus diesem Grunde sagte er nicht: Sehet den Sündelosen, sondern, was weit mehr war: "Sehet den, der auf sich nimmt die Sünde der Welt." Du sollst nämlich mit diesem auch jenes mit vollkommener Überzeugung annehmen und daraus erkennen, dass er in anderer Absicht zur Taufe kommt. Deshalb sagte ihm auch der Täufer bei seiner Ankunft: "Ich habe nötig, von Dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?" Er sagte nicht: Und du wirst von mir getauft? denn auch das wagte er nicht zu sagen, statt dessen aber was: "Und du kommst zu mir?" Was machte nun Christus? Dasselbe, was er später bei Petrus tat, tat er auch jetzt. Auch der wollte ihn ja hindern, seine Füße zu waschen; nachdem er aber zu hören bekommen hatte: "Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht, du wirst es aber später einsehen" (Jn 13,7), und: "Du wirst sonst keinen Teil an mir haben" (Jn 13,8), da ließ er schleunigst ab von seinem Widerstand und wollte das Gegenteil zuvor. Ähnlich verhielt sich auch Johannes; kaum hatte er die Worte gehört: 

   V.15: "Laß es nur geschehen; denn so geziemt es sich für mich, alle Gerechtigkeit zu erfüllen", da gehorchte er alsbald. Die beiden wollten ja nicht in ungehöriger Weise streiten; vielmehr bewiesen sie, dass sie nicht bloß Liebe, sondern auch Gehorsam besaßen, und dass ihre einzige Sorge war, den Herrn in allem zu willfahren. Beachte indes, wie der Herr den Johannes gerade mit dem willfährig machte, was ihm bei der Sache am meisten Bedenken verursachte. Er sagte nämlich nicht: So verlangt es die Gerechtigkeit, sondern: "So geziemt es sich." Da nämlich Johannes hauptsächlich meinte, es sei des Herrn nicht würdig, von seinem eigenen Untergebenen getauft zu werden, so stellte er vor allem das fest, was dessen Meinung direkt entgegengesetzt war; gerade als ob er sagte: Suchst du dich meiner Taufe nicht deshalb zu entziehen und zu widersetzen, weil du glaubst, es geziemte sich so nicht? Gerade deshalb gib nach, weil es sich in ganz hervorragendem Maße so geziemt. Er sagte auch nicht bloß: Gib nach, sondern setzte noch hinzu: "jetzt sogleich". Es wird ja nicht immer so sein, will er sagen, sondern du wirst mich schon einmal so sehen, wie du wünschest; indes mußt du dich jetzt noch gedulden. 

   Dann gibt der Herr auch den Grund an, warum sich dies gezieme. Wieso also geziemt es sich? Weil ich das ganze Gesetz erfüllen will. Das wollte er sagen mit den Worten: "alle Gerechtigkeit". Denn Gerechtigkeit ist die Erfüllung der Gebote. Nachdem ich nun alle anderen Gebote erfüllt habe, und dies allein noch übrig bleibt, so muß auch dieses noch dazu kommen. Ich bin ja gekommen, den Fluch aufzuheben, der auf der Übertretung des Gesetzes lastet. Ich miß darum das Gesetz zuerst selber ganz erfüllen und erst dann es aufheben, wenn ich euch vom Fluche befreit. Es gehört sich also für mich, dass ich das ganze Gesetz erfülle, sowie es sich auch geziemt, dass ich den im Gesetz wider euch niedergelegten Fluch beseitige. Aus diesem Grunde habe ich ja auch Fleisch angenommen und bin zu euch gekommen. "Da ließ er seinen Willen geschehen." 

   V.16: "Und Jesus ward alsbald getauft und stieg aus dem Wasser; und siehe, es öffnete sich ihm der Himmel, und er sah den Geist Gottes in Gestalt einer Taube herabsteigen und über ihn kommen."



2.

Es glaubten viele, Johannes sei größer als der Herr, weil er sein ganzes Leben in der Wüste zugebracht hatte, und der Sohn eines Hohenpriesters war, weil er ein solches Bußkleid trug, alle zur Taufe rief, und von einer unfruchtbaren Mutter geboren wurde; Jesus hingegen stamme von einem armen Mädchen ab[171] , er sei in einem Hause aufgewachsen, verkehre mit allen, und trage gewöhnliche Kleider. So dachten sie, er sei weniger als der Täufer, da sie eben noch keines jener unaussprechlichen Geheimnisse erkannt hatten. Dazu kam, dass er sich auch noch von Johannes taufen ließ; das m,ußte sie noch mehr in ihrer Meinung bestärken, selbst wenn alles andere nicht gewesen wäre. Sie dachten eben: Das ist einer aus dem gewöhnlichen Volke. Wäre es anders, so wäre er nicht mitten unter den übrigen Leuten zur Taufe gekommen. Jener dagegen ist mehr als er, und verdient weit mehr Bewunderung. Damit also diese Meinung im Volke nicht Platz greife, öffnete sich der Himmel nach der Taufe des Herrn, der Hl. Geist steigt herab und eine Stimme verkündet zugleich mit der Herabkunft des Geistes die Würde des Eingeborenen. Die Stimme, die da sprach: 

   V.17: "Dieser ist mein geliebter Sohn", schien nämlich der Menge des Volkes mehr auf Johannes zu passen; sie setzte ja nicht hinzu: dieser, der da eben getauft worden ist, sondern lautete einfach: "Dieser". So glaubten alle, die sie hörten, das Gesagte gelte vielmehr dem Täufer als dem Getauften, nicht nur wegen der Würde des Täufers an sich, sondern aus all den anderen Gründen, die ich genannt habe. Deshalb kam der Geist Gottes in Gestalt einer Taube, gab dadurch der Stimme die Beziehung auf Jesus und machte allen klar, dass mit dem, "dieser" nicht Johannes gemeint war, der die Taufe spendete, sondern Jesus, der die Taufe empfangen hatte. 

   Wie kommt es aber, dass sie auf solch ein Ereignis hin nicht glaubten? Nun, auch zu Moses' Zeit geschahen viele Wunder, wenn auch keine großen. Aber trotz allem, trotz der Stimmen, der Trompeten und Blitze, gossen sie ein Kalb und weihten sich dem Beelphegor. Und selbst diejenigen, die damals bei der Auferstehung des Lazarus zugegen waren und sie mit angesehen, waren so weit davon entfernt, an den zu glauben, der solch ein Wunder gewirkt, dass sie im Gegenteil oftmals darnach trachteten, ihn selbst ums Leben zu bringen. Wenn also jene so schlecht waren, die mit ihren eigenen Augen Tote auferstehen sahen, was wunderst du dich, wenn diese hier einer Stimme nicht folgten, die von oben kam? Solange die Seele blind und verdorben und von der Krankheit des Hasses gefangen gehalten ist, solange hört sie auf derlei Dinge nicht; ist sie dagegen einsichtig geworden, si nimmt sie gläubig alles an, und hat kein besonderes Bedürfnis nach Wundern. 

   . Komme also nicht damit, dass sie nicht glaubten. Untersuche vielmehr, ob nicht alles geschehen sei, was sie zum Glauben hätte führen müssen? Durch den Propheten stellt ja Gott diese Art der Apologie auf und zwar für alles, was ihn betrifft. Die Juden sollten zugrunde gehen und der schwersten Strafe überliefert werden; damit aber keiner glaube, die mangelnde Vorsehung selbst sei schuld an ihrer Schlechtigkeit, so sagte Gott: Was hätte ich diesem Weinberg noch tun sollen, das ich nicht getan habe?" (Is 5,4). Dasselbe beachte auch hier. Was hätte geschehen sollen und wäre nicht geschehen? Und sollte einmal auf die Vorsehung Gottes die Sprache kommen, so wende diese Art der Verteidigung an gegen jene, welchen ihr an der Schlechtigkeit der meisten Menschen die Schuld geben. Siehe also jetzt, was für große Wunder geschehen, die nur der Anfang für die zukünftigen sind. Hier öffnet such nämlich nicht bloß das Paradies, sondern der Himmel selbst. Indes werde ich gegen die Juden ein anderes Mal predigen und jetzt unter dem Beistand Gottes zum vorliegenden Thema zurückkehren. "Und Jesus stieg nach seiner Taufe eilig aus dem Wasser; und siehe, es öffnete sich vor ihm der Himmel." Weshalb öffnete sich der Himmel? Damit du wissest, dass dies auch bei deiner Taufe geschieht, in der Gott dich zum himmlischen Vaterlande ruft und dich mahnt, nichts mit den irdischen Dingen gemein zu haben. Wenn du dasselbe aber auch nicht sehen kannst, sei deswegen nicht ungläubig. Im Beginne erscheinen wunderbare und überirdische Dinge immer in der Form sinnlich wahrnehmbarer Gesichte und ähnlicher Zeichen, mit Rücksicht auf diejenigen, die noch zu wenig Verständnis haben und etwas brauchen, das man mit den Augen sehen kann, da sie rein geistige Dinge noch nicht einmal in Gedanken zu fassen vermögen, sondern nur das anstaunen, was äußerlich sichtbar ist. Das hat den Zweck, damit das, was einmal und im Anfang durch solche Wunderzeichen geoffenbart wurde, gläubig aufgenommen werde, auch wenn später keine Wunder mehr geschehen. Auch zur Zeit der Apostel entstand ja das Brausen eines gewaltigen Sturmes und erschienen feurige Zungen; aber nicht wegen der Apostel, sondern wegen der Juden, die zugegen waren. Indes, wenn auch keine sinnlich wahrnehmbaren Zeichen mehr geschehen, so nahmen wir doch gläubig an, was durch sie einmal geoffenbart wurde. So erschien also auch damals die Taube deshalb, damit sie den Anwesenden und dem Johannes wie mit einem Finger den Sohn Gottes zeigte; und dies nicht bloß aus diesem Grund, sondern damit du wissest, dass auch bei deiner Taufe der Hl. Geist über dich herabkommt.



3.

Übrigens habt ihr äußerliche Gesichte gar nicht nötig. Der Glaube genügt statt all dessen. Die äußeren Zeichen sind ja nicht für diejenigen, die glauben, sondern für diejenigen, die nicht glauben. Aber warum erschien der Hl. Geist gerade in der Gestalt einer Taube? Weil die Taube ein zahmes, reines Geschöpf ist. Da nun auch der Hl. Geist ein Geist der Sanftmut ist, deshalb erscheint er in dieser Gestalt. Außerdem erinnert uns dieselbe auch an ein Begebnis aus früherer Zeit. Als einst eine allgemeine Flut den ganzen Erdkreis heimsuchte, und unser ganzes Geschlecht in Gefahr war, vernichtet zu werden, da erschien eine solche Taube, um das Ende der Heimsuchung anzuzeigen und durch den Ölzweig, den sie trug, dem Erdkreis die frohe Botschaft allgemeinen Friedens anzukünden. All das war ein Sinnbild dessen, was erst später kommen sollte. Damals stand es nämlich viel schlimmer mit den Menschen, und sie hatten eine viel größere Züchtigung verdient. Damit du also den Mut nicht verlierst, will dich die Taube an jene Geschichte erinnern. Damals herrschten verzweifelte Zustände; sie bedurften einer Lösung und Besserung. Aber damals kam sie durch Strafen, jetzt kommt sie durch ganz unaussprechliche Gnadengaben. Deshalb erscheint auch jetzt diese Taube, die zwar keinen Ölzweig trägt, dafür aber den Retter aus allem Übel uns zeigt, und uns herrliche Hoffnungen weckt. Sie führt nicht bloß einen Menschen aus der Arche heraus, sondern geleitet bei ihrem Erscheinen die ganze Welt in den Himmel hinein, und statt eines Ölzweiges bringt sie dem ganzen Menschengeschlecht die Kindschaft Gottes. 

   Bedenke daher, wie groß dieses Geschenk ist, und glaube nicht, es habe deshalb geringeren Wert, weil es unter solcher Gestalt erscheint. Da höre ich nämlich einige sagen, so groß der Unterschied zwischen einem Menschen und einer Taube sei, so groß sei auch der Unterschied zwischen Christus und den Hl. Geist, weil der eine in unserer Gestalt, der andere in der einer Taube erschienen sei. Was ist darauf zu erwidern? Der Sohn Gottes hat die Natur des Menschen angenommen, nicht aber der Hl. Geist die Natur der Taube. Darum sagte auch der Evangelist nicht, er sei in der Natur einer Taube erschienen, sondern in der Gestalt einer Taube; deshalb ward er auch späterhin nicht mehr in dieser Gestalt gesehen, sondern nur damals allein. Wenn du aber deswegen behauptest, der Hl. Geist sei dem Range nach geringer, so wirst du folgerichtig auch die Cherubim für viel höher ansehen müssen als ihn, und zwar um soviel höher, als ein Adler über einer Taube steht; denn auch sie zeigten sich in dieser[172] Gestalt. Und die Engel wären noch größer, weil sie ja oft in Menschengestalt erschienen. Indes ist dies alles durchaus nicht so. Etwas anderes ist nämlich die wirkliche Sache, etwas anderes die aus Zweckmäßigkeitsgründen gewählte und für den Augenblick passende Form ihrer Erscheinung. 

   Sei also nicht undankbar gegen deinen Wohltäter und vergilt nicht durch das gerade Gegenteil dem, der die Quelle der Glückseligkeit dir erschlossen hat. Denn wo die Würde der Gotteskindschaft ist, da herrscht auch Freiheit von Sünden und die Fülle alles Guten. Deshalb hat die jüdische Taufe ein Ende genommen, die unsere beginnt. Wie es mit dem Osterfeste geschah, so geschah es auch mit der Taufe. Auch dort hat Christus beide Ostern gefeiert, aber das eine als Schluß und Ende, das andere als Anfang. Ebenso hat er hier die Vorschrift der jüdischen Taufe erfüllt, zugleich aber auch die Schleusen des kirchlichen Taufbades geöffnet. Wie er dort an demselben Tische, so hat er hier an einem und demselben Strom nicht nur das Vorbild gezeichnet, sondern auch dessen Erfüllung hinzugefügt. Die Gnade des Hl. Geistes ist nämlich nur in dieser[173] Taufe enthalten; die des Johannes war dieser Gabe bar. Darum geschah auch bei den anderen, die sich taufen ließen, kein derartiges Wunder, sondern nur bei ihm allein, der uns diese[174] bringen sollte. Daraus sollst du außer dem, was ich schon gesagt, auch dies ersehen, dass es nicht die Reinheit des Taufenden war, die dies vollbrachte, sondern die Macht des Getauften. Damals also öffnete sich der Himmel und stieg der Hl. Geist herab. Vom Alten Testament leitet Gott uns fortan über zum Neuen. Indem er uns die himmlischen Tore öffnet und den Geist von dort sendet, ruft er uns in die Heimat des Jenseits. Auch ruft er uns nicht bloß, sondern will uns zugleich die denkbar größte Ehre erweisen; denn nicht zu Engeln und Erzengeln hat er uns gemacht, sondern zu Kindern Gottes und geliebten Söhnen hat er uns erhoben, und ruft uns so zur Teilnahme an diesem Erbe.



4.

Wenn du also dies alles erwägst, dann sollst du auch ein Leben führen, würdig der Liebe dessen, der dich gerufen, würdig des Lebens im Himmel, würdig der Ehre, die dir erwiesen worden. Der Welt sollst du gekreuzigt sein, sollst die Welt in dir selber kreuzigen und in vollkommener Unschuld leben, so wie man im Himmel lebt. Glaube nicht, du habest etwas mit der Erde gemein, weil du dem Leibe nach noch nicht in den Himmel entrückt bist; dein Haupt[175] thront ja schon dort oben. Deshalb hat auch der Herr bei seinem früheren Erscheinen hienieden die Engel mit sich geführt und kehrte nach Annahme deiner Menschennatur in den Himmel zurück, damit du auch vor deinem Hinscheiden ins Jenseits wissest, dass du berufen und fähig bist, auf Erden zu leben, als wärest du schon im Himmel. Bewahren wir also standhaft den Adel der Geburt, den wir im Anfange[176] erhielten; streben wir Tag für Tag nach dem himmlischen Reiche, und betrachten wir alles Irdische nur als Schatten und Traumbild. Wenn ein irdischer König dich aus einem armen Bettler plötzlich zu seinem Sohne machte, du würdest deine Hütte und deren Armseligkeit gar nicht mehr ansehen: und doch wäre der Unterschied dabei nicht sonderlich groß. So denke denn auch hier nicht an das, was du vorher besaßest; du bist ja zu weit Besserem auserwählt. Derjenige, der dich ruft, ist der Herr der Engel; die Gaben, die er dir bereitet, übersteigen jegliche Vorstellung und Fassungskraft. Er versetzt dich ja nicht von einem Fleck Erde auf einen anderen, wie ein König es macht, sondern aus dieser Welt hinein in den Himmel, gibt dir anstatt einer sterblichen Natur Unsterblichkeit und unaussprechliche Glorie, die wir erst dann in ihrer ganzen Herrlichkeit zu schauen vermögen, wenn wir sie einmal besitzen. 

   Während also so große Dinge dich erwarten, redest du mir von Geld, und klammerst dich an die Eitelkeit dieser Welt? Denkst nicht daran, dass alles, was man hienieden sieht, wertloser ist als die Lumpen, in die der Bettler gehüllt ist? Wie wirst du da so großer Ehre würdig erscheinen? welche Entschuldigung vorbringen können? oder, um es richtiger zu sagen, welche Strafe wird dich nicht ereilen, wenn du nach Empfang eines so erhabenen Geschenkes zu deinem früheren Auswurf zurückkehrst? (2P 2,22). Da wirst du nicht mehr bloß als Mensch gestraft, sondern als sündiges Kind Gottes, und deine größere Würde wird dir nur um so größere Strafe eintragen. Auch wir strafen ja Diener, die sich Vergehen zuschulden kommen lassen, nicht in gleicher Weise, wie die eigenen Kinder, die denselben Fehler begehen; besonders dann, wenn diese von uns besonders viel Gutes erfahren haben. Wenn derjenige, dem das Paradies zur Wohnung angewiesen worden, wegen eines einzigen Fehlers des Ungehorsams so viel Ungemach auf sein Glück hin zu erdulden hatte, wie werden dann wir, die wir den Himmel zum Geschenk erhalten und Miterben des eingeborenen Sohnes Gottes geworden sind, wie werden wir Verzeihung erlangen, wenn wir die Taube verlassen und der Schlange folgen? Wir werden nicht mehr zu hören bekommen: "Du bist Erde und wirst zur Erde zurückkehren" (Gn 3,19), und: "Du wirst die Erde bebauen" (Gn 4,12),und was sonst noch früher an Strafen verhängt wurde, sondern viel Schlimmeres als dies. Auf uns warten die Finsternis draußen und unauflösliche Ketten, der giftspeiende Drache und das Knirschen der Zähne; und das mit vollem Recht. Derjenige, der selbst auf solche Wohltaten hin nicht besser ward, der hat eben mit Recht die äußerste und schwerste Strafe verdient. Elias hat einst den Himmel geöffnet und verschlossen, aber nur um Regen zu bringen oder abzuhalten. Dir hingegen wird nicht darum der Himmel geöffnet, sondern damit du selber hineingehest, ja was noch mehr ist, damit du nicht bloß selber hineingehest, sondern auch andere dorthin führest, wenn du nur willst. So große Freiheit und Macht hat dir Gott in seinem eigenen Bereiche eingeräumt! Da also dort oben unsere Heimat ist, so wollen wir auch all unser Eigentum dort hinterlegen und nicht zurücklassen, damit es uns nicht verloren gehe. Wenn du auch hienieden deinen Schatz mit Schlüsseln verwahrst, mit Türen und Balken, und tausend Wächter davorstellst, wenn du auch allen Nachstellungen der Missetäter entgehst und den Augen der Neider entrinnst, sowie den Motten und dem Zahn der Zeit, was ohnehin nicht möglich ist, dem Tode wirst du doch niemals entrinnen. Alles wird dir in einem einzigen Augenblick genommen werden, und nicht bloß genommen wird es dir, du mußt es auch oft sogar den Händen deiner Feinde überlassen. Vertraust du aber deinen Schatz jenem himmlischen Hause an, so bist du über all diese Feinde erhaben. Da brauchst du ihn nicht zu verschließen und nicht mit Türen und Balken zu versperren; so mächtig ist jene Stadt, so uneinnehmbar dieser Ort, so unzugänglich dem Verderben und jeglichem Unheil.



5.

Wäre es also nicht die größte Torheit, all unsere Schätze da aufzuspeichern, wo sie verderben und zugrunde gehen, hingegen dort, wo sie unversehrt bleiben, ja sich noch vermehren, auch nicht das geringste zu hinterlegen, obgleich wir ja doch die ganze Ewigkeit dort wohnen sollen! Darum glauben auch die Heiden unseren Worten nicht mehr; sie wollen eben von uns Beweise durch Taten, nicht durch Worte haben. Wenn sie aber dann sehen, dass wir uns herrliche Paläste bauen, Gärten und Bäder anlegen und Grundbesitz erwerben, dann wollen sie nicht mehr glauben, dass wir uns auf das Leben in einer anderen Welt bereit halten. Wenn das so wäre, sagen sie, so würden sie all ihre irdische Habe verkauft und den Erlös dorthin vorausgesandt haben, und so ziehen sie aus dem, was wir hienieden tun, ihre Schlüsse. Wir sehen ja, wie die ganz reichen Leute gerade in jenen Städten Häuser, Grundstücke und alles andere sich erwerben, in denen sie zu wohnen beabsichtigen. Wir machen es umgekehrt. Diese Welt, die wir binnen kurzem verlassen müssen, suchen wir mit vieler Mühe zu erwerben, und setzen nicht bloß unser Geld, sondern sogar unser eigenes Blut an ein paar Äcker und Häuser. Um aber den Himmel uns zu erkaufen, wollen wir nicht einmal den Überfluß opfern, obwohl wir denselben um geringen Preis erstehen können, und er ganz und immer unser b leibt, wenn wir ihn nur einmal erworben haben. Deshalb werden wir die schwersten Strafen zu erleiden haben, wenn wir entblößt und arm ins Jenseits kommen. Ja, nicht bloß ob unserer eigenen Armut werden wir diese unerträglichen Peinen tragen müssen, sondern auch deshalb, weil wir andere ebenfalls in diese Lage gebracht haben. Wenn die Heiden sehen, wie diejenigen, denen so große Geheimnisse anvertraut sind, nach solchen Dingen jagen, dann werden sie sich nur um so mehr an das Irdische klammern. So werden wir auch aus diesem Grunde einen gewaltigen Höllenbrand für uns zubereiten. Denn, wenn wir, die da berufen sind, die Heiden zur Verachtung alles Irdischen anzuhalten, wenn gerade wir am meisten von allen die Begierde darnach in ihnen entflammen, wie sollen wir selber Rettung finden, wenn wir für das Verderben anderer Rechenschaft ablegen müssen? Hörst du nicht, wie Christus sagt, er habe uns in diese Welt gesandt, damit wir ihr Salz seien und ihr Licht, damit wir diejenigen bewahren, die der Fäulnis der Schwelgerei verfallen sind, und jene erleuchten, die nach der Sucht nach Geld geblendet worden? Wenn wir sie also in ihrer Finsternis noch bestärken und sie noch lässiger machen, welche Hoffnung wird uns dann bleiben für unser eigenes Heil? Rein gar keine! Vielleicht werden wir unter Wehklagen und Zähneknirschen, gebunden an Händen und Füßen, in das höllische Feuer geschleudert werden, weil die Sorge um Reichtum uns ganz verzehrt hat. 

   Nachdem wir also all dies erwogen, wollen wir uns der Fesseln dieser Verirrung entledigen, um nicht jene Ketten tragen zu müssen, die uns dem unauslöschlichen Feuer überlieferten. Der Sklave des Geldes wird immerdar in diesem wie im anderen Leben in Fesseln geschlagen sein; wer sich aber von dieser Leidenschaft losmacht, wird hier und drüben die Freiheit genießen. Damit diese auch uns zuteil werde, lasset uns das harte Joch des Geizes zerschmettern und unseren Flug zum Himmel nehmen, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der Ruhm und Macht besitzt in alle Ewigkeit. Amen.





Dreizehnte Homilie. Kap. IV, V.1-11.

13 Mt 4,1-11
1.

V.1: "Damals wurde Jesus vom Geiste in die Wüste geführt, damit er vom Teufel versucht würde." 

  Wann "damals"? Als der Hl. Geist auf Jesus herabgestiegen und eine Stimme von oben gesprochen: "Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe"<f>Mt 3,17</f> . Das Merkwürdige dabei ist, dass er vom Hl. Geist dahin geführt wurde; denn so steht es hier geschrieben. Der Herr hat eben alles, was er getan und geduldet hat, zu unserer Belehrung getan; deshalb willigte er auch ein, dass er dorthin geführt werde, zum Kampf gegen den Teufel. Es sollte keiner, der die Taufe empfangen und nach derselben schwereren Versuchungen ausgesetzt wäre, erschrecken, gerade als ob das etwas ganz Unerhörtes wäre, vielmehr soll er alles männlich tragen, da ihm ja nur das widerfährt, was dem Herrn auch geschah. Du hast ja zu dem Zweck Waffen erhalten, damit du kämpfest, nicht damit du müßig stehest. Deshalb verhindert es auch Gott nicht, dass Versuchungen über dich kommen, erstens damit du sehest, dass du viel stärker geworden bist; dann auch, damit du in allem maßvoll bleibst und dich nicht ob der Größe seiner Gaben überhebest, da ja die Versuchungen dich zu Fall bringen können; drittens, damit der Teufel, der immerfort an deinem Falle arbeitet, sich überzeuge, dass du ihn endgültig verlassen und dich von ihm abgewandt hast; viertens, damit du dadurch widerstandsfähiger und härter werdest als das härteste Eisen; fünftens, damit du darin einen deutlichen Beweis für die dir anvertrauten Gandenschätze erblickest. Der Teufel würde dich ja nicht angreifen wenn er nicht sähe, dass du größere Ehre genießest als er. Deshalb hat er such auch gleich im Anfang an Adam herangemacht, da er sah, welch große Würde ihm verliehen worden. Darum stritt er wider Job, weil er bemerkte, wie dieser von Gott, dem Herrn aller Dinge, belohnt und gelobt worden war. 

   Warum sagt aber da der Herr: "Betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet"?<f>Mt 26,41</f> Gerade deshalb zeigt er dir Jesus, nicht wie er einfach hingeht, sondern wie er hingeführt wird gemäß dem besonderen göttlichen Ratschluß. Er will damit andeuten, dass man nicht selbst der Versuchung entgegengehen soll, dagegen fest standhalten, wenn man in Versuchung geführt wird. Dann beachte auch, wohin ihn der Hl. Geist führt? Nicht in eine Stadt oder auf einen offenen Marktplatz, sondern in die Wüste. Da er nämlich den Teufel anlocken wollte, so wollte er ihn nicht bloß durch den Hunger, sondern auch durch die Wahl des Ortes eine Handhabe bieten. Der Teufel greift uns nämlich am liebsten dann an, wenn er uns einsam und allein sieht. So stellte er zuerst dem Weibe nach, und nahm sie allein beiseite, solange er ihren Mann fern von ihr wußte. Wen er nämlich in Gesellschaft mit anderen vereint sieht, den wagt er nicht in gleicher Weise anzugreifen. Deshalb müssen wir hauptsächlich aus diesem Grunde jedesmal an den gemeinsamen Versammlungen teilnehmen, damit wir dem Teufel keine bequeme Handhabe bieten. Er fand also den Herrn in der Wüste, und zwar in einer unwirtlichen Wüste<f>denn dass sie so war, bezeugt Markus, der da sagt: "Er war unter wilden Tieren"<f>Mk 1,13</f> . Beachte, mit welcher Bosheit und Verschmitztheit der Teufel ans Werk geht, und wie sehr er den günstigen Augenblick abwartet. Er macht sich nicht an den Herrn, solange dieser fastet, sondern erst, als er schon Hunger empfand. Du sollst daraus lernen, wie erhaben das Fasten ist und welch gewaltige Waffe es bildet gegen den Teufel, und dass man nach empfangener Taufe nicht der Schwelgerei und Trunkenheit und üppiger Tafel, sondern dem Fasten sich hingeben soll. Darum hat der Herr auch selber gefastet, nicht als hätte er es nötig gehabt, sondern um uns ein Beispiel zu geben. Da nämlich die Sünden, die wir vor der Taufe begingen, uns zu Dienern des Bauches erniedrigten, so machte er es wie etwa einer, der einen Kranken gesund gemacht hat und ihm dann befiehlt, das nicht mehr zu tun, wovon er krank geworden ist. So hat er selber auch hier für die Zeit nach der Taufe das Fasten<f>als Heilmittel</f> eingeführt. Auch den Adam hat ja die Sünde des Bauches aus dem Paradiese vertrieben, sie hat die Sündflut zu Noe's Zeiten verursacht, sie hat die Blitze gegen Sodoma geschleudert. Denn wenn es sich auch da um die Sünde der Unzucht handelte, so war doch in beiden Fällen jene die Ursache des Strafgerichtes. Das deutet auch Ezechiel an mit den Worten: "Das aber war die Sünde Sodoma's, dass sie in Hochmut und Sättigung des Brotes und im Überfluß schwelgten"<f>Ez 16,49</f> . Ebenso haben auch die Juden die größten Missetaten begangen, nachdem sie durch Trunkenheit und Schwelgerei auf Abwege geraten waren.



2.

Aus diesem Grunde also hat auch der Herr vierzig Tage lang gefastet, und uns dadurch ein Heilmittel zu unserer Genesung gezeigt; und nur deshalb hat er nicht noch mehr getan, um nicht wieder durch das Übermaß des Wunderbaren die Wahrheit seiner Menschwerdung in Zweifel zu stellen. Jetzt konnte dies nicht wohl geschehen, da ja auch Moses und Elias, durch die Kraft Gottes gestärkt, schon vor ihm ebenso lang zu fasten vermocht hatten. Hätte aber der Herr noch länger gefastet, so wäre wohl manchen auch aus diesem Grunde die Annahme des Fleisches zweifelhaft erschienen. 

   V.2: "Nachdem er also vierzig Tage und ebensoviele Nächte gefastet hatte, da hungerte ihn." 

   Dadurch bot er dem Teufel eine Gelegenheit, ihn zu versuchen; er wollte eben durch diesen Kampf zeigen, wie man ihn überwinden und besiegen soll. So machen es auch die Athleten; um ihren Schülern zu zeigen, wie man gewinnen und siegen könne, lassen sie sich gerne in der Palästra mit anderen in einen Ringkampf ein, damit jene am Leibe ihrer Gegnern sehen und lernen, wie man den Sieg erlangt. So geschah es auch damals. Da der Herr den Teufel zu solch einem Kampfe anlocken wollte, gab er ihm seinen Hunger zu erkennen, nahm es mit dem Angreifer auf und warf ihn im Kampfe ein, zwei, drei Mal mit der größten Leichtigkeit zu Boden. Um aber nicht an diesen Siegen vorüber zu eilen , und den Nutzen, den ihr aus ihnen schöpfen könnt, zu vermindern, wollen wir mit dem ersten Zusammenstoß beginnen, und jeden einzelnen genau betrachten. Da der Herr hungerte, so heißt es, 

   V.3: "kam der Versucher heran und sprach zu ihm: Wenn du der Sohn Gottes bist, dann befiehl, dass diese Steine zu Brot werden." 

   Er hatte nämlich vorher die Stimme gehört, die vom Himmel herab sprach: "Dieser ist mein geliebter Sohn"; dann hatte er auch gehört, wie Johannes dasselbe von ihm bezeugte; zuletzt aber sah er ihn hungern. Da war er denn unschlüssig. Nach all dem, was er über ihn gehört hatte, konnte er ihn nicht für einen bloßen Menschen halten, sich aber auch nicht davon überzeugen, dass er der Sohn Gottes sei, da er ihn ja hungern sah. So befand er sich im Zweifel, und redete ihn dementsprechend an. Und wie er im Anfange sich an Adam heranmachte, um durch trügerische Vorspiegelungen die Wahrheit zu erfahren, so machte er es auch hier. Da er das unaussprechliche Geheimnis der Menschwerdung nicht klar kannte, und nicht recht wußte, wen er vor sich habe, so suchte er auf andere Weise die Schlingen zu legen, durch die er zu erfahren hoffte, was ihm verborgen und unklar war. Warum sagt er also: "Wenn du der Sohn Gottes bist, dann befiehl, dass diese Steine da Brot werden"? Er sagte nicht: da du Hunger hast, sondern: "Wenn du der Sohn Gottes bist." Er glaubte ihn durch Schmeicheleien überlisten zu können. Darum schweigt er auch vom Hunger, um sich nicht den Anschein zu geben, als halte er ihm dies vor und wolle ihn damit beschämen. Er kannte ja nicht die Größe des göttlichen Heilsplanes, und glaubte, der Hunger sei eine Schande für ihn. Deshalb schmeichelte er ihm hinterlistigerweise und erinnerte ihn nur an seine Würde. Was sagt nun Christus darauf? Er demütigt dessen Stolz und zeigt, dass das, was ihm widerfahren, keine Schande sei, nicht unwürdig seiner Weisheit, und stellt gerade das in den Vordergrund, was jener in schmeichlerischer Absicht verschwieg; er sagt: 

   V .4: "Nicht vom Brote allein wird der Mensch leben." 

   So beginnt er gleich mit den Bedürfnissen des Leibes. Du aber bedenke die Schlechtigkeit des bösen Feindes, und sieh, wo er seinen Kampf beginnt, und wie er seine gewohnte Verschlagenheit nicht vergißt. Die gleiche List, mit der er den ersten Menschen zu Fall gebracht und in vielfältiges Unglück gestürzt hat, wendet er auch hier an, nämlich die sinnliche Begierde. Auch jetzt kann man viele Toren sagen hören, der Bauch sei schuld an unseren zahllosen Übeln. Dagegen zeigt uns hier Christus, dass den Tugendhaften auch diese Leidenschaft nicht zwingen kann, etwas Ungehöriges zu tun. Er hungert und gehorcht der Aufforderung des Teufels nicht, um uns so die Lehre zu geben, dass wir in nichts dem Teufel willfahren sollen. Da nämlich der erste Mensch aus solch einem Anlaß Gott beleidigte und sein Gebot übertrat, so zeigt dir Christus hiermit mehr als deutlich, dass du in keinem Falle dem Teufel gehorchen darfst, selbst wenn das, was er dich tun heißt, keine Sünde wäre. Und was sag ich; Sünde! Selbst wenn dir die bösen Geister etwas Nützliches raten, höre nicht auf sie. So hat ja der Herr auch jenen Dämonen Schweigen geboten, die da laut verkündeten, er sei der Sohn Gottes. Ebenso hat auch Paulus es jenen verwehrt, die dasselbe riefen, obgleich das, was sie sagten, für ihn vorteilhaft war. Ja der Herr hat den Dämonen überdies noch gedroht, ist ihrer Arglist wider uns entgegen getreten und hat sie verscheucht, obgleich sie Heilswahrheiten verkündeten, hat ihnen den Mund gestopft und sie schweigen geheißen. Darum hat er auch hier den Worten des Teufels nicht entsprochen, sondern welche Antwort gab er ihm? "Nicht vom Brote allein wird der Mensch leben." Mit diesen Worten will er sagen: Gott kann einen Hungernden mit einem bloßen Worte laben, und das Alte Testament bezeugt und lehrt, dass man vom Herrn niemals lassen darf, wenn wir auch Hunger oder was immer sonst zu leiden haben.



3.

Wenn aber jemand sagt, der Herr hätte trotzdem das Wunder wirken sollen, so frage ich ihn: Weshalb denn, aus welchem Grunde? Jener sagte ja nicht, damit der Herr es glaube, sondern weil er zu finden hoffte, dass er es nicht glaube. Hat er ja doch auch unsere Stammeltern auf diese Weise betrogen und sie überführt, dass ihr Vertrauen auf Gott nicht sehr stark sei. Er versprach ihnen das Gegenteil von dem, was Gott gesagt hatte, blähte sie auf mit eitlen Hoffnungen, nahm ihnen den Glauben und brachte sie auf diese Weise auch um das Gute, das sie besaßen. Christus dagegen zeigt, wer er ist; er willfahrte weder jetzt dem Teufel, noch später den Juden, die ebenso gesinnt waren, wie jener und nach Zeichen verlangten. Er gibt uns dadurch jedesmal die Lehre, niemals etwas ohne vernünftigen Grund zu tun, auch wenn wir es tun könnten, und niemals dem Teufel nachzugeben, auch wenn die Not drängte. Was machte also jetzt dieser Unselige? Besiegt und nicht imstande, den Herrn, den doch so sehr hungerte, zur Ausführung seines Rates zu bewegen, geht er zu einem zweiten Angriff über und sagt: 

   V.6: "Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich da hinunter; denn es steht ja geschrieben: Gott befiehlt seinen Engeln deinetwegen, und sie werden dich auf ihren Händen tragen." 

   Weshalb sagt denn der Teufel vor jeder Versuchung: "Wenn du der Sohn Gottes bist"? Er macht es eben hier geradeso, wie bei den Stammeltern. Damals klagte er Gott an mit den Worten: "An dem Tage, an dem ihr davon esset, werden euch die Augen aufgehen" (Gn 3,5); er wollte nämlich damit zeigen, dass sie von Gott getäuscht und hintergangen worden seien, und von ihm keinerlei Wohltaten erfahren hätten. Eben darauf zielt er auch hier ab, wenn er gleichsam sagt: Umsonst hat Gott dich Sohn genannt; er hat dich mit diesem Geschenke nur getäuscht; oder wenn es nicht so ist, so gib uns einen Beweis deiner göttlichen Macht und Würde. Und weil ihm dann der Herr aus der Hl. Schrift antwortete, so bringt er jetzt das Zeugnis eines Propheten. Was tat nun Christus? Er ward nicht unwillig und geriet nicht in Zorn, sondern antwortet ihm nochmals mit aller Gelassenheit aus der Hl. Schrift und sagt: 

   V.7: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen." 

   Damit will er uns zeigen, dass man den Teufel nicht mit Wunderzeichen, sondern durch Geduld im Leiden und durch Langmut besiegen müsse, und dass man nichts tun dürfe, bloß um sich zu zeigen und seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Indes kannst du die Torheit des Teufels gerade aus dem Schrifttext erkennen, den er selber zitiert hat. Die zwei Stellen, die der Herr vorgebracht hat, stimmen beide sehr gut zueinander; diejenigen hingegen, die der Teufel anführte, sind ganz willkürlich gewählt und passen gar nicht zu dem, worum es sich handelte. Die Worte der Schrift: "Er befiehlt seinen Engeln deinetwegen", wollen ja nicht sagen, man solle sich selber irgendwo hinabstürzen; außerdem bezieht sich die betreffende Stelle gar nicht auf den Herrn. Indessen hat der Herr dieses Zitat damals nicht widerlegt, obwohl der Teufel dasselbe frech mißbrauchte, und ihm einen ganz falschen Sinn unterschob. Denn vom Sohne Gottes verlangt ja doch niemand derartiges; wohl aber ist es eine Einflüsterung des Teufels und der Dämonen, sich selbst irgendwo hinabzustürzen; Gottes Sache hingegen pflegt ja selbst die Gefallenen wieder aufzurichten. Hätte es also gegolten, seine Macht zu zeigen, so hätte er es nicht dadurch getan, dass er sich selbst zwecklos in den Abgrund stürzte, sondern dadurch, dass er andere davon bewahrte. Denn sich selbst in Untiefen stürzen, das pflegen nur diejenigen zu tun, die zum Heerbann des Teufels gehören. So macht es also dieser Betrüger überall. Indes, trotz allem, was er vorgebracht, offenbart sich ihm Christus noch nicht, sondern redet weiter mit ihm wie ein bloßer Mensch. Seine Antworten: "Nicht vom Brote allein lebt der Mensch", und: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen", waren nicht besonders geeignet, seine wahre Natur zu offenbaren; sie ließen ihn eher wie einen gewöhnlichen Menschen erscheinen. Jedoch brauchst du dich nicht zu wundern, dass der Teufel in seinem Gespräch mit Christus sich mehrmals gleichsam im Kreise dreht. Wenn die Faustkämpfer tödliche Wunden empfangen, dann taumeln sie blutüberströmt und vom Schwindel ergriffen im Kreise herum. So auch der Teufel; von dem ersten und zweiten Schlage betäubt, spricht er im folgenden offen und ohne Umschweife und geht zum dritten Angriff vor. 

   V.8: "Und er führte ihn auf einen hohen Berg, zeigte ihm alle Königreiche der Welt 

   V.9: und sprach: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. 

   V.10: Da antwortete ihm der Herr: Weiche zurück, Satan! Denn es steht geschrieben; Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen." 

   Da der Teufel jetzt gegen Gott den Vater gesündigt hatte, indem er alles das sein eigen nannte, was jenem gehörte, und sich im Ernst für Gott ausgab, als wäre er der Schöpfer des Weltalls, so weist Christus ihn zurecht, aber auch da nicht mit Heftigkeit, sondern ganz einfach und ruhig: Weiche zurück, Satan! Dieser Befehl war viel wirksamer, als Tadel; denn der Herr ihm sagen: Weiche zurück, und der Teufel die Flucht ergreifen, das war ein und dasselbe; er versuchte ihn nicht mehr länger.



4.

Wir kommt es aber, dass Lukas sagt, der Teufel habe jede Art von Versuchung erprobt. Ich glaube, dadurch, dass er die hauptsächlichsten Versuchungen nannte, hatte er alle genannt, da ja auch die anderen in diesen mit inbegriffen sind. Denn die Laster, die tausend andere Sünden im Gefolge haben, sind: dem Bauche dienen, dem Ehrgeiz nachgehen, der Geldgier frönen. Das wußte denn auch dieser Unselige, und brachte darum die stärkste aller Versuchungen zuletzt, die Gier nach immer größerem Besitz. Es war schon von allem Anfang an seine Absicht gewesen, mit ihr zu kommen, doch sparte er sie bis zuletzt, da sie stärker ist, als alle anderen. Das ist nämlich seine Hauptregel im Kampfe, das, was einen am ehesten zu Fall zu bringen verspricht, erst zuletzt ins Feld zu führen. So hatte er es auch mit Job gemacht. Er beginnt darum auch hier mit dem, was ungefährlicher und weniger zugkräftig zu sein scheint und geht dann erst zu stärkeren Mitteln über. Wie müssen wir es also anstellen, um da die Oberhand zu gewinnen? Wir müssen tun, was Christus uns gelehrt, d.h. zu Gott unsere Zuflucht nehmen, und uns auch im Hunger nicht überwältigen lassen, sondern auf den vertrauen, der auch durch sein Wort ernähren kann, und nicht mit dem Guten, das wir empfangen, dessen Geber versuchen. Begnügen wir uns vielmehr mit der Ehre, die unser im Himmel wartet und verachten wir die, so von Menschen kommt. Auch sollen wir in allem das zurückweisen, was über das notwendige Maß hinausgeht. Denn nichts bringt uns so leicht unter die Gewalt des Teufels, als Habsucht und Geiz. Das können wir auch jetzt im täglichen Leben beobachten. Auch jetzt gibt es ja noch Leute, die sagen: Alles das werden wir dir geben, wenn du niederfällst und uns anbetest. Das sind Leute, die ihrer Natur nach zwar Menschen, in der Tat aber Werkzeuge des Teufels geworden sind. Denn auch damals machte sich der Teufel nicht bloß selbst, sondern auch durch andere an den Herrn heran. Das läßt uns auch Lukas erkennen, wenn er sagt: "Bis auf weiteres ließ er[177] von ihm ab" (Lc 4,13); er gibt damit zu verstehen, dass er ihn später durch seine eigenen Helfershelfer versuchte. 

   V.11: "Und siehe, es kamen Engel herzu und dienten ihm." 

   Solange die Versuchung gedauert hatte, wollte der Herr nicht, dass die Engel erschienen, um nicht durch sie den Gegner zu verscheuchen; nachdem er aber den Teufel auf der ganzen Linie geschlagen und in die Flucht gejagt, da erst erscheinen die Engel. Daraus sollst du erkennen, dass auch deiner nach deinen Siegen über den Teufel die Engel harren, die dir Beifall zollen und überall dein Geleite bilden. So haben auch den Lazarus Engel abgeholt, nachdem er durch das Feuer der Armut, des Hungers und jeglicher Entbehrung hindurchgegangen. Wie ich nämlich schon früher sagte, weist uns hier Christus auf viele Dinge hin, die uns selbst einmal zuteil werden sollen. Da also dies alles um deinetwillen geschehen ist, so gib dir auch deinerseits Mühe zu siegen, wie er. Und sollte je einer von diesen Dienern und Gesinnungsgenossen des Teufels sich dir nahen, dich verhöhnen und sagen: Wenn du wirklich so bewundernswert bist und groß, so versetze diesen Berg, dann laß dich nicht aus der Ruhe und Fassung bringen; antworte ihm ganz gelassen mit den Worten des Herrn: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen." Und wenn dir der andere Ruhm und Macht anbietet und unermeßlichen Reichtum, und dafür verlangt, du sollst ihn anbeten, so zeige dich auch dann wieder standhaft. Der Teufel hat ja das gleiche nicht bloß bei demjenigen getan, der unser aller Herr ist; er versucht die gleichen Künste auch tagtäglich bei jedem einzelnen Diener dieses Herrn, und das nicht bloß auf Bergeshöhen oder in der Einsamkeit, und nicht nur in eigener Person, sondern mitten in den Städten, auf offenem Marktplatz, in öffentlichen Gebäuden, und durch unsere eigenen Mitmenschen! 

   Was haben wir also unter diesen Umständen zu tun? Dem Teufel niemals Glauben schenken, niemals auf ihn hören, seine Schmeicheleien verabscheuen, und je größere Dinge er verheißt, um so entschiedener ihm den Rücken kehren. Hat er ja doch auch die Eva gerade in dem Augenblick zu Fall gebracht und ihr den größten Schaden zugefügt, da er ihr die größten Hoffnungen gemacht hatte. Er ist eben ein unversöhnlicher Feind und hat einen schonungslosen Krieg gegen uns unternommen. Ja wir sinnen lange nicht so viel auf unsere Rettung, als er auf unser Verderben. Jagen wir ihn also von uns, nicht bloß mit Worten, sondern auch durch Taten und tun wir nichts von dem, was er uns rät; denn eben dann werden wir alles das tun, was Gott gefällt. Der Teufel verheißt uns freilich vieles, aber nicht, um es uns zu geben, sondern um es uns zu nehmen. Er verspricht uns einen Teil von seinem Raube, nur um uns das Himmelreich mit seiner Gerechtigkeit zu stehlen. Die Schätze der Erde breitet er vor uns aus wie Schlingen und Fangnetze, weil er uns um die irdischen wie um die himmlischen Schätze zu bringen sucht. Hienieden will er uns reich machen, damit wir drüben nichts besäßen. Und wenn es ihm mit dem Reichtum nicht gelingt, uns unser himmlisches Erbe zu rauben, so versucht er es auf dem entgegengesetzten Weg der Armut. So hat er es bei Job gemacht. Nachdem er nämlich gesehen, dass ihm der Reichtum nicht schadete, stellte er ihm mit der Armut nach, in der Hoffnung, ihn durch sie zu bezwingen. Gibt es aber etwas Törichteres als das? Denn wer imstande ist, den Reichtum maßvoll zu gebrauchen, der wird noch weit eher die Armut hochherzig ertragen. Wer sein Herz nicht an das hängt, was er hat, der wird auch nach dem nicht verlangen, was er nicht hat. Auch der glückselige Job hat seinerzeit dies nicht getan; vielmehr hat ihm seine Armut nur noch größeren Ruhm verschafft. Sein Hab und Gut konnte der böse Feind ihm nehmen, seine Liebe zu Gott hingegen konnte er ihm nicht bloß nicht nehmen, sondern er bewirkte im Gegenteil, dass sie noch viel stärker wurde, und während er ihn von allem entblößte, erreichte er nur, dass er mit um so höherem Reichtum glänzte. Darum ward auch der Teufel zuletzt ganz ratlos; denn je mehr Wunden er ihm schlug, um so stärker mußte er ihn jedesmal nachher sehen. Nachdem er also alle Mittel angewendet und alles versucht hatte, ohne irgend etwas zu erreichen, nahm er zu seiner alten Waffe Zuflucht, d.h. zum Weibe, und unter dem Scheine der Teilnahme schildert er in herzzerreißenden Tönen dessen Unglück, und tut, als bringe er den bekannten verderblichen Rat nur deshalb vor, um ihn von seinen Leiden zu befreien. Aber auch damit richtete er nichts aus. Der bewundernswerte Mann erkannte eben seine List, und brachte mit großer Klugheit das Weib, aus dem der Teufel redete, zum Schweigen.



5.

Dasselbe sollen denn auch wir tun; sei es nun, dass der Teufel sich in unserem Bruder, in einem treuen Freund, in unserer Frau oder in sonst einem von denen verbirgt, die uns besonders nahe stehen; sobald er etwas vorbringt, was sich nicht gehört, dürfen wir solche Einflüsterungen nicht um der Person willen, von der sie kommt, annehmen, wir müssen im Gegenteil die Person ob des verderblichen Rates von uns weisen, den sie uns gegeben. Auch jetzt macht es ja der Teufel noch oft so; er setzt die Maske des Mitleides auf, und gibt sich den Anschein wohlwollender Teilnahme, während er uns verderbliche Ratschläge einflüstert, die schädlicher wirken als Gift. Das ist ganz eigentlich seine Art, schmeicheln, um uns zu schaden; und dagegen tadeln, um uns zu nützen, das tut nur Gott. Täuschen wir uns also nicht, und suchen wir nicht auf jede Weise ein möglichst freies Leben zu führen. Es steht ja geschrieben: "Wen der Herr liebt, den züchtigt er" (Pr 3,12). Gerade dann müssen wir also am meisten trauern, wenn wir ein schlechtes Leben führen, und es uns recht gut dabei geht. Wenn wir sündigen, müssen wir ja immer in Furcht leben, am meisten aber dann, wenn wir nichts dafür zu leiden bekamen. Wenn Gott uns die verdiente Strafe stückweise zumißt, so macht er uns die Buße für unsere Sünden leicht; wenn er aber die Strafe für jede einzelne Sünde zusammenkommen läßt, und wir immer in unseren Sünden verharren, so wartet unser ein schönes Gericht! Ja, wenn schon die Gerechten Trübsal leiden müssen, dann um so mehr noch die Sünder. Sieh nur, wie langmütig Gott sich gegen Pharao zeigte, wie dieser aber zuletzt für all seine Sünden aufs schwerste gestraft wurde; wieviel Nabuchodonosor gesündigt, und wie er am Ende alles büßen mußte. Und der reiche Prasser, dem hienieden nie etwas Böses widerfuhr, ward gerade deshalb nur um so unglücklicher; denn nach einem schwelgerischen Leben auf Erden kam er zur Strafe für all seine Sünden an einen Ort, an dem er keinerlei Linderung in seinem Leiden finden konnte. Gleichwohl gibt es Leute, die so gleichgültig und töricht sind, dass sie immer nur irdischen Freuden nachjagen, und dabei die bekannten lächerlichen Redensarten gebrauchen, wie z.B. Ich will vorläufig alle irdischen Freuden genießen und dann mich ums Jenseits kümmern; ich will dem Bauche frönen, dem Vergnügen huldigen und das Leben hienieden ausnützen; gib mir das Heute und nimm dafür das Morgen! O Übermaß der Torheit! Wodurch unterscheiden sich diejenigen noch, die so reden, von geilen Böcken und Schweinen? Wenn der Prophet  (Jr 5,8)jene, die nach einem fremden Weibe gieren, schon nicht mehr Menschen heißen will, wer wird uns dann tadeln wollen, wenn wir solche Leute mit Böcken und Schweinen vergleichen, und sie für unvernünftiger halten als wilde Esel; sie, die Dinge für ungewiß ausgeben, die doch klarer und gewisser sind als das, was man mit den eigenen Augen sieht? 

   Wenn du doch schon niemanden sonst glauben willst, sieh wenigstens zu, wie die Dämonen gezüchtigt werden, deren einzige Sorge es ja ist, alles zu reden und zu tun, was uns zum Schaden gereicht. Dagegen wirst du doch nicht einwenden wollen, dass sie nicht alles tun, um unsere Lauheit zu fördern, und die Furcht vor der Hölle zu nehmen sowie den Glauben ans jenseitige Gericht. Aber trotz ihres bösen Willens geben sie doch oft unter Schreien und Wehklagen Zeugnis von den Peinen, die sie drüben zu leiden haben. Wie kommt es also, dass sie so reden, und das Gegenteil sagen von dem, was sie eigentlich wollen? Von gar nichts anderem, als dass sie einer höheren Macht gehorchen müssen. Sie möchten ja doch lieber nicht freiwillig bekennen, dass sie von verstorbenen Menschen gepeinigt werden, noch dass sie überhaupt etwas zu leiden haben. Weshalb habe ich nun all dies gesagt? Weil gerade die Dämonen Zeugnis geben von dem Dasein der Hölle, die doch am liebsten möchten, dass wir nicht an die Hölle glauben. Und du, dem die so hohe Ehre zuteil wurde, an den unaussprechlichen Geheimnissen teilnehmen zu dürfen, du bist noch verhärteter als sie, und sagst: "Wer ist je aus der Hölle zurückgekehrt, und hat uns davon Kunde gebracht?" (Rm 10,7). Und wer ist je vom Himmel herabgestiegen, und hat bezeugt, dass Gott es ist, der das Weltall erschaffen? Und wie kann man beweisen, dass wir eine Seele haben? 

   Nun, wenn du nur an die sichtbaren Dinge glauben willst, dagegen an Gott und den Engeln, an deinem Verstand und deiner Seele zweifelst, dann wird dir überhaupt jede positive Wahrheit unter den Händen zerrinnen. Allein, wenn du überhaupt an objektive Erkenntnis glauben willst, dann mußt du an die unsichtbaren Dinge noch viel eher glauben, als an die sichtbaren. Wenn das auch widersinnig klingt, wahr ist es doch, und wird von allen bereitwilligst zugegeben, die überhaupt Verstand haben. Das leibliche Auge täuscht sich ja oft, nicht bloß bei unsichtbaren Dingen[178] , sondern auch bei denen, die es zu sehen scheint. Es wird eben durch die Entfernung, die Luft, durch Zerstreutheit des Geistes, durch Leidenschaften oder Sorgen und durch tausend andere Dinge an der genauen Beobachtung gehindert. Das Auge der Seele hingegen, besonders wenn es durch die göttlichen Schriften erleuchtet wird, ermöglicht ein viel genaueres und untrügliches Urteil über die Wahrheit. Täuschen wir uns also nicht vergebens, und das Feuer der Hölle, das wir schon durch den Leichtsinn unseres Lebens verdient haben, den diese verderblichen Lehren erzeugt, wollen wir nicht auch noch durch die Strafe für diese Grundsätze selbst vergrößern. Denn wenn es kein Gericht gibt, dann werden wir weder gestraft für unsere Missetaten, noch belohnt für unsere Mühen. Bedenke wohl, wohin eure Blasphemien führen, wenn ihr behauptet, dass Gott trotz seiner Gerechtigkeit, Liebe und Milde so große Mühen und Anstrengungen unbelohnt lasse! Wie ließe sich das noch mit der Vernunft in Einklang bringen? Ja, wenn du schon keine anderen Argumente gelten lassen willst, ziehe wenigstens einen Vergleich mit dem, was du selber in deinem eigenen Hause tust; dann wirst du schon einsehen, wie töricht deine Behauptung ist. Wenn du selbst auch noch so hartherzig und unmenschlich wärest, wilder als die wilden Tiere, du würdest doch einen treuen Diener bei deinem Tod nicht unbelohnt entlassen wollen, sondern würdest ihn durch die Freilassung belohnen und ihn mit Geld beschenken; und da du selbst nach deinem Tode nicht mehr imstande bist, ihm etwas Gutes zu erweisen, so empfiehlst du ihn dafür denen, die du zu deinen Erben bestimmt hast, bittest und beschwörst sie, und tust alles, was du nur kannst, damit er nicht ohne Belohnung bleibe. Also du, der du böse bist (Lc 11,13), erzeigst deinem Sklaven soviel Wohlwollen und Liebe; die unendliche Güte hingegen, Gott, die unaussprechliche Liebe, dessen Wohlwollen so groß ist, er sollte seine eigenen Diener unbelohnt lassen, einen Petrus und Paulus, Jakobus und Johannes, sie, die Tag für Tag um seinetwillen Hunger litten, in Fesseln schmachteten, mit Ruten geschlagen wurden, in die Tiefe des Meeres versenkt, den wilden Tieren vorgeworfen und dem Tode überliefert wurden, die soviel für ihn gelitten, dass man es nicht einmal aufzählen kann! 

   Der Preisrichter ruft den Namen des olympischen Siegers aus und übergibt ihm den Siegespreis, der Herr gibt seinem Sklaven, der König seinem Soldaten, und wer überhaupt jemand hatte, der ihm Dienste leistete, gibt ihm soviel Lohn als er kann; nur Gott allein gibt für so viele Mühen und Leiden keinen Lohn, sei er nun klein oder groß? Vielmehr sind diese Gerechten und Gottesfürchtigen, die sich jegliche Tugend erworben haben, nicht besser daran als die Ehebrecher, Vatermörder, Totschläger und Grabschänder? Sollte das noch vernünftig sein? Ja, wenn nach unserem Tode alles aus ist, und unser ganzes Leben sich auf diese Welt beschränkt, dann sind die einen in der gleichen Lage wie die anderen; oder vielmehr sie sind nicht einmal in der gleichen Lage. Denn wenn auch, nach deiner Voraussetzung, ihr beiderseitiges Los nach dem Tode das gleiche ist, so leben doch hienieden die einen immerfort in Freude und Genuß, die anderen in Mühsal und Entbehrung. Wo ist ein Tyrann, der dessen fähig wäre, wo ist ein Mensch so verroht und herzlos, dass er so gegen seine Diener und Untergebenen gesinnt wäre? Siehst du, welch unglaubliche Albernheit dies ist, und wohin deine Annahme führt? Wenn du also schon keine anderen Beweise gelten lassen willst, laß dich wenigstens durch diese Erwägungen belehren, gib diese verwerflichen Ansichten auf, laß ab von allem Bösen, und unterwirf dich den Mühen des Tugendstrebens. Dann erst wirst du wahrhaft erkennen, dass es mit uns nach diesem Leben noch keineswegs zu Ende ist. 

   Wenn dich aber jemand fragt : Wer ist jemals aus der anderen Welt gekommen und hat uns Kunde von ihr gebracht? Dann gib zur Antwort: Ein Mensch allerdings noch nie; denn wenn auch einer käme, man würde ihm doch zumeist nicht glauben und sagen, er vergrößere und übertreibe die Sache. Dafür hat uns aber der Herr der Engel dies alles genau geoffenbart. Was brauchen wir also noch einen Menschen, wenn doch derjenige, der einst Rechenschaft von uns fordern wird, uns täglich zuruft, er habe die Hölle bereitet und den Himmel, und uns auch klare Beweise dafür gibt? Wenn nämlich er nicht einstens richten würde, so würde er auch hienieden keine Strafen verhängen. Denn wie wäre es auch logisch und gerecht, von den Sündern die einen zu bestrafen, die anderen aber nicht? Wenn vor Gott kein Ansehen der Person gilt, wie dies auch wirklich nicht der Fall ist, wie kommt es dann, dass er den einen strafte, den anderen aber ohne Sühne sterben ließ? Diese Frage ist noch schwieriger als die erste. Indes werde ich auch diese Schwierigkeit lösen. wenn ihr meinen Worten geneigtes Gehör schenken wollt. Wie lautet also die Lösung? Gott straft einerseits nicht alle Sünder schon in diesem Leben, damit du nicht den Glauben an die Auferstehung verlierest und die Erwartung des Gerichtes, da er ja mit allen schon in diesem Leben Abrechnung gehalten; andererseits läßt er auch nicht jeden ohne Sühne sterben, damit du nicht glaubest, es walte keinerlei Vorsehung in der Welt. Deshalb straft er die einen und die anderen nicht. An den einen will er eben zeigen, dass er auch im Jenseits diejenigen zur Rechenschaft ziehen werde, die in dieser Welt straflos ausgingen; durch die anderen will er in dir die Überzeugung wecken, dass nach dem Tode ein strenges Gericht auf uns wartet. Würde er sich aber überhaupt nicht um uns kümmern, so würde er auch niemand Strafen auferlegen, und niemand etwas Gutes tun. Nun aber siehst du, dass er um deinetwillen das Himmelszelt über dir ausgespannt und die Sonne erschaffen hat, dass er die Erde gegründet und das Meer zusammenfließen ließ, dass er die Luft ausgebreitet und dem Mond seine Bahnen gewiesen, dass er den Jahreszeiten ihre festen Grenzen bestimmt, und dass alle anderen Dinge genau in den Bahnen sich bewegen, die er ihnen vorgezeichnet. Unsere eigene Natur, die Tiere, die da kriechen oder gehen, die Vögel, die Fische in den Teichen, Quellen und Flüsse, die Tiere, die auf Bergen, in Tälern und in den Häusern leben, die in der Luft und auf der Erde sind, alle Pflanzen und Keime, die Bäume, die wilden und die edlen, fruchtbare und unfruchtbare, mit einem Worte alles, was immer durch Gottes nie ermüdende Hand geleitet wird, trägt bei zur Erhaltung unseres Lebens und steht uns zu Diensten, nicht bloß so, dass es eben noch genügt, sondern in geradezu verschwenderischer Fülle. Wenn du also diese schöne Aufeinanderordnung der Dinge beobachtest, und ich habe doch kaum den tausendsten Teil davon erwähnt, da wagst du noch zu behaupten, derjenige, der all diese großen und herrlichen Dinge um deinetwillen geschaffen, werde gerade in dem wichtigsten Augenblick deiner vergessen, und dich denselben Tod sterben lassen wie Esel und Schweine! Und nachdem er dich durch die große Gnade der wahren Religion ausgezeichnet hat, durch die du sogar den Engeln gleich geworden bist, werde er um dich und alle deine ungezählten Sorgen und Mühen sich nicht mehr kümmern? Wie wäre so etwas denkbar? Ja, wenn wir auch schweigen wollten, die Steine würden zu reden anfangen; so offenbar und selbstverständlich ist dies, klarer noch als selbst die Sonne! Nachdem wir also durch all diese Erwägungen uns selbst überzeugt haben, dass wir nach unserem Tode ein furchtbares Gericht zu bestehen haben werden, und Rechenschaft geben müssen über alles, was wir getan, dass wir Strafe und Buße zu gewärtigen haben, wenn wir in unseren Sünden verharren, dagegen Siegeskronen und unaussprechliche Freuden auf uns warten, wenn wir nur ein wenig uns selbst in Zucht halten wollen, so bringen wir unsere Gegner in diesem Punkte zum Schweigen, und wählen wir für uns selbst den Weg der Tugend, damit wir mit entsprechender Zuversicht vor den Richterstuhl Gottes treten können, um den verheißenen Lohn zu empfangen, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen.






Kommentar zum Evangelium Mt 12