Kommentar zum Evangelium Mt 22

Zweiundzwanzigste Homilie. Kap. VI, V.28-34.

22 Mt 6,28-34
1.

V.28: "Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht und spinnen nicht.

   V.29: Ich aber sage euch: Nicht einmal Salomon in all seiner Herrlichkeit war so gekleidet wie eine einzige von ihnen." 

   Nachdem der Herr von der notwendigen Nahrung gesprochen und gezeigt hatte, dass wir nicht einmal ihretwegen uns ängstlich sorgen sollen, so geht er jetzt zu etwas Leichtere, über. Die Kleidung ist ja nicht so notwendig wie die Nahrung. Warum gebraucht er nun aber nicht auch hier denselben Vergleich mit den Vögeln und weist nicht hin auf den Pfau und den Schwan und das Schaf? Er hätte ja viele solche Beispiele aus der Tierwelt entnehmen können. Weil Christus die Größe seines Gebotes an beiden erläutern wollte, an dem geringen Wert der Geschöpfe, denen solche Pracht zu eigen geworden, sowie an der Schönheit des Schmuckes, mit dem die Lilien ausgestattet sind. Deshalb nennt er sie auch, weil er selbst sie geschaffen, nicht mehr Lilien, sondern

   V.30: "Heu vom Felde." 

   Und selbst diese Bezeichnung genügt ihm noch nicht, sondern er fügt einen anderen geringschätzigen Ausdruck hinzu, indem er sagt: "das heute ist". Und dann fährt er nicht fort: und das morgen nicht mehr sein wird, sondern, was weit geringschätziger klingt: "das in den Ofen geworfen wird". Auch sagte er nicht: er bekleidet, sondern: "so bekleidet er".Siehst du, wie er überall oft vom Niederen zum Höheren fortschreitet? Das tut er aber, um auf sie um so größeren Eindruck zu machen; darum fügt er auch hinzu: "Also nicht um so mehr euch?"Auch das hat wieder eine große Bedeutung. Mit dem "euch" wollte er nämlich nichts anderes bezeichnen als das Wertvolle, Erhabene unseres Geschlechts, gerade als hätte er gesagt: Euch, denen Gott eine Seele gegeben, denen er einen Leib gebildet, um derentwillen er alle sichtbaren Dinge erschaffen, für die er die Propheten gesandt und das Gesetz gegeben, denen er tausendfache Wohltaten erwiesen hat, für die er seinen eingeborenen Sohn dahingab? Nachdem er ihnen also das klar gemacht hat, so tadelt er sie auch und nennt sie "Kleingläubige". So ist eben ein guter Ratgeber: er lobt nicht bloß, sondern tadelt auch, um sie desto eher zur gehorsamen Annahme seiner Worte zu bewegen. Auf diese Weise gibt er uns die Lehre, und nicht bloß nicht ängstlich zu sorgen. sondern überhaupt kein Verlangen zu tragen nach kostbaren Kleidern. 

   Denn der Schmuck der Pflanzen und die Schönheit der Blumen, ja selbst Heu sind kostbarer als ein solches Kleid. Warum bist du also stolz auf eine Sache, die schon von einfachen Pflanzen weit übertroffen wird? Beachte auch, wie der Herr vom Anfang an sein Gebot als leicht hinstellt, indem er sie auch hier wieder von dem zu bewahren sucht, was ihnen nachteilig ist, und wovor sie sich fürchteten. Zu den Worten: "Betrachtet die Lilien des Feldes", fügt er hinzu: "Sie arbeiten nicht." Das beweist, dass er uns dies befiehlt, um uns von Mühsalen zu befreien. Also nicht das ist schwer, sich keine Sorgen machen, sondern nur das, sich welche machen. Und wie er mit den Worten:"sie säen nicht" nicht das Aussäen verbieten wollte, sondern die übermäßige Sorge, so hat er auch mit den Worten:"sie arbeiten nicht und spinnen nicht" nicht die Arbeit untersagt, sondern die ängstliche Sorge. Also Salomon ward von der Schönheit der Lilien übertroffen, und zwar nicht bloß ein oder zweimal, sondern solange er König war. Man kann ja doch auch nicht sagen, er sei einmal so, ein andermal anders gekleidet gewesen, vielmehr gab es nie in seinem Leben einen Tag, an dem er solche Schönheit erreicht hätte. Das ergibt sich klar aus den Worten: "während der ganzen Zeit seiner Regierung". Auch ist es nicht so, dass er nur von dieser einen Blume übertroffen worden wäre, während er etwa einer anderen an Schönheit gleichkam, vielmehr stand er allen zusammen nach. Darum sagt auch Christus: "wie eine einzige von ihnen".So groß nämlich der Unterschied ist zwischen Wahrheit und Lüge, so groß ist der zwischen jenen Kleidern und diesen Blumen. Wenn also Salomon sich für besiegt erklärte, der doch der glänzendste aller Könige war, die jemals lebten, wie wirst dann du solcher Blumen Schönheit übertreffen können, oder besser gesagt, dich auch nur entfernt mit ihr vergleichen dürfen? Dadurch gibt uns der Herr die Lehre, solch[266] Schönheit überhaupt nicht nachzustreben. 

   Erwäge nun auch das Ende. Trotzdem sie alle übertrifft, wird sie ins Feuer geworfen. Wenn nun aber Gott schon für geringfügige Dinge, die nicht der Rede wert sind, und kaum einen Nutzen haben, solche Fürsorge zeigt, wie wird er dich vergessen, das kostbarste aller Geschöpfe? Warum hat also Gott sie so schön gemacht? Um seine Weisheit und die Überfülle seiner Macht zu zeigen, und damit wir auf jede Weise lernen, ihm die Ehre zu geben. Denn nicht bloß "die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes" (Ps 18,2), nein, auch die Erde. Das zeigt uns David mit den Worten: "Lobet den Herrn, ihr fruchtbringenden Bäume und ihr Zedern all" (Ps 148,9). Manche Bäume loben ihren Schöpfer ob ihrer Frucht, andere ob ihrer Schönheit, andere ob ihrer Größe. Auch das beweist ja die unendliche Weisheit Gottes, dass er über so geringe Dinge solche Pracht ausgießt. Oder was gibt es Geringeres als eine Pflanze, die heute ist und morgen nicht mehr? Wenn er also bloßem Gras das gegeben, wessen es nicht bedurfte denn was nützt ihm, seine Schönheit, wenn es nachher ins Feuer geworfen wird? wie wird er dir das Nötige vorenthalten? Wenn er das Allergeringste so überaus schön gemacht, und zwar nicht aus Nützlichkeitsgründen, sondern nur, damit es bewundert werde, so wird er um so mehr dich das edelste aller Geschöpfe, in dem auszeichnen, dessen du notwendig bedarfst.



2.

So hat also Christus gezeigt, wie gut die Vorsehung Gottes ist. Er mußte aber den Zuhörern gegenüber auch noch einen Tadel aussprechen. Indes behandelt er sie auch da mit Schonung und wirft ihnen nicht Unglauben, sondern nur Kleingläubigkeit vor. "Denn", sagt er, "wenn Gott das Gras des Feldes also bekleidet, dann um so viel mehr euch, ihr Kleingläubigen."All dies hat aber der Herr selbst erschaffen; denn "alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist nicht ein Ding geworden" (Jn 1,3). Gleichwohl erwähnt er bis dahin nirgends sich selbst. Um seine göttliche Macht zu zeigen, genügt es ja vorläufig, dass er zu jedem der Gebote:"Ihr habt gehört, dass euren Vätern gesagt worden ist" hinzufügte: "ich aber sage euch". Wundere dich also nicht, wenn er auch im folgenden sich verborgen hält oder etwas rein Menschliches von sich aussagt. Auf eines nur richtete er zunächst sein Augenmerk, den Zuhörern seine Rede annehmbar zu machen und in allem zu zeigen, dass er mit Gott nicht im Widerspruch steht, sondern mit dem Vater übereinstimme und mit ihm zusammengehe. Dasselbe tut er denn auch hier. So oft er auch zu den Juden sprach, immer lenkt er die Rede auf den Vater, bewundert seine Weisheit, seine Vorsehung und seine Fürsorge für alles, das Große und das Kleine. So hat er auch da, wo er von Jerusalem sprach, dasselbe "die Stadt des großen Königs" genannt; und da er den Himmel erwähnte, nannte er ihn den "Thron Gottes". Als er sich über die Weltordnung verbreitete, schrieb er ebenfalls alles ihm zu und sagte: "Er breitete seinen Himmel aus über Schlechte und Gute, und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte" (Mt 5,45). Beim Gebet sodann hieß er uns sagen: "Sein ist die Herrschaft und die Macht und die Ehre." Hier redet er von seiner Fürsorge, zeigt, wie er auch im Kleinsten die höchste Kunstfertigkeit beweist und sagt: "Er bekleidet das Gras des Feldes." Auch nennt er ihn nirgends seinen Vater, sondern den ihrigen, um sie auch durch diese Ehrenbezeichnung zu gewinnen, und damit sie nicht ungehalten würden, wenn er ihn einmal seinen Vater nennen würde. Wenn man also wegen einfacher und notwendiger Dinge sich keine Sorgen machen soll, wie werden dann jene Verzeihung verdienen, die sich um kostbare Dinge ängstlich sorgen? Ja, wie sollen jene Nachsicht erlangen, die selbst auf den Schlaf verzichten, um anderen ihr Eigentum zu nehmen?

   V.31: "Seid also nicht ängstlich besorgt, und sagt nicht: Was werden wir essen, oder was werden wir trinken, oder womit werden wir uns bekleiden?

   V.32: Denn nach all dem verlangen die Weltleute." 

   Siehst du, wie er sie nochmals und noch mehr tadelt und doch zugleich zeigt, dass er nichts Schweres und Hartes vorgeschrieben hat? Durch die Worte: "Wenn ihr diejenigen liebt, die euch lieben, so tut ihr nichts Großes; das gleiche tun ja auch die Heiden", hat der Herr seine Zuhörer zu Höherem angeregt, indem er die Heiden erwähnte. Ebenso erwähnt er sie auch hier, um seinen Zuhörern einen Verweis zu geben und ihnen zu zeigen, dass er etwas unumgänglich Notwendiges von uns verlange. Während wir uns also vollkommener zeigen sollen als Schriftgelehrte und Pharisäer, was würden wir da nicht verdienen, wenn wir diese nicht nur nicht überträfen, sondern sogar noch in der niederen Gesinnung der Heiden verharren und ihre Kleinmütigkeit nachahmen wollten? Indes begnügte sich der Herr nicht mit diesem Tadel. Nachdem er sie in dieser Art zurechtgewiesen, sie aufgerüttelt und sie ganz gehörig beschämt hatte, so tröstete er sie auch wieder und sagt: "Denn euer Vater im Himmel weiß, dass ihr all dieser Dinge bedürfet."Er sagte nicht: Gott weiß es, sondern: "der Vater weiß es", um sie desto zuversichtlicher zu machen. Denn, wenn Gott ein Vater ist, und zwar ein eo guter Vater, so wird er es nicht über sich bringen, seine Kinder im Stich zu lassen, wenn sie in der größten Not sind; dazu sind ja nicht einmal die menschlichen Väter imstande. Außerdem führt er auch noch ein anderes Motiv an. Und welches? 

   "Dass ihr derselben bedürfet." Was er damit sagen will, ist dies: Sind diese Dinge etwa überflüssig, dass er ihrer nicht achtete? Aber er hat doch selbst das Überflüssige nicht mißachtet, z.B. beim Gras; nun handelt es sich aber hier sogar um Notwendiges! Also gerade, was du für einen Anlaß zur Sorge hältst, gerade das, sage ich, ist geeignet, dich von Sorgen abzuhalten. Wenn du sagst: gerade deshalb muß ich mich darum kümmern, weil es notwendige Dinge sind, so sage ich umgekehrt: gerade deshalb brauchst du dich nicht darum zu kümmern, weil sie notwendig sind. Selbst wenn es sich um Überflüssiges handelte, brauchtest du nicht zu verzweifeln, sondern müßtest das Vertrauen hegen, dass dir auch das gewährt würde. Nachdem aber notwendige Dinge in Frage sind, so darfst du nicht einmal mehr einen Zweifel aufkommen lassen. Oder wo ist der Vater, der imstande wäre, seinen Kindern nicht einmal das Notwendige zu bieten? Darum wird es ganz gewiß auch Gott gewähren. Er ist ja der Schöpfer der Natur und kennt deren Bedürfnisse ganz genau. Also auch das kannst du nicht etwa sagen, er sei wohl unser Vater, und das, um was wir bitten, seien notwendige Dinge, aber er wisse nicht, dass wir derselben bedürfen. Der, der die Natur selbst kennt, der sie geschaffen und sie so gebildet hat, wie sie ist, der kennt offenbar auch ihre Bedürfnisse, und zwar besser als du, der du ihre Bedürfnisse empfindest. Er hat es ja so gewollt, dass die Natur solche Bedürfnisse habe. Er wird also auch nicht seinem eigenen Willen widersprechen, und auf der einen Seite in die Natur Bedürfnisse hineinlegen, auf der anderen dir das vorenthalten, was du infolge dessen notwendig brauchst.



3.

Machen wir uns also keine Sorgen; wir erreichen damit doch nicht mehr, als dass wir uns selbst abquälen. Wenn Gott uns das Nötige gibt, ob wir uns darum ängstlich sorgen oder nicht, ja eher noch dann, wenn wir uns keine Sorgen machen, was nützen dich dann deine Sorgen mehr, als dass du dich selbst ganz überflüssigerweise bestrafst? Wer im Begriffe steht, zu einem reichen Mahle zu gehen, der wird sich doch nicht erst große Nahrungssorgen machen!" Und wer auf eine Quelle zugeht, der wird nicht bekümmert sein, ob er auch zu trinken bekomme! Drum wollen auch wir nicht tun wie Bettler und wollen nicht kleinmütig sein! Die göttliche Vorsehung hat ja noch viel reichlicher für uns gesorgt, als wenn alle Quellen und tausend Gastmähler für uns bereit wären. Außer dem bisher Genannten führt nämlich der Herr noch einen neuen Grund an, weshalb wir in diesen Dingen Zuversicht hegen sollen; er sagt:

   V.33: "Suchet das Himmelreich, und alles dies wird euch dazugegeben werden." 

   Erst nachdem er die Seele von den Sorgen befreit, erwähnt er auch den Himmel. Er war ja gerade deshalb gekommen, um das Alte aufzuheben und uns zu einem besseren Vaterland zu rufen. Darum tut er auch alles, um uns von den überflüssigen Dingen loszuschälen, auch von der Anhänglichkeit an die Erde. Aus diesem Grunde erwähnt er auch die Heiden und sagt: Derlei Dinge verlangen die Heiden, die alle ihre Mühe und Arbeit auf das zeitliche Leben verwenden, die sich nicht um die zukünftigen Dinge kümmern und sich keine Sorge um den Himmel machen. Das ist aber nicht euer Ideal, ihr habt ein anderes. Wir sind ja nicht deswegen erschaffen worden, um zu essen und zu trinken und uns gut zu kleiden, sondern um Gott zu gefallen und die himmlische Seligkeit zu erlangen. Wie also diese irdischen Dinge in unserem Streben[267] Nebenursachen sind, so sollen sie auch in unserem Gebete Nebensache sein. Darum sagte auch der Herr: "Suchet das Himmelreich, und dies alles wird euch dazugegeben werden." Er sagte nicht: Es wird gegeben werden, sondern: "Es wird dazugegeben werden", damit du erkennest, dass die irdischen Gaben gering sind im Vergleich zur Größe der zukünftigen. Deshalb hieß er uns auch nicht darum bitten, sondern um etwas anderes; dagegen sollen wir zuversichtliche Hoffnung hegen, dass wir auch dieses zum anderen hinzu erhalten werden. Bitte also um die himmlischen Güter, und du wirst auch die zeitlichen erhalten; bitte nicht um die sichtbaren Dinge, dann wirst du sie alle erlangen. Es ist ja auch unter deiner Würde, dich mit solchen Anliegen dem Herrn zu nahen. Da du all dein Mühen und Sorgen auf jene unaussprechlichen Güter richten sollst, so erniedrigst du dich selbst gewaltig, wenn du sie auf das Streben nach vergänglichen Dingen verwendest. Wie aber? fragst du. Hat denn der Herr nicht geboten, um das Brot zu bitten? Ja, aber er fügte hinzu: "das tägliche" und außerdem noch: "heute". Ebenso macht er es auch hier. Er sagte ja nicht; seid nicht ängstlich besorgt, sondern:

   V.34: "Seid nicht ängstlich besorgt wegen des morgigen Tags." 

   Dadurch hat er zugleich unsere Freiheit gewahrt sowie unsere Seele auf das gerichtet, was notwendiger ist. Hierdurch hieß er uns nämlich auch um das andere bitten; nicht als ob Gott nötig hätte, von uns daran erinnert zu werden, sondern um uns die Lehre zu geben, dass wir das Gute, das wir tun, nur mit seiner Hilfe vollbringen können, und damit wir uns recht daran gewöhnen, immer um diese Dinge zu bitten. Siehst du also, wie er seine Zuhörer auch dadurch zur Überzeugung bringt, dass sie ihre zeitlichen Bedürfnisse ganz sicher erhalten werden? Wer nämlich das Größere gibt, der wird viel eher noch das Geringere geben. Nicht deshalb will der Herr sagen, habe ich euch befohlen, nicht ängstlich besorgt zu sein und nicht zu bitten, damit ihr im Elend lebet und nackt umhergeht, sondern damit ihr auch an diesen Dingen keinen Mangel leidet. Gerade das war aber ganz besonders geeignet, sie anzuziehen. Auch beim Almosen hatte er sie gewarnt, sich damit vor den Menschen zu zeigen, und sie gerade so am meisten mit Vertrauen erfüllt auf das Versprechen, dass ihnen alles viel reichlicher zurückerstattet werde. Er sagte ja: "Dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir am hellen Tag zurückerstatten." Ebenso hält er sie auch hier davon ab, den zeitlichen Dingen nachzugehen, und gewinnt sie eben dadurch am ehesten, dass er ihnen verheißt, wenn sie nicht darnach strebten, würden sie alles in viel reichlicherem Maße erlangen. Eben deshalb, so ist der Sinn seiner Worte, heiße ich dich nicht nach diesen Dingen trachten, nicht damit du sie nicht erhaltest, sondern damit du sie in reichlichem Maße erhaltest, und zwar in der Art, wie es sich für dich geziemt, und mit dem Vorteil, der für dich paßt, damit du nicht etwa vor lauter Sorgen und Kümmernis ob dieser Dinge verwirrt und zerrissen, dich selber der zeitlichen wie der geistigen Gaben unwürdig machest; damit du nicht unnötigen Kummer zu tragen habest, und dann doch noch der zeitlichen Güter verlustig gehest. "Seid also nicht ängstlich besorgt um den folgenden Tag; denn jedem Tag genügt seine Plage" (Gn 3,19), d.h. die Kümmernis, das Leid,[268] . Genügt es dir nicht, im Schweiße deines Angesichtes dein Brot zu essen? Was vermehrst du dein Elend noch mit solchen Sorgen, auf die Gefahr hin, auch die Frucht deiner früheren Mühen zu verlieren?



4.

Unter "Plage" versteht hier der Herr nicht die Schlechtigkeit, nein! sondern das Elend, die Mühsal, Kreuz und Leid. So sagte er auch an einer anderen Stelle: "Ist vielleicht eine Plage in der Stadt, die der Herr nicht verursacht hätte?" (Am 3,6). Er meinte aber damit nicht Raub und Habsucht, noch sonst etwas Derartiges, sondern die Leiden, die von oben kommen. Ebenso heißt es: "Ich bin es, der den Frieden macht und die Übel schafft" (Is 45,7). Auch hier ist nicht die[269] Schlechtigkeit gemeint, sondern Hunger und Pest, die von den meisten Leuten als Übel betrachtet werden. Die meisten pflegen ja derlei Dinge Übel zu nennen. Als die Priester und Wahrsager jener fünf Landschaften die vor die Bundeslade gespannten Kühe ohne deren Kälber gehen ließen, wohin sie wollten, nannten ja auch sie jene gottverhängten Plagen, sowie die Trauer und den Schmerz, den sie ihnen verursachten, ein[270] "Übel" (1R 6,9). Dasselbe tut uns also auch hier Christus kund mit den Worten: "Jedem Tag genügt seine Plage." Nichts bereitet ja der Seele so viel Schmerz als Sorge und Kummer. Als der hl. Paulus zur Jungfräulichkeit aufmunterte, kleidete er seinen Rat in die Worte: "Ich will aber, dass ihr ohne Sorgen seid" (1Co 7,32). Wenn aber Christus sagt, der heutige Tag soll sich's mit seiner eigenen Sorge genügen lassen, so sagt er dies nicht, als ob der Tag Sorgen hätte, sondern weil er zu einem weniger gebildeten Volke redete und seinen Worten rechten Nachdruck verleihen wollte. Deshalb personifiziert er die Zeit und schließt sich in seiner Redeweise an die Gewohnheit der Menge an. 

   Auch gibt er hier nur einen Rat, in folgenden dagegen macht er den Rat zur Vorschrift und sagt: "Ihr sollt weder Gold haben noch Silber, noch eine Tasche für die Reise" (Mt 10,9-10). Nachdem er ihnen nämlich mit gutem Beispiel vorangegangen war, da wurden auch seine mündlichen Vorschriften strenger. Man nahm eben seine Worte besser auf, da sie durch seine früheren Taten bekräftigt waren. Wo hat er also seine Vorschriften durch die Tat beleuchtet? Höre nur, wie er sagt: "Der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen könnte" (Mt 8,20; Lc 9,58). Indes begnügt er sich auch damit nicht: auch an seinen Jüngern zeigt er uns dieselbe Lehre; denn auch sie hat er in diesem Sinne erzogen und duldete darum nicht, dass sie an irgend etwas Mangel litten. Beachte aber auch, wie groß die Fürsorge des Herrn ist: größer als die Liebe irgendeines Vaters sein kann. Solches befehle ich euch, sagt er nämlich, aus keinem anderen Grunde, als um euch von unnützen Sorgen zu befreien. Wenn du dir nämlich auch heute Sorgen machst wegen des morgigen Tages, morgen hast du doch auch wieder Sorgen. Wozu also sich überflüssige Gedanken machen? Warum zwingst du den heutigen Tag, mehr Leid und Kummer zu tragen, als ihm[271] zugemessen ist, legst ihm außer seinen eigenen Mühen auch noch die Last des folgenden Tages auf? Durch diese Überbürdung des einen Tages wirst du die Last des anderen doch nicht leichter machen, sondern nur ein Übermaß nutzloser Sorgen zur Schau tragen. Um nämlich seinen Zuhörern die Sache noch anschaulicher zu machen, verleiht Christus der Zeit gleichsam Leben und Person und stellt sie dar, als geschähe ihr das Unrecht, und als beschwerte sie sich dagegen ob der überflüssigen Belastung. Du hast eben den einzelnen Tag bekommen, damit du dich um das kümmerst, was ihn trifft. Warum legst du ihm also auch noch die Sorgen des folgenden Tages auf? Hat er denn an seinen eigenen nicht genug zu tragen? Wozu beschwerst du ihn also noch mehr? Wenn aber derjenige so redet, der uns die Gesetze gibt, und der uns einmal richten wird, so erwäge, wie herrlich die Dinge sein müssen, auf die er uns Hoffnung macht, wenn er doch selbst sagt, dieses irdische Leben sei so armselig und mühevoll, dass selbst die Sorge eines einzigen Tages genügt, uns mit Leid und Bitterkeit zu erfüllen. Indes, trotz dieser vielen und gewichtigen Mahnungen machen wir uns wohl um diese zeitlichen Dinge Sorgen, nicht aber um die himmlischen. Wir machen es also gerade umgekehrt, und verfehlen uns in doppelter Weise gegen seine Befehle. Sieh nur, Christus sagt: Gebet euch gar keine Mühe um die zeitlichen Dinge; wir hingegen mühen uns fortwährend um sie ab. Der Herr mahnt: Suchet das Himmelreich; wir aber suchen es kaum eine schwache Stunde lang, sondern verwenden all unsere Sorgen auf die irdischen Dinge. So groß ist unsere Nachlässigkeit in geistlicher Hinsicht, ja noch viel größer! 

   So kann es aber nicht immer weitergehen; es darf nicht immer so bleiben! Siehe, es vergehen zehn Tage, ohne dass wir uns um den Himmel kümmern, ja zwanzig und hundert. Ist es denn aber nicht ganz sicher, dass wir einmal sterben müssen und dann in die Hände des Richters fallen? Doch es beruhigt dich, dass dies noch lange ansteht. Aber welche Beruhigung kann es dir bieten, jeden Tag Strafe und Züchtigung gewärtigen zu müssen? Wenn du willst, dass die noch übrige Spanne Zeit dir Trost und Beruhigung verschaffe, so suche sie in der Besserung, die eine Frucht der Buße ist. Wenn du in dem Aufschub der Strafe einen Trost zu finden glaubst, so ist es doch viel eher ein Gewinn, überhaupt nicht der Strafe zu verfallen. Benutzen wir also die Zeit, die uns noch übrig bleibt, um von all den drohenden Peinen vollständig befreit zu werden. Es handelt sich bei den Geboten des Herrn nicht um etwas Lästiges oder etwas Widerwärtiges; vielmehr ist alles so bequem und leicht, dass wir bei aufrichtig gutem Willen alles leicht erfüllen können, und hätten wir auch unzählige Sünden auf dem Gewissen. So hatte ja auch Manasse  (2R 21) unerhörte Freveltaten sich zuschulden kommen lassen, hatte seine Hand gegen das Heiligtum ausgestreckt, Greuel und Entehrung in den Tempel getragen, die Stadt mit Mord erfüllt und viele andere Missetaten begangen, die zu groß waren, als dass sie Verzeihung verdient hätten; gleichwohl hat er diese ungeheuren Freveltaten alle von sich abgewaschen. Wie und wodurch? Durch Buße und Sinnesänderung.



5.

Es gibt eben absolut gar keine Sünde, die der Gewalt der Buße, oder vielmehr der Gnade Christi nicht weichen müßte. Wenn wir uns nur bekehren, so haben wir den Herrn alsbald auf unserer Seite. Und willst du gut und recht werden, so hindert dich niemand daran; oder besser gesagt, es ist einer, der dich hindern möchte, der Teufel. Doch vermag er nichts auszurichten, wenn nur du das Beste willst und so Gott veranlassest, dir im Kampfe beizustehen, Wenn aber du nicht willst, sondern zurückweichst, wie soll er dir da helfen? Er will ja nicht durch Zwang und Gewalt retten, sondern nur den, der selber will. Hättest du einen Diener, der dich haßte und verabscheute, der dich oft im Stiche ließe und davonliefe, so würdest du ihn wohl nicht länger behalten wollen, selbst wenn du seine Dienste nötig hättest. Um so eher wird Gott, der nicht des eigenen Vorteils wegen, sondern zu deinem Heile alles tut, dich wohl schwerlich mit Gewalt bei sich behalten wollen. Zeigtest du aber andererseits nur guten Willen, so würde er dich wohl nie im Stiche lassen, was immer auch der Teufel dagegen tun möchte. Wir selber sind also Schuld an unserem Verderben. Wir nehmen eben nicht zu Gott unsere Zuflucht, wenden uns nicht an ihn und tragen ihm unsere Bitten nicht vor, wie wir sollten. Ja, wenn wir auch zu ihm gehen, so tun wir dies nicht wie Hilfsbedürftige, nicht mit dem nötigen Glauben, nicht als Bittsteller, sondern wir tun alles unter Gähnen und voll Nachlässigkeit. Und doch will Gott, dass wir ihn bitten, und ist uns sogar noch sehr dankbar dafür. Er ist eben der einzige Gläubiger, der dankbar ist, wenn man ihn um etwas bittet, und der uns zurückgibt, was wir ihm nicht geliehen haben. Denn wenn er sieht, dass jemand recht zudringlich bittet, so schenkt er auch das her, was er von uns nicht empfangen hat. Bittet man aber nachlässig, so läßt auch er auf sich warten, nicht etwa, weil er nicht gehen wollte, sondern weil es ihm Freude macht, wenn wir ihn bitten. Deshalb hat er auch das Gleichnis von jenem Freunde vorgebracht, der Nachts daherkam und um Brot bat (Lc 11,58), und das andere von dem Richter, der weder Gott fürchtete, noch um die Menschen sich kümmerte (Lc 18,18). Doch begnügte sich der Herr nicht mit den Gleichnissen allein, sondern bewährte seine Worte auch durch die Tat, als er der bekannten phönizischen Frau jene große Wohltat erwies und sie so entließ (Mt 15,22 Mt 15,28). An ihr hat er nämlich gezeigt, dass er den standhaften Bittstellern auch dann willfährt, wenn sie etwas wollen, das ihnen nicht eigentlich zukommt. "Denn", sagt er, "es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu nehmen und es den jungen Hunden vorzuwerfen" (Mt 15,26). Aber gleichwohl hat er es ihr gegeben, da sie ihn so inständig darum bat. An den Juden hingegen hat er gezeigt, dass er den Lauen auch das nicht gibt, was ihnen gehört. Sie haben nicht nur nichts erhalten, sondern sogar noch das verloren, was sie hatten. Und da sie nicht bitten wollten, haben sie nicht einmal empfangen, was ihnen gehörte. Jene Frau dagegen, die so beharrlich war, vermochte selbst das zu erlangen, was anderen gehörte, und so erhielt das Hündlein das Brot der Kinder. Etwas so Vorzügliches ist eben die Beharrlichkeit. Denn wärest du selbst ein Hund, würdest du nur beharrlich sein, du würdest dem nachlässigen Kinde vorgezogen werden; was die Freundschaft nicht vermochte, das brachte die Beharrlichkeit zustande. 

   Sage also nicht: Gott mag mich nicht, er wird mich nicht erhören. Er wird dich schnell erhören, wenn du nur mit Beharrlichkeit und Ausdauer bittest; und wenn er dich schon nicht aus Freundschaft erhört, so doch ob deiner Zudringlichkeit; da bildet weder Feindschaft, noch die unrechte Zeit, noch sonst etwas ein Hindernis. Sage auch nicht: Ich bin nicht würdig; darum werde ich auch nicht beten. Auch die Syrophönizierin war ja nicht würdig. Ebenso wende nicht ein: Ich habe viele Sünden begangen, und ich kann den nicht anflehen, den ich erzürnt habe. Gott schaut nicht auf die Würdigkeit, sondern auf die gute Absicht. Wenn die Witwe jenen Richter erweichen konnte, der weder Gott fürchtete, noch um die Menschen sich kümmerte, so wird ein beharrliches Gebet um so eher Gott anziehen, der gut ist. Wenn also auch Gott dir nicht gewogen wäre, wenn du auch um Dinge bätest, die er dir nicht schuldet, wenn du selbst dein väterliches Erbe verschwendet hättest und lange Zeit hindurch dich nicht mehr hättest sehen lassen, wenn du auch mit Schimpf und Schande bedeckt wärest und schlechter als alle anderen, und kämest du auch zu einem erzürnten und unwilligen Gott: hab nur den Willen, zu beten und dich Gott zu nahen, dann wirst du alles erlangen, und alsbald seinen Zorn besänftigen und sein Verwerfungsurteil rückgängig machen. Aber siehe, sagst du, ich bete und erreiche doch nichts. Ja, du betest eben nicht, wie jene anderen, wie z.B. die Syrophönizierin, wie der Freund, der zur Unzeit daherkam, und wie die Witwe, die den Richter unaufhörlich bestürmte, und nicht wie der Sohn, der sein väterliches Erbe verschwendet hatte. Wenn du so beten wolltest, so würdest du schnell erhört werden. Ja, wenn Gott auch beleidigt wurde, er ist doch unser Vater; wenn er erzürnt wurde, er liebt doch seine Kinder; und nur nach einem verlangt er, dich nicht für deine Missetaten zu strafen, sondern zu sehen, wie du bereust und ihn um Hilfe anrufst.



6.

O dass auch wir so entzündet werden möchten, wie sein Herz von Liebe zu uns erglüht! Indes sucht dieses[272] Feuer nur eine günstige Gelegenheit. Wenn du ihm nur einen kleinen Funken hinhältst, so entzündest du den ganzen Feuerbrand seiner wohltätigen Liebe. Er zürnt ja nicht, weil er beleidigt ward, sondern weil du der Beleidiger bist und dazu so unverschämt warst wie ein Betrunkener. Wenn schon wir, die wir doch schlecht sind, Schmerz empfinden, wenn unsere Kinder uns beleidigen, so empfindet um so mehr Gott, der doch gar nicht beleidigt werden kann, Unwillen über dich, den Beleidiger. Wenn dies uns schon so geht, die wir nur eine natürliche Liebe haben, dann um so mehr dem, der in übernatürlicher Weise liebt. "Denn", sagt er, "wenn auch eine Mutter ihre eigenen Kinder vergessen könnte, ich werde dich nicht vergessen" (Is 49,15). Treten wir also hin zum Herrn und sagen wir ihm: Jawohl, Herr, auch die Hündlein nähren sich von den Brosamen, die von dem Tische ihrer Herren fallen" (Mt 15,27). Treten wir hin zu ihm, zur Zeit oder zur Unzeit, oder besser gesagt, wir können gar nicht zur Unzeit zu ihm kommen. Unzeitig ist es nur, wenn man nicht immer zu ihm kommt. Bei dem, der nur darnach verlangt zu geben, kommt man mit seinen Bitten immer recht. Wie das Atmen niemals unzeitgemäß ist, so auch nicht das Bitten, wohl aber dessen Unterlassung. Denn wie wir den Atem benötigen, so brauchen wir auch Gottes Hilfe; und wenn wir nur wollen, werden wir ihn uns leicht geneigt machen. Das hat auch der Prophet geoffenbart und hat gezeigt, dass der Herr stets zu Wohltaten bereit ist, mit den Worten: "Wie die Morgendämmerung, so werden wir ihn bereit finden" (Os 6,3). Denn so oft wir auch zu ihm kommen, immer werden wir sehen, dass er bereit ist, unsere Bitten anzuhören. Wenn wir aber nichts von der reichfließenden Quelle seiner Heiligkeit uns aneignen, so ist dies allein unsere Schuld. Das hat der Herr auch den Juden vorgehalten mit den Worten: "Mein Erbarmen ist wie eine Wolke am frühen Morgen und wie Tau, der in der Morgendämmerung vorübergeht" (Os 6,4). Der Sinn dieser Worte ist der: Ich habe meinerseits alles getan, was ich konnte, ihr aber habt durch eure große Schlechtigkeit diese unaussprechliche Großmut zuschanden gemacht, gerade so, wie die aufsteigende Sonnenhitze die Wolken und den Tau auflöst und verscheucht. Aber auch das ist ein Zeichen der göttlichen Fürsorge. Wenn Gott nämlich solche sieht, die seiner Wohltaten unwürdig sind, so hält er ein mit seinem Segen, um uns nicht sorglos zu machen. Wenn wir aber nur ein wenig uns bessern, nur so viel, dass wir unsere Sünden anerkennen, so läßt er alsbald seine Gnaden fließen, reichlicher als Quellen, und die Fülle der Wohltaten, die er über uns ausgießt, übersteigt die Fülle des Meeres. Und je mehr du erhältst, um so größer ist seine Freude, und gerade das macht ihn wieder um so geneigter, noch mehr zu geben. Er betrachtet es eben wie einen eigenen Gewinn, wenn wir gerettet werden und er den Bittenden recht reichlich geben kann. Das hat auch der hl. Paulus erklärt, da er sagte: "Er ist reich für alle und über alle, die ihn anrufen" (Rm 10,12). Nur dann zürnt er, wenn wir ihn um nichts bitten; nur dann wendet er sich von uns ab, wenn wir keine Anliegen vorbringen. Darum ist er arm geworden, um uns reich zu machen (2Co 8,9); darum hat er auch all seine Leiden ertragen, um uns zum Bitten zu bewegen. Verzweifeln wir also nicht! Nachdem wir so viele Anlässe und so gute Hoffnungen haben, wollen wir zu ihm kommen, und wenn wir auch jeden Tag sündigten, wollen ihn anflehen, ihm unsere Bedürfnisse mitteilen, und ihn um Verzeihung für unsere Sünden bitten. So werden wir zuletzt auch zum Sündigen immer weniger geneigt sein, werden den Teufel verjagen, die Gnade und Liebe Gottes uns erwerben, und der himmlischen Güter teilhaft werden durch die Gnade und das Erbarmen unseres Herrn Jesus Christus, der die Ehre und die Macht besitzt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!






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