Kommentar zum Evangelium Mt 70

Siebzigste Homilie. Kap. XXII, V.15-33.

70 Mt 22,15-33
1.

V.15: "Damals gingen die Pharisäer weg und hielten Rat, wie sie ihn in einer Rede fangen könnten." 

   Wann: "damals"? Zu der Zeit, da die Pharisäer ganz besonders hätten zerknirscht sein sollen, da sie Grund gehabt hätten, die Liebe des Herrn zu bewundern und um die Zukunft in Sorge zu sein, weil sie ja aus der Vergangenheit die Lehre für die Zukunft hätten ziehen und glauben sollen; sprachen doch die Tatsachen für seine Worte. Sogar Zöllner und Buhlerinnen hatten geglaubt, Propheten und Gerechte waren umgebracht worden, da hätten sie nicht der Ankündigung ihres eigenen Unterganges widersprechen, sondern daran glauben und in sich gehen sollen. Allein ihre Verkehrtheit ist noch nicht abgetan, sie wächst vielmehr und macht immer größere Fortschritte. Sie wollten den Herrn ergreifen, trauten sich aber nicht aus Furcht vor dem Volke; daher schlugen sie einen anderen Weg ein, um ihn in die Gefahr zu bringen, dass er sich als Verbrecher am Staate hinstelle 

   V.16: "Sie schickten ihm ihre Jünger zu samt den Herodianern und ließen sagen: Meister! wir wissen, dass Du wahrhaft bist und den Weg Gottes in Wahrheit lehrst und um niemand Dich kümmerst; denn du siehst nicht auf das Äußere des Menschen. 

   V.17: Gib uns nun Bescheid: was dünket Dir? Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht?" 

   Nachdem der jüdische Staat unter die Botmäßigkeit der Römer geraten war, mußten die Juden Steuer zahlen. Sie hatten es erlebt, dass gerade deswegen in früheren Zeiten Männer wie Theudes und Judas mit ihren Anhängern unter der Anklage versuchter Empörung hingerichtet worden waren, und wollten nun auch den Herrn durch solche Reden in einen ähnlichen Verdacht bringen. So schickten sie denn ihre Schüler und die Parteigänger des Herodes an ihn in der Hoffnung, ihm durch beide Teile eine Doppelgrube zu graben, ihn von allen Seiten zu umgarnen, um ihn, was er auch antworte, zu fangen. Antwortete er im Sinne der Herodianer, so hätten sie ihn angeklagt; antwortete er in ihrem Sinne, so sollten ihn die anderen anschuldigen. Sie wußten eben nicht, dass er bereits die Doppeldrachme bezahlt hatte. Sie hofften also, ihn auf irgendeiner Seite zu fassen, hätten aber doch lieber gehabt, er möchte sich gegen die Herodianer aussprechen. Sie schicken also ihre Jünger, um ihn durch deren Anwesenheit dazu zu reizen und hätten ihn dann dem Fürsten als einen Empörer ausgeliefert. Dieselbe Absicht läßt auch Lukas durchblicken, wenn er berichtet, man habe die Frage auch in Gegenwart des Volkes gestellt, offenbar um mehr Zeugen zu haben. Allein es kam ganz anders. 

   Die große Zahl der Anwesenden diente nur dazu, die Torheit der Pharisäer noch deutlicher ins Licht zu stellen. Auch ihre Schmeichelei und Tücke muß auffallen. "Wir wissen", sagen sie, "dass Du wahrhaft bist." Wie könnt ihr also behaupten, er sei "ein Verführer" (Mt 27,63), "ein Volksaufwiegler" (Jn 7,12),"er habe einen Teufel" (Jn 10,20) und sei "nicht von Gott"? (Jn 9,16). Wie konntet ihr kurz vorher den Beschluss fassen, ihn aus dem Wege zu räumen? (Jn 7,20). Sie lassen sich eben in allem nur von ihrer Hinterlist leiten. Da sie kurz zuvor auf ihre dreiste Frage:"Woher hast du die Vollmacht, also zu handeln" (Mt 21,23), keine Antwort erhalten hatten, wähnen sie, ihn durch Schmeichelei einnehmen zu können, dass er sich stolz gegen die bestehenden Gesetze und gegen die herrschende Staatsgewalt ausspreche. Deshalb sprechen sie ihm ihre Anerkennung wegen seiner Wahrhaftigkeit aus und gestehen, freilich ungern und in böser Absicht, die Wahrheit zu, um dann fortzufahren: "Du kümmerst Dich um niemand." Daraus ersiehst du, dass sie ihn offenbar zu Reden veranlassen wollen, die Herodes beleidigen und ihn selbst in den Verdacht brächten, er strebe nach der Herrschaft, weil er gegen die Gesetze auftrete; dann hätte er als Empörer und Hochverräter verurteilt werden können. Denn in den Worten:"Du kümmerst Dich um niemand" und: "Du siehst nicht auf die Person eines Menschen" spielten sie auf den Kaiser und auf Herodes an. Daran schließen sie die Frage: "Sage uns also, was dünkt Dir?" Jetzt ehrt ihr ihn und lasset ihn als Lehrer gelten; als er jedoch von eurem Heile sprach, da habt ihr ihn verachtet und verhöhnt. Daher kommt es, dass sie sich einmütig zusammengetan haben. Beachte auch ihre Heimtücke. Sie sagen nicht: Erkläre uns, was gut, was nützlich, was gesetzlich ist, sondern: "Was dünkt Dir?" Sie verfolgten eben nur den einen Zweck, ihn zu verraten und mit dem Herrscher zu verfeinden. Auch Markus weist darauf hin und deckt ihre Schurkerei und ihren Mordplan offen auf, wenn er erzählt, dass sie sagten: "Sollen wir dem Kaiser Steuer zahlen oder nicht?" (Mc 12,14). So schnaubten sie Rache und legten Fallstricke, während sie Anerkennung heuchelten. Was antwortet also der Herr? Er fragt: 

   V.18: "Was versucht ihr mich, ihr Heuchler?" 

   Siehst du, wie scharf er sie tadelt? Nachdem ihre Bosheit den Höhepunkt erreicht hatte und offen ans Licht gekommen war, teilt er schärfere Schläge aus, verwirrt sie zuerst und zwingt sie zum Schweigen, indem er ihre geheimen Anschläge aufdeckt und die Absicht, in der sie zu ihm kommen, vor aller Augen ans Licht zieht. Das tat er, um ihre Bosheit zu entlarven und ihnen weitere Versuche, ihm zu schaden, abzuschneiden. Ihre Worte troffen förmlich vor Freundlichkeit; sie nannten ihn Meister, bezeugten seine Wahrhaftigkeit und Unbestechlichkeit; allein damit konnten sie ihn, der ja Gott war, in keiner Weise täuschen. Daher mußten sie auch zur Überzeugung kommen, dass er sie so scharf anließ, nicht weil er etwa ihre Gedanken bloß mutmaßt, sondern weil er sie völlig durchschaute.



2.

Er läßt es aber bei diesem Tadel nicht bewenden; es wäre allerdings genug gewesen, um ihre böse Absicht zu brandmarken und ihre Bosheit an den Pranger zu stellen; doch blieb er dabei nicht stehen, sondern wies sie noch anderweitig in die Schranken. 

   V.19: "Zeigt mir die Steuermünze", 

   sagt er. Als man sie ihm zeigte, sprach er wie gewöhnlich durch ihren eigenen Mund das Urteil, indem er sie selbst es aussprechen läßt, dass es erlaubt sei, die Steuer zu entrichten. Das war ein glänzender und herrlicher Sieg. Wenn Jesus hierbei die Gegner fragt, so tut er es nicht, weil er nicht wüßte, was sie wollen, sondern um sie durch ihre eigene Antwort zu überführen. Denn als sie auf die Frage: 

   V.20: "Wessen ist dieses Bild?" erwiderten: 

   V.21: "Des Kaisers", 

   da sagte er: "Gebet also dem Kaiser, was des Kaisers ist." 

   Hier ist nicht von einem freiwilligen Geben, sondern von einem schuldigen Entrichten die Rede, weshalb er sich auf das Bild und die Aufschrift beruft. Um sodann ihrem Einwande: Also Menschen willst du uns unterwerfen, zuvorzukommen, setzt er bei: "und gebet Gott, was Gottes ist". Denn es ist ganz gut möglich, den Menschen zu leisten, was ihnen gebührt, und zugleich Gott zu geben, was man ihm schuldet. Daher befiehlt auch Paulus: "Gebet allen das Gebührende, wenn Abgabe, Abgabe; wenn Zoll, Zoll; wenn Ehrfurcht, Ehrfurcht" (Rm 13,7). Wenn es aber heißt: Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist", so sei überzeugt, dass nur solche Leistungen gemeint sind, die die Gottesfurcht in keiner Weise beeinträchtigen, sonst wäre es nicht des Kaisers, sondern des Teufels Steuer und Zoll. 

   Als sie seine Worte gehört hatten, wußten sie keine Antwort und sie staunten über seine Weisheit. Wahrlich, sie hätten an ihn glauben, ihn bewundern sollen, da er ihnen durch die Aufdeckung ihrer geheimen Gedanken und durch die Milde, mit der er sie zum Schweigen brachte, einen Beweis seiner Gottheit gegeben. Glaubten sie aber? Nein, sondern: 

   V.22: "Sie verließen ihn und gingen hinweg. 

   V.23: Und nach ihnen kamen die Sadduzäer zu ihm." 

   Welch eine Torheit! Kaum sind die Pharisäer mundtot gemacht, so machen sich diese an den Herrn, da sie doch hätten eingeschüchtert sein sollen. Aber das ist eben das Eigentümliche an der Keckheit, dass sie unverschämt und frech wird und sich selbst an Unmögliches wagt. Darauf will euch der Evangelist, durch solchen Unverstand verblüfft, hinweisen, wenn er schreibt: "An jenem Tage kamen sie zu ihm." Welcher Tag ist das? Derselbe, an dem er die Bosheit der anderen bloßgestellt und gebrandmarkt hatte. Was sind das aber für Leute, die Sadduzäer? Es war eine jüdische Sekte, die von der der Pharisäer verschieden und viel häßlicher als diese war. Sie lehrten, es gebe keine Auferstehung, keine Engel, keine Seele. Roh wie sie waren, hingen sie auch ausschließlich am Sinnlichen. Es gab nämlich auch bei den Juden verschiedene Sekten. So sagt Paulus: "Ich bin Pharisäer, gehöre zur strengsten Sekte bei uns" (Ac 23,6). Sie bringen nun das Gespräch nicht geradewegs auf die Auferstehung, sondern tragen einen erdichteten Fall vor, der meiner Ansicht nach nie vorgekommen ist, nur um den Herrn in Verlegenheit zu setzen. Sie glaubten damit sowohl die Tatsache der Auferstehung, als auch die Art und Weise derselben zu widerlegen. Auch sie wenden sich voll Ergebenheit an ihn und sagen: 

   V.24: "Meister! es hat Moses gesprochen: Wenn jemand gestorben ist, ohne Kinder zu haben, so solle sein Bruder das Weib desselben heiraten und Nachkommenschaft erwecken seinem Bruder (Dt 25,5). 

   V.25: Nun waren aber bei uns sieben Brüder. Und der erste hatte sich vermählt und starb, und weil er keine Nachkommenschaft hatte, hinterließ er sein Weib seinem Bruder. 

   V.26: Gleicherweise der zweite und der dritte bis auf den siebenten. 

   V.27: Zuletzt aber von allen starb auch das Weib. Wem von den sieben wird nun bei der Auferstehung das Weib gehören?" 

   Beachte, wie meisterhaft der Herr ihnen antwortet. Obschon eine hinterlistige Absicht sie zu ihm geführt hatte, so war doch mehr Unwissenheit der Anlaß zu ihrer Frage. Daher schilt er sie auch nicht Heuchler. Denn um sich keiner Zurechtweisung auszusetzen, weil sie den Fall von den sieben Männern anführen, schieben sie Moses vor; doch wird die Geschichte, wie schon erwähnt, wohl nur erdichtet sein; denn nachdem die beiden ersten Männer gestorben waren, hätte kaum ein dritter das Weib genommen, und wenn schon ein dritter, so doch kein vierter und fünfter, und wenn auch diese, so ganz bestimmt kein sechster und siebenter; sie hätten sich vielmehr aus Aberglauben von dem Weibe fern gehalten. Die Juden neigten ohne dies dazu. Sind schon in unseren Tagen viele Menschen abergläubisch, wieviel mehr erst zu jener Zeit. Und abgesehen von diesen Umständen suchten sie oft dergleichen Ehen auszuweichen, trotz der Verpflichtung des Gesetzes. So kam Ruth, die Moabitin, erst zur Ehe, als ein entfernter Verwandter sie nahm (Rt 4,1-10), und Thamar sah sich aus diesem Grunde genötigt, sich heimlich vom Schwiegervater Nachkommenschaft zu erwecken (Gn 38). 

   Wie kommt es aber, dass sie nicht bloß zwei oder drei, sondern sieben Männer vorgeben? Sie suchen durch diese Unzahl die Auferstehung um so mehr lächerlich zu machen. Deshalb gerade sagen sie: 

   V.28: "Alle haben sie gehabt", 

   um den Herrn in Verlegenheit zu setzen. Was erwidert nun Christus? Er nimmt in seiner Antwort nicht gegen die Geschichte an sich, sondern gegen ihre Absicht Stellung und deckt ihre innersten Gedanken auf, indem er sie teils öffentlich brandmarkt, teils deren Verurteilung dem Gewissen der Fragenden anheimstellt. Siehe auch, wie er hier zwei Dinge beweist, erstens, dass es eine Auferstehung gibt, zweitens, dass dieselbe nicht in der Weise stattfindet, wie die Sadduzäer sich vorstellten. Wie lauten nun seine Worte? 

   V.29: "Ihr irret, weil ihr weder die Schriften kennt noch auch die Macht Gottes." 

   Da sie durch die Berufung auf Moses große Vertrautheit mit dem Gesetze an den Tag legen wollen, so zeigt Christus zunächst, dass ihre Frage die größte Unkenntnis des Gesetzes verrät. Sie versuchten ihn ja nur, weil sie im Gesetze so unwissend waren, sowie auch, weil sie Gottes Macht nicht gehörig kannten. Er will gleichsam sagen: Kein Wunder, dass ihr mich versuchet, denn ihr kennt mich nicht, da ihr ja auch die Macht Gottes nicht kennet, trotzdem ihr dafür schon längst so handgreifliche Beweise erhalten habt. Weder der gesunde Menschenverstand, noch die Schrift hat euch darauf geführt. Schon der gewöhnliche Verstand erkennt ja ganz gut, dass Gott alles möglich ist.



3.

Zuerst geht der Herr auf ihre Frage ein. Der Grund, weshalb sie die Auferstehung bestritten, lag daran, dass sie eine falsche Ansicht über die genauere Art und Weise derselben hatten. Er teilt also zuerst die Ursache der Krankheit[598] , dann erst sie selbst. Er zeigt zuerst wie es um die Auferstehung bestellt sein wird. 

   V.30: "Bei der Auferstehung werden sie weder heiraten noch verheiratet werden, sondern wie Engel Gottes im Himmel werden sie sein." 

   Lukas schreibt: "wie die Kinder Gottes" (Lc 20,36). Wenn sie also dann nicht heiraten, ist ihre Frage gegenstandslos. Nicht deshalb, weil sie nicht heiraten, sind sie Engel, sondern umgekehrt, weil sie Engel sind, heiraten sie nicht. Hiermit stellte er noch vieles andere richtig, was Paulus in einem einzigen Worte andeutet: "Es geht vorüber die Gestalt dieser Welt" (1Co 7,31). In diesen Worten hat er erläutert, wie die Auferstehung sein wird; damit beweist er auch, dass es eine Auferstehung gibt. Obwohl das schon aus seinen Worten mit hervorging, spricht er doch zum Überfluß noch eigens davon. Er begnügt sich nicht damit, bloß ihre Frage zu beantworten, sondern geht auch auf ihre Absicht ein. Und so verfährt er jedesmal, wenn eine Frage nicht aus Bosheit, sondern aus Unwissenheit gestellt wurde, und gibt dann eine gründliche Aufklärung; geht die Frage jedoch aus böser Absicht hervor, so läßt er sich zu gar keiner Antwort herbei. Weil sie Moses ins Feld geführt hatten, so schlägt er sie auch durch eine Stelle Mosis und sagt: 

   V.31: "Über die Auferstehung der Toten aber habt ihr nicht gelesen: 

   V.32: Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs; nicht ist er ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen?" (Ex 6,3). 

   Das soll heißen: nicht derer, die gar nicht sind, oder die einmal gestorben sind, und nicht mehr auferstehen werden. Es heißt nicht: ich war, sondern; "ich bin", nämlich[599] derer, die sind und leben. So war es auch bei Adam, er starb infolge des Strafurteils, da er von dem Baume aß, und blieb doch am Leben; ebenso leben auch diese, trotzdem sie gestorben sind, auf Grund der Verheißung, dass sie auferstehen werden. Warum sagt aber dann Paulus an einer anderen Stelle: "Damit er über Tote sowohl als Lebende herrsche"? (Rm 14,9). Das widerstreitet unserer Stelle nicht: Tote heißen nämlich hier diejenigen, die einst leben sollen. Zudem ist ein Unterschied zwischen dem Satze: "Ich bin der Gott Abrahams" und dem anderen: "um über Tote und Lebende zu herrschen"; er kennt nämlich auch einen anderen Tod, wenn er z.B. sagt: "Lass die Toten ihre Toten begraben" (Mt 8,22 u. Lc 9,60). 

   V.33: "Und die Volksscharen, welche es hörten, verwunderten sich ob seiner Lehre." 

   Nicht aber die Sadduzäer, diese zogen sich nach ihrer Niederlage zurück; nur das unvoreingenommene Volk hatte den Nutzen davon. 

   Da es sich so mit der Auferstehung verhält, wohlan, so wollen wir uns um jeden Preis bemühen, einen hervorragenden Platz dabei zu erlangen. Und wenn es euch recht ist, will ich euch Leute vor Augen führen, die sich schon hienieden, also noch vor der Auferstehung eifrig darum bemühten und dafür arbeiteten. Wir brauchen nur wieder in die Wüste zu gehen. Ich komme noch einmal auf diesen Gegenstand zurück, weil ich sehe, dass ihr mit großer Freude davon reden hört. Wir wollen also auch heute jene geistlichen Truppen betrachten und sehen, wie sie eine Freude genießen, die frei ist von jeglicher Furcht. Nicht wie Soldaten hierbei brach ich jüngst meine Rede ab mit Lanzen, Schildern und Panzern bewaffnet, haben sie ihr Lager bezogen, und den noch kannst du sehen, dass sie ohne dergleichen Dinge Werke verrichten, wie sie die Soldaten trotz ihrer Waffen nicht vollbringen. Damit du es mit anschauen kannst, so komm, reiche mir deine Hand und wir wollen miteinander in diesen Krieg ziehen, um ihre Kämpfe zu betrachten. Diese Männer streiten nämlich Tag für Tag gegen die Feinde, die Leidenschaften, die uns nachstellen, und schlagen und überwinden sie. Du wirst sehen, dass dieselben zu Boden gerungen sind, so dass sie sich nicht mehr rühren können, wirst finden, dass das Wort des Apostels zur Wahrheit geworden ist: "Die, welche Christi sind, haben ihr Fleisch gekreuzigt zusamt den Leidenschaften und Begierlichkeiten" (Ga 5,24). Siehst du die Menge Leichen, welche durch das Schwert des Geistes gefallen sind? Da gibt es aber auch keine Trunkenheit, keine Völlerei. Beweis dessen ist ihr Tisch und das Siegeszeichen, das darauf steht. Trunkenheit und Völlerei, dieses vielgestaltige, vielköpfige Untier, liegt da tot zu Boden, weil man eben dort nur Wasser trinkt. Die Trunkenheit hat nämlich wie die Szylla und die Hydra in der Sage viele Köpfe: Unzucht, Zorn, Trägheit schießen daraus empor, ebenso die verbotenen Liebschaften. Hier ist aber von all dem keine Spur vorhanden. Mögen auch die Heere in tausend Kriegen siegreich bleiben, diesen Feinden unterliegen sie, weder Rüstung noch Lanzen oder dergleichen kann diesen Feinden gegenüber standhalten; selbst Riesen, Helden, Männer, die unzählige Großtaten vollbracht haben, werden ohne Bande von Schlaf und Trunkenheit gefesselt; man kann sie daliegen sehen ohne Blut und Wunden, wie Gefallene, ja noch viel elender. Während sich jene wenigstens noch regen, sinken diese plötzlich regungslos nieder. Siehst du nun, dass die Mönche ein gewaltigeres und bewunderungswürdigeres Heer bilden? Die Feinde, über welche die Soldaten nicht Herr werden, schlagen sie mit der bloßen Waffe ihres Willens; so sehr nehmen sie der Mutter aller Übel ihre Kraft, dass ihnen diese nicht mehr lästig werden können; ist der Anführer erschlagen, ist das Oberhaupt gefallen, dann gibt auch das übrige Heer den Kampf auf. Ferner sieht man, dass jeder einzelne von ihnen Sieger wird. Hier geht es eben nicht zu, wie in einem Kriege, wo einer, der einmal schwer getroffen und gefallen ist, niemandem mehr schaden kann, sondern wer diese Bestie nicht niederschmettert und zu Boden wirft, wird vollends von ihr besiegt; daher müssen alle sie bekämpfen und vernichten.



4.

Siehe, welch ein glänzender Sieg! Jeder einzelne von ihnen sammelt Lorbeeren, wie sie alle Heer der Welt zusammen nicht zu ernten vermögen. Alle Feinde liegen voller Wunden wirr nebeneinander hingestreckt, alles, was von der Trunkenheit die Waffen entlehnt: ungereimte, törichte Worte, verrückte Einfälle. freche Aufgeblasenheit. Diese Männer folgen ihrem Herrn nach, von dem die Schrift rühmt: "Aus dem Bache am Wege wird er trinken, darum wird er sein Haus erheben" (Ps 109,7). Wollt ihr noch eine andere Gruppe gefallener Feinde sehen? Betrachten wir die Begierden, welche in der Üppigkeit ihre Wurzel haben, die von den Kunstköchen, den Tafeldeckern, den Zuckerbäckern genährt werden. Ich schäme mich, alles aufzuzählen. Doch muß ich wenigstens noch die Fasanen, die leckeren Brühen, die saftigen und die trockenen Speisen und die betreffenden Kochrezepte erwähnen. Diese Leute machen es geradeso wie die Lenker eines Staates oder die Befehlshaber einer Armee: sie verordnen und bestimmen das eine für den ersten, das andere für den zweiten Gang. Einige setzen zuerst auf Kohlen geröstetes, mit Fischen gefülltes Geflügel vor, anderen leiten solche unmäßige Tafeleien wieder mit anderen Gerichten ein. Ja, es besteht ein förmlicher Wettstreit über die Zubereitung, die Reihenfolge und die Menge der Speisen, und man setzt einen gewissen Ehrgeiz in Dinge, derentwegen man sich vor Scham in den Boden verkriechen sollte, die einen darein, dass sie einen halben, andere, dass sie einen ganzen Tag beim Essen sitzen, wieder andere, dass sie auch die Nacht damit verbringen. Unseliger! Beachte doch, wieviel dein Magen verträgt und schäme dich deines Eifers, mit dem du dich der Unmäßigkeit hingibst. 

   Nichts von all dem kommt bei jenen engelgleichen Männern vor; bei ihnen sind alle diese Gelüste ebenfalls ertötet. Für sie sind die Nahrungsmittel nicht da zur Unmäßigkeit und Üppigkeit, sondern zur Befriedigung des Bedürfnisses. Da gibt es keine Vogelsteller und Fischfänger, nur Brot und Wasser findest du. Aufregung, Lärm, Unruhe, wie sie bei uns an der Tagesordnung sind, sind dort gänzlich fremd, sowohl in der Hütte wie im Leib; sie leben wie in einem ruhigen Hafen, während um uns ein gewaltiger Sturm wütet. Öffne nur einmal in Gedanken diesen Schwelgern den Bauch und du wirst eine Menge Unflat sehen, einen Schmutzkanal, ein getünchtes Grab. Von dem, was damit zusammenhängt, schäme ich mich zu reden, von dem widerlichen Aufstoßen, dem Erbrechen, von dem, was oben und unten ausgeworfen wird. Aber gehe nur hin und du wirst sehen, dass alle diese Begierden, sowie die darin wurzelnden Liebschaften ich meine jene, die auf Geschlechtsgenuß zielen bei den Mönchen abgetötet sind. Da findest du all diese Leidenschaften samt ihren Rossen und Troßbuben niedergerungen[600] . Roß und Reiter und Waffen liegen ruhig da; bei den Schlemmern hingegen liegt die Seele erschlagen am Boden. Allein nicht nur bei Tisch erringen diese Heiligen glänzende Siege, sondern auch sonst, wo Geld, Ruhm, Eifersucht und andere Seelengebrechen in Betracht kommen. Meinst du nicht auch, dass das ein stärkeres Heer und eine bessere Tafel ist, als bei uns? Wer wollte es leugnen? Niemand, selbst der leidenschaftlichste dieser Genußmenschen nicht. Ihr Tisch führt zum Himmel empor, der andere zieht in die Hölle hinunter; den einen bereitet der Teufel, den anderen Christus. Bei dem einen herrscht Üppigkeit und Unmäßigkeit, am anderen regiert Enthaltsamkeit und Mäßigkeit; hier ist Christus zu Gaste, dort der Teufel. Denn wo man sich betrinkt, ist der Teufel dabei; wo Zoten, wo Völlerei daheim ist, da führen die bösen Geister ihren Reigen auf. So ging es an der Tafel des Prassers her. Daher konnte er auch nicht einmal ein Tröpflein Wasser erhalten.



5.

So etwas kommt bei den Mönchen nicht vor, ihr ganzes Streben ist nur auf die Nachahmung der Engel gerichtet. Sie freien nicht, sie heiraten nicht, sie schlafen nicht zu lange, sie frönen nicht der Schwelgerei; ja, abgesehen von einigen Kleinigkeiten, leben sie, als hätten sie keinen Leib. Wer ist also imstande, seine Feinde so leicht zu besiegen, dass er sogar beim Essen noch Lorbeeren sammelt? Deshalb spricht der Prophet: "Einen Tisch hast Du vor meinem Angesichte bereitet gegen die, so mich bedrängen" (Ps 22,5). Man wird nicht fehlgehen, wenn man dieses Wort auf eine solche Mahlzeit anwendet. Denn nichts bedrängt die Seele so sehr wie sündhafte Begierden, Üppigkeit, Trunkenheit und die Laster, die darin wurzeln. Wer es schon durchgemacht hat, wird das recht gut verstehen. Wenn du ferner wüßtest, woher die Mittel für die Mahlzeiten der einen und der anderen fließen, so würdest du erst recht klar den Unterschied zwischen beiden erkennen. Woher die Mittel für den Tisch der Schwelger kommen? Von ungezählten Tränen, von den Betrügereien gegen Witwen, von den Veruntreuungen gegen Waisen. Bei den Mönchen kommen sie von der ehrlichen Arbeit. Ihr Tisch gleicht einem schönen, wohlgestalteten Weibe, das keines fremden Schmuckes bedarf, sondern angeborene Schönheit besitzt, indes der Tisch der Weltmenschen gleich einer häßlichen, mißgestalteten Buhlerin ist, die sich stark schminkt, ohne jedoch ihre Häßlichkeit ganz verbergen zu können, ja, sie nur um so mehr verrät, je näher man ihr kommt. So tritt auch die Häßlichkeit eines solchen Tisches zutage, je vertrauter man damit wird. Du mußt dir nur die Tischgäste einmal ansehen, nicht, wenn sie sich zu Tische setzen, sondern wenn sie ihn verlassen, dann wirst du seine Häßlichkeit gewiß einsehen. Der Tisch der Mönche ist vornehm und verträgt darum keine schändlichen Reden; der Tisch der Schwelger ist gemein und unanständig wie eine Buhlerin. Dort geht man auf den Nutzen des Gastes, hier auf sein Verderben aus; dort duldet man keine Beleidigung Gottes, hier ist man nicht einmal zufrieden, wenn Gott nicht beleidigt wird. 

   Lasset uns demnach zu den Mönchen gehen! Da werden wir inne werden, in wie viele Bande wir verstrickt sind, da werden wir erfahren, wie man sich einen Tisch reich an Genüssen bereiten kann, voll Süßigkeit, ohne große Unkosten und Sorgen, bei dem die Eifersucht, der Neid, die Leidenschaft keinen Platz finden, wo man beseligende Hoffnung und viele Siege erntet. Da gibt es keine Unruhe der Seele, keinen Trübsinn, keinen Zorn; alles atmet Ruhe und Frieden. Man wende dagegen nicht ein, dass in den Häusern der Reichen doch auch die Dienerschaft schweigt; ich rede vom Lärm der Speisenden, und zwar nicht von jenem, den sie untereinander machen[601] ,sondern von dem Lärm in ihrem Innern, in der Seele, der einen gar mächtig fesselt, von dem Tumult in den Gedanken, dem Sturme, der Finsternis, dem Unwetter, wodurch alles durcheinander gerät und auf den Kopf gestellt wird, als fände ein nächtlicher Kampf statt. Nichts von all dem kommt bei den Mönchen vor; dort herrscht vielmehr die größte Ruhe, die tiefste Stille. Auf die Mahlzeit der Weltmenschen folgt ein todesähnlicher Schlaf; bei den Mönchen Nüchternheit und Wachsamkeit; dort ist Strafe die Folge, hier das Himmelreich und unvergleichlicher Lohn. Ahmen wir darum das Leben der Mönche nach, damit wir auch die Früchte davon ernten, die uns allen zuteil werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht sei in alle Ewigkeit. Amen!





Einundsiebzigste Homilie. Kap. XXII, V.34-46.

71 Mt 22,34-46
1.

V.34: "Als aber die Phaisäer hörten, dass er die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hätte, fanden sie sich alle zusammen ein, 

   V.35: und es befragte ihn einer aus ihnen, ein Gesetzeslehrer, um ihn zu versuchen: 

   V.36: Meister, welches ist das große Gebot im Gesetze?" 

   Um ihre Frechheit ins rechte Licht zu stellen, gibt der Evangelist wieder den Grund an, warum die Pharisäer hätten schweigen sollen. Und welchen? Weil sie neuerdings einen Angriff auf den göttlichen Heiland machen, obschon er die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte. Nach dem Vorgefallenen hätten sie still bleiben sollen; allein sie gehen abermals zum Angriff über und schieben einen Gesetzeslehrer vor, nicht etwa, damit er sich belehren lasse, sondern um den Herrn zu versuchen. Ihre Frage lautet: "Welches ist das erste Gebot im Gesetze?" Das erste Gebot war nämlich: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben." So werfen sie diese Frage nur auf in der Erwartung, er werde, da er sich für Gott ausgebe, es zu verbessern suchen; denn dadurch hätte er ihnen eine Handhabe gegen sich geboten. Was antwortet nun Christus? Er zeigt ihnen, dass sie auf diese Frage gekommen seien, weil sie keine Liebe besäßen, vor Neid vergingen und in Eifersucht befangen wären. Darum sagt er: 

   V.37: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben. 

   V.38: Das ist das erste und das große Gebot. 

   V.39: Ein zweites aber ist diesem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." 

   Warum sagt er: "ist diesem gleich"? Weil das zweite Gebot dem ersten den Weg bereitet und von diesem wieder gestützt wird. Denn: "Jeder, der Schlimmes verübt, hasset das Licht und kommt nicht an das Licht" (Jn 3,20), und: "Der Tor spricht in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott" (Ps 13,1 u. Ps 52,1). Was ergibt sich daraus? "Verderbt und abscheulich sind sie geworden in ihren Missetaten" (Ps 13,2), und: "Eine Wurzel aller Übel ist die Habsucht, welcher nachjagend etliche abgeirrt sind von dem Glauben" (1Tm 6,10); endlich: "Wenn jemand mich liebt, wird er meine Gebote halten" (Jn 14,13 u. Jn 14,23). Der Angelpunkt seiner Gebote ist eben: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben und deinen Nächsten wie dich selbst." Demnach ist die Liebe zu Gott so viel wie die Liebe zum Nebenmenschen nach seinen Worten: "Liebst du mich, Petrus, so weide meine Lämmer" (Jn 21,17), die Nächstenliebe besteht aber in der Beobachtung der Gebote. Somit ist es ganz richtig, wenn er sagt: 

   V.40: "In diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten." 

   Christus verfährt hier ebenso, wie kurz vorher, als man ihn über die Art und Weise der Auferstehung befragte. Da war er in seiner Belehrung noch über ihre Frage hinausgegangen und hatte gezeigt, dass es eine Auferstehung gebe. In unserem Falle hatte man ihn nur um das größte Gebot gefragt; er erklärt ihnen aber auch das zweite, das dem ersten sehr nahesteht[602] . So läßt er durchblicken, wie sie zu der Frage kamen, nämlich dass sie aus Gehässigkeit fragten; denn "die Liebe ist nicht eifersüchtig" (1Co 13,4). Zugleich beweist er damit auch, dass er mit dem Gesetze und den Propheten ganz in Einklange stehe. 

   Wie erklärt es sich aber, dass Matthäus berichtet, der Mann habe gefragt in der Absicht, den Herrn zu versuchen, während Markus erzählt: "Jesus, welcher gesehen, dass er verständig geantwortet, sprach zu ihm: Du bist nicht fern von dem Reiche Gottes" (Mc 12,34). Darin liegt gar kein Widerspruch; die beiden Evangelisten stimmen ganz gut miteinander überein. Anfangs stellte der Pharisäer die Frage, allerdings um ihn zu versuchen, schöpfte jedoch aus der Antwort Nutzen und dafür spendete ihm der Herr Lob. Nicht gleich anfangs lobte er ihn, sondern erst, als er die Nächstenliebe über die Opfer gestellt hatte, da sprach er: "Du bist nicht ferne vom Reiche Gottes", weil er nämlich die Nichtigkeiten aufgab und den ersten Schritt zur Tugend machte. Alle Vorschriften des Alten Bundes, das Sabbatgebot wie alle anderen, liefen ja nur auf dieses eine Gebot der Liebe hinaus. Indes war das Lob, das der Herr erteilte, nicht vollkommen, sondern enthielt eine Beschränkung, denn die Worte: "Du bist nicht ferne" besagen, dass er es in Wirklichkeit noch nicht erreicht habe; er wollte ihn damit anregen, um das Fehlende sich noch zu bemühen. Auch der Umstand darf nicht befremden, dass ihn der Herr belobte wegen der Worte: "Es ist nur ein Gott und außer ihm ist kein anderer" (Mc 12,32). Lerne vielmehr daraus, dass er in seinen Antworten den Sinn der Fragesteller im Auge hat. Denn mag man auch über Christus alles mögliche behaupten, was seiner Erhabenheit unwürdig ist, das eine wird doch niemand zu leugnen wagen, dass er Gott ist. Wie kann er also den Mann loben, der sagt, es sei außer dem Vater kein anderer Gott? Er will damit nicht in Abrede stellen, dass er selbst Gott ist, bewahre. Es war aber noch nicht an der Zeit, seine Gottheit zu offenbaren, darum läßt er es geschehen, dass der Mann bei dem alten Glaubenssatze stehen bleibt, und lobt ihn, dass er so gut darin bewandert ist, um ihn für die Lehren des Neuen Bundes vorzubereiten, wenn er sie bei Gelegenheit einführen würde. Übrigens will der Satz: "Es ist nur ein Gott und außer ihm ist keiner",überall wo er sich im Alten Bunde findet, nicht den Sohn ausschließen, sondern nur andere Gottheiten. Das Lob, das diesen Worten gespendet wurde, kann also nur in diesem Sinne gemeint sein. 

   Nachdem der Herr geantwortet, richtet er auch eine Frage an sie: 

   V.42: "Was dünket euch von Christus? Wessen Sohn ist er? Sie sagten zu ihm: Des David." 

   Siehe, er stellt diese Frage, nachdem so viele Wunder und Zeichen, so viele Fragen schon vorhergegangen, nachdem er in Worten und Werken so schlagende Beweise geliefert, dass er ganz eins sei mit dem Vater, nachdem er soeben den Mann belobt, der gesprochen: "Es ist nur ein Gott."Man sollte eben nicht sagen können, er wirke zwar Wunder, sei aber ein Gegner des Gesetzes und ein Widersacher Gottes. Er läßt erst so vieles vorausgehen, ehe er diese Frage an sie stellt, um sie unmerklich darauf hinzuführen, auch ihn als Gott zu bekennen. Seine Jünger hatte er zuerst nach der Meinung der anderen und dann erst um ihre eigene gefragt. Nicht so bei den Pharisäern; denn sie hätten wahrscheinlich gesagt, er sei ein Verführer und Bösewicht; sie sagten ja alles ohne Scheu. Er befragte sie daher um ihre eigene Ansicht.



2.

Da der Herr bald sein Leiden antreten sollte, so war es ganz weise, dass er die Weissagung anführte, die ihn klar als Herrn bezeichnet, doch nicht so ohne weiteres und ohne Veranlassung, sondern weil der Anlaß dazu sehr günstig war. Nachdem sie nämlich auf seine Frage eine unrichtige Antwort gegeben hatten[603] , stellt er ihre Ansicht richtig, indem er sich darauf beruft, dass David seine Gottheit bezeugt. Sie hielten ihn eben für einen bloßen Menschen; deshalb ihre Antwort: "Des David". Er berichtigt es unter Hinweis auf das Zeugnis des Propheten, dass er der Herr ist, der wirkliche Sohn des Vaters, gleicher Ehre würdig wie der Vater. Allein auch damit ließ er es noch nicht bewenden, sondern sucht ihnen Furcht einzuflößen und führt daher auch die folgenden Worte an: 

   V.44: "Bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache." 

   Er will sie wenigstens damit überzeugen. Nun hätten sie aber einwenden können, David habe ihn nur aus Schmeichelei "Herrn" genannt, und es sei auch nur die Meinung eines Menschen. Beachte daher, wie er sich ausdrückt: 

   V.43: Wie also nennt David ihn im Geiste "Herrn"?" 

   Siehe, wie behutsam er die rechte Ansicht über seine Person vorträgt. Zuerst fragte er: "Was glaubt ihr? Wessen Sohn ist er?", um sie durch die Frage auf die Antwort zu führen. Als sie ihm dann erwiderten: "Des David", sagt er nicht: Allein David spricht so und so, sondern wieder in Form einer Frage: "Wie also nennt David ihn im Geiste "Herrn"?" Er wollte sie nicht abstoßen; deshalb fragte er auch nicht: Was haltet ihr von mir", sondern:"von Christus". Derselbe Grund bewog auch die Apostel, sich so behutsam auszudrücken:"Sei es denn gestattet, mit Freimut zu sprechen zu euch über den Erzvater David, nämlich dass er gestorben ist und begraben wurde" (Ac 2,29). So trägt auch Christus diese Lehre in Form einer Frage vor, um dann seine Schlußfolgerung daranzuknüpfen: 

   V.43: "Wie nennt ihn David im Geiste seinen Herrn, wenn er sagt: 

   V.44: Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Sitze zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache"? 

   und ferner: 

   V.45: "Wenn nun David ihn Herrn nennt, wie ist er sein Sohn?" 

   Damit wollte er nicht bestreiten, dass er Davids Sohn sei, durchaus nicht hatte er ja auch Petrus deshalb nicht getadelt , sondern er wollte nur die falsche Meinung der Juden berichtigen. Denn durch die Frage:"Wie ist er sein Sohn?" sagt er: "Er ist sein Sohn, aber nicht so, wie ihr ihn dafür ansehet." Die Juden meinten nämlich, er sei bloß Davids Sohn, nicht aber auch sein Herr. Darum fährt er auch nach Anführung der Weissagung ruhig fort: "Wenn nun David ihn Herrn nennt, wie ist er sein Sohn?" Trotz dieser Beweisführung geben sie keine Antwort; sie wollten eben nicht lernen, was ihnen not tat. Deshalb fügt Jesus selbst hinzu: "Er ist sein Herr." Indes, auch diese Worte spricht er nicht unumwunden aus, sondern unter Berufung auf den Propheten, weil sie ihm so wenig Glauben schenkten und ihn verdächtigten. Diesen Umstand muß man immer im Auge behalten, um nicht Anstoß zu nehmen, wenn der Herr von sich niedrig und demütig redet. Außer vielen anderen Gründen geschieht das deshalb, weil er im Gespräch mit den Juden ihrer Stimmung Rechnung trägt. Daher bedient er sich auch in unserem Falle der Fragen und Antworten, um seine Lehren vorzutragen. Aber auch unter dieser Hülle läßt er seine Würde durchblicken, denn es bedeutet nicht dasselbe, Herr der Juden oder Herr Davids zu heißen. Beachte ferner, wie Jesus die gebotene Gelegenheit ausnützt. An die Worte: "Es ist nur ein Herr" knüpft er die Lehre, dass auch er Herr ist; und zwar weist er nicht mehr nur auf seine Werke hin, sondern beruft sich auch auf den Propheten. Er bedeutet ihnen, dass der Vater seinetwegen an ihnen Rache nimmt: "Bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache", dass somit zwischen dem Sohne und dem Vater volle Gleichheit der Gesinnung und der Ehre bestehe. Damit schließt er sein Gespräch mit ihnen ab. 

   Es war eine erhabene und bedeutungsvolle Lehre, welche sie zum Schweigen bringen mußte. Und sie hüllten sich auch wirklich von da an in Schweigen, allerdings nicht freiwillig, sondern weil sie nichts zu erwidern vermochten. Der Schlag, den sie erhalten hatten, war so kräftig, dass sie sich nicht noch einmal getrauten, ihn wieder anzugreifen. 

   V.46: "Niemand wagte es von jenem Tage an, ihn weiter zu befragen." 

   Der Menge erwuchs daraus aber kein geringer Vorteil; denn nachdem der Herr die Wölfe vertrieben und ihre Anschläge zunichte gemacht, wandte er sich in seinen Reden wieder dem Volke zu. Die Pharisäer freilich zogen keinen Gewinn daraus, weil sie in der furchtbaren Leidenschaft der Ehrsucht ganz verstrickt waren. Furchtbar ist dieses Laster und vielköpfig; denn aus Ehrsucht streben die einen nach Herrschaft, andere nach Geld, andere nach Stärke. In der Folge geht sie sogar bis zum Almosengeben, Fasten, Gebet und Unterweisung; zahlreich in der Tat sind die Köpfe dieses Ungeheuers. Dass man sich auf andere Dinge etwas einbildet, ist kein Wunder; befremdlich dagegen und beklagenswert ist es, dass man sogar auf Fasten und Gebet stolz ist. Damit wir aber nicht wieder bloß tadeln, so wollen wir auch die Mittel angeben, um die Ehrsucht zu meiden. An wen sollen wir uns also zuerst wenden? An die, welche auf Geld oder auf Kleider, auf Ämter oder auf Lehrweisheit, auf Kunstfertigkeiten oder auf leibliche Vorzüge, auf Schönheit oder auf Schmuck, auf ihre Grausamkeit oder auf ihre Nächstenliebe und Wohltätigkeit, auf ihre Schlechtigkeit, oder auf ihr Lebensende, oder auf ihr Los nach dem Tode sich etwas einbilden? Denn, wie gesagt, diese Seelenkrankheit hat viele Verzweigungen und greift sogar über das Leben hinaus. Sagt man doch: Der oder jener Mann ist gestorben und hat, um Bewunderung zu finden, das und das vermacht; deswegen ist der eine auch reich und der andere arm. Darin liegt eben gerade das Schlimme, dass dieses Ungetüm aus Gegensätzen besteht.



3.

Gegen wen sollen wir nun zuerst Stellung nehmen und vorgehen? Eine einzige Predigt reicht ja gar nicht hin, um alle zu berühren. Soll ich diejenigen herausgreifen, welche ihrer Eitelkeit durch Wohltätigkeit dienen? Meines Erachtens ja, denn ich schätze die Wohltätigkeit überaus und sehe mit Bedauern, wie man diese Tugend mißbraucht, wie ihr die Eitelkeit nachstellt, um sie zu verderben, und dass diese es macht wie eine kupplerische Amme, die eine Königstochter zu verführen sucht. Sie nährt zwar das Kind, verleitet es aber dabei zu Schändlichkeiten und schädlichen Dingen, flößt ihm Verachtung gegen den Vater ein, fordert es auf, sich zu schmücken, um schlechten und nichtswürdigen Männern zu gefallen, kleidet es nicht wie der Vater es will, sondern schandmäßig und unehrbar, wie Fremde es wünschen. Wohlan, wenden wir uns also gegen eine Wohltätigkeit dieser Art. Da gibt jemand ein äußerst reichliches Almosen, um bei den Leuten Aufsehen zu machen. In erster Linie führt er also die Wohltätigkeit aus dem Brautgemache des Vaters. Der Vater hatte befohlen, sie nicht einmal der Linken zu zeigen, und die Eitelkeit zeigt sie den Knechten und jedem beliebigen, auch solchen, die sie nicht einmal kennen. Siehst du, wie die Buhlerin und Kupplerin die Tugend zur Liebelei mit unwürdigen Menschen reizt, dass sie sich aufputzt, wie jene es haben wollen? 

   Willst du auch sehen, wie die Eitelkeit eine solche Seele nicht allein zur Buhlerin macht, sondern sogar in Wahnsinn stürzt? Wirf nur einen Blick auf ihre Gesinnung. Kann es einen größeren Wahnsinn geben, als den Himmel aufzugeben, um Tagedieben und Knechten nachzulaufen, durch Gassen und Gäßchen solchen schimpflichen und abscheulichen Leuten nachzujagen, welche sie nicht einmal sehen wollen, die sie verachten, weil sie sehen, dass sie in Liebe zu ihnen glüht? Denn niemand wird von der großen Menge so sehr geschätzt als ein Mensch, der sie um Ehre anbettelt. Tausenderlei Schimpf wird ihm angetan, ja es tritt ein ähnlicher Fall ein, wie wenn man die jungfräuliche Tochter eines Königs vom königlichen Throne entführte und ihr zumutete, sich den Gladiatoren, die sie anspeien, preiszugeben. Je mehr man die Menge sucht, desto mehr wendet sie sich ab. Suchst du hingegen deine Ehre bei Gott, desto mehr zieht er dich an sich, lobt dich und vergilt es dir reichlich. Auch von einer anderen Seite kannst du den Schaden erkennen, den du dir zuziehst, wenn du nur aus Prahlerei und Ehrsucht Almosen gibst. Bedenke nur wie groß dein Schmerz und wie gewaltig dein Leid sein wird, wenn der Herr dir einst zuruft, dass du deinen ganzen Lohn eingebüßt hast. Ist die Ehrsucht in jedem Falle schon ein Laster, so ist sie es namentlich, wenn sie sich durch die Nächstenliebe zu befriedigen sucht; denn es zeugt von der äußersten Rohheit, das Unglück des Mitmenschen an den Pranger zu stellen und ihm die Armut gleichsam vorzuwerfen. Wenn man es schon für eine Beschämung hält, dass man seine Wohltaten herrechnet, wie soll man es bezeichnen, wenn man sie auch noch vor vielen anderen zur Schau stellt? Wie werden wir uns nun gegen dieses Laster schützen? Wir müssen barmherzig sein lernen; wir müssen uns klar werden, was für Leute es sind, bei denen wir unsere Ehre suchen. 

   Sage mir also zunächst, wer ist der große Meister in der Kunst des Wohltuns? Offenbar Gott, der uns diese Tugend gelehrt hat. Er ist darin am meisten erfahren, er übt sie in unendlichem Maße. Wenn du nun das Ringen lernst, auf wen richtest du da dein Augenmerk? Vor wem lässest du dich in der Ringbahn sehen? Vor dem Gemüse- und Fischhändler oder vor dem Ringmeister? Er ist zwar nur eine einzelne Person, während jene zahlreich sind. Wie nun, wenn andere dich auslachen, während er dir Lob zollte; würdest du nicht mit ihm die anderen auslachen? Oder wenn du den Faustkampf lerntest, würdest du nicht darauf achten, was dein Lehrer zu dir sagt: Und wenn du die Beredsamkeit betriebest, würdest du dich nicht um das Lob des Meisters in dieser Kunst bemühen und dich um andere nicht kümmern? Ist es somit nicht eine Torheit, in allen übrigen Künsten nur auf den Meister zu achten und in der Kunst des Wohltuns das gerade Gegenteil zu tun? Dazu kommt noch, dass der Schaden dort nicht so groß ist wie hier. Dort beschränkt sich der Nachteil auf die geringere Fähigkeit im Ringen, wenn man sich dabei nach dem Gutachten der Menge und nicht des Meisters richtet; hier greift der Schaden ins ewige Leben über. Ahmst du Gott im Erbarmen nach, dann werde ihm auch darin ähnlich, dass du das Aufsehen meidest. So oft er jemanden heilte, sagte er, man solle es niemandem mitteilen. Du aber willst unter den Leuten den Ruf der Mildtätigkeit genießen. Was schaut denn dabei für ein Gewinn heraus? Gar keiner, wohl aber ein unberechenbarer Verlust. Diejenigen, die du als Zeugen zuziehest, werden zu Räubern an deinen Schätzen im Himmel, oder eigentlich nicht diese, sondern wir selbst stehlen uns unser Eigentum und verschleudern die Schätze, die uns dort oben hinterlegt sind. Eine ganz neue Art von Unglück, eine ganz unerhörte Krankheit! Was die Motten nicht zerstören, was die Diebe nicht ausgraben, das vergeudet die Ehrsucht! Sie ist die Motte für die Schätze im Jenseits, sie ist der Dieb für das Vermögen im Himmel, sie schleppt unseren bereits gesicherten Reichtum davon, alles verdirbt und vernichtet sie. Nachdem der Teufel einmal eingesehen hat, dass jenem Land mit Räubern, Würmern und anderen Schlichen nicht beizukommen ist, entführt er unseren Reichtum durch die Eitelkeit.



4.

Allein es gelüstet dich nach Ruhm? Genügt dir denn nicht die Ehre, die dir der Empfänger der Wohltat und Gott in seiner Güte erweist? Strebst du auch noch nach Ehre von seiten der Menschen? Dass du nur nicht das Gegenteil erreichst! Dass man dich nur nicht verurteilt, nicht zwar wegen Unbarmherzigkeit, wohl aber wegen Prahlerei und Ehrgeiz, weil du mit dem Unglück des Mitmenschen großtun wolltest. Almosen spenden ist ein Geheimnis[604] . Darum schließe die Türe zu, dass niemand bemerke, was zu zeigen nicht gestattet ist. Das sind ganz eigentlich unsere Geheimnisse: das Almosen und die Liebe Gottes. In seiner großen Barmherzigkeit hat Gott sich unser trotz unseres Ungehorsams erbarmt. So ist auch das erste Gebet, das wir[605] verrichten, ein Gebet um Erbarmen für die Ungetauften; das zweite fleht um Verzeihung für die Büßer; das dritte für uns selbst, wobei die unschuldigen Kinder der Versammlung wie ein Schild vortreten, um Gottes Erbarmen herabzurufen. Für diejenigen, welche schwer gesündigt haben und viel zu büßen haben, flehen wir selbst, nachdem wir unsere eigenen Sünden verdammt haben; für uns aber flehen die Kinder, die man in ihrer Einfalt nachahmen soll, um das Himmelreich zu erlangen. Es soll in einem Sinnbilde gezeigt werden, dass, wer den Kindern an Demut und Einfalt gleicht, eine besondere Kraft besitzt, für die Sünder zu bitten. Und die Eingeweihten wissen es, wieviel Erbarmen, wie große Güte in dem Geheimnisse liegt. Willst du also jemand nach Kräften eine Barmherzigkeit erweisen, so schließe die Türe zu; der Empfänger allein soll Zeuge sein, und wenn möglich, nicht einmal dieser. Wenn du es dagegen öffentlich tust, gibst du das Geheimnis preis. 

   Beherzige ferner, dass diejenigen, bei denen du Ehre suchst, dich verurteilen; ist es dein Freund, tut er es bei sich selbst, ist es ein Feind, so wird er dich auch bei anderen in üblen Ruf bringen. So erntest du nicht, was du suchtest, sondern das Gegenteil. Du strebst darnach, dass man sage: Was ist das für ein mildtätiger Mann! und dafür heißt es: Was für ein eitler, gefallsüchtiger Mensch! und oft noch viel Schlimmeres. Gibst du aber im Geheimen, so sagt man im Gegenteil: Welche Nächstenliebe, welche Barmherzigkeit! Gott läßt es nämlich nicht zu, dass es verborgen bleibe, sondern er selbst macht es kund, wenn du es geheim hältst, und du wirst dann mehr gepriesen und erntest reichlicheren Gewinn. Somit ist das öffentliche Zurschaustellen gerade ein Hindernis für dein Verlangen nach Ehre. Gerade dem tritt es am wirksamsten entgegen, wonach wir am meisten und heftigsten verlangen. Anstatt von der Mildtätigkeit Ruhm zu ernten, findest du das Gegenteil und ziehst dir obendrein noch große Strafen zu. Auf Grund dieser Erwägungen wollen wir die Ehrsucht von uns weisen und unsere Ehre allein bei Gott suchen. Dann werden wir hier auf Erden Ehre finden und auch die ewige Glückseligkeit erlangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, der die Ehre und die Macht besitzt in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 70