Kommentar zum Evangelium Mt 84

Vierundachzigste Homilie. Kap.XXVI,V.51-66.

84 Mt 26,51-66
1.

V.51: "Und siehe, einer von denjenigen, welche mit Jesus waren, streckte seine Hand aus, zogt sein Schwert, schlug nach dem Knechte des Hohenpriesters und hieb ihm das Ohr ab. V.52: Da sagte Jesus zu ihm: Bringe dein Schwert wieder an seinen Ort, denn alle, die ein Schwert ergreifen, werden durchs Schwert untergehen. V.53: Oder meinst du, ich kann nicht meinen Vater bitten, und er wird mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel zur Verfügung stellen? V.54: Wie würden aber dann die Schriften erfüllt werden, die sagen, dass es so geschehen müsse?" 

   Wer war der "eine", der das Ohr abhieb? Johannes (Jn 18,10) sagt es: Petrus. Die Handlungsweise paßt auch ganz zu seiner Heißblütigkeit. Aber der Umstand ist der Untersuchung wert, weshalb die Apostel Schwerter trugen. Dass sie solche hatten, geht nicht bloß aus unserem Bericht hervor, sondern auch aus ihrer Antwort auf eine Frage: "Zwei sind da" (Lc 22,38). Warum aber hatte ihnen Christus die Erlaubnis gegeben, Schwerter mitzunehmen? Lukas erzählt außerdem, dass er sie fragte: "Als ich euch ausgeschickt habe ohne Sack und Tasche und Schuhe, hat euch da irgend etwas gemangelt?" Und da sie antworteten: "Nichts", fuhr er fort: "Doch jetzt, wer einen Sack hat, der nehme desgleichen auch eine Tasche, und wer es nicht hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert" (Lc 22,35 Lc 22,38). Und als sie antworteten: "Zwei Schwerter sind da", entgegnete er: "Es ist genug." Weshalb also erlaubte er sie ihnen? Um sie zu überzeugen, dass er verraten werden wird. Deshalb sprach er auch zu ihnen: "der kaufe ein Schwert", nicht etwa, dass sie sich bewaffnen sollten, nein, sondern um ihnen dadurch zu erklären, dass er verraten werden wird. Warum spricht er auch noch von einer Tasche? Er wollte sie anleiten, nüchtern und wachsam und persönlich sehr eifrig zu sein. Anfangs, da sie noch unerfahren waren, hatte er sie durch Beweise seiner großen Macht gehegt und gepflegt; zuletzt aber führt er sie wie junge Vögel aus dem Neste und weist sie auf ihre eigenen Flügel an. Damit sie jedoch nicht etwa meinten, Schwäche sei der Grund, warum er sie sich selbst überläßt und ihre eigenen Kräfte brauchen heißt, so erinnert er sie an die Vergangenheit mit der Frage: "Als ich euch ohne Tasche entsandte, hat euch da etwas gemangelt?" Sowohl aus seiner Fürsorge, als auch daraus, dass er sie jetzt ruhig sich selbst überläßt, sollten sie seine Macht erkennen. 

   Woher stammten indessen die Schwerter? Die Apostel waren ja vom Tische, von der Mahlzeit gekommen. Selbstverständlich hatte man dabei auch Messer zur Zerlegung des Lammes gehabt; als sie nun hörten, man werde den Meister überfallen, hatten sie einige mitgenommen, um damit zu seiner Verteidigung zu kämpfen. So hatten indessen nur sie es sich ausgedacht. Daher kam es auch, dass Petrus, der das Schwert zog, getadelt wurde und zwar mit einer ersten Drohung. Als nämlich der Knecht herantrat, hatte er ihn abgewehrt, voll Leidenschaftlichkeit, indessen nicht um sich, sondern um den Meister zu schützen. Christus ließ es jedoch nicht zu, dass ein Unheil angerichtet wurde, ja er heilte sogar den Knecht und wirkte ein großes Wunder, wodurch er seine Milde und Macht, wie auch die Liebe und Nachgebigkeit des Jüngers offenbarte; denn das eine tat Petrus aus Liebe, das andere aus Folgsamkeit. Als er hörte: "Stecke dein Schwert in die Scheide", gehorchte er augenblicklich und tat später nie mehr dergleichen. Ein anderer Evangelist berichtet, dass sie fragten: "Sollen wir dreinschlagen?" (Lc 22,49). Er wehrte jedoch ab, heilte denn Knecht, rügte den Jünger und drohte ihm, damit er sich füge: "Alle", sagt er, "die das Schwert ergreifen, werden durch das Schwert umkommen." Und er begründet seine Worte: "Oder glaubt ihr, ich könnte nicht den Vater bitten und er würde mir mehr als zwölf Legionen Engel zur Verfügung stellen? Aber die Schrift muß erfüllt werden."So erstickte er ihren Zorn, indem er darauf hinwies, dass es so in der Schrift stehe. Damit gab er auch seinen Wunsch zu erkennen, sie sollten sich in der Sache voll Ergebung fügen, nachdem sie erfahren, dass es der Ratschluß Gottes sei. Er tröstete sie einerseits durch Hinweise auf die Strafe seiner Feinde. "Alle", sagte er, die das Schwert ergreifen, werden durch das Schwert umkommen", anderseits durch den Hinweis, dass er die Gefangenahme nicht wider Willen duldet: "Ich kann", sagt er, "meinen Vater bitten." 

   Warum sagt er nicht: Oder meint ihr, ich kann sie nicht alle vernichten? Er fand leichter Glauben, wenn er sich so ausdrückte, wie wir lesen, denn sie hatten noch immer nicht die richtige Ansicht von seinem Wesen. Kurz vorher hatte er geklagt: "Meine Seele ist betrübt bis in den Tod", und; "Vater, laß den Kelch an mir vorübergehen"; sie hatten gesehen, wie er in Angst war; wie er schwitzte und von einem Engel gestärkt wurde. Da er also viele menschliche Seiten gezeigt hatte, hätte es nicht wenig glaubwürdig erscheinen müssen, wenn er gesagt hätte: "Meinet ihr, ich sei nicht imstande, sie zu vernichten? Deshalb lauten seine Worte: "Glaubet ihr, ich kann nicht den Vater bitten?" Auch die folgenden Worte sind voller Demut: "Er wird mir zwölf Legionen Engel senden." Wenn ein einziger Engel hundertfünfundachtzigtausend Krieger erschlug (2R 19,35), was bedarf es dann zwölf Legionen gegen tausend Leute? Er redet aber so, weil sie in ihrer Furcht und Schwachheit wie tot waren vor Angst. Deshalb beruft er sich auch, um sie zurückzuhalten auf die Schrift: "Wie sollte also die Schrift erfüllt werden?" Wenn die Schrift es so gutheißt, wollt ihr dagegen sein und sie bekämpfen?



2.

So sprach er zu seinen Jüngern. Zu seinen Feinden aber sagte er: V.52: "Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen mit Schwertern und Knütteln, um mich gefangen zu nehmen; täglich saß ich bei euch lehrend im Tempel, und ihr nahmt mich nicht fest." Siehe, wieviel er tut, um sie zu erschüttern. Er hatte sie niedergeworfen, hatte das Ohr des Knechtes geheilt, hatte ihnen einen gewaltsamen Tod in Aussicht gestellt. "Wer zum Schwerte greift", sagte er, "wird durchs Schwert umkommen." Durch die Heilung des Ohres gab er auch dieser Drohung Nachdruck, auf alle mögliche Weise offenbart er seine Macht, durch Hinweis auf die Gegenwart, wie auf die Zukunft, und macht es klar, dass seine Gefangennehmung nicht ihrer Macht zuzuschreiben ist. Deshalb erklärt er auch: "Täglich war ich bei euch und lehrte, und ihr habt mich nicht festgenommen", um auszudrücken, dass sie ihn nur deshalb ergreifen konnten, weil er es zuließ. Mit Übergehung seiner Wunder spricht er nur von seiner Lehre, um nicht prahlerisch zu erscheinen. Als ich lehrte, habt ihr euch meiner nicht bemächtigt; jetzt, da ich schweige, überfallt ihr mich? Ich hielt mich gewöhnlich im Tempel auf, und kein Mensch hat mich angehalten; jetzt, zur Unzeit, mitten in der Nacht, dringet ihr auf mich ein mit Schwertern und Knütteln? Wozu bedurfte es dieser Waffen gegen einen Mann, der immer unter euch weilte? Er zeigt damit, dass sie ihn nicht überwältigt hätten, wenn er sich nicht freiwillig in ihre Hände gegeben hätte. Wenn sie ihn nicht festzunehmen vermochten, da sie ihn in ihrer Gewalt hatten, und sich seiner nicht bemächtigten, trotzdem sie ihn in ihrer Mitte hielten, so hätten sie auch jetzt nichts gegen ihn vermocht, wenn er nicht gewollt hätte. Dann löst er auch den Zweifel, warum er jetzt wollte. V.56: "Dieses ist geschehen", sagt er, "auf dass erfüllt werden die Schriften der Propheten." Siehe, wie der Herr bis zum letzten Augenblicke und sogar noch während des Verrates alles tut, um sie zu bessern, er heilt, er weissagt, er droht: "durchs Schwert werden sie umkommen". Er zeigt, dass er freiwillig leidet, "täglich war ich unter euch und lehrte"; er bekundet, dass er mit dem Vater übereinstimmt, "damit die Schriften der Propheten erfüllt werden". Warum haben sie ihn nicht im Tempel ergriffen? Sie wagten es nicht wegen des Volkes. Daher begab er sich aus der Stadt hinaus, damit Ort und Zeit ihnen die Gelegenheit böte, und ordnet bis zur letzten Stunde alles so, dass ihnen jede Entschuldigung abgeschnitten ist. Wie hätte er auch im Widerspruch zu den Propheten stehen sollen, da er sich sogar seinen Feinden überliefert, um deren Ausspruch zu erfüllen? V.56: "Da verließen ihn alle seine Jünger und entflohen." 

   Als man ihn festnahm, waren sie noch geblieben, wie er jedoch diese Worte zu der Rotte gesprochen hatte, ergriffen sie die Flucht. Sie sahen schließlich ein, dass sich nichts mehr machen ließ, weil er sich selbst den Häschern übergab und erklärte, es geschähe im Sinne der Schrift. Nachdem die Jünger entflohen waren, V.57: "führte man ihn zu Kaiphas. V.58: Petrus aber folgte ihm und trat ein, um zu sehen, welches Ende die Sache nähme." Groß ist die Liebe des Jüngers[642] ; er floh nicht, als er die anderen fliehen sah, sondern blieb und ging mit zum Richter hin. Freilich tat das auch Johannes, aber der war dem Hohenpriester bekannt. Warum führte man den Herrn an den Ort, wo alle versammelt waren? Damit alles nach der Entscheidung der Hohenpriester vor sich gehe. Kaiphas war damals Hoherpriester, und alle waren bei ihm versammelt, um Christus zu erwarten; zu diesem Zwecke brachten sie die Nacht wachend zu. Sie hatten noch nicht das Osterlamm gegessen, heißt es, sondern wachten aus dem erwähnten Grunde. Nach der Bemerkung, dass es früh am Morgen war, fährt nämlich Johannes fort: "Sie gingen nicht hinein in das Gerichtshaus, damit sie nicht verunreinigt würden, sondern das Ostermahl essen dürften" (Jn 18,28). Wie soll man sich das erklären? Sie aßen es am folgenden Tage mit Übertretung des Gesetzes, so groß war ihre Begierde nach seinem Tode. Nicht Christus wich von der Zeit des Ostermahles ab, sondern sie, die alle Schandtaten begingen und tausend Gesetze mit Füßen traten. Ihr Groll kochte gar heftig in ihnen, oft schon hatten sie ihn zu beseitigen versucht, nie war es ihnen gelungen, jetzt, da sie ihn wider Erwarten gefangen hatten, machten sie sich nichts daraus, das Ostermahl zu unterlassen, nur um ihre Mordlust befriedigen zu können. So hatten sich denn alle eingefunden, eine Versammlung von Nichtswürdigen, und man legte dem Herrn einige Fragen vor, um der Verschwörung den Anstrich einer Gerichtssitzung zu geben. Die Zeugenaussagen stimmten aber nicht überein, so sehr war es nur ein Scheingericht voll lauter Lärm und Durcheinander. V.60: "Es kamen aber zwei falsche Zeugen und sprachen: V.61: Dieser hat gesagt: Ich kann den Tempel Gottes niederreißen und binnen drei Tagen wieder aufbauen." 

   Allerdings hat er gesagt: "In drei Tagen", aber nicht: ich kann niederreißen, sondern: "Reißet nieder" (Jn 2,19); er hatte auch nicht den Tempelbau gemeint, sondern seinen eigenen Leib. Was sagt nun der Hohepriester? Er wollte ihn zur Rechtfertigung veranlassen, um ihn darin zu verstricken; deshalb fragt er: V.62: "Hörst du nicht, was diese wider dich bezeugen? V.63: Jesus aber schwieg." Es wäre zwecklos gewesen, sich zu verteidigen, wo niemand hören mochte. Es war ja doch nur ein Gericht zum Schein, in Wahrheit ein Überfall von Räubern, wie sie sacht aus einer Höhle oder auf offener Straße hervorbrechen. Deshalb schwieg der Herr. Kaiphas sprach von neuem: V.63: "Ich beschwöre Dich bei Gott, dem Lebendigen, dass Du es uns sagest: ob Du der Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes? V.64: Er antwortete: Du hast es gesagt; ich aber sage euch: Von jetzt an werdet ihr den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft Gottes und kommen auf den Wolken des Himmels. V.65: Da zerriß der Hohepriester seine Kleider und rief: Er hat Gott gelästert." Das tat er, um die Schuld recht groß hinzustellen und seinen Worten durch solches Tun mehr Nachdruck zu geben. Da sie durch die Rede des Herrn in Angst versetzt worden waren, machten sie es hier, wie man es Stephanus gegenüber gemacht hatte: sie hielten sich dir Ohren zu.



3.

Indessen. worin soll da eine Gotteslästerung liegen? Auch früher hatte der Herr, als sie einmal versammelt waren, zu ihnen gesagt: "Es sprach der Herr zu meinem Herrn, setze dich zu meiner Rechten", und hatte diese Stelle ausgelegt, ohne dass sie etwas einzuwenden gewagt hätten; sie hatten vielmehr geschwiegen und seitdem nie mehr widersprochen. Wie kam es also, dass sie seine Worte jetzt als Gotteslästerung bezeichnen? Warum hatte Christus diese Antwort gegeben? Um ihnen jede Entschuldigung zu benehmen, lehrte er bis zum letzten Tage, dass er Christus ist, da0 er zur Rechten des Vaters sitzt, dass er kommen wird, die Welt zu richten. Damit beweist er zugleich, dass er mit dem Vater völlig im Einklang steht. Als Kaiphas sein Gewand zerrissen hatte, fragte er: V.66: "Was dünkt euch?" . Er spricht das Urteil nicht aus eigener Macht, sondern fragt die anderen um ihre Ansicht, da ja die Schuld zugestanden und die Lästerung offenkundig sei. Sie wußten ja. wenn die Sache untersucht und genau geprüft würde, so würde er von jeder Schuld freigesprochen. Deshalb sprechen sie die Verurteilung aus und nehmen die Zuhörer zum voraus ein durch die Worte: "Ihr habt die Lästerung gehört, nur dass sie keinen Zwang und keine Gewalt ausüben, um die Stimmen abzufordern. Was antworten also diese? "Er ist des Todes schuldig";ihre Absicht war, ihn als einen bereits Verurteilten vor Pilatus führen zu können. Wenn sie da mit vollem Bewußtsein aussprechen: "Er ist des Todes schuldig", so beschuldigen, verurteilen, verdammen sie damit sich selbst, weil sie in dieser Stunde selbst schuldig werden. 

   Warum legen sie ihm denn nicht die Sabbatentheiligung zur Last? Weil er sie deswegen schon oft mundtot gemacht; zudem wollen sie ihn auch mit dem fangen, was er jetzt sagen würde, und ihn daraufhin verurteilen. Darum ließ sie Kaiphas schon zuvor ihr Urteil abgeben, und zog durch das Zerreißen der Kleider alle auf seine Seite, um ihn dann als bereits Verurteilten zu Pilatus zu führen. Auf dieses Ziel war alles hingerichtet. Bei Pilatus brachten sie aber keine solche Anklage vor; da sagten sie: "Wenn er nicht ein Übeltäter wäre, würden wir ihn dir nicht überantwortet haben" (Jn 8,30), und machen den Versuch, ihn als öffentlichen Verbrecher hinrichten zu lassen. Warum brachten sie ihn denn nicht im geheimen um? Weil sie auch seinen Ruf untergraben wollten. Da sich schon viele ihm angeschlossen hatten, ihn bewunderten und anstaunten, so trachteten sie, ihn öffentlich und vor aller Welt hinzurichten. Christus wehrte ihnen nicht, er bediente sich vielmehr ihrer Bosheit zur Bekräftigung der Wahrheit, damit sein Tod offenkundig würde. Es kam nämlich ganz anders, als sie beabsichtigten. Sie wollten die Sache öffentlich machen, um ihm Schande zu bereiten; aber gerade infolge der Öffentlichkeit wuchs sein Ansehen nur noch mehr. Sie hatten gesagt: "Lasset uns ihn töten, damit nicht etwa die Römer kommen und unsere Stadt wegnehmen und unser Volk" (Jn 11,48), und als sie ihn getötet hatten, geschah es dennoch. So kam es auch hier; sie wollten ihn öffentlich kreuzigen, um sein Ansehen zu schmälern und gerade das Gegenteil trat ein. Da sie indessen auch selbst Gewalt über Leben und Tod hatten, sagte Pilatus: "Nehmet ihr ihn hin und urteilet über ihn nach eurem Gesetze" (Jn 18,31). Das wollten sie aber nicht; es sollte scheinen, er sei als Verbrecher, als Aufwiegler, als Hochverräter hingerichtet worden. Deshalb wurden auch Räuber mit ihm gekreuzigt, deshalb baten sie: "Schreibe nicht: Der König der Juden, sondern, dass er selbst so gesagt hat" (Jn 19,21). Das alles geschah um der Wahrheit willen, damit sie auch nicht einen Schatten mehr zu einer unverschämten Entschuldigung hätten. Auch die Siegel und Wachen beim Grabe ließen die Wahrheit nur in um so helleres Licht treten, desgleichen auch die Verspottungen und Schmähungen. Das ist das Schicksal des Betruges, dass er durch seine eigene Heimtücke zerfällt; und so geschah es auch jetzt. Die vermeintlichen Sieger wurden überaus beschämt, geschlagen und vernichtet; der scheinbar Unterlegene gelangte zu großem Ruhm und trug den schönsten Sieg davon. 

   Wir sollten daher nicht immer nach dem Siege trachten, und nicht jeder Niederlage ausweichen. Es gibt Fälle, wo der Sieg Schaden, die Niederlage Nutzen bringt. So mag es scheinen, dass bei Zornesausbrüchen der die Oberhand behält, der am meisten schimpft, da doch gerade er die schlimmste Niederlage und den größten Schaden durch die häßlichste Leidenschaft erleidet, während der andere, der es hochherzig erträgt, gewonnen und gesiegt hat. Der eine konnte nicht einmal seine eigene Wut dämpfen, der andere hat auch die fremde erstickt; jener ist dem Feinde im eigenen Innern erlegen, dieser hat auch einen Fremden überwältigt, hat persönlich nicht nur keinen Schaden von dem Brande erlitten, sondern auch noch die Glut, die beim Nächsten hoch auflodert, gelöscht. Hätte auch er den scheinbaren Sieg erfechten wollen, wäre er selbst unterlegen und hätte zugleich den anderen von dieser abscheulichen Leidenschaft verzehren lassen, und beide wären dann wie Weiber vom Zorne schmählich und kläglich zu Boden geworfen worden. Nun aber ist der Tugendhafte vor dieser Schwachheit bewahrt geblieben und hat durch seine ruhmreiche Niederlage in sich und im Nächsten einen glänzenden Sieg über den Zorn errungen.



4.

Trachten wir also nicht überall darnach, Sieger zu sein. Auch der Habgierige hat über den Beraubten einen Sieg davongetragen, aber einen schändlichen Sieg, der für den Sieger selbst verderblich ist. Der Benachteiligte und scheinbar Besiegte aber hat durch sein tugendhaftes Ertragen den herrlichsten Lorbeer verdient. Oft ist eben das Unterliegen die beste und schönste Art des Sieges. Mag einer immerhin habgierig oder gewalttätig oder neidisch sein, der andere, der nachgibt und sich in keinen Streit einläßt, behält doch die Oberhand. Wozu aber von Habgier und Neid reden? Auch wer zum Martertod geschleppt wird, bleibt Sieger, trotzdem er gefesselt, gegeißelt, zerschlagen und hingeschlachtet wird. Was im Kriege als Niederlage gilt, wenn nämlich der Kämpfer fällt, das gilt bei uns als Sieg. Unser Sieg besteht nicht darin, dass wir jemandem Gewalt an tun, sondern darin, dass wir Gewalt erleiden. Dann ist der Sieg um so glänzender, wenn wir durch Geduld die Übeltäter überwinden. Daraus geht nämlich hervor, dass der Sieg von Gott kommt. Ein solcher[643] Sieg ist ja auch ganz anders beschaffen als ein äußerlicher; darin liegt ein Beweis besonderer Kraft. So brechen die Klippen im Meer die brandenden Wogen, so sind alle Heiligen gefeiert und gekrönt worden und haben sich durch einen solchen Sieg ohne Kampf die herrlichsten Lorbeeren errungen. Du darfst dich gar nicht beunruhigen, dass du etwa erlahmest; Gott verleiht dir Kraft, dass du, ohne zu kämpfen, durch bloßes Dulden Sieger wirst. Du brauchst keine ebenbürtige Streitmacht aufzubringen und du siegst doch; du brauchst nicht handgemein zu werden und wirst dennoch gekrönt. Du bist weit besser daran als der Gegner, du bist ihm überlegen. Warum wolltest du dich selbst herabsetzen? Lasse es doch nicht zu, dass er behaupte, du habest ihn durch Kampf überwältigt; er soll vielmehr staunen und sich wundern, dass du ohne Kampf so stark bist, er soll es allen sagen, dass du auch ohne Gefecht Sieger geblieben bist. Darin liegt ja auch der Ruhm des seligen Joseph, dass er stets durch ruhiges Hinnehmen von Bösem die Übeltäter überwand. Seine eigenen Brüder und die Ägypterin gehörten zu seinen Feinden; allein über alle blieb er Sieger. Rede mir nicht davon, dass er im Kerker schmachtete, während das Weib im Palaste lebte; zeige mir vielmehr, wer der Besiegte war, wer der Unterlegene, wer der Verzagte, wer der Glückliche? Weit entfernt, dass das Weib den Gerechten besiegt hätte, sie vermochte nicht einmal ihre eigene Leidenschaft zu überwinden, während Joseph das Weib und die böse Lust überwand. Du kannst auch die Worte selbst hören und du wirst sehen, wie er siegte. "Du hast einen Hebräer hergebracht zu uns, um Mutwillen zu verüben an uns" (Gn 39,17). Nicht er hat sein Spiel mit dir getrieben, elendes, beklagenswertes Weib, sondern der Teufel, der dir einflüstert, du könntest den Stahl brechen. Nicht er hat einen Hebräerknecht zu dir gebracht, der dir nachstellt, sondern der böse Feind hat die unreine Lust in dir entfacht; der hat dich zum besten gehalten. Wie antwortete da Joseph? Er schweigt und wird deshalb verurteilt, ganz wie Christus. Er war ja auch das Vorbild von allem, was hier mit Christus vorging. Er war im Kerker, das Weib im Palaste. Was hast du zu sagen? Er war, obschon in Fesseln geschlagen, doch ausgezeichneter als jeder Sieggekrönte, das Weib war elender daran. als jeder Gefangene, trotzdem sie in königlichen Gemächern wohnte. 

   Nicht bloß diese Umstände zeigen den Sieg des einen und die Niederlage der anderen, sondern auch der Ausgang der Geschichte. Wer von beiden hat seine Absicht erreicht? Der Gefangene, nicht die vornehme Frau. Er wollte die Ehrbarkeit bewahren, sie wollte sie ihm entreißen. Wer hat seinen Willen durchgesetzt? Er, der Böses erfuhr, oder sie, die Böses tat? Offen bar er. Somit ist auch er Sieger geblieben. In dieser Überzeugung wollen wir alle nach dem Siege streben, der errungen wird, wenn man Böses erduldet, jenen aber meiden, den man dadurch gewinnt wenn man Böses tut, Dann werden wir auch das irdische Leben in tiefstem Frieden und in Ruhe zubringen und einst die ewige Herrlichkeit erlangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!





Fünfundachtzigste Homilie. Kap.XXVI,V.67-Kap.XXVII,V.10.

85 Mt 26,67-27,10
1.

V.67: "Dann spieen sie in sein Angesicht und schlugen ihn mit Fäusten, andere gaben ihm Backenstreiche, V.68: indes sie sagten: Prophezeie uns, Christus, wer ist es, der Dich geschlagen hat?" 

   Weshalb taten sie dies alles, nachdem sie doch entschlossen waren, ihn zu töten? Was hatten sie von dieser Verspottung? Du sollst daraus erkennen, wie maßlos die Juden in allen Dingen waren. Als ob sie ein wildes Tier gefangen hätten, so lassen sie am Herrn ihren Übermut aus, werden halb toll vor Freude über dieses Fest, fallen vor Wonne über ihn her und legen ihre ganze Mordgier an den Tag. Staunen mußt du auch über die Unbefangenheit der Jünger, dass sie alles mit so großer Genauigkeit berichten. Sie liefern dadurch einen Beweis von ihrer Wahrheitsliebe, da sie Dinge, die[644] schimpflich zu sein scheinen, mit aller Wahrhaftigkeit aufzeichnen, ohne sie zu verhehlen oder sich zu schämen, es im Gegenteil für den größten Ruhm erachten, was es auch wirklich war, dass der Herr der Welt für uns so gräßliches litt. Es offenbart sich hierin zugleich seine unaussprechliche Huld und die unverantwortliche Bosheit derer, die solche Untaten gegen den sanften und milden Herrn verübten, der so rührende Worte zu ihnen redete, dass sie selbst einen Löwen hätten in ein Lamm verwandeln können. Er ließ es in keiner Weise an Sanftmut fehlen, sie aber nicht an Spott und Grausamkeit in allem, was sie taten und redeten. Alle diese Abscheulichkeiten hatte der Prophet Isaias vorausgesagt und in einem Satz alle diese Beschimpfungen angedeutet und zusammengefaßt. "Gleichwie viele dich bewundern", sagt er, "ebenso schmählich wird Dein Antlitz sein unter den Leuten und deine Herrlichkeit unter den Menschenkindern" (Is 52,14). Gibt es noch einen Schimpf, der diesem gleichkäme? Jenes Angesicht, bei dessen Anblick der See[645] Ehrfurcht bezeugte, von dem die Sonne ihre Strahlen abwandte, als sie es am Kreuze sah, in dieses Antlitz spieen und schlugen sie, hieben ihn auf den Kopf und ließen ihrer ganzen Wut ungehemmt die Zügel schießen. Sie gaben ihm die schimpflichsten Schläge, mit der Faust, mit der flachen Hand, und fügten zu all dem noch die Schmach, dass sie ihn anspieen. Ferner überhäuften sie ihn mit Worten voll des ärgsten Hohnes:"Prophezeie uns, Christus, wer ist es, der Dich geschlagen hat?", weil ihn das Volk einen Propheten genannt hatte. Ein anderer Evangelist erzählt, dass sie zuvor noch sein Antlitz mit seinem Gewande verhüllten, gerade als hätten sie einen Ehrlosen oder einen Sklaven in ihrer Mitte. Nicht nur Freie, auch Sklaven verübten damals solche Ausgelassenheiten an ihm. 

   Diese Leidensgeschichte wollen wir unablässig lesen, sie anhören, wie es sich geziemt, und sie uns ins Herz schreiben. Das sind unsere Heiligtümer, darauf bin ich stolz; nicht bloß, dass er so viele Tote auferweckte, sondern auch, dass er so viel gelitten hat. Darauf kommt Paulus immer wieder zurück, auf Christi Kreuz, auf seinen Tod. sein Leiden, seine Schmach, seine Beschimpfung, seine Verhöhnung. Bald sagt er: "Gehen wir zu ihm hinaus, seine Schmach tragend" (He 13,13), bald: "Welcher statt der vor ihm liegenden Freude das Kreuz erduldet hat, nicht achtend der Schmach" (He 12,2). V.69: "Petrus aber saß draußen im Hofe. Und es trat eine Magd zu ihm und sagte: Auch du warst mit Jesus, dem Galiläer. V.70: Er aber leugnete angesichts aller und sagte: Ich weiß nicht, was du sagst. V.71: Als er aber hinausgegangen war in die Vorhalle, sah ihn eine andere Magd, die sagte: Auch dieser war mit Jesus, dem Nazarener. V.72: Und wiederum leugnete er unter einem Eidschwur. V.73: Und kurz darauf traten die Umstehenden heran und sprachen zu Petrus: Wahrhaftig, auch du bis einer von ihnen, denn auch deine Aussprache macht dich kenntlich. V.74: Da begann er zu verwünschen und zu schwören, dass er den Menschen nicht kenne. Und alsbald krähte der Hahn. V.75: Und es erinnerte sich Petrus der Rede Jesu, wie dieser gesagt hatte: Bevor der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich." O neuer und unbegreiflicher Vorgang! Als Petrus sah, dass man den Meister nur gefangen nahm da entbrannte er so heftig, dass er sein Schwert zog und dem Knechte das Ohr abschlug. Jetzt, wo er mehr Grund zur Entrüstung, zur leidenschaftlicher Heftigkeit gehabt hätte, da er so gräßliche Beschimpfungen mit anhören mußte, jetzt verleugnete er den Herrn. Wie hätten auch diese Vorgänge einen nicht in Wut versetzen sollen? Trotzdem ist der Jünger unter dem Banne der Furcht weit entfernt, Entrüstung zu zeigen, er verleugnet sogar[646] und hält vor der drohenden Äußerung einer elenden, gemeinen Magd nicht stand. Nicht bloß einmal, nein, zweimal, ja dreimal leugnet er, in kurzer Zeit und ohne vor eigentlichen Richtern zu stehen. Er befand sich ja draußen im Hofe und ging gerade in die Vorhalle, als sie ihn fragten. Er wurde auch nicht sofort seines Falles inne. Lukas (Lc 22,61) berichtet auch, dass Christus ihn anblickte, nicht nur, um ihn zu rügen, dass er ihn verleugnet hatte, sondern auch, weil er sich von selbst nicht besann, obschon der Hahn gekräht hatte; es bedurfte vielmehr wieder einer Erinnerung des Meisters, wobei der Blick an Stelle des Wortes trat. So sehr stand Petrus unter dem Banne der Furcht. Markus (Mc 14,68) läßt die Feigheit des Jüngers noch deutlicher hervortreten, indem er erwähnt, dass der Hahn nach der ersten Verleugnung zum ersten Male krähte, nach der dritten zum zweiten Male, und dass Petrus vor heftiger Furcht wie tot war. Und das hatte er von seinem Meister selbst gehört, da er ja ein Schüler Petri war. Gewiß ein Grund zu großem Staunen, dass er, weit entfernt, den Fehler seines Meisters zu verschweigen, ihn vielmehr genauer als die anderen schildert, weil er sein Jünger war.



2.

Wie kann aber die Darstellung wahr sein, da doch Matthäus erzählt. der Herr habe gesagt: "Wahrlich, ich sage dir, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen", während Markus berichtet: "Zum zweiten mal krähte der Hahn"? (Mc 14,72). Es ist beides wahr und stimmt ganz gut miteinander überein. Da nämlich der Hahn bei jedem Krähen drei oder vier Absätze zu machen pflegt so will Markus kundgeben, dass nicht einmal das Krähen den Petrus abhielt und zur Besinnung brachte. Beide Berichte sind also wahr. Bevor nämlich der Hahn das ganze Krähen beendet, hatte Petrus das dritte Mal geleugnet. Ja, als er von Christus an seine Sünde gemahnt worden war, wagte er nicht einmal, offen zu weinen, um nicht durch seine Tränen verraten zu werden, sondern, "er ging hinaus und weinte bitterlich". Schluß des Kapitels XXVI. 

   Kapitel XXVII. V.1: "Als es aber Morgen geworden war, führten sie Jesus von Kaiphas zu Pilatus." Weil sie ihn hinrichten wollten, wegen des Festes aber selbst es nicht konnten, führten sie ihn zum Statthalter. Beachte hierbei, wie sich die Sache entwickelte, dass sein Tod gerade am Feste stattfand, genau so, wie es vorgebildet worden war. V.3: "Als da Judas, der ihn überantwortet hatte, sah, dass er verurteilt worden, brachte er, von Reue ergriffen, die dreißig Silberlinge zurück." 

   Hierin liegt eine Anklage sowohl für Judas, als auch für die Hohenpriester; für jenen, nicht etwa darin, dass er von Reue ergriffen wurde, sondern darin, dass dies so spät und langsam geschah, und dass er sich selbst verdammt hatte, denn er gesteht selbst ein, dass er ein Verräter ist; für diese, dass sie nicht in sich gingen, obschon sie sich noch bessern konnten. Siehe ferner, wann Judas seine Tat bereute. Als der Frevel vollbracht und zum Ende gediehen war. So ist es eben die Art des Teufels: vor der Tat verleitet er zur Unachtsamkeit, dass man das Böse nicht einsieht, und damit der also Gefangene nicht anderen Sinnes werde. So oft hatte Jesus den Judas gewarnt, ohne dass es ihn gerührt hätte; sobald aber die Schandtat vollbracht war, da befiel ihn die Reue; aber nun nützte es ihm nichts mehr. Dass er sich beschuldigte und das Geld hinwarf, ohne Scheu vor dem Judenvolke, ist ganz anerkennenswert; aber dass er sich aufhängte, ist unverzeihlich; das war das Werk des bösen Feindes. Der hielt ihn von seiner Reue ab, um ihn um die Frucht derselben zu bringen, und verleitete ihn dazu, sich selbst zu verderben, indem er sich auf die schändlichste Weise vor aller Augen entleibte. 

   Beachte, wie allseitig die Wahrheit klar zutage tritt, sogar durch die Werke und Schicksale der Feinde. Auch das Ende des Verräters schließt den Richtern des Herrn den Mund und läßt ihnen auch nicht den Schatten einer wenn auch noch so unverschämten Entschuldigung. Was hätten sie auch noch vorzubringen, nachdem der Verräter offen sich selbst in solcher Weise verurteilt? Fassen wir seine Worte ins Auge: "Er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern zurück und sagte: V.4: "Gesündigt habe ich, weil ich unschuldiges Blut verraten habe. Sie aber sprachen: Was geht das uns an? Siehe du zu. V.5: Und nachdem er die Silberlinge in den Tempel geworfen hatte, entfernte er sich, ging hin und erhängte sich." Es waren die Gewissensbisse, die er nicht ertragen konnte. Beachte, dass es auch den Juden so ergeht. Ihre Erfahrungen hätten sie zur Besserung bewegen sollen, aber sie halten nicht inne, bis die Sünde vollbracht war. Der Frevel des Judas war vollendet, er hatte den Herrn verraten; die Untat der Juden war es noch nicht. Als auch sie dieselbe vollendet und ihn gekreuzigt hatten, da wurden sie ebenfalls unruhig. Da sagten sie: "Schreibe nicht, er sei König der Juden" (Jn 19,21), dann wieder bewachten sie ihn mit der Erklärung: "Damit nicht etwa seine Jünger ihn stehlen und sagen, er sei auferstanden, und so der letzte Betrug schlimmer sei, als der erste" (Mt 27,64). Gesetzt, die Jünger sagten so, es wäre ja doch nur zum Schaden ihrer eigenen Sache, wenn es sich als unwahr herausstellte. Wie aber sollten sie so reden, da sie nicht einmal zu widerstehen wagten, als Jesus ergriffen wurde, und der erste unter ihnen vor der Drohung einer Magd nachgab und den Herrn sogar dreimal verleugnete? Die Juden waren eben, wie gesagt, von da an[647] verwirrt. Dass sie aber wohl wußten, wie schlecht ihre Tat sei, geht aus ihren Worten hervor: "Siehe du zu." 

   Vernehmet ihr Habsüchtigen, und beherziget das Schicksal des Judas! Er verlor das Geld, beging eine Sünde und richtete seine Seele zugrunde. So herrscht eben der Geiz. Judas konnte weder des Geldes, nicht des zeitlichen und nicht des jenseitigen Lebens, froh werden, er warf vielmehr durch ein einziges Verbrechen alles von sich und erhängte sich, als er bei den Hohenpriestern schlecht ankam. Aber, wie ich schon sagte, nach der Tat kommen manche zur Einsicht. Beachte auch das Verhalten der Juden. Bisher hatten sie ihren Frevel nicht einsehen wollen und sagten: "Sieh du zu." Das ist für sie der größte Tadel, denn damit gestehen sie zu, dass es eine Untat und ein Frevel sei, aber außer sich vor Leidenschaft wollen sie von dem teuflichen Beginne nicht abstehen, sondern hüllen sich voll Torheit in den Schleier angeblicher Unwissenheit. Hätten sie nach der Kreuzigung und Hinrichtung Christi so gesprochen, so hätte ihre Rede zwar auch dam als keinen Sinn gehabt, hätte sie aber doch nicht so scharf verurteilt. Nun aber, wie könnt ihr so reden, da er noch in eurer Mitte weilt und ihr die Möglichkeit habt, ihn freizulassen? Da muß eine solche Entschuldigung zur schwersten Anklage gegen euch werden. Wie so denn? Weil sie die ganze Schuld auf den Verräter abschieben[648] , und obschon sie durch die Freilassung Christi eine Ermordung aufgeben konnten, dennoch das Verbrechen fortsetzten und zum Verrate noch die Kreuzigung fügen. Hat sie denn, als sie zu Judas sagten: "Siehe du zu", etwas gehindert, von dem Verbrechen abzustehen? Sie tun es aber nicht; im Gegenteil, sie schreiten auch noch zum Mord und verwickeln sich durch all ihr Tun und Reden in ein Unheil, dem sie nicht mehr entrinnen können. Auch als ihnen später Pilatus die Wahl freigab, wollten sie, dass eher der Räuber als Jesus freigegeben werde, und ihn, der ihnen nichts Böses getan, sondern nur zahllose Wohltaten erwiesen hatte, brach ten sie um.



3.

Was tat nun Judas? Als er einsah, dass er nichts ausrichtete, dass sie das Geld nicht zurücknehmen wollten, V.5; "warf er es in den Tempel hinein, ging hin und erhängte sich. V.6: Die Hohenpriester aber nahmen die Silberlinge und sprachen: Wir dürfen sie nicht in den Tempelschatz legen, da es Blutgeld ist. V.7: Nachdem sie aber Beschluß gefaßt hatten, kauften sie damit den Acker des Töpfers zu einem Begräbnisplatze für die Fremden. V.8: Deshalb ward jener Acker Blutacker genannt bis auf den heutigen Tag. V.9: Damals ward erfüllt, was gesprochen ist durch Jeremias, den Propheten, wenn er sagt: Und sie nahmen die dreißig Silberlinge, den Wert des Gewerteten (Za 11,12), V.10: und sie gaben dieselben für den Acker des Töpfers, so wie mir aufgetragen hat der Herr." Siehst du wieder, wie ihr Gewissen sie verurteilt? Da sie nämlich wußten. dass sie den Mord erkauft hatten, legten sie das Geld nicht in die Tempelkasse, sondern erwarben einen Acker zum Begräbnis der Fremden. Auch diese Tatsache zeugte wider sie und überführte sie des Verrates. Schon der Name des Platzes verkündet lauter als Posaunenschall vor aller Welt ihre Blutschuld. Ja, sie tun es nicht ohne weiteres, sondern fassen einen Beschluß darüber, wie sie es auch sonst zu tun pflegten, damit ja keiner an dem Frevel schuldlos bliebe, sondern alle dafür verantwortlich würden. So hatte es der Prophet schon lange zuvor geweissagt. Siehst du, dass nicht allein die Apostel, sondern auch die Propheten diese schändlichen Vorgänge genau berichten, immer wieder das Leiden des Herrn verkünden und vorhersagen? Die Juden verstanden es aber nicht und verharrten in ihrer Bosheit. Wenn sie das Geld in den Tempelschatz gelegt hätten, wäre die Sache nicht so bekannt geworden; durch den Kauf des Stück Landes aber brachten sie alles auch den folgenden Geschlechtern zur Kenntnis. 

   Höret es alle, die ihr meint, von Mordtaten gute Werke tun zu können, die ihr Menschenseelen um Geld verkaufet. Das sind jüdische , oder vielmehr satanische Almosen. Es gibt ja leider auch jetzt noch Leute, die andere um Unsummen bringen und dann alles gutzumachen wähnen, wenn sie zehn oder hundert Goldstücke opfern. Von ihnen gilt das Wort des Propheten: "Meine Opferstätte hüllet ihr in Tränen" (Ml 2,13). Christus will nicht durch Habsucht genährt werden, eine solche Nahrung weist er zurück. Wie magst du den Herrn so verhöhnen, dass du ihm solchen Schmutz anbietest? Es ist besser, einen verhungernden zu vernachlässigen, als ihn von solchem Erwerbe zu speisen. Das eine ist nur Hartherzigkeit, das andere noch dazu Hohn. Besser, man gibt nichts, als dass man fremdes Eigentum verschenkt. Sage mir doch: wäre es kein Unrecht, wenn du zwei Menschen sähest, von denen der eine nackt ist, und der andere bekleidet, und wenn du dann diesem die Kleider auszögest, um sie dem Nackten zu geben? Ganz gewiß. Wenn du nun auch alles, was du dem einen genommen hast, einem anderen gibst, so gibst du kein Almosen, sondern tust Unrecht. Wie groß wird aber erst deine Strafe sein, wenn du kaum den geringsten Teil deines Raubes gibst und das noch Almosen nennst? Wenn Leute, die lahme Tiere opferten, gerügt wurden, wie wirst du Verzeihung erhalten, wenn du weit Schlimmeres tust? Wen n ein Dieb, der dem Herrn wiedererstattet, noch im Unrechte bleibt, und selbst dann, wenn er das Vierfache zurückgibt, die Schuld kaum tilgen kann, und wenn das schon im Alten Bunde so war, dann beherzige, wie fürchterlich das Feuer sein wird, das sich einer auf sein Haupt lädt, der nicht durch Diebstahl, sondern durch Raub fremdes Eigentum an sich bringt, und es nicht einmal dem Beraubten, sondern einem anderen gibt, nicht das Vierfache, sondern nicht einmal die Hälfte, und so etwas nicht im Alten, sondern im Neuen Bunde tut! Wenn du aber siehst, dass ein solcher jetzt noch nicht gestraft wird, so beklage ihn gerade deshalb, da er sich nur um so größeren Zorn ansammelt, wenn er keine Reue empfindet. Wie? "Meint ihr", sagt der Herr, "dass nur jene Sünder waren, auf welche der Turm stürzte? Nein, ich sage euch vielmehr, wenn ihr nicht Buße tut, wird es euch gerade so ergehen" (Lc 13,45). Lasset uns also Buße tun und Almosen geben, das rein ist von Hab sucht, und dafür von großer Freigebigkeit zeugt. Beherziget, dass die Juden achttausend Leviten ernährten, dazu noch Witwen und Waisen, und viele sonstige Auslagen für den Gottesdienst machten und dazu noch Kriegsdienste leisteten; jetzt hingegen muß die Kirche wegen euch und eurer Lieblosigkeit Äcker, Häuser und Mietwohnungen besitzen, Fuhrwerke. Maultiertreiber und Esel halten und eine Menge ähnlicher Dinge. Dieser Schatz der Kirche sollte in eurer Hand liegen und eure Willigkeit sollte ihr Einkommen verbürgen. In Wirklichkeit aber treten zwei Ungereimtheiten zutage; ihr habt keinen Nutzen[649] , und die Priester Gottes müssen sich um Dinge kümmern, für die sie nicht da sind. Konnte man nicht auch zu den Zeiten der Apostel Häuser und Felder behalten? Weshalb verkaufte man sie und verschenkte den Erlös? Weil es so besser war.



4.

Weil ihr nun aber nach dem Irischen wie rasend seid, nur sammelt, ohne zu verteilen, so hat sich eurer Väter die Besorgnis bemächtigt, es könnten die Scharen der Witwen, Waisen und Jungfrauen vor Hunger umkommen und so sahen sie sich gezwungen, alle diese Stiftungen zu machen. Sie hätten sich freilich lieber nicht in solche Unschicklichkeiten gestürzt, sondern gewünscht, dass euer Herz für deren Einkommen bürge, damit sie die Früchte der Güte ernten und allein dem Gebete obliegen könnten. Allein ihr nötigtet sie, es so zu machen, wie es in den Häusern der öffentlichen Beamten geschieht; daher kommt es, dass alles auf den Kopf gestellt ist. Wenn wir dieselben Geschäfte wie ihr verrichten müssen, wer ist dann noch da, um Gott zu versöhnen? Das ist der Grund, weshalb wir kein freies Wort zu sagen wagen, weil die Kirche um nichts besser daran ist, als die Weltleute. Habt ihr nicht gehört, dass die Apostel nicht einmal die Verteilung der ohne Mühe gesammelten Gelder übernehmen mochten? Jetzt sind unsere Bischöfe mit solchen Dingen noch mehr in Anspruch genommen als die Aufseher, Verwalter und Kaufleute: während ihre Sorgfalt und Mühe doch euren Seelen zugewendet sein sollte, müssen sie sich Tag für Tag ärgern mit Geschäften, wie sie nur Steuereintreibern. Zollbeamten, Rent und Zahlmeistern zukommen. Damit will ich indessen nicht zwecklos klagen , sondern ich sage es, um eine Besserung und einen Wandel herbeizuführen, um euch zum Mitleid mit unserer jämmerlichen Knechtschaft zu bewegen, damit ihr selbst das Einkommen und der Schatz der Kirche werdet. Wenn ihr nicht wollt, dann sehet doch die Armen an, die vor euren Augen stehen, soweit es uns möglich ist, werden wir nicht ermangeln sie zu erhalten; die wir nicht ernähren können, fallen euch zu Last, damit ihr an jenem Tage des Schreckens nicht die Worte zu hören bekommt, die an die Unbarmherzigen und Lieblosen gerichtet sind: "Ihr habt mich hungrig gesehen und habt mich nicht gespeist" (Mt 25,42). Diese Unmenschlichkeit macht auch uns mit euch zum Gespött, dass wir das Gebet, die Predigt und die anderen Werke der Frömmigkeit beiseite setzen, und unsere ganze Zeit bald mit Weinwirten, bald mit Getreidehändlern, bald mit anderen Kaufleuten verlieren. Daher rühren die Streitigkeiten, die Gehässigkeiten, die täglichen Schmähungen, Beschimpfungen und Witzeleien, daher kommt es, dass jeder Priester[650] einen besonderer Namen trägt, wie sie sich eher für Weltleute schickten; die Priester sollten ganz andere Titel führen, die sich wie bei den Aposteln nach ihren Beschäftigungen richten, nach der Speisung der Armen, der Verteidigung des Mißhandelten, der Sorge für die Fremden, dem Beistande für Bedrängte, der Betreuung der Waisen, der Unterstützung der Witwen, dem Schutze der Jungfrauen. Das sind Beschäftigungen, die sie anstatt der Sorge um Ländereien und Gebäude aus üben sollten. Das sind die Juwelen der Kirche; das die Schätze, die ihr ziemen, die uns die Verwaltung leicht machen, euch großen Nutzen bringen, ja euch nur Vorteile, keine Mühen bereiten. Meines Erachtens leben hier durch Gottes Gnade gegen hunderttausend Menschen beisammen. Wenn jeder einem Armen nur ein Brot reichte, hätten alle genug; wenn jeder nur einen Heller schenkte, so gäbe es keinen Armen mehr, und wir brauchten uns nicht mehr so viel Schmach und Spott wegen unserer Sorge um Hab und Gut gefallen zu lassen. 

   Die Worte: "Verkaufe, was du hast, gib es den Armen und dann komme und folge mir nach" (Mt 19,21) dürfte man jetzt füglich auch zu den Vorstehern der Kirche sprechen, weil die Kirche Vermögen besitzt. Man kann ja doch nicht in der gehörigen Weise dem Herrn folgen, wenn man nicht die grobe Sorge um das Weltliche aufgibt. Jetzt aber sitzen die Priester Gottes bei der Weinlese, bei der Ernte, beim Kauf und Verkauf der Fechsung. Die Männer, die nur dem Schatten dienten[651] waren frei von allen derartigen Geschäften, obschon ihnen ein viel äußerlicherer Gottesdienst anvertraut war; wir, die wir ins Innerste des Himmels berufen sind und zum wahren Allerheiligsten Zutritt haben, wir müssen uns mit den Geschäften der Kaufleute und Krämer abgeben. So geschieht es, dass die Hl. Schrift vielfach vernachlässigt, das Gebet schlecht verrichtet, aber auch die anderen Obliegenheiten geringgeschätzt werden. Es ist eben nicht möglich, dass man bei solchem Zwiespalt auf beides den notwendigen Eifer verwende. Daher bitte und beschwöre ich euch, öffnet uns überall reichliche Quellen, lasset euren guten Willen unsere Tenne und Kelter sein. Dann wer den die Armen leichter gespeist, die Ehre Gottes wird vermehrt werden, eure Nächstenliebe wachsam sein und euch den himmlischen Lohn eintragen. Möge er uns allen zuteil werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem die Ehre gebührt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 84