Kommentar zum Evangelium Mt 88

Achtundachtzigste Homilie. Kap.XXVII,V.45-61.

88 Mt 27,45-61
1.

V.45: "Von der sechsten Stunde an entstand aber Finsternis auf der ganzen Erde bis zu der neunten Stunde. V.46: Und um die neunte Stunde rief Jesus mit lauter Stimme und sprach: Eli, Eli, lama, sabachtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? V.47: Einige aber, welche dort standen und es hörten, sagten: Der ruft den Elias. V.48: Und alsogleich lief einer aus ihnen, nahm einen Schwamm, füllte ihn mit Essig und legte ihn um ein Rohr und gab ihm zu trinken." 

   Das ist das Zeichen, das sie einst von ihm forderten. und das er ihnen zu geben versprochen hatte, indem er sagte: "Dieses böse und ehebrecherische Geschlecht verlangt ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden als das Zeichen des Propheten Jonas" (Mt 12,39). Damit meint er seinen Kreuzestod, sein Begräbnis und seine Auferstehung. Ein anderer Evangelist äußerte sich über die Kraft des Kreuzes mit den Worten: "Wenn ihr erhöht haben werdet den Menschensohn, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin" (Jn 8,28). Damit will der Herr sagen: Wenn ihr mich gekreuzigt haben und mich überwunden zu haben glauben werdet, dann gerade werdet ihr besonderes meine Macht erfahren. Nachdem sie ihn gekreuzigt hatten, ging ja ihre Stadt zugrunde, hörte das Judentum auf, zerfiel ihr Staat und ihre Freiheit, blühte das Evangelium empor, und dehnte sich die Predigt bis an die Grenzen der Erde aus. Land und See, die bewohnte und unbewohnte Welt, ist Zeuge seiner Macht. Davon also spricht er, und zwar von den Ereignissen zur Zeit seines Kreuzestodes. Es ist ja auch ein viel größeres Wunder, dass das alles geschah, nachdem er ans Kreuz genagelt war, als wenn es geschehen wäre, so lange er noch auf Erden wandelte. 

   Indessen, nicht darin allein lag das Wunderbare, sondern dass das Zeichen am Himmel geschah, wie sie es verlangt hatten, und dass es über die ganze Welt sich erstreckte, wie es seit Menschengedenken noch nie geschehen war, außer in Ägypten, als das Osterlamm geopfert werden sollte. Das aber war ja Vorbild von diesem. Erwäge auch, zu welcher Zeit die Finsternis eintrat. Mitten am Tage, als es schon auf der ganzen Erde licht war, damit alle Bewohner der Erde es merkten. Das Wunder wäre somit imstande gewesen, alle zu bekehren, nicht bloß, weil es so außerordentlich war, sondern auch in Anbetracht des Zeitpunktes, in dem es vorfiel. Denn es geschah nach all der Tollheit und gottlosen Verhöhnung der Juden, als sich ihr Groll gelegt, als sie zu spotten aufgehört, als sie sich am Hohne gesättigt und alles, was sie nur wollten, gegen ihn geredet hatten: da läßt er die Finsternis eintreten, damit sie nach der Befriedigung ihrer Rachsucht wenigstens von dem Wunder einen Nutzen hätten. Dass er dieses Zeichen wirkte, während er am Kreuze hing, war ein größeres Wunder, als wenn er vom Kreuze herabgestiegen wäre. Hielten sie nun das Geschehnis für sein Werk, so mußten sie an ihn glauben und vor Furcht erbeben; hielten sie es nicht für sein, sondern für das Vaters Werk, so mußten sie ebenso erschüttert werden, denn diese Finsternis war jedenfalls ein Zeichen des Zornes über ihre Untaten. Nicht bloß diese Umstände, sondern auch die zeitliche Dauer offenbart, dass es keine natürliche Verfinsterung, sondern ein Zeichen des Zornes und Grimmes war: hielt sie doch drei Stunden lang an, während eine gewöhnliche Verfinsterung in einem Augenblick geschieht, wie es Leute wissen, die es selbst gesehen haben, denn auch in unseren Tagen ist etwas Derartiges eingetreten. Wie kommt es aber, fragst du, dass sich nicht alle Menschen verwunderten und sich nicht überzeugten, dass er Gott sei? 

   Das Menschengeschlecht war eben damals sehr in Gleichgültigkeit und Bosheit versunken. Zudem war es ein Wunder, das nur einmal vorkam und rasch vorüberging: auch lag niemand etwas an der Erforschung der Ursache. Ferner ist auch das Vorurteil und die Gewohnheit bei den Gottlosen stark. Endlich wußten sie auch nicht, welches die Ursache des Ereignisses war, sie wähnten vielleicht, es sei eine natürliche Finsternis oder eine sonstige Naturerscheinung. Übrigens, was wunderst du dich über die Leute außerhalb Judäas, die von nichts wußten und in folge ihrer Gleichgültigkeit keine Naturforschungen anstellten, da doch die Bewohner des Landes selbst trotz so großer Wunder noch fortfuhren, zu spotten, nachdem er ihnen doch klar gezeigt hatte, dass er die Finsternis bewirkte? Das ist zugleich der Grund, warum er auch nach der Verfinsterung noch redet; er wollte zeigen, dass er noch lebte und selbst das Ereignis veranlaßte, damit sie infolgedessen in sich gingen. Er spricht: "Eli,Eli, lama sabachthani", damit sie sähen, dass er bis zum letzten Atemzuge den Vater ehrt und kein Gegner Gottes ist. Er gebraucht eine Prophetenstelle, um bis zur letzten Stunde für das Alte Testament Zeugnis abzulegen, ja er spricht sie auch auf Hebräisch aus, damit die Juden es verstehen und begreifen; überhaupt gibt er in allen Stücken kund, dass er mit dem Vater eines Sinnes ist. Beachte aber auch hierbei wieder ihre Frechheit, Schamlosigkeit und Gedankenlosigkeit. Sie meinten, heißt es, er rufe den Elias und sogleich gab man ihm Essig zu trinken. "Ein anderer trat hinzu und durchbohrte mit einer Lanze seine Seite" (Jn 19,34). Kann es noch etwas Ruchloseres geben, etwas Wilderes, als dass sie ihre Wut so weit treiben und noch den Leichnam mißhandeln? Beachte aber zugleich wie er ihre Frevel zu unserem Heile wendet. Nachdem er die Wunde empfangen, begannen dort die Quellen unseres Heiles zu sprudeln. V.50: "Jesus aber rief mit lauter Stimme und gab seinen Geist auf. 

   Damit beweist er, was er gesagt hatte: "Ich habe die Macht mein Leben hinzugeben, und habe die Macht, es wieder zu nehmen", und: "Ich gebe es hin von mir selber aus" (Jn 10,18). Deshalb rief er mit lauter Stimme; er deutet an, dass er die Sache aus eigener Macht so füge. Markus erzählt, Pilatus habe sich gewundert, dass Christus schon gestorben war, und der Hauptmann sei gerade infolge der Tatsache, dass er aus freiem Willen starb, gläubig geworden (Mc 15,44). Dieser Ruf zerriß den Vorhang im Tempel, öffnete die Grüfte und machte das Gotteshaus öde. So tat der Herr nicht etwa aus Verachtung gegen den Tempel wie hätte er sonst gesagt: "Machet das Haus meines Vaters nicht zu einem Kaufhause"? (Jn 2,16), sondern um kundzutun, dass sie nicht einmal wert seien, dort zu verkehren. Es ist ein ähnlicher Fall wie damals, als Gott den Tempel in die Gewalt der Babylonier gab. Das war aber nicht der einzige Grund des Vorganges, es lag darin auch eine Weissagung der kommenden Verödung, der größeren und erhabeneren Umwandlung, sowie seiner eigenen Macht.



2.

Außerdem offenbarte Jesus sich auch in den darauffolgenden Ereignissen, in der Auferstehung der Toten, in der Verdunkelung des Tageslichtes, in der Veränderung der Himmelskörper. Zur Zeit des Elisäus stand ein Toter auf, als er dessen Leiche berührte; jetzt weckte sie seine Stimme auf, während sein Leichnam am Kreuze hing. Übrigens war jene Geschichte ein Vorbild für dieses Wunder; um dieses zu beglaubigen, war jenes geschehen. Es werden aber nicht bloß Tote erweckt, sondern es spalten sich auch Felsen und es bebt die Erde, damit sie einsehen sollten, dass er auch sie hätte blenden und zerschmettern können. Denn wenn er Felsen spaltet und die Erde in Finsternis hüllt, hätte er es um so mehr ihnen tun können, wenn er gewollt hätte. Er wollte es indessen nicht, sondern wandte seinen Zorn gegen die Elemente, sie selbst suchte er durch Milde zu retten. Gleichwohl gaben sie ihre Raserei nicht auf. So ist eben die Eifersucht und der Neid; man kann ihnen nicht leicht Einhalt tun. Jetzt waren sie gegenüber den Vorgängen unempfindlich; nachher, als er trotz des Siegels und der aufgestellten Soldaten auferstanden war und die Kunde hiervon durch die Wächter ihnen zu Ohren kam, gaben sie diesen Geld, damit sie auch andere betrügen und die Nachricht von der Auferstehung verheimlichen sollten. Darum darfst du dich nicht wundern, wenn sie auch jetzt so undankbar waren; sie waren nun einmal zu allen Schamlosigkeiten bereit. Siehe vielmehr, wie viele Zeichen der göttliche Heiland wirkte, teils am Himmel, teils auf der Erde, teils im Tempel selbst! Er wollte damit einerseits seinen Unwillen äußern, anderseits zeigen, dass das Unzugängliche zugänglich gemacht, der Himmel verschlossen und der Dienst in das wahrhaftige Allerheiligste übertragen wird. Die einen hatten gesagt: "Wenn Du der König von Israel bist, so steige vom Kreuz herab"; er zeigt nun, dass er König der ganzen Welt ist. Andere hatten gesagt: "Er will diesen Tempel niederreißen und in drei Tagen wiederaufbauen"; er zeigt jetzt, dass derselbe völlig verödet werden wird. Wieder einige hatten gesagt: "Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten"; er aber zeigt an den Leibern seiner Diener, dass er, obgleich er am Kreuze bleibt, große Macht besitzt. War es schon eine Großtat, dass Lazarus, der bereits vier Tage begraben war, aus dem Grabe hervorging, so war es ein um so größeres Wunder, dass sich längst Verstorbene auf einmal lebendig zeigten. Es war ein Hinweis auf die einstige Auferstehung. V.52: "Viele Leichname der entschlafenen Heiligen wurden aufgeweckt, V.53: und sie kamen in die hl. Stadt und erschienen vielen." 

   Sie erschienen vielen Leuten, damit man die Sache nicht für eine Einbildung halte. Auch der Hauptmann verherrlichte Gott mit den Worten: "Wahrlich, dieser Mensch war ein Gerechter. Und die ganze Schar derer, welche gegenwärtig waren bei diesem Begebnisse, schlugen an ihre Brust und kehrten zurück (Lc 23,47-48). So groß war die Macht des Gekreuzigten, dass trotz so vieler Verhöhnungen, Verspottungen und Beschimpfungen der Hauptmann und das Volk erschüttert wurden. Nach einzelnen Berichten ist der Hauptmann später wegen seines Glaubens des Martyrertodes gestorben. V.55: "Es waren aber dort viele Frauen, die von der Ferne zusahen, und die Jesu gefolgt waren, um ihm einen Dienst zu erweisen, V.56: Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und Joseph, und die Mutter der Söhne des Zebedäus." 

   Die Frauen, die doch ungemein mitfühlend, ungemein geneigt zum Weinen sind, sehen die Vorgänge mit an. Beherzige auch, wie anhänglich sie sind. Sie hatten den Herrn begleitet und bedient und blieben auch in der Gefahr an seiner Seite. So kam es, dass sie von allem Zeugen waren: wie er rief, wie er verschied, wie die Felsen zerbarsten und was sonst noch vorging Diese Frauen sehen Jesum zuerst wieder; das am härtesten vom Fluche getroffene Geschlecht genießt zuerst den Anblick seines Lohnes; sie sind es, die am meisten Mut an den Tag legen. Die Jünger waren geflohen, sie harrten bei ihm aus. Wer war es? Seine Mutter Matthäus nennt sie des Jakobus Mutter und die anderen. Ein anderer Evangelist berichtet, viele seien erschüttert worden infolge der Geschehnisse und hätten an ihre Brust geklopft. Das zeigt so recht die Roheit der Juden, dass sie sich, wo andere klagten, brüsteten und weder von Mitleid gerührt noch von Furcht niedergeschlagen waren. Die Vorgänge deuteten auf einen heftigen Zorn hin, es waren nicht bloß Zeichen, sondern lauter Zeichen des Grimmes: die Finsternis, die geborstenen Felsen, der mitten durchgerissene Vorhang, das Beben der Erde, es war ein beispielloser Beweis des[653] Unwillens. V.58: "Joseph aber ging hin und begehrte die Leiche." Dieser Joseph hat sich vordem verborgen gehalten; jetzt nach Christi Tode wagte er etwas Großes. Er gehörte nicht zu den Niedrigen und Unbekannten, er war Mitglied des Rates und hochangesehen. Sonach läßt es sich ermessen, wie beherzt er war; er setzte sich dem Tode aus, da er sich den allgemeinen Haß zuzog, weil er seiner Zuneigung zu Jesus Ausdruck gab, um seine Leiche zu bitten wagte und nicht abließ, bis er sie erhielt. Aber nicht bloß darin zeigte er seine Liebe und Unerschrockenheit, dass er sich die Leiche geben ließ, noch, dass er sie mit Ehren begrub, sondern auch darin, dass er sie in seinem eigenen neuen Grabe beisetzte. Aber auch das wurde nicht ohne Absicht so gefügt, sondern um auch den leisesten Verdacht fernzuhalten, als sei ein anderer als der Herr auferstanden. 

   V.61: "Es war aber dort Maria Magdalena und die andere Maria, welche dem Grabe gegenübersaßen." Warum setzen sie sich dahin? Sie dachten noch keineswegs von ihm, wie es sich gehörte, groß und erhaben; deshalb hatten sie auch Salben mitgebracht und warteten beim Grabe, um hinzugehen und ihn zu salben, sobald die Wut der Juden nachgelassen haben würde.



3.

Hast du gesehen, wie mutig die Frauen waren? wie liebevoll, wie hochherzig sie die Auslagen bestritten und bis zu seinem Tode ausharr ten? Wir Männer, lasset uns diese Frauen nachahmen, verlassen wir Jesum nicht in den Stunden der Prüfungen! Jene wendeten noch so viel für den Toten auf und setzten ihr Leben aufs Spiel; wir aber[654] , wir speisen keinen Hungernden und kleiden keinen Nackten, sondern gehen vorbei, wenn er uns bittet. Ja, wenn ihr den Herrn selbst sähet, würde jeder sein Vermögen bis zum letzten Heller hingeben; und doch ist er es auch jetzt wirklich selbst. Er hat es ja gesagt: "Ich bin es." Warum gibst du also nicht alles hin? Auch jetzt noch spricht er: "Mir tust du es." Es macht nichts aus, ob du dem oder jenem gibst, du wirst keinen geringeren, sondern einen weit größeren Lohn erhalten als diese Frauen, die damals für ihn sorgten. Lasset euch nicht beirren! Es ist nicht ein und dasselbe, ob man Jesum speist, wenn er als Herr auftritt das vermöchte ja auch eine steinerne Seele anzuspornen , oder ob man ihn pflegt, wenn er nur in der Gestalt der Armen, Verkrüppelten und Gebrechlichen erscheint. Dort hat der Anblick und das Ansehen des Auftretenden mit teil an deiner Tat; hier ist der Lohn der Nächstenliebe ganz dein. Dabei ist es ein Beweis größerer Ehrfurcht gegen ihn, wenn du um seines Geheißes willen deinen Mitknechten in allem hilfst und beistehest. Unterstütze ihn also und sei überzeugt, dass es derjenige entgegennimmt, der da spricht: "Du gibst es mir". Hättest du es nicht ihm gegeben, so würde er dir nicht das Himmelreich dafür schenken. Hättest du nicht ihn abgewiesen, sooft du einen gewöhnlichen Menschen nicht achtest, würde er dich deshalb nicht in die Hölle verdammen; weil jedoch er selbst es ist, der verachtet wird, deshalb ist die Schuld so groß. So hat auch Paulus den Herrn verfolgt, als er seine Anhänger verfolgte. Darum fragt ja auch der Herr: "Warum verfolgst du mich?" (Ac 9,4). 

   Lasset uns also unsere Gaben stets so darreichen, als ob wir sie Christus selbst anböten. Seine Worte verdienen ja mehr Glauben als unsere eigenen Augen. Wenn du somit einen Armen siehst, gedenke, dass der Herr gesagt hat, er sei es, der gespeist wird. Ist es auch nicht Christus dem Äußeren nach, so ist doch er es, der in der Gestalt dieses Bettlers bittet und empfängt. Aber es beschämt dich zu hören, Christus bitte? Laß es dich lieber beschämen, dass du ihm nichts gabst, wenn er bittet. Das ist eine Schande, das verdient Strafe und heischt Sühne. Dass er bittet, ist ein Ausfluß seiner Güte und darauf sollen wir stolz sein; wenn du aber nichts gibst, ist dies ein Beweis deiner Hartherzigkeit. Wenn du jetzt nicht glaubst, dass er es ist, den du in dem armen Glaubensgenossen unbeachtet lässest, so wirst du es dann glauben, wenn er dich vor Gericht zieht und sagt: "Was immer ihr diesen nicht getan habt, habt ihr auch mir nicht getan." Aber lassen wir uns diese Lehre nicht auf eine solche Weise geben, sondern lasset und glauben und dadurch verdienen, dass wir jenes beseligende Wort vernehmen, das uns die Pforten des Himmelreiches öffnet. 

   Aber vielleicht wird jemand einwenden: Tag für Tag predigst du uns über das Almosen und die Nächstenliebe. Allerdings, und ich werde auch immer wieder darüber sprechen. Denn wenn ihr auch in dieser Tugend vollkommen wäret, so dürfte ich dennoch nicht aufhören, um euch nicht nachlässig zu machen. Wenn ihr es aber wäret, hätte ich wohl einige Zeit damit aufgehört; da ihr es aber noch nicht einmal mittelmäßig seid, so dürfet ihr nicht mir, sondern müsset euch selbst jene Worte entgegenhalten. Mit eurem Vorwurfe machet ihr es nämlich wie ein Kind, das den Buchstaben a immer wieder zu hören bekommt, weil es ihn nicht lernt, und nun dem Lehrer Vorwürfe macht, dass er ununterbrochen und unablässig wiederhole. Ist denn jemand durch meine Reden geneigter zum Almosengeben geworden? hat jemand sein Geld oder auch nur die Hälfte seines Vermögens hingegeben oder etwa ein Drittel? Niemand. Ist es also nicht widersinnig, wenn man will, dass wir zu lehren aufhören, während ihr noch nicht lernet? Gerade das Gegenteil müßte sonach geschehen. Wollten wir auch aufhören, so müßtet ihr uns abhalten und sagen: Wir haben das Almosengeben noch nicht gelernt, und ihr lasset ab, es in Erinnerung zu bringen? Wenn jemand ein Augenleiden hätte und ich ein Arzt wäre und mit Pflastern, Salben und sonstiger Behandlung plötzlich aufhörte, weil ich damit keine besonderen Erfolg erzielte, würde man nicht in mein Zimmer kommen, mich anfahren und großer Leichtfertigkeit zeihen, weil ich mich zurückgezogen hätte, obschon die Krankheit noch nicht behoben sei? Und wollte ich auf diesen Vorwurf hin erklären, ich hätte ja Pflaster und Salben angewendet, würde man sich damit zufrieden geben? Durchaus nicht, man würde vielmehr alsbald erwidern: Was nützt das, wenn ich noch immer leide? So muß man auch betreffs der Seele urteilen. Wie, wenn es mir nicht gelungen wäre, eine gelähmte und verkrüppelte Hand trotz vieler Umschläge beweglich zu machen, bekäme ich nicht dasselbe zu hören? Aber auch in unserem Falle gilt es, eine verkrüppelte und verdorrte Hand zu erweichen; daher werden wir nicht ablassen, bis wir sie schließlich doch gerade strecken. Dass doch auch ihr von nichts anderem redet daheim und auf dem Markte, bei Tisch und in der Nacht und im Traume! Wäre das nämlich den Tag über stets unsere Sorge, so würden wir uns auch im Traume damit beschäftigen.



4.

Ja, was sagst du? Ich rede allzeit von Almosengeben? Es wäre auch mein eigener Wunsch, anstatt so oft dieselbe Aufforderung an euch richten zu müssen, vom Kampf gegen Juden, Heiden und Ketzer predigen zu können. Allein wie kann man Leute, die noch nicht so gesund sind, unter die Waffen rufen? wie sie ins Feld führen, da sie noch Wunden und Schrammen haben? Wenn ich sähe, dass ihr vollständig gesund wäret, so führte ich euch schon in diesen Kampf, und da würdet ihr durch Christi Gnade Tausende sehen, die tot zu Boden gestreckt wurden und deren Köpfe hoch aufgetürmt liegen. In anderen Büchern haben wir viel darüber gesagt, aber trotzdem können wir wegen der Lässigkeit so vieler diesen Sieg nicht ungeteilt feiern. Denn wenn wir sie auch tausendmal mit den Lehrsätzen schlagen, so werfen sie uns doch das Leben, die Wunden und Krankheiten der Seele vor, an der die große Mehrheit unserer Leute leiden. Wie können wir euch also kühn in der Schlachtreihe sehen lassen, wenn ihr Schmach über uns bringet, da ihr sofort vom Feinde geschlagen und verhöhnt werdet? Der eine hat eine kranke Hand; sie ist so verkrüppelt, dass sie nichts geben kann. Wie wird ein solcher imstande sein, den Schild zu halten und sich damit zu decken, um nicht durch rohen Spott verwundet zu werden? Andere hinken, das sind jene, welche die Schauspiele und die Freudenhäuser besuchen. Wie werden sie in der Schlacht standhalten können, ohne von den Vorwürfen der Wollust getroffen zu werden? Ein dritter hat kranke Augen und ist halbblind, kann nicht gerade sehen, sondern fällt voll Lüsternheit die Tugend der Frauen an und bricht in die Ehen ein. Wie wird er dem Feinde ins Augen sehen, den Speer schwingen und den Pfeil abschließen können, da man von allen Seiten Hohn gegen ihn schleudert? Auch solche findet man, die wie Wassersüchtige am Unterleibe leiden, da sie von Schwelgerei und Trunkenheit befallen sind. Wie werde ich imstande sein, diese Trunkenen in den Krieg zu führen? Andere haben die Mundfäule, wie z.B. die Jähzornigen, Schmähsüchtigen und Lästerer. Wie wird ein solcher in der Schlacht das Kampfgeschrei ausstoßen und eine große, wackere Tat vollbringen, da er einen Rausch hat und den Feinden reichlich Anlaß zum Gelächter gibt? Deshalb gehe ich täglich dieses Lager ab, um die Wunden zu heilen und die Geschwüre zu behandeln. Wenn ihr ernüchtert seid und fähig werdet, andere anzugreifen, so werde ich euch auch in diesem Kampfe gegen die Heiden und Juden unterrichten und die Handhabung der Waffen lehren, oder vielmehr, eure eigenen guten Werke werden eure Waffen sein, wenn ihr mildtätig, freundlich, sanftmütig, geduldig werdet und von allen anderen Tugenden Beweise gebet. Wenn aber dann noch jemand widersprechen sollte, werden wir die Antwort nicht schuldig bleiben, sondern euch ins Feld führen. Vorläufig aber werden wir durch eure Schuld gehindert, diesen Sturmlauf anzutreten. 

   Siehe nur! Wir predigen, Christus habe ein großes Werk vollbracht, indem er aus Menschen Engel macht. Wenn man dann von uns die Beweise fordert und verlangt, wir sollen doch aus unserer Herde Beisspiele dafür erbringen, so müssen wir still sein aus Furcht, anstatt Engel in Wirklichkeit Schweine aus dem Saustall und brünstige Hengst vorzuführen. Ich weiß, dass euch das verletzt, aber meine Worte beziehen sich auch nicht auf jeden einzelnen, sondern nur auf die Schuldigen, ja und nicht so sehr g e g e n sie rede ich, als vielmehr für sie, wofern sie es nur einsehen wollen. In der Gegenwart ist wahrlich alles herabgekommen und verderbt; die Kirche unterscheidet sich nicht von einem Ochsen,Esel und Kamelstalle, und wenn ich herumgehe, um ein Schäflein zu suchen, so kann ich keines finden. Alle schlagen um sich wie Rosse und Wildesel und machen alles ringsumher voll Schmutz, solche Reden führen sie. Könnte man vernehmen, was Männer und Weiber bei allen ihren Zusammenkünften reden, so würde man Worte hören, die weit schmutziger sind als solcher Mist. Ich beschwöre euch darum, leget diese böse Gewohnheit ab, damit die Kirche von Salböl dufte. Wir brennen jetzt darin freilich Rauchwerk, das äußerlich duftet, geben uns aber keine sonderliche Mühe, den geistlichen Schmutz wegzuräumen und zu entfernen. Was nützt also das? Wir verunehren die Kirche nicht so sehr durch Einschleppen von Kot, als durch solche Ge spräche, die wir miteinander führen über Gewinn, Handel und Geschäfte, über Dinge, die für uns keinen Wert haben, während doch die Reigen der Engel daselbst weilen und wir die Kirche zum Himmel machen sollten, indem wir nichts anderes daselbst dulden als eifriges Gebet, Stillschweigen und Aufmerksamkeit. Lasset uns wenigstens von jetzt an so handeln, um unser Leben zu reinigen und den verheißenen Lohn zu erlangen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dessen Ehre währt in alle Ewigkeit. Amen!





Neunundachtzigste Homilie. Kap.XXVII, V.62-Kap.XXVIII V.10

89 Mt 27,62-28,10
1.

V.62: " Am anderen Tage aber, an dem, welcher nach dem Rüsttage folgt, versammelten sich die Hohenpriester und die Pharisäer bei Pilatus V.63: und sprachen: Herr, wir haben uns erinnert, dass jener Verführer gesprochen hat, während der noch lebte: Nach drei Tagen werde ich auferstehen. V.64: Befiel also, dass das Grab bis zum dritten Tage bewacht werde, damit nicht etwa seine Jünger kommen und ihn stehlen und dem Volke sagen: Er ist von den Toten erstanden! und so wird der letzte Betrug schlimmer sein als der erste." 

   Überall gerät der Irrtum mit sich in Widerspruch und muß wider Willen der Wahrheit Zeugnis geben. Sieh nur! Es war eine Beglaubigung notwendig, dass der Herr gestorben und begraben worden war und dass er auf erstanden ist: all das geschieht nun durch die Feinde. Beachte nur, wie ihre Worte das alles bezeugen. "Wir haben uns erinnert", sagen sie, "dass jener Verführer gesprochen hat, während er noch lebte"; also war er gestorben; "nach drei Tagen werde ich auferstehen. Befiehl nun, dass das Grab versiegelt werde"; Jesus war mithin begraben worden; "damit nicht etwa seine Jünger kommen und ihn stehlen". Wenn also das Grab versiegelt war, ist kein Frevel möglich, unbedingt keiner. Mithin ist durch eure Vorkehrungen der Beweis seiner Auferstehung unumstößlich geliefert. Da nämlich Siegel angelegt worden waren, konnte kein Betrug geschehen. Wenn nun der Betrug ausgeschlossen ist, das Grab aber leer gefunden wird, so ist es über jeden Widerspruch erhaben, dass Christus auferstanden ist. Siehst du, wie sie, ohne es zu wollen, zum Beweise der Wahrheit beitragen? Beachte hierbei, wie wahrheitsliebend die Jünger sind, wie sie nichts verhehlen, was die Feinde gesagt haben, auch nicht, wenn es etwas Schimpfliches ist. Man heißt den Herrn sogar einen Betrüger, und auch das verschweigen sie nicht. Auf der einen Seite offenbart sich die Roheit der Juden darin, dass sie ihren Groll nicht aufgaben, obschon er tot war; auf der anderen zeigt sich die schlichte und wahrheitsliebende Art der Jünger. Hier ist auch die Frage am Platze, wo denn Jesus gesagt hat: "Nach drei Tagen werde ich auferstehen"? Man findet nirgends solch einen deutlichen Ausspruch, sondern lediglich den Hinweis auf das Vorbild des Jonas. Sie hatten aber seine Worte wohl verstanden und handelten sonach mit Absicht böswillig. Was antwortet ihnen darauf Pilatus? V.65: "Ihr sollt eine Wache haben. Gehet, sichert es euch, so gut ihr könnt. V.66: Und sie sicherten das Grab durch eine Wache, nachdem sie es zuvor versiegelt hatten." 

   Pilatus läßt es nicht zu, dass die Wächter selbst die Versiegelung vornehmen; denn da er sich über Christus unterrichtet hatte, mochte er mit den Juden nichts weiter zu tun haben. Nur um sie sich vom Halse zu schaffen, wendet er nichts dagegen ein und spricht: Siegelt, wie ihr wollt, damit ihr nicht andere beschuldigen könnt: Hätten die Soldaten allein den Stein versiegelt, so hätten die Juden behauptet[655] , die Soldaten hätten die Leiche stehlen lassen und es so den Jüngern ermöglicht, die Geschichte von der Auferstehung zu erdichten. Nachdem sie aber selbst die Sicherheitsvorkehrungen trafen, war ein solcher Vorwurf ausgeschlossen. Merkst du, mit welchem Eifer sie, wenn auch unfreiwillig, für die Wahrheit eintreten? Sie selbst gingen hin, sie selbst stellten die Bitte, sie selbst legten die Siegel im Beisein der Wache an. So beschuldigen und überführen sie einander selbst. Oder wann hätte man denn überhaupt die Leiche stehlen sollen? Am Sabbat? Und wie denn? Man durfte ja nicht einmal ausgehen. Wenn die Jünger auch das Gesetz übertreten hätten, wie hätten sie es bei ihrer Feigheit gewagt, hinauszugehen? Wie hätten sie die Menge überzeugen können? was sollten sie sagen? was tun?`was hätte sie bewegen können, für den Toten einzutreten? welchen Lohn hätten sie gewärtigen können? welchen Entgelt? Als er noch lebte, waren sie geflohen beim bloßen Anblick seiner Gefangennahme, und nach seinem Tode sollten sie so mutig für ihn eingetreten sein, wenn er nicht wirklich auferstanden wäre? Wie wäre so etwas denkbar? Somit ist es klar, dass sie seine Auferstehung, wenn sie nicht wirklich stattgefunden hätte, weder erdichten wollten noch auch konnten. Oft hatte der Herr mit ihnen über seine Auferstehung gesprochen und immer wieder hatte er, wie sie ja auch selber berichtet haben, gesagt: "Nach drei Tagen werde ich auferstehen." Wäre er nicht auferstanden, so wären sie getäuscht und seinetwegen mit allem Volke verfeindet, der Familie und der Heimat entfremdet worden, hätten sich infolgedessen von ihm losgesagt und niemals den Wunsch fassen können, ihn mit solchem Ruhme zu umgeben, nachdem sie durch ihn betrogen und in die ärgsten Gefahren gestürzt worden waren. Aber auch erdichten konnten sie die Auferstehung nicht, wenn sie nicht wirklich stattgefunden hätte. Das bedarf gar keiner Begründung. Worauf hätten sie sich stützen können? Etwa auf die Kraft ihrer Rede? Aber sie waren ja ganz ungebildet. Oder auf die Macht des Geldes? Aber sie besaßen ja weder Stab noch Schuhe. Etwa auf den Glanz ihrer Herkunft? Aber sie waren schlichte Leute, wie auch ihre Eltern. Etwa auf die Größe ihres Vaterlandes? Ihre Heimat war unbekannt. Etwa auf ihre Zahl? Aber es waren ihrer nicht mehr als elf und diese waren noch dazu zerstreut. Etwa auf die Verheißungen des Meisters? Auf welche denn? Wenn er nicht auferstanden war, so verdienten auch seine Verheißungen keinen Glauben. Wie hätten sie ferner der Wut des Volkes standgehalten? Wenn ihr Oberster nicht einmal das Geschwätz einer Türhüterin ertrug und die anderen alle, als sie Jesus in Fesseln sahen, sich zerstreuten, wie hätte es ihnen da einfallen sollen, bis an die Grenzen der Welt zu eilen, um die Kunde von einer erdichteten Auferstehung zu verbreiten? Wenn Petrus vor der Drohung eines Weibes und die anderen bei dem Anblick von Fesseln und Banden nicht standhielten, wie sollten sie da vor Königen, Herrscher und Völker hintreten, wo Schwerter, Schmelztiegel, Glutöfen und tausendfacher Tod jeden Tag drohte, wenn sie nicht die Stärkung und den Beistand des Auferstandenen besaßen? So große und zahlreiche Zeichen waren geschehen, aber die Juden hatten sich nicht daran gekehrt, sondern deren Urheber gekreuzigt; und dann hätten sie sich durch die einfache Predigt von der Auferstehung überzeugen lassen? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Nur die Macht eines Mannes, der wirklich auferstanden war, konnte einen solchen Umschwung bewirken.



2.

Beachte ferner, wie lächerlich ihre Böswilligkeit ist. "Wir haben uns erinnert", sagen sie, "dass dieser Verführer, als er noch lebte, gesagt hat: Nach drei Tagen werde ich auferstehen." War er ein Betrüger und hatte er Lügen geschwätzt, warum seid ihr besorgt, laufet herum und gebet euch so viel Mühe? Wir besorgen, sagen sie, die Jünger könnten ihn stehlen und die Menge täuschen. Ich habe aber gezeigt, dass das gar nicht denkbar gewesen wäre. Indes, die Bosheit ist hartnäckig und unverschämt und greift auch zu unvernünftigen Mitteln. Drei Tage lang lassen sie das Grab bewachen, als ob sie für Glaubenssätze streiten müßten, und in der Absicht, ihn als Betrüger zu brandmarken; so schreckt ihre Bosheit selbst vor dem Grab nicht zurück. Das bewog nun den Herrn, früher aufzuerstehen, um ihnen die Ausrede abzuschneiden, er habe gelogen und sei gestohlen worden. Wenn er aber auferstand, konnte man nichts dagegen einwenden, während es sehr verdächtig sein mußte, wenn es später geschehen wäre. Wäre er nicht auferstanden, so lange sie noch dort waren und Wache hielten, sondern erst nach Verlauf der drei Tage, wo sie schon das Grab verlassen hatten, so hätten sie Stoff zum Reden und Widersprechen gehabt, wenn es auch töricht gewesen wäre. Deshalb also beschleunigte Jesus die Auferstehung. Sie mußte ja geschehen, während sie noch dort waren und Wache hielten. Sie mußte also innerhalb der drei Tage stattfinden; denn wäre sie geschehen, als sie schon weggegangen und heimgekehrt waren, so konnte die Sache verdächtig erscheinen. Deshalb ließ er auch die Siegel anlegen, wie sie wünschten; auch Soldaten wurden aufgestellt. Es lag ihnen nichts daran, dass sie diese Arbeit am Sabbat verrichteten; sie hatten ja nur eines im Auge, ihrer Bosheit zu genügen, als ob sie dadurch die Oberhand gewinnen könnten. Hierin offenbart sich das Übermaß ihrer Torheit, wie auch die heftige Furcht, die sie gepackt hatte. Als er noch lebte, hatten sie ihn gefangen genommen; jetzt, da er tot war, fürchteten sie ihn. Wäre er ein bloßer Mensch gewesen, so durften sie unbesorgt sein. Sie sollten aber erkennen, dass er, was er in seinem Leben litt, freiwillig erduldete, daher das Siegel, der Stein, die Wache. Alles das war aber nicht imstande, ihn zurückzuhalten; es hatte nur die eine Wirkung, dass sein Begräbnis öffentlich bekannt und seine Auferstehung auf diese Weise beglaubigt wurde. Waren doch Soldaten als Wache aufgestellt und Juden auf der Lauer gestanden. 

   Kapitel XXVIII V.1: "In der Späte des Sabbates aber, als es licht wurde für den ersten Tag der Woche, kam Maria Magdalena und die andere Maria, um das Grab zu sehen. V.2: Und siehe, ein großes Erdbeben entstand. Denn ein Engel des Herrn stieg herab vom Himmel, trat hinzu, wälzte den Stein hinweg und setzte sich auf ihn. V.3: Es war aber sein Aussehen wie der Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee." 

   Der Engel erschien nach der Auferstehung. Weshalb kam er und hob den Stein weg? Wegen der Frauen, denn sie sahen ihn da im Grabe sitzen. Damit also sie glaubten, dass der Herr auferstanden sei, so sollten sie sehen, dass das Grab leer, die Leiche weg war. Deshalb hatte der Engel den Stein weggeschoben, deshalb war auch das Erdbeben erfolgt, damit sie sich aufraffen und munter werden sollten. Sie waren ja gekommen, um die Leiche zu salben, und das geschah in der Nacht; daher waren vielleicht einige schlaftrunken. Weshalb und aus welchem Grunde sagt der Engel: V.5: "Ihr braucht euch nicht zu fürchten"? Er will ihnen erst ihre Furcht benehmen, ehe er die Auferstehung ankündigt. Der Ausdruck: "Ihr" ist ein Zeichen großer Ehrerbietung und läßt sogleich erkennen, dass die Missetäter eine strenge Strafe trifft, wofern sie ihre Frevel nicht bereuen. Ihr habt keinen Grund zur Furcht, sagt er, wohl aber jene, die den Herrn gekreuzigt haben. Als er nun ihre Furcht durch seine Worte, wie auch durch sein Aussehen beschwichtigt hatte[656] , da fuhr er fort: V.5: "Ich weiß, dass ihr Jesum suchet, den Gekreuzigten.," Der Engel nimmt keinen Anstand, den Kreuzestod zu erwähnen, denn er ist ja die Quelle des Heiles. "Er ist erstanden", und der Beweis?: "wie er gesprochen hat". Wollt ihr mir nicht glauben, sagt er, so erinnert euch an seine Worte und ihr werdet auch mir den Glauben nicht versagen. Sodann folgt ein anderer Beweis. V.6: "Kommet und sehet den Ort, wo er lag." Deshalb hatte er ja den Stein entfernt, um ihnen diesen Beweis zu geben. V.7: "Und saget seinen Jüngern: Ihr werdet ihn in Galiläa sehen." Er fordert sie auf, auch anderen die frohe Kunde zu melden, ein Umstand, der sie ganz besonders zum Glauben bewegen mußte. Passend sagt er: "In Galiläa". um sie aus Verlegenheiten und Gefahren zu ziehen, damit die Furcht nicht etwa ihren Glauben beinträchtige. V.8: "Und sie gingen aus dem Grabe unter Furcht und Freude." Wie so? Sie hatten etwas Schauererregendes und ungewöhnliches gesehen; das Grab war leer, wohin Jesus vor ihren Augen gelegt worden war. Deshalb hatte sie der Engel auch hineingeführt, dass sie mit eigenen Augen sich sowohl vom Grabe, als von der Auferstehung überzeugten. Sie begriffen ja auch, dass ihn niemand hätte fortschaffen können, da so viele Soldaten dort lagerten, er mußte selbst auferstanden sein. Daher erklärte sich ihre Freude und Verwunderung. Zugleich empfangen sie aber auch den Lohn für ihre Ausdauer, indem sie zuerst die Tatsache inne werden und verkünden dürfen, nicht nur, was sie gehört, sondern auch, was sie gesehen hatten.



3.

Als sie in Furcht und Freude das Grab verlassen hatten, V.9: "siehe, da begegnete ihnen Jesus und sagte: Seid gegrüßt. Sie aber umfaßten seine Füße" und mit überwallender Wonne eilen sie zu ihm und erhalten durch die Berührung den Beweis und die volle Gewißheit seiner Auferstehung. "Und sie beteten ihn an." Was sagte nun der Herr? V.10; "Fürchtet euch nicht." Also auch er benimmt ihnen die Furcht, um dem Glauben den Weg zu bahnen. "Aber gehet hin und saget meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa kommen, dort werden sie mich sehen." Siehe, wie er selbst durch die Frauen den Jüngern die frohe Kunde entbietet, um, wie ich des öfteren erklärt habe, das gar so verachtete Frauengeschlecht zu Ehren zu bringen, glückliche Hoffnungen in ihm zu wecken und seine Leiden zu heilen. Vielleicht wünschte mancher von euch, an ihrer Stelle gewesen zu sein und Jesu Füße umfaßt zu haben? Ihr habt alle die Möglichkeit, wenn ihr wollt, auch jetzt nicht allein seine Füße und Hände, sondern auch sein geheiligtes Haupt zu berühren, so oft ihr mit reinem Gewissen die hochheiligen Geheimnisse genießet. Und nicht nur hier, sondern auch an jenem Tage werdet ihr ihn schauen, wenn er mit unbeschreiblicher Herrlichkeit in Begleitung der Engelscharen kommt, wofern ihr nur Nächstenliebe üben wollt, und ihr werdet dann nicht nur die Worte hören:"Seid gegrüßt", sondern auch die anderen: "Kommet, Gesegnete meines Vaters, nehmet zum Erbe das Reich, das euch von Anbeginn der Welt bereitet ist" (Mt 25,34). Seid also mildtätig, damit ihr diese Worte vernehmen könnt. Und ihr, goldstrotzende Frauen, die ihr die Eile dieser Frauen gesehen habt, leget endlich einmal, wenn auch spät, die Gier nach Goldschmuck ab. Wollt ihr diesen Frauen nacheifern, so tauschet für den Schmuck, den ihr traget, die Mildtätigkeit ein. Was hast du auch, sage mir doch, von diesen Edelsteinen und goldgewirkten Kleidern? Die Seele, sagst du, hat Freude und Lust daran. Ich habe dich nach dem Vorteil gefragt, und du nennst mir den Nachteil! Es gibt ja nichts Schlimmeres, als sich mit dergleichen Dinge abzugeben, daran zu hängen und darin sein Vergnügen zu finden. Diese Knechtschaft wird nur um so drückender, wenn man sie auch noch mit Lust trägt. Wenn eine Frau Gefallen daran findet, von Gold zu strotzen, wie wird sie auch das Geistliche gehörig bedacht sein, wann wird sie das Weltliche nach Gebühr verachten? Wer gerne in einem Kerker weilt, wird kein Verlangen nach Befreiung hegen. So geht es auch der Seele, sie ist Sklavin dieser bösen Leidenschaft geworden, so dass sie nicht einmal mit der gehörigen Bereitwilligkeit und Ernsthaftigkeit etwas Geistliches hören mag, geschweige denn in Angriff nimmt. Sage mir also, was für einen Nutzen gewährt dir dieser Schmuck und Tand? Er ergötzt mich, erwiderst du. Damit redest du wieder von etwas, was nur Unheil und Verderben bedeutet. Aber, sagst du, die mich sehen, erweisen mir deswegen viel Ehre. Und was nützt dir das? Es ist doch nur eine neue Quelle des Unheiles, wenn du dich in Aufgeblasenheit und Einbildung überhebst. Wohlan, du konntest mir keinen Vorteil nennen, so gib acht, ich will dir die Nachteile aufzählen. Welches sind die Nachteile, die daraus entspringen? Die Sorge ist zunächst größer als das Vergnügen, denn viele, die den Schmuck sehen, besonders die Roheren, freuen sich mehr darüber als die Trägerin. Du machst dir Kummer, um dich zu putzen; sie weiden ihre Augen ohne Kummer daran. Ein weiterer Nachteil liegt darin, dass die Seele erniedrigt wird, und dass allseits Scheelsucht entsteht. Die anderen Frauen werden neidisch, treten gegen ihre eigenen Männer auf und entfachen Feindschaft gegen dich. Dazu kommt noch, dass eine solche alle Zeit und Sorge auf den Putz verwendet, sich nicht sonderlich um geistliche Werke kümmert, voll Hoffart, Torheit und Eitelkeit wird, an der Erde klebt, die Flügel hängen läßt, wie ein Hund und Schwein anstatt eines Adlers wird. Da du nämlich nicht mehr zum Himmel blickst und fliegst, so neigst du dich wie die Schweine zur Erde, wühlst in Gruben und Höhlen, und deine Seele wird weichlich und knechtisch. 

   Aber du ziehst, wenn du dich auf dem Markte zeigst, die Blicke auf dich? Gerade deshalb solltest du keinen Goldschmuck tragen, um nicht zum öffentlichen Schaustück zu werden und Anlaß zu vielen Nachreden zu geben. Keiner von denen, deren Blicke du auf dich lenkst, zollt dir Bewunderung; man verspottet dich vielmehr als ein putzsüchtiges, prahlerisches, fleischlich gesinntes Weib. Und wenn du die Kirche betrittst, so verlässest du sie, ohne etwas anderes mitzunehmen als Spott, Schmähung und Verwünschungen, nicht nur von seiten der Zuschauer, sondern auch von seiten des Propheten. Bei deinem Anblick wird sofort Isaias in seiner erhabenen Weise ausrufen: "Also spricht der Herr zu den hoffärtigen Töchtern Sions: weil sie mit erhobenem Halse und zwinkenden Augen einhergehen und beim Gehen die Gewänder nachschleppen und dabei mit den Füßen tänzeln, wird der Herr ihren Schmuck verhüllen und statt des Duftes wird Staub sein, statt des Gürtels wirst du einen Strick tragen" (Is 3,16 Is 3,17 Is 3,24). Das findet auf dich Anwendung, weil du dich so putzest. Denn diese Worte sind nicht bloß an jene Frauen gerichtet, sondern an jedes Weib, das es ihnen nachmacht. Auch Paulus schließt sich dem Tadel an, da er an Timotheus schreibt, er möge den Frauen auftragen:"sich nicht zu schmücken mit Haargeflechte oder mit Gold oder Perlen oder kostbarem Kleide" (1Tm 2,9).Ist schon der Goldschmuck immer verderblich, so namentlich, wenn du dich damit in die Kirche begibst, wenn du damit an den Armen vorübergehst. Wenn es dir darauf ankäme, dich bösen Zungen auszusetzen, so könntest du dich nicht anders kleiden als in eine solche Maske der Hartherzigkeit und Lieblosigkeit.



4.

Bedenke doch, an wieviel Hungrigen du mit dieser Tracht, an wieviel Unbekleideten du mit diesem teuflischen Prunkt vorübergehst. Wieviel besser wäre es, hungrige Seelen zu speisen, als die Ohrläppchen zu durch bohren und den Unterhalt ungezählter Armer aus Eitelkeit hineinzuhängen. Ist es denn ein Lob, reich zu sein? ist es ein Ruhm, Gold zu tragen? Hättest du dieses Geschmeide auf gerechte Weise erworben, so wäre dein Verhalten schon sehr tadelnswert; bedenke aber, wie himmelschreiend es ist, wenn Ungerechtigkeit dabei im Spiele war! Aber du strebst nach Lob und Ansehen? Dann lege diesen lächerlichen Tand ab, nur dann werden dich alle bewundern, dann wirst du in Ansehen stehen und eine reine Freude genießen, während du jetzt nur mit Spott überhäuft wirst und viel Anlaß zur Unzufriedenheit gibst. Beherzige wieviel Unheil entsteht, wenn ein Schmuckstück verloren geht: wie viele Mägde werden da gepeitscht wie viele Männer behelligt, wie viele von ihnen eingezogen, wie viele gefangen gehalten. Die Folge davon sind Gerichtstage, Prozesse, zahllose Flüche und Vorwürfe; der Mann verwünscht das Weib, die Freunde den Mann, die Seele sich selbst. 

   Aber das Geschmeide wird nicht verloren gehen. Das ist gar nicht so ausgemacht. Wenn es aber auch gut verwahrt wird, so bereitet es ebensoviel Kummer, Sorge, Ärger und bringt keinen Nutzen. Was wirft es der Familie ab? was nützt es der Trägerin? Es nützt ihr gar nichts, vielmehr verunstaltet es sie gewaltig und gereicht ihr zum schweren Vorwurfe. Wie wirst du Christi Füße küssen und umfassen können, wenn du so aufgeputzt bist? Solchen Schmuck verabscheut er. Darum wählte er die Hütte eines Zimmermannes zu seiner Geburtsstätte, ja nicht einmal diese Hütte, sondern eine Höhle und Krippe. Wie wirst du ihn schauen dürfen, wenn du einen Schmuck hast, den er nicht liebt, einen Putz trägst, den er nicht mag, sondern haßt? Wer ihm nahen will, darf keine solche Gewänder tragen, sondern muß sich mit Tugend schmücken. Überlege doch, was dieses Gold eigentlich ist. Nichts als Staub und Asche. Vermische Wasser damit und es wird Kot. Bedenke es und schäme dich, dass du Kot zu deinem Gebieter machst und alles andere hintansetzest, um ihm anzuhängen, ihn überall zu tragen und herumzuschleppen, auch wenn du in die Kirche gehst, wo du ihn besonders meiden sollstest. Dazu ist die Kirche nicht erbaut worden, dass du darin solchen irdischen, sondern dass du geistlichen Reichtum zur Schau tragest. Du aber putzest dich auf, als ginge es zu einem Aufzuge, machst es wie die Schauspielerinnen, und trägst mit solchem Aufwand diesen lächerlichen Unrat. Deshalb leiden auch viele darunter Schaden, und nach dem Gottesdienste kann man hören, wie sich in den Familien, bei Tische das Gespräch gewöhnlich um solche Sachen dreht. Anstatt zu besprechen, was der Prophet, was der Apostel gelehrt hat, plaudert man über die kostbaren Kleider, die großen Steine und über all die anderen Unschicklichkeiten, welche die Weiber getragen haben. Das macht dann auch eure Angehörigen lässig in der Mildtätigkeit. Es dürfte sich wohl nicht leicht jemand unter euch finden, der einen Goldschmuck zerbrechen wollte, um Arme zu speisen. Da du selbst lieber in beschränkten Verhältnissen leben, als solche Sachen zerschlagen möchtest, wie solltest du wohl einen anderen dafür speisen? Die meisten Frauen gehen ja damit um, wie mit etwas Lebendigem, ja nicht anders als mit Kindern. Beileibe nicht, sagt man. Nun gut, beweiset, dass es nicht so ist, beweiset es durch Taten; denn bis jetzt sehe ich nur das Gegenteil. Wo gibt es ein Weib, das an solchen Dingen hängt, die sich entschlossen hätte, sie einschmelzen zu lassen, um eines Kindes Seele zu retten? Eines Kindes, sage ich? Wo ist eine, die damit auch nur ihre eigene gefährdete Seele erkauft hätte? Im Gegenteil, die meisten verkaufen sie noch Tag für Tag darum. Ja, wenn sie in irgendeine Krankheit fallen, so tun sie alles mögliche; ihre Seele aber können sie zugrunde gehen sehen, ohne etwas dergleichen zu tun, vielmehr vernachlässigen sie die Seele der Kinder und ihre eigene, um nur diese Sachen behalten zu können, die doch mit der Zeit vergehen. Du trägst für viele Talente Gold an dir, und Christi Glieder haben nicht einmal die notwendige Nahrung. 

   Der Herr aller Menschen hat den Himmel und was im Himmel ist und den geistlichen Tisch allen Menschen gleicherweise zugänglich gemacht, und du gibst von diesen vergänglichen Dingen nichts weg, um ja unaufhörlich in den Fesseln dieser elenden Geschmeide zu liegen. Daher rührt das unermeßliche Unheil, davon kommen die Ehebrüche der Männer, weil ihr sie nicht zur Tugend anleitet, sondern zur Freude am dergleichen Dingen, mit denen die Buhlerinnen sich putzen. Daher lassen sich die Männer auch so schnell durch sie ködern. Hättest du deinen Mann gelehrt, solche Sachen zu verachten, dafür an Frömmigkeit, Enthaltsamkeit und Demut seine Freude zu haben, so würde er nicht so schnell den Lockungen der Unzucht zum Opfer fallen. Eine Dirne kann sich wohl mit jenen Dingen schmücken und mit viel mehr noch, nicht aber mit diesen Tugenden. Gewöhne also deinen Mann, Freude zu haben an diesem[657] Schmuck, den er bei der Buhlerin nicht finden kann. Wie sollst du ihm das angewöhnen? Wenn du selbst den goldenen Schmuck ablegst und den Tugend schmuck anziehst. So wird dein Mann außer Gefahr sein und du in Ehren leben, Gott wird euch gnädig sein, alle Menschen werden euch bewundern und ihr werdet den ewigen Lohn empfangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, der die Ehre und Macht besitzt in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 88