Benedikt XVI Predigten 58

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BENEDIKT XVI.:

Zwei große Fragen! Die erste lautet: Wie kann man den Menschen von heute die Schönheit der Ehe vermitteln? Wir sehen, daß viele junge Menschen heute zögern, in der Kirche zu heiraten, weil sie Angst vor der Endgültigkeit haben; ja, sie zögern auch, standesamtlich zu heiraten. Die Endgültigkeit scheint heute vielen jungen und auch nicht mehr ganz jungen Menschen eine Bindung gegen die Freiheit zu sein. Und ihr größter Wunsch ist die Freiheit. Sie haben Angst, daß sie es am Ende nicht schaffen. Sie sehen so viele gescheiterte Ehen. Sie haben Angst, daß diese Rechtsform, als die sie die Ehe empfinden, eine äußere Last darstellt, die die Liebe auslöscht.

Man muß ihnen verständlich machen, daß es sich nicht um eine rechtliche Bindung handelt, um eine Last, die durch die Ehe entsteht. Im Gegenteil, die Tiefe und Schönheit der Ehe liegen eben in ihrer Endgültigkeit. Nur so kann sie die Liebe in ihrer ganzen Schönheit zum Reifen bringen. Aber wie kann man das vermitteln? Das scheint mir ein Problem zu sein, das uns allen gemeinsam ist.

In Valencia war für mich – und Sie Eminenz, werden das bestätigen können – nicht nur der Augenblick wichtig, in dem ich über dieses Thema sprach, sondern auch der, in dem einige Familien mit mehr oder weniger Kindern vor mich hintraten; eine Familie war fast eine »Pfarrgemeinde «, mit so vielen Kindern! Die Anwesenheit, das Zeugnis dieser Familien war wirklich viel stärker als alle Worte. Sie haben vor allem den Reichtum ihrer Erfahrung als Familie vor uns ausgebreitet: wie eine so große Familie tatsächlich zu einem kulturellen Reichtum wird, zu einer Gelegenheit für die Erziehung der einen und der anderen, zu einer Möglichkeit, die verschiedenen Ausdrucksformen der heutigen Kultur zusammenleben zu lassen, die gegenseitige Hingabe, die gegenseitige Hilfe auch im Leid und so weiter … Aber wichtig war dabei auch das Zeugnis der Krisen, die sie durchgemacht haben. Bei einem dieser Paare wäre es beinahe zur Scheidung gekommen. Sie haben erzählt, wie sie dann gelernt haben, diese Krise, dieses Leiden am Anderssein des Partners zu bewältigen, einander wieder anzunehmen. Gerade bei der Überwindung des Augenblicks der Krise, des Gedankens an Trennung ist eine neue Dimension der Liebe entstanden, und es hat sich eine Tür zu einer neuen Dimension des Lebens aufgetan, die sich nur im Ertragen des durch die Krise verursachten Leids auftun konnte.

Das scheint mir sehr wichtig zu sein. Heute gerät man in dem Augenblick in eine Krise, in dem der Unterschied der Temperamente zutage tritt, die Schwierigkeit, einander Tag für Tag zu ertragen, das ganze Leben lang. Am Ende wird dann beschlossen: Wir trennen uns. Eben diese Zeugnisse haben uns zu verstehen gegeben, daß in der Krise, im Ertragen des Augenblicks, in dem man scheinbar nicht mehr kann, sich in Wirklichkeit neue Türen auftun und die Schönheit der Liebe neu zum Vorschein kommt. Eine Schönheit, die ausschließlich aus Harmonie besteht, ist keine wahre Schönheit. Es fehlt ihr etwas, sie ist mangelhaft. Die wahre Schönheit braucht auch Kontraste. Dunkel und Licht ergänzen sich. Auch die Traube braucht zum Reifen nicht nur Sonne, sondern auch Regen, nicht nur den Tag, sondern auch die Nacht.

Wir Priester, sowohl die jungen als auch die bereits älteren, müssen selbst lernen, daß das Leid, die Krise notwendig sind. Wir müssen dieses Leid ertragen, über das Leid hinausgehen. Nur so wird das Leben reich. Die Tatsache, daß der Herr auf ewig die Wundmale trägt, hat für mich symbolische Bedeutung. Ausdruck der Grausamkeit des Leidens und des Todes, sind sie jetzt Siegel des Sieges Christi, der ganzen Schönheit seines Sieges und seiner Liebe zu uns. Sowohl als Priester als auch als Eheleute müssen wir die Notwendigkeit akzeptieren, die Krise des Andersseins des anderen, die Krise, in der ein Zusammenbleiben nicht mehr möglich erscheint, zu ertragen. Die Eheleute müssen gemeinsam lernen voranzugehen, auch aus Liebe zu den Kindern, und sich so neu kennenzulernen, einander wieder zu lieben – mit einer viel tieferen, viel wahrhaftigeren Liebe. So reift auf einem langen Weg mit seinen Leiden die Liebe wirklich.

Mir scheint, daß wir Priester auch von den Eheleuten lernen können, gerade von ihren Leiden und Opfern. Wir denken oft, nur der Zölibat sei ein Opfer. Aber wenn wir die Opfer der verheirateten Menschen kennen – denken wir an ihre Kinder, an die entstehenden Probleme, an die Ängste, die Leiden, die Krankheiten, an die Auflehnung gegen die Eltern und auch an die Probleme der ersten Lebensjahre, in denen es überwiegend schlaflose Nächte gibt, weil die kleinen Kinder weinen –, müssen wir es von ihnen, von ihren Opfern lernen, unser Opfer zu bringen. Und miteinander müssen wir lernen, daß es schön ist, durch die Opfer zu reifen und so für das Heil der anderen zu arbeiten. Pfarrer Pennazza, Sie haben zu Recht das Konzil zitiert, das sagt, daß die Ehe ein Sakrament für das Heil der anderen ist: vor allem für das Heil des anderen, des Ehemannes, der Ehefrau, aber auch der Kinder und schließlich der ganzen Gemeinschaft. Und so reift auch der Priester in der Begegnung.

Ich denke also, daß wir die Familien einbeziehen müssen. Sehr wichtig sind, wie mir scheint, die Familienfeste. Bei festlichen Anlässen soll die Familie, die Schönheit der Familien sichtbar werden. Auch persönliche Zeugnisse können – mögen sie vielleicht auch etwas zu sehr in Mode gekommen sein – bei bestimmten Gelegenheiten wirklich eine Botschaft, eine Hilfe für alle sein.

Abschließend möchte ich sagen: Für mich ist es sehr wichtig, daß im Brief des hl. Paulus an die Epheser durch die Menschwerdung des Herrn die Hochzeit Gottes mit der Menschheit am Kreuz vollzogen wird, an dem die neue Menschheit, die Kirche, geboren wird. Die christliche Ehe entspringt eben dieser göttlichen Hochzeit, und sie ist, wie der hl. Paulus sagt, die sakramentale Umsetzung dessen, was in diesem großen Geheimnis geschieht. So müssen wir immer wieder diese Verbindung zwischen dem Kreuz und der Auferstehung, zwischen dem Kreuz und der Schönheit der Erlösung lernen und uns in dieses Sakrament eingliedern. Bitten wir den Herrn, daß er uns helfen möge, dieses Geheimnis gut zu verkünden, dieses Geheimnis zu leben, von den Eheleuten zu lernen, wie sie es leben, und bitten wir ihn, uns zu helfen, das Kreuz zu leben, um auch zu Augenblicken der Freude und der Auferstehung zu gelangen.

Die Jugendlichen

D. Gualtiero Isacchi, Leiter des Diözesandienstes für die Jugendpastoral:

Die Jugendlichen stehen im Mittelpunkt einer gezielten Aufmerksamkeit von seiten unserer Diözese und der ganzen Kirche in Italien. Die Weltjugendtage haben es gezeigt: Es sind viele, und sie sind begeistert. Doch unsere Pfarreien sind im allgemeinen nicht angemessen ausgestattet, um sie aufzunehmen; die Pfarrgemeinden und die pastoralen Mitarbeiter sind nicht hinreichend vorbereitet, um Gespräche mit ihnen zu führen; die Priester, die ihren verschiedenen Aufgaben nachgehen, haben nicht die nötige Zeit, um ihnen zuzuhören. Man erinnert sich an die Jugendlichen, wenn sie zum Problem werden oder wenn wir sie für die musikalische Gestaltung einer Eucharistiefeier oder eines Festes brauchen … Wie kann ein Priester heute sein vorrangiges Interesse an der Jugendarbeit trotz eines überfüllten Terminkalenders zum Ausdruck bringen? Wie können wir den jungen Menschen dienen, indem wir von ihren Werten ausgehen, anstatt uns ihrer für ›unsere Zwecke‹ zu bedienen?

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BENEDIKT XVI.:

Ich möchte zunächst unterstreichen, was Sie gesagt haben. Anläßlich der Weltjugendtage und auch bei anderen Gelegenheiten – wie vor kurzem bei der Pfingstvigil – wird deutlich sichtbar, daß es unter der Jugend eine Sehnsucht gibt, eine Suche auch nach Gott. Die jungen Menschen wollen sehen, ob es Gott gibt und was Gott uns sagt. Es ist also trotz aller Schwierigkeiten der heutigen Zeit eine gewisse Bereitschaft vorhanden. Es ist auch Begeisterung vorhanden. Wir müssen daher alles nur Mögliche tun, um diese Flamme, die sich bei Anlässen wie den Weltjugendtagen zeigt, am Leben zu erhalten.

Wie soll das geschehen? Das ist unsere gemeinsame Frage. Ich denke, gerade hier sollte eine »integrierte Seelsorge« verwirklicht werden, weil ja nicht jeder Pfarrer die Möglichkeit hat, sich genügend um die Jugend zu kümmern. Er braucht also eine Pastoral, die über die Grenzen der Pfarrei und auch über die Grenzen der Arbeit des Priesters hinausgeht. Eine Pastoral, die auch viele Mitarbeiter einschließt. Mir scheint, daß man unter der Koordination des Bischofs einerseits einen Weg finden muß, um die Jugendlichen in die Pfarrei zu integrieren, damit sie zum Sauerteig des Gemeindelebens werden; und andererseits muß man für diese Jugendlichen auch Hilfe von Mitarbeitern von außerhalb der Pfarrgemeinde finden. Die beiden Dinge gehören zusammen. Man sollte den Jugendlichen unbedingt nahelegen, daß sie sich nicht nur in der Pfarrei, sondern in verschiedenen Bereichen in das Leben der Diözese einbringen sollen, um dann auch in der Pfarrgemeinde ihren Platz zu finden. Alle Initiativen, die in diese Richtung gehen, gilt es daher zu fördern.

Von großer Bedeutung, so meine ich, ist jetzt die Erfahrung des freiwilligen Dienstes. Es ist wichtig, daß man die Jugendlichen nicht den Diskotheken überläßt, sondern ihnen Aufgaben gibt, anhand derer sie sehen, daß sie gebraucht werden und merken, daß sie etwas Gutes tun können. Die jungen Menschen spüren den Antrieb, etwas Gutes für die Menschheit, für einen Menschen oder für eine Gruppe von Menschen zu tun, haben den Drang, sich zu engagieren, und finden auch die positive »Bahn« des Einsatzes, der christlichen Ethik. Sehr wichtig erscheint mir, daß die Jugendlichen wirklich Aufgaben haben, die ihnen zeigen, daß sie gebraucht werden, die sie auf den Weg eines positiven Dienstes der Hilfeleistung führen, die sich an der Liebe Christi zu den Menschen orientiert, so daß sie selbst nach den Quellen suchen, aus denen sie schöpfen können, um die Kraft zu finden, sich zu engagieren.

Eine weitere Erfahrung sind die Gebetsgruppen, wo die jungen Menschen lernen, das Wort Gottes zu hören, das Wort Gottes innerhalb ihres eigenen jugendlichen Lebensbereiches kennenzulernen und mit Gott in Kontakt zu kommen. Das heißt auch, die gemeinschaftliche Form des Gebetes, die Liturgie, kennenzulernen, die ihnen im ersten Augenblick ziemlich unzugänglich erscheinen mag. Sie lernen, daß das Wort Gottes da ist und uns entgegenkommt, trotz aller zeitlicher Distanz, und daß es heute zu uns spricht. Wir bringen die Frucht der Erde und unserer Arbeit dem Herrn dar und finden sie in Gabe Gottes verwandelt. Wir reden als Kinder mit dem Vater und empfangen dann ihn selbst als Geschenk. Wir erhalten den Auftrag, in die Welt zu gehen mit dem Geschenk seiner Gegenwart.

Nützlich wären auch Liturgiekurse, die die Jugendlichen besuchen können. Auf der anderen Seite muß es auch Gelegenheiten geben, bei denen sich die Jugend sehen lassen und sich bekannt machen kann. Wie ich gehört habe, hat es hier in Albano eine Aufführung über das Leben des hl. Franziskus gegeben. Sich auf diese Weise zu engagieren bedeutet, in die Persönlichkeit des hl. Franziskus und in seine Zeit einzutreten und so die eigene Persönlichkeit zu entfalten. Das ist nur ein Beispiel, eine anscheinend ziemlich einmalige Sache. Sie kann dazu erziehen, die Persönlichkeit zu entfalten, in einen Bereich christlicher Überlieferung vorzudringen und wieder das Verlangen zu wecken, besser zu verstehen, aus welcher Quelle dieser Heilige geschöpft hat. Er war ja nicht nur ein Umweltschützer oder ein Pazifist. Er war vor allem ein bekehrter Mensch. Mit großer Freude habe ich gelesen, daß Bischof Sorrentino von Assisi, eben um diesen »Mißbrauch« der Gestalt des hl. Franziskus zu beseitigen, anläßlich der 800-Jahrfeier seiner Bekehrung ein »Jahr der Bekehrung« ausrufen will, damit man sehen kann, worin wirklich die »Herausforderung« besteht. Vielleicht können wir alle der Jugend Anregungen geben, um ihr verständlich machen, was Bekehrung tatsächlich ist, indem wir auch an die Gestalt des hl. Franziskus anknüpfen, um nach einem Weg zu suchen, der dem Leben größere Weite verleiht. Franziskus war zunächst beinahe eine Art »Playboy«. Dann spürte er, daß das nicht genug war. Er vernahm die Stimme des Herrn: »Baue mein Haus wieder auf!« Nach und nach verstand er, was »das Haus des Herrn aufbauen« bedeutete.

Ich habe also keine sehr konkreten Antworten, weil ich einer Sendung gegenüberstehe, bei der ich die Jugendlichen, Gott sei Dank, schon versammelt finde. Aber mir scheint, daß man sämtliche Möglichkeiten nutzen sollte, die sich heute in den Bewegungen, in den Vereinigungen, im freiwilligen Dienst und in anderen Aktivitäten der Jugendlichen bieten. Man muß die Jugend auch der Pfarrgemeinde bekannt machen, damit diese sieht, wer die jungen Menschen sind. Eine Berufungspastoral ist notwendig. Das alles muß vom Bischof koordiniert werden. Wie mir scheint, lassen sich gerade durch die echte Mitarbeit der Jugendlichen, die ausgebildet werden, pastorale Mitarbeiter finden. Und so kann man den Weg zur Bekehrung öffnen, zur Freude darüber, daß es Gott gibt und daß er sich um uns kümmert, daß wir Zugang zu Gott haben und anderen dabei helfen können, »sein Haus wieder aufzubauen «. Das scheint mir letztendlich unser Auftrag zu sein, der mitunter schwierig, aber doch auch sehr schön ist: in der heutigen Welt »das Haus Gottes aufzubauen«. Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und bitte um Verzeihung für die Bruchstückhaftigkeit meiner Antworten. Wir wollen zusammenarbeiten, damit das »Haus Gottes« in unserer Zeit wächst und viele junge Menschen den Weg zum Dienst am Herrn finden.



September 2006


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PILGERREISE ZUM HEILIGTUM DES "HEILIGEN ANTLITZES" VON MANOPPELLO

Freitag, 1. September 2006





Grußworte des Heiligen Vaters an die vor dem Heiligtum versammelten Gläubigen

Liebe Brüder und Schwestern!

Danke für diesen herzlichen Empfang. Ich sehe, daß die Kirche eine große Familie ist. Wo der Papst ist, versammelt sich die Familie in großer Freude. Für mich ist das ein Zeichen des lebendigen Glaubens und der Freude, die uns der Glaube schenkt, ein Zeichen der Gemeinschaft und des Friedens, die der Glaube schafft. Und ich bin euch sehr dankbar für diesen Empfang. So sehe ich die ganze Schönheit dieser Region Italiens hier auf euren Gesichtern.

Ich grüße insbesondere die Kranken. Wir wissen, daß der Herr euch besonders nahe ist, daß er euch hilft und euch in euren Leiden begleitet. Ihr seid in unser Gebet eingeschlossen. Und betet auch ihr für uns.

Einen besonderen Gruß richte ich an die Jugendlichen und an die Erstkommunionkinder. Danke für eure Begeisterung, für euren Glauben. Wir alle »suchen das Antlitz des Herrn«, wie es in den Psalmen heißt. Und das ist auch der Sinn meines Besuchs. Gemeinsam versuchen wir, das Antlitz des Herrn immer besser kennenzulernen, und aus dem Antlitz des Herrn schöpfen wir jene Kraft der Liebe und des Friedens, die uns auch unseren Lebensweg zeigt.

Danke und alles Gute für euch alle!
***


Exzellenz,
verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!

Vor allem muß ich noch einmal aus tiefstem Herzen Dank sagen für den Empfang, für Ihre so tiefgehenden und freundlichen Worte, Exzellenz, für den Ausdruck Ihrer und eurer Freundschaft und für die Geschenke, die eine große Bedeutung haben: das Antlitz Christi, das hier verehrt wird, für mich, für mein Zuhause, und dann die Gaben aus eurer Region, die die Schönheit und Liebenswürdigkeit dieser Region und der Menschen, die hier leben und arbeiten, sowie die Schönheit und Güte des Schöpfers zum Ausdruck bringen. Ich möchte einfach dem Herrn danken für die heutige schlichte und familiäre Begegnung an einem Ort, an dem wir über das Geheimnis der göttlichen Liebe nachdenken können, indem wir die Ikone des »Heiligen Antlitzes« betrachten. Allen Anwesenden gilt mein tiefempfundener Dank für den herzlichen Empfang und für den Einsatz und die Diskretion, mit denen ihr meine private Wallfahrt – die jedoch als kirchliche Wallfahrt nicht ganz privat sein kann – unterstützt habt. Wie ich bereits sagte, grüße ich insbesondere euren Erzbischof und danke ihm. Ich bin seit vielen Jahren mit ihm befreundet; wir haben zusammen in der Theologenkommission gearbeitet. Und in vielen Gesprächen habe ich stets aus seinen großen Kenntnissen gelernt, ebenso wie aus seinen Büchern. Danke für die Geschenke, die ihr mir überreicht habt und die ich gerade in ihrer Eigenschaft als »Zeichen«, wie Erzbischof Forte sie nannte, sehr schätze. Sie sind in der Tat Zeichen der echten und zuneigungsvollen Gemeinschaft, die das Volk dieser geliebten Region, der Abruzzen, an den Nachfolger Petri bindet. Einen besonderen Gruß richte ich an euch, die hier versammelten Priester, Ordensleute und Seminaristen. Ich freue mich besonders, eine große Anzahl von Seminaristen und damit die Zukunft der Kirche unter uns gegenwärtig zu sehen. Da es mir nicht möglich ist, der gesamten Diözesangemeinschaft zu begegnen – vielleicht kann das ein anderes Mal geschehen –, freue ich mich, daß ihr sie hier vertretet, ihr, die ihr euch bereits dem priesterlichen Dienst oder dem geweihten Leben widmet oder euch auf das Priestertum vorbereitet. Ihr seid Personen, die ich gerne als Menschen betrachte, die in Christus verliebt sind und von ihm angezogen werden, als Menschen, die sich bemühen, das eigene Leben zu einer beständigen Suche nach seinem heiligen Antlitz zu machen. Einen dankbaren Gruß richte ich schließlich an die Gemeinschaft der Kapuzinerpatres, die uns empfängt und die seit Jahrhunderten Sorge trägt für dieses Heiligtum, das Ziel vieler Pilger ist.

Als ich vorhin im Gebet verweilte, habe ich an die beiden ersten Apostel gedacht, die – ermutigt durch Johannes den Täufer – Jesus am Jordan nachfolgten, wie wir am Anfang des Johannesevangeliums lesen (vgl. Joh 1,35–37). Der Evangelist berichtet, daß Jesus sich umwandte und sie fragte: »Was wollt ihr?« Sie antworteten: »Rabbi, wo wohnst du?« Er sagte: »Kommt und seht!« (vgl. Joh 1,38–39). Am selben Tag machten die beiden, die ihm nachfolgten, eine unvergeßliche Erfahrung, die sie sagen ließ: »Wir haben den Messias gefunden« (Jn 1,41). Derjenige, den sie wenige Stunden zuvor nur als einfachen »Rabbi« angesehen hatten, hatte eine eindeutige Identität angenommen, die des seit Jahrhunderten erwarteten Christus. Aber welch lange Wegstrecke hatten jene Jünger in Wirklichkeit noch vor sich! Sie konnten nicht einmal erahnen, wie tief das Geheimnis des Jesus von Nazaret war, wie sehr sein »Antlitz« sich als unerforschlich, unergründlich erweisen sollte, so sehr, daß einer von ihnen, Philippus, nachdem er drei Jahre lang sein Leben zusammen mit Jesus verbracht hat, beim Letzten Abendmahl hören muß: »Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus?« Und dann folgen jene Worte, die die ganze Neuheit der Offenbarung Jesu ausdrücken:

»Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen« (Jn 14,9). Erst nach seinem Leiden, wenn sie ihm als dem Auferstandenen begegnen werden, wenn der Heilige Geist ihren Verstand und ihr Herz erleuchten wird, dann werden die Apostel die Bedeutung der Worte Jesu verstehen und werden ihn als Sohn Gottes erkennen, als den verheißenen Messias für die Erlösung der Welt. Dann werden sie seine unermüdliche Boten werden, mutige Zeugen bis zum Martyrium. »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen«. Ja, liebe Brüder und Schwestern, um »Gott zu sehen«, muß man Christus kennen und sich von seinem Geist formen lassen, der die Gläubigen »in die ganze Wahrheit« führt (vgl. Joh Jn 16,13). Wer Jesus begegnet, wer sich von ihm anziehen läßt und bereit ist, ihm bis zum Opfer des eigenen Lebens nachzufolgen, der erfährt persönlich – wie Er selbst es am Kreuz erfahren hat –, daß nur »das Weizenkorn«, das in die Erde fällt und stirbt »reiche Frucht« bringt (vgl. Joh Jn 12,24). Das ist der Weg Christi, der Weg der vollkommenen Liebe, die den Tod besiegt: Wer ihn geht und »sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben« (Jn 12,25). Das heißt, er lebt bereits auf dieser Erde in Gott, vom Glanz seines Antlitzes angezogen und verwandelt. Dies ist die Erfahrung der wahren Freunde Gottes, der Heiligen, die in den Brüdern, besonders in den ärmsten und bedürftigsten, das Antlitz jenes Gottes erkannten und liebten, den sie im Gebet lange Zeit liebevoll betrachtet haben. Sie sind für uns ermutigende Vorbilder, die wir nachahmen sollen; sie versichern uns, daß auch wir, wenn wir in Treue diesen Weg – den Weg der Liebe – gehen, uns satt sehen werden an Gottes Gestalt, wie der Psalmist sagt (vgl. Ps Ps 17,15).

»Jesu … quam bonus te quaerentibus! – Wie köstlich bist du, Jesus, für den, der dich sucht!«: So haben wir eben im alten Hymnus »Jesu, dulcis memoria« gesungen, der von einigen dem hl. Bernhard zugeschrieben wird. Es ist ein Hymnus, der in diesem dem »Heiligen Antlitz« geweihten Heiligtum besondere Ausdruckskraft erhält und den 24. Psalm ins Gedächtnis ruft: »Das sind die Menschen, die nach ihm fragen, die dein Antlitz suchen, Gott Jakobs« (V. 6). Aber wer sind »die Menschen«, die das Antlitz Gottes suchen, welche Menschen sind würdig, »hinaufzuziehn zum Berg des Herrn«, zu »stehn an seiner heiligen Stätte«? Der Psalmist erläutert: Es sind die, die »reine Hände« haben »und ein lauteres Herz«, die nicht betrügen und keinen Meineid schwören (vgl. V. 3–4). Um also in Gemeinschaft zu treten mit Christus und sein Antlitz zu betrachten, um das Antlitz des Herrn zu erkennen in dem der Brüder und in den alltäglichen Begebenheiten, sind »reine Hände und ein lauteres Herz« vonnöten. Reine Hände, das heißt ein Leben, das erleuchtet ist von der Wahrheit der Liebe, die Gleichgültigkeit, Zweifel, Lüge und Eigensucht besiegt; und darüber hinaus ist ein lauteres Herz notwendig, ein Herz, das ergriffen ist von der göttlichen Schönheit, wie die kleine Theresia von Lisieux in ihrem Gebet an das Heilige Antlitz sagt, ein Herz, dem das Antlitz Christi eingeprägt ist.

Liebe Priester, wenn in euch, den Hirten der Herde Christi, die Heiligkeit seines Antlitzes eingeprägt bleibt, dann habt keine Angst: Auch die Gläubigen, die eurer Sorge anvertraut sind, werden davon angesteckt und verwandelt werden. Und ihr, liebe Seminaristen, die ihr euch darauf vorbereitet, verantwortungsvolle Leiter des christlichen Volkes zu sein, laßt euch von nichts anderem anziehen als von Jesus und von dem Wunsch, seiner Kirche zu dienen. Dasselbe möchte ich euch, liebe Ordensleute, sagen, auf daß jede eurer Tätigkeiten ein sichtbarer Widerschein der göttlichen Güte und des göttlichen Erbarmens sei. »Dein Antlitz, o Herr, will ich suchen«: Das Antlitz des Herrn zu suchen muß unser aller Wunsch, der Wunsch aller Christen sein; wir nämlich sind »die Menschen«, die in dieser Zeit sein Antlitz suchen, das Antlitz des »Gottes Jakobs«. Wenn wir beharrlich sind in der Suche nach dem Antlitz des Herrn, dann wird am Ende unserer irdischen Pilgerreise Jesus unsere ewige Freude, unsere immerwährende Belohnung und Herrlichkeit sein: »Sis Jesu nostrum gaudium, / qui es futurus praemium: / sit nostra in te gloria, / per cuncta semper saecula«.

Diese Gewißheit hat die Heiligen eurer Region beseelt, von denen ich besonders Gabriel von der schmerzensreichen Jungfrau und Camillus von Lellis erwähnen möchte; ihnen gilt unser ehrfürchtiges Gedenken und unser Gebet. Aber mit besonderer Verehrung denken wir jetzt an die »Königin aller Heiligen«, die Jungfrau Maria, die ihr in verschiedenen Heiligtümern und Kapellen überall in den Tälern und auf den Bergen der Abruzzen verehrt. Die Gottesmutter, auf deren Antlitz mehr als in jedem anderen Geschöpf die Züge des menschgewordenen Wortes erkennbar sind, möge über die Familien und über die Pfarreien, über die Städte und die Nationen der ganzen Welt wachen. Die Mutter des Schöpfers helfe uns, auch die Natur zu achten, ein großes Geschenk Gottes, das wir hier bestaunen können, wenn wir die wunderbaren Berge betrachten, die uns umgeben. Dieses Geschenk ist jedoch immer ernsthafter den Gefahren der Umweltzerstörung ausgesetzt und muß daher verteidigt und geschützt werden. Es handelt sich um ein dringendes Anliegen, die, wie Erzbischof Forte sagte, durch den »Tag der Reflexion und des Gebets zur Bewahrung der Schöpfung«, den die Kirche in Italien heute begeht, auf angemessene Weise hervorgehoben wird.

Liebe Brüder und Schwestern, während ich euch noch einmal für eure Anwesenheit und für eure Geschenke danke, rufe ich auf euch alle und auf eure Angehörigen den Segen Gottes herab mit der uralten biblischen Segensformel: »Der Herr segne euch und behüte euch; der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten und sei euch gnädig; er wende euch sein Antlitz zu und schenke euch seinen Frieden« (vgl. Num 6,24–26). Amen!

AN HERRN PEDRO PABLO CABRERA GAETE,

NEUER BOTSCHAFTER CHILES BEIM HL. STUHL Castelgandolfo

Freitag, 8. September 2006




Herr Botschafter!

1. Ich freue mich, Sie zu dieser Audienz zu empfangen, in der Sie mir das Beglaubigungsschreiben überreichen, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Chile beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden. Ich heiße Sie willkommen, während Sie die hohe Verantwortung übernehmen, die Ihre Regierung Ihnen übertragen hat, und spreche Ihnen die besten Wünsche dazu aus, daß Ihre Mission fruchtbar sein möge, um die guten diplomatischen Beziehungen, die zwischen Ihrem Land und dem Apostolischen Stuhl bestehen, fortzusetzen und zu stärken.

Ich danke Ihnen für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben, sowie für den ehrerbietigen Gruß, den die Präsidentin der Republik, Frau Michelle Bachelet, mir durch Eure Exzellenz übermitteln ließ, als Ausdruck der geistigen Nähe des chilenischen Volkes zum Nachfolger Petri, die sich im Zusammenwirken mit der kontinuierlichen Arbeit der Kirche durch ihre Mitglieder und Einrichtungen im Laufe der Geschichte herausgebildet hat.

2. Chile nähert sich seinem 200jährigen Bestehen als Republik mit Hoffnungen, die in einer besonders wichtigen Periode entstehen, in der beachtliche Entwicklungsziele erreicht worden sind, die Institutionen sich gefestigt haben und das Klima eines friedlichen Zusammenlebens herrscht. Die positive wirtschaftliche Entwicklung hat auch Fortschritte in Bereichen wie Erziehung oder Gesundheitswesen sowie bei sozialen Initiativen begünstigt, die unternommen worden sind mit dem Ziel, daß alle Bürger in Übereinstimmung mit ihrer Würde leben können.

Diese Faktoren sind – zusammen mit der Öffnung von Perspektiven, die weit über die eigenen Grenzen hinausreichen – sicher Grund zur Zufriedenheit und auch ein neuer Appell an das Verantwortungsbewußtsein, um die höchsten Ideale aufrechtzuerhalten, die am Ursprung jedes echten Fortschritts stehen und ihn dauerhaft ermöglichen. Wie Eure Exzellenz in Ihrer Ansprache erwähnt haben, ist die stete Förderung der Werte, an denen sich die technischen Errungenschaften orientieren müssen, eine Dimension, in der sowohl die nationale als auch die internationale Gemeinschaft wachsen muß, um dem Gemeinwohl zu dienen.

3. In dieser Hinsicht erfüllt die Kirche ihre Sendung, indem sie das Evangelium Christi verkündet, sein Licht auf die Wirklichkeit der Welt und des Menschen richtet und damit dessen höchste Würde aufzeigt. »Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht, enthüllt den göttlichen Ratschluß hinsichtlich der integralen Berufung des Menschen und orientiert daher den Geist auf wirklich humane Lösungen hin« (Gaudium et spes GS 11). In diesem Sinne teilt sie den Wunsch nach einer Gerechtigkeit, die nicht geschmälert wird durch die mangelnde Achtung der Menschenwürde und der aus ihr abgeleiteten unveräußerlichen Rechte.

Diese Rechte sind eben deshalb unveräußerlich, weil der Mensch sie aufgrund der ihm eigenen Natur besitzt und sie daher nicht im Dienst anderer Interessen stehen. Zu erwähnen ist unter diesen Rechten vor allem das Recht auf Leben in allen Phasen seiner Entwicklung und in jeder Situation, in der es sich befindet. Ebenso auch das Recht auf die Gründung einer Familie, gegründet auf den Banden der Liebe und Treue, die in der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau geknüpft werden, und die Schutz und Unterstützung erhalten muß, um ihren unvergleichlichen Auftrag zu erfüllen, nämlich Quelle des Zusammenlebens und Keimzelle der ganzen Gesellschaft zu sein. Als natürliche Institution steht ihr zudem das vorrangige Recht zu, die Kinder gemäß den Idealen zu erziehen, mit denen die Eltern sie beschenken wollen, nachdem sie sie voll Freude in ihr Leben aufgenommen haben.

4. Eure Exzellenz wissen sehr wohl, daß Ihre geliebte chilenische Heimat reiche historische und spirituelle Ressourcen besitzt, um sich der Zukunft zu stellen mit der begründeten Hoffnung, neue Ziele der Menschlichkeit zu erreichen und auf diese Weise im Konzert der Nationen beizutragen zur Förderung der Zusammenarbeit und des friedlichen Zusammenlebens. Das wird deutlich durch seine Heiligen, die überall großen Ruhm erlangt haben, wie Teresa de los Andes oder Pater Alberto Hurtado. Die vielen natürlichen Gaben, die der Schöpfer den Söhnen und Töchtern Chiles gewährt hat, müssen weiterhin Früchte tragen, damit den jungen Generationen eine glücklichere Zukunft eröffnet wird und sie den Frieden lieben und an einem transzendenten Sinn des Lebens festhalten, wie er den jahrhundertealten christlichen Wurzeln des Landes entspricht.

Zum Abschluß dieser Begegnung heiße ich Sie noch einmal willkommen. Ich wünsche Ihnen einen glücklichen Aufenthalt in Rom, der reich sein möge nicht nur an beruflichen, sondern auch an persönlichen Erfahrungen. Es ist eine Stadt, die selbst viele Möglichkeiten bietet und zugleich in gewisser Weise eine privilegierte Warte ist, von der aus man die Wechselfälle der Welt verstehen kann.

Mit diesen Empfindungen erbitte ich den mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria, die mit dem Titel »Unsere Liebe Frau vom Berge Karmel« Schutzpatronin der Chilenen ist, und erteile Ihnen, Ihrer verehrten Familie und allen, die Ihnen nahestehen, sowie Ihren Mitarbeitern an der Botschaft von Herzen den Apostolischen Segen.



AN DIE BISCHÖFE AUS ONTARIO (KANADA)

ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES Konsistoriensaal im Päpstlichen Palast von Castelgandolfo

Freitag, 8. September 2006




Eminenz,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm« (1Jn 4,16). Ich heiße euch, die Bischöfe von Ontario, mit brüderlicher Zuneigung willkommen, und ich danke Bischof Smith für die freundlichen Worte, mit denen er eure gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat. Ich erwidere sie von Herzen und versichere euch und alle, die eurer Hirtensorge anvertraut sind, meines Gebetes und meiner Fürsorge. Euer Besuch »ad limina Apostolorum« und des Nachfolgers Petri ist eine Gelegenheit, eure Verpflichtung zu bekräftigen, Christus in der Kirche und in der Gesellschaft durch das freudige Zeugnis für das Evangelium, das Jesus Christus selbst ist, immer sichtbarer zu machen.

Die vielen Ermahnungen des Evangelisten Johannes, in der Liebe und in der Wahrheit Christi zu bleiben, lassen das schöne Bild einer sicheren und geschützten Wohnstatt vor unserem geistigen Auge entstehen. Gott liebt uns zuerst (vgl. 1Jn 4,10), und wir finden, angezogen von diesem Geschenk, einen Ort der Ruhe. Hier können wir »immer wieder aus der ersten, der ursprünglichen Quelle trinken – bei Jesus Christus, aus dessen geöffnetem Herzen die Liebe Gottes selber entströmt« (Deus caritas Est 7). Der hl. Johannes sah sich auch gedrängt, seine Gemeinden inständig zu bitten, in dieser Liebe zu bleiben. Einige waren schon geschwächt worden durch Streitigkeiten und Abwege, die letztendlich zu Spaltungen führen.

2. Liebe Mitbrüder, eure Diözesangemeinschaften sind dazu aufgerufen, das lebendige Glaubensbekenntnis zum Ausdruck zu bringen: »Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen« (1Jn 4,16). Diese Worte – die den Glauben anschaulich darlegen als persönliche Hinwendung zu Gott und als damit verbundene Zustimmung zu der ganzen von Gott geoffenbarten Wahrheit (vgl. Dominus Iesus, 7) – können nur aus einer Begegnung mit Christus heraus glaubwürdig verkündet werden. Von seiner Liebe angezogen, vertraut sich der Glaubende Gott vollständig an und wird so ein Geist mit dem Herrn (vgl. 1Co 6,17). In der Eucharistie wird diese Vereinigung gestärkt und erneuert, indem wir in die Dynamik der Hingabe Christi hineingenommen werden und so am göttlichen Leben teilhaben: »Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm« (Jn 6,56 vgl. Deus caritas Est 13). Nachdem er die Ansprache auf englisch begonnen hatte, sagte der Papst auf französisch:

Die Mahnung des hl. Johannes ist auch heute noch aktuell. In den immer stärker säkularisierten Gesellschaften macht ihr selbst die Erfahrung, daß die Liebe, die aus dem Herzen Gottes heraus auf die Menschheit zuströmt, unbeachtet bleiben oder sogar zurückgestoßen werden kann. Wenn der Mensch meint, daß es in irgendeiner Weise ein Schlüssel zur eigenen Befreiung sein kann, sich dieser Bindung zu entziehen, entfremdet er sich in Wirklichkeit von sich selbst, denn »tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf« (Gaudium et spes GS 22). Aus Mangel an Interesse für die Liebe, die die volle Wahrheit über den Menschen offenbart, entfernen sich viele Männer und Frauen immer weiter von der Wohnstatt Gottes, um in der Wüste der persönlichen Isolation, des sozialen Bruches und des Verlustes der kulturellen Identität zu leben. Der Heilige Vater fuhr auf englisch fort:

3. Innerhalb dieser Sichtweise wird deutlich, daß die grundlegende Pflicht bei der Evangelisierung der Kultur die Annahme der Herausforderung ist, Gott im menschlichen Antlitz Jesu sichtbar zu machen. Wenn ihr den einzelnen Menschen helft, die Liebe Christi zu erkennen und zu erfahren, werdet ihr in ihnen den Wunsch wecken, im Haus des Herrn zu wohnen und am Leben der Kirche teilzuhaben. Das ist unsere Sendung. Sie ist Ausdruck unserer kirchlichen Natur und stellt sicher, daß jede Initiative der Evangelisierung zugleich die christliche Identität stärkt. In dieser Hinsicht müssen wir erkennen, daß jede Verkürzung der zentralen Botschaft Jesu, also des »Reiches Gottes«, auf ein vages Reden von »Werten des Reiches« die christliche Identität schwächt und dem Beitrag der Kirche zur Erneuerung der Gesellschaft ihre Kraft nimmt. Wenn »glauben« durch »tun« ersetzt wird und das Zeugnis durch eine Erörterung von »Fragen«, dann ist es dringend notwendig, die tiefe Freude und das ehrfurchtsvolle Staunen der ersten Jünger wiederzuerlangen, denen in der Gegenwart des Herrn das Herz »in der Brust brannte« und sie drängte, zu erzählen, »was sie erlebt« hatten (vgl. Lk Lc 24,32 Lc 35).

Die stärksten Hindernisse für die Verbreitung des Reiches Christi erfährt man heute höchst dramatisch in der Kluft zwischen Evangelium und Kultur und in dem Ausschluß Gottes aus dem öffentlichen Leben. Kanada steht in dem wohlverdienten Ruf, ein Land zu sein, das sich hochherzig und konkret für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt, und eure multikulturellen Städte sind verlockend, voller Leben und voller Chancen.

Gleichzeitig haben jedoch gewisse Werte, von ihren sittlichen Wurzeln und ihrer in Christus enthaltenen vollen Bedeutung abgetrennt, eine höchst beunruhigende Entwicklung durchgemacht. Im Namen der »Toleranz« mußte euer Land die Torheit einer Neudefinition des Begriffs »Ehepartner« ertragen, und im Namen der »Entscheidungsfreiheit « steht es täglich der Tötung ungeborener Kinder gegenüber. Wenn der göttliche Plan des Schöpfers nicht beachtet wird, hat dies den Verlust der Wahrheit der menschlichen Natur zur Folge.

Selbst innerhalb der christlichen Gemeinschaft sind falsche Dichotomien nicht unbekannt. Sie richten besonderen Schaden an, wenn christliche Verantwortungsträger im öffentlichen Leben die Einheit des Glaubens preisgeben und die Zersetzung der Vernunft und der Grundsätze der natürlichen Ethik billigen, indem sie sich kurzlebigen gesellschaftlichen Trends und den Scheinforderungen der Meinungsumfragen fügen. Demokratie gelingt nur in dem Maße, in dem sie auf der Wahrheit und auf einem richtigen Verständnis des Menschen gründet. Die Teilnahme am politischen Leben von katholischer Seite darf im Hinblick auf diesen Grundsatz keine Kompromisse eingehen, denn sonst würde das christliche Zeugnis des Glanzes der Wahrheit im öffentlichen Leben zum Schweigen gebracht und eine Unabhängigkeit von der Moral erklärt (vgl. Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben, 2–3; 6). Ich ermutige euch, in euren Gesprächen mit Politikern und Verantwortungsträgern des öffentlichen Lebens zu zeigen, daß unser christlicher Glaube keineswegs ein Hindernis für den Dialog ist, sondern eine Brücke, gerade weil er Vernunft und Kultur zusammenführt.

4. Im Zusammenhang mit der Evangelisierung der Kultur möchte ich das hervorragende Netzwerk katholischer Schulen erwähnen, das eine Grundlage des kirchlichen Lebens in eurer Provinz bildet. Die Katechese und die religiöse Erziehung sind anspruchsvolles Apostolat. Ich bringe meinen Dank und meine Ermutigung zum Ausdruck gegenüber den vielen Männern und Frauen – Laien und Ordensleuten –, deren Bestreben es ist, dafür zu sorgen, daß eure jungen Menschen das Geschenk des Glaubens, das sie empfangen haben, mit jedem Tag höher schätzen lernen. Mehr denn je erfordert dies, daß das vom Gebet genährte Zeugnis das Leben jeder katholischen Schule allumfassend prägt. Als Zeugen müssen die Lehrer Rede und Antwort stehen für die Hoffnung, die ihr Leben erfüllt (vgl. 1P 3,15), indem sie die Wahrheit leben, die sie ihre Schüler lehren, und das stets mit Bezugnahme auf Christus, dem sie begegnet sind und dessen verläßliche Güte sie mit Freude gekostet haben (vgl. Ansprache zur Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema der Familie Am 6 Am 2006 in O.R. dt., Nr. Dt 24,17 Dt 24,6 Dt 24, S. 7–8). So können sie mit dem hl. Augustinus sagen: »Wir, die wir sprechen, und ihr, die ihr zuhört, wissen, daß wir gemeinsam Schüler ein und desselben Meisters sind« (vgl. Augustinus, Sermones, 23,2).

Ein besonders heimtückisches Erschwernis für die Erziehung ist, wie aus euren eigenen Berichten hervorgeht, in der heutigen Gesellschaft die ausgeprägte Anwesenheit jenes Relativismus, der nichts als endgültig betrachtet und so als letzten Maßstab nur das Ich und seine Wünsche übrigläßt. In einem solchen relativistischen Horizont tritt eine Verdunkelung der höchsten Lebensziele ein – durch eine Herabsetzung des Qualitätsniveaus, eine Scheu vor der Kategorie des Guten und eine unermüdliche, aber dennoch sinnlose Suche nach Neuem, die sich als Verwirklichung der Freiheit präsentiert. Solche schädlichen Tendenzen zeigen die besondere Dringlichkeit eines Apostolats der »intellektuellen Nächstenliebe«: Es muß die grundlegende Einheit des Wissens hervorheben und die jungen Menschen zur höchsten Erfüllung führen, die im Gebrauch der eigenen Freiheit in Verbindung mit der Wahrheit liegt, und muß die Beziehung zwischen dem Glauben und allen Aspekten des familiären und des öffentlichen Lebens zum Ausdruck bringen. Ich bin sicher, daß die kanadischen Jugendlichen, wenn man sie dazu anleitet, die Wahrheit zu lieben, Geschmack daran finden werden, das Haus des Herrn zu erkunden, des Herrn, der »jeden Menschen erleuchtet« (Jn 1,9) und jede Sehnsucht der Menschheit stillt.

5. Liebe Mitbrüder, ich überlasse euch diese Reflexionen in Liebe und brüderlicher Dankbarkeit und ermutige euch in eurer Verkündigung der Frohen Botschaft Jesu Christi. Macht die Erfahrung seiner Liebe, und laßt damit das Licht Gottes in die Welt ein! (vgl. Deus caritas Est 39). Indem ich die Fürsprache Marias, Sitz der Weisheit, auf euch herabrufe, erteile ich euch, den Priestern, den Ordensleuten und den Laien eurer Diözesen von Herzen meinen Apostolischen Segen.



Benedikt XVI Predigten 58