Benedikt XVI Predigten 80

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AN DIE TEILNEHMER DES VOM PÄPSTLICHEN RAT IM

FÜR DIE PASTORAL IM KRANKENDIENST

VERANSTALTETEN XXI. INTERNATIONALEN KONGRESSES Clementina-Saal

Freitag, 24. November 2006

Liebe Brüder und Schwestern!


Es ist mir eine Freude, euch anläßlich des Internationalen Kongresses, der vom Päpstlichen Rat für die Pastoral im Krankendienst veranstaltet wurde, zu begegnen. Ich begrüße jeden einzelnen von euch, zunächst Kardinal Javier Lozano Barragán, dem ich für die freundlichen Worte danke. Die Wahl des Themas – »Die pastoralen Aspekte der Behandlung von Infektionskrankheiten« – bietet Gelegenheit, unter verschiedenen Gesichtspunkten über die Infektionskrankheiten nachzudenken, die es auf dem Weg der Menschheit schon immer gegeben hat. Es ist erschreckend, in wie großer Anzahl und Vielfalt sie auch in unserer Zeit eine oft tödliche Bedrohung für das menschliche Leben darstellen. Worte wie Lepra, Pest, Tuberkulose, AIDS und Ebola führen dramatische Szenen des Schmerzes und der Angst vor Augen: Schmerz um die Opfer und ihre Angehörigen, die oft von einem Gefühl der Machtlosigkeit angesichts der unerbittlichen Härte der Krankheit überwältigt werden, Angst um die Bevölkerung im allgemeinen und um diejenigen, die aus beruflichen Gründen oder aus eigener Entscheidung mit diesen Kranken in Berührung kommen.

Das Weiterbestehen der Infektionskrankheiten, die immer noch viele Opfer fordern – trotz der positiven Auswirkungen der Vorbeugung, die auf der Grundlage des wissenschaftlichen Fortschritts, der medizinischen Technologie und der Sozialpolitik verwirklicht wurde –, macht die unausweichlichen Grenzen der menschlichen Existenz deutlich. Aber der Mensch darf nie aufgeben in seinem Bemühen, nach wirksameren Mitteln und Bedingungen für ein Eingreifen zur Bekämpfung dieser Krankheiten und zur Verringerung des Leids der Erkrankten zu suchen. Unzählige Männer und Frauen haben in der Vergangenheit ihr berufliches Können und ihre Großherzigkeit in den Dienst von Kranken mit abstoßenden Pathologien gestellt. Im Bereich der christlichen Gemeinschaft haben viele Personen des geweihten Lebens »im Laufe der Jahrhunderte ihr Leben im Dienst an den Opfern ansteckender Krankheiten geopfert und damit gezeigt, daß die Hingabe bis zum Heroismus zur prophetischen Natur des geweihten Lebens gehört« (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita consecrata VC 83). Solch lobenswerten Initiativen und so hochherzigen Gesten der Liebe stehen jedoch nicht wenige Ungerechtigkeiten entgegen. Wie könnte man die vielen Menschen vergessen, die unter Infektionskrankheiten leiden und die gezwungen sind, abgesondert zu leben, und die manchmal durch die Krankheit entstellt sind und dadurch gedemütigt werden? Solche verwerflichen Situationen werden durch die Ungleichheit der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zwischen dem Norden und dem Süden der Welt zusätzlich belastet. Es ist wichtig, auf sie zu antworten durch konkrete Eingriffe, die die Nähe zum Kranken begünstigen, die Evangelisierung der Kultur unterstützen und den wirtschaftlichen und politischen Plänen der Regierungen Anregungen bieten.

An erster Stelle steht die Nähe zum Kranken, der von einer Infektionskrankheit betroffen ist: Das ist ein Ziel, das die kirchliche Gemeinschaft immer anstreben muß. Das Vorbild Christi, der mit den Vorschriften seiner Zeit brach und die Leprakranken nicht nur in seine Nähe kommen ließ, sondern sie gesundheitlich und in ihrer Würde als Personen wiederherstellte, hat im Laufe der mehr als 2000jährigen Geschichte der Christenheit viele seiner Jünger »angesteckt«. Der Kuß, den Franz von Assisi dem Leprakranken gab, fand Nachahmer nicht nur in heroischen Persönlichkeiten wie dem sel. Damian De Veuster, der auf der Insel Molokai starb, während er die Leprakranken pflegte, oder in der sel. Teresa von Kalkutta oder den italienischen Ordensfrauen, die vor einigen Jahren am Ebola-Virus starben, sondern auch in vielen Menschen, die Initiativen zugunsten der an Infektionen Erkrankten fördern, vor allem in den Entwicklungsländern. Diese reiche Tradition der katholischen Kirche muß aufrechterhalten werden, damit durch die Übung der Nächstenliebe am Leidenden die Werte sichtbar gemacht werden, die sich an wahrer Menschlichkeit und am Evangelium orientieren: die Würde des Menschen, die Barmherzigkeit, die Identifizierung Christi mit dem Kranken. Jedes Eingreifen bleibt ungenügend, wenn in ihm nicht die Liebe zum Menschen spürbar wird, eine Liebe, die sich von der Begegnung mit Christus nährt.

Die unersetzliche Nähe zum Kranken muß mit der Evangelisierung des kulturellen Umfeldes, in dem wir leben, verbunden werden. Zu den Vorurteilen, die einer wirksamen Hilfe für die Opfer von Infektionskrankheiten im Wege stehen oder sie einschränken, gehört eine Haltung der Gleichgültigkeit oder sogar der Ausgrenzung und der Ablehnung ihnen gegenüber, die manchmal in der Wohlstandsgesellschaft sichtbar wird. Diese Haltung wird auch gefördert durch das über die Medien verbreitete Bild des Mannes und der Frau, die hauptsächlich um körperliche Schönheit, Gesundheit und biologische Lebenskraft besorgt sind. Dies ist eine gefährliche Tendenz innerhalb der Kultur; sie führt dahin, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sich in seiner eigenen kleinen Welt zu verschließen und sich nicht im Dienst am Notleidenden einzusetzen. Mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. bringt im Apostolischen Schreiben Salvifici doloris dagegen den Wunsch zum Ausdruck, daß das Leiden dazu dienen möge, »im Menschen die Liebe zu wecken, eben jene uneigennützige Hingabe des eigenen ›Ich‹ zugunsten der anderen, der leidenden Menschen«. Und er fügt hinzu: »Die Welt des menschlichen Leidens erfordert sozusagen unaufhörlich eine andere Welt: die Welt der menschlichen Liebe; und jene uneigennützige Liebe, die in seinem Herzen und in seinem Handeln erwacht, verdankt der Mensch in gewissem Sinne dem Leiden« (Nr. 29). Es bedarf also einer Pastoral, die imstande ist, die Kranken bei der Bewältigung des Leidens zu stützen, indem sie ihnen hilft, durch ihre persönliche Teilnahme am Geheimnis Christi den eigenen Zustand in einen Moment der Gnade für sich selbst und für andere zu verwandeln.

Zum Schluß möchte ich noch einmal betonen, wie wichtig die Zusammenarbeit mit den verschiedenen öffentlichen Instanzen ist, damit in einem so heiklen Sektor wie der Behandlung und Pflege von Menschen mit Infektionskrankheiten soziale Gerechtigkeit angewandt wird. Ich möchte zum Beispiel auf die gerechte Verteilung der Mittel für Forschung und Therapie hinweisen sowie auf die Förderung von Lebensbedingungen, die das Entstehen und die Verbreitung der Infektionskrankheiten eindämmen. In diesem wie in anderen Bereichen kommt der Kirche die »mittelbare Aufgabe« zu, »zur Reinigung der Vernunft und zur Weckung der sittlichen Kräfte beizutragen, ohne die rechte Strukturen weder gebaut werden noch auf Dauer wirksam sein können. Die unmittelbare Aufgabe, für eine gerechte Ordnung in der Gesellschaft zu wirken, kommt dagegen eigens den gläubigen Laien zu«, die berufen sind, »persönlich am öffentlichen Leben teilzunehmen« (Enzyklika Deus caritas Est 29).

Danke, liebe Freunde, für den Einsatz, den ihr in den Dienst einer Sache stellt, in der das heilende und heilbringende Werk Jesu, des göttlichen Samariters der Seele und des Leibes, seine Verwirklichung findet. Indem ich euch einen erfolgreichen Abschluß eurer Arbeiten wünsche, erteile ich euch und euren Angehörigen von Herzen einen besonderen Apostolischen Segen.

AN DIE TEILNEHMER DER TAGUNG DES ITALIENISCHEN VERBANDES KATHOLISCHER WOCHENZEITSCHRIFTEN Clementina-Saal

Samstag, 25. November 2006

Liebe Brüder und Schwestern!


Mit Freude empfange ich euch und bin euch dankbar für euren freundlichen Besuch. Herzlich begrüße ich euch alle, zunächst den Sekretär der Italienischen Bischofskonferenz, Bischof Giuseppe Betori, und den Präsidenten des Italienischen Verbandes der katholischen Wochenzeitungen, Don Giorgio Zucchelli, dem ich auch dafür danke, daß er eure gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat. Mein Gruß ergeht weiter an die Direktoren der über 160 Diözesanzeitungen und an die vielen Mitarbeiter, die auf verschiedene Weise zur Erstellung der einzelnen Wochenzeitungen beitragen. Ich begrüße den Direktor und die Journalisten der Agentur »Sir« sowie auch den Direktor der Tageszeitung »Avvenire«. Ich bin euch besonders dankbar dafür, daß ihr zum Abschluß eurer Tagung zum Thema der Katholiken in der Politik den Nachfolger des Apostels Petrus besuchen und auf diese Weise die Bekundung eurer Treue zur Kirche erneuern wollt, in deren Dienst ihr Tag für Tag eure menschlichen und beruflichen Kräfte einsetzt. In diesem Zusammenhang fühle ich mich auch verpflichtet, euch für die Arbeit zu danken, die ihr leistet, um das Interesse der Gläubigen zu wecken für die Initiativen des Nachfolgers Petri in bezug auf die Bedürfnisse der Universalkirche.

Der Italienische Verband katholischer Wochenzeitungen, in dem, wie euer Präsident soeben sagte, die Diözesanzeitungen zusammengeschlossen sind, feiert in diesen Tagen sein 40jähriges Bestehen. Denn am 27. November 1966 haben eure Vorgänger beschlossen, die intellektuellen und kreativen Kapazitäten der verschiedenen Informationsorgane, die in den italienischen Diözesen bereits einen nützlichen Dienst leisteten, zusammenzuschließen. Die Initiative entsprang dem Wunsch, der Präsenz und dem pastoralen Wirken der Kirche, deren Arbeit man vor allem in schwierigeren Zeiten unterstützen wollte, größere Sichtbarkeit und Wirksamkeit zu verleihen. Wenn man eure Wochenzeitungen der vergangenen vier Jahrzehnte durchsieht, kann man das Leben der Kirche und der Gesellschaft in Italien an sich vorüberziehen lassen: So viele Ereignisse haben es geprägt, und beträchtliche soziale und religiöse Veränderungen haben stattgefunden. Diese Ereignisse und Veränderungen werden auf den einzelnen Seiten zur Kenntnis genommen und kommentiert, mit besonderer Aufmerksamkeit für das tägliche Leben in den Pfarreien und in den Diözesangemeinschaften. Angesichts vielfältiger Unternehmungen, die darauf aus sind, die christlichen Wurzeln der abendländischen Kultur zu beseitigen, besteht die besondere Funktion der Kommunikationsmittel katholischer Prägung darin, den Verstand und die öffentliche Meinung im Geist des Evangeliums zu erziehen und zu bilden. Ihre Aufgabe ist es, mutig der Wahrheit zu dienen, indem sie der öffentlichen Meinung helfen, die Wirklichkeit mit den Augen Gottes zu betrachten, zu deuten und zu erleben. Zweck einer Diözesanzeitung ist es, allen Menschen eine Botschaft der Wahrheit und der Hoffnung zu übermitteln, indem sie Fakten und Wirklichkeiten hervorhebt, in denen das Evangelium gelebt wird, in denen das Gute und die Wahrheit triumphieren, in denen der Mensch mit Fleiß und Phantasie das menschliche Gefüge der kleinen gemeinschaftlichen Realitäten aufbaut oder wiedererrichtet.

Liebe Freunde, die rasche Entwicklung der Kommunikationsmittel und das Aufkommen vielfältiger und fortgeschrittener Technologien im Medienbereich haben eure Funktion nicht überflüssig gemacht; ja, sie ist in gewisser Hinsicht sogar noch bedeutsamer und wichtiger geworden, weil sie den Ortsgemeinden, die in den großen Informationsorganen kein entsprechendes Echo finden können, ihre Stimme leiht. Eure Zeitschriften, die auf ihren Seiten von der Lebenskraft und dem apostolischen Elan der einzelnen Gemeinden berichten und sie fördern, sind ein wertvoller Informationsträger und ein Mittel zur Verbreitung des Evangeliums. Für die Bedeutung eurer Anwesenheit, die auch kürzlich beim Kongreß der Italienischen Kirche in Verona angemessen bekräftigt wurde, spricht die Dichte der Verbreitung eurer Zeitschriften. Ihr könnt auch dorthin gelangen, wo man mit den traditionellen Mitteln der Seelsorge keinen Einfluß nehmen kann.

Eure Wochenzeitungen werden zu Recht als »Zeitungen des Volkes« bezeichnet, weil sie stets mit den Tatsachen und dem Leben der Menschen ihres jeweiligen Gebietes verbunden sind und die volkstümlichen Traditionen und das reiche kulturelle und religiöse Erbe eurer Dörfer und Städte weitergeben. Indem ihr vom täglichen Leben berichtet, macht ihr jene von Glauben und Güte erfüllte Wirklichkeit bekannt, die keine Schlagzeilen macht, aber das wahre Gefüge der italienischen Gesellschaft darstellt. Liebe Freunde, macht eure Zeitungen auch weiterhin zu einem Netzwerk von Verbindungen, das die Beziehungen und die Begegnung zwischen den einzelnen Bürgern und den Institutionen, zwischen den Vereinigungen, den verschiedenen sozialen Gruppen, den Pfarreien und den kirchlichen Bewegungen erleichtert. Bleibt auch weiterhin »Zeitungen des Volkes und inmitten des Volkes«, Schulen der aufrichtigen Auseinandersetzung und Debatte zwischen unterschiedlichen Meinungen, um so einen echten Dialog zu fördern, der für das Wachstum der zivilen und kirchlichen Gemeinschaft unerläßlich ist. Dies ist ein Dienst, den ihr auch auf sozialem und politischem Gebiet ausüben könnt. Wenn nämlich, wie ihr auf eurem Kongreß betont habt, der legitime Pluralismus der politischen Entscheidungen nichts mit einer kulturellen Diaspora der Katholiken zu tun hat, können eure Wochenzeitungen bedeutsame »Orte« der Begegnung und der sorgfältigen Entscheidungsfindung für die im sozialen und politischen Bereich engagierten Laien darstellen, mit dem Ziel, einen Dialog zu führen und Übereinstimmungen und Zielsetzungen gemeinsamen Handelns im Dienst des Evangeliums und des Gemeinwohls zu finden.

Liebe Freunde, um eure wichtige Aufgabe zu erfüllen, müßt ihr vor allem eine ständige und tiefe Beziehung zu Christus pflegen – im Gebet, im Hören seines Wortes und in einem tiefempfundenen sakramentalen Leben. Gleichzeitig ist es notwendig, daß ihr aktive und verantwortungsvolle Glieder der kirchlichen Gemeinschaft in Verbundenheit mit euren Hirten bleibt. Seid davon überzeugt: Als Direktoren, Redakteure und Geschäftsführer katholischer Wochenzeitungen geht ihr nicht »irgendeiner Arbeit« nach, sondern seid »Mitarbeiter« des großen Evangelisierungsauftrags der Kirche. Mögen die Schwierigkeiten, an denen es nicht fehlt, und die Hindernisse, die mitunter geradezu unüberwindlich erscheinen können, euch nie entmutigen! Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, daß die Menschen Informationsquellen wie eure Zeitungen brauchen. Ich vertraue euren Verband und die umfangreiche Leserschaft der Diözesanzeitungen der Jungfrau Maria an. Sie stehe euch bei in dem täglichen Dienst, den ihr so gewissenhaft erfüllt. Während ich auch die himmlische Fürsprache des hl. Franz von Sales, des Patrons der Journalisten, auf euch herabrufe, segne ich von Herzen euch alle zusammen mit euren Angehörigen und euren Diözesangemeinschaften.
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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

IN DIE TÜRKEI

(28. NOVEMBER - 1. DEZEMBER 2006)

BEGEGNUNG MIT DEM PRÄSIDENTEN

FÜR RELIGIÖSE ANGELEGENHEITEN


Konferenzraum im "Diyanet", Ankara
Dienstag, 28. November 2006

Exzellenzen, meine Damen und Herren!


Ich bin dankbar für die Gelegenheit, dieses an Geschichte und Kultur so reiche Land zu besuchen, um die Schönheiten seiner Natur zu bewundern, um mit eigenen Augen die Kreativität des türkischen Volkes zu sehen und mich an Ihrer antiken Kultur und Ihrer weit zurückreichenden sowohl zivilen als auch religiösen Geschichte zu erfreuen.

Gleich nach meiner Ankunft in der Türkei wurde ich freundlich vom Präsidenten der Republik empfangen. Es war für mich eine große Ehre, am Flughafen mit Premierminister Erdogan zusammenzutreffen und ihn zu begrüßen. Bei meinem Gruß hatte ich die Freude, meinen tiefen Respekt für alle Einwohner dieser großen Nation zum Ausdruck zu bringen und dem Gründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, in seinem Mausoleum die Ehre zu erweisen.

Jetzt freue ich mich, Ihnen, dem Präsidenten des Amtes für religiöse Angelegenheiten, zu begegnen. Ich bringe Ihnen in Anerkennung Ihrer großen Verantwortung meine Hochachtung zum Ausdruck. Zugleich gilt mein Gruß auch allen anderen religiösen Führern der Türkei, vor allem den Großmuftis von Ankara und Istanbul. In Ihrer Person, Herr Präsident, grüße ich mit besonderer Hochachtung und herzlicher Wertschätzung alle Muslime der Türkei.

Ihr Land liegt den Christen sehr am Herzen: Viele der frühen Gemeinden der Kirche sind hier gegründet worden und zur Reife gelangt, inspiriert von der Verkündigung der Apostel, besonders des hl. Paulus und des hl. Johannes. Nach der uns überlieferten Tradition hat Maria, die Mutter Jesu, in Ephesus, im Haus des heiligen Apostels Johannes, gelebt.

Dieses edle Land hat darüber hinaus in den verschiedensten Bereichen eine beachtliche Blüte der islamischen Zivilisation erlebt, einschließlich ihrer Literatur und Kunst sowie ihrer Institutionen.

Es gibt hier sehr viele christliche und muslimische Monumente, die von der ruhmreichen Vergangenheit der Türkei Zeugnis ablegen. Auf sie sind Sie zurecht stolz und erhalten sie, damit eine immer größer werdende Zahl von Besuchern, die in dieses Land strömen, sie zu bewundern vermag.

Ich habe mich auf diese Reise in die Türkei mit denselben Empfindungen vorbereitet, die mein Vorgänger, der sel. Johannes XXIII ., zum Ausdruck brachte, als er – noch als Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli – hier eintraf, um sein Amt als Päpstlicher Vertreter in Istanbul auszuüben: »Ich fühle eine tiefe Zuneigung für dieses Volk«, schrieb er, »zu dem mich der Herr gesandt hat… Ich liebe die Türken, ich schätze die natürlichen Qualitäten dieses Volkes, das auch seinen Platz bereitet hat auf dem Weg der Zivilisation« (Geistliches Tagebuch, 231.237)

Meinerseits möchte auch ich die Qualitäten der türkischen Bevölkerung hervorheben. Dazu mache ich mir die Worte meines unmittelbaren Vorgängers Papst Johannes Paul II. seligen Angedenkens zu eigen, der anläßlich seines Besuchs im Jahr 1979 sagte: »Dann frage ich mich, ob nicht gerade heute, wo Christen und Muslime in eine neue Periode ihrer Geschichte eingetreten sind, die Anerkennung und Entfaltung der geistigen Bande, die uns verbinden, dringend nötig sei mit dem Ziel, ›gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sittlichen Güter, des Friedens und der Freiheit‹« (Ansprache an die katholische Gemeinde von Ankara, 29. November 1979, Nr. 3; in O.R. dt., Nr. 49, 7.12.1979, S. 4).

Diese Fragen stellten sich in den darauffolgenden Jahren auch weiterhin; in der Tat, wie ich ganz zu Beginn meines Pontifikats betont habe, drängen sie uns dazu, unseren Dialog als einen aufrichtigen Austausch zwischen Freunden fortzusetzen. Als ich die Freude hatte, den Mitgliedern der muslimischen Gemeinden im letzten Jahr in Köln anläßlich des Weltjugendtages zu begegnen, habe ich erneut auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich dem interreligiösen und interkulturellen Dialog mit Optimismus und Hoffnung zu widmen. Er darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden. Im Gegenteil: er ist »eine vitale Notwendigkeit, von der zum großen Teil unsere Zukunft abhängt« (Begegnung mit Vertretern muslimischer Gemeinden, 20. August 2005; in O.R. dt., Nr. 35, 2.9.2005, S. 11).

Christen und Muslime folgen ihrer jeweiligen Religion und machen so auf die Wahrheit des sakralen Charakters und der Würde des Menschen aufmerksam. Das ist die Grundlage für unsere gegenseitige Achtung und Wertschätzung, das ist die Grundlage für die Zusammenarbeit im Dienst des Friedens zwischen Nationen und Völkern, die tiefste Sehnsucht aller Gläubigen und aller Menschen guten Willens.

Seit mehr als 40 Jahren hat die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils die Haltung des Heiligen Stuhls und der Ortskirchen auf der ganzen Welt in ihren Beziehungen zu den Anhängern der anderen Religionen inspiriert und geleitet. Der biblischen Tradition folgend lehrt das Konzil, daß das ganze Menschengeschlecht einen gemeinsamen Ursprung und eine gemeinsame Bestimmung teilt: Gott, unseren Schöpfer und Ziel unserer irdischen Pilgerschaft. Christen und Muslime gehören zur Familie derjenigen, die an den alleinigen Gott glauben und sich ihren jeweiligen Überlieferungen entsprechend auf Abraham berufen (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate NAE 1,3). Diese menschliche und geistliche Einheit in unseren Ursprüngen und Bestimmungen drängt uns dazu, einen gemeinsamen Weg zu suchen, während wir unseren Teil beitragen bei jener Suche nach grundlegenden Werten, die so charakteristisch für die Menschen unserer Zeit ist. Als Männer und Frauen der Religion sind wir vor die Herausforderung des weit verbreiteten Wunsches nach Gerechtigkeit, Entwicklung, Solidarität, Freiheit, Sicherheit, Frieden, Schutz der Umwelt und der Ressourcen der Erde gestellt. Denn auch wir haben, während wir die legitime Autonomie der weltlichen Angelegenheiten respektieren, einen spezifischen Beitrag bei der Suche nach geeigneten Lösungen für diese dringlichen Fragen anzubieten.

Vor allem können wir eine glaubwürdige Antwort bieten auf die Frage, die deutlich aus der modernen Gesellschaft hervorgeht, auch wenn man sie oft verdrängt. Es geht um die Frage nach dem Sinn und Ziel des Lebens für jedes Individuum und für die Menschheit als ganze. Wir sind zur Zusammenarbeit aufgerufen, um so der Gesellschaft zu helfen, sich dem Transzendenten zu öffnen und Gott, dem Allmächtigen, den ihm zustehenden Platz einzuräumen. Der beste Weg, um vorwärts zu kommen, führt über einen authentischen Dialog zwischen Christen und Muslimen, der in der Wahrheit gründet und von der aufrichtigen Sehnsucht inspiriert ist, einander besser kennenzulernen im Respekt der Unterschiede und in Anerkennung dessen, was uns gemeinsam ist. Dies wird uns gleichzeitig zu einem authentischen Respekt vor den verantwortlichen Entscheidungen jeder Person führen, besonders der Entscheidungen, die die Grundwerte und die persönlichen religiösen Überzeugungen betreffen.

Als Beispiel für den brüderlichen Respekt, mit dem Christen und Muslime gemeinsam wirken können, möchte ich einige Worte von Papst Gregor VII. aus dem Jahr 1076 zitieren, die er an einen muslimischen Prinzen aus Nordafrika gerichtet hat, der gegenüber den unter seine Jurisdiktion gestellten Christen mit großem Wohlwollen gehandelt hatte. Papst Gregor VII. sprach von der besonderen Liebe, die Christen und Muslime einander schulden, denn »wir glauben und bekennen den einen Gott, wenn auch auf verschiedene Weise, jeden Tag loben und verehren wir ihn als Schöpfer der Jahrhunderte und Herrscher dieser Welt« (PL 148,451).

Die sowohl dem einzelnen als auch den Gemeinschaften institutionell garantierte und in der Praxis tatsächlich respektierte Religionsfreiheit ist die für alle Gläubigen notwendige Bedingung für einen loyalen Beitrag ihrerseits zum Aufbau der Gesellschaft, in einer Haltung wahren Dienstes vor allem gegenüber den Schwächsten und Ärmsten.

Herr Präsident, ich möchte abschließend dem allmächtigen und barmherzigen Gott Lob darbringen für diese glückliche Gelegenheit, die uns ermöglicht, einander in seinem Namen zu begegnen. Ich bete, daß dies ein Zeichen unserer gemeinsamen Bemühung um Dialog zwischen Christen und Muslimen sein möge wie auch eine Ermutigung, auf diesem Weg in Respekt und Freundschaft voranzugehen. Mögen wir erreichen, daß wir einander besser kennenlernen und so die Bande der Zuneigung zwischen uns stärken im gemeinsamen Wunsch, in Eintracht, Frieden und gegenseitigem Vertrauen zu leben. Als Gläubige schöpfen wir im Gebet die Kraft, die notwendig ist, um jegliche Spur der Voreingenommenheit zu überwinden und ein gemeinsames Zeugnis für unseren festen Glauben an Gott abzulegen. Möge sein Segen immer über uns sein! Danke!
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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

IN DIE TÜRKEI

(28. NOVEMBER - 1. DEZEMBER 2006)

TREFFEN MIT DEM DIPLOMATISCHEN KORPS

Apostolische Nuntiatur in Ankara
Dienstag, 28. November 2006




Exzellenzen,
meine Damen und Herren!

Ich habe meine Ansprache in Französisch verfaßt, weil dies die Sprache der Diplomatie ist, und ich hoffe, daß sie verstanden werden kann. Ich begrüße Sie mit großer Freude, die Sie als Botschafter den edlen Auftrag erfüllen, Ihre Länder bei der Republik Türkei zu vertreten und dem Nachfolger Petri gerne in dieser Nuntiatur begegnen wollten. Ich danke Ihrem Vize-Doyen, dem Herrn Botschafter des Libanon, für die liebenswürdigen Worte, die er soeben an mich gerichtet hat. Ich freue mich, die Wertschätzung zu bestätigen, die der Heilige Stuhl unzählige Male für Ihre hohe Aufgabe zum Ausdruck gebracht hat, die heute eine immer globalere Dimension annimmt. In der Tat, wenn Ihre Aufgabe in erster Linie die Verteidigung und Förderung der legitimen Interessen Ihrer einzelnen Nationen ist, »veranlaßt dennoch die unvermeidliche, Tag für Tag engere gegenseitige Abhängigkeit der Völker alle Diplomaten, auf stets neue, einzigartige Weise zu Förderern der Völkerverständigung, der internationalen Sicherheit und des Friedens unter den Nationen zu werden (Johannes Paul II., Ansprache an das Diplomatische Korps, Mexiko 26. Januar 1979; in O.R. dt., Nr. 6, 9.2.1979, S. 4).

Ich möchte Ihnen an erster Stelle die denkwürdigen Besuche meiner beiden Vorgänger in der Türkei in Erinnerung rufen: den Besuch von Papst Paul VI. im Jahr 1967 und den Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1979. Wie sollte man nicht gleichfalls Papst Benedikts XV. gedenken, des unermüdlichen Friedensstifters während des Ersten Weltkrieges, sowie des sel. Johannes XXIII., des Papstes, der »Freund der Türken« war. Er war Apostolischer Delegat in der Türkei sowie Apostolischer Administrator des lateinischen Vikariats Istanbul und hinterließ bei allen die Erinnerung an einen aufmerksamen, ganz von Nächstenliebe erfüllten Hirten, der besonders wünschte, die türkische Bevölkerung, deren dankbarer Gast er war, kennenzulernen. Deshalb freue ich mich, heute ein Gast der Türkei zu sein, der als Freund und als Apostel des Dialogs und des Friedens gekommen ist.

Vor nunmehr über 40 Jahren schrieb das II. Vatikanische Konzil: »Der Friede besteht nicht darin, daß kein Krieg ist; er läßt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern«, sondern er »ist die Frucht der Ordnung, die ihr göttlicher Gründer selbst in die menschliche Gesellschaft eingestiftet hat und die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muß« (Gaudium et spes GS 78). Wir haben in der Tat gelernt, daß der wahre Frieden der Gerechtigkeit bedarf, um die wirtschaftlichen Ungleichheiten und die politischen Unordnungen zu korrigieren, die immer Spannungen und Bedrohungen in der ganzen Gesellschaft erzeugen. Die jüngsten Entwicklungen des Terrorismus und bestimmter regionaler Konflikte haben andererseits die Notwendigkeit deutlich gemacht, die Entscheidungen der internationalen Organisationen nicht nur zu respektieren, sondern sie auch zu unterstützen, indem man ihnen insbesondere wirksame Mittel zur Verfügung stellt, um Konflikten vorzubeugen und dank vermittelnder Einsatzkräfte Neutrale Zonen zwischen den Kriegsparteien aufrechtzuerhalten. Das bleibt jedoch unzureichend, wenn es nicht zum wahren Dialog kommt, das heißt zur Vermittlung zwischen den Ansprüchen der betroffenen Parteien, um so zu akzeptablen und dauerhaften politischen Lösungen zu gelangen, welche die Menschen und die Völker respektieren. Ich denke besonders an den Konflikt im Nahen Osten, der auf beunruhigende Weise andauert und das gesamte internationale Leben belastet, mit der Gefahr, daß Randkonflikte sich ausweiten und Terrorakte zunehmen; ich begrüße die Bemühungen zahlreicher Länder, darunter der Türkei, die sich heute für die Wiederherstellung des Friedens im Libanon einsetzen. Nochmals appelliere ich vor Ihnen, meine Damen und Herren Botschafter, an die Wachsamkeit der internationalen Gemeinschaft, daß sie sich nicht ihrer Verantwortung entzieht, sondern alle Kräfte einsetzt, die zur Förderung des Dialogs zwischen allen beteiligten Parteien notwendig sind. Nur der Dialog erlaubt es, die Achtung gegenüber den anderen zu gewährleisten und gleichzeitig die legitimen Interessen zu wahren und die Anwendung von Gewalt abzulehnen. So habe ich in meiner ersten Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages geschrieben: »Die Wahrheit des Friedens ruft alle dazu auf, fruchtbare und aufrichtige Beziehungen zu pflegen, und regt dazu an, die Wege des Verzeihens und der Versöhnung zu suchen und zu gehen sowie ehrlich zu sein in den Verhandlungen und treu zum einmal gegebenen Wort zu stehen« (1. Januar 2006, 6; in O.R. dt., Nr. 51/52, 23.12.2005, S. 9).

Die Türkei befindet sich von jeher in einer Brückenposition zwischen dem Osten und dem Westen, zwischen dem asiatischen und dem europäischen Kontinent, an einem Kreuzungspunkt der Kulturen und Religionen. Im vergangenen Jahrhundert hat sie sich die Mittel geschaffen, um ein großes modernes Land zu werden, dies vor allem durch die Entscheidung zu einer säkularen Regierungsform mit einer klaren Unterscheidung zwischen Zivilgesellschaft und Religion, so daß es beiden möglich ist, in ihrem jeweiligen Bereich autonom zu sein und gleichzeitig die Sphäre des anderen zu respektieren. Die Tatsache, daß die Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes muslimisch ist, ist ein bedeutsames Element im Leben der Gesellschaft, dem der Staat Rechnung tragen muß. Die türkische Verfassung aber erkennt jedem Bürger das Recht der Gewissensfreiheit und der Freiheit der Religionsausübung zu. Es ist in jedem demokratischen Land Aufgabe der zivilen Autoritäten, die tatsächliche Freiheit aller Gläubigen zu gewährleisten und es ihnen zu erlauben, das Leben ihrer jeweiligen religiösen Gemeinschaft frei zu organisieren. Selbstverständlich wünsche ich, daß die Gläubigen, welcher Religionsgemeinschaft auch immer sie angehören, weiterhin in den Genuß dieser Rechte kommen, in der Gewißheit, daß die Religionsfreiheit ein grundlegender Ausdruck der menschlichen Freiheit ist und daß die aktive Anwesenheit der Religionen in der Gesellschaft ein Faktor des Fortschritts und der Bereicherung für alle ist. Dies schließt natürlich ein, daß die Religionen ihrerseits nicht versuchen, direkt politische Macht auszuüben, denn dazu sind sie nicht berufen, und es schließt im besonderen ein, daß die Religionen absolut darauf verzichten, die Anwendung von Gewalt als legitimen Ausdruck religiöser Praxis zu rechtfertigen. Ich grüße in diesem Zusammenhang die katholische Gemeinschaft dieses Landes, die zahlenmäßig nicht groß ist, der aber sehr viel daran liegt, auf bestmögliche Weise an der Entwicklung des Landes mitzuwirken, besonders durch die Erziehung der Jugendlichen und durch den Aufbau des Friedens und der Eintracht unter allen Bürgern.

Wie ich unlängst in Erinnerung gerufen habe, »bedürfen wir dringend eines echten Dialogs zwischen den Religionen und zwischen den Kulturen, der uns helfen kann, alle Spannungen in einem Geist fruchtbarer Zusammenarbeit gemeinsam zu überwinden« (Ansprache an die Botschafter muslimischer Länder und Vertreter von muslimischen Gemeinschaften in Italien, Castelgandolfo 25. September 2006; in O.R. dt., Nr. 39, 29.9.2006, S. 5). Dieser Dialog muß es den verschiedenen Religionen erlauben, einander besser kennenzulernen und sich gegenseitig zu achten, um immer mehr im Dienst der edelsten und tiefsten Sehnsüchte des Menschen zu handeln, der auf der Suche nach Gott und dem Glück ist. Meinerseits möchte ich bei dieser Reise in die Türkei erneut meine große Wertschätzung für die Muslime zum Ausdruck bringen und sie dazu einladen, sich dank der gegenseitigen Achtung auch weiterhin gemeinsam zugunsten der Würde eines jeden Menschen und für das Wachstum einer Gesellschaft einzusetzen, in der die persönliche Freiheit und die Aufmerksamkeit für die anderen es einem jeden erlauben, in Frieden und Ruhe zu leben. So werden die Religionen dazu beitragen können, den zahlreichen Herausforderungen entgegenzutreten, mit denen unsere Gesellschaften sich heute auseinandersetzen. Sicher kann und muß die Anerkennung der positiven Rolle, die die Religionen innerhalb des Sozialgefüges spielen, unsere Gesellschaften dazu veranlassen, ihre Kenntnis des Menschen immer mehr zu vertiefen und seine Würde immer besser zu achten, indem sie ihn in den Mittelpunkt des politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Handelns stellen. Unsere Welt muß sich immer mehr der Tatsache bewußt werden, daß alle Menschen zutiefst solidarisch sind, und sie muß sie dazu auffordern, ihre geschichtlichen und kulturellen Unterschiede nicht hervorzuheben, um miteinander in Konflikt zu treten, sondern um einander zu achten.

Die Kirche hat, wie Sie wissen, von ihrem Gründer eine geistliche Sendung erhalten, und sie beabsichtigt deshalb nicht, in das politische oder wirtschaftliche Leben direkt einzugreifen. Doch aufgrund ihrer Sendung und ihrer langen Erfahrung in der Geschichte der Gesellschaften und der Kulturen möchte sie ihre Stimme im Konzert der Nationen zu Gehör bringen, damit die grundlegende Würde des Menschen, vor allem der schwächsten, stets geachtet wird. Angesichts der jüngsten Entwicklung des Phänomens der Globalisierung des Handels erwartet der Heilige Stuhl von der internationalen Gemeinschaft, daß sie sich noch stärker organisiert, um Regelungen zu finden, die eine bessere Beherrschung der wirtschaftlichen Entwicklungen und der Regulierung der Märkte gestatten, zum Beispiel durch die Förderung regionaler Abkommen zwischen den Ländern. Ich zweifle nicht daran, meine Damen und meine Herren, daß es Ihnen bei Ihrer Mission als Diplomaten am Herzen liegt, die Sonderinteressen Ihrer jeweiligen Länder mit den Erfordernissen des gegenseitigen Verständnisses in Einklang zu bringen, und daß Sie auf diese Weise einen großen Beitrag leisten können, im Dienste aller.

Die Stimme der Kirche auf dem diplomatischen Parkett ist, dem Evangelium entsprechend, immer gekennzeichnet durch den Willen, der Sache des Menschen zu dienen, und ich würde dieser grundlegenden Verpflichtung nicht nachkommen, würde ich vor Ihnen nicht an die Notwendigkeit erinnern, die Würde des Menschen immer stärker in den Mittelpunkt unserer Besorgnis zu stellen. Die außerordentliche Entwicklung von Wissenschaft und Technik, welche die Welt von heute erlebt, mit ihren fast unmittelbaren Konsequenzen für die Medizin, die Landwirtschaft und die Produktion von Nahrungsmitteln, aber auch für die Übermittlung von Wissen, darf nicht ziel- und bezugslos weitergeführt werden, da es um die Geburt des Menschen geht, um seine Erziehung, um seine Weise zu leben und zu arbeiten sowie um sein Alter und seinen Tod. Es ist mehr als notwendig, den heutigen Fortschritt wieder in die Kontinuität der menschlichen Geschichte einzufügen und ihn so nach dem Plan zu gestalten, der uns allen innewohnt: die Menschheit wachsen zu lassen, was bereits das Buch Genesis auf seine Art zum Ausdruck gebracht hat: »Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch« (1,28). Erlauben Sie mir schließlich, in Erinnerung an die ersten christlichen Gemeinden, die in diesem Land gewachsen sind, und vor allem an den Apostel Paulus, der selbst mehrere von ihnen gegründet hat, seine Worte an die Galater zu zitieren. Er sagt: »Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe« (Ga 5,13). Die Freiheit ist, einander zu dienen. Ich möchte dem Wunsch Ausdruck verleihen, daß das Verständnis unter den Nationen, denen Sie jeweils dienen, immer mehr dazu beitragen möge, die Menschlichkeit des Menschen, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist, wachsen zu lassen. Ein so edles Ziel erfordert das Zusammenwirken aller. Darum beabsichtigt die katholische Kirche, ihre Zusammenarbeit mit der orthodoxen Kirche zu verstärken, und ich wünsche sehr, daß meine bevorstehende Begegnung mit Patriarch Bartholomaios I. im Phanar wirksam dazu beitragen möge. Wie das II. Vatikanische Konzil hervorhob, sucht die Kirche in gleicher Weise mit den Gläubigen und Verantwortlichen aller Religionen zusammenzuarbeiten, und insbesondere mit den Muslimen, um »gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen« (Nostra aetate NAE 3). Ich hoffe, daß meine Reise in die Türkei in dieser Hinsicht zahlreiche Früchte bringen wird.

Meine Damen und meine Herren Botschafter, auf Sie alle, auf Ihre Familien und Ihre Mitarbeiter rufe ich von Herzen den Segen des Allerhöchsten herab.
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Benedikt XVI Predigten 80