Benedikt XVI Predigten 99

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XV. WELTTAG DES KRANKEN

HL. MESSE FÜR DIE KRANKEN

AM GEDENKTAG UNSERER LIEBEN FRAU IN LOURDES


AN DIE KRANKEN NACH DER HL. MESSE Petersdom

Sonntag, 11. Februar 2007

Liebe Brüder und Schwestern!


Heute, am Gedenktag Unserer Lieben Frau in Lourdes und dem jährlichen Welttag der Kranken, treffe ich voll Freude hier in der Vatikanischen Basilika mit euch zum Abschluß der Eucharistiefeier zusammen, der Kardinal Ruini vorstand. Mein herzlicher Gruß gilt an erster Stelle ihm und dann allen hier Anwesenden: dem Erzpriester der Basilika, Erzbischof Angelo Comastri, den weiteren Bischöfen, den Priestern und den Ordensleuten. Ich grüße die Verantwortlichen und die Mitglieder der UNITALSI, die für den Transport und die Pflege der Kranken während der Wallfahrten und bei anderen wichtigen Anlässen sorgen. Ich grüße die Verantwortlichen und Pilger der »Opera Romana Pellegrinaggi« und alle, die am XV. Nationalen Kongreß für Pastoraltheologie teilnehmen, zu dem viele Besucher aus Italien und dem Ausland erwartet werden. Weiter grüße ich die Delegation der Vertreter der »Cammini d’Europa«. Aber den herzlichsten Gruß möchte ich an euch, liebe Kranke, an eure Angehörigen und an die freiwilligen Helfer richten, die mit Liebe für euch sorgen und euch auch heute begleiten. Zusammen mit euch möchte ich mich mit denen vereinen, die an diesem selbigen Tag an den vielen Feiern des Welttags der Kranken teilnehmen, der in Seoul, in Korea, stattfindet. Kardinal Javier Lozano Barragán, Präsident des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst, steht dort in meinem Namen den Feierlichkeiten vor.

Heute ist also der Gedenktag Unserer Lieben Frau in Lourdes, die vor fast 150 Jahren einem einfachen Mädchen, der hl. Bernadette Soubirous, erschienen ist und sich als die Unbefleckte Empfängnis zu erkennen gab. Die Gottesmutter hat sich auch in dieser Erscheinung als zärtliche Mutter ihrer Kinder gezeigt und daran erinnert, daß die Kleinen, die Armen die von Gott Bevorzugten sind und ihnen das Geheimnis des Himmelreiches offenbart ist. Liebe Freunde, Maria, die den Sohn mit ihrem Glauben bis unter das Kreuz begleitet hat; sie, die durch einen geheimnisvollen Plan mit den Leiden Christi, ihres Sohnes, tief verbunden war, wird es nie müde uns aufzurufen, die Erfahrung des Leidens und der Krankheit mit zuversichtlichem Vertrauen zu leben und zu teilen, indem wir diese dem Vater voll Glauben darbringen und so in unserem Fleisch das ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt (vgl. Kol Col 1,24). Dabei kommen mir die Worte in den Sinn, mit denen mein verehrter Vorgänger Paul VI. das Apostolische Schreiben Marialis cultus beendete: »Dem heutigen Menschen, der nicht selten zwischen Angst und Hoffnung hin- und hergerissen wird, von der Erfahrung seiner Grenzen niedergedrückt und von grenzenlosen Erwartungen bestürmt wird, … vermittelt die Jungfrau Maria, wenn sie in ihrer biblischen Gestalt und in der von ihr in der Stadt Gottes bereits erlangten Wirklichkeit betrachtet wird, eine hoffnungsvolle Sicht und ein ermunterndes Wort: den Sieg der Hoffnung über die Angst, der Gemeinschaft über die Einsamkeit, des Friedens über die Verwirrung, der Freude und der Schönheit über die Langeweile und den Verdruß, der ewigen Dimensionen über die zeitlichen, des Lebens über den Tod« (Nr. 57). Das sind Worte, die unseren Weg erhellen, auch wenn der Sinn für die Hoffnung und die Sicherheit der Genesung zu entschwinden scheinen; es sind Worte, von denen ich möchte, daß sie besonders diejenigen aufrichten, die an schweren und schmerzhaften Krankheiten leiden.

Eben diesen besonders betroffenen Brüdern und Schwestern widmet der heutige Welttag der Kranken seine Aufmerksamkeit. Wir möchten sie die physische und geistliche Nähe der ganzen christlichen Gemeinschaft spüren lassen. Es ist wichtig, daß wir sie nicht allein lassen, daß sie nicht vereinsamen, wenn sie eine so schwere Zeit durchmachen. Diejenigen, die ihnen mit Geduld und Liebe durch ihre berufliche Kompetenz und ihre menschliche Wärme dienen, haben große Verdienste. Ich denke an die Ärzte, die Pfleger, das Krankenpersonal, die freiwilligen Helfer, die Ordensleute und die Priester, die sich nicht schonen und sich wie der barmherzige Samariter über sie beugen, ohne auf ihren sozialen Stand, ihre Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit zu achten, sondern nur auf das, was sie nötig haben. Im Antlitz eines jeden Menschen, noch mehr, wenn es von der Krankheit gezeichnet und entstellt ist, erstrahlt das Antlitz Christi, der gesagt hat: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25,40).

Liebe Brüder und Schwestern, in Kürze wird eine stimmungsvolle Lichterprozession die Atmosphäre neu lebendig werden lassen, die in Lourdes beim Einbruch des Abends unter den Pilgern und Gläubigen entsteht. Der Gedanke geht zur Grotte von Massabielle, wo sich das menschliche Leiden und die Hoffnung, die Angst und das Vertrauen kreuzen. Wie viele Pilger finden, vom Blick der Gottesmutter getröstet, in Lourdes die Kraft, den Willen Gottes, auch wenn er sie Verzicht und Schmerz kostet, leichter zu erfüllen, dies im Bewußtsein, daß Gott – wie der Apostel Paulus schreibt – bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt (vgl. Röm Rm 8,28). Die brennende Kerze, die ihr in den Händen haltet, sei auch für euch, liebe Brüder und Schwestern, das Zeichen des aufrichtigen Verlangens, mit Jesus zu gehen, dem Glanz des Friedens, der die Finsternis erhellt und uns drängt, selbst Licht und Stütze zu sein für unseren Nächsten. Niemand, besonders wer sich in der Lage schweren Leidens befindet, darf sich einsam und verlassen fühlen. Ich vertraue euch alle heute abend der Jungfrau Maria an. Sie wurde, nachdem sie unsägliches Leiden erfahren hat, in den Himmel aufgenommen, wo sie uns erwartet und wo wir – so hoffen wir – mit ihr eines Tages die Herrlichkeit ihres göttlichen Sohnes teilen können, die Freude ohne Ende. Mit diesen Empfindungen erteile ich allen hier Anwesenden und euren Lieben meinen Segen.

AN DIE TEILNEHMER AN DEM VON DER PÄPSTLICHEN LATERANUNIVERSITÄT VERANSTALTETEN

INTERNATIONALEN KONGRESS

ÜBER DAS NATÜRLICHE SITTENGESETZ Clementina-Saal

Montag, 12. Februar 2007




Verehrte Brüder im Bischofs- und im Priesteramt,
hochgeschätzte Professoren,
sehr geehrte Damen und Herren!

Mit besonderer Freude empfange ich Sie zu Beginn der Arbeiten des Kongresses, auf dem Sie sich in den nächsten Tagen mit einem Thema beschäftigen werden, dem angesichts des aktuellen historischen Augenblicks erhebliche Bedeutung zukommt: dem natürlichen Sittengesetz. Ich danke Erzbischof Rino Fisichella, Rector Magnificus der Päpstlichen Lateranuniversität, für die Gedanken, die er in der Grußadresse zur Einführung dieser Begegnung formuliert hat.

Es steht außer Zweifel, daß wir einen Moment der außerordentlichen Entfaltung in der Fähigkeit des Menschen, die Gesetze und Strukturen der Materie zu entschlüsseln, und in der daraus folgenden Herrschaft des Menschen über die Natur erleben. Wir sehen alle die großen Vorteile dieses Fortschritts, wir sehen aber auch immer mehr die drohenden Gefahren einer Zerstörung der Natur durch die Macht unseres Tuns. Es gibt noch eine weitere, weniger sichtbare, aber nicht weniger beunruhigende Gefahr: Die Methode, die es uns erlaubt, die vernünftigen Strukturen der Materie immer gründlicher zu erkennen, macht uns immer unfähiger, die Quelle dieser Vernünftigkeit, die schöpferische Vernunft, zu sehen. Die Fähigkeit, die Gesetze des materiellen Seins zu erkennen, macht uns unfähig, die im Sein enthaltene ethische Botschaft zu sehen, die von der Tradition »lex naturalis«, natürliches Sittengesetz, genannt wird. Dieses Wort ist heute für viele beinahe unverständlich; der Grund dafür liegt in einem Naturbegriff, der nicht mehr metaphysisch, sondern rein empirisch ist. Die Tatsache, daß die Natur, das Sein selbst nicht mehr transparent für eine moralische Botschaft ist, erzeugt ein Gefühl von Orientierungslosigkeit, das die Entscheidungen des täglichen Lebens prekär und unsicher macht. Die Verwirrung bedrängt natürlich in besonderer Weise die jüngeren Generationen, die in diesem Kontext die grundlegenden Entscheidungen für ihr Leben finden müssen.

Im Lichte dieser Feststellungen wird mit aller Dringlichkeit die Notwendigkeit sichtbar, über das Naturrecht nachzudenken und seine Wahrheit, die allen Menschen gemeinsam ist, wiederzuentdecken. Dieses Gesetz, auf das auch der Apostel Paulus hinweist (vgl. Röm 2,14–15), ist in das Herz des Menschen eingeschrieben und ist folglich auch heute nicht einfach unzugänglich. Dieses Gesetz hat als sein erstes und allgemeinstes Prinzip das »Tue das Gute und meide das Böse!« Das ist eine für jeden unmittelbar offenkundige Wahrheit. Ihr entspringen dann die anderen, spezifischeren Prinzipien, die das ethische Urteil über die Rechte und Pflichten jedes Einzelnen regulieren. Ein solches Prinzip ist die Achtung vor dem menschlichen Leben von seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende, da dieses Gut des Lebens nicht verfügbares Eigentum des Menschen, sondern unentgeltliches Geschenk Gottes ist. Ein solches Prinzip ist auch die Pflicht, nach der Wahrheit zu suchen – notwendige Voraussetzung jeder echten Reifung der Person. Eine weitere grundlegende Instanz des Subjekts ist die Freiheit. Wenn man jedoch der Tatsache Rechnung trägt, daß die menschliche Freiheit immer eine mit anderen geteilte Freiheit ist, ist klar, daß der Einklang der Freiheiten nur in dem gefunden werden kann, was allen gemeinsam ist, also in der Wahrheit über den Menschen, in der fundamentalen Botschaft des Seins selbst, eben in der »lex naturalis«. Und wie könnte man einerseits das Bedürfnis nach Gerechtigkeit unerwähnt lassen, das sich darin zeigt, »unicuique suum«, jedem das Seine, zu geben, und andererseits die Erwartung der Solidarität, die in jedem, besonders wenn er bedürftig ist, die Hoffnung auf Hilfe von seiten derer nährt, denen ein besseres Los beschieden war? In diesen Werten kommen unabdingbare, zwingende Normen zum Ausdruck, die nicht vom Willen des Gesetzgebers und auch nicht vom Konsens abhängen, den ihnen die Staaten einräumen. Es sind in der Tat Normen, die jeglichem menschlichen Gesetz vorangehen: Als solche lassen sie von keiner Seite Eingriffe zur Derogation, das heißt zur teilweisen Außerkraftsetzung des Gesetzes zu.

Das Naturrecht ist die Quelle, aus der zusammen mit Grundrechten auch sittliche Gebote entspringen, deren Einhaltung verpflichtend ist. In der derzeitigen Ethik und Rechtsphilosophie sind die Postulate des Rechtspositivismus weit verbreitet. Die Folge davon ist, daß die Gesetzgebung häufig lediglich zu einem Kompromiß zwischen verschiedenen Interessen wird: Man versucht, private Interessen oder Wünsche, die den aus der sozialen Verantwortung erwachsenden Verpflichtungen zuwiderlaufen, in Rechte umzuwandeln. In dieser Situation ist es angebracht, daran zu erinnern, daß jede Rechtsordnung, sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene, ihre Rechtmäßigkeit letztlich aus ihrer Verwurzelung im Naturrecht, in der in das Sein des Menschen selbst eingeschriebenen ethischen Botschaft bezieht. Das Naturrecht ist schließlich das einzige gültige Bollwerk gegen die Willkür der Macht oder die Täuschungen der ideologischen Manipulation. Die Kenntnis dieses Gesetzes, das in das Herz des Menschen eingeschrieben ist, wächst mit dem Fortschreiten des Gewissens. Die erste Sorge aller und insbesondere jener, die öffentliche Verantwortung tragen, müßte deshalb darin bestehen, das Reifen des Gewissens zu fördern. Das ist der grundlegende Fortschritt, ohne den sich alle anderen Fortschritte schließlich als unecht herausstellen. Das in unsere Natur eingeschriebene Gesetz ist die jedem angebotene Garantie dafür, frei und in seiner Würde geachtet leben zu können. Das bisher Gesagte findet sehr konkrete Anwendungen, wenn man es auf die Familie bezieht, das heißt auf jene »innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe in der Ehe, die vom Schöpfer begründet und mit eigenen Gesetzen geschützt « worden ist (II. Vatikan. Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes GS 48). Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesbezüglich in geeigneter Weise bekräftigt, daß die Ehe »eine nach göttlicher Ordnung feste Institution« und damit »dieses heilige Band« ist, das »im Hinblick auf das Wohl der Gatten und der Nachkommenschaft sowie auf das Wohl der Gesellschaft nicht mehr menschlicher Willkür unterliegt« (ebd.). Kein von den Menschen gemachtes Gesetz kann daher die vom Schöpfer geschriebene Norm umstürzen, ohne daß die Gesellschaft auf dramatische Weise in dem verletzt wird, was ihre eigentliche Grundlage darstellt. Dies zu vergessen, würde bedeuten, daß man die Familie schwächt, die Kinder benachteiligt und die Zukunft der Gesellschaft unsicher macht.

Schließlich empfinde ich es als meine Pflicht, noch einmal zu bekräftigen, daß nicht alles, was wissenschaftlich machbar ist, auch ethisch erlaubt ist. Wenn die Technik den Menschen auf ein Experimentierobjekt reduziert, liefert sie am Ende das schwache Subjekt der Willkür des Stärkeren aus. Sich der Technik als einzigem Garanten des Fortschritts blind anzuvertrauen, ohne gleichzeitig einen ethischen Kodex zu bieten, der seine Wurzeln in derselben Wirklichkeit hat, die erforscht und entfaltet wird, wäre gleichbedeutend damit, der menschlichen Natur Gewalt anzutun, mit verheerenden Folgen für alle. Der Beitrag der Wissenschaftler ist von entscheidender Bedeutung. Zusammen mit den Fortschritten, die sie bei unseren Fähigkeiten zur Beherrschung der Natur erzielen, müssen die Wissenschaftler auch einen Beitrag leisten, um uns zu helfen, unsere Verantwortung für den Menschen und die ihm anvertraute Natur in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen. Auf dieser Grundlage ist es möglich, einen fruchtbaren Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, unter Theologen, Philosophen, Juristen und Wissenschaftlern zu entwickeln, die auch dem Gesetzgeber wertvolles Material für das persönliche und soziale Leben liefern können. Ich wünsche mir daher, daß diese Studientage nicht nur zu einer größeren Sensibilität der Gelehrten gegenüber dem natürlichen Sittengesetz beitragen können, sondern auch die Schaffung der Voraussetzungen anstoßen mögen, damit man über diese Thematik zu einem immer gründlicheren Bewußtsein des unveräußerlichen Wertes gelange, den die »lex naturalis« für einen wirklichen und kohärenten Fortschritt des persönlichen Lebens und der sozialen Ordnung besitzt. Mit diesem Wunsch versichere ich Sie meines Gedenkens im Gebet für Sie und für Ihr akademisches Engagement in Forschung und Reflexion, während ich allen von Herzen den Apostolischen Segen erteile.

AN DIE APOSTOLISCHEN NUNTIEN IN LATEINAMERIKA Samstag, 17. Februar 2007

Verehrte Mitbrüder!


Es ist mir eine Freude, euch am Ende eurer Tagung zur Vorbereitung der 5. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe zu empfangen. Ich grüße jeden einzelnen, beginnend bei meinem Staatssekretär, Herrn Kardinal Tarcisio Bertone, dem ich für die Worte danke, mit denen er die gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat. Ich danke den Vorsitzenden Herren Kardinälen des CELAM und den Verantwortlichen der Dikasterien der Römischen Kurie, die ihren Beitrag zu euren Arbeiten angeboten haben. Ich nutze vor allem diese Gelegenheit, um euch, den anwesenden Apostolischen Nuntien, und allen päpstlichen Vertretern meine Wertschätzung für den wichtigen kirchlichen Dienst auszusprechen, den ihr leistet. Und das tut ihr oft unter vielen Schwierigkeiten, sei es auf Grund der weiten Entfernung vom Herkunftsland, der häufigen Reisen und manchmal auch wegen der sozialpolitischen Spannungen an dem Ort, wo ihr arbeitet. In der Erfüllung eurer delikaten Aufgabe, die sicher immer vom tiefen Geist des Glaubens belebt ist, soll sich jeder von euch von der Hochschätzung, der Liebe und dem Gebet des Papstes begleitet wissen.

Jeder Apostolische Nuntius ist berufen, die Bande der Gemeinschaft zwischen den Teilkirchen und dem Nachfolger Petri zu festigen. Ihm ist die Verantwortung übertragen, zusammen mit den Hirten und dem ganzen Volk Gottes den Dialog und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft zu fördern, um das Gemeinwohl zu verwirklichen. Die päpstlichen Repräsentanten verkörpern die Anwesenheit des Papstes, der sich durch sie denen zuwendet, die er nicht persönlich treffen kann, und besonders denjenigen, die in Schwierigkeiten sind und leiden. Euer Auftrag, liebe Mitbrüder, ist ein Dienst der kirchlichen Gemeinschaft und ein Dienst am Frieden und an der Eintracht in der Kirche und unter den Völkern. Seid euch immer der Bedeutung, der Größe und der Schönheit eurer Mission bewußt, und bemüht euch ohne Unterlaß, sie mit hochherziger Hingabe zu verwirklichen.

Die göttliche Vorsehung hat euch, die ihr hier anwesend seid, berufen, euren Dienst in Lateinamerika zu leisten, das vom geliebten Johannes Paul II. – der es mehrmals besucht hat – »Kontinent der Hoffnung« genannt wurde. Ich werde die Freude haben, so Gott will, mit der Wirklichkeit dieser Länder Kontakt aufzunehmen, wenn ich im kommenden Mai, sollte es Gott gefallen, an der Eröffnung der 5. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Aparecida, in Brasilien, teilnehme. In gewisser Weise ist diese Versammlung eine Zusammenfassung und Fortsetzung der vorhergegangenen Generalversammlungen, während sie von den vielen »nachkonziliaren« Geschenken des päpstlichen Lehramtes – wir denken insbesondere an das postsynodale Apostolische Schreiben Ecclesia in America – sowie von den Früchten des synodalen Weges der katholischen Kirche bereichert wird. Aufgabe ist es, die großen Prioritäten festzulegen und einen neuen Aufschwung der Sendung der Kirche bei den lateinamerikanischen Völkern unter den konkreten Umständen des beginnenden 21. Jahrhunderts zu bewirken. Diese Zusammenfassung verweist auf die Tradition der Katholizität, die dank einer außerordentlichen Geschichte der Mission gegenwärtig geworden ist, geprägt von einer kulturellen Struktur, die bis heute die lateinamerikanische Identität kennzeichnet. Das ist die ursprüngliche Berufung von Völkern – wie mein verstorbener Vorgänger Johannes Paul II. in Santo Domingo sagte –, »die der gleiche geographische Raum, der christliche Glaube, die Sprache und Kultur ein für allemal auf dem Weg der Geschichte vereint haben« (Ansprache bei der Eröffnung der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe, 12.10.1992, 15; O.R. dt., Nr. 43, v. 23.10.1992, S. 9).

Ausgehend vom Thema dieser wichtigen Versammlung: »Jünger und Missionare Jesu Christi, damit unsere Völker in Ihm das Leben haben«, hattet auch ihr in diesen Tagen Gelegenheit, einige Herausforderungen darzustellen, denen die Kirche im weiten lateinamerikanischen Raum begegnet, der in die Weltdynamik eingefügt und immer mehr von den Auswirkungen der Globalisierung bedingt ist. Angesichts dieser Herausforderung suchen die Nationen, aus denen sich dieses Gebiet zusammensetzt, in vielerlei Weise, die eigene Identität und ihr Gewicht auf dem Weg der Geschichte der Welt von heute zu bekräftigen; nicht selten unter vielen Schwierigkeiten versuchen sie, den inneren Frieden ihrer Nation zu festigen. Weil sie sich als »Schwestern« fühlen, wollen sie auch eine im Frieden, in der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung verbundene Gemeinschaft werden. Die Kirche, Zeichen und Werkzeug der Einheit für die ganze Menschheit (vgl. Lumen gentium LG 1), stimmt natürlich mit jedem berechtigten Bestreben der Völker nach größerer Harmonie und Zusammenarbeit überein und leistet den ihr eigenen Beitrag, das heißt den des Evangeliums. Die Kirche hofft, daß in den lateinamerikanischen Ländern, wo die Verfassungen sich darauf beschränken, die Glaubens- und Kultfreiheit »zu gewähren«, aber noch nicht die Religionsfreiheit »anerkennen«, so bald wie möglich die wechselseitigen Beziehungen festgelegt werden können, die auf den Prinzipien der Autonomie und der guten achtungsvollen Zusammenarbeit gründen. Das wird der kirchlichen Gemeinschaft erlauben, alle ihre Kräfte zu entfalten zum Wohl der Gesellschaft und jedes einzelnen Menschen, der als Abbild Gottes geschaffen ist. Eine korrekte rechtliche Formulierung dieser Beziehungen wird nicht umhin können, der geschichtlichen, geistlichen, kulturellen und sozialen Rolle Rechnung zu tragen, die die katholische Kirche in Lateinamerika spielt.

Diese Rolle hat weiterhin Vorrang, auch dank der glücklichen Verschmelzung zwischen der alten und reichen Sensibilität der Ureinwohner mit dem Christentum und mit der modernen Kultur. In manchen Bereichen, das wissen wir, wird ein Kontrast zwischen dem Reichtum und der Tiefe der vorkolumbischen Kulturen und dem christlichen Glauben behauptet, der wie ein äußerer Zwang oder eine Entfremdung für die Völker Lateinamerikas dargestellt wird. In Wirklichkeit war das Zusammentreffen zwischen diesen Kulturen und dem Glauben an Christus eine Antwort auf die inneren Erwartungen dieser Kulturen. Deshalb ist diese Begegnung nicht zu verleugnen, sondern zu vertiefen; sie hat die wahre Identität der Völker Lateinamerikas geschaffen. In der Tat ist die katholische Kirche die Institution, die bei den lateinamerikanischen Völkern das größte Ansehen genießt. Sie ist aktiv im Leben der Menschen, geschätzt auf Grund der Arbeit, die sie in den Bereichen der Bildung, der Gesundheit, der Solidarität für die Notleidenden leistet. Die Hilfe für die Armen und die Bekämpfung der Armut sind und bleiben grundlegend und vorrangig im Leben der Kirchen in Lateinamerika. Die Kirche ist auch aktiv, wenn es zu vermitteln gilt; sie wird nicht selten bei inneren Konflikten darum gebeten. Aber eine so gefestigte Präsenz muß heute unter anderem dem Proselytismus seitens der Sekten und dem wachsenden Einfluß des postmodernen hedonistischen Säkularismus Rechnung tragen. Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, warum die Sekten eine so große Anziehungskraft besitzen, um die angemessenen Antworten zu finden. Angesichts der Herausforderungen in diesem geschichtlichen Augenblick sind unsere Gemeinden aufgerufen, ihre Treue zu Christus zu festigen, um Zeugnis zu geben von einem reifen Glauben, der von Freude erfüllt ist; und trotz aller Probleme sind die Möglichkeiten außerordentlich. Und wirklich außerordentlich sind die geistlichen Potentialitäten, aus denen Lateinamerika schöpfen kann, wo die Geheimnisse des Glaubens mit tiefer Frömmigkeit gefeiert werden und die Hoffnung auf die Zukunft vom Anstieg der Priester- und Ordensberufe genährt wird. Natürlich ist es notwendig, die jungen Menschen auf dem Weg der Berufung mit großer Aufmerksamkeit zu begleiten und den Priestern und Ordensleuten zu helfen, daß sie an ihrer Berufung festhalten. Die Jugendlichen, die mehr als zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, sind ein riesiges Potential der Mission und Evangelisierung, während die Familie »ein erstrangiges Kennzeichen der lateinamerikanischen Kultur« bleibt, wie mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. bei dem Treffen in Puebla in Mexiko im Januar 1979 gesagt hat.

Vorrangige Aufmerksamkeit verdient gerade die Familie, die dem Druck von »Lobbies« nachzugeben scheint, die imstande sind, die legislativen Prozesse negativ zu beeinflussen. Ehescheidungen und freie Partnerschaften nehmen zu, während der Ehebruch mit nicht zu rechtfertigender Toleranz gesehen wird. Es ist zu betonen, daß die Ehe und die Familie im innersten Kern der Wahrheit über den Menschen und seine Bestimmung gründen; nur auf dem Fels der treuen, festen ehelichen Liebe zwischen einem Mann und einer Frau kann eine menschenwürdige Gemeinschaft aufgebaut werden. Ich würde gern noch andere religiöse und soziale Thematiken hervorheben, über die nachzudenken ihr Gelegenheit hattet. Davon möchte ich nennen: das Phänomen der Migration, das eng mit der Familie verbunden ist; die Bedeutung der Schule und die Aufmerksamkeit für die Werte und das Gewissen, um reife Laien heranzubilden, die imstande sind, einen qualifizierten Beitrag im sozialen und zivilen Leben zu leisten; die Erziehung der Jugendlichen durch angemessene Berufungspastoral, die vor allem die Seminaristen und die Kandidaten für das geweihte Leben auf ihrem Bildungsweg begleitet; das Bemühen, die öffentliche Meinung über die großen ethischen Fragen entsprechend den Prinzipien des kirchlichen Lehramtes zu informieren; eine wirksame Präsenz im Bereich der Kommunikationsmittel, auch um den Herausforderungen der Sekten zu begegnen. Eine wertvolle Ressource für das Apostolat bilden sicher die kirchlichen Bewegungen, aber ihnen muß geholfen werden, damit sie immer dem Evangelium und der Lehre der Kirche treu bleiben, auch wenn sie im sozialen und politischen Bereich tätig sind. Ich fühle mich besonders verpflichtet zu betonen, daß es nicht den Klerikern, sondern den reifen und beruflich qualifizierten Laien zusteht, soziale oder politische Vereinigungen anzuführen.

Liebe Mitbrüder, ihr habt in diesen Tagen zusammen nachgedacht und miteinander Gespräche geführt. Ihr habt vor allem zusammen gebetet. Bitten wir den Herrn durch die Fürsprache Marias, daß die Früchte eurer Tagung und der kommenden Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe zum Wohl der ganzen Kirche gereichen. Ich danke euch nochmals für die von euch vollbrachte Arbeit. Wenn ihr in eure Länder zurückkehrt, sprecht den Hirten und den christlichen Gemeinschaften, den Regierungen und der Bevölkerung meine herzliche Zuneigung aus. Versichert eure Mitarbeiter, die Ordensfrauen und alle, die zum guten Arbeitsverlauf der Nuntiaturen beitragen, der geistlichen Nähe des Papstes. Allen und jedem einzelnen erteile ich von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.
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BESUCH IM RÖMISCHEN PRIESTERSEMINAR

ANLÄSSLICH DES FESTES DER "GOTTESMUTTER VOM VERTRAUEN"

BEGEGNUNG VON BENEDIKT XVI.

MIT DEN SEMINARISTEN Samstag, 17. Februar 2007

FRAGEN DER SEMINARISTEN

UND ANTWORTEN DES HL. VATERS



GREGORPAOLO STANO: DIÖZESE ORIA, 1. Studienjahr (2. Jahr Philosophie)

1. Eure Heiligkeit, wir stehen im ersten der zwei Jahre, die der Entscheidungsfindung gewidmet sind; während dieses Jahres sind wir damit beschäftigt, unsere Person gründlich zu erforschen. Das ist für uns eine mühsame Übung, weil die Sprache Gottes etwas ganz Eigenes ist, und nur wer aufmerksam ist, vermag sie unter den Tausenden von Stimmen zu erfassen, die in uns widerhallen. Wir bitten Sie also, uns verstehen zu helfen, wie Gott konkret zu uns spricht und welche Spuren er durch sein verborgenes Sprechen hinterläßt.

Benedikt XVI.: Zuallererst ein Wort des Dankes an den hochwürdigen Herrn Rektor für seine Ansprache. Ich bin schon neugierig, jenen Text, den ihr schreiben werdet, kennenzulernen und so auch etwas zu lernen. Ich bin nicht sicher, daß ich die wesentlichen Punkte des Seminarlebens zu klären vermag, aber alles, was ich sagen kann, sage ich.

Nun zu dieser ersten Frage: Wie können wir unter den Tausenden von Stimmen, die wir jeden Tag in unserer Welt hören, die Stimme Gottes erkennen? Ich würde sagen: Gott spricht auf ganz verschiedene Weisen zu uns. Er spricht durch andere Menschen, durch Freunde, durch die Eltern, den Pfarrer, die Priester. Hier sind es die Priester, denen ihr anvertraut seid, die euch leiten. Er spricht durch die Ereignisse unseres Lebens, in denen wir eine Geste Gottes erkennen können; er spricht auch durch die Natur, die Schöpfung, und er spricht natürlich und vor allem in seinem Wort, in der Heiligen Schrift, die in der Gemeinschaft der Kirche und im persönlichen Gespräch mit Gott gelesen wird.

Es ist wichtig, die Heilige Schrift einerseits in sehr persönlicher Weise zu lesen und, wie der hl. Paulus sagt, nicht wie das Wort irgendeines Menschen oder wie ein Dokument aus der Vergangenheit, etwa so wie wir Homer oder Vergil lesen, sondern eben als Wort Gottes, das immer aktuell ist und zu mir spricht. Wir müssen lernen, in einem historisch aus der Vergangenheit stammenden Text das lebendige Wort Gottes zu vernehmen, das heißt wir sollen eintreten in das Gebet und so die Lektüre der Heiligen Schrift zu einem Gespräch mit Gott machen.

Der hl. Augustinus sagt in seinen Homilien oft: Ich habe mehrmals an die Tür dieses Wortes geklopft, bis ich hören konnte, was Gott selbst zu mir sagte. Auf der einen Seite steht diese sehr persönliche Lektüre, dieses persönliche Gespräch mit Gott, in dem ich danach suche, was der Herr mir sagt. Von großer Bedeutung ist, zusammen mit dieser persönlichen Lektüre, die gemeinschaftliche Schriftlesung, weil das lebendige Subjekt der Heiligen Schrift das Volk Gottes, die Kirche, ist.

Die Heilige Schrift war keine reine Privatangelegenheit großer Schriftsteller – auch wenn der Herr immer den Menschen, seine persönliche Antwort braucht – , sondern sie ist mit Personen gewachsen, die in den Weg des Gottesvolkes einbezogen waren, und auf diese Weise sind ihre Worte Ausdruck dieses Weges, dieser Wechselseitigkeit des Rufes Gottes und der menschlichen Antwort.

Also: Das Subjekt lebt heute, wie es zu jener Zeit gelebt hat; demnach gehört die Heilige Schrift nicht der Vergangenheit an, weil ihr Subjekt, das von Gott selbst inspirierte Volk Gottes, immer dasselbe ist, und daher ist das Wort immer im lebenden Subjekt lebendig. Es ist darum wichtig, die Heilige Schrift in der Gemeinschaft der Kirche zu lesen und zu hören, das heißt mit allen großen Zeugen dieses Wortes, von den ersten Kirchenvätern bis zu den Heiligen von heute und dem Lehramt von morgen.

Es ist vor allem ein Wort, das in der Liturgie lebensspendend wird und lebt; deshalb, würde ich sagen, ist die Liturgie der bevorzugte Ort, wo jeder von uns im Gespräch mit Gott in das »Wir« der Kinder Gottes eintritt. Das ist wichtig: Das Vaterunser beginnt mit den Worten Vater unser; nur wenn ich in das »Wir« dieses »Unser« aufgenommen werde, kann ich den Vater finden; nur innerhalb dieses »Wir«, dem Subjekt des Vaterunser- Gebetes, hören wir das Wort Gottes richtig. Deshalb scheint mir Folgendes so wichtig zu sein: Die Liturgie ist der bevorzugte Ort, wo das Wort lebendig und gegenwärtig ist, ja, wo das Wort, der »Logos«, der Herr, zu uns spricht und sich in unsere Hände gibt. Wenn wir in dieser großen Gemeinschaft der Kirche aller Zeiten auf den Herrn hören, dann finden wir ihn.

Er öffnet uns allmählich die Tür. Ich würde also sagen, das ist der Punkt, auf den sich alle anderen konzentrieren: Wir werden auf unserem Weg persönlich vom Herrn geleitet, und gleichzeitig leben wir in dem großen »Wir« der Kirche, wo das Wort Gottes lebt.

Dann schließen sich die anderen Punkte an: Wir hören die Freunde, wir hören die Priester, die uns leiten, wir hören die lebendige Stimme der Kirche von heute und so auch die Stimme der Geschehnisse unserer Zeit und der Schöpfung, die sich in diesem tieferen Zusammenhang entschlüsseln lassen.

Zusammenfassend würde ich daher sagen: Gott spricht auf vielerlei Weise mit uns. Wichtig ist einerseits, im »Wir« der Kirche, in dem in der Liturgie gelebten »Wir« zu bleiben. Es ist wichtig, diesem »Wir« in uns selbst persönliche Gestalt zu geben, auf die anderen Stimmen des Herrn zu hören, uns auch leiten zu lassen von Menschen, die sozusagen Erfahrung mit Gott haben und uns auf diesem Weg helfen, damit dieses »Wir« zu meinem »Wir« wird und ich einer werde, der wirklich zu diesem »Wir« gehört. So wächst die Erkenntnis und wächst die persönliche Freundschaft mit Gott, die Fähigkeit, in den Tausenden von Stimmen heute die Stimme Gottes zu vernehmen, der immer gegenwärtig ist und immer zu uns spricht.



CLAUDIO FABBRI: DIÖZESE ROM, 2. Studienjahr (2. Jahr Philosophie)

2. Heiliger Vater, wie war Ihr Leben in der Zeit der Ausbildung zum Priestertum gegliedert und welche Interessen pflegten Sie? Welches sind in Anbetracht der gemachten Erfahrung die Angelpunkte der Ausbildung zum Priesterberuf? Welchen Platz nimmt insbesondere Maria darin ein?

Benedikt XVI.: Ich denke, daß unser Leben im Priesterseminar in Freising sehr ähnlich gegliedert war wie das eure, auch wenn ich euren Tagesplan nicht genau kenne. Wenn ich mich recht erinnere, standen wir um 6.30 Uhr auf, dann folgte um 7 Uhr eine halbstündige Meditation, bei der ein jeder im Stillen mit dem Herrn sprach und so versuchte, sich geistig auf die Heilige Liturgie vorzubereiten. Dann folgte die heilige Messe, das Frühstück und dann am Vormittag die Vorlesungen.

Am Nachmittag gab es Seminare, Studienzeiten und dann noch das gemeinsame Gebet. Am Abend waren die sogenannten »puncta« angesetzt, das heißt, der Spiritual oder der Rektor des Seminars sprachen an den verschiedenen Abenden mit uns, um uns zu helfen, den Weg der Meditation zu finden, indem sie uns nicht eine fertige Meditation vorlegten, sondern uns Elemente an die Hand gaben, die jedem dabei helfen konnten, die Worte des Herrn, die Gegenstand unserer Meditation sein sollten, zur persönlichen Betrachtung zu machen.

So ging es Tag für Tag. Dann gab es natürlich die großen Feste mit einer schönen Liturgie, mit Musik … Aber sehr wichtig zu sein scheint mir – und vielleicht werde ich am Ende noch einmal darauf zurückkommen –, eine Ordnung zu haben, die vor mir da ist, und mir nicht jeden Tag von neuem ausdenken zu müssen, was ich tun muß, wie ich leben soll; es gibt eine Regel, eine Ordnung, die schon auf mich wartet und mir hilft, diesen Tag geordnet zu leben.

Was nun meine Vorlieben betrifft, so folgte ich natürlich, so weit ich es konnte, aufmerksam den Vorlesungen. Am Beginn, in den beiden ersten Jahren in der Philosophie hat mich von Anfang an vor allem die Gestalt des hl. Augustinus fasziniert und dann auch die augustinische Strömung im Mittelalter: der hl. Bonaventura, die großen Franziskaner, die Gestalt des hl. Franz von Assisi.

Faszinierend war für mich vor allem die große Menschlichkeit des hl. Augustinus, der ja nicht die Möglichkeit hatte, sich einfach mit der Kirche zu identifizieren, weil er von Anfang an Katechumene gewesen wäre, sondern geistig kämpfen mußte, um allmählich den Zugang zum Wort Gottes, zum Leben mit Gott zu finden, bis hin zum großen Ja, das er zu seiner Kirche gesprochen hat.

Dieser so menschliche Weg, an dem wir auch heute sehen können, wie man beginnt, mit Gott in Kontakt zu treten, wie alle Widerstände unserer Natur ernstgenommen werden und dann auch in die rechte Bahn geleitet werden müssen, um zu dem großen Ja zum Herrn zu gelangen. So hat mich seine sehr persönliche, vor allem in seinen Predigten entwickelte Theologie eingenommen. Das ist wichtig, weil Augustinus anfangs ein rein kontemplatives Leben führen, andere philosophische Bücher schreiben wollte…, aber der Herr hat das nicht gewollt, er hat ihn zum Priester und Bischof gemacht, und so hat sich sein ganzes übriges Leben, sein Werk im Grunde genommen im Dialog mit einem ganz einfachen Volk entwickelt. Er mußte einerseits immer persönlich die Bedeutung der Schrift finden und andererseits der Aufnahmefähigkeit dieser Leute, ihrem Lebensumfeld Rechnung tragen und zu einem realistischen und gleichzeitig sehr tiefen Christentum gelangen.

Sodann war für mich natürlich die Exegese von großer Bedeutung: Wir hatten zwei Exegeten, die etwas liberal, aber dennoch große, auch wirklich glaubwürdige Exegeten waren, die uns fasziniert haben. Ich kann wirklich sagen, die Heilige Schrift war die Seele unseres Theologiestudiums: Wir haben mit der Heiligen Schrift gelebt und sie lieben, mit ihr reden gelernt. Dazu kam die Patrologie, die Begegnung mit den Kirchenvätern. Auch unser Dogmatikprofessor war ein damals sehr berühmter Mann, der seine Dogmatik mit den Vätern und mit der Liturgie gespeist hatte. Ein ganz zentraler Punkt war für uns die liturgische Ausbildung: Zur damaligen Zeit gab es zwar noch keine Lehrstühle für Liturgie, aber unser Professor für Pastoral hat uns großartige Liturgiekurse gehalten, und da er damals auch Rektor des Seminars war, liefen so die gelebte und gefeierte Liturgie und die gelehrte und durchdachte Liturgie zusammen. Das waren, zusammen mit der Heiligen Schrift, die Brennpunkte unserer theologischen Ausbildung. Dafür bin ich dem Herrn immer dankbar, denn sie bilden wirklich das Zentrum eines priesterlichen Lebens.

Mein weiteres Interesse galt der Literatur: Es war Pflicht, Dostojewski zu lesen, der damals in Mode war; dann die großen Franzosen: Claudel, Mauriac, Bernanos, aber auch die deutsche Literatur; es gab auch eine deutsche Ausgabe des Manzoni: Zu der Zeit sprach ich noch nicht Italienisch. So haben wir in diesem Sinn auch ein wenig unseren menschlichen Horizont geformt. Sehr geliebt habe ich auch die Musik sowie die Schönheit der Natur unseres Landes. Mit diesen Vorlieben, mit diesen Realitäten bin ich auf einem nicht immer leichten Weg vorangegangen. Der Herr hat mir geholfen, zum Ja des Priestertums zu gelangen, ein Ja, das mich jeden Tag meines Lebens begleitet hat.



GIANPIERO SAVINO: DIÖZESE TARANTO, 3. Studienjahr (2. Jahr Theologie)

3. In den Augen der meisten mögen wir als junge Männer erscheinen, die entschlossen und mutig ihr Ja sprechen und alles hinter sich lassen, um dem Herrn zu folgen; aber wir wissen, daß wir von einer echten Übereinstimmung mit jenem Ja ziemlich weit entfernt sind. Im Vertrauen von Söhnen gestehen wir Ihnen die Befangenheit unserer Antwort auf den Ruf Jesu und die tägliche Mühe, eine Berufung zu leben, von der wir wissen, daß sie uns auf den Weg der Endgültigkeit und Totalität führt. Was können wir tun, um auf eine so anspruchsvolle Berufung wie jene von Hirten des heiligen Volkes Gottes zu antworten, während wir ständig unsere Schwachheit und Unschlüssigkeit spüren?

Benedikt XVI.: Es ist gut, die eigene Schwachheit zu erkennen, weil wir so wissen, daß wir der Gnade des Herrn bedürfen. Der Herr tröstet uns. Im Apostelkollegium gab es nicht nur den Judas, sondern auch die guten Apostel, und trotzdem ist Petrus gefallen, und viele Male tadelt der Herr die Trägheit, die Verschlossenheit des Herzens der Apostel, ihren geringen Glauben. Er zeigt uns also, daß sich keiner von uns nur auf der Höhe dieses großen Ja befindet, auf der Höhe, »in persona Christi« die heilige Messe zu feiern, konsequent in diesem Rahmen zu leben, mit Christus in seiner Sendung als Priester verbunden zu sein.

Der Herr hat uns zu unserem Trost auch die Gleichnisse geschenkt: vom Netz mit guten und schlechten Fischen, vom Acker, wo der Weizen, aber auch das Unkraut wächst. Er läßt uns wissen, daß er gekommen ist, um uns in unserer Schwachheit zu helfen, und daß er, wie er sagt, nicht gekommen ist, um die Gerechten zu rufen, jene, die sich anmaßen, schon vollkommen gerecht zu sein, nicht der Gnade zu bedürfen, jene, die während sie beten, sich selbst loben; sondern er ist gekommen, um jene zu rufen, die wissen, daß sie mit Fehlern behaftet sind, jene herauszufordern, die wissen, daß sie jeden Tag der Vergebung des Herrn, seiner Gnade bedürfen, um weiterzumachen.

Folgendes erscheint mir also sehr wichtig: Zu erkennen, daß wir eine ständige Umkehr nötig haben, daß wir nie einfach angekommen sind. Der hl. Augustinus dachte in der Stunde der Bekehrung, er sei nun auf der Höhe des Lebens mit Gott angekommen, auf der Höhe der Schönheit der Sonne, die sein Wort ist. Dann aber mußte er erkennen, daß auch der Weg nach der Bekehrung ein Weg der Umkehr bleibt, daß er ein Weg bleibt, wo die großartigen Perspektiven, die Freuden, das Licht des Herrn, aber auch dunkle Täler nicht fehlen, wo wir vertrauensvoll vorangehen müssen, indem wir uns auf die Güte des Herrn stützen.

Und deshalb ist auch das Sakrament der Versöhnung so wichtig. Es ist nicht richtig zu meinen, wir müßten so leben, daß wir niemals Vergebung brauchen. Unsere Schwachheit annehmen, aber auf dem Weg bleiben, nicht kapitulieren, sondern vorangehen und uns durch das Sakrament der Versöhnung immer wieder bekehren für einen Neuanfang und auf diese Weise für den Herrn wachsen, reifen in unserer Gemeinschaft mit ihm.

Es ist natürlich auch wichtig, sich nicht zu isolieren, nicht zu denken, man könne allein vorankommen. Wir brauchen den Umgang mit befreundeten Priestern, aber auch mit Freunden aus dem Laienstand, die uns begleiten, uns helfen. Gerade für einen Priester in der Pfarrei ist es von großer Bedeutung, zu sehen, daß die Menschen Vertrauen zu ihm haben, und zugleich mit ihrem Vertrauen auch ihre hochherzige Bereitschaft zu erfahren, ihm seine Schwächen zu verzeihen. Die wahren Freunde fordern uns heraus und helfen uns, treu zu sein auf diesem Weg. Mir scheint, daß uns diese Gedulds- und Demutshaltung helfen kann, zu den anderen gut zu sein, Verständnis für die Schwächen der anderen zu haben, auch ihnen dabei zu helfen, zu vergeben, wie wir vergeben.

Ich glaube, keine Indiskretion zu begehen, wenn ich euch sage, daß ich heute einen schönen Brief von Kardinal Martini erhalten habe: Ich hatte ihm zu seinem 80. Geburtstag meine Glückwünsche übermittelt – wir sind gleich alt. In seinem Dankbrief hat er mir geschrieben: Ich danke dem Herrn vor allem für die Gabe der Ausdauer. Heute – schreibt er – tut man auch das Gute eher »ad tempus«, »ad experimentum«, also versuchsweise. Das Gute aber kann man, seinem Wesen entsprechend, nur endgültig tun; um es endgültig zu tun, brauchen wir die Gnade der Ausdauer; ich bete jeden Tag darum – so schließt er – , daß mir der Herr diese Gnade schenke.

Ich komme zum hl. Augustinus zurück: Er gab sich anfangs mit der Gnade der Bekehrung zufrieden; dann entdeckte er, daß man eine weitere Gnade braucht, die Gnade der Ausdauer, die wir jeden Tag vom Herrn erbitten sollen. Aber so – und damit komme ich wieder zu dem, was Kardinal Martini sagt – »wie mir der Herr bis jetzt diese Gnade der Ausdauer geschenkt hat, wird er sie mir hoffentlich auch für diesen letzten Abschnitt meines Weges auf dieser Erde gewähren«. Wir sollen, scheint mir, Vertrauen haben in diese Gabe der Ausdauer, aber wir müssen auch mit Beharrlichkeit, Demut und Geduld zum Herrn beten, damit er uns durch die Gabe der wahren Endgültigkeit helfe und trage; damit er uns Tag für Tag bis zum Ende begleite, auch wenn der Weg durch finstere Täler führt. Die Gabe der Ausdauer schenkt uns Freude, sie gibt uns die Gewißheit, daß wir vom Herrn geliebt werden, und diese Liebe trägt uns, hilft uns und läßt uns in unseren Schwächen nicht im Stich.



DIMOV KOICIO: DIÖZESE NICOPOLI AD ISTRUM (BULGARIEN) 4. Studienjahr (2. Jahr Theologie)

4. Heiliger Vater, in einer Betrachtung beim Kreuzweg im Jahr 2005 sprachen Sie vom Schmutz, den es in der Kirche gibt, und in der Predigt bei der Priesterweihe von Diakonen der Diözese Rom im vergangenen Jahr haben Sie uns gewarnt vor der Gefahr »des Karrierismus, des Versuchs, nach oben zu kommen, sich durch die Kirche eine Stellung zu verschaffen«. Wie können wir uns angesichts dieser Problematik objektiver und möglichst verantwortungsvoll verhalten?

Benedikt XVI.: Das ist keine leichte Frage, doch ich habe, wie mir scheint, schon gesagt – und das ist ein wichtiger Punkt –: Der Herr weiß, ja wußte von Anfang an, daß es in der Kirche auch die Sünde gibt; und für unsere Demut ist es wichtig, dies zu erkennen und die Sünde nicht nur in den anderen, in den Strukturen, in den Inhabern hoher hierarchischer Ämter zu sehen, sondern auch in uns selbst, um so demütiger zu werden und zu lernen, daß vor dem Herrn nicht die kirchliche Stellung zählt, sondern daß wir in seiner Liebe bleiben und seine Liebe leuchten lassen. Für sehr bedeutsam in bezug auf diesen Punkt halte ich persönlich das Gebet des hl. Ignatius: »Suscipe, Domine, universam meam libertatem; accipe memoriam, intellectum atque voluntatem omnem; quidquid habeo vel possideo mihi largitus es; id tibi totum restituo ac tuae prorsus voluntati trado gubernandum; amorem tuum cum gratia tua mihi dones et dives sum satis, nec aliud quidquam ultra posco« [»Nimm an, Herr, meine gesamte Freiheit, nimm an all mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen Willen. Was immer ich habe und was ich besitze, du hast es mir geschenkt. Ich erstatte es dir ganz zurück und überlasse es einfach deinem Willen zur Leitung. Schenke mir allein die Liebe zu dir zusammen mit deiner Gnade, und ich bin reich genug und fordere nichts anderes darüber hinaus.«] Gerade dieser letzte Teil scheint mir von großer Bedeutung zu sein: Begreifen, daß der wahre Schatz unseres Lebens darin besteht, in der Liebe des Herrn zu stehen und diese Liebe niemals zu verlieren. Dann sind wir wirklich reich. Ein Mensch, der eine große Liebe gefunden hat, fühlt sich wirklich reich und weiß, daß das die wahre Perle ist, daß das der Schatz seines Lebens ist und nicht all die übrigen Dinge, die er vielleicht besitzt.

Wir haben sie gefunden, ja wir sind von der Liebe des Herrn gefunden worden, und je mehr wir uns im sakramentalen Leben, im Gebetsleben, im Arbeitsleben, in der Freizeit von dieser seiner Liebe berühren lassen, um so mehr können wir begreifen, daß, sobald ich die wahre Perle gefunden habe, alles übrige nicht zählt, alles übrige nur in dem Maße von Bedeutung ist, in dem die Liebe des Herrn mir diese Dinge zuerkennt. Ich bin reich, ich bin wirklich reich und oben, wenn ich in dieser Liebe bleibe. Hier finden wir das Zentrum des Lebens, den Reichtum. Dann lassen wir uns führen, überlassen der Vorsehung die Entscheidung, was sie mit uns tun wird.

Hier fällt mir eine kleine Geschichte von der hl. Bakhita ein, dieser wunderbaren afrikanischen Heiligen, die Sklavin im Sudan war, dann in Italien zum Glauben gefunden hat und Ordensfrau geworden ist; als sie schon alt war, besuchte der Bischof ihr Kloster, ihr Ordenshaus; er kannte sie nicht; er sah diese kleine, schon gebeugte afrikanische Schwester und sagte zu ihr: »Aber was tun Sie, Schwester?« Bakhita antwortete: »Ich tue dasselbe wie Sie, Exzellenz.« Der Bischof fragte erstaunt: »Aber was?«, und Bakhita darauf: »Exzellenz, wir wollen doch beide dasselbe tun, nämlich den Willen Gottes ausführen.«

Das scheint mir eine sehr schöne Antwort zu sein: Der Bischof und die kleine Schwester, die fast nicht mehr arbeiten konnte, machten in verschiedenen Positionen dasselbe, sie versuchten, den Willen Gottes zu tun, und so waren sie beide auf dem richtigen Platz.

Mir kommt auch ein Wort des hl. Augustinus in den Sinn, das besagt: Wir sind alle immer nur Schüler Christi, und sein Lehrstuhl steht höher oben, denn dieser Lehrstuhl ist das Kreuz, und nur diese Höhe ist die wahre Höhe, die Gemeinschaft mit dem Herrn auch in seinem Leiden. Wenn wir das in einem Leben des Gebets, in einem Leben der Hingabe für den Dienst am Herrn zu begreifen beginnen, können wir uns, so will mir scheinen, von diesen sehr menschlichen Versuchungen befreien.



FRANCESCO ANNESI: DIÖZESE ROM, 5. Studienjahr (3. Jahr Theologie)

5. Eure Heiligkeit, aus dem Apostolischen Schreiben Salvifici doloris von Johannes Paul II. geht klar hervor, wie sehr das Leiden für alle jene, die es in Verbundenheit mit den Leiden Christi annehmen, Quelle geistlichen Reichtums ist. Wie kann heute, in einer Welt, die nach jedem erlaubten oder unerlaubten Mittel sucht, um jegliche Art von Schmerz zu beseitigen, der Priester Zeuge des christlichen Verständnisses des Leidens sein und wie soll er sich dem Leidenden gegenüber verhalten, ohne Gefahr zu laufen, rhetorisch oder pathetisch zu sein?

Benedikt XVI.: Ja, wie soll man handeln? Nun, mir scheint, wir müssen anerkennen, daß es richtig ist, alles nur Mögliche zu tun, um die Leiden der Menschheit zu besiegen und den leidenden Menschen – es gibt sehr viele auf der Welt – zu helfen, ein erträgliches Leben zu finden und von den Übeln befreit zu werden, die häufig wir selber verursachen: Hunger, Seuchen usw.

Aber gleichzeitig mit der Anerkennung dieser Pflicht, gegen die von uns selbst verursachten Leiden tätig zu werden, müssen wir auch erkennen und verstehen, daß das Leiden wesentlich zu unserem menschlichen Heranreifen gehört. Ich denke hier an das Gleichnis des Herrn vom Weizenkorn, das in die Erde gefallen ist und das nur dadurch, daß es stirbt, Frucht bringen kann, und dieses In-die-Erde-Fallen und Sterben ist nicht ein Augenblicksereignis, sondern eben der Verlauf eines ganzen Lebens.

Wie ein Weizenkorn in die Erde fallen und somit sterben, sich verwandeln, Werkzeug Gottes sein und so Frucht bringen. Der Herr sagt nicht zufällig zu seinen Jüngern: Der Menschensohn muß nach Jerusalem gehen, um zu leiden; wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Tatsächlich verhalten wir uns immer ein wenig wie Petrus, der zum Herrn sagt: Nein Herr, das darf nicht mit dir geschehen, du darfst nicht leiden. Wir wollen nicht das Kreuz tragen, wir wollen ein menschlicheres, schöneres Reich auf Erden schaffen.

Damit liegen wir vollkommen falsch: Das lehrt uns der Herr. Aber Petrus brauchte viel Zeit, vielleicht sein ganzes Leben, um das zu begreifen. Darum enthält die Quo vadis?-Legende etwas Wahres: Lernen, daß im Gehen mit dem Kreuz Christi der Weg besteht, der Frucht bringt. Daher würde ich sagen: Bevor wir zu den anderen darüber reden, müssen wir selber das Geheimnis des Kreuzes verstehen.

Sicher schenkt uns das Christentum die Freude, weil die Liebe Freude schenkt. Aber die Liebe ist immer auch ein Prozeß des Sich-Verlierens und daher auch ein Prozeß des Sich-Entfernens von sich selbst, in diesem Sinn auch ein schmerzvoller Prozeß. Und nur so ist er schön und läßt uns reifen und zur wahren Freude gelangen. Wer ein ausschließlich unbekümmertes und bequemes Leben geltend macht oder verspricht, lügt, weil das nicht die Wahrheit vom Menschen ist; die Konsequenz ist dann, daß man in falsche Paradiese flüchten muß. So aber gelangt man nicht zur Freude, sondern zur Selbstzerstörung.

Das Christentum verkündet uns die Freude, gewiß. Doch diese Freude wächst allein auf dem Weg der Liebe, und dieser Weg der Liebe hat etwas mit dem Kreuz, mit der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten Christus zu tun. Und er wird versinnbildlicht durch das Weizenkorn, das in die Erde gefallen ist. Wenn wir beginnen, das zu begreifen und jeden Tag anzunehmen, weil uns jeder Tag irgendeine Unzufriedenheit auferlegt, irgendeine Last, die auch Schmerz verursacht, wenn wir diese Schule der Nachfolge Christi annehmen, wie die Apostel in dieser Schule lernen mußten, dann werden wir auch dazu fähig, den Leidenden zu helfen.

Es ist sicher immer problematisch, wenn einer, der über eine mehr oder weniger gute Gesundheit verfügt oder in guten Verhältnissen lebt, einen anderen trösten soll, der von großem Übel betroffen ist: sei es Krankheit, sei es Liebesverlust. Angesichts dieser Übel, die wir alle kennen, erscheint alles fast unvermeidlich nur rhetorisch und pathetisch. Aber ich würde sagen: Wenn diese Menschen spüren können, daß wir Mitleidende sind, daß wir mit ihnen das Kreuz in Gemeinschaft mit Christus tragen wollen, indem wir vor allem mit ihnen beten, ihnen auch mit einem von Sympathie, von Liebe erfüllten Schweigen beistehen, ihnen helfen, soweit es uns möglich ist, dann können wir glaubwürdig werden.

Wir müssen es akzeptieren, daß vielleicht in einem ersten Augenblick unsere Worte nur als bloße Worte erscheinen mögen. Wenn wir aber wirklich in diesem Geist der wahren Nachfolge Jesu leben, finden wir auch die Möglichkeit, anderen mit unserer Sympathie nahe zu sein. Sympathie heißt etymologisch Mit-leiden für den Menschen, indem man ihm hilft, mit ihm betet und auf diese Weise das Vertrauen erzeugt, daß auch im finstersten Tal die Güte des Herrn vorhanden ist.

So können wir das Herz öffnen für das Evangelium Christi selbst, der der wahre Tröster ist; das Herz öffnen für den Heiligen Geist, der der andere Tröster, der andere Beistand genannt wird, der beisteht, der gegenwärtig ist. Wir können das Herz nicht durch unsere Worte öffnen, sondern durch die große Lehre Christi, durch sein Bei-uns-Sein, und so helfen, daß das Leiden und der Schmerz tatsächlich zur Gnade des Reifens, der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn werden.



MARCO CECCARELLI: DIÖZESE ROM, Diakon (wird Am 29 zum Priester geweiht werden)

6. Eure Heiligkeit, in den nächsten Monaten werden meine Mitalumnen und ich zu Priestern geweiht werden. Wir werden aus dem durch die Regeln des Seminars gut strukturierten Leben in die weit komplexere Situation unserer Pfarreien wechseln. Welche Ratschläge können Sie uns geben, um den Beginn unseres priesterlichen Dienstes so gut wie möglich zu leben?

Benedikt XVI.: Also hier im Seminar habt ihr ein gut gegliedertes Leben. Als ersten Punkt würde ich sagen, daß es auch im Leben von Hirten der Kirche, im täglichen Leben des Priesters wichtig ist, soweit wie möglich eine gewisse Ordnung zu bewahren: Es soll nie die Messe ausfallen – ohne Eucharistie ist ein Tag unvollständig; deshalb wachsen wir ja schon im Seminar mit dieser täglichen Liturgiefeier; mir scheint sehr wichtig, daß wir das Bedürfnis spüren, beim Herrn zu sein in der Eucharistie, daß es nicht lediglich eine berufliche Verpflichtung, sondern wirklich eine innerlich empfundene Pflicht sein soll, die Eucharistie nie auszulassen.

Der andere wichtige Punkt ist, sich Zeit zu nehmen für das Stundengebet und damit für diese innere Freiheit: Das Stundengebet befreit uns trotz aller Lasten, die es gibt, und hilft uns auch, offener zu sein und in tiefem Kontakt mit dem Herrn zu stehen. Natürlich müssen wir all das tun, was uns das pastorale Leben, das Leben eines Kaplans, eines Pfarrers oder eine der anderen priesterlichen Aufgaben auferlegt. Doch würde ich sagen, daß diese Fixpunkte, die Eucharistie und das Stundengebet, nie vergessen werden sollen, um im Tag eine gewisse Ordnung zu haben, die ich mir – wie ich eingangs sagte – nicht immer wieder neu ausdenken muß. »Serva ordinem et ordo servabit te«, »Diene der Ordnung, und die Ordnung wird dir dienen«, so haben wir es gelernt.

Sodann ist es wichtig, die Gemeinschaft mit den anderen Priestern, mit den Weggefährten von einst nicht aufzugeben und den persönlichen Kontakt mit dem Wort Gottes, die Meditation, nicht zu verlieren. Wie kann das gelingen? Ich habe ein recht einfaches Rezept: Die Vorbereitung der Sonntagshomilie mit der persönlichen Betrachtung zu verbinden, um dafür zu sorgen, daß diese Worte nicht nur zu den anderen gesagt werden, sondern wirklich vom Herrn zu mir gesprochene und im persönlichen Gespräch mit dem Herrn gereifte Worte sind. Damit das möglich ist, lautet mein Rat, mit der Predigtvorbereitung schon am Montag zu beginnen, denn wenn man erst am Samstag beginnt, ist es zu spät, die Vorbereitung wird überhastet und es fehlt vielleicht die Inspiration, weil man andere Dinge im Kopf hat. Deshalb würde ich sagen, man soll sich schon am Montag einfach die für den nächsten Sonntag vorgesehenen Lesungen vornehmen, die vielleicht recht unzugänglich erscheinen. Etwa wie jene Felsen von Massa und Meriba, wo Moses sagt: »Wie kann Wasser aus diesen Felsen kommen?«

Lassen wir diese Lesungen ruhen, lassen wir zu, daß das Herz sie sich einverleibt; im Unterbewußtsein arbeiten die Worte und kehren jeden Tag kurz zurück. Selbstverständlich wird man, soweit es möglich ist, auch Bücher konsultieren müssen. Und dadurch, daß es ständig, Tag für Tag, in einem arbeitet, sieht man, wie allmählich eine Antwort heranreift. Nach und nach öffnet sich dieses Wort und wird zum Wort für mich. Und da ich ein Zeitgenosse bin, wird es auch zu einem Wort für die anderen. Ich kann beginnen, all das, was ich vielleicht in meiner theologischen Sprache erkenne, in die Sprache der anderen zu übersetzen. Der Grundgedanke bleibt jedoch für die anderen und für mich derselbe.

Auf diese Weise kann man eine dauernde, schweigende Begegnung mit dem Wort Gottes haben, die nicht viel von der Zeit erfordert, die wir vielleicht nicht haben. Aber etwas Zeit sollt ihr dafür reservieren: So reift nicht nur eine Predigt für den Sonntag, für die anderen heran, sondern mein eigenes Herz wird vom Wort des Herrn berührt. Ich bleibe mit ihm auch in einer Situation in Kontakt, wo mir vielleicht nur wenig Zeit zur Verfügung steht.

Ich möchte jetzt nicht zu viele Ratschläge geben, denn das Leben in der Großstadt Rom unterscheidet sich doch ein wenig von jenem Leben, das ich vor 55 Jahren in unserem Bayern geführt habe. Aber ich denke, das Wesentliche ist eben dies: Eucharistie, Stundengebet, Gebet und jeden Tag, wenn auch kurz, das Gespräch mit dem Herrn über seine Worte, die ich verkünden soll. Und niemals darf die Freundschaft mit den Priestern, das Hören auf die Stimme der lebendigen Kirche und natürlich die Verfügbarkeit für die mir anvertrauten Menschen verloren gehen, denn gerade von diesen Menschen mit ihren Leiden, ihren Glaubenserwartungen, ihren Zweifeln und Schwierigkeiten können auch wir Gott suchen und finden lernen. Unseren Herrn, Jesus Christus, finden lernen.

AN DIE PÖNITENTIARE DER RÖMISCHEN BASILIKEN

UND DIE PRÄLATEN UND OFFIZIALE DER

APOSTOLISCHEN PÖNITENTIARIE Clementina-Saal

Montag, 19. Februar 2007




Liebe Brüder!

Ich freue mich, euch zu empfangen und begrüße euch alle herzlich, zunächst Kardinal James Francis Stafford, den Großpönitentiar, dem ich für die freundlichen Worte danke, die er soeben an mich gerichtet hat. Mit ihm begrüße ich den Regenten, Bischof Gianfranco Girotti, und die Mitglieder der Apostolischen Pönitentiarie. Diese Begegnung gibt mir Gelegenheit, vor allem euch, liebe Pönitentiare der Päpstlichen Basiliken der Stadt, meine lebhafte Anerkennung zum Ausdruck zu bringen für den wertvollen pastoralen Dienst, den ihr mit Sorgfalt und Hingabe verseht. Gleichzeitig ist es mir wichtig, einen herzlichen Gedanken an alle Priester der Welt zu richten, die sich mit Eifer dem Dienst im Beichtstuhl widmen.

Das Bußsakrament, das im Leben des Christen so große Bedeutung besitzt, vergegenwärtigt die erlösende Wirksamkeit des Ostergeheimnisses Christi. In der Geste der im Namen und im Auftrag der Kirche ausgesprochenen Absolution wird der Beichtvater zum bewußten Mittler eines wunderbaren Gnadenereignisses. Indem er mit fügsamer Treue dem Lehramt der Kirche folgt, macht er sich zum Diener der trostbringenden Barmherzigkeit Gottes, macht er die Wirklichkeit der Sünde deutlich und offenbart gleichzeitig die alle Maße übersteigende erneuernde Macht der göttlichen Liebe, der Liebe, die das Leben neu schenkt. Die Beichte wird somit zur geistlichen Neugeburt, die den Pönitenten in ein neues Geschöpf verwandelt. Dieses Wunder der Gnade kann nur Gott wirken, und er vollbringt es durch die Worte und die Gesten des Priesters. Indem er die Liebe und die Vergebung des Herrn erfährt, wird der Beichtende auf einfachere Weise dazu bewegt, die Schwere der Sünde zu erkennen, und er ist entschlossener, sie zu vermeiden, um in der wiederangeknüpften Freundschaft mit ihm zu bleiben und zu wachsen.

Bei diesem geheimnisvollen Prozeß der inneren Erneuerung ist der Beichtvater kein passiver Zuschauer, sondern »persona dramatis«, das heißt aktives Werkzeug der göttlichen Barmherzigkeit. Es ist daher notwendig, daß er gutes geistliches und seelsorgerliches Einfühlungsvermögen mit einer fundierten theologischen, moralischen und pädagogischen Ausbildung vereint, die ihn fähig macht, das von der Person Erlebte zu verstehen. Darüber hinaus ist es für ihn auch sehr von Nutzen, das soziale, kulturelle und berufliche Umfeld derer, die zur Beichte kommen, zu kennen, um angemessene geistliche und praktische Ratschläge und Richtlinien geben zu können. Der Priester darf nicht vergessen, daß er in diesem Sakrament berufen ist, die Aufgabe des Vaters, des geistlichen Richters, des Meisters und des Erziehers auszuüben. Das erfordert ständige Fortbildung: Dazu sollen auch die Kurse des sogenannten »forum internum« dienen, die von der Apostolischen Pönitentiarie veranstaltet werden.

Liebe Priester, dieser euer Dienst ist vor allem geistlicher Natur. Es ist daher nötig, die menschliche Weisheit und die theologische Ausbildung mit einer tiefen Spiritualität zu vereinen, die genährt wird von der Begegnung im Gebet mit Christus, dem Meister und Erlöser. Kraft seiner Priesterweihe versieht der Beichtvater nämlich einen besonderen Dienst »in persona Christi«, mit einer Fülle menschlicher Gaben, die von der Gnade gestärkt werden. Sein Vorbild ist Jesus, der Gesandte des Vaters; die Quelle, aus der er reichlich schöpft, ist der lebensspendende Hauch des Heiligen Geistes. Angesichts einer so großen Verantwortung sind die menschlichen Kräfte sicherlich unzulänglich, aber die demütige und treue Zustimmung zu den Heilsplänen Christi macht uns, liebe Brüder, zu Zeugen der allumfassenden, von ihm gewirkten Erlösung. So verwirklicht sich die Mahnung des hl. Paulus, der sagt: »Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat … und uns das Wort von der Versöhnung (zur Verkündigung) anvertraute« (2Co 5,19).

Um diese Aufgabe zu erfüllen, müssen wir dafür sorgen, daß diese Heilsbotschaft vor allem in uns selbst verwurzelt ist und wir uns von ihr in der Tiefe verwandeln lassen. Wir können nicht den anderen die Vergebung und die Versöhnung predigen, wenn wir nicht persönlich davon durchdrungen sind. Wenn es auch wahr ist, daß es in unserem Dienst verschiedene Weisen und Mittel gibt, um unseren Brüdern die barmherzige Liebe Gottes zu vermitteln, so ist es jedoch in der Feier dieses Sakraments, wo wir es in der vollkommensten und höchsten Form tun können. Christus hat uns, liebe Priester, auserwählt, die einzigen zu sein, die in seinem Namen die Sünden vergeben können: Es handelt sich also um einen besonderen kirchlichen Dienst, dem wir den Vorrang geben müssen.

Wie viele Menschen in Not suchen die Stärkung und den Trost Christi! Wie viele Pönitenten finden in der Beichte den Frieden und die Freude, die sie schon lange gesucht haben! Wie sollte man nicht erkennen, daß auch in dieser unserer Zeit, die gezeichnet ist von vielen religiösen und sozialen Herausforderungen, dieses Sakrament wiederentdeckt und wieder vorgeschlagen werden muß? Liebe Brüder, folgen wir dem Vorbild der Heiligen, insbesondere derjenigen, die sich wie ihr fast ausschließlich dem Dienst im Beichtstuhl widmeten: unter anderen der hl. Johannes Maria Vianney, der hl. Leopold Mandic´ und der uns zeitlich nähere hl. Pio von Pietrelcina. Mögen sie euch vom Himmel aus helfen, damit ihr es versteht, die Barmherzigkeit und die Vergebung Christi in Fülle zu erteilen. Maria, Zuflucht der Sünder, erwirke für euch die Kraft, die Ermutigung und die Hoffnung, um diese eure unverzichtbare Sendung großherzig fortzusetzen. Ich versichere euch von Herzen meines Gebets, und mit Zuneigung segne ich euch alle.
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Benedikt XVI Predigten 99