Benedikt XVI Predigten 191

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APOSTOLISCHE REISE

IN DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA

UND BESUCH BEI DER ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN

BEGEGNUNG MIT DEN MITARBEITERN DER

ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN


New York
Freitag, 18. April 2008

Sehr geehrte Damen und Herren!


Hier, auf einem kleinen Gelände in der betriebsamen Stadt New York, hat eine Organisation ihren Sitz, die eine weltumgreifende Mission zur Förderung von Frieden und Gerechtigkeit besitzt. Es erinnert mich an den ganz ähnlichen Kontrast in der Größenordnung zwischen dem Staat der Vatikanstadt und der Welt, in der die Kirche ihre universale Sendung und ihr Apostolat ausübt. Die Künstler des 16. Jahrhunderts, die die Landkarten an die Wände des Apostolischen Palastes malten, brachten den Päpsten den großen Umfang der damals bekannten Welt vor Augen. Diese Fresken boten den Nachfolgern Petri ein konkretes Sinnbild für das enorme Ausmaß der Sendung der Kirche in einer Zeit, in der die Entdeckung der Neuen Welt unvorhergesehene Horizonte eröffnete. Die Kunst, die hier im Glaspalast zu sehen ist, hält uns auf ihre Art die Verantwortungen der Organisation der Vereinten Nationen vor Augen. Wir sehen Bilder der Auswirkungen von Krieg und Armut, wir werden an unsere Pflicht erinnert, uns für eine bessere Welt einzusetzen, und wir freuen uns über die wahre Vielfalt und den Reichtum der menschlichen Kultur, die in der großen Zahl der unter der Schutzherrschaft der internationalen Gemeinschaft versammelten Völker und Nationen zum Ausdruck kommen.

Anläßlich meines Besuchs möchte ich dem unschätzbaren Beitrag der Verwaltungsmitarbeiter und der vielen Angestellten der Vereinten Nationen meinen Tribut zollen. Sie kommen tagtäglich mit so großer Hingabe und Professionalität ihren Pflichten nach – hier in New York, in anderen Quartieren der Vereinten Nationen und in Sondermissionen überall auf der Welt. Ihnen und Ihren Vorgängern möchte ich meine persönliche Anerkennung und die der ganzen katholischen Kirche aussprechen. Wir gedenken besonders der vielen Zivilisten und der Soldaten der Friedenstruppen, die vor Ort ihr Leben für das Wohl der Völker geopfert haben, denen sie dienten – allein im Jahre 2007 waren es 42. Wir gedenken auch der großen Schar jener, die ihr Leben einer Arbeit widmen, die nie genug Anerkennung findet, oftmals unter schwierigen Umständen. Allen von euch – den Übersetzern, Sekretären, dem Verwaltungspersonal jeder Art, den Wartungs- und Sicherheitskräften, Entwicklungshelfern, Blauhelm-Soldaten und vielen anderen – gilt mein aufrichtiger Dank. Die Arbeit, die Sie verrichten, ermöglicht es der Organisation, auch weiterhin neue Wege zu erforschen, um die Ziele zu erreichen, für die sie gegründet wurde.

Oft werden die Vereinten Nationen als »Völkerfamilie« bezeichnet. Gleichermaßen könnte man das Hauptquartier hier in New York als eine Heimstatt beschreiben, eine Stätte der freundlichen Aufnahme und der Sorge für das Wohl der Familienmitglieder überall auf der Welt. Es ist ein hervorragender Ort, um mehr Verständnis und Zusammenarbeit unter den Völkern zu fördern. Zu Recht werden die Mitarbeiter der Vereinten Nationen aus einer großen Palette von Kulturen und Nationalitäten ausgewählt. Das hier tätige Personal ist gleichsam ein Mikrokosmos der ganzen Welt, in dem jeder und jede einzelne einen unverzichtbaren Beitrag aus der Perspektive seines oder ihres kulturellen und religiösen Erbes heraus leistet. Die Ideale, an denen sich die Gründer dieser Institution orientierten, müssen hier und in jeder einzelnen Mission der Organisation auf der ganzen Welt in Form von gegenseitiger Achtung und Annahme Gestalt annehmen, die die Merkmale einer gedeihenden Familie sind.

In den internen Debatten der Vereinten Nationen wird immer größerer Nachdruck auf die »Verantwortung zu beschützen« gelegt. In der Tat wird diese immer mehr als moralische Grundlage des Autoritätsanspruchs einer Regierung anerkannt. Auch dieses Merkmal gehört naturgemäß zu einer Familie, in der die stärkeren Mitglieder sich um die schwächeren kümmern. Diese Organisation leistet einen wichtigen Dienst, indem sie im Namen der internationalen Gemeinschaft darüber wacht, in welchem Ausmaß die Regierungen ihre Verantwortung wahrnehmen, die Bürger ihres Landes zu beschützen. Auf der Ebene des täglichen Lebens sind Sie es, die die Grundlagen schaffen, auf denen sich diese Arbeit aufbaut, durch ihr gegenseitiges Sorgetragen füreinander an Ihrem Arbeitsplatz und durch Ihren Einsatz für die vielen Völker, deren Bedürfnissen und Bestrebungen Sie in allem, was Sie tun, dienen.

Durch die internationale Arbeit des Heiligen Stuhls und durch zahllose Initiativen katholischer Laien, Ortskirchen und Ordensgemeinschaften sichert Ihnen die katholische Kirche die Unterstützung Ihrer Arbeit zu. Ich versichere Sie und Ihre Familien eines besonderen Gebetsgedenkens. Möge der allmächtige Gott Sie stets segnen und Ihnen beistehen mit seiner Gnade und seinem Frieden, auf daß Sie durch die Fürsorge, die Sie der gesamten Menschheitsfamilie anbieten, auch weiterhin ihm dienen können.


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APOSTOLISCHE REISE

IN DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA

UND BESUCH BEI DER ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN

BESUCH DER JÜDISCHEN GEMEINDE

GRUSSWORTE VON BENEDIKT XVI. Park East Synagoge, New York

Freitag, 18. April 2008

Liebe Freunde!


Shalom! Mit großer Freude bin ich wenige Stunden vor dem Beginn eures Pesach-Festes hierhergekommen, um der jüdischen Gemeinde von New York meinen Respekt und meine Wertschätzung zu bekunden. Die Nähe dieses Gotteshauses zu meiner Residenz gibt mir die Gelegenheit, euch heute persönlich zu begrüßen. Bewegend finde ich den Gedanken, daß Jesus als junger Mann an einem Ort wie diesem die Worte der Schrift hörte und betete. Ich danke Herrn Rabbiner Schneier für seine Begrüßungsworte, und ich bin besonders dankbar für euer freundliches Geschenk, die Frühlingsblumen und das wunderschöne Lied, das die Kinder mir zu Ehren vorgetragen haben. Ich weiß, daß die jüdische Gemeinde einen wertvollen Beitrag für das Leben dieser Stadt leistet, und möchte daher euch alle ermutigen, auch weiterhin Brücken der Freundschaft zu all den vielen ethnischen und religiösen Gruppen zu bauen, die hier mit euch zusammenleben. Ich versichere euch meiner besonderen geistlichen Nähe in dieser Zeit, in der ihr euch darauf vorbereitet, die großen Taten des Allmächtigen zu feiern und Ihn zu preisen, der solche Wunder an seinem Volk vollbracht hat. Ich bitte euch alle, den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde meine Grüße und guten Wünsche zu übermitteln. Der Name des Herrn sei gepriesen!

APOSTOLISCHE REISE

IN DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA

UND BESUCH BEI DER ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN

ÖKUMENISCHES TREFFEN

Pfarrei "St. Joseph", New York
Freitag, 18. April 2008

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!


Mein Herz ist voll Dankbarkeit gegenüber dem allmächtigen Gott – dem »Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist« (Ep 4,6) – für diese segensreiche Gelegenheit, an diesem Abend mit euch zum Gebet zusammenzukommen. Ich danke Bischof Dennis Sullivan für seinen freundlichen Willkommensgruß und grüße sehr herzlich alle Anwesenden, die die verschiedenen christlichen Gemeinschaften in den Vereinigten Staaten vertreten. Der Friede unseres Herrn und Erlösers sei mit euch allen!

Durch euch möchte ich meine aufrichtige Anerkennung für die unermeßlich wertvolle Arbeit all derer aussprechen, die sich im Ökumenismus engagieren: des Nationalrats der Kirchen, der Vereinigung »Christian Churches Together«, des Sekretariats der katholischen Bischöfe für ökumenische und interreligiöse Angelegenheiten und vieler anderer. Der Beitrag der Christen in den Vereinigten Staaten zur ökumenischen Bewegung ist in der ganzen Welt spürbar. Ich ermutige euch alle, eure Arbeit fortzusetzen und dabei stets auf die Gnade des auferstandenen Christus zu vertrauen, dem zu dienen wir bestrebt sind, »um in seinem Namen … zum Gehorsam des Glaubens zu führen« (Rm 1,5).

Wir haben gerade den Abschnitt aus der Schrift gehört, in dem Paulus – »um des Herrn willen im Gefängnis« – seinen leidenschaftlichen Appell an die Mitglieder der christlichen Gemeinde in Ephesus richtet. »Ich ermahne euch«, so schreibt er, »ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging … und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält« (Eph 4,1–3). Nach seinem leidenschaftlichen Aufruf zur Einheit erinnert Paulus seine Hörer daran, daß Jesus, nachdem er zum Himmel aufgefahren war, den Männern und Frauen alle Gaben gewährte, die notwendig sind, um den Leib Christi aufzubauen (vgl. Eph 4,11–13).

Die Ermahnung des Paulus hat heute nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Seine Worte geben uns die Zuversicht, daß der Herr uns in unserer Suche nach Einheit niemals verlassen wird. Sie rufen uns auch auf, so zu leben, daß wir Zeugnis davon geben, »ein Herz und eine Seele« (Ac 4,32) zu sein. Das war stets das bezeichnende Merkmal der christlichen »koinonia« (Ac 2,42) und die Kraft, die andere anzieht, sich der Gemeinschaft der Gläubigen anzuschließen, damit auch sie am »unergründlichen Reichtum Christi« (Ep 3,8 vgl. Apg Ac 2,47 Ac 5,14) teilhaben können.

Durch die Globalisierung steht die Menschheit zwischen zwei Extremen. Einerseits gibt es ein immer größeres Bewußtsein von der gegenseitigen Verbundenheit und Abhängigkeit unter den Völkern, auch wenn sie geographisch und kulturell weit voneinander entfernt sind. Diese neue Situation birgt Möglichkeiten in sich, ein gemeinsames Bewußtsein für globale Solidarität und gemeinsame Verantwortung für das Wohl der Menschheit zu fördern. Andererseits läßt sich nicht leugnen, daß durch die rapiden Veränderungen in unserer Welt auch besorgniserregende Zeichen der Zersplitterung und des Rückzugs in den Individualismus sichtbar werden. Der expandierende Gebrauch elektronischer Kommunikationsmittel hat in einigen Fällen paradoxerweise zu größerer Isolierung geführt. Viele auch junge Menschen suchen daher nach authentischeren Formen der Gemeinschaft. Sehr besorgniserregend ist auch die Verbreitung einer säkularistischen Ideologie, die die transzendente Wahrheit untergräbt oder sogar ablehnt. Selbst die Möglichkeit einer göttlichen Offenbarung und daher des christlichen Glaubens wird durch kulturelle Strömungen, die im akademischen Bereich, in den Massenmedien und in der öffentlichen Diskussion weit verbreitet sind, oft in Frage gestellt. Daher ist ein treues Zeugnis für das Evangelium dringender erforderlich als je zuvor. Die Christen sind herausgefordert, Rede und Antwort zu stehen über die Hoffnung, die sie erfüllt (vgl. 1P 3,15).

Nur allzuoft sind die Nichtchristen, wenn sie die Spaltungen christlicher Gemeinschaften sehen, verständlicherweise über die Botschaft des Evangeliums selbst verwirrt. Wesentliche christliche Glaubenssätze und Praktiken werden in den Gemeinden manchmal durch sogenannte »prophetische Gesten« verändert, die auf einer Hermeneutik gründen, die nicht immer im Einklang mit der Schrift und der Überlieferung steht. Folglich geben die Gemeinschaften den Versuch auf, als ein Leib zu handeln, und wollen statt dessen als »lokale Optionen« in Erscheinung treten. Irgendwo geht in diesem Prozeß die Notwendigkeit einer »diachronischen koinonia« – einer Gemeinschaft mit der Kirche aller Zeiten – verloren, und das gerade zu der Zeit, in der die Welt die Orientierung verliert und ein überzeugendes gemeinsames Zeugnis von der rettenden Kraft des Evangeliums braucht (vgl. Röm 1,18–23).

Angesichts dieser Schwierigkeiten müssen wir uns zunächst einmal in Erinnerung rufen, daß die Einheit der Kirche der vollkommenen Einheit der göttlichen Dreifaltigkeit entspringt. Das Johannesevangelium sagt uns, daß Jesus zu seinem Vater betete, daß seine Jünger eins sein sollen, »wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin« (Jn 17,21). Hier kommt die unerschütterliche Überzeugung der Urgemeinde zum Ausdruck, daß ihre Einheit der Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist entspringt und diese gleichzeitig widerspiegelt. Das wiederum zeigt, daß der innere Zusammenhalt der Gläubigen auf der gesunden Unversehrtheit ihres Glaubensbekenntnisses gründete (vgl. 1 Tim 1,3–11). Im Neuen Testament sehen wir, daß die Apostel immer wieder zu ihrem Glauben Rede und Antwort stehen mußten – sowohl gegenüber den Heiden (vgl. Apg 17,16–34) als auch gegenüber den Juden (vgl. Apg 4,5–22; 5,27–42). Der Kern ihrer Argumentation war immer die historische Tatsache der leiblichen Auferstehung Jesu aus dem Grab (vgl. Apg 2,24,32; 3,15; 4,10; 5,30; 10,40; 13,30). Der Erfolg ihrer Verkündigung hing letztendlich nicht ab von »Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt« (1Co 2,13), sondern vielmehr vom Wirken des Heiligen Geistes (Ep 3,5), der das verläßliche Zeugnis der Apostel bestätigte (vgl. 1 Kor 15,1–11). Paulus und die Urkirche verkündigten nichts anderes als Jesus Christus, »und zwar als den Gekreuzigten« (1Co 2,2). Das war das Kernstück ihrer Verkündigung, die jedoch durch die Reinheit der normativen Lehre gewährleistet sein mußte. Diese fand ihren Ausdruck in Glaubensformeln – »symbola« –, die das Wesen des christlichen Glaubens in Worte faßten und die Grundlage für die Einheit der Getauften darstellten (vgl. 1 Kor 15,3–5; Gal 1,6–9; Unitatis redintegratio UR 2).

Meine lieben Freunde, die Kraft des »kerygma« hat nichts von ihrer inneren Dynamik verloren. Dennoch müssen wir uns fragen, ob sie nicht vielleicht durch einen relativistischen Zugang zur christlichen Lehre abgeschwächt wurde – ähnlich dem, den man in säkularen Ideologien findet, die nur die Wissenschaft allein für »objektiv« halten und die Religion vollkommen in die subjektive Sphäre individueller Gefühle verbannen. Wissenschaftliche Entdeckungen und ihre Anwendung durch den menschlichen Geist bieten zweifellos neue Möglichkeiten, die der Menschheit zugute kommen. Das bedeutet jedoch nicht, daß das, was man »wissen« kann, auf das empirisch Verifizierbare beschränkt ist, noch daß die Religion sich nur im wandelbaren Bereich der »persönlichen Erfahrung« bewegt.

Wenn Christen dieses falsche Denkschema übernehmen, dann kommen sie zu dem Schluß, daß es wohl kaum notwendig sei, bei der Darlegung des christlichen Glaubens die objektive Wahrheit hervorzuheben: man brauche nur seinem Gewissen zu folgen und eine Gemeinschaft zu wählen, die dem eigenen Geschmack am besten entspricht. Das Resultat ist die immer weitere Verbreitung von Gemeinschaften, die oft institutionelle Strukturen vermeiden und Lehrinhalten für das christliche Leben geringe Bedeutung zumessen.

Auch innerhalb der ökumenischen Bewegung können die Christen der Betonung der Rolle der Lehre ablehnend gegenüberstehen – aus Angst, daß sie die Wunden der Spaltung eher vertiefen als heilen würde. Dennoch muß ein klares, überzeugendes Zeugnis von der Erlösung, die in Christus Jesus für uns gewirkt wurde, auf einer normativen apostolischen Lehre gründen: einer Lehre, die dem inspirierten Wort Gottes als Grundlage dient und die das sakramentale Leben der Christen in der heutigen Zeit stützt.

Nur wenn wir »festhalten« an der gesunden Lehre (2Th 2,15 vgl. Off 2,12–29), werden wir in der Lage sein, den Herausforderungen zu begegnen, denen wir in einer Welt gegenüberstehen, die sich ständig weiterentwickelt. Nur so werden wir unmißverständlich von der Wahrheit des Evangeliums und seiner Morallehre Zeugnis geben. Das ist die Botschaft, die die Welt von uns erwartet. Wie die Urchristen haben wir eine Verantwortung, freimütig Zeugnis abzulegen von der »Hoffnung, die uns erfüllt«, damit die Augen aller Männer und Frauen guten Willens geöffnet werden und sehen, daß Gott uns sein Angesicht gezeigt (vgl. 2 Kor 3,12–18) und uns durch Jesus Christus zu seinem göttlichen Leben Zugang gewährt hat. Er allein ist unsere Hoffnung! Gott hat seine Liebe zu allen Völkern durch das Geheimnis des Leidens und des Todes seines Sohnes offenbart. Er hat uns berufen zu verkündigen, daß er wahrhaft auferstanden ist und den Platz zur Rechten des Vaters eingenommen hat. Er »wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten« (Nizänisches Glaubensbekenntnis).

Möge das Wort Gottes, das wir am heutigen Abend gehört haben, auf dem Weg zur Einheit in unseren Herzen die Hoffnung entflammen. Möge dieses Gebetstreffen die Zentralität des Gebets in der ökumenischen Bewegung deutlich machen (vgl. Unitatis redintegratio UR 8); denn ohne das Gebet würden den ökumenischen Einrichtungen, Institutionen und Programmen Herz und Seele genommen. Laßt uns Gott danken für den Fortschritt, der durch das Wirken seines Geistes gemacht wurde, und erkennen wir dankbar die persönlichen Opfer an, die viele der Anwesenden und derer, die vor uns waren, erbracht haben.

Ich bin zuversichtlich, daß wir, wenn wir ihren Spuren folgen und Gott allein vertrauen, die »Einheit der Hoffnung, Einheit des Glaubens und Einheit der Liebe« – um die Worte von P. Paul Wattson zu gebrauchen – erlangen werden, die allein die Welt überzeugen wird, daß Jesus Christus vom Vater für die Erlösung aller Menschen gesandt wurde.

Ich danke euch allen.
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UND BESUCH BEI DER ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN

BEGEGNUNG MIT BEHINDERTEN JUGENDLICHEN

Seminar "Saint Joseph", Yonkers, New York
Samstag, 19. April 2008



Herr Kardinal, Herr Bischof,
liebe Freunde!

Ich freue mich sehr, daß ich diese Gelegenheit habe, einen kurzen Augenblick mit euch zu verbringen. Ich danke Kardinal Egan für seinen Willkommensgruß, und vor allem danke ich euren Vertretern für ihre freundlichen Worte und für die Zeichnung, die sie mir übergeben haben. Ihr sollt wissen, daß es mir eine besondere Freude ist, bei euch zu sein. Bitte überbringt meinen Gruß euren Eltern und Angehörigen, euren Lehrern und Betreuern.

Gott hat euch mit dem Leben und mit verschiedenen Talenten und Gaben gesegnet. Durch sie seid ihr in der Lage, ihm und der Gesellschaft auf vielfältige Weise zu dienen. Wenn auch der Beitrag einiger Menschen groß zu sein scheint und der anderer bescheidener, so ist doch der Zeugniswert unserer Bemühungen immer ein Zeichen der Hoffnung für alle.

Manchmal ist es wirklich eine Herausforderung, einen Grund zu finden für etwas, das nur eine zu überwindende Schwierigkeit oder ein zu ertragender Schmerz zu sein scheint. Dennoch hilft uns unser Glaube, den Horizont jenseits von uns selbst zu öffnen, um das Leben so zu sehen, wie Gott es tut. Gottes bedingungslose Liebe, in die jeder einzelne Mensch hineingenommen ist, zeigt, daß alles menschliche Leben einen Sinn und Zweck besitzt. Durch sein Kreuz läßt Jesus uns in der Tat in seine heilbringende Liebe eintreten (vgl. Joh Jn 12,32), und indem er das tut, weist er uns den Weg – den Weg der Hoffnung, die uns alle verklärt, damit auch wir für andere Träger dieser Hoffnung und Liebe werden.

Liebe Freunde, ich ermutige euch alle, jeden Tag für unsere Welt zu beten. Es gibt so viele Anliegen und Menschen, für die ihr beten könnt – auch für die, die Jesus noch kennenlernen müssen. Und betet bitte stets auch für mich. Wie ihr wißt, hatte ich gerade wieder Geburtstag. Die Zeit vergeht!

Ich danke noch einmal euch allen, auch dem jungen Sängerchor der St.-Patrick-Kathedrale und den Mitgliedern des Gehörlosen-Chors der Erzdiözese. Als Zeichen der Kraft und des Friedens und mit großer Zuneigung in unserem Herrn erteile ich euch und euren Familien, Lehrern und Betreuern meinen Apostolischen Segen.


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IN DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA

UND BESUCH BEI DER ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN

BEGEGNUNG MIT JUGENDLICHEN UND SEMINARISTEN

Seminar "Saint Joseph", Yonkers, New York
Samstag, 19. April 2008

Eminenz,

liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst,
liebe junge Freunde!

Verkündet Christus, den Herrn, und »seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt« (1P 3,15). Mit diesen Worten aus dem ersten Brief des Apostels Petrus begrüße ich jeden von euch mit herzlicher Zuneigung. Ich danke Kardinal Egan für seine freundlichen Willkommensworte, und ich danke auch den unter euch ausgewählten Vertretern, für den freudigen Empfang, den sie mir bereitet haben. Bischof Walsh, dem Rektor des »Saint Joseph Seminary«, den Mitarbeitern und den Seminaristen, entbiete ich meine besonderen Grüße und spreche ihnen meine Dankbarkeit aus.

Junge Freunde, ich bin sehr froh, daß ich die Gelegenheit habe, mit euch zu sprechen. Bitte richtet euren Familienmitgliedern und euren Verwandten sowie den Lehrern und dem Personal der verschiedenen Schulen, Colleges und Universitäten, zu denen ihr gehört, meine herzlichen Grüße aus. Ich weiß, daß viele Menschen intensiv gearbeitet haben, um unsere Begegnung zu ermöglichen. Ihnen bin ich äußerst dankbar. Außerdem möchte ich euch für euer Lied zu meinem Geburtstag danken! Danke für diese bewegende Geste; ich gebe Euch allen eine »Eins plus« für eure deutsche Aussprache! Heute abend möchte ich mit euch einige Gedanken über das teilen, was es bedeutet, Jünger Christi zu sein – wenn wir den Spuren des Herrn folgen, wird unser Leben zu einer Reise der Hoffnung.

Ihr habt vor euch die Bilder von sechs Männern und Frauen, die zu einem außergewöhnlichen Leben herangewachsen sind. Die Kirche betrachtet sie als Diener Gottes, als Selige oder als Heilige: jeder von ihnen hat auf den Ruf des Herrn zu einem Leben der Liebe seine Antwort gegeben, und jeder von ihnen hat Ihm hier, in den Gassen, den Straßen und den Vororten von New York gedient. Mich beeindruckt, wie unterschiedlich die Mitglieder dieser Gruppe sind: Arme und Reiche, Männer und Frauen im Laienstand – eine von ihnen eine wohlhabende Ehefrau und Mutter – Priester und Ordensfrauen, Immigranten, die von weit her kamen, die Tochter eines Mohawk-Kriegers und eine Mutter aus dem Stamm der Algonkin, ein Sklave aus Haiti und ein kubanischer Intellektueller.

Die hl. Elizabeth Anna Seton, die hl. Franziska Xaveria Cabrini, der hl. Johannes Neumann, die sel. Kateri Tekakwitha, die Diener Gottes Pierre Toussaint und Felix Varela: jeder von uns könnte zu ihnen gehören, denn für diese Gruppe gibt es kein Stereotyp, kein uniformes Raster. Doch ein genauerer Blick offenbart, daß da Gemeinsamkeiten zwischen ihnen bestehen. Entflammt von der Liebe zu Jesus sind ihre Leben zu außerordentlichen Wegen der Hoffnung geworden. Für einige bedeutete das, ihre Heimat zu verlassen und sich auf eine Pilgerreise von Tausenden von Kilometern zu begeben. Für jeden von ihnen hieß dies, sich ganz Gott zu überlassen, im Vertrauen darauf, daß er das letzte Ziel jedes Pilgers ist. Sie alle haben jenen, denen sie auf ihrem Weg begegneten, eine »ausgestreckte Hand« der Hoffnung angeboten und haben sie somit oft zu einem Leben des Glaubens geführt. Diese sechs Menschen haben durch Waisenhäuser, Schulen und Krankenhäuser, durch ihre Freundschaft zu den Armen, den Kranken und Ausgegrenzten sowie durch das überwältigende Zeugnis, das durch die demütige Nachfolge Jesu abgelegt wird, zahllosen Menschen, möglicherweise sogar euren eigenen Vorfahren, den Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aufgezeigt.

Und heute? Wer trägt heute das Zeugnis der Frohen Botschaft Jesu in die Straßen New Yorks, in die unruhigen Viertel am Rand der großen Stadt, an die Orte, an denen Jugendliche sich auf der Suche nach jemandem zusammenfinden, dem sie vertrauen können? Gott ist unser Ursprung und unser Ziel, und Jesus ist der Weg. Die Strecke dieses Weges windet sich – genau wie bei den Heiligen – durch die Freuden und Prüfungen des gewöhnlichen, alltäglichen Lebens: innerhalb eurer Familien, in der Schule oder im College, während eurer Freizeitaktivitäten und in euren Pfarrgemeinden. All diese Orte sind durch die Kultur geprägt, in der ihr aufwachst. Als junge Amerikaner werden euch viele Möglichkeiten für eure persönliche Entwicklung geboten, und ihr wurdet mit einem Gespür für Großherzigkeit, Hilfsbereitschaft und »Fairneß« erzogen. Aber ich brauche euch nicht zu sagen, daß es auch Probleme gibt: Handlungen und Denkweisen, welche die Hoffnung ersticken, sowie Wege, die zu Glück und Erfüllung zu führen scheinen, in Wirklichkeit jedoch nur in Verwirrung und Angst enden.

Meine Jahre als »Teenager« sind von einem unheilvollen Regime zerstört worden, das dachte, alle Antworten zu besitzen; sein Einfluß wuchs – er drang in die Schulen und in die zivilen Einrichtungen wie auch in die Politik und sogar in die Religion ein –, bevor man richtig erkannt hatte, um welches Ungeheuer es sich handelte. Es ächtete Gott und war auf diese Weise gegenüber allem Guten und Wahren verschlossen. Viele eurer Eltern und Großeltern werden über den Schrecken der Verwüstung berichtet haben, die sich daraus ergeben hatte. In der Tat sind einige von ihnen gerade deswegen nach Amerika gekommen, um diesem Entsetzen zu entkommen.

Wir wollen Gott dafür danken, daß sich heute viele aus eurer Generation der Freiheiten erfreuen können, die aus der Verbreitung der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte hervorgegangen sind. Wir wollen Gott für all jene danken, die dafür kämpfen, daß ihr in einem Umfeld aufwachsen könnt, in dem das Schöne, Gute und Wahre gefördert wird: eure Eltern und Großeltern, eure Lehrer und Priester, die Verantwortlichen der Gesellschaft, die nach dem suchen, was richtig und gerecht ist.

Die zerstörerische Macht jedoch besteht weiterhin. Etwas anderes zu behaupten hieße, sich selbst etwas vorzumachen. Sie wird jedoch nie triumphieren; sie ist besiegt worden. Das ist das Wesen der Hoffnung, die uns als Christen auszeichnet; die Kirche ruft diese Tatsache auf besonders dramatische Weise während des österlichen Triduums in Erinnerung und feiert sie mit großer Freude in der Osterzeit! Er, der uns den Weg über den Tod hinausweist, ist es, der uns zeigt, wie wir Vernichtung und Angst überwinden können: Jesus ist also der wahre Lehrer des Lebens (vgl. Spe salvi, 6). Sein Tod und seine Auferstehung bedeuten, daß wir zum himmlischen Vater sagen können: »Du hast die Welt erneuert« (Karfreitag, Gebet nach der Kommunion). Und so haben wir vor erst wenigen Wochen während der wunderschönen Liturgie der Osternacht Gott nicht aus Verzweiflung oder Angst um unsere Welt angerufen, sondern in hoffnungsvollem Vertrauen: Vertreib das Dunkel aus unserem Herzen! Vertreib das Dunkel aus unserem Geist! (vgl. Gebet beim Entzünden der Osterkerze).

Was können diese Dunkelheiten sein? Was geschieht, wenn Menschen, vor allem die Schutzlosesten, auf die geballte Faust der Unterdrückung und der Manipulation stoßen, statt auf die ausgestreckte Hand der Hoffnung? Die ersten Beispiele gehören in den Bereich des Herzens. Die Träume und Sehnsüchte junger Menschen können hier so leicht zerschlagen und zerstört werden. Ich denke an diejenigen, die vom Drogenmißbrauch betroffen sind, von Obdachlosigkeit und Armut, von Rassismus, Gewalt und Erniedrigung – vor allem Mädchen und Frauen. Die Gründe für diese Probleme sind vielschichtig, doch ihnen allen ist eine vergiftete geistige Einstellung gemeinsam, die dazu führt, daß Menschen als reine Objekte behandelt werden – es setzt sich eine Herzenskälte durch, welche die gottgegebene Würde jedes Menschen zunächst nicht beachtet und schließlich verhöhnt. Solche Tragödien zeigen auch, was hätte sein können und was sein könnte, wenn ihnen andere Hände – eure Hände – gereicht würden. Ich ermutige euch dazu, andere, vor allem die Verletzlichen und die Arglosen, dazu einzuladen, sich euch auf dem Weg der Güte und der Hoffnung anzuschließen.

Der zweite Bereich der Finsternis – jene, die den Verstand betrifft – wird häufig nicht bemerkt und ist aus diesem Grund besonders verhängnisvoll. Die Manipulation der Wahrheit verfälscht unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit und trübt unsere Vorstellungskraft und unsere Bestrebungen. Ich habe schon die zahlreichen Freiheiten erwähnt, derer ihr euch glücklicherweise erfreuen dürft. Die grundlegende Bedeutung der Freiheit muß mit Entschiedenheit bewahrt werden. Es ist daher nicht überraschend, daß viele Einzelpersonen und Gruppen in der Öffentlichkeit lautstark ihre Freiheit einfordern. Doch die Freiheit ist ein delikater Wert. Sie kann falsch verstanden oder schlecht gebraucht werden und auf diese Weise nicht zu dem Glück führen, das wir alle von ihr erwarten, sondern auf einen dunklen Schauplatz der Manipulation, auf dem das Verständnis, das wir von uns selbst und von der Welt haben, durch diejenigen, die einen verborgenen Plan verfolgen, verwirrt oder sogar entstellt wird.

Habt ihr bemerkt, wie oft Freiheit eingefordert wird, ohne daß dabei jemals auf die Wahrheit der menschlichen Person Bezug genommen wird? Einige behaupten heutzutage, daß die Achtung der Freiheit des Individuums die Suche nach der Wahrheit – selbst der Wahrheit des Guten – ungerecht werden läßt. In einigen Kreisen wird es sogar als Quelle von Streitigkeiten und Zerwürfnissen angesehen, von der Wahrheit zu sprechen, was folglich am besten der Privatsphäre vorzubehalten ist. Und an der Stelle der Wahrheit – oder besser gesagt an der Stelle ihres Fehlens – hat sich eine Vorstellung ausgebreitet, die unterschiedslos allem einen Wert beimißt und behauptet, auf diese Weise die Freiheit zu sichern und das Bewußtsein zu befreien. Das ist es, was wir als Relativismus bezeichnen. Doch welches Ziel hat eine »Freiheit«, die unter Mißachtung der Wahrheit das verfolgt, was falsch und unrichtig ist? Wie vielen jungen Menschen ist eine Hand gereicht worden, die sie im Namen der Freiheit oder der Erfahrung zu Drogenabhängigkeit, zu moralischer oder intellektueller Verwirrung, zur Gewalt, zum Verlust der Selbstachtung, ja zur Verzweiflung und auf tragische Weise gar zum Selbstmord geführt hat? Liebe Freunde, die Wahrheit ist kein auferlegter Zwang. Noch ist sie einfach eine Ansammlung von Regeln. Sie ist die Entdeckung des Einen, der uns niemals verrät; des Einen, dem wir immer vertrauen können. Wenn wir die Wahrheit suchen, gelangen wir zum Leben aus dem Glauben, denn die Wahrheit ist letztlich eine Person: Jesus Christus. Das ist der Grund, warum wahre Freiheit nicht in der Entscheidung besteht, sich »einer Sache zu entledigen«. Sie ist die Entscheidung, sich »für etwas einzusetzen «; das bedeutet nichts weniger, als aus sich selbst herauszugehen und es zuzulassen, in Christi Dasein »für die anderen« hineingenommen zu werden (vgl. Spe salvi, 28).

Wie können wir also als Gläubige anderen helfen, dem Weg der Freiheit zu folgen, der zu voller Erfüllung und dauerhaftem Glück führt? Wir wollen uns erneut den Heiligen zuwenden. Wie hat ihr Zeugnis andere Menschen wahrhaft von den Dunkelheiten des Herzens und des Geistes befreit? Die Antwort ist im Wesen ihres Glaubens – unseres Glaubens – zu finden. Die Menschwerdung, die Geburt Jesu, sagt uns, daß Gott in der Tat einen Platz unter uns sucht. Die Herberge ist voll, aber dennoch tritt er ein durch den Stall, und es gibt Menschen, die sein Licht sehen. Sie erkennen die dunkle, verschlossene Welt des Herodes als das, was sie ist, und folgen statt dessen dem Strahlen des Sterns, der sie am Nachthimmel führt. Und was strahlt aus ihm hervor? Hier könnt ihr euch das Gebet in Erinnerung rufen, das in der hochheiligen Osternacht gesprochen wird: »Allmächtiger, ewiger Gott, du hast durch Christus allen, die an dich glauben, das Licht deiner Herrlichkeit geschenkt […] entflamme in uns die Sehnsucht nach dir« (vgl. Segnung des Osterfeuers). Und so haben wir einander in einer feierlichen Prozession mit unseren brennenden Kerzen das Licht Christi weitergegeben. Der Glanz dieser heiligen Nacht »nimmt den Frevel hinweg, reinigt von Schuld, gibt den Sündern die Unschuld, den Trauernden Freude. Weit vertreibt sie den Haß, sie einigt die Herzen und beugt die Gewalten« (Exsultet). Es ist das Licht Christi, das am Wirken ist. Es ist der Weg der Heiligen. Es ist die wunderbare Vision der Hoffnung – das Licht Christi lädt euch ein, Leitsterne für die anderen zu sein und Christi Weg der Vergebung, der Versöhnung, der Demut, der Freude und des Friedens zu folgen.

Manchmal aber sind wir versucht, uns in uns selber zu verschließen, an der Kraft des Glanzes Christi zu zweifeln und den Horizont der Hoffnung einzuengen. Faßt Mut! Richtet euren Blick fest auf unsere Heiligen. Ihre unterschiedlichen Erfahrungen von Gottes Gegenwart veranlassen uns dazu, die Weite und Tiefe des Christentums neu zu entdecken. Laßt zu, daß sich eure Phantasie frei in die grenzenlose Weite der Horizonte der christlichen Jüngerschaft erhebt. Manchmal werden wir als Menschen angesehen, die nur von Verboten sprechen. Nichts könnte der Wahrheit ferner stehen! Echte christliche Jüngerschaft zeichnet sich durch einen Sinn für das Staunen aus. Wir stehen vor dem Gott, den wir als Freund kennen und lieben, vor der Weite seiner Schöpfung und der Schönheit unseres christlichen Glaubens.

Liebe Freunde, das Vorbild der Heiligen fordert uns sodann auf, vier wesentliche Aspekte des Schatzes unseres Glaubens zu betrachten: persönliches und stilles Gebet, liturgisches Gebet, tätige Nächstenliebe und Berufungen.

Das Wichtigste ist, daß ihr eine persönliche Beziehung zu Gott entwickelt. Diese Beziehung drückt sich im Gebet aus. Es liegt in Gottes eigenstem Wesen, daß er spricht, hört und antwortet. Tatsächlich ruft uns der hl. Paulus in Erinnerung: wir können und sollten »ohne Unterlaß« beten (1Th 5,17). Weit davon entfernt, uns in uns selbst zurückzuziehen oder uns den Höhen und Tiefen des Lebens zu entziehen, wenden wir uns durch das Gebet Gott und durch ihn einander zu, einschließlich den Ausgegrenzten und denen, die anderen Wegen als dem Weg Gottes folgen (vgl. Spe salvi, 33). Wie die Heiligen uns auf so lebendige Weise lehren, wird das Gebet so zu praktizierter Hoffnung. Christus war ihr ständiger Gefährte, mit dem sie auf jedem Schritt ihres Weges im Dienst an den anderen gesprochen haben.

Es gibt einen weiteren Aspekt des Gebets, den wir uns in Erinnerung rufen müssen: die Betrachtung in der Stille. Der hl. Johannes zum Beispiel sagt uns, daß wir, um die Offenbarung Gottes zu erfassen, erst hören und dann antworten müssen, indem wir das verkünden, was wir gehört und gesehen haben (vgl. 1Jn 1,2-3 Konzilskonstitution Dei Verbum DV 1). Haben wir vielleicht etwas von der Kunst des Hörens verlernt? Laßt ihr noch etwas Raum, um auf die Stimme Gottes zu hören, die euch aufruft, zur Güte zu gelangen? Freunde, fürchtet euch nicht vor der Stille oder der Ruhe, hört auf Gott, betet ihn in der Eucharistie an. Laßt zu, daß sein Wort euren Weg als ein Fortschreiten in der Heiligkeit formt.

In der Liturgie finden wir die ganze Kirche im Gebet. Das Wort »Liturgie« bedeutet die Teilnahme des Volkes Gottes am »Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist« (Sacrosanctum Concilium SC 7). Worin besteht dieses Werk? Zuallererst bezieht es sich auf das Leiden Christi, seinen Tod und seine Auferstehung sowie seine Himmelfahrt – was wir als »österliches Geheimnis« bezeichnen. Es bezieht sich auch auf die Feier der Liturgie selbst. Die beiden Bedeutungen sind in der Tat untrennbar miteinander verbunden, weil dieses »Werk Jesu« der wahre Inhalt der Liturgie ist. Durch die Liturgie wird das »Werk Jesu« ständig in Berührung mit der Geschichte gebracht; mit unserem Leben, das geformt werden soll. Hier bekommen wir eine weitere Vorstellung von der Größe unseres christlichen Glaubens. Immer wenn ihr euch zur heiligen Messe versammelt, wenn ihr zur Beichte geht, immer wenn ihr eines der Sakramente feiert, ist Jesus am Wirken. Durch den Heiligen Geist zieht er euch zu sich, er nimmt euch hinein in seine Opferliebe zum Vater, die zur Liebe für alle wird. Wir sehen so, daß die Liturgie der Kirche ein Dienst der Hoffnung für die Menschheit ist. Eure gläubige Teilnahme ist aktive Hoffnung, die hilft, daß wir die Welt – Heilige und Sünder gleichermaßen – für Gott offen halten; das ist die wahre menschliche Hoffnung, die wir jedem anbieten (vgl. Spe salvi, 34).

Euer persönliches Gebet, eure Zeiten stiller Betrachtung und eure Teilnahme an der Liturgie der Kirche bringen euch näher zu Gott und bereiten euch auch darauf vor, den anderen zu dienen. Die Heiligen, die uns heute abend begleiten, zeigen uns, daß das Leben des Glaubens und der Hoffnung auch ein Leben der Liebe ist. Indem wir Jesus am Kreuz betrachten, sehen wir die Liebe in ihrer radikalsten Form. Wir können beginnen, uns den Weg der Liebe vorzustellen, auf dem wir gehen sollen (vgl. Deus caritas Est 12). Die Gelegenheiten, diesem Weg zu folgen, sind reichlich vorhanden. Blickt um euch mit den Augen Christi, hört mit seinen Ohren, fühlt und denkt mit seinem Herzen und mit seinem Geist. Seid ihr bereit, alles für die Wahrheit und die Gerechtigkeit zu geben, wie er es tat? Viele Formen des Leidens, auf die unsere Heiligen mit Mitgefühl reagiert haben, sind immer noch hier in dieser Stadt und in der Umgebung zu finden. Und neue Formen der Ungerechtigkeit sind entstanden: einige sind komplex und haben ihre Ursache in der Ausnutzung des Herzens und in der Manipulation des Geistes; auch unser gemeinsamer Lebensraum, die Erde, ächzt unter der Last konsumistischer Habgier und unverantwortlicher Ausbeutung. Wir müssen genau hinhören. Wir müssen mit einem erneuerten sozialen Handeln antworten, das der universalen Liebe entspringt, die keine Grenzen kennt. Auf diese Weise sind wir sicher, daß unsere Werke der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit sich vollziehende Hoffnung für andere werden.

Liebe Jugendliche, zum Abschluß möchte ich noch ein Wort zu den Berufungen sagen. Zunächst denke ich an eure Eltern, Großeltern und Paten. Sie sind eure ersten Erzieher im Glauben gewesen. Indem sie euch zur Taufe gebracht haben, haben sie euch die Möglichkeit gegeben, das größte Geschenk eures Lebens zu empfangen. An diesem Tag seid ihr in die Heiligkeit Gottes selbst eingetreten. Ihr seid Söhne und Töchter des Vaters an Kindes statt geworden. Ihr seid in Christi Leib hineingenommen worden. Ihr seid zu einer Wohnstatt seines Geistes geworden. Beten wir für die Mütter und Väter der ganzen Welt, vor allem für diejenigen, die mit sozialen, materiellen oder geistlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Ehren wir die Berufung zur Ehe und die Würde des Familienlebens. Wir wollen stets anerkennen, daß die Familien der Ort sind, an dem Berufungen entstehen.

Hier im »Saint Joseph Seminary« grüße ich die anwesenden Seminaristen, und in der Tat ermutige ich alle Seminaristen in ganz Amerika. Ich freue mich wirklich zu erfahren, daß eure Anzahl steig! Das Volk Gottes erwartet sich von euch, daß ihr heilige Priester werdet, auf einem täglichen Weg der Umkehr, und so in den anderen den Wunsch hervorruft, tiefer in das kirchliche Leben als Gläubige einzutreten. Ich ermahne euch, eure Freundschaft mit Jesus, dem Guten Hirten, zu vertiefen. Sprecht mit ihm von Herz zu Herz. Weist jede Versuchung der Zurschaustellung, des Karrieredenkens oder des Dünkels zurück. Strebt einen Lebensstil an, der wahrhaft von Liebe, Keuschheit und Demut geprägt ist, in der Nachahmung Christi, des Ewigen Hohenpriesters, dessen lebendiges Abbild ihr werden müßt (vgl. Pastores dabo vobis PDV 33). Liebe Seminaristen, ich bete täglich für euch. Erinnert euch daran, daß vor dem Herrn zählt, in seiner Liebe zu bleiben und seine Liebe für andere leuchten zu lassen.

Schwestern, Brüder und Priester der Ordensgemeinschaften leisten einen großen Beitrag zur Sendung der Kirche. Ihr prophetisches Zeugnis ist von der tiefen Überzeugung des Primats geprägt, mit dem das Evangelium das christliche Leben formt und die Gesellschaft verwandelt. Heute möchte ich eure Aufmerksamkeit auf die positive geistliche Erneuerung lenken, um welche sich die Kongregationen im Hinblick auf ihr Charisma bemühen. Das Wort »Charisma« bezeichnet eine Gabe, die frei und umsonst geschenkt wird. Die Charismen werden durch den Heiligen Geist verliehen, der Gründer und Gründerinnen inspiriert und Kongregationen mit einem dementsprechenden geistlichen Erbe bildet. Die wunderbare Reihe von Charismen, die jedem Orden zu eigen sind, stellt einen außerordentlichen geistlichen Schatz dar. In der Tat wird die Geschichte der Kirche vielleicht am schönsten durch die Geschichte ihrer geistlichen Schulen dargestellt, von denen die meisten aus dem heiligen Leben ihrer Gründer und Gründerinnen entstanden sind. Ich bin sicher, daß einige von euch jungen Menschen durch die Entdeckung der Charismen, die eine solche Fülle an geistlicher Weisheit hervorbringen, von einem Leben des apostolischen oder kontemplativen Dienstes angezogen werden. Scheut euch nicht, mit Brüdern, Schwestern oder Priestern der Ordensgemeinschaften über das Charisma und die Spiritualität ihrer Kongregation zu sprechen. Es gibt keine vollkommene Gemeinschaft, doch der Herr fordert euch dazu auf, die Treue zu einem Gründungscharisma und nicht zu einzelnen Personen zu erkennen. Habt Mut! Auch ihr könnt euer Leben zu einem Geschenk euer selbst für die Liebe zu Jesus, dem Herrn, und in ihm zu jedem Mitglied der Menschheitsfamilie machen. (vgl. Vita consecrata VC 3).

Freunde, ich frage Euch nochmals, was sollen wir jetzt sagen? Was sucht Ihr? Was will Gott von euch? Jesus Christus ist die Hoffnung, die niemals enttäuscht. Die Heiligen zeigen uns die selbstlose Liebe seines Weges. Als Jünger Christi haben sich ihre außergewöhnlichen Wege innerhalb jener Gemeinschaft der Hoffnung entfaltet, welche die Kirche ist. Innerhalb der Kirche werdet auch ihr den Mut und die Unterstützung finden, um auf dem Weg des Herrn zu gehen. Gespeist durch das persönliche Gebet, vorbereitet in der Stille, geformt durch die Liturgie der Kirche werdet ihr die besondere Berufung entdecken, die Gott für euch vorgesehen hat. Nehmt sie freudig an! Heute seid ihr die Jünger Christi. Laßt sein Licht über dieser großen Stadt und darüber hinaus leuchten. Zeigt der Welt den Grund für die Hoffnung, die in euch ist. Sprecht mit den anderen von der Wahrheit, die euch frei macht. Mit diesen Gefühlen großer Hoffnung, die ich in euch setze, grüße ich euch mit einem »Auf Wiedersehen« in der Erwartung, euch im Juli erneut in Sydney beim Weltjugendtag zu treffen! Und als Unterpfand meiner Zuneigung zu euch und euren Familien erteile ich euch mit Freude meinen Apostolischen Segen.

... auf spanisch:

Liebe Seminaristen, liebe Jugendliche!

Es ist für mich eine große Freude, mit euch im Verlauf dieses Besuches zusammenzutreffen, während dem ich auch meinen Geburtstag gefeiert habe. Danke für eure Aufnahme und die Freundlichkeit, die ihr mir gezeigt habt.

Ich ermahne euch, euer Herz dem Herrn zu öffnen, damit er es ganz erfülle und ihr so mit dem Feuer seiner Liebe sein Evangelium in alle Viertel New Yorks tragen könnt.

Das Licht des Glaubens wird euch dazu drängen, auf Böses mit Gutem und mit der Heiligkeit des Lebens zu antworten, wie es die großen Zeugen des Evangeliums über Jahrhunderte hinweg getan haben. Ihr seid dazu berufen, diese Kette der Freunde Jesu weiterzuführen, die in seiner Liebe dem großen Schatz ihres Lebens begegnet sind. Hegt diese Freundschaft durch das Gebet, sowohl das persönliche wie auch das liturgische, und durch die Werke der Nächstenliebe sowie den Einsatz für diejenigen, die besonders in Schwierigkeiten sind. Wenn ihr es noch nicht getan habt, dann denkt ernsthaft darüber nach, ob der Herr euch nicht darum bittet, ihm im Priesteramt oder im geweihten Leben radikal nachzufolgen. Eine gelegentliche Beziehung mit Christus reicht nicht. Eine derartige Freundschaft ist keine echte Freundschaft. Christus sehnt sich nach euch als seine innigen Freunde, treu und ausdauernd.

Ich erneuere euch meine Einladung zur Teilnahme am Weltjugendtag in Sydney, und ich versichere euch, daß ich euer im Gebet gedenken werde, mit dem ich Gott bitte, daß er euch zu echten Jüngern des auferstandenen Christus macht. Ich danke euch von Herzen!
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Benedikt XVI Predigten 191