Benedikt XVI Predigten 287

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PILGERREISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

INTERVIEW MIT PAPST BENEDIKT XVI.

AUF DEM FLUG NACH AMMAN Freitag, 8. Mai 2009

P. Lombardi:


Eure Heiligkeit, wir danken Ihnen sehr, daß Sie uns auch diesmal, am Beginn einer so wichtigen und anspruchsvollen Reise, die Gelegenheit einer Begegnung mit Ihnen gestatten. So geben Sie uns die Möglichkeit, Ihnen eine gute Reise zu wünschen und Ihnen zu sagen, daß wir bei der Verbreitung der Botschaften, die Sie uns mitteilen wollen, zusammenarbeiten werden. Wie gewohnt sind die Fragen, die ich jetzt stellen werde, das Ergebnis einer Sammlung von Fragen unter den anwesenden Kollegen. Ich stelle die Fragen, weil es so logistisch einfacher ist, aber tatsächlich sind sie die Frucht gemeinsamer Arbeit.

Frage: Eure Heiligkeit, diese Reise findet in einer für den Nahen Osten sehr schwierigen Zeit statt: Es gibt große Spannungen – während der Gaza-Krise dachte man auch, daß Sie vielleicht auf die Reise verzichten würden. Darüber hinaus werden wenige Tage nach Ihrer Reise die wichtigsten politischen Verantwortungsträger Israels und der Palästinensischen Autonomiegebiete mit Präsident Obama zusammentreffen. Glauben Sie, daß Sie einen Beitrag zum Friedensprozeß leisten können, der gegenwärtig zu stocken scheint?

Papst Benedikt XVI.: Guten Tag! Zuallererst möchte ich Ihnen für die Arbeit danken, die Sie tun. Wir wünschen uns alle gemeinsam eine gute Reise, eine gute Pilgerfahrt, eine gute Rückkehr. Zur Frage: Sicherlich möchte ich zum Frieden beitragen, nicht als Einzelperson, sondern im Namen der katholischen Kirche, des Heiligen Stuhls. Wir sind keine politische Macht, sondern eine geistliche Kraft, und diese geistliche Kraft ist eine Realität, die zu Fortschritten im Friedensprozeß beitragen kann. Ich sehe drei Ebenen. Die erste: Als Gläubige sind wir überzeugt, daß das Gebet eine echte Kraft ist: Es öffnet die Welt für Gott. Wir sind überzeugt, daß Gott uns hört und daß er in der Geschichte handeln kann. Ich denke, wenn Millionen Menschen, Millionen Gläubige beten, ist es wirklich eine Kraft, die einen Einfluß hat und dazu beitragen kann, daß es im Frieden Fortschritte gibt. Die zweite Ebene: Wir wollen Hilfestellung geben bei der Gewissensbildung. Das Gewissen ist die Fähigkeit des Menschen, die Wahrheit zu erkennen, aber diese Fähigkeit wird oft durch Einzelinteressen behindert. Und von diesen Einzelinteressen zu befreien und dabei mehr für die Wahrheit, für die wahren Werte offen zu werden, ist eine große Aufgabe: Es ist eine Aufgabe der Kirche, zu helfen, die echten Kriterien, die wahren Werte zu kennen und uns von den Einzelinteressen zu befreien. Und so – das ist die dritte Ebene – sprechen wir auch – genau so ist es! – zur Vernunft: Gerade weil wir politisch unparteiisch sind, können wir vielleicht leichter, auch im Licht des Glaubens, die wahren Kriterien erkennen, verstehen helfen, was zum Frieden beiträgt und die Vernunft ansprechen, wirklich vernünftige Positionen unterstützen. Das haben wir bereits in der Vergangenheit getan und das wollen wir auch jetzt und in Zukunft tun.

Frage: Danke, Eure Heiligkeit. Nun die zweite Frage. Als Theologe haben Sie in besonderer Weise über die gemeinsame Wurzel nachgedacht, die Christen und Juden verbindet. Warum gibt es trotz der Bemühungen um einen Dialog oft Anlässe zu Mißverständnissen? Wie sehen Sie die Zukunft des Dialogs zwischen den beiden Gemeinschaften?

Papst Benedikt XVI.: Es ist wichtig, daß wir wirklich dieselbe Wurzel haben, dieselben Bücher des Alten Testaments, die – sowohl für die Juden als auch für uns – Buch der Offenbarung sind. Aber natürlich darf man sich nach 2000 Jahren unterschiedlicher, ja sogar getrennter Geschichte nicht darüber wundern, daß es Mißverständnisse gibt, weil sich sehr unterschiedliche Traditionen der Interpretation, der Ausdrucksweise, der Gedankenwelt gebildet haben, sozusagen ein sehr andersartiger »semantischer Kosmos «, so daß dieselben Worte auf beiden Seiten Verschiedenes bedeuten; und durch diesen Gebrauch von Worten, die im Lauf der Geschichte unterschiedliche Bedeutungen ausgebildet haben, entstehen offensichtlich Mißverständnisse. Wir müssen alles tun, um die Sprache des anderen zu erlernen, und mir scheint, wir machen darin große Fortschritte. Heute haben wir die Möglichkeit, daß die jungen Menschen, die zukünftigen Theologieprofessoren, in Jerusalem studieren können, an der Hebräischen Universität, und die Juden haben akademische Kontakte zu uns: So kommt es zu einer Begegnung dieser unterschiedlichen »semantischen Kosmen«. Lernen wir voneinander und gehen wir voran auf dem Weg des wahren Dialogs, lernen wir einer vom anderen, und ich bin sicher und überzeugt, daß wir Fortschritte machen werden. Und das wird auch dem Frieden helfen, mehr noch, der gegenseitigen Liebe.

Frage: Eure Heiligkeit, diese Reise hat zwei grundlegende Dimensionen des interreligiösen Dialogs: mit dem Islam und dem Judentum. Sind das zwei vollkommen voneinander getrennte Richtungen, oder wird es auch eine gemeinsame Botschaft geben, welche die drei Religionen betrifft, die sich auf Abraham berufen?

Papst Benedikt XVI.: Sicherlich gibt es auch eine gemeinsame Botschaft, und es wird Gelegenheit geben, sie hervorzuheben. Trotz der unterschiedlichen Ursprünge haben wir gemeinsame Wurzeln, weil, wie ich schon gesagt habe, das Christentum aus dem Alten Testament hervorgeht, und die Schriften des Neuen Testaments gäbe es nicht ohne das Alte Testament, denn sie beziehen sich ständig auf »die Schrift«, das heißt das Alte Testament. Aber auch der Islam entstand in einem Umfeld, in dem sowohl das Judentum als auch die unterschiedlichen Zweige des Christentums – das Judenchristentum, das antiochenische Christentum, das byzantinische Christentum – präsent waren. All diese Umstände spiegeln sich in der Überlieferung des Korans wider, so daß wir von den Ursprüngen her und auch im Glauben an den einen Gott sehr viel gemeinsam haben. Deshalb ist es wichtig, auf der einen Seite einen bilateralen Dialog zu pflegen – mit dem Judentum sowie mit dem Islam – und dann auch den trilateralen Dialog. Ich selbst bin Mitbegründer einer Stiftung für den Dialog zwischen den drei Religionen, damals haben wir zusammengearbeitet mit Persönlichkeiten wie Metropolit Damaskinos und dem Oberrabbiner von Frankreich, René Samuel Sirat. Diese Stiftung hat auch die Bücher der drei Religionen herausgegeben: den Koran, das Neue Testament und das Alte Testament. Der trilaterale Dialog muß also weitergehen, und er ist äußerst wichtig für den Frieden und auch damit, sagen wir es einmal so, jeder die eigene Religion gut zu leben versteht.

Frage: Eine letzte Frage. Eure Heiligkeit, Sie haben oft auf das Problem der abnehmenden Zahl der Christen im Nahen Osten und insbesondere im Heiligen Land hingewiesen. Es ist ein Phänomen mit verschiedenen Ursachen im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Was kann man konkret tun, um die christliche Präsenz in der Region zu unterstützen? Welchen Beitrag hoffen Sie mit Ihrer Reise zu leisten? Gibt es in Zukunft für diese Christen eine Hoffnung? Haben Sie auch eine besondere Botschaft für die Christen aus Gaza, die nach Betlehem kommen werden, um Ihnen zu begegnen?

Papst Benedikt XVI.: Sicher gibt es Hoffnung, denn es handelt sich jetzt, wie Sie bereits gesagt haben, um einen schwierigen Augenblick, aber es ist auch ein Moment der Hoffnung, des Neuanfangs, eines neuen Impulses auf dem Weg zum Frieden. Wir wollen die Christen im Heiligen Land und im ganzen Nahen Osten vor allem ermutigen, zu bleiben, in ihren Herkunftsländern ihren Beitrag zu leisten: sie sind ein wichtiger Teil der Kultur und des Lebens in diesen Regionen. Konkret hat die Kirche über die Worte der Ermutigung und das gemeinsame Gebet hinaus vor allem Schulen und Krankenhäuser. So sind wir dort mit ganz konkreten Einrichtungen vertreten. Unsere Schulen bilden eine Generation aus, die die Möglichkeit haben wird, im heutigen Leben, im öffentlichen Leben präsent zu sein. Wir sind dabei, eine katholische Universität in Jordanien aufzubauen. Dies scheint mir eine großartige Perspektive zu sein, wo junge Menschen – sowohl Muslime als auch Christen – einander begegnen, gemeinsam lernen, wo eine christliche Elite ausgebildet wird, die bereit und fähig ist, für den Frieden zu wirken. Generell sind unsere Schulen ein sehr wichtiges Moment, um den Christen eine Zukunft zu eröffnen, und die Krankenhäuser zeigen unsere Präsenz. Außerdem gibt es viele christliche Vereinigungen, die auf unterschiedliche Weise den Christen helfen und sie mit konkreten Hilfen zum Bleiben ermutigen. So hoffe ich, daß die Christen wirklich den Mut, die Demut und die Geduld finden können, in diesen Ländern zu bleiben und ihren Beitrag zur Zukunft dieser Länder zu leisten.

P. Lombardi:

Danke, Eure Heiligkeit. Mit diesen Antworten haben Sie uns geholfen, unsere Reise unter geistlichem, kulturellem Blickwinkel zu sehen, und ich wiederhole die guten Wünsche auch im Namen aller Kollegen in diesem Flugzeug sowie der anderen, die in diesen Stunden auf dem Weg in das Heilige Land sind, um an der Reise teilzunehmen und auch unter informativem Gesichtspunkt zu einem guten Gelingen Ihrer so anspruchsvollen Sendung beizutragen. Ihnen und allen Ihren Mitarbeitern wünsche ich eine gute Reise und allen Kollegen gute Arbeit.
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PILGERREISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

BEGRÜSSUNGSZEREMONIE

Internationaler Flughafen "Queen Alia" - Amman
Freitag, 8. Mai 2009


Majestäten,
Exzellenzen,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Freunde,

Mit Freude grüße ich alle, die zu Beginn meines ersten Besuches im Nahen Osten seit meiner Wahl auf den Stuhl Petri hierher gekommen sind. Ich freue mich, den Boden des Haschemitischen Königreichs Jordanien zu betreten, eines Landes, das so reich an Geschichte ist, Heimat so vieler antiker Kulturen und tief geprägt von religiöser Bedeutung für Juden, Christen und Muslime. Ich danke Seiner Majestät König Abdullah II. für seine freundlichen Worte der Begrüßung und spreche ihm meinen besonderen Glückwunsch in diesem Jahr zum zehnten Jahrestag seiner Thronbesteigung aus. In meinen Gruß an Seine Majestät schließe ich von Herzen gute Wünsche für alle Mitglieder der königlichen Familie und der Regierung, wie auch für alle Bewohner des Königreiches ein. Ich grüße die anwesenden Bischöfe, besonders die Mitbrüder mit seelsorglichen Aufgaben in Jordanien. Ich freue mich, mit Ihnen; verehrte Bischöfe, und mit zahlreichen Ihrer Sorge anvertrauten Gläubigen morgen abend in der Sankt-Georgs-Kathedrale und am Sonntag im Internationalen Stadion Gottesdienst zu feiern.

Ich komme als Pilger nach Jordanien, um die heiligen Stätten zu verehren, die eine solch bedeutende Rolle bei einigen zentralen Ereignissen der biblischen Geschichte gespielt haben. Am Berg Nebo führte Mose sein Volk bis in die Sichtweite des Landes, das ihre Heimat werden sollte; hier starb er und wurde er begraben. In Betanien auf der anderen Seite des Jordan predigte Johannes der Täufer und gab Zeugnis für Jesus, den er im Wasser jenes Flusses taufte, der diesem Land seinen Namen gibt. In den kommenden Tagen werde ich diese beiden heiligen Orte besuchen, und es wird mir eine Freude sein, die Grundsteine von Kirchen zu segnen, die am traditionellen Ort der Taufe Jesu errichtet werden sollen. Es ist ein Zeichen des Respekts dieses Landes für die verschiedenen Religionen, daß die katholische Gemeinschaft Jordaniens die Möglichkeit hat, öffentliche Gottesdienststätten zu errichten. In ihrem Namen möchte ich zum Ausdruck bringen, wie sehr diese Offenheit gewürdigt wird. Religionsfreiheit ist in der Tat ein grundlegendes Menschenrecht, und es ist meine inständige Hoffnung und mein Gebet, daß die Wertschätzung für die unveräußerlichen Rechte und die Würde jedes Menschen zunehmend anerkannt und verteidigt werden – nicht nur im Nahen Osten, sondern in jedem Teil der Welt.

Mein Besuch in Jordanien gibt mir eine gute Gelegenheit, von meinen tiefen Respekt gegenüber der muslimischen Gemeinschaft zu sprechen und der führenden Rolle Anerkennung zu zollen, die Seine Königliche Majestät bei der Förderung eines besseren Verständnisses der vom Islam verkündeten Tugenden gezeigt hat. Nachdem einige Jahre seit der Veröffentlichung der Amman Message und der Amman Interfaith Message vergangen sind, können wir sagen, daß diese verdienstvollen Initiativen viel Gutes bei der Unterstützung einer Allianz der Kulturen zwischen dem Westen und der muslimischen Welt bewirkt haben und damit die Voraussagen jener widerlegt haben, die Gewalttätigkeit und Konflikt als unvermeidlich betrachten. In der Tat steht das Königreich Jordanien schon lange in vorderster Reihe bei den Initiativen zur Förderung des Friedens im Nahen Osten und überall auf der Welt, indem es zum interreligiösen Dialog ermutigt und alle Bemühungen unterstützt, eine gerechte Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu finden, indem es Flüchtlinge aus dem benachbarten Irak aufnimmt und den Extremismus niederzuhalten trachtet. Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne der Pionierleistung des verstorbenen Königs Hussein für den Frieden in der Region zu gedenken. Wie angebracht ist es, daß meine Begegnung morgen mit den muslimischen geistlichen Führern, mit dem diplomatischen Corps und den Rektoren der Universitäten in der nach ihm benannten Moschee stattfinden wird. Möge sein Engagement für eine Lösung der Konflikte der Region weiterhin Frucht bringen bei den Anstrengungen zur Förderung eines dauerhaften Friedens und einer authentischen Gerechtigkeit, die allen im Nahen Osten Lebenden zugute kommt.

Liebe Freunde, bei dem Seminar des Katholisch-Muslimischen Forums in Rom im vergangenen Herbst, haben die Teilnehmer die zentrale Rolle diskutiert, die in unseren jeweiligen religiösen Traditionen das Gebot der Liebe einnimmt. Ich hoffe sehr, daß dieser Besuch und wahrlich alle Initiativen, die geplant sind, um gute Beziehungen zwischen Christen und Muslimen zu fördern, uns helfen, in der Liebe zum allmächtigen und barmherzigen Gott und in brüderlicher Liebe für einander zu wachsen. Danke für Ihren freundlichen Empfang. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Möge Gott Ihren Majestäten Glück und langes Leben gewähren! Möge Er Jordanien mit Wohlergehen und Frieden segnen!
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PILGERREISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

BESUCH DES "REGINA PACIS"-ZENTRUMS


Amman

Freitag, 8. Mai 2009


Eure Seligkeiten!
Exzellenzen!
Liebe Freunde!

Ich bin sehr froh, heute nachmittag hier mit Ihnen zu sein, und ich grüße einen jeden von Ihnen sowie Ihre Familienangehörigen, wo immer sie sein mögen. Ich danke dem Patriarchen, Seiner Seligkeit Fouad Twal, für seine freundlichen Worte der Begrüßung. In besonderer Weise möchte ich unter uns Bischof Selim Sayegh begrüßen, dessen Vision und Arbeit für dieses Zentrum, gemeinsam mit der Arbeit des emeritieren Patriarchen, Seiner Seligkeit Michel Sabbah, heute durch die soeben stattgefundene Segnung des neuen Anbaus gewürdigt worden ist. Desgleichen möchte ich von Herzen die Mitglieder des Komitees des Zentrums, die Comboni-Schwestern und die engagierten Mitarbeiter grüßen, einschließlich derer, die in den vielen Zweigstellen und Einheiten des Zentrums in den Gemeinden tätig sind. Ihr Ruf hervorragender professioneller Kompetenz, mitfühlender Sorge und entschiedener Förderung der Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft ist hier und im ganzen Königreich wohlbekannt. Den anwesenden jungen Menschen danke ich für den bewegenden Empfang. Es ist eine große Freude für mich, bei Ihnen zu sein.

Wie Sie wissen, ist mein Besuch hier im „Regina-Pacis“-Zentrum in Amman die erste Etappe auf meiner Pilgerreise. Wie unzählige Pilger vor mir bin nun ich an der Reihe, dem innigen Wunsch Genüge zu tun, die Orte, wo Jesus lebte und die er durch seine Gegenwart geheiligt hat, zu berühren, an ihnen Trost zu schöpfen und sie zu verehren. Seit apostolischer Zeit war Jerusalem der erste Ort der Pilgerschaft für die Christen. Aber noch früher, im Nahen Osten des Altertums, errichteten semitische Völker heilige Stätten, um dort der Gegenwart oder des Handelns Gottes zu gedenken. Und die einfachen Leute reisten zu diesen Zentren und brachten dabei einen Teil der Früchte ihres Landes und ihres Viehs als Lob- und Dankopfer mit.

Liebe Freunde, jeder von uns ist ein Pilger. Wir alle werden zu einem Zweck auf Gottes Pfad vorwärts gezogen. Natürlich neigen wir dann dazu, auf das Leben zurückzublicken – manchmal mit Bedauern und Schmerz, oft in Dankbarkeit und Anerkennung – und wir schauen auch nach vorne – bisweilen mit Beklommenheit und Furcht, stets aber mit Erwartung und Hoffnung, da wir auch wissen, daß andere da sind, die uns auf dem Weg ermutigen. Ich weiß, daß die Wege, die viele von Ihnen in das „Regina-Pacis“-Zentrum geführt haben, von Leiden oder Heimsuchungen gekennzeichnet waren. Einige von Ihnen kämpfen mutig mit Behinderungen, andere haben Ablehnung erfahren, und manche wurden von diesem Ort des Friedens einfach wegen der Ermutigung und Unterstützung angezogen. Von besonderer Bedeutung ist, wie ich weiß, der große Erfolg des Zentrums bei der Förderung der Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft und bei der Gewährleistung angemessener Schulung und geeigneter Möglichkeiten, um eine solche Integration zu erleichtern. Für diesen Weitblick und diese Entschlossenheit verdienen Sie alle großes Lob und Ermutigung!

Gelegentlich ist es schwierig, einen Grund dafür zu finden, das, was bloß als Hindernis erscheint, zu überwinden, oder was sogar als – physischer oder seelischer – Schmerz auftritt, zu ertragen. Doch Glaube und Verstand helfen uns, über uns selbst hinaus einen Horizont zu sehen, um das Leben sich so vorzustellen, wie Gott es tut. Gottes unbedingte Liebe, die jedem Menschen Leben gibt, weist auf eine Bedeutung und einen Sinn für jedes menschliche Leben hin. Seine Liebe ist eine rettende Liebe (vgl. Joh Jn 12,32). Wie wir Christen bekennen, zieht Christus uns durch das Kreuz tatsächlich in das ewige Leben hinein. Dadurch zeigt er uns den vor uns liegenden Weg – den Weg der Hoffnung, die jeden unserer Schritte unterwegs lenkt, so daß auch wir Träger dieser Hoffnung und Liebe für andere werden.

Freunde, im Gegensatz zu den Pilgern früherer Zeiten komme ich nicht mit Geschenken oder Gaben. Ich komme einfach mit einer Absicht, einer Hoffnung: für das wertvolle Geschenk der Einheit und des Friedens zu beten, insbesondere für den Nahen Osten. Frieden für die Menschen, für Eltern und Kinder, für die Gemeinschaften; Frieden für Jerusalem, für das Heilige Land, für die Region; Frieden für die ganze Menschheitsfamilie; dauerhafter Frieden, der aus Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit und Mitgefühl entsteht, Frieden, der von Demut, von Vergebung und vom tiefen Wunsch, miteinander in Harmonie zu leben, herrührt.

Gebet ist gelebte Hoffnung. Und tatsächlich ist im Gebet die tiefe Einsicht enthalten: Wir treten mit dem einen Gott, dem Schöpfer aller Dinge, in eine liebende Verbindung ein, und dadurch erkennen wir die Sinnlosigkeit menschlicher Trennungen und Vorurteile und erahnen die außerordentlichen Möglichkeiten, die sich vor uns auftun, wenn unsere Herzen sich zu Gottes Wahrheit, zu seinem Plan für einen jeden von uns und für unsere Welt bekehren.

Liebe junge Freunde, besonders euch möchte ich sagen, daß ich in eurer Mitte Kraft von Gott erhalte. eure Erfahrung von Prüfungen, euer Zeugnis an Mitgefühl und eure Entschlossenheit, die Hindernisse, denen ihr begegnet, zu überwinden, bestärken mich in der Überzeugung, daß das Leiden eine Änderung zum Guten herbeiführen kann. Sei es in unseren eigenen Prüfungen, sei es, daß wir anderen in ihren Mühen zur Seite stehen, wir bekommen einen Einblick in das Wesen unseres Menschseins, wir werden sozusagen menschlicher. Und wir lernen nach und nach, auf einer anderen Ebene, daß selbst Herzen, die von Zynismus, Ungerechtigkeit oder von mangelnder Bereitschaft zur Vergebung verhärtet sind, niemals jenseits der Reichweite Gottes liegen, sondern immer für eine neue Art des Daseins, eine Vision des Friedens geöffnet werden können.

Ich rufe Sie alle dazu auf, jeden Tag für unsere Welt zu beten. Und heute möchte ich Sie bitten, eine besondere Aufgabe zu übernehmen: Bitte, beten Sie für mich an jedem Tag meiner Pilgerreise; für meine eigene geistliche Erneuerung im Herrn und für die Bekehrung der Herzen zu Gottes Weg der Vergebung und der Solidarität, so daß meine – unsere – Hoffnung auf Einheit und Frieden in der Welt reiche Frucht bringen möge.

Gott segne Sie und Ihre Familien, die Lehrer, Pfleger, Verwalter und Wohltäter dieses Zentrums. Unsere Liebe Frau, die Königin des Friedens, möge Sie auf dem Pilgerweg ihres Sohnes, des Guten Hirten, beschützen und leiten.
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PILGERREISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

BESUCH DER MOSES-GEDÄCHTNISKIRCHE

Berg Nebo
Samstag, 9. Mai 2009


Pater Generalminister!
Pater Kustos!
Liebe Freunde!

An diesem heiligen Ort, der durch das Andenken an Mose geweiht ist, grüße ich Sie alle herzlich in unserem Herrn Jesus Christus. Ich danke dem Generalminister der Minderbrüder, Pater José Rodríguez Carballo, für seinen liebenswürdigen Willkommensgruß. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch persönlich und im Namen der ganzen Kirche den Brüdern der Kustodie für ihre jahrhundertelange Präsenz im diesen Ländern, für ihre freudige Treue zum Charisma des heiligen Franziskus und für ihr großzügiges Bemühen um das geistliche und materielle Wohl der christlichen Gemeinden vor Ort und der unzähligen Pilger danken, die jedes Jahr das Heilige Land besuchen. Ich möchte hier auch mit besonderer Dankbarkeit den verstorbenen Pater Michele Piccirillo erwähnen, der sein Leben der Erforschung der christlichen Antike gewidmet hat und in diesem ihm so teuren Heiligtum begraben ist.

Es ist angemessen, daß meine Pilgerreise auf diesem Berg beginnt, von dem Mose aus der Ferne das verheißene Land erblickte. Die wunderbare Aussicht vom Vorplatz dieses Heiligtums lädt uns ein, darüber nachzudenken, wie jene prophetische Vision auf geheimnisvolle Weise den großen Heilsplan umfaßte, den Gott für sein Volk vorbereitet hatte. Denn in diesem Jordantal, das unter uns liegt, sollte, als die Zeit erfüllt war, Johannes der Täufer auftreten, um dem Herrn den Weg zu bereiten. In diesen Wassern des Jordanflusses sollte Jesus nach seiner Taufe durch Johannes als geliebter Sohn des Vaters offenbart werden und, gesalbt vom Heiligen Geist, sein öffentliches Wirken beginnen. Und vom Jordan ausgehend sollte das Evangelium zuerst durch die Verkündigung und die Wunder Christi verbreitet werden und dann nach seiner Auferstehung und der Ausgießung des Geistes zu Pfingsten von seinen Jüngern bis an die Enden der Erde getragen werden.

Hier auf den Höhen des Bergs Nebo lädt uns das Gedenken an Mose ein, „unsere Augen zu erheben“, um mit Dankbarkeit nicht nur Gottes große Taten in der Vergangenheit zu betrachten, sondern auch um mit Glauben und Hoffnung in die Zukunft zu blicken, die er für uns und für unsere Welt bereithält. Wie Mose hat er auch uns bei unserem Namen gerufen, uns eingeladen, Tag für Tag aus der Sünde und der Sklaverei hinauszuziehen ins Leben und in die Freiheit, und er hat uns ein unerschütterliches Versprechen gegeben, uns auf unserem Weg zu begleiten. Im Wasser der Taufe sind wir aus der Sklaverei der Sünde in ein neues Leben und eine neue Hoffnung hinübergetreten. In der Gemeinschaft der Kirche, dem Leib Christi, erwarten wir freudig den Anblick der himmlischen Stadt, des neuen Jerusalems, wo Gott alles in allen sein wird. Von diesem heiligen Berg lenkt Mose unseren Blick – wie er es später erneut am Berg Tabor tun sollte (vgl. Lk Lc 9,28-36) – auf die Erfüllung aller Verheißungen Gottes in Christus.

Mose hat das verheißene Land am Ende seines irdischen Pilgerwegs aus der Ferne betrachtet. Sein Beispiel erinnert uns daran, daß auch wir ein Teil der die Zeiten überdauernden Pilgerschaft des Gottesvolkes durch die Geschichte sind. Auf den Spuren der Propheten, der Apostel und der Heiligen sind wir berufen, mit dem Herrn zu gehen, seine Sendung weiterzutragen, für die Frohbotschaft von Gottes allumfassender Liebe und von seinem Erbarmen Zeugnis zu geben. Wir haben den Auftrag, durch unsere Nächstenliebe, unseren Dienst an den Armen und unser Bemühen, Sauerteig der Versöhnung, der Vergebung und des Friedens in der Welt um uns zu sein, zum Kommen des Reiches Christi beizutragen. Wir wissen, daß wir wie Mose vielleicht nicht die volle Umsetzung von Gottes Plan in unserer Lebenszeit sehen werden. Doch wir vertrauen, daß wir durch die Erfüllung unseres kleinen Teils in Treue zu der Berufung, die jeder von uns empfangen hat, helfen werden, die Wege des Herrn zu ebnen und den Anbruch seines Reiches willkommen zu heißen. Und wir wissen, daß Gott, der Mose mit der Offenbarung seines Namens ein Versprechen gab, immer an unserer Seite zu sein (vgl. Ex Ex 3,14), uns die Kraft geben wird, auch inmitten von Leid, Prüfung und Drangsal in freudiger Hoffnung auszuharren.

Seit frühester Zeit sind die Christen zu den Stätten gepilgert, die in Verbindung mit der Geschichte des auserwählten Volkes, mit den Ereignissen des Lebens Christi und mit den Anfängen der Kirche in Verbindung stehen. Diese große Tradition, die meine gegenwärtige Wallfahrt weiterführen und bekräftigen möchte, gründet in dem Verlangen, im Gebet und in der Betrachtung jene Stätten zu sehen, zu berühren und auszukosten, die durch die körperliche Gegenwart unseres Heilands, seiner seligen Mutter, der Apostel und der ersten Jünger, die ihn nach der Auferstehung von den Toten sahen, gesegnet wurden. Hier auf den Spuren der unzähligen Pilger, die uns in allen Jahrhunderten vorausgegangen sind, sind wir herausgefordert, das Geschenk unseres Glaubens in größerer Fülle schätzen zu lernen und in jener Gemeinschaft zu wachsen, die alle Grenzen der Sprache, der Rasse und der Kultur überwindet.

Die alte Tradition der Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten erinnert uns auch an das unzertrennbare Band zwischen der Kirche mit dem jüdischen Volk. Von Anfang an hat die Kirche in diesen Ländern in ihrer Liturgie der großen Gestalten der Patriarchen und Propheten gedacht, als Zeichen ihrer großen Wertschätzung für die Einheit der beiden Testamente. Unsere heutige Begegnung schenke uns eine neue Liebe zum Kanon der Heiligen Schrift und ein Verlangen, alle Hindernisse auf dem Weg der Versöhnung zwischen Christen und Juden in gegenseitiger Achtung und Zusammenarbeit im Dienst des Friedens, zu dem uns das Wort Gottes ruft, zu überwinden!

Liebe Freunde, an dieser heiligen Stätte versammelt, wollen wir nun unsere Augen und unsere Herzen zum Vater erheben. Wenn wir uns jetzt bereit machen, um das Gebet zu beten, das Jesus uns gelehrt hat, so wollen wir ihn bitten, das Kommen seines Reiches zu beschleunigen, damit wir die Erfüllung seines Heilsplans sehen und mit dem heiligen Franziskus und allen Pilgern, die uns im Zeichen des Glaubens vorangegangen sind, die Gabe des unermeßlichen Friedens – pax et bonum – erfahren können, die uns im himmlischen Jerusalem erwartet.
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INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

SEGNUNG DES GRUNDSTEINS FÜR DIE UNIVERSITÄT VON MADABA

DES LATEINISCHEN PATRIARCHATS


Madaba
Samstag, 9. Mai 2009


Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt!
liebe Freunde!

Ich freue mich sehr, diesen Grundstein der Universität von Madaba segnen zu können. Ich danke dem lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Seiner Seligkeit Fouad Twal, für seinen freundlichen Willkommensgruß. Zugleich möchte ich ein besonderes Wort der Anerkennung an den emeritierten Patriarchen, Seine Seligkeit Michel Sabbah, der gemeinsam mit Bischof Salim Sayegh die Initiative und Tatkraft aufgebracht hat, denen diese neue Einrichtung so viel verdankt. Ich grüße auch die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Bischöfe, Priester, Ordensleute und Gläubigen sowie alle, die bei dieser bedeutsamen Zeremonie zugegen sind.

Das Königreich Jordanien hat der Aufgabe der Ausweitung und Verbesserung des Bildungswesens mit Recht Vorrang gegeben. Es ist mir bekannt, daß Ihre Majestät Königin Rania bei dieser edlen Mission besonders aktiv ist. Ihr Engagement wirkt sich auf viele inspirierend aus. Während ich den Bemühungen der Menschen guten Willens um die Erziehung Tribut zolle, stelle ich mit Genugtuung die kompetente und kulturell qualifizierte Teilnahme christlicher, besonders der katholischen und orthodoxen Institutionen bei dieser globalen Aufgabe fest. Dies ist der Hintergrund, der die katholische Kirche veranlaßt hat, mit der Unterstützung der jordanischen Behörden ihre Kräfte in die Förderung von Hochschulausbildung in diesem Land und anderswo zu stecken. Die Initiative geht auch auf die Wünsche vieler Familien ein, die zufrieden über die Ausbildung, die sie in den von Ordensgemeinschaften geführten Schulen empfangen haben, nun eine analoge Option im universitären Bereich fordern.

Ich bekunde den Förderern dieser neuen Institution meine Anerkennung für ihr mutiges Vertrauen in gute Ausbildung als ein Sprungbrett für persönliche Entwicklung wie auch für Frieden und Fortschritt in der Region. In diesem Zusammenhang wird die Universität von Madaba sicherlich drei bedeutende Ziele im Auge behalten. In der Entwicklung von Talenten und erstrebenswerten Einstellungen bei künftigen Generationen von Studenten wird sie diese vorbereiten, der größeren Gemeinschaft zu dienen und ihre Lebensstandards anzuheben. In der Weitergabe von Wissen und durch das Einfließenlassen einer Liebe zur Wahrheit bei den Studenten wird sie deren Bindung an Werte und deren personale Freiheit beträchtlich erhöhen. Schließlich wird diese geistige Ausbildung ihre kritischen Fähigkeiten schärfen, Unkenntnis und Vorurteil zerstreuen und den Bann durchbrechen helfen, der durch alte und neue Ideologien entstanden ist. Das Ergebnis dieses Prozesses ist eine Universität, die nicht nur eine Plattform für die Festigung der Bindung an Wahrheit und an die Werte einer gegebenen Kultur, sondern einen Ort des Verständnisses und des Dialogs darstellen. Indem sie ihr eigenes Erbe in sich aufnehmen, werden junge Jordanier und andere Studenten der Region zu einer tieferen Kenntnis der Errungenschaften der Menschheit geführt, bereichert durch andere Standpunkte und in Verständnis, Toleranz und Friede geformt.

Diese „breitere“ Ausbildung besteht in dem, was man von den universitären Einrichtungen und von ihrem kulturellen Milieu erwartet, sei es säkular oder religiös. In der Tat unterdrückt der Glaube an Gott nicht die Suche nach der Wahrheit; im Gegenteil, er ermutigt sie. Der heilige Paulus ermahnte die ersten Christen, ihr Herz zu öffnen für alles, „was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist“ (Ph 4,8). Selbstverständlich kann die Religion, wie Wissenschaft und Technologie, wie Philosophie und alle Ausdrucksweisen unserer Suche nach der Wahrheit, verzerrt werden. Religion wird entstellt, wenn sie in den Dienst der Ignoranz oder des Vorurteils, der Geringschätzung, der Gewalt oder des Mißbrauchs gedrängt wird. Hier sehen wir nicht nur eine Entstellung der Religion, sondern auch eine Korrumpierung der menschlichen Freiheit, eine Verengung und Blindheit des Denkens. Natürlich ist ein solches Ergebnis nicht unvermeidbar. In der Tat, wenn wir Erziehung fördern, bekunden wir unser Vertrauen in die Gabe der Freiheit. Das menschliche Herz kann verhärtet werden durch sein begrenztes Umfeld, seine Interessen und seine Leidenschaften. Aber jeder Mensch ist ebenso zu Weisheit und Rechtschaffenheit aufgerufen, zur grundlegenden und überaus bedeutsamen Wahl des Guten vor dem Bösen, der Wahrheit vor der Unaufrichtigkeit, und jeder kann bei dieser Aufgabe unterstützt werden.

Die Berufung zur moralischen Redlichkeit wird durch die ernsthaft religiöse Person wahrgenommen, da man dem Gott der Wahrheit und der Liebe und der Schönheit nicht anders dienen kann. Ein reifer Glaube an Gott trägt stark dazu bei, die Aneignung und die rechte Anwendung des Wissens zu leiten. Wissenschaft und Technologie bieten außerordentliche Vorteile für die Gesellschaft und haben die Lebensqualität vieler Menschen entscheidend verbessert. Zweifellos ist dies eine der Hoffnungen jener, die diese Universität fördern, die das Motto Sapientia et Scientia führt. Zugleich hat die Wissenschaft ihre Grenzen. Sie kann nicht alle Fragen über den Menschen und seine Existenz beantworten. In der Tat, die menschliche Person, ihr Platz und ihr Sinn im Universum lassen sich nicht in den Grenzen der Wissenschaft erfassen. „Die zu erstrebende Vollendung der Vernunftnatur der menschlichen Person ist die Weisheit, die den Geist des Menschen sanft zur Suche und Liebe des Wahren und Guten hinzieht“ (Gaudium et spes GS 15). Der Gebrauch wissenschaftlicher Kenntnisse benötigt das Orientierungslicht der ethischen Weisheit. Diese Weisheit inspirierte den Eid des Hippokrates oder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, die Genfer Konvention und andere lobenswerte internationale Verhaltensregeln. Daher spielen religiöse und ethische Weisheit, indem sie Fragen nach Sinn und Wert beantworten, eine zentrale Rolle in der beruflichen Ausbildung. Und folglich leisten jene Universitäten, in denen das Streben nach Wahrheit mit der Suche nach dem, was gut und edel ist, Hand in Hand geht, einen unentbehrlichen Dienst für die Gesellschaft.

Mit diesen Gedanken im Herzen ermutige ich in besonderer Weise die christlichen Studenten Jordaniens und der Nachbarregionen, sich verantwortungsvoll ihrer eigenen professionellen und moralischen Ausbildung zu widmen. Ihr seid gerufen, Bauleute einer gerechten und friedlichen Gesellschaft zu sein, die sich aus Menschen mit verschiedenem religiösen und ethnischen Hintergrund zusammensetzt. Diese Gegebenheiten – ich möchte es nochmals betonen – dürfen nicht zur Entzweiung, sie müssen zu gegenseitiger Bereicherung führen. Die Mission und die Berufung der Universität von Madaba liegt gerade darin, ihnen zu helfen, noch mehr an dieser hohen Aufgabe teilzuhaben.

Liebe Freunde, ich möchte meine Gratulation an das Lateinische Patriarchat von Jerusalem erneuern und nochmals allen meine Ermutigung aussprechen, denen das Projekt am Herzen liegt, gemeinsam mit denen, die bereits im Erziehungsapostolat in diesem Land engagiert sind. Der Herr segne und erhalte Sie! Ich bete, daß Ihre Träume bald wahr werden, daß Sie Generationen von qualifizierten Christen, Muslimen und Gläubigen anderer Religionen erleben können, die im Besitz beruflicher Fertigkeiten, sachkundig in ihren Gebieten und gebildet in den Werten von Weisheit, Redlichkeit, Toleranz und Friedfertigkeit ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen. Ihnen und allen zukünftigen Studenten und Angestellten dieser Universität und ihren Familien erbitte ich den reichen Segen des Allmächtigen Gottes!
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