Benedikt XVI Predigten 292

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PILGERREISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

BEGEGNUNG MIT MUSLIMISCHEN RELIGIONSFÜHRERN,

DEM DIPLOMATISCHEN KORPS UND DEN REKTOREN

DER UNIVERSITÄTEN JORDANIENS


Moschee "Al-Hussein Bin-Talal" - Amman
Samstag, 9. Mai 2009


Königliche Hoheit!
Exzellenzen!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist für mich Grund zu großer Freude, heute morgen mich mit Ihnen in dieser herrlichen Umgebung zu treffen. Ich danke Prinz Ghazi Bin Muhammed Bin Talal für seine freundlichen Worte der Begrüßung. Die zahlreichen Initiativen Eurer Königlichen Hoheit zur Förderung des interreligiösen und interkulturellen Dialogs und Austauschs werden von den Menschen im Haschemitischen Königreich geschätzt und sind bei der internationalen Gemeinschaft weithin angesehen. Ich weiß, daß diese Bemühungen die aktive Unterstützung sowohl anderer Mitglieder der königlichen Familie als auch der Regierung des Landes erfährt und großen Widerhall in den vielen Initiativen der Zusammenarbeit unter den Jordaniern findet. Für all das möchte ich meine aufrichtige Bewunderung zum Ausdruck bringen.

Stätten des Kultes, wie diese prachtvolle, nach dem verehrten letzten König benannte Al-Hussein-Bin-Talal-Moschee, erheben sich wie Juwele über den ganzen Erdkreis. Die alten wie die modernen Stätten, die herrlichen wie die einfachen, sie alle verweisen auf das Göttliche, auf den Einen Transzendenten, auf den Allmächtigen. Und Jahrhunderte hindurch haben diese Heiligtümer Menschen zu ihren heiligen Orten angezogen, damit sie dort verweilen, beten, sich der Gegenwart des Allmächtigen bewußt werden und erkennen, daß wir alle seine Geschöpfe sind.

Aus diesem Grund können wir nicht anders, als besorgt zu sein, daß heutzutage einige mit zunehmender Intensität behaupten, daß die Religion mit ihrem Anspruch scheitert, von ihrem Wesen her Brückenbauer und Stifter von Harmonie, ein Ausdruck der Gemeinschaft unter den Menschen und mit Gott zu sein. In der Tat beteuern manche, daß die Religion zwangsläufig eine Ursache von Spaltungen in unserer Welt ist; und so vertreten sie die Ansicht, daß es um so besser ist, je weniger Beachtung der Religion in der Öffentlichkeit geschenkt wird. Gewiß, der Widerspruch von Spannungen und Spaltungen zwischen Anhängern verschiedener religiöser Traditionen kann leider nicht bestritten werden. Ist es nicht dennoch auch der Fall, daß oft die ideologische Manipulierung der Religion, manchmal zu politischen Zwecken, den wahren Katalysator für Spannung und Spaltung und gelegentlich sogar für Gewalt in der Gesellschaft darstellt? Angesichts dieser Situation, in der die Gegner der Religion nicht nur danach trachten, ihre Stimme zum Schweigen zu bringen, sondern sie durch ihre eigene zu ersetzen, verspürt man um so brennender den Bedarf an Gläubigen, die ihren Prinzipien und Überzeugungen genau entsprechen. Gerade wegen der Bürde ihrer gemeinsamen Geschichte, die so oft von Mißverständnis gekennzeichnet war, müssen Muslime und Christen bestrebt sein, als Gläubige erkannt und anerkannt zu werden, die treu beten, die bemüht sind, die Gebote des Allmächtigen zu halten und ihnen gemäß zu leben, die barmherzig und mitfühlend sind, die konsequent alles Wahre und Gute bezeugen, die stets den gemeinsamen Ursprung und die Würde aller Menschen bedenken, die der Höhepunkt des göttlichen Schöpfungsplans für die Welt und die Geschichte bleiben.

Die Entschlossenheit der Erzieher wie der religiösen und weltlichen Führer Jordaniens zu gewährleisten, daß das öffentliche Gesicht der Religion ihr wahres Wesen widerspiegelt, ist lobenswert. Das Beispiel von einzelnen und Gemeinschaften, zusammen mit der Bereitstellung von Kursen und Programmen, zeigt den konstruktiven Beitrag der Religion zu den Bereichen Erziehung, Kultur, Soziales und anderen wohltätigen Sektoren Ihrer Gesellschaft. Manches von dieser Einstellung konnte ich aus erster Hand erfahren. Gestern lernte ich die berühmte Erziehungs- und Rehabilitationsarbeit des Regina-Pacis-Zentrums kennen, wo Christen und Muslime das Leben ganzer Familien verwandeln, indem sie ihnen helfen zu gewährleisten, daß deren Kinder mit Behinderung ihren berechtigten Platz in der Gesellschaft erhalten. Heute morgen segnete ich den Grundstein der Madaba-Universität, wo junge muslimische und christliche Erwachsene Seite an Seite vom dritten Bildungsweg profitieren werden, der sie dazu befähigt, in geeigneter Weise zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung ihres Landes beizutragen. Großes Verdienst kommt auch den zahlreichen Initiativen des interreligiösen Dialogs zu, die von der königlichen Familie und der diplomatischen Gemeinschaft unterstützt werden und zeitweise in Verbindung mit dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog durchgeführt wurden. Dazu gehören auch die laufende Arbeit des Königlichen Instituts für Interreligiöse Studien und Islamisches Denken, die Amman Message von 2004, die Amman Interfaith Message von 2005 und der jüngste Brief Common Word, der ein Thema widerspiegelt, das im Einklang mit meiner ersten Enzyklika steht: die unlösliche Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe und der fundamentale Widerspruch der Gewaltanwendung oder des Ausschlusses im Namen Gottes (vgl. Deus caritas Est 16).

Solche Initiativen führen klar zu einer tieferen gegenseitigen Kenntnis und fördern eine zunehmende Achtung sowohl vor dem, was wir gemeinsam haben, als auch vor dem, was wir unterschiedlich sehen. Sie sollten daher Christen und Muslime dazu veranlassen, die wesentliche Beziehung zwischen Gott und seiner Welt noch gründlicher zu erforschen, so daß wir miteinander bestrebt sein mögen sicherzustellen, daß die Gesellschaft mit der göttlichen Ordnung in Harmonie mitschwingt. Diesbezüglich gibt die hier in Jordanien erreichte Zusammenarbeit der Region wie der Welt überhaupt ein ermutigendes und überzeugendes Beispiel für den positiven, konstruktiven Beitrag, den die Religion für die Gesellschaft leisten kann und muß.

Verehrte Freunde, ich möchte mich heute auf eine Aufgabe beziehen, die ich bei verschiedener Gelegenheit angesprochen habe und die, wie ich fest glaube, Christen und Muslime wahrnehmen können, besonders durch unsere jeweiligen Beiträge für Lehre und Wissenschaft und für den Dienst an der Allgemeinheit. Diese Aufgabe ist die Herausforderung, im Rahmen von Glaube und Wahrheit das enorme Potential menschlicher Vernunft zum Guten heranzubilden. Tatsächlich beschreiben die Christen Gott unter anderem als schöpferische Vernunft, die die Welt ordnet und leitet. Und Gott hat uns mit der Fähigkeit ausgestattet, an seiner Vernunft teilzuhaben und so gemäß dem Guten zu handeln. Die Muslime verehren Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Und als an den einen Gott Glaubende wissen wir, daß die menschliche Vernunft selbst Gabe Gottes ist und daß sie zu ihrem höchsten Niveau aufsteigt, wenn sie in das Licht der göttlichen Wahrheit getaucht ist. Denn wenn die menschliche Vernunft demütig zuläßt, daß sie selber vom Glauben geläutert wird, dann ist sie fern davon, geschwächt zu werden; vielmehr wird sie gestärkt, um der Überheblichkeit zu widerstehen und über ihre eigenen Grenzen hinauszugreifen. Auf diese Weise wird die menschliche Vernunft ermutigt, ihrem erhabenen Zweck zu folgen, der Menschheit zu dienen, wobei sie unser gemeinsames innerstes Streben zum Ausdruck bringt und den öffentlichen Diskurs lieber ausweitet, als ihn zu manipulieren oder einzuschränken. Daher – weit davon entfernt, den Geist einzuengen – erweitert ein ernsthaftes Festhalten an der Religion den Horizont menschlichen Verstandes. Sie schützt die Gesellschaft von den Auswüchsen eines ungezügelten Ego, das danach strebt, das Endliche zu verabsolutieren und das Unendliche in den Schatten zu stellen; sie stellt sicher, daß Freiheit Hand in Hand mit der Wahrheit ausgeübt wird, und sie schmückt die Kultur mit Einblicken bezüglich allem, was wahr, gut und schön ist.

Dieses Verständnis von Vernunft, das unaufhörlich den menschlichen Geist auf der Suche nach dem Absoluten über sich selbst hinaus zieht, stellt eine Herausforderung dar; es umfaßt ein Gefühl der Hoffung als auch der Vorsicht. Christen und Muslime werden gemeinsam dazu angespornt, alles zu suchen, was recht und richtig ist. Wir sind verpflichtet, über unsere eigenen Interessen hinauszugehen und andere, insbesondere staatliche Beamte und Führungskräfte, zu ermutigen, das gleiche zu tun, um die große Genugtuung zu erfahren, die der Dienst zum Wohl der Allgemeinheit selbst unter persönlichen Opfern bereitet. Und wir werden daran erinnert, daß unsere gemeinsame menschliche Würde es ist, welche die allgemeinen Menschenrechte begründet, die für jeden Mann und jede Frau in gleicher Weise gelten, unabhängig von religiöser, sozialer oder ethnischer Zugehörigkeit. In dieser Hinsicht müssen wir feststellen, daß das Recht auf Religionsfreiheit sich über die Frage des Kultes hinaus erstreckt und das Recht – besonders der Minderheiten – auf fairen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einschließt.

Bevor ich Sie heute morgen verlasse, möchte ich in besonderer Weise festhalten, daß der Patriarch von Bagdad, Seine Seligkeit Eminenz Emmanuel III Delly, in unserer Mitte zugegen ist, den ich sehr herzlich grüße. Seine Anwesenheit erinnert an die Menschen im benachbarten Irak, von denen viele hier in Jordanien Zuflucht und Aufnahme gefunden haben. Die Bemühungen der Internationalen Gemeinschaft, zusammen mit denen der örtlichen Führer, den Frieden und die Versöhnung zu fördern, müssen fortgesetzt werden, damit sie im Leben der Iraker Frucht bringen. Ich möchte all denen meine Wertschätzung bekunden, die bei den Anstrengungen mitarbeiten, das Vertrauen zu vertiefen sowie die Einrichtungen und die Infrastruktur, die für das Wohl dieser Gesellschaft wesentlich sind, wieder aufzubauen. Und noch einmal dränge ich die Diplomaten und die Internationale Gemeinschaft, die sie repräsentieren, zusammen mit den örtlichen politischen und religiösen Führern alles Mögliche zu unternehmen, um der alten christlichen Gemeinschaft dieses herrlichen Landes ihr grundlegendes Recht auf ein friedvolles Zusammenleben mit ihren Mitbürgern zu garantieren.

Verehrte Freunde, ich vertraue darauf, daß die Gedanken, die ich heute zum Ausdruck gebracht habe, uns mit neuer Hoffnung für die Zukunft zurücklassen. Unsere Liebe und Ehrerbietung gegenüber dem Allmächtigen drücken wir nicht nur im Gottesdienst aus, sondern auch in unserer Liebe und Sorge für die Kinder und jungen Menschen – für Ihre Familien – und für alle Jordanier. Für sie arbeiten Sie, und sie motivieren Sie, das Wohl eines jeden Menschen in die Mitte der Einrichtungen, Gesetze und Arbeit der Gesellschaft zu stellen. Möge die Vernunft, die von der Größe der göttlichen Wahrheit geadelt wird und in Demut vor ihr steht, fortfahren, das Leben und die Institutionen dieser Nation zu formen. So mögen die Familien blühen und alle in Frieden leben und dabei zur Kultur beitragen und von ihr Nutzen ziehen, die dieses ehrwürdige Königreich eint!
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PILGERREISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

SEGNUNG DER GRUNDSTEINE FÜR DIE KIRCHE DER LATEINER

UND DER GRIECHISCH-MELKITISCHEN KIRCHE


Amman – Betanien jenseits des Jordan
Sonntag, 10. Mai 2009


Königliche Hoheiten!
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!
Liebe Freunde!

Ich komme mit großer geistlicher Freude zur Segnung der Grundsteine von zwei katholischen Kirchen, die am Ufer des Jordans erbaut werden sollen, einem Ort, den viele denkwürdige Ereignisse aus der biblischen Geschichte auszeichnen. Der Prophet Elia, der Tischbiter, stammte aus dieser Region, aus Gilead, nicht weit im Norden. Hier in der Nähe, gegenüber von Jericho, teilte sich das Wasser des Jordans vor Elija, der vom Herrn in einem Feuerwagen entrückt wurde (vgl. 2R 2,9-14). Hier hat der Geist des Herrn Johannes, den Sohn des Zacharias, berufen, die Umkehr der Herzen zu predigen. Johannes der Evangelist legt in dieses Gebiet auch die Begegnung zwischen dem Täufer und Jesus, der bei seiner Taufe durch den Geist Gottes, der wie eine Taube auf ihn herabstieg, „gesalbt“ und als Gottes geliebter Sohn bezeugt wurde (vgl. Joh Jn 1,32 Mc 1,9-11).

Es war für mich eine Ehre, an diesem bedeutenden Ort von Ihren Majestäten König Abdullah II. und Königin Rania empfangen zu werden. Ich möchte erneut meine aufrichtige Dankbarkeit für die herzliche Gastfreundschaft zum Ausdruck bringen, die sie mir während meines Besuchs im Haschemitischen Königreich von Jordanien entgegengebracht haben. Mit Freude grüße ich Seine Seligkeit Gregorius III. Laham, den Patriarchen von Antiochien für die griechisch-melkitische Kirche. Ich grüße herzlich Seine Seligkeit Fouad Twal, den lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Meine besten Wünsche gelten auch Seiner Seligkeit Michel Sabbah, den anwesenden Weihbischöfen, besonders Erzbischof Yasser Ayyach und dem Hochwürdigsten Herrn Salim Sayegh, dem ich für die freundlichen Worte der Begrüßung danke. Gerne grüße ich alle Bischöfe, Priester, Ordensleute und die Gläubigen, die heute zugegen sind. Freuen wir uns darüber, daß diese zwei Kirchenbauten, ein lateinischer und ein griechisch-melkitischer, dazu dienen werden, gemäß den Traditionen der jeweiligen Gemeinschaft die eine Familie Gottes aufzubauen.

Der Grundstein einer Kirche ist ein Symbol für Christus. Die Kirche ruht auf Christus, wird von ihm gestützt und kann nicht von ihm getrennt werden. Er ist das eine Fundament einer jeden christlichen Gemeinde, der lebendige Stein, der von den Bauleuten verworfen, aber in den Augen Gottes als der Eckstein auserwählt und geehrt worden ist (vgl. 1P 2,4-5 1P 2,7). Mit ihm sind auch wir lebendige Steine, die zu einem geistigen Haus aufgebaut wurden, einer Wohnstatt für Gott (vgl. Eph Ep 2,20-22 1P 2,5). Der heilige Augustinus hat für das Geheimnis der Kirche mit Vorliebe den Begriff Christus totus, der ganze Christus, verwendet, und bezog sich damit auf den gesamten Leib Christi, das Haupt und die Glieder. Das ist die Wirklichkeit der Kirche; sie ist Christus und wir, Christus mit uns. Er ist mit uns, wie der Weinstock mit seinen Reben ist (vgl. Joh Jn 15,1-8). Die Kirche ist in Christus eine Gemeinschaft neuen Lebens, eine dynamische Realität der Gnade, die von ihm ausgeht. Durch die Kirche reinigt er unser Herz, erleuchtet unseren Verstand, vereint uns mit dem Vater und spornt uns in dem einen Geist dazu an, Tag für Tag die christliche Liebe einzuüben. Wir bekennen diese frohe Wirklichkeit als die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.

In die Kirche treten wir durch die Taufe ein. An diesem Ort haben wir das Gedächtnis an die Taufe Christi lebendig vor Augen. Jesus stand mit den Sündern in einer Reihe und empfing die Bekehrungstaufe des Johannes als ein prophetisches Zeichen seines eigenen Leidens, seines Todes und seiner Auferstehung für die Vergebung der Sünden. Im Laufe der Jahrhunderte sind viele Pilger zum Jordan gekommen, um Reinigung zu suchen, ihren Glauben zu erneuern und näher zum Herrn zu gelangen. Das gilt auch für die Pilgerin Egeria, die einen schriftlichen Bericht von ihrer Wallfahrt am Ende des vierten Jahrhunderts hinterlassen hat. Das Sakrament der Taufe, das nach dem Tod und der Aufstehung Christi eingesetzt wurde, wird besonders von den christlichen Gemeinden geschätzt werden, die sich in diesen neuen Kirchen versammeln werden. Der Jordan möge euch stets daran erinnern, daß ihr im Wasser der Taufe reingewaschen und zu Gliedern der Familie Jesu geworden seid. Im Gehorsam gegenüber seinem Wort wird euer Leben nach Seinem Bild und Gleichnis umgestaltet. Wenn ihr euch darum bemüht, eurem Taufversprechen der Umkehr, des Zeugnisgebens und der Sendung treu zu sein, sollt ihr wissen, daß euch die Gaben des Heiligen Geistes Kraft geben werden.

Liebe Brüder und Schwestern, die betende Betrachtung dieser Geheimnisse bereichere euch mit geistlicher Freude und innerer Kraft. Mit dem Apostel Paulus lade ich euch ein, in der ganzen Bandbreite der hochherzigen Haltungen zu wachsen, die der erhabene Begriff der agape, der christlichen Liebe, umfaßt (vgl. 1Co 13,1-13). Fördert den Dialog und das gegenseitige Verständnis in der Zivilgesellschaft, besonders wenn ihr eure legitimen Rechte einfordert. Im Nahen Osten, der gezeichnet ist von tragischem und ungerechten Leiden, von Jahren der Gewalt und der ungelösten Spannungen, sind die Christen dazu aufgerufen, angespornt vom Beispiel Jesu ihren Beitrag der Versöhnung und des Friedens durch Vergebung und Großmut zu leisten. Bekundet jenen, die euch leiten und als Diener Christi treu zur Seite stehen, auch weiterhin eure Dankbarkeit. Ihr tut gut daran, ihre Glaubensunterweisung anzunehmen und dabei zu bedenken, daß ihr Christus und den, der ihn gesandt hat, aufnehmt (vgl. Mt Mt 10,40), wenn ihr die apostolische Lehre empfangt, die sie euch vermitteln.

Meine lieben Brüder und Schwestern, wir kommen nun zur Segnung dieser beiden Steine, die der Anfang von zwei neuen Sakralbauten sind. Der Herr erhalte, stärke und vermehre die Gemeinden, die hier beten und feiern werden. Und euch allen schenke er die Gabe des Friedens. Amen.
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INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

ABSCHIEDSZEREMONIE

Internationaler Flughafen "Queen Alia" - Amman
Montag, 11. Mai 2009


Hoheiten!
Exzellenzen!
Liebe Freunde!

Bevor ich mich nun zur nächsten Station meiner Pilgerreise in die Länder der Bibel aufmache, möchte ich Ihnen allen für die herzliche Aufnahme danken, die ich in den vergangenen Tagen in Jordanien erfahren durfte. Ich danke Seiner Majestät König Abdullah II. für die Einladung zu einem Besuch im Haschemitischen Königreich, für seine Gastfreundschaft und für seine freundlichen Worte. Ebenso möchte ich meine Anerkennung für die sehr große Anstrengung zum Ausdruck bringen, die unternommen wurden, um meinen Besuch möglich zu machen und für einen reibungslosen Ablauf der verschiedenen Begegnungen und Feiern zu sorgen. Die staatlichen Autoritäten, denen eine große Zahl von Freiwilligen zur Seite stand, haben lange und hart gearbeitet, um die Menschenströme zu lenken und die verschiedenen Veranstaltungen zu organisieren. Die Medienberichterstattung hat es unzähligen Menschen ermöglicht, die Feierlichkeiten mitzuverfolgen, auch wenn sie nicht persönlich teilnehmen konnten. Ich danke allen, die dies möglich gemacht haben, und grüße besonders auch all jene, die über Radio zuhören oder die Fernsehübertragung sehen, vor allem die Kranken und jene, die ihr Haus nicht verlassen können.

Es war für mich eine besondere Freude, daß ich miterleben konnte, wie eine Reihe von großen Initiativen ihren Anfang nahm, die von der katholischen Glaubensgemeinschaft hier in Jordanien getragen werden. Der neue Gebäudeflügel des „Regina-Pacis“-Zentrums wird weitere Möglichkeiten eröffnen, den Menschen, die mit Schwierigkeiten verschiedenster Art zu kämpfen haben, und ihren Familien Hoffnung zu schenken. Die beiden Kirchen, die in Betanien entstehen, werden ihren jeweiligen Gemeinden ermöglichen, Pilger zu empfangen und das geistliche Wachstum jener zu fördern, die an diesem heiligen Ort beten. Die Universität in Madaba hat einen besonders wichtigen Beitrag für ihr größeres Umfeld zu leisten, indem sie jungen Menschen verschiedener Herkunft Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, dank derer sie die Zukunft der Gesellschaft prägen können. Allen, die an diesen Projekten beteiligt sind, wünsche ich alles Gute und verspreche ihnen mein Gebet.

Ein Höhepunkt dieser Tage war mein Besuch in der Al-Hussein-Bin-Talal-Moschee, wo ich die Freude hatte, den muslimischen religiösen Führern sowie den Mitgliedern des diplomatischen Korps und den Rektoren der Universitäten zu begegnen. Ich möchte alle Jordanier, seien sie Christen oder Muslime, ermutigen, auf dem festen Fundament der religiösen Toleranz aufzubauen, das es den Mitgliedern verschiedener Gemeinschaften erlaubt, miteinander in Frieden und in gegenseitiger Achtung zu leben. Seine Königliche Majestät ist in bemerkenswerter Weise darum bemüht, den interreligiösen Dialog zu fördern, und ich möchte hier festhalten, wie sehr sein diesbezügliches Engagement geschätzt wird. Dankbar anerkenne ich auch die besondere Aufmerksamkeit, die er den christlichen Gemeinden in Jordanien entgegenbringt. Dieser Geist der Offenheit hilft nicht nur den Mitgliedern verschiedener ethnischer Gemeinschaften in diesem Land, miteinander in Frieden und Eintracht zu leben, sondern hat auch zu den weitblickenden politischen Initiativen Jordaniens zur Förderung des Friedens im ganzen Nahen Osten beigetragen.

Liebe Freunde, wie Sie wissen, bin ich in erster Linie als Pilger und Hirte nach Jordanien gekommen. Daher sind die Besuche an den heiligen Stätten und die Zeiten des Gebets, die wir dort gemeinsam verbracht haben, jene Erfahrungen, die am stärksten in meinem Gedächtnis eingeprägt bleiben werden. Einmal mehr möchte ich die Anerkennung der ganzen Kirche für jene zum Ausdruck bringen, die sich um die Pilgerstätten in diesem Land kümmern. Ich danke auch den vielen Menschen, die zur Vorbereitung der Vesper am Samstag in der Sankt-Georgs-Kathedrale und zur gestrigen Eucharistiefeier im „International Stadium“ beigetragen haben. Es war für mich wirklich eine Freude, diese Feiern in der Osterzeit mit den katholischen Gläubigen verschiedener Traditionen erleben zu dürfen, vereint in der Gemeinschaft der Kirche und im Bekenntnis zu Christus. Ich ermutige sie alle, ihrem Taufversprechen treu zu bleiben und zu bedenken, daß Christus selbst von Johannes in den Wassern des Jordan getauft wurde.

Wenn ich mich nun verabschiede, dann möchte ich Sie wissen lassen, daß ich das Volk des Haschemitischen Königreiches und alle, die in dieser Region leben, in meinem Herzen trage. Ich bete, daß Sie sich jetzt und für kommende Generationen des Friedens und des Wohlstands erfreuen können. Noch einmal vielen Dank. Gott segne Sie alle!
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PILGERREISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

BEGRÜSSUNGSZEREMONIE

Internationaler Flughafen "Ben Gurion" - Tel Aviv
Montag, 11. Mai 2009


Herr Präsident!
Herr Premierminister!
Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren!

Danke für den freundlichen Empfang im Staat Israel, einem Land, das Millionen von Gläubigen in aller Welt heilig ist. Ich danke dem Präsidenten, Herrn Shimon Peres, für seine freundlichen Worte. Ich weiß die Gelegenheit zu schätzen, die mir geboten wurde, eine Pilgerreise in ein Land zu unternehmen, das durch die Fußspuren von Patriarchen und Propheten geheiligt ist, ein Land, das Christen als Schauplatz des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi besonders verehren. Ich nehme meinen Platz ein in einer langen Reihe christlicher Pilger zu diesem Land, eine Reihe, die bis in die ersten Jahrhunderte der Geschichte der Kirche zurückreicht und die gewiß lange in die Zukunft fortdauern wird. Ich komme, wie so viele andere vor mir, um an den heiligen Stätten zu beten und um besonders für den Frieden zu beten – Frieden hier im Heiligen Land und Frieden in aller Welt.

Herr Präsident, der Heilige Stuhl und der Staat Israel teilen viele gemeinsame Werte, vor allem die Verpflichtung, der Religion den ihr gebührenden Platz im Leben der Gesellschaft zu geben. Die rechte Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen setzt eine Achtung vor der Freiheit und Würde jedes Menschen voraus und erfordert sie. Christen, Muslime und Juden glauben ja gleichermaßen, daß der Mensch von einem liebenden Gott erschaffen und für das ewige Leben bestimmt ist. Wenn man die religiöse Dimension des Menschen leugnet oder beiseite schiebt, wird damit die eigentliche Grundlage für ein rechtes Verständnis der unveräußerlichen Rechte des Menschen aufs Spiel gesetzt.

Auf tragische Weise haben jüdische Menschen die schrecklichen Folgen von Ideologien erfahren, welche die grundlegende Würde jeder menschlichen Person leugnen. Es ist recht und angemessen, daß ich während meines Aufenthalts in Israel die Gelegenheit haben werde, der sechs Millionen jüdischen Opfer der Schoah zu gedenken und zu beten, daß die Menschheit nie wieder Zeuge eines Verbrechens dieses Ausmaßes sein werde. Leider zeigt der Antisemitismus in vielen Teilen der Welt weiterhin seine häßliche Fratze. Das ist völlig inakzeptabel. Jede Anstrengung muß unternommen werden, um den Antisemitismus zu bekämpfen, wo immer er angetroffen wird, und um Respekt und Achtung vor den Menschen jedes Volkes, jedes Stammes, jeder Sprache und Nation auf der Erde zu fördern.

Während meines Aufenthalts in Jerusalem werde ich auch die Freude haben, vielen der ehrenwerten religiösen Führer dieses Landes zu begegnen. Den drei großen monotheistischen Religionen ist eine besondere Verehrung für diese heilige Stadt gemeinsam. Es ist meine aufrichtige Hoffnung, daß alle Pilger zu den heiligen Stätten freien und uneingeschränkten Zutritt haben können, um an religiösen Feiern teilzunehmen und für einen angemessenen Unterhalt der Gotteshäuser an den heiligen Stätten zu sorgen. Mögen sich die Worte der Prophetie Jesajas erfüllen, daß viele Völker zum Berg mit dem Haus des Herrn strömen werden, daß der Herr sie seine Wege lehre und sie auf seinen Pfaden wandeln – auf Pfaden des Friedens und der Gerechtigkeit, Pfaden, die zu Versöhnung und Eintracht führen (vgl. Jes Is 2,2-5).

Auch wenn der Name Jerusalem „Stadt des Friedens“ bedeutet, ist es doch gar zu offenbar, daß über Jahrzehnte hinweg der Friede den Einwohnern dieses heiligen Landes tragisch vorenthalten blieb. Die Augen der Welt ruhen auf den Völkern dieser Region, wie sie darum ringen, eine gerechte und dauerhafte Lösung von Konflikten zu erreichen, die so viel Leid verursacht haben. Die Hoffnungen zahlloser Männer, Frauen und Kinder auf eine sichere und stabile Zukunft hängen vom Ergebnis der Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern ab. Gemeinsam mit allen Menschen guten Willens bitte ich inständig alle Verantwortlichen, auf der Suche nach einer gerechten Lösung der ausstehenden Schwierigkeiten jeden möglichen Weg zu prüfen, auf daß beide Völker in Frieden in einem eigenen Heimatland innerhalb sicherer und international anerkannter Grenzen leben können. In dieser Hinsicht hoffe und bete ich, daß bald ein Klima größeren Vertrauens geschaffen werden kann, welches beide Seiten befähigt, wirkliche Fortschritte auf dem Weg zu Frieden und Stabilität zu machen.

Ein besonderes Wort der Begrüßung richte ich an die hier anwesenden katholischen Bischöfe und Gläubigen. In diesem Land, in dem Petrus den Auftrag erhielt, die Schafe des Herrn zu weiden, komme ich als Nachfolger des Petrus, um unter euch meinen Dienst zu tun. Es wird mir eine besondere Freude sein, mit euch die Abschlußfeierlichkeiten des Jahres der Familie zu begehen, welche in Nazareth stattfinden werden, der Heimat der Heiligen Familie von Jesus, Maria und Joseph. Wie ich in meiner Botschaft zum Weltfriedenstag im letzten Jahr sagte, ist die Familie „der erste und unerläßliche Lehrmeister des Friedens“ (Nr. 3), und daher hat sie bei der Heilung von Spaltungen auf jeder gesellschaftlichen Ebene eine wesentliche Rolle zu spielen. Den christlichen Gemeinden im Heiligen Land sage ich: Durch euer gläubiges Zeugnis für Ihn, der Vergebung und Versöhnung predigte, durch euer Engagement, die Heiligkeit allen menschlichen Lebens zu schützen, könnt ihr einen besonderen Beitrag zur Beendigung der Feindseligkeiten leisten, die so lange schon dieses Land belasten. Ich bete, daß eure fortwährende Anwesenheit in Israel und in den Palästinensergebieten viel Frucht bringen wird zur Förderung des Friedens und des gegenseitigen Respekts unter allen Völkern, die in den Ländern der Bibel leben.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, noch einmal danke ich Ihnen für die freundliche Aufnahme und versichere Sie meines Wohlwollens. Möge Gott sein Volk stärken! Möge Gott sein Volk mit Frieden segnen!
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PILGERREISE VON PAPST BENEDIKT XVI.

INS HEILIGE LAND

(8.-15. MAI 2009)

HÖFLICHKEITSBESUCH BEIM ISRAELISCHEN STAATSPRÄSIDENTEN

Präsidentenpalast - Jerusalem
Montag, 11. Mai 2009


Sehr geehrter Herr Präsident!
Exzellenzen!
Meine Damen und Herren!

Als eine liebenswürdige Geste der Gastfreundschaft hat Präsident Peres uns hier in seiner Residenz empfangen und mir damit die Möglichkeit gegeben, Sie alle zu begrüßen und zugleich ein paar Gedanken mit Ihnen auszutauschen. Herr Präsident, ich danke Ihnen für diesen freundlichen Empfang und für Ihre höflichen Worte zur Begrüßung, die ich herzlich erwidere. Ich danke auch den Sängern und Musikern, die uns mit ihrer schönen Darbietung erfreut haben.

Herr Präsident, in der Gratulationsbotschaft, die ich Ihnen anläßlich Ihrer Amtseinführung sandte, habe ich gerne an Ihren hervorragenden Ruf im Dienst für Ihr Land erinnert, der durch ein starkes Engagement im Streben nach Gerechtigkeit und Frieden gekennzeichnet ist. Heute nachmittag möchte ich Ihnen wie der neugebildeten Regierung sowie allen Einwohnern des Staates Israel versichern, daß meine Pilgerreise zu den heiligen Stätten dem Gebet um das kostbare Geschenk der Einheit und des Friedens für den Nahen Osten und für die ganze Menschheit gewidmet ist. In der Tat bete ich täglich darum, daß ein aus Gerechtigkeit hervorgehender Friede in das Heilige Land und die gesamte Region zurückkehre und allen Sicherheit und neue Hoffnung bringe.

Friede ist vor allem ein göttliches Geschenk. Denn Friede ist Gottes Verheißung an die Menschheit und führt zur Einheit. Im Buch des Propheten Jeremia lesen wir: „Denn ich, ich kenne meine Pläne, die ich für euch habe - Spruch des Herrn -, Pläne des Heils und nicht des Unheils; denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben“ (29,11). Der Prophet erinnert uns an das Versprechen des Allmächtigen, daß er „sich finden läßt“, daß er uns „erhört“, daß er uns „sammeln“ und zusammenführen wird. Doch es gibt eine Vorbedingung: Wir müssen „ihn suchen“, und zwar „von ganzem Herzen nach ihm fragen“ (vgl. ebd. 12-14).

So möchte ich den an diesem Nachmittag hier anwesenden religiösen Führern sagen, daß der besondere Beitrag der Religionen zur Suche nach Frieden in erster Linie in der leidenschaftlichen und einmütigen Suche nach Gott liegt. Unsere Aufgabe ist es, zu verkünden und zu bezeugen, daß der Allmächtige gegenwärtig und erkennbar ist, selbst dann, wenn er unserem Blick verborgen scheint, daß er in unserer Welt zu unserem Guten wirkt und daß die Zukunft einer Gesellschaft unter dem Zeichen der Hoffnung steht, wenn diese Gesellschaft in Einklang mit dem göttlichen Gebot lebt. Gottes dynamische Gegenwart ist es, welche die Herzen zusammenführt und die Einheit sichert. Tatsächlich hat die Einheit unter den Menschen ihren Urgrund in der vollkommenen Einzigkeit und Universalität Gottes, der Mann und Frau als sein Abbild und ihm ähnlich erschaffen hat, um uns in sein göttliches Leben hineinzuziehen, damit alle eins seien.

Darum müssen die religiösen Führer bedenken, daß jede Teilung oder Spannung, jede Tendenz zu Zurückgezogenheit oder Mißtrauen unter den Gläubigen oder zwischen unseren Gemeinschaften leicht zu einem Gegensatz führen kann, der die Einzigkeit des Allmächtigen verdunkelt, unsere Einheit verrät und im Widerspruch steht zu dem Einen, der sich selbst als „reich an Huld und Treue“ offenbart (Ex 34,6 vgl. Ps Ps 136,2 Ps 85,11). Meine Freunde, Jerusalem, das seit jeher ein Kreuzungspunkt für Völker unterschiedlicher Herkunft war, ist eine Stadt, die Juden, Christen und Muslimen sowohl die Pflicht auferlegt als auch das Privileg bietet, gemeinsam das von den Anbetern des einen Gottes lang ersehnte friedliche Zusammenleben zu bezeugen, den Plan des Allmächtigen für die Einheit der dem Abraham verheißenen Menschheitsfamilie zu offenbaren und die wahre Natur des Menschen als Gottsucher zu verkünden. Lassen Sie uns den Vorsatz fassen, dafür zu sorgen, daß wir unseren jeweiligen Gemeinschaften durch die Unterweisung und die Führung helfen, ihrem eigentlichen Wesen als Gläubige treu zu sein und stets die unendliche Güte Gottes, die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen und die Einheit der gesamten Menschheitsfamilie im Bewußtsein zu haben.

Die Heilige Schrift bietet uns auch ein Verständnis des Begriffs „Sicherheit“. Nach hebräischem Sprachgebrauch leitet sich „Sicherheit“ - batah - von „Vertrauen“ ab und bezieht sich nicht nur auf das Nicht-vorhanden-Sein von Bedrohung, sondern auch auf das Empfinden von Ruhe und Zuversicht. Im Buch des Propheten Jesaja lesen wir über eine Zeit göttlichen Segens: „Wenn aber der Geist aus der Höhe über uns ausgegossen wird, dann wird die Wüste zum Garten und der Garten wird zu einem Wald. In der Wüste wohnt das Recht, die Gerechtigkeit weilt in den Gärten. Das Werk der Gerechtigkeit wird der Friede sein, der Ertrag der Gerechtigkeit sind Ruhe und Sicherheit für immer“ (Is 32,15-17). Sicherheit, Redlichkeit, Gerechtigkeit und Friede - in Gottes Plan für die Welt sind sie unzertrennlich. Es sind bei weitem nicht einfach Produkte menschlichen Strebens, es sind Werte, die auf die grundsätzliche Beziehung Gottes zum Menschen zurückzuführen sind und als allgemeines Erbe im Herzen jedes einzelnen wohnen.

Es gibt nur einen Weg, diese Werte zu schützen und zu fördern: indem man sie praktiziert! Indem man sie lebt! Kein einzelner, keine Familie, keine Gemeinschaft oder Nation ist von der Pflicht entbunden, in Gerechtigkeit zu leben und für den Frieden zu arbeiten. Und natürlich wird von den zivilen und politischen Führungskräften erwartet, daß sie dem Volk, zu dessen Dienst sie gewählt worden sind, eine gerechte und angemessene Sicherheit gewährleisten. Diese Zielsetzung gehört zur berechtigten Förderung der Werte, die allen Menschen gemeinsam sind, und kann folglich nicht im Widerspruch zur Einheit der Menschheitsfamilie stehen. Die authentischen Werte und Ziele einer Gesellschaft, die immer die menschliche Würde schützen, sind unteilbar, universal und voneinander abhängig (vgl. Ansprache vor der UN-Vollversammlung, 18. April 2008). Deshalb können sie nicht zur Erfüllung gelangen, wenn sie Einzelinteressen oder Teilpolitiken geopfert werden. Dem wahren Interesse einer Nation ist es immer dienlich, die Gerechtigkeit für alle anzustreben.

Sehr geehrte Damen und Herrn, dauerhafte Sicherheit ist eine Sache des Vertrauens, das durch Gerechtigkeit und Redlichkeit genährt und durch die Umkehr der Herzen besiegelt wird, die uns bewegt, dem anderen in die Augen zu schauen und mein Gegenüber, das „Du“, als Meinesgleichen, als meinen Bruder oder meine Schwester zu erkennen. Wird auf diese Weise nicht die Gesellschaft selbst zum „fruchtbaren Garten“ (vgl. Jes Is 32,15), dessen Merkmale nicht etwa Blockaden oder Hindernisse, sondern Zusammenhalt und Dynamik sind? Kann sie nicht eine Gemeinschaft mit großmütigen Bestrebungen werden, wo allen gern der Zugang zu Ausbildung, Wohnung im Familienkreis und die Möglichkeit einer Anstellung gewährt wird, eine Gesellschaft, die bereit ist, auf die dauerhaften Fundamente der Hoffnung zu bauen?

Zum Schluß möchte ich mich gern an die einfachen Familien dieser Stadt und dieses Landes wenden. Welche Eltern würden sich jemals Gewalt, Unsicherheit oder Zwietracht für ihren Sohn oder ihre Tochter wünschen? Welchem humanen politischen Ziel kann je durch Konflikt und Gewalt gedient werden? Ich höre den Ruf derer, die in diesem Lande leben, den Ruf nach Gerechtigkeit, nach Frieden, nach Achtung ihrer Würde, nach dauerhafter Sicherheit, einem Alltag ohne Angst vor Bedrohung von außen und sinnloser Gewalt. Und ich weiß, daß eine bemerkenswerte Anzahl von Männern, Frauen und Jugendlichen durch Kulturprogramme und durch Initiativen mitfühlender und praktischer Hilfeleistung für Frieden und Solidarität arbeiten; demütig genug, um zu vergeben, greifen sie nach dem Traum, der ihr Recht ist.

Herr Präsident, ich danke Ihnen für die Freundlichkeit, die Sie mir erwiesen haben, und ich versichere Sie erneut meiner Gebete für die Regierung und für alle Bürger dieses Staates. Möge eine echte Umkehr der Herzen aller zu einem stets bestärkenden Engagement für Frieden und Sicherheit durch Gerechtigkeit für jeden führen.

Shalom!



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