Dominum et vivificantem 43


43 Das II. Vatikanische Konzil hat an die katholische Lehre über das Gewissen erinnert, als es von der Berufung des Menschen und insbesondere von der Würde der menschlichen Person sprach. Gerade das Gewissen entscheidet in einer besonderen Weise über diese Würde. Das Gewissen ist nämlich »die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist« und klar »in den Ohren des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes«. Eine solche Fähigkeit, das Gute zu gebieten und das Böse zu verbieten, vom Schöpfer dem Menschen eingestiftet, ist die zentrale Eigenschaft einer Person. Doch zugleich entdeckt der Mensch »im Innern seines Gewissens... ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß« (165). Das Gewissen ist also keine autonome und ausschließliche Instanz, um zu entscheiden, was gut und was böse ist; ihm ist vielmehr ein Prinzip des Gehorsams gegenüber der objektiven Norm tief eingeprägt, welche die Übereinstimmung seiner Entscheidungen mit den Geboten und Verboten begründet und bedingt, die dem menschlichen Verhalten zugrunde liegen, wie es die schon zitierte Stelle aus dem Buch Genesis zeigt (166). Genau in diesem Sinne ist das Gewissen »das innerste Heiligtum«, in welchem »die Stimme Gottes widerhallt«. Es ist die »Stimme Gottes« selbst, auch dann, wenn der Mensch darin ausschließlich das Prinzip der moralischen Ordnung anerkennt, an dem man menschlich nicht zweifeln kann, auch ohne direkten Bezug auf den Schöpfer, obwohl das Gewissen gerade in diesem Bezug stets seine Begründung und Rechtfertigung findet.

Das »Offenlegen der Sünde« unter dem Einfluß des Geistes der Wahrheit, von dem das Evangelium spricht, kann im Menschen einzig und allein durch das Gewissen geschehen. Wenn das Gewissen recht ist, hilft es »zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben des einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen«; dann »lassen die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten« (167).

Frucht des rechten Gewissens ist es vor allem, das Gute und das Böse beim Namen zu nennen, wie es die Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« tut: Alles, »was... zum Leben selbst im Gegensatz steht, wie jede Art von Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben; was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird«; nachdem die Konstitution diese vielfältige, in unserer Zeit so häufigen und verbreiteten Sünden beim Namen genannt hat, fügt sie hinzu: »All diese und andere ähnliche Taten sind an sich schon eine Schande; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers« (168).

Solche Sünden beim Namen zu nennen, die den Menschen am meisten entehren, sowie nachzuweisen, daß diese ein moralisches Übel sind, das jede Fortschrittsbilanz der Menschheit negativ belastet: Dies alles beschreibt das Konzil als Etappe »eines dramatischen Kampfes zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen dem Licht und der Finsternis«, der »das gesamte menschliche Leben der einzelnen wie der Gemeinschaft« bestimmt (169). Die Versammlung der Bischofssynode, welche im Jahre 1983 das Thema der Versöhnung und Buße behandelte, hat die persönliche und die soziale Dimension der Sünde des Menschen noch genauer aufgezeigt (170).

44 Im Abendmahlssaal, am Vorabend seines Leidens, und dann am Abend des Ostertages hat Jesus Christus sich auf den Heiligen Geist als denjenigen berufen, der bezeugt, daß in der Geschichte der Menschheit die Sünde fortdauert. Dennoch ist die Sünde der heilswirksamen Macht der Erlösung unterstellt. »Die Welt der Sünde überführen«, das erschöpft sich nicht darin, die Sünde beim Namen zu nennen und als das zu identifizieren, was sie in ihrer ganzen Vielfalt ist. Wenn die Welt der Sünde überführt wird, begegnen sich der Geist der Wahrheit und die Stimme des menschlichen Gewissens.

Auf diesem Weg gelangt man zum Nachweis der Wurzeln der Sünde, die im Innersten des Menschen liegen, wie dieselbe Pastoralkonstitution betont: »In Wahrheit hängen die Störungen des Gleichgewichts, an denen die moderne Welt leidet, mit jener tiefer liegenden Störung des Gleichgewichts zusammen, die im Herzen des Menschen ihren Ursprung hat. Denn im Menschen selbst sind viele widersprüchliche Elemente gegeben. Einerseits erfährt er sich nämlich als Geschöpf vielfältig begrenzt, andererseits empfindet er sich in seinem Verlangen unbegrenzt und berufen zu einem Leben höherer Ordnung. Zwischen so vielen verlockenden Möglichkeiten, die sich ihm stellen, muß er dauernd unweigerlich eine Wahl treffen und so auf dieses oder jenes verzichten. Als schwacher Mensch und Sünder tut er oft das, was er nicht will, und was er tun wollte, tut er nicht« (171). Der Konzilstext bezieht sich hier auf die bekannten Worte des heiligen Paulus (172).

Das »Offenlegen der Sünde«, welches das menschliche Gewissen in jeder vertieften Reflexion über sich selbst begleitet, führt also zur Entdeckung ihrer Wurzeln im Menschen sowie auch der Bedingtheiten des Gewissens selbst im Lauf der Geschichte. So finden wir erneut jene ursprüngliche Wirklichkeit der Sünde, von der wir schon gesprochen haben. Der Heilige Geist »überführt der Sünde« im Hinblick auf das Geheimnis des Anfangs, indem er die Tatsache aufweist, daß der Mensch ein Geschöpf ist und darum in totaler seinsmäßiger und ethischer Abhängigkeit vom Schöpfer steht; zugleich erinnert er an die ererbte Sündhaftigkeit der menschlichen Natur. Der Heilige Geist, der Tröster, »überführt der Sünde« jedoch immer mit dem Blick auf das Kreuz Christi. Mit diesem Bezug verwirft das Christentum jeden »Fatalismus« der Sünde. »Ein harter Kampf gegen die Mächte der Finsternis, ein Kampf, der schon am Anfang der Welt begann und nach dem Wort des Herrn bis zum letzten Tag andauern wird« - so lehrt das Konzil (173). »Der Herr selbst aber ist gekommen, um den Menschen zu befreien und zu stärken« (174). Indem der Mensch also, weit entfernt davon, sich durch seine Sündhaftigkeit »fesseln« zu lassen, der Stimme seines Gewissens vertraut, »muß er... beständig kämpfen um seine Entscheidung für das Gute, und nur mit großer Anstrengung kann er mit Gottes Gnadenhilfe seine innere Einheit erreichen« (175). Mit Recht sieht das Konzil die Sünde als Grund des Bruches an, der das persönliche und gesellschaftliche Leben des Menschen belastet; zugleich aber erinnert es unermüdlich an die Möglichkeit des Sieges.

45 Der Geist der Wahrheit, welcher »die Welt der Sünde überführt«, trifft auf jene Mühe des menschlichen Gewissens, von der die Konzilstexte so eindrucksvoll reden. Diese Mühe des Gewissens bestimmt zugleich die vielfältigen Wege menschlicher Umkehr: der Sünde den Rücken kehren, um die Wahrheit und Liebe im Innersten des Menschen wieder aufzurichten. Man weiß, wie es bisweilen viel kostet, das Böse in sich selbst anzuerkennen. Man weiß, daß das Gewissen nicht nur gebietet und verbietet, sondern im Licht der inneren Gebote und Verbote auch richtet. Es ist auch die Quelle für Gewissensbisse: Der Mensch leidet innerlich infolge des begangenen Bösen. Ist dieses Leiden nicht ein ferner Widerhall jener »Reue über die Erschaffung des Menschen«, welche die anthropomorphe Sprache der Bibel Gott selbst zuschreibt, jener »Verwerfung«, die im »Herzen« der Dreifaltigkeit geschieht, aber kraft der ewigen Liebe zum Schmerz des Kreuzes wird im Gehorsam Christi bis zum Tod? Wenn der Geist der Wahrheit das menschliche Gewissen teilhaben läßt an diesem Schmerz, dann wird das Leiden des Gewissens besonders tief, aber auch besonders heilsam. Dann vollzieht sich in einem Akt vollkommener Reue die echte Bekehrung des Herzens, die »Umkehr« gemäß dem Evangelium.

Die Mühe des menschlichen Herzens und des Gewissens, mit der diese »Umkehr« oder Bekehrung geschieht, ist der Widerschein jenes Prozesses, durch den sich die Verwerfung in heilbringende Liebe verwandelt, die zu leiden weiß. Der verborgene Ausspender dieser heilenden Kraft ist der Heilige Geist: Er, der von der Kirche »Licht der Herzen« genannt wird, durchdringt und erfüllt »die Tiefe der menschlichen Herzen« (176). Durch eine solche Bekehrung im Heiligen Geist öffnet sich der Mensch dem Verzeihen, der Sündenvergebung. In dieser ganzen staunenswerten Dynamik von Bekehrung und Vergebung bestätigt sich die Wahrheit dessen, was der heilige Augustinus über das Geheimnis des Menschen in seinem Psalmenkommentar zum Vers »Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner Wasser« (177) schreibt. Gerade im Blick auf diese Tiefe des Menschen, des menschlichen Gewissens, »tief wie das Meer«, vollzieht sich die Sendung des Sohnes und des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist »kommt« kraft des »Fortgehens« Christi im österlichen Geheimnis: Er kommt in jedem konkreten Geschehen von Bekehrung und Vergebung aus der Kraft des Kreuzesopfers; denn darin »reinigt das Blut Christi ... unser Gewissen von toten Werken, zum Dienst des lebendigen Gottes« (178). So erfüllen sich fortwährend die Worte über den Heiligen Geist als »einen anderen Beistand«, die Worte, die im Abendmahlssaal an die Apostel und indirekt an uns alle gerichtet worden sind: »Ihr kennt ihn; denn er bleibt bei euch und wird in euch sein« (179).

6. Die Sünde gegen den Heiligen Geist

46 Auf dem Hintergrund dessen, was wir bisher ausgeführt haben, werden einige beeindruckende und bestürzende Worte Jesu verständlicher. Wir könnten sie als Worte der »Nicht-Vergebung« bezeichnen. Sie sind uns von den Synoptikern überliefert und beziehen sich auf eine besondere Sünde, die »Lästerung wider den Heiligen Geist« genannt wird. Hier die Texte in ihrer dreifachen Fassung:

Matthäus: »Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden, aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben. Auch dem, der etwas gegen den Menschensohn sagt, wird vergeben werden, wer aber etwas gegen den Heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt« (180).

Markus: »Alle Vergehen und Lästerungen werden dem Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften« (181).

Lukas: »Jedem, der etwas gegen den Menschensohn sagt, wird vergeben werden; wer aber den Heiligen Geist lästert, dem wird nicht vergeben« (182).

Warum ist die Lästerung gegen den Heiligen Geist nicht zu vergeben? Was ist unter dieser Lästerung zu verstehen? Der heilige Thomas von Aquin antwortet, daß es sich hier um eine Sünde handelt, »die ihrer Natur nach unvergebbar ist, weil sie jene Elemente ausschließt, derentwegen die Vergebung der Sünden geschieht« (183).

Nach dieser Deutung besteht die Lästerung nicht eigentlich in verletzenden Worten gegen den Heiligen Geist, sondern in der Weigerung, das Heil anzunehmen, welches Gott dem Menschen durch den Heiligen Geist anbietet, der in der Kraft des Kreuzesopfers wirkt. Wenn der Mensch jenes »Offenlegen der Sünde«, das vom Heiligen Geist ausgeht und heilswirksamen Charakter hat, zurückweist, weist er damit zugleich das »Kommen« des Trösters zurück, jenes »Kommen«, das sich im Ostergeheimnis vollzieht, in der Einheit mit der erlösenden Kraft des Blutes Christi, das »unser Gewissen von toten Werken reinigt«.

Wir wissen, daß die Frucht einer solchen Reinigung die Vergebung der Sünden ist. Wer den Geist und das Blut zurückweist, verbleibt deshalb in »toten Werken«, in der Sünde. Die Lästerung gegen den Heiligen Geist besteht gerade in der radikalen Verweigerung der Annahme jener Vergebung, deren innerster Vermittler er ist und die eine echte Bekehrung voraussetzt, die von ihm im Gewissen gewirkt wird. Wenn Jesus sagt, daß die Lästerung gegen den Heiligen Geist weder in diesem noch im zukünftigen Leben vergeben wird, dann liegt der Grund darin, daß diese »Nicht-Vergebung« ursächlich mit der Unbußfertigkeit verbunden ist, das heißt mit der radikalen Weigerung, sich zu bekehren. Dies bedeutet eine Weigerung, sich den Quellen der Erlösung zu nähern, die jedoch in der Heilsordnung, in der sich die Sendung des Heiligen Geistes vollzieht, »immer« geöffnet bleiben. Der Tröster-Geist hat die unbegrenzte Macht, aus diesen Quellen zu schöpfen: »Er wird von dem, was mein ist, nehmen«, hat Jesus gesagt. Auf diese Weise vollendet er in den Seelen der Menschen die von Christus gewirkte Erlösung, indem er deren Früchte austeilt. Nun ist aber die Lästerung gegen den Heiligen Geist die Sünde jenes Menschen, der sich auf sein vermeintliches »Recht« zum Verharren im Bösen - in jeglicher Sünde - beruft und dadurch die Erlösung verwirft. Ein solcher Mensch bleibt in der Sünde gefangen, indem er von seiner Seite her seine Bekehrung und damit die Sündenvergebung unmöglich macht, die er als unwesentlich und unbedeutsam für sein Leben erachtet. Dies ist eine Situation des geistlichen Ruins; denn die Lästerung gegen den Heiligen Geist erlaubt es dem Menschen nicht, sich aus seiner selbstverhängten Gefangenschaft zu befreien und sich den göttlichen Quellen der Reinigung der Gewissen und der Verzeihung der Sünden zu öffnen.

47 Das Wirken des Heiligen Geistes, das auf das heilbringende »Offenlegen der Sünde« gerichtet ist, trifft im Menschen, der sich in einer solchen Situation befindet, auf einen inneren Widerstand, gleichsam auf eine undurchdringliche Wand seines Gewissens, auf eine seelische Verfassung, die sich sozusagen aufgrund einer freien Wahl verfestigt hat: Die Heilige Schrift nennt das gewöhnlich »Verhärtung des Herzens« (184). In unserer Zeit entspricht dieser Verfassung des Geistes und des Herzens in etwa der Verlust des Gespürs für die Sünde, dem das Apostolische Schreiben über »Versöhnung und Buße« viele Seiten widmet (185). Schon Papst Pius XII. hat gesagt, daß »die Sünde des Jahrhunderts der Verlust des Gespürs für die Sünde ist« (186); dieser Verlust aber geht einher mit dem »Verlust des Gespürs für Gott«. Im erwähnten Schreiben lesen wir: »Gott ist tatsächlich der Ursprung und das höchste Ziel des Menschen, und dieser trägt in sich einen göttlichen Keim. Deshalb ist es die Wirklichkeit Gottes, die das Geheimnis des Menschen enthüllt und beleuchtet. Es ist also vergeblich, zu hoffen, daß ein Sündenbewußtsein gegenüber den Menschen und den menschlichen Werten Bestand haben könnte, wenn das Gespür für die gegen Gott begangene Beleidigung, das heißt das wahre Sündenbewußtsein, fehlt« (187).

Darum erbittet die Kirche beständig von Gott die Gnade, daß der Mensch das rechte Gewissen nicht verliere und sich sein gesundes Gespür für das Gute und Böse nicht abstumpfe. Beides, Gewissenhaftigkeit und Empfindsamkeit, sind zutiefst mit dem inneren Wirken des Geistes der Wahrheit verbunden. Von daher erhalten die Mahnungen des Apostels eine besondere Bedeutung: »Löscht den Geist nicht aus«; »beleidigt nicht den Heiligen Geist« (188). Vor allem aber hört die Kirche nicht auf, mit größtem Eifer dafür zu beten, daß jene Sünde, die das Evangelium »Lästerung gegen den Heiligen Geist« nennt, in der Welt nicht zunehme, sondern vielmehr in den Seelen der Menschen - und folglich in den Lebensräumen selbst und in den verschiedenen Bereichen der menschlichen Gesellschaft - zurückgehe und sich stattdessen die Gewissen öffnen, was für das heilbringende Wirken des Heiligen Geistes unerläßlich ist. Die Kirche bittet darum, daß die gefährliche Sünde gegen den Geist einer heiligen Bereitschaft weiche, seine Sendung als Beistand anzunehmen, wenn er kommt, um »die Welt zu überführen (und aufzudecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist«.

48 Jesus hat in seiner Abschiedsrede diese drei Teilbereiche des »Überführens« in der Sendung des Beistandes zusammengefaßt: die Sünde, die Gerechtigkeit und das Gericht. Diese bezeichnen den Raum jenes Geheimnisses des Glaubens, das sich in der Geschichte des Menschen der Sünde, dem Geheimnis der Bosheit, entgegenstellt (189). Nach einem Wort des heiligen Augustinus geht es hier auf der einen Seite um die »Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes« und auf der anderen Seite um die »Liebe Gottes bis zur Verachtung seiner selbst« (190). Beständig betet und bemüht sich die Kirche in ihrem Dienst darum, daß die Geschichte des Gewissens und der Gesellschaft in der großen Menschheitsfamilie nicht zum Pol der Sünde abgleitet, mit der Verwerfung der göttlichen Gebote »bis zur Verachtung Gottes«, sondern sich vielmehr zu jener Liebe erhebt, in der sich der Geist offenbart, »der lebendig macht«. Wer sich vom Heiligen Geist »der Sünde überführen« läßt, läßt sich auch »die Gerechtigkeit« und »das Gericht« offenlegen. Der Geist der Wahrheit, der den Menschen und ihrem Gewissen hilft, die Wahrheit der Sünde zu erkennen, läßt sie zugleich die Wahrheit jener Gerechtigkeit erkennen, die mit Jesus Christus in die Geschichte des Menschen eingetreten ist. Auf diese Weise werden diejenigen, die, »der Sünde überführt«, sich durch das Wirken des Trösters bekehren gewissermaßen aus dem Bereich des »Gerichts« herausgeführt, jenes »Gerichts«, durch welches »der Herrscher dieser Welt bereits gerichtet ist« (191). Die Bekehrung bedeutet in der Tiefe ihres göttlich-menschlichen Geheimnisses das Zerreißen jeglicher Fessel, durch welche die Sünde den Menschen an das gesamte Geheimnis der Bosheit bindet.

Wer sich bekehrt, wird also vom Heiligen Geist aus dem Bereich des »Gerichts« befreit und zu jener Gerechtigkeit geführt, die in Jesus Christus gegeben ist und die er besitzt, weil er sie »vom Vater empfängt« (192) als Abglanz der dreifaltigen Heiligkeit. Dies ist die Gerechtigkeit des Evangeliums und der Erlösung, die Gerechtigkeit der Bergpredigt und des Kreuzes, welche die Reinigung des Gewissens bewirkt durch das Blut des Lammes. Es ist die Gerechtigkeit, die der Vater dem Sohn und allen zuteil werden läßt, die mit ihm in Wahrheit und Liebe verbunden sind. In dieser Gerechtigkeit offenbart sich der Heilige Geist, der Geist des Vaters und des Sohnes, welcher »die Welt der Sünde überführt«, und wird im Menschen gegenwärtig als Geist ewigen Lebens.

III. DER GEIST, DER LEBENDIG MACHT


1. Grund für das Jubiläum des Jahres 2000: Christus, »empfangen vom Heiligen Geist«

49 An den Heiligen Geist wenden sich Denken und Herz der Kirche am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts und im Blick auf das dritte Jahrtausend seit der Ankunft Christi in dieser Welt, während wir auf das große Jubiläum vor ausschauen, mit dem die Kirche dieses Ereignis feiern wird. Diese Ankunft wird ja nach menschlicher Zeitrechnung als ein Ereignis festgehalten, das zur Geschichte des Menschen auf dieser Erde gehört. Die übliche Zeitrechnung gibt die Jahre, Jahrhunderte und Jahrtausende entspre chend ihrer Folge vor oder nach der Geburt Christi an. Zugleich aber muß man sich dessen bewußt sein, daß dieses Ereignis für uns Christen nach dem Wort des Apostels die »Fülle der Zeit« (193) bedeutet, weil in ihm die Geschichte des Menschen völlig vom »Zeitmaß« Gottes durch drungen wurde: von seiner transzendenten Gegenwart im ewigen »Jetzt«. Er ist derjenige, »der ist und der war und der kommt«; »das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende« (194). »Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (195). »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau..., damit wir die Sohnschaft erlangen« (196). Und diese Fleischwerdung des Ewigen Wortes und Sohnes geschah »durch das Wirken des Heiligen Geistes«.

Die beiden Evangelisten, denen wir den Bericht über die Geburt und Kindheit Jesu von Nazaret verdanken, drücken sich hierbei in der selben Weise aus. Nach Lukas fragt Maria nach der Ankündigung der Geburt Jesu: »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?«. Sie erhält zur Antwort: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden« (197).

Matthäus berichtet in direkter Form: »Mit der Geburt Jesu war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, daß sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes« (198). Josef, dadurch verwirrt, empfängt im Schlaf die folgende Erklärung: »Fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen« (199).

Darum bekennt die Kirche von Anfang an das Geheimnis der Menschwerdung, dieses zentrale Geheimnis des Glaubens, in Verbindung mit dem Heiligen Geist. Sie spricht im Apostolischen Glaubensbekenntnis: »Empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus Maria, der Jungfrau«. Nicht anders das Bekenntnis des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses: Er »hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden«.

»Durch den Heiligen Geist« wurde Mensch, den die Kirche im selben Glaubensbekenntnis auch als wesensgleichen Sohn des Vaters bekennt: »Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen«. Er wurde Mensch »im Schoß der Jungfrau Maria«. Dies geschah, als »die Zeit erfüllt war«.

50 Das große Jubiläum am Ende des zweiten Jahrtausends, auf das sich die Kirche schon vorbereitet, hat unmittelbar eine christologische Ausrichtung: Es geht ja um die Feier der Geburt Jesu Christi. Zugleich hat es eine pneumatologische Ausrichtung; denn das Geheimnis der Menschwerdung vollzog sich »durch das Wirken des Heiligen Geistes«. Es wurde »gewirkt« durch jenen Geist, der - eines Wesens mit dem Vater und dem Sohn - im absoluten Geheimnis des dreieinigen Gottes die »Liebe in Person« ist, das ungeschaffene Geschenk, das die ewige Quelle allen Schenkens Gottes in der Schöpfungsordnung ist sowie unmittelbarer Ursprung und gewissermaßen Subjekt der Selbstmitteilung Gottes in der Gnadenordnung. Das Geheimnis der Menschwerdung ist der Höhepunkt dieses Schenkens und dieser Selbstmitteilung.

Empfängnis und Geburt Jesu Christi sind das größte vom Heiligen Geist in der Schöpfungs- und Heilsgeschichte vollbrachte Werk: die höchste Gnade - die »Gnade der Einigung« als Quelle jeder anderen Gnade, wie der heilige Thomas erklärt (200). Das große Jubiläum gilt diesem Werk und auch - wenn wir es in seiner Tiefe erfassen - dem, der es gewirkt hat, der Person des Heiligen Geistes.

Der »Fülle der Zeit« entspricht in der Tat eine besondere Fülle der Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes im Heiligen Geist. »Durch das Wirken des Heiligen Geistes« vollzieht sich das Geheimnis der »hypostatischen Union«, das heißt der Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur, der Gottheit mit der Menschheit in der einzigen Person des Ewigen Wortes und Sohnes. Als Maria im Augenblick der Verkündigung ihr »fiat« spricht: »Mir geschehe, wie du es gesagt hast« (201), empfängt sie auf jungfräuliche Weise einen Menschen, den Menschensohn, der Gottes Sohn ist. In dieser »Vermenschlichung« des Wortes und Sohnes erreicht die Selbstmitteilung Gottes ihre endgültige Fülle in der Schöpfungs- und Heilsgeschichte. Diese Fülle findet einen besonders dichten und beredten Ausdruck im Johannesevangelium: »Das Wort ist Fleisch geworden« (202). Die Menschwerdung des Gottessohnes bedeutet nicht nur die Aufnahme der menschlichen Natur in die Einheit mit Gott, sondern gewissermaßen alles dessen, was »Fleisch« ist: der ganzen Menschheit, der ganzen sichtbaren und materiellen Welt. Die Menschwerdung hat also auch ihre kosmische Bedeutung und Dimension. Indem der »Erstgeborene der ganzen Schöpfung« (203) in diesem individuellen Menschen Christus Fleisch annimmt, vereinigt er sich gleichsam mit der ganzen Wirklichkeit des Menschen, der auch »Fleisch« (204) ist, und dadurch mit allem »Fleisch«, mit der ganzen Schöpfung.

51 All dies vollzieht sich durch das Wirken des Heiligen Geistes und gehört darum auch zum Inhalt des zukünftigen großen Jubiläums. Die Kirche kann sich darauf in keiner anderen Weise als im Heiligen Geist vorbereiten. Was »in der Fülle der Zeit« durch das Wirken des Heiligen Geistes geschah, kann heute nur durch sein Wirken im Gedächtnis der Kirche neu erwachen. Durch sein Wirken kann all dies Gegenwart werden in der neuen Phase der Geschichte des Menschen auf dieser Erde: im Jahr 2000 nach Christi Geburt.

Der Heilige Geist, dessen Kraft den jungfräulichen Leib Mariens überschattete und so in ihr den Anfang göttlicher Mutterschaft bewirkte, machte zur gleichen Zeit ihr Herz vollkommen gehorsam gegenüber jener Selbstmitteilung Gottes, die jeden Begriff und alle Fassungskraft des Menschen übersteigt. »Selig ist die, die geglaubt hat« (205): So wird Maria von ihrer Verwandten Elisabet begrüßt, die auch »vom Heiligen Geist erfüllt« war (206). In den Grußworten an jene, die »geglaubt hat«, scheint sich ein entfernter, aber tatsächlich sehr deutlicher Kontrast zu all jenen anzudeuten, von denen Christus sagen wird, »sie haben nicht geglaubt« (207). Maria ist in die Heilsgeschichte der Welt eingetreten durch ihren Glaubensgehorsam. Der Glaube ist in seinem tiefsten Wesen die Öffnung des menschlichen Herzens gegenüber der göttlichen Gabe: gegenüber der Selbstmitteilung Gottes im Heiligen Geist. Der heilige Paulus schreibt: »Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit« (208). Wenn der dreieinige Gott sich dem Menschen gegenüber im Heiligen Geist eröffnet, dann offenbart und schenkt zugleich diese »Selbsteröffnung dem Menschengeschöpf die Fülle der Freiheit. Diese Fülle fand gerade durch den Gehorsam Mariens, durch ihren »Glaubensgehorsam«, einen erhabenen Ausdruck (209). Wirklich: »Selig ist die, die geglaubt hat«!

2. Grund für das Jubiläum: Die Gnade ist erschienen

52 Im Geheimnis der Menschwerdung erreicht das Wirken des Geistes, »der lebendig macht«, seinen Höhepunkt. Das Leben, das Gott in Fülle besitzt, kann nur mitgeteilt werden, wenn es zum Leben eines Menschen wird, wie es Christus in seiner Menschennatur ist, die durch das »Ewige Wort« in der hypostatischen Union zur Person wird. Zugleich öffnet sich im Geheimnis der Menschwerdung auf neue Weise die Quelle jenes göttlichen Lebens in der Geschichte der Menschheit: der Heilige Geist. Das Wort, »der Erstgeborene der ganzen Schöpfung«, wird zum »Erstgeborenen von vielen Brüdern« (210); und so wird es auch zum Haupt des Leibes, der die Kirche ist, welche am Kreuz geboren und am Pfingsttag offenbar wird - und durch die Kirche zum Haupt der Menschheit: der Menschen aller Völker und Rassen, aller Länder und Kulturen, Sprachen und Kontinente, die alle zum Heil berufen sind. »Das Wort ist Fleisch geworden, (jenes Wort, in dem) das Leben war, und das Leben war das Licht der Menschen ... Allen aber, die es aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden« (211). All dies geschah und geschieht ständig »durch das Wirken des Heiligen Geistes«.

»Söhne Gottes« sind nach der Lehre des Apostels »alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen« (212). Die Sohnschaft durch göttliche Annahme an Kindes Statt entsteht in den Menschen aus dem Geheimnis der Menschwerdung, also wegen Christus, dem ewigen Sohn. Die Geburt oder Wiedergeburt aber erfolgt, wenn Gott »den Geist seines Sohnes in unser Herz sendet« (213). Denn dann »empfangen wir den Geist, der uns zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!« (214). Darum ist diese Sohnschaft Gottes, die der menschlichen Seele durch die heiligmachende Gnade eingestiftet wird, das Werk des Heiligen Geistes. »So bezeugt der Geist selber unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und Miterben Christi« (215). Die heiligmachende Gnade ist im Menschen Ursprung und Quelle des neuen Lebens: des göttlichen, übernatürlichen Lebens.

Die Verleihung dieses neuen Lebens ist wie eine endgültige Antwort auf das Gebet des Psalmisten, in welchem gleichsam die Stimme aller Geschöpfe widerhallt: »Du sendest deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde« (216). Derjenige, der im Schöpfungsgeheimnis dem Menschen und dem Kosmos das Leben gibt in seinen vielfältigen sichtbaren und unsichtbaren Formen, erneuert es durch das Geheimnis der Menschwerdung. So wird die Schöpfung durch die Menschwerdung vervollkommnet und seither von den Kräften der Erlösung durchdrungen, die die Menschheit und alles Geschaffene erfassen. So sagt es uns der heilige Paulus, dessen kosmisch-theologische Vision die Stimme des alten Psalmes aufzunehmen scheint: Die ganze Schöpfung »wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes« (217), derjenigen nämlich, die er »im voraus erkannt hat« und so auch »dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben« (218). So ergibt sich für die Menschen eine übernatürliche »Annahme an Sohnes Statt«, deren Ursprung der Heilige Geist ist, als göttliche Liebe und Gabe. Als solcher wird er den Menschen geschenkt. Und in der Überfülle der ungeschaffenen Gabe hat im Herzen jedes Menschen jene besondere geschaffene Gabe ihren Anfang, durch welche die Menschen »an der göttlichen Natur Anteil erhalten« (219). So wird das Leben des Menschen durch Teilhabe vom göttlichen Leben durchwirkt und erhält dadurch auch selbst eine göttliche, übernatürliche Dimension. In diesem neuen Leben als Teilhabe am Geheimnis der Menschwerdung »haben die Menschen... im Heiligen Geist Zugang zum Vater« (220). Es gibt also eine enge Beziehung zwischen dem Heiligen Geist, der lebendig macht, und der heiligmachenden Gnade sowie der daraus folgenden übernatürlichen Lebenskraft im Menschen: zwischen dem ungeschaffenen Geist und dem geschaffenen menschlichen Geist.
53 Dies alles, so kann man sagen, gehört in den Rahmen des erwähnten großen Jubiläums. Man muß also die geschichtliche Dimension des nur oberflächlich betrachteten Geschehens überschreiten. Es gilt vielmehr, im christologischen Gehalt dieses Geschehens die pneumatologische Dimension zu erfassen, indem man das zweitausendjährige Wirken des Geistes der Wahrheit mit den Augen des Glaubens betrachtet; dieser Geist hat durch die Jahrhunderte hin aus dem Schatz der Erlösung Christi geschöpft, indem er den Menschen das neue Leben gibt, in ihnen die Annahme als Söhne Gottes im eingeborenen Sohn wirkt und sie heiligt, so daß sie in das Wort des heiligen Paulus einstimmen können: Wir haben den Geist Gottes empfangen« (221).

Wenn man diesem Motiv des Jubiläums folgt, kann man sich jedoch nicht nur auf die 2000 Jahre seit Christi Geburt beschränken. Man muß weiter zurückgehen und das ganze Wirken des Heiligen Geistes vor Christus in den Blick nehmen - sein Wirken von Anfang an, in der ganzen Welt und vor allem in der Heilsordnung des Alten Bundes. Dieses Wirken an jedem Ort und in jeder Zeit, ja in jedem Menschen geschah nämlich nach dem ewigen Heilsplan, durch den es mit dem Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung eng verbunden ist, das sich aber schon auf jene ausgewirkt hat, die an den kommenden Christus glaubten. Das ist in besonderer Weise im Brief an die Epheser bezeugt (222). Die Gnade hat daher einen christologischen und zugleich pneumatologischen Charakter, der sich vor allem in jenen bewahrheitet, die sich ausdrücklich zu Christus bekennen: »Durch ihn (in Christus) habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen... Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen, der Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden« (223).

Im Blick auf das große Jubiläum müssen wir sodann noch weiter ausholen, weil wir wissen, daß »der Wind weht, wo er will«, wie Jesus im Gespräch mit Nikodemus (224) anschaulich sagt. Das II. Vatikanische Konzil, das sich vor allem auf das Thema der Kirche konzentriert hat, erinnert uns an das Wirken des Heiligen Geistes »auch außerhalb« des sichtbaren Leibes der Kirche. Das Konzil spricht ausdrücklich von »allen Menschen guten Willens, in deren Herzen die Gnade unsichtbar wirkt. Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, daß der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein« (225).
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54 »Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten« (226). Diese Worte stammen aus einem anderen Gespräch Jesu, bei der Begegnung mit der Frau aus Samaria. Das große Jubiläum, das am Ende dieses Jahrtausends und am Beginn des nächsten gefeiert wird, muß ein machtvoller Aufruf an alle werden, die »Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten«. Es muß für alle zu einem besonderen Anlaß werden, sich auf das Geheimnis des dreieinigen Gottes zu besinnen, der als solcher die Welt, besonders die sichtbare Welt, völlig übersteigt: ist er doch absoluter Geist - »Gott ist Geist« (227). Zugleich ist er aber auf wunderbare Weise dieser Welt nicht nur nahe, sondern in ihr gegenwärtig und ihr in gewissem Sinne immanent; er durchdringt und belebt sie von innen her. Das gilt vor allem für den Menschen: Gott ist im Innersten seines Seins gegenwärtig, in seinem Denken, Gewissen und Herzen; eine psychologische und ontologische Wirklichkeit, bei deren Betrachtung der heilige Augustinus von Gott sagt: »Interior intimo meo« - »Mir näher als mein Innerstes selbst« (228). Diese Worte helfen uns, die Antwort Jesu an die Samariterin besser zu verstehen: »Gott ist Geist«. Nur der Geist kann mir innerlicher sein, als ich mir selbst bin, sowohl seinsmässig wie auch in der geistlichen Erfahrung; nur der Geist kann derart dem Menschen und der Welt immanent sein, ohne jegliche Beeinträchtigung oder Veränderung seiner absoluten Transzendenz.

Auf neue und sichtbare Weise hat sich die göttliche Gegenwart in der Welt und im Menschen aber in Jesus Christus offenbart. In ihm ist wahrhaft »die Gnade Gottes erschienen« (229). Die Liebe Gottes, des Vaters, göttliche Gabe, unbegrenzte Gnade, Ursprung des Lebens, ist in Christus offenbar geworden und ist nun in seiner Menschheit »Teil« des Alls, des Menschengeschlechtes und der Geschichte. Dieses »Erscheinen« der Gnade durch Jesus Christus in der Geschichte des Menschen vollzog sich durch das Wirken des Heiligen Geistes, welcher der Ursprung jeglichen Heilshandelns Gottes in der Welt ist; er, der »verborgene Gott« (230), der als Liebe und Gabe »den Erdkreis erfüllt« (231). Das ganze Leben der Kirche, das sich in der Feier des großen Jubiläums bezeugen wird, bedeutet, dem verborgenen Gott entgegenzugehen, bedeutet, dem Geist zu begegnen, der lebendig macht.

3. Der Heilige Geist im inneren Konflikt des Menschen


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