Allgemeines Direktorium für die Katechese 22

Die sittlich-religiöse Situation


22 Unter den Elementen, aus denen sich das Kulturerbe eines Volkes zusammensetzt, ist der sittlich-religiöse Faktor für den Sämann von besonderer Bedeutung. In der heutigen Kultur breitet sich unablässig religiöse Gleichgültigkeit aus. »Viele unserer Zeitgenossen erfassen die innigste und lebensvolle Verbindung mit Gott gar nicht oder verwerfen sie ausdrücklich«.(32)

Als Leugnung Gottes »muß man den Atheismus zu den ernstesten Gegebenheiten dieser Zeit rechnen«.(33) Er nimmt verschiedene Formen an, erscheint aber heute besonders in Gestalt des Säkularismus, der in einer autonomistischen Erklärung des Menschen und der Welt besteht, »derzufolge sie sich ganz aus sich selbst erklärt, ohne daß es eines Rückgriffs auf Gott bedürfte«.(34) Im spezifisch religiösen Bereich sind jedoch Anzeichen einer »Wiederkehr zum Heiligen«,(35) eines neuen Durstes nach transzendenten, göttlichen Wahrheiten vorhanden. Die heutige Welt bezeugt reichlicher und vitaler »das Suchen und das Bedürfnis nach dem Religiösen«.(36) Gewiß ist dieses Phänomen »nicht ohne Zweideutigkeit«.(37) Die breite Entwicklung der Sekten und der neuen religiösen Bewegungen und das Wiederaufleben des »Fundamentalismus«(38) sind Gegebenheiten, die an die Kirche ernste Fragen richten und aufmerksam analysiert werden müssen.


23 Die heutige moralische Situation entspricht ganz der religiösen. Es ist in der Tat eine Verdunkelung der ontologischen Wahrheit über den Menschen als Person wahrzunehmen. Es ist, als würde die Zurückweisung Gottes den inneren Bruch der Strebungen des Menschen bedeuten.(39) So kommt es an vielen Orten zu einem »ethischen Relativismus«, der »dem bürgerlichen Zusammenleben jeden sicheren sittlichen Bezugspunkt nimmt«.(40)

Die Evangelisierung trifft auf dem sittlich-religiösen Terrain einen bevorzugten Tätigkeitsbereich an. Die vorrangige Sendung der Kirche ist es ja, Gott zu verkünden, ihn vor der Welt zu bezeugen. Es geht darum, das wahre Antlitz Gottes und seinen Liebes- und Heilsplan für die Menschen, so wie Jesus ihn offenbart hat, bekanntzumachen.

Um solche Zeugen heranzubilden, muß die Kirche eine Katechese entwickeln, die die Begegnung mit Gott begünstigt und ein ständiges Band der Gemeinschaft mit ihm neu festigt.

Die Kirche auf dem Saatfeld der Welt

Der Glaube der Christen


24 Die Jünger Jesu sind zwar als Sauerteig in die Welt getaucht, sind aber zu jeder Zeit nicht dagegen gefeit, dem Einfluß der menschlichen Situationen zu unterliegen. Darum ist es notwendig, sich nach der heutigen Situation des Glaubens der Christen zu fragen. Die in den letzten Jahrzehnten in der Kirche entfaltete katechetische Erneuerung ist im Begriff, sehr positive Früchte zu zeitigen.(41) Die Katechese der Kinder, der Jugendlichen und der Erwachsenen dieser Jahre hat eine Typologie des Christen hervorgebracht, der sich seines Glaubens wirklich bewußt ist und mit ihm in seinem Leben übereinstimmt. Sie hat tatsächlich in ihnen gefördert:

– eine neue, lebensvolle Erfahrung Gottes als barmherzigen Vater;

– eine vertiefte Neu- oder Wiederentdeckung Jesu Christi nicht nur in seiner Göttlichkeit, sondern auch in seiner wahren Menschlichkeit;

– das Gefühl aller, mitverantwortlich zu sein für die Sendung der Kirche in der Welt;

– das Bewußtwerden der sozialen Forderungen des Glaubens.


25 Angesichts des heutigen religiösen Panoramas drängt sich jedoch den Söhnen und Töchtern der Kirche eine Prüfung auf: »Inwieweit sind auch sie von der Atmosphäre des Säkularismus und ethischen Relativismus betroffen?«.(42)

Eine erste Kategorie bilden »sehr viele, die zwar getauft sind, aber gänzlich außerhalb eines christlichen Lebensraumes stehen«.(43) Es handelt sich um eine Menge »nichtpraktizierender Christen«,(44) auch wenn bei vielen von ihnen im Innersten ihres Herzens das religiöse Empfinden nicht völlig verschwunden ist. Sie wieder zum Glauben zu erwecken, ist für die Kirche eine echte Herausforderung. Neben ihnen gibt es auch »das einfache Volk«,(45) das sich manchmal in sehr aufrichtigen religiösen Gefühlen und in einer tiefverwurzelten »Volksfrömmigkeit«(46) äußert. Es hat zwar einen gewissen Glauben, »kennt aber seine Grundlagen kaum«.(47) Zudem gibt es zahlreiche Christen, die sehr gebildet sind, aber nur in der Kindheit eine religiöse Unterweisung erhalten haben und die es nötig haben, ihren Glauben in einem anderen Licht(48) neu durchzudenken und reifer werden zu lassen.


26 Sodann gibt es eine gewisse Anzahl getaufter Christen, die wegen eines mißverstandenen interreligiösen Dialogs oder wegen einer gewissen Scheu, in der heutigen Gesellschaft ihren Glauben an Jesus Christus zu bezeugen, leider ihre christliche Identität verbergen. Diese Glaubenssituationen der Christen verlangen vom Sämann dringend, eine Neu-Evangelisierung in die Wege zu leiten,(49) vor allem in den Kirchen mit einer alten christlichen Tradition, wo der Säkularismus die stärksten Breschen geschlagen hat. In dieser neuen Situation, die einer Evangelisierung bedarf, haben die missionarische Verkündigung und die Katechese, vor allem an Jugendlichen und Erwachsenen, klare Vordringlichkeit.

Das innere Leben der kirchlichen Gemeinschaft


27 Es ist wichtig, sich auch das Leben der kirchlichen Gemeinschaft, ihre innere Beschaffenheit anzusehen. In einer ersten Betrachtung gilt es festzustellen, wie in der Kirche das II. Vatikanische Konzil aufgenommen worden ist und Früchte getragen hat. Die großen Konzilsdokumente sind nicht toter Buchstabe geblieben; ihre Wirkungen sind festzustellen. Die vier Konstitutionen —Sacrosanctum Concilium, Lumen gentium, Dei verbum und Gaudium et spes — haben die Kirche befruchtet. In der Tat:

– Das liturgische Leben wird tiefer als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens verstanden.

– Das Volk Gottes hat ein lebendigeres Bewußtsein des »gemeinsamen Priestertums«(50) erworben, das in der Taufe wurzelt. Gleichzeitig entdeckt es immer mehr wieder die universale Berufung zur Heiligkeit und einen lebendigeren Sinn für den Dienst an der Nächstenliebe.

– Die kirchliche Gemeinschaft hat einen lebendigeren Sinn für das Gotteswort erworben. Beispielsweise wird die Heilige Schrift viel intensiver gelesen, verkostet und meditiert.

– Die Sendung der Kirche in der Welt wird auf neue Weise wahrgenommen. Auf der Grundlage einer inneren Erneuerung hat das Konzil die Katholiken offen gemacht für das Erfordernis einer Evangelisierung, die notwendig mit der Förderung des Menschen verbunden ist, für die Notwendigkeit des Dialogs mit der Welt, mit den verschiedenen Kulturen und Religionen und für die dringliche Suche nach der Einheit unter den Christen.


29 Doch bei all dieser Fruchtbarkeit sind auch »Mängel und Schwierigkeiten in der Aufnahme des Konzils»(51) festzustellen. Trotz einer so reichen und tiefen Lehre über die Kirche ist der Sinn für die Zugehörigkeit zur Kirche schwächer geworden, ja häufig ist eine »Abneigung gegen die Kirche«(52) festzustellen; man betrachtet sie oft einseitig als bloße Institution, die ihres Mysteriums beraubt ist.

In einigen Fällen hat man bei der Interpretation und Anwendung der Erneuerung, die das II. Vatikanische Konzil von der Kirche verlangt hat, einseitige und gegensätzliche Positionen eingenommen. Solche Ideologien und Haltungen haben zu Zersplitterungen geführt und sind der für die Evangelisierung unerläßlichen Bezeugung der Gemeinschaft abträglich.

Das evangelisierende Wirken der Kirche und in ihm der Katechese muß entschiedener einen soliden kirchlichen Zusammenhalt anstreben. Zu diesem Zweck ist es dringlich, eine echte Ekklesiologie der Gemeinschaft zu fördern und zu vertiefen,(53) um in den Christen eine tiefe kirchliche Spiritualität zu erzeugen.

Situation der Katechese: Lebenskraft und Probleme

29. Die Katechese weist in den letzten Jahren viele positive Aspekte auf, die ihre Lebenskraft deutlich machen. Unter anderem sind hervorzuheben:

– Die große Zahl der Priester, Ordensleute und Laien, die sich mit Begeisterung und Ausdauer der Katechese widmen. Sie ist eine der wichtigsten kirchlichen Tätigkeiten.

– Zu betonen ist auch der missionarische Charakter der heutigen Katechese und ihre Bereitschaft, in einer Welt, in der sich das religiöse Empfinden abstumpft, die Glaubenszustimmung der Katechumenen und der Glaubensschüler zu sichern. In dieser Dynamik ist man sich klar bewußt, daß die Katechese den Charakter einer ganzheitlichen Formung annehmen muß und sich nicht auf bloßes Lehren beschränken darf; sie wird sich bemühen müssen, eine echte Bekehrung hervorzurufen.(54)

– Im Einklang mit dem Gesagten wird es außerordentlich wichtig, daß bei der Planung der Katechese möglichst vieler Teilkirchen die Erwachsenenkatechese vermehrt wird.(55) Sie scheint in den Pastoralplänen vieler Diözesen Priorität zu haben. Auch in einigen kirchlichen Bewegungen und Gruppen nimmt sie einen zentralen Platz ein.

– Zweifellos begünstigt von den neueren Anleitungen des Lehramtes, hat das katechetische Denken in unserer Zeit an Dichte und Tiefe gewonnen. In diesem Sinn verfügen viele Ortskirchen schon über geeignete und zweckmäßige pastorale Orientierungshilfen.


30 Es ist jedoch notwendig, einige Probleme mit besonderer Aufmerksamkeit zu prüfen und nach einer Lösung für sie zu suchen:

– Das erste betrifft das Verständnis der Katechese als Glaubensschule, als Erlernung und Lehrzeit des ganzen christlichen Lebens, was bei weitem noch nicht in das Bewußtsein der Katecheten gedrungen ist.

– Was die Grundausrichtung betrifft, so durchtränkt für gewöhnlich der Begriff »Offenbarung« die katechetische Tätigkeit; doch hat der Konzilsbegriff »Überlieferung« weniger großen Einfluß als wirklich inspirierendes Element. In vielen Katechesen wird fast ausschließlich auf die Bibel Bezug genommen, ohne daß das zweitausend Jahre lange Denken und Leben der Kirche ausreichend berücksichtigt wird.(56) Die kirchliche Natur der Katechese wird in diesem Fall weniger klar sichtbar. Die wechselseitige Verknüpfung von Heiliger Schrift, Überlieferung und Lehramt, »jedes auf seine Art«,(57) befruchtet die katechetische Glaubensvermittlung noch nicht harmonisch.

– Hinsichtlich der Zielsetzung der Katechese, die darauf abzielt, die Gemeinschaft mit Jesus Christus zu fördern, ist eine ausgewogenere Darbietung der ganzen Wahrheit des Geheimnisses Christi notwendig. Zuweilen bleibt man bei seinem Menschsein stehen, ohne ausdrücklich auf seine Gottheit zu verweisen; in anderen, heute weniger häufigen Fällen, betont man seine Gottheit so ausschließlich, daß die Wirklichkeit des Mysteriums der Inkarnation des Wortes nicht mehr hervortritt.(58)

– Bezüglich des Inhalts der Katechese bestehen verschiedene Probleme. Es gibt da gewisse Lücken in bezug auf die Wahrheit über Gott und den Menschen, über Sünde und Gnade und die Letzten Dinge. Auch ist eine solidere sittliche Bildung notwendig; man stößt auf eine unzulängliche Darstellung der Kirchengeschichte, und der kirchlichen Soziallehre wird zu wenig Bedeutung beigemessen. In einigen Regionen wimmelt es von Katechismen und Texten, die aus privater Initiative stammen, selektive Tendenzen und so unterschiedliche Akzentsetzungen aufweisen, daß sie der notwendigen Übereinstimmung in der Glaubenseinheit Schaden zufügen.(59)

– »Die Katechese ist von ihrem Wesen her mit dem gesamten liturgischen und sakramentalen Handeln verbunden«.(60) Häufig freilich zeugt die katechetische Praxis nur von einer schwachen, brüchigen Verbindung mit der Liturgie: begrenzte Beachtung der liturgischen Zeichen und Riten, spärliche Ausschöpfung der liturgischen Quellen, katechetische Unterweisungen, die kaum oder gar keinen Bezug zum Kirchenjahr erkennen lassen, nur am Rand vorhandene Hinweise auf Gottesdienste in den Katechese-Anleitungen.

– Was die Pädagogik angeht, so schenkt man, nach einer Überbetonung des Wertes der Methode und der Techniken von seiten einiger, den Forderungen und der besonderen Eigenart der Pädagogik der Glaubenserziehung noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit.(61) Man fällt leicht in den »Inhalt-Methode«-Dualismus mit Verkürzungen in der einen oder anderen Richtung. Was den pädagogischen Aspekt betrifft, wurde nicht immer die notwendige theologische Unterscheidung vorgenommen.

– Was schließlich die Unterschiedlichkeit der Kulturen in bezug auf den Dienst am Glauben angeht, stellt sich das Problem, wie das Evangelium so in den Kulturhorizont der Völker, an die man sich richtet, zu übertragen ist, daß es wirklich als eine für das Leben der Menschen und der Gesellschaft wichtige Kunde wahrgenommen werden kann.(62)

– Die Ausbildung für das Apostolat und für die Mission ist eine der fundamentalen Aufgaben der Katechese. Doch während innerhalb der katechetischen Tätigkeit eine neue Sensibilität bei der Heranbildung gläubiger Laien für das christliche Zeugnis, für den interreligiösen Dialog, für den Einsatz in der Welt wächst, macht die Erziehung für die Missionstätigkeit ad gentes noch einen recht schwachen und rückständigen Eindruck. Die gewöhnliche Katechese schenkt den Missionen nur unregelmäßig und am Rande Aufmerksamkeit.

Die Aussaat des Evangeliums


31 Nach Untersuchung des Bodens schickt der Sämann seine Arbeiter aus, um das Evangelium in der ganzen Welt zu verkünden, und teilt ihnen dazu die Kraft seines Geistes mit. Gleichzeitig zeigt er ihnen, wie die Zeichen der Zeit zu deuten sind, und verlangt von ihnen eine sehr gediegene Vorbereitung, um die Aussaat vorzunehmen.

Wie die Zeichen der Zeit zu deuten sind


32 Die Stimme des Geistes, den Jesus vom Vater her seinen Jüngern gesandt hat, spricht auch aus den Ereignissen der Geschichte.(63) Hinter den veränderlichen Gegebenheiten der aktuellen Situation und in den tieferen Motivationen für die Herausforderungen, die sich der Evangelisierung stellen, muß man, »die Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes«(64) zu entdecken suchen. Es geht um eine Analyse, die im Licht des Glaubens in einer Haltung des Mitleidens vorzunehmen ist. Während sie sich der stets notwendigen Humanwissenschaften bedient,(65) sucht die Kirche den Sinn der jeweiligen Situation innerhalb der Heilsgeschichte zu ergründen.Ihre Urteile über die Wirklichkeit sind stets Diagnosen für die Sendung.

Einige Herausforderungen für die Katechese


33 Um ihre Lebenskraft und Wirksamkeit zum Ausdruck bringen zu können, müßte die Katechese sich der folgenden Herausforderungen und Orientierungen annehmen:

– sie muß sich vor allem als wirksamen Dienst an der Evangelisierung der Kirche mit betont missionarischem Charakter vorstellen;

– sie muß sich an einige ihrer bevorzugten Adressaten richten: das waren und sind weiterhin die Kinder, die Heranwachsenden, die Jugendlichen und die Erwachsenen, und dabei vor allem mit diesen letzteren beginnen;

– sie muß, nach dem Beispiel der Kirchenväter, die Persönlichkeit des Glaubenden formen und somit eine echte Schule christlicher Pädagogik sein;

– sie muß die wesentlichen Geheimnisse des Christentums verkünden, indem sie die trinitarische Erfahrung eines Lebens in Christus als Zentrum des Glaubenslebens fördert;

– sie muß die Vorbereitung und Ausbildung von tiefgläubigen Glaubenserziehern (Katecheten) als vorrangige Aufgabe betrachten.


ERSTER TEIL

DIE KATECHESE

IN DER

EVANGELISIERENDEN SENDUNG

DER KIRCHE

»Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen« (Mc 16,15).
»Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe« (Mt 28,19-20).
»Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein...bis an die Grenzen der Erde« (Ac 1,8).

Der Missionsauftrag Jesu


34 Nach seiner Auferstehung sandte Jesus vom Vater her den Heiligen Geist, damit er das Heilswerk von innen heraus vollende und die Jünger ansporne, seine Sendung in der ganzen Welt fortzusetzen, so wie er einst vom Vater gesandt worden war. Er war der erste und größte Verkünder des Evangeliums. Er verkündete das Reich Gottes(66) als neuerliches und endgültiges göttliches Eingreifen in die Geschichte und bezeichnete diese Verkündigung als »das Evangelium«, das heißt als die Frohe Botschaft. Ihm widmete er sein ganzes irdisches Dasein: er machte mit der Freude bekannt, dem Reich Gottes anzugehören,(67) er sprach von den Anforderungen und der Magna Charta dieses Reiches,(68) von den Geheimnissen, die es in sich birgt,(69) vom geschwisterlichen Leben derer, die in es eintreten,(70) und von seiner zukünftigen Fülle.(71)

Bedeutung und Zielsetzung dieses Teiles


35 Dieser erste Teil will den Eigencharakter der Katechese bestimmen.

Das erste Kapitel erinnert, entsprechend dem theologischen Denkansatz, kurz an den Begriff der Offenbarung, wie er im Konzilsdokument Dei verbum dargelegt wird. Er bestimmt auf spezifische Weise die Auffassung vom Dienst am Wort. Die Begriffe Wort Gottes, Evangelium, Reich Gottes und Überlieferung, die in dieser dogmatischen Konstitution vorkommen, begründen die Bedeutung der Katechese. Neben ihnen ist für die Katechese der Begriff Evangelisierungverpflichtender Bezugspunkt. Seine Dynamik und seine Elemente werden im Apostolischen Schreiben Evangelii Nuntiandi mit einer neuen und vertieften Präzision dargelegt.

Das zweite Kapitel stellt die Katechese in den Rahmen der Evangelisierung und bringt sie zu den anderen Formen des Dienstes am Gotteswort in Beziehung. Dank dieser Beziehung entdeckt man leichter den eigentlichen Charakter der Katechese.

Das dritte Kapitel analysiert direkter die Katechse als solche: ihre kirchliche Natur, ihre verbindliche Zielsetzung der Gemeinschaft mit Jesus Christus, ihre Aufgaben, die katechumenale Inspiration, die sie beseelt.

Die Auffasung, die man von der Katechese hat, bedingt stark die Auswahl und Anordnung ihrer (erkenntnis-, erfahrungs- und verhaltensbezogenen) Inhalte, bestimmt ihre Empfänger und definiert das pädagogische Vorgehen, das für die Erreichung der Ziele erfordert ist.

Das Wort Katechese hat während der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche eine bedeutungsmäßige Entwicklung durchgemacht. Im vorliegenden Direktorium inspiriert sich der Begriff Katechese an den nachkonziliaren päpstlichen Lehrschreiben, vorallem an Evangelii nuntiandi, Catechesi tradendae und Redemptoris missio.


I. KAPITEL

Die Offenbarung und ihre Weitergabe
durch die Evangelisierung

»Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel... Er hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im voraus bestimmt hat: Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen« (Ep 1,3 Ep 1,9-10).

Die Offenbarung des Planes der Vorsehung Gottes


36 »Gott, der durch das Wort alles erschafft und erhält, gibt den Menschen jederzeit in den geschaffenen Dingen Zeugnis von sich«.(72) Der Mensch, der auf Grund seiner Natur und Berufung »zur Erfassung Gottes befähigt ist«, kann, wenn er die Botschaft der Geschöpfe vernimmt, zur Gewißheit gelangen, daß die Existenz Gottes Ursache und Ziel von allem ist und daß Gott sich dem Menschen offenbaren kann.

Die Konstitution Dei verbum des II. Vatikanischen Konzils hat die Offenbarung als Akt beschrieben, durch den Gott sich den Menschen persönlich offenbart. Gott zeigt sich als der, der sich selbst mitteilen will, indem er den Menschen an seiner göttlichen Natur teilhaben läßt.(73) Auf diese Weise verwirklicht er seinen Liebesplan.

»Gott hat in seiner Weisheit und Güte beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun..., um sie (die Menschen) in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen».(74)


37 Dieser »Plan der göttlichen Vorsehung«(75) des Vaters, der in Jesus Christus voll geoffenbart worden ist, verwirklicht sich durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Er beinhaltet:

– die Offenbarung Gottes, seiner »intima... veritas«,(76) seines »Geheimnisses«(77) und der wahren Berufung und Würde des Menschen;(78)

– das Heilsangebot an alle Menschen als Geschenk der Gnade und des Erbarmens Gottes,(79) das die Befreiung vom Übel, von der Sünde, vom Tod mit sich bringt;(80)

– den endgültigen Ruf, um alle versprengten Kinder in der Familie Gottes zu sammeln und so zwischen den Menschen die geschwisterliche Einheit herzustellen.(81)

Die Offenbarung: Taten und Worte


38 In seiner Unermeblichkeit bedient sich Gott, um sich dem Menschen zu offenbaren, eines pädagogischen Vorgehens;(82) er benützt Geschehnisse und menschliche Worte, um seinen Plan mitzuteilen: er tut das nach und nach und in Etappen,(83) um sich den Menschen besser zu nähern. Denn Gott wirkt so, daß die Menschen durch die Ereignisse der Heilsgeschichte und die von Gott inspirierten Worte, die sie begleiten und erklären, seinen Heilsplan kennenlernen.

»Das Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Tat und Wort, die innerlich miteinander verknüpft sind:

– die Werke nämlich, die Gott im Verlauf der Heilsgeschichte wirkt, offenbaren und bekräftigen die Lehre und die durch die Worte bezeichneten Wirklichkeiten;

– die Worte verkündigen die Werke und lassen das Geheimnis, das sie enthalten, ans Licht treten«.(84)


39 Auch die Evangelisierung, die die Offenbarung an die Welt weitergibt, erfolgt mit Taten und Worten. Sie ist gleichzeitig Zeugnis und Verkündigung, Wort und Sakrament, Lehre und Einsatz.

Die Katechese gibt ihrerseits die Geschehnisse und Worte der Offenbarung weiter: Sie muß sie verkünden und erzählen und gleichzeitig die tiefen Geheimnisse erklären, die sie enthalten. Und da die Offenbarung für den Menschen Lichtquelle ist, erwähnt die Katechese nicht nur die in der Vergangenheit gewirkten wunderbaren Taten Gottes, sondern deutet im Licht der gleichen Offenbarung die Zeichen der Zeit und das gegenwärtige Leben der Männer und Frauen, da sich in ihnen Gottes Heilsplan für die Welt verwirklicht.(85)

Jesus Christus, Vermittler und Fülle der Offenbarung


40 Gott offenbarte sich den Menschen allmählich durch die Propheten und die Heilsgeschehnisse, bis er mit der Entsendung seines Sohnes seine Offenbarung zu Ende führte.(86)

»Jesus Christus... ist es, der durch sein ganzes Dasein und seine ganze Erscheinung, durch Worte und Werke, durch Zeichen und Wunder, vor allem aber durch seinen Tod und seine herrliche Auferstehung von den Toten, schließlich durch die Sendung des Geistes der Wahrheit die Offenbarung erfüllt und abschließt«.(87)

Jesus Christus ist nicht nur der größte der Propheten, sondern er ist der menschgewordene ewige Sohn Gottes. Er ist somit das letzte Ereignis, auf das alles Geschehen der Heilsgeschichte hinausläuft.(88) »Er ist das vollkommene, unübertreffbare, eingeborene Wort des Vaters«.(89)


41 Der Dienst am Wort muß diese bewundernswerte Eigenart des Offenbarungsgeschehens zur Geltung bringen: Der Sohn Gottes tritt in die Geschichte der Menschen ein, nimmt das menschliche Leben und Sterben auf sich und verwirklicht den neuen, endgültigen Bund zwischen Gott und den Menschen. Es ist Aufgabe der Katechese aufzuzeigen, wer Jesus Christus ist: sie soll sein Leben und sein Geheimnis und den christlichen Glauben als Nachfolge seiner Person darstellen.(90) Darum muß sie sich beständig auf die Evangelien stützen; diese »sind das Herzstück aller Schriften als Hauptzeugnis für Leben und Lehre des fleischgewordenen Wortes, unseres Erlösers«.(91)

Die Tatsache, daß Jesus Christus die Fülle der Offenbarung ist, bildet die Grundlage der »Christozentrik«(92) der Katechese: In der geoffenbarten Botschaft ist das Mysterium Christi nicht ein zusätzliches Element neben anderen, sondern das Zentrum, von dem her alle anderen Elemente Rang und Licht erhalten.

Die Weitergabe der Offenbarung durch die Kirche als Werk des Heiligen Geistes


42 Die Offenbarung Gottes, die in Jesus Christus gipfelt, ist für die ganze Menschheit bestimmt: Gott »will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen« (1Tm 2,4). Kraft dieses universalen Heilswillens hat Gott verfügt, daß die Offenbarung allen Völkern und allen Generationen weitergegeben werde und für alle Zeiten unversehrt erhalten bleibe.(93)


43 Um diesen göttlichen Plan zu erfüllen, gründete Jesus Christus die Kirche auf dem Fundament der Apostel und beauftragte sie, indem er ihnen vom Vater her den Heiligen Geist sandte, das Evangelium in der ganzen Welt zu verkünden. Die Apostel führten mit Worten, Werken und Schriften diesen Auftrag getreu aus.(94)

Diese apostolische Überlieferung setzt sich in der Kirche und durch die Kirche fort. Und sie als ganze, Hirten und Gläubige, ist um ihre Bewahrung und Weitergabe besorgt. Das Evangelium wird in der Kirche vollständig und lebendig erhalten; die Jünger Jesu Christi betrachten und meditieren es unablässig, leben es im täglichen Dasein und verkünden es in der Mission. Der Heilige Geist befruchtet die Kirche beständig, während sie das Evangelium lebt;er läßt sie in dessen Verständnis fortwährend wachsen, treibt sie an und unterstützt sie bei der Aufgabe, es in jedem Winkel der Welt zu verkünden.(95)


44 Die unversehrte Bewahrung der Offenbarung, des in der Überlieferung und der Schrift enthaltenen Gotteswortes, sowie seine ständige Weitergabe sind in ihrer Authentizität gewährleistet. Vom Heiligen Geist unterstützt und mit dem »Charisma der Wahrheit« ausgestattet, übt das Lehramt der Kirche die Funktion aus, das Wort Gottes »verbindlich zu erklären«.(96)


45 Die Kirche, das »allumfassende Heilssakrament«,(97) gibt, vom Heiligen Geist dazu bewegt, die Offenbarung durch die Evangelisierung weiter: sie verkündet die Frohe Botschaft vom Heilsplan des Vaters und teilt in den Sakramenten die göttlichen Gaben aus.

Dem sich offenbarenden Gott gebührt der Glaubensgehorsam, durch den der Mensch aus freien Stücken, mit voller verstandes- und willensmäßiger Zustimmung, sein Ja sagt zum »Evangelium von der Gnade Gottes« (
Ac 20,24). Vom Glauben, der Gabe des Geistes, geleitet, gelangt der Mensch dahin, den Gott der Liebe zu schauen und zu verkosten, der in Christus die Fülle seiner Herrlichkeit geoffenbart hat.(98)

Die Evangelisierung\b\i(99)


46 Die Kirche »ist dazu da, um zu evangelisieren«, (100) das heißt »die Frohbotschaft in alle Bereiche der Menschheit zu tragen und sie durch deren Einfluß von innen her umzuwandeln und die Menschheit selbst zu erneuern«. (101)

Der Missionsauftrag Jesu weist verschiedene Aspekte auf, die miteinander eng verknüpft sind: »verkündet« (
Mc 16,15), »macht zu Jüngern und lehrt«, (102) »ihr sollt meine Zeugen sein«, (103) »tauft«, (104) »tut dies zu meinem Gedächtnis« (Lc 22,19), »liebt einander« (Jn 15,12). Verkündigung, Zeugnis, Lehre, Sakramente, Nächstenliebe, zu Jüngern machen: alle diese Aspekte sind Wege und Mittel für die Weitergabe des einzigen Evangeliums und bilden die Elemente der Evangelisierung.

Einige dieser Elemente sind von so großer Bedeutung, daß man bisweilen dazu neigt, sie mit dem evangelisierenden Wirken zu identifizieren. »Keine partielle und fragmentarische Definition entspricht jedoch der reichen, vielschichtigen und dynamischen Wirklichkeit, die die Evangelisierung darstellt«. (105) Es besteht immer die Gefahr, sie zu verarmen und sogar zu verstümmeln. Statt dessen muß eine solche Definition »ihre Gesamtheit« (106) entfalten und auch ihre innere Zweipoligkeit in sich aufnehmen: Zeugnis und Verkündigung, (107) Wort und Sakrament, (108) innere Wandlung und gesellschaftliche Veränderung. (109) Die in der Evangelisierung Tätigen müssen in einer »globalen (d.h. die Evangelisierung der Welt betreffenden) Sicht« (110) von ihr zu handeln wissen und sie mit der gesamten Sendung der Kirche identifizieren. (111)

Der Evangelisierungsprozeß


47 Obgleich die Kirche von sich aus stets die Fülle der Heilsmittel enthält, »kennt sie in ihrer Tätigkeit... Stufen«. (112) Das Konzilsdekret Ad gentes hat die Dynamik des Evangelisierungsprozesses gut klargestellt: christliches Zeugnis und Nächstenliebe (11-12), Verkündigung des Evangeliums und Ruf zur Umkehr (13), Katechumenat und christliche Initiation (14), Aufbau der christlichen Gemeinschaft durch die Sakramente und durch Ämter und Dienste (15-18). (113) Das ist die Dynamik der Einpflanzung und des Aufbaus der Kirche.


48 Dementsprechend ist die Evangelisierung als der Vorgang zu verstehen, durch den die Kirche, vom Heiligen Geist dazu bewegt, das Evangelium in der ganzen Welt verkündet und verbreitet.

– Von der Nächstenliebe dazu angetrieben, durchtränkt und verändert sie die ganze zeitliche Ordnung, indem sie die Kulturen aufnimmt und erneuert; (114)

– sie gibt unter den Völkern Zeugnis (115) von der neuen Daseins– und Lebensweise, welche die Christen kennzeichnet;

– sie verkündet ausdrücklich das Evangelium durch die »Erstverkündigung« (116) und den Ruf zur Bekehrung; (117)

– sie führt diejenigen, die sich zu Jesus Christus bekehren oder den Weg seiner Nachfolge von neuem einschlagen, durch die »Katechese«(118) und die »Initiationssakramente« (119) in den Glauben und das christliche Leben ein, indem sie die einen in die christliche Gemeinschaft eingliedert und die anderen zu ihr zurückführt; (120)

– sie stärkt in den Gläubigen ständig die Gabe der Gemeinschaft (121) durch die Weiterbildung im Glauben (Homilie, andere Formen des Dienstes am Wort), die Sakramente und die Pflege der Nächstenliebe;

– sie löst unablässig die Mission (122) aus, indem sie alle Jünger Christi aussendet, mit Worten und Werken auf der ganzen Welt das Evangelium zu verkünden.


49 Der Evangelisierungsprozeß (123) gliedert sich folglich in Etappen oder »wesentliche Momente«: (124) das missionarische Wirken für die Nichtglaubenden und für die, die in religiöser Gleichgültigkeit leben; das katechetisch-initiierende Wirken für die, die sich für das Evangelium entscheiden, und für die, die es nötig haben, ihre Initiation zu vervollständigen oder neu zu strukturieren; und das pastorale Wirken für die schon reifen Christgläubigen im Schoß der christlichen Gemeinde. (125) Diese Momente sind jedoch nicht abgeschlossene Etappen: sie werden, wenn nötig, wiederholt, so daß sie dem geistlichen Wachstum jeder Person und der Gemeinde selbst die passendste evangeliumsgemäbe Nahrung geben.

Der Dienst am Wort Gottes in der Evangelisierung


50 Der Dienst am Wort (126) ist das Grundelement der Evangelisierung. Die christliche Präsenz inmitten der verschiedenen Menschengruppen und das Lebenszeugnis müssen durch die ausdrückliche Verkündigung Jesu Christi, des Herrn, erklärt und begründet werden. »Es gibt keine wirkliche Evangelisierung, wenn nicht der Name, die Lehre, das Leben, die Verheißungen, das Reich, das Geheimnis von Jesus von Nazaret, des Sohnes Gottes, verkündet werden«. (127) Auch die, die schon Jünger Christi sind, haben, um in ihrem christlichen Leben zu wachsen, es nötig, beständig durch das Wort Gottes genährt zu werden. (128)

Innerhalb der Evangelisierung gibt der Dienst am Wort die Offenbarung durch die Kirche weiter, indem er sich menschlicher »Worte« bedient. Diese sind jedoch stets auf die »Werke« bezogen: auf jene, die Gott vollbracht hat und weiterhin vollbringt, zumal in der Liturgie; auf das Lebenszeugnis der Christen; und auf das verändernde Wirken, das diese im Verein mit vielen Menschen guten Willens in der Welt vollziehen. Dieses menschliche Wort der Kirche ist das Mittel, dessen sich der Heilige Geist bedient, um den Dialog mit der Menschheit weiterzuführen. Er ist nämlich der Hauptakteur im Dienst am Wort, der, durch den »die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt«. (129)

Der Dienst am Wort wird »demgemäß auf verschiedene Weise ausgeübt«. (130) Seit der Zeit der Apostel (131) hat die Kirche in ihrem Verlangen, das Wort Gottes auf die geeignetste Weise darzubieten, diesen Dienst in verschiedensten Formen vollzogen.(132) Sie alle dienen dazu, jene grundlegenden Funktionen in Gang zu bringen, die der Dienst am Wort zu versehen berufen ist.


Allgemeines Direktorium für die Katechese 22