Ecclesia in America DE 15

Früchte der Heiligkeit


15 Ausdruck und beste Frucht der christlichen Identität Amerikas sind seine Heiligen. In ihnen ist die Begegnung mit dem lebendigen Christus „so tief und anspruchsvoll […], daß sie zum Feuer wird, welches sie gänzlich aufzehrt und sie drängt, sein Reich zu errichten und darauf hinzuwirken, daß er und sein neuer Bund Sinn und Seele […] im Leben eines jeden Einzelnen sowie der ganzen Gemeinschaft seien“ (33). Amerika hat seit Beginn seiner Evangelisierung die Früchte der Heiligkeit blühen sehen. Das gilt für die hl. Rosa von Lima (1586–1617), „der ersten Blume der Heiligkeit in der Neuen Welt“ (34). Sie wurde 1670 von Papst Clemens X. zur Hauptpatronin Amerikas erklärt. Nach ihr wuchs der amerikanische Heiligenkalender bis zu seinem heutigen Umfang an (35). Die Selig- und Heiligsprechungen, durch die so viele Söhne und Töchter dieses Kontinents zur Ehre der Altäre erhoben wurden, sind heroische Beispiele christlicher Lebensführung innerhalb verschiedener Lebensumstände und Lebensbereiche. Durch ihre Selig- und Heiligsprechung anerkennt die Kirche in ihnen mächtige Fürsprecher, die mit Jesus Christus, dem Hohepriester in Ewigkeit und Mittler zwischen Gott und den Menschen, vereint sind. Die Seligen und Heiligen Amerikas begleiten in brüderlicher Fürsorge die Männer und Frauen ihres Landes, die in Freud und Leid der endgültigen Begegnung mit dem Herrn entgegen gehen (36). Damit die Gläubigen ihrem Beispiel immer öfter folgen und sie noch häufiger und wirkungsvoller anrufen, betrachte ich den Vorschlag der Synodenväter als durchaus angebracht, eine „Sammlung von Kurzbiographien amerikanischer Seliger und Heiliger vorzubereiten. Dies könnte in Amerika die Antwort auf die universale Berufung zur Heiligkeit erhellen und anregen“ (37).

Unter ihren Heiligen „kennt die Geschichte der Evangelisierung Amerikas zahlreiche Märtyrer und Märtyrerinnen, Bischöfe und Priester, Ordensleute und Laien […], die mit ihrem Blut den Boden dieser Nationen tränkten. Sie regen uns wie eine Wolke von Zeugen (vgl. Hebr
He 12,1) an, heute die Neuevangelisierung ohne Furcht und mit Eifer auf uns zu nehmen.“ (38). Die Beispiele ihrer Hingabe an das Evangelium dürfen nicht nur nicht in Vergessenheit geraten, sondern sie müssen unter den Gläubigen dieses Kontinents noch stärker bekannt gemacht und verbreitet werden. Diesbezüglich schrieb ich im Apostolischen Schreiben Tertio millenio adveniente: Es „muß von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben“ (39).

Die Volksfrömmigkeit


16 Ein besonderes Merkmal Amerikas ist das Vorhandensein einer Volksfrömmigkeit, die tief in den verschiedenen Völkern verwurzelt ist. Sie ist auf allen Gesellschaftsebenen zu finden, und sie ist von besonderer Bedeutung als Ort der Begegnung mit Christus für alle, die Gott aufrichtig und im Geiste der Armut und Demut des Herzens suchen (vgl. Mt Mt 11,25). Die Ausdrucksweisen dieser Frömmigkeit sind zahlreich: „Die Wallfahrten zu den Heiligtümern, wo Christus, Maria oder die Heiligen verehrt werden, das Gebet für die Seelen im Fegefeuer, der Gebrauch von Sakramentalien (Wasser, Öl, Kerzen …). Diese und viele andere Ausdrucksformen der Volksfrömmigkeit bieten den Gläubigen die Gelegenheit, den lebendigen Christus zu finden“ (40). Die Synodenväter haben die Dringlichkeit unterstrichen, in diesen Ausdrucksformen der Volksfrömmigkeit die wahren geistigen Werte zu entdecken, um sie durch die genuine katholische Glaubenslehre zu bereichern, so daß diese Frömmigkeit zu aufrichtiger Umkehr und konkreter Erfahrung der Nächstenliebe führt (41). Die Volksfrömmigkeit trägt, wenn sie in rechter Weise ausgerichtet wird, auch dazu bei, daß in den Gläubigen das Bewußtsein ihrer Zugehörigkeit zur Kirche wächst, indem sie nämlich ihren Eifer stärkt und ihnen auf diese Weise eine gültige Antwort auf die aktuellen Herausforderungen der Verweltlichung bietet (42).

Da in Amerika die Volksfrömmigkeit ein Ausdruck der Inkulturation des katholischen Glaubens ist und viele ihrer Ausdrucksweisen autochthone religiöse Formen aufgegriffen haben, sollte man die Möglichkeit hervorheben, aus ihnen in weiser Vorsicht eine gültige Anleitung zur besseren Inkulturation des Evangeliums zu gewinnen (43). Dies ist besonders unter der indianischen Bevölkerung wichtig, damit „die Samenkörner des Wortes“ innerhalb ihrer Kulturen zur Fülle in Christus gelangen (44). Dasselbe gilt für die Amerikaner afrikanischer Herkunft: die Kirche „anerkennt, daß sie die Pflicht hat, auf diese Amerikaner von ihrer je eigenen Kultur her zuzugehen und ernsthaft den geistigen und menschlichen Reichtum dieser Kultur zu berücksichtigen, welche die Art und Weise prägt, ihren Kult zu begehen, ihren Sinn für Fröhlichkeit und Solidarität sowie ihre Sprache und Traditionen hervorzuheben“ (45).

Orientalisch-katholische Präsenz in Amerika


17 Die bis in unsere heutige Zeit andauernde Einwanderung in Amerika ist seit Beginn der Evangelisierung so etwas wie eine Konstante in seiner Geschichte geworden. Innerhalb dieses komplexen Phänomens muß man hervorheben, daß bestimmte Regionen Amerikas in der letzten Zeit zahlreiche Mitglieder orientalisch-katholischer Kirchen aufgenommen haben, die aus verschiedenen Gründen ihre Ursprungsländer verlassen haben. Eine erste Einwanderungswelle erfolgte vor allem aus der Westukraine. Später hat sich diese Auswanderungsbewegung auch auf die Länder des Mittleren Ostens ausgeweitet. So entstand die pastorale Notwendigkeit, eine katholisch-orientalische Hierarchie für diese Einwanderer und ihre Nachkommen zu errichten. Die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil erlassenen Normen, an die die Synodenväter erinnerten, anerkennen: die katholischen Ostkirchen „haben das volle Recht und die Pflicht, sich jeweils nach ihren eigenen Grundsätzen zu richten“, da sie beauftragt sind, von einer altehrwürdigen lehrmäßigen, liturgischen und monastischen Tradition Zeugnis abzulegen. Andererseits müssen besagte Kirchen ihre eigenen Disziplinen bewahren, weil diese „den Gewohnheiten ihrer Gläubigen besser entsprechen und der Sorge um das Seelenheil angemessener erscheinen“ (46). Wenn die universale ekklesiale Gemeinschaft der „Synergia“ [des Zusammenwirkens] zwischen den Teilkirchen des Ostens und Westens bedarf, um mit beiden Lungen atmen zu können, muß man sich in der Hoffnung, dies eines Tages einmal gänzlich durch die vollkommene Einheit zwischen der katholischen Kirche und den getrennten Ostkirchen (47) tun zu können, darüber freuen, daß in der jüngsten Zeit neben den seit Anbeginn dort ansässigen Kirchen lateinischer Tradition auch die Ostkirchen einen Platz eingenommen haben, denn so kommt die Katholizität der Kirche des Herrn noch besser zum Ausdruck (48).

Die Kirche im Bereich der Erziehung und des Sozialwesens


18 Unter den Faktoren, die den Einfluß der Kirche bei der christlichen Erziehung in Amerika begünstigen, ist ihre starke Präsenz im Bildungswesen hervorzuheben. Das gilt ganz besonders für den wissenschaftlichen Bereich. Die zahlreichen über den Kontinent verteilten katholischen Universitäten stellen ein Charakteristikum des kirchlichen Lebens in Amerika dar. Auf gleiche Weise bietet der Unterricht in den zahlreichen katholischen Grundschulen und höheren Lehranstalten die Möglichkeit zur Evangelisierung im großen Rahmen, wobei dieser stets vom entschiedenen Willen begleitet werden muß, eine wirklich christliche Erziehung zu ermöglichen (49).

Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem die Kirche in ganz Amerika präsent ist, ist die Caritas und das Sozialwesen. Die vielfältigen Initiativen zur Betreuung von alten, kranken und hilfsbedürftigen Menschen in Altenheimen, Krankenhäusern, ambulanten Krankenstationen, kostenlosen Essensausgaben und anderen Sozialeinrichtungen sind ein greifbares Zeugnis der besonderen Liebe zu den Armen, welches die Kirche in Amerika aus Liebe zu ihrem Herrn ablegt in dem Bewußtsein, daß „Jesus sich mit ihnen identifiziert hat (vgl. Mt
Mt 25,31-46)“ (50). Bei dieser Aufgabe, die keine Grenzen kennt, verstand es die Kirche, ein Bewußtsein für konkrete Solidarität zwischen den verschiedenen Gemeinschaften des Kontinents sowie auf weltweiter Ebene zu schaffen. Auf diese Weise manifestierte sie ihre Brüderlichkeit, welche die Christen überall und immer auszeichnen muß.

Der Dienst an den Armen muß, um dem Evangelium zu entsprechen und um eine evangelisierende Dimension anzunehmen, ein treues Abbild des Handelns Jesu sein, der kam, damit er „den Armen eine gute Nachricht bringe“ (Lc 4,18). Wenn das in diesem Geist geschieht, wird dieser Dienst zu einer Bekundung der unendlichen Liebe Gottes zu allen Menschen. So wird auf vielsagende Weise die Hoffnung auf das Heil weitergegeben, das Christus in die Welt gebracht hat und das besonders dann aufleuchtet, wenn es den von der Gesellschaft Verlassenen und Ausgestoßenen gebracht wird.

Diese ständige Fürsorge für die Armen und Mittellosen kommt in der Soziallehre der Kirche zum Ausdruck, die nicht müde wird, die christliche Gemeinschaft einzuladen, sich für die Überwindung jeglicher Form von Ausbeutung und Unterdrückung einzusetzen. Denn es geht ja wirklich nicht nur darum, die schlimmsten und dringlichsten Nöte durch individuelle und sporadische Aktivitäten zu lindern, sondern auch darum, die Wurzel des Übels zu benennen, indem man solche Eingriffe vorschlägt, die den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen eine gerechtere und solidarischere Gestalt verleihen.

Wachsende Beachtung der Menschenrechte


19 Im Hinblick auf die Zivilgesellschaft ist unter den positiven Aspekten im heutigen Amerika zu nennen, daß sich auf dem ganzen Kontinent immer mehr demokratische Systeme etablieren und es immer weniger Diktaturen gibt, eine Tendenz, die unmittelbare moralische Auswirkungen hat. Die Kirche verfolgt diese Entwicklung mit Freude, in dem Maße, in dem dies immer mehr einer erkennbaren Beachtung der Menschenrechte eines jeden Einzelnen zu Gute kommt. Hierzu zählen auch Strafgefangene und Verurteilte, bei denen eine Anwendung von Inhaftierungs- und Verhörmethoden, welche die Menschenrechte verletzen – und hierbei denke ich konkret an die Folter – unrechtmäßig ist. In der Tat „ist der Rechtsstaat die notwendige Bedingung zur Schaffung einer echten Demokratie“ (51).

Andererseits bringt für die Bürger, besonders für die Führungsschicht, die Existenz eines Rechtsstaates die Überzeugung mit sich, daß die Freiheit nicht von der Wahrheit zu trennen ist (52). In der Tat werfen die ernsthaften Probleme, welche die Würde der menschlichen Person, Familie, Ehe und Erziehung, Wirtschaft und Arbeitsbedingungen, Lebensqualität und das Leben selbst bedrohen, die Frage nach dem Recht auf (53). Die Synodenväter haben daher unterstrichen, daß „die grundlegenden Rechte der menschlichen Person in deren eigene Natur eingeschrieben sind. Sie sind gottgewollt und erfordern daher Befolgung und universale Akzeptanz. Keine menschliche Autorität darf sie unter Berufung auf die Mehrheit oder auf politischen Konsens mit dem Vorwand übertreten, daß man so dem Pluralismus und der Demokratie Achtung zollt. Daher muß sich die Kirche für die Ausbildung und Begleitung der Laien einsetzen, die in den gesetzgebenden Organen, in der Regierung und in der Rechtsverwaltung tätig sind, so daß die Gesetze stets die moralischen Prinzipien und Werte zum Ausdruck bringen, die mit einer gesunden Anthropologie konform gehen und das Allgemeinwohl voranstellen“ (54).

Das Phänomen der Globalisierung


20 Ein Merkmal der heutigen Welt ist die Tendenz zur Globalisierung, einem Phänomen, das, wenn es auch nicht ein ausschließlich amerikanisches ist, doch eher in Amerika zu finden ist und dort größere Auswirkungen hat. Es handelt sich dabei um einen Prozeß, der sich aufgrund der größeren weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten immer mehr durchsetzt und praktisch zur Überwindung der Entfernung führt, was in den verschiedensten Bereichen deutliche Auswirkungen hat.

Vom ethischen Standpunkt aus kann dies sowohl positiv als auch negativ gewertet werden. Tatsache ist, daß wir es mit einer wirtschaftlichen Globalisierung zu tun haben, die – z. B. mit der Förderung der Leistungsfähigkeit und Produktionssteigerungen – verschiedene positive Folgen mit sich bringt, und die mit der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Ländern den Prozeß der Einheit unter den Völkern verstärkt sowie den Dienst an der Menschheitsfamilie verbessern kann. Doch wenn sich die Globalisierung lediglich nach den Marktgesetzen richtet, die zum Vorteil der Mächtigen angewandt werden, wird sie negative Konsequenzen haben, wie z.B. die, daß der Wirtschaft ein absoluter Wert beigemessen wird. Weitere negative Folgen sind die Arbeitslosigkeit, die Verringerung und Verschlechterung der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Zerstörung der Umwelt und der Natur, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und der ungerechte Wettbewerb, der die armen Länder in eine immer gravierendere Situation der Minderwertigkeit stürzt (55). Obschon die Kirche die positiven Werte anerkennt, welche die Globalisierung mit sich bringt, schaut sie doch auch beunruhigt auf die sich daraus ergebenden negativen Aspekte.

Und was soll man erst über die kulturelle Globalisierung sagen, die von den übermächtigen Massenmedien herrührt? Diese diktieren überall neue Wertmaßstäbe, die oftmals willkürlich und im Grunde materialistisch sind. Angesichts dieser neuen Wertmaßstäbe ist es sehr schwierig, eine lebendige Treue zu den Werten des Evangeliums aufrecht zu erhalten.

Die zunehmende Landflucht


21 Das Phänomen der Landflucht nimmt auch in Amerika immer mehr zu. Seit einigen Jahrzehnten erlebt der Kontinent eine kontinuierliche Abwanderung vom Land in die Stadt. Es handelt sich dabei um ein ziemlich komplexes Phänomen, das bereits mein Vorgänger Paul VI. beschrieben hat (56). Es gibt verschiedene Gründe für dieses Phänomen, doch sticht dabei hauptsächlich die Armut und die Unterentwicklung der ländlichen Gegenden hervor, wo häufig öffentliche Einrichtungen, Verkehrsmöglichkeiten und Einrichtungen des Bildungs- und Gesundheitswesens fehlen. Außerdem übt die Stadt durch ihr Unterhaltungsangebot und den Wohlstand – ein Bild, das häufig von den Medien vermittelt wird – eine besondere Anziehungskraft auf die einfachen ländlichen Bevölkerungsschichten aus.

Die häufig ausbleibende Planung bei diesem Prozeß ist der Grund vieler Übel. Die Synodenväter hoben hervor, „daß in gewissen Fällen einige Stadtbereiche regelrechte Inseln sind, wo sich Gewalt und Jugendkriminalität häufen und sich eine Atmosphäre der Verzweiflung breit macht“ (57). Das Phänomen der Landflucht stellt auch eine große Herausforderung an die Seelsorge der Kirche dar, die sich mit der kulturellen Entwurzelung, mit dem Verlust vertrauter Bräuche und der Abkehr von den eigenen religiösen Traditionen auseinanderzusetzen hat. All das führt nicht selten zu einem Scheitern des Glaubens, der nämlich so seiner Äußerungsformen beraubt wurde, die ihm als dessen Stütze dienten.

Es ist also eine drängende Herausforderung für die Kirche, die städtische Kultur zu evangelisieren. Sie ist heutzutage aufgerufen, durch Katechese, Liturgie und die eigenen seelsorglichen Strukturen die Städte systematisch und flächendeckend zu evangelisieren, wie sie es auch jahrhundertelang verstanden hat, die ländliche Kultur zu evangelisieren (58).

Die Last der Auslandsschulden


22 Die Synodenväter haben ihrer Sorge über die Auslandsschulden Ausdruck verliehen, die viele Länder in Amerika belasten. Das kommt einer Solidaritätsbekundung mit diesen Ländern gleich. Sie lenken zu Recht die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung auf die Komplexität dieses Themas und anerkennen, „daß diese Schulden häufig das Ergebnis von Korruption und schlechter Verwaltung sind“ (59). Es entspricht nicht dem Geist synodaler Reflexion, durch diese Erkenntnis die gesamte Verantwortung eines Phänomens auf einen einzigen Pol konzentrieren zu wollen, welches von seinem Ursprung her und auch, was seine Lösung anbelangt, äußerst komplex ist (60).

In der Tat zählen zu den vielseitigen Gründen, die zu einer so hohen Auslandsverschuldung geführt haben, nicht nur die hohen Zinsen, die Folge einer spekulativen Finanzpolitik, sondern auch die Verantwortungslosigkeit einiger Regierungspolitiker, die bei der Aufnahme der Schulden nicht genügend über die reellen Möglichkeiten der Rückzahlung nachgedacht haben. Erschwerend kommt noch hinzu, daß aus internationalen Geldanleihen stammende ungeheure Summen manchmal zur persönlichen Bereicherung einiger Personen dienten, anstatt zur Förderung der für die Entwicklung des Landes notwendigen Veränderungen. Es wäre aber ungerecht, daß diese unverantwortlichen Entscheidungen auf denen lasten, die sie nicht getroffen haben. Der Ernst der Situation wird noch verständlicher, wenn man in Betracht zieht, daß „schon allein die Abzahlung der Zinsen die Wirtschaft der armen Länder stark belastet, und den Staaten dadurch das für die soziale Entwicklung, für das Bildungs- und Gesundheitswesen und das für die Schaffung von Arbeitsplätzen notwendige Geld fehlt“ (61).

Die Korruption


23 Die Korruption hat häufig die belastenden Auslandsschulden mit verursacht und ist ein schwerwiegendes Problem, das sorgfältig erörtert werden muß. Die Korruption „betrifft uneingeschränkt alle, die an der Machtausübung in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich beteiligt sind sowie alle, die mit Führungspositionen betraut wurden“. Es handelt sich dabei um eine Situation, die „das Ausbleiben von Strafverfolgungsmaßnahmen, das Eintreten unrechtmäßiger Bereicherung sowie den Vertrauensschwund gegenüber politischen Einrichtungen begünstigt, was besonders im Rechtswesen und bei öffentlichen, nicht immer eindeutigen und für alle gleichen und effizienten Investitionen zu Tage tritt“ (62).

Diesbezüglich möchte ich daran erinnern, was ich in der Botschaft zum Weltfriedenstag 1998geschrieben habe, daß nämlich die Plage der Korruption angezeigt und von der Obrigkeit mutig und unter der „hochherzigen Mithilfe aller Bürger, die von einem ausgeprägten moralischen Gewissen gestützt sind“ (63), bekämpft werden muß. Hinzu kommen müssen adäquate Kontrollmechanismen und mehr Transparenz bei wirtschaftlichen und finanziellen Transaktionen, welche in vielen Fällen eine Ausbreitung der Korruption verhindern, deren schädliche Folgen ja hauptsächlich die ärmsten und hilflosen Menschen treffen. Es sind außerdem immer die Armen, die zuerst unter dem verspäteten Eingreifen, der Unwirksamkeit, dem Fehlen einer geeigneten Verteidigung und den mangelhaften Strukturen leiden, wenn das Rechtswesen korrupt ist.

Drogenhandel und Drogenkonsum


24 Drogenhandel und -konsum stellen eine ernsthafte Bedrohung für die sozialen Strukturen in den Ländern Amerikas dar. Dies „trägt zu Verbrechen und Gewalt, zur Zerstörung des Familienlebens sowie zur physischen und emotionalen Zerstörung vieler Menschen und Gemeinschaften bei, vor allem bei den Jugendlichen. Dies zerfrißt die ethische Dimension der Arbeit und trägt zur Erhöhung der Zahl der Strafgefangenen bei; mit einem Wort: es trägt zur Degradierung der als Abbild Gottes geschaffenen Person bei“ (64). Dieser unheilvolle Handel führt auch „zur Zerstörung von Regierungen, da er die wirtschaftliche Sicherheit und Stabilität der Länder zersetzt“ (65). Wir haben es hier mit einer der drängendsten Herausforderungen zu tun, mit der sich viele Länder der Erde auseinanderzusetzen haben. Es ist dies eine Herausforderung, die die in letzter Zeit erzielten Errungenschaften zum Fortschritt der Menschheit belastet. Für einige Länder Amerikas sind Produktion, Handel und Konsum von Drogen Faktoren, die ihr internationales Ansehen kompromittieren, indem sie ihre Glaubwürdigkeit vermindern und die erwünschte Zusammenarbeit mit anderen Ländern erschweren, die gerade in unseren Tagen für eine harmonische Entwicklung eines jeden Volkes so notwendig ist.

Die Sorge um die Umwelt


25 „Gott sah, daß es gut war“ (Gn 1,25). Diese Worte, die wir im ersten Kapitel des Buches Genesis lesen, zeigen den Sinn des göttlichen Schöpfungswerks auf. Der Schöpfer vertraut dem Menschen, der Krönung der gesamten Schöpfung, die Sorge um die Erde an (vgl. Gen Gn 2,15). Daraus ergeben sich für jeden ganz konkrete Verpflichtungen bezüglich der Umwelt, deren Erfüllung voraussetzt, daß man sich einer ethischen und spirituellen Perspektive nicht versperrt, denn nur so können egoistische Lebensauffassungen und „Lebensweisen überwunden werden, die zur Erschöpfung der natürlichen Rohstoffe führen“ (66).

Selbst in diesem heute so aktuellen Bereich ist die Mitwirkung der Gläubigen sehr wichtig. Es bedarf einer Zusammenarbeit aller Menschen guten Willens mit den gesetzgebenden Instanzen und der Regierung, um einen wirksamen Umweltschutz zu erzielen, denn diese Umwelt wird als ein Geschenk Gottes betrachtet. Wie viel Mißbrauch wird auch in vielen Gegenden Amerikas betrieben, und wie viel Schaden wird auch dort der Umwelt zugefügt! Man denke nur an die unkontrollierte Freisetzung von Giftstoffen oder an das dramatische Phänomen der Waldbrände, die manchmal sogar durch Brandstiftung und aus egoistischem Interesse entstehen. Diese Zerstörungen können nicht wenige Bereiche des amerikanischen Kontinents in totale Wüsten verwandeln, was unvermeidlich zu Hunger und Not führen würde. Das Problem stellt sich besonders intensiv in den Amazonaswäldern, einer immensen Fläche, die verschiedene Länder wie Brasilien, Guyana, Surinam, Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien umfaßt (67). Durch seine biologische Vielfalt ist er einer der am meisten geschätzten natürlichen Lebensräume auf der Welt, da er für das ökologische Gleichgewicht des ganzen Planeten lebensnotwendig ist.



KAPITEL III


DER WEG DER UMKEHR

« Also kehrt um, und tut Buße »

(Ac 3,19)

Die Dringlichkeit des Rufes zur Umkehr


26 „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium“ (Mc 1,15). Mit diesen Worten begann Jesus sein Wirken in Galiläa. Sie sollen bei Bischöfen, Priestern, Diakonen, Ordensleuten und Gläubigen in ganz Amerika immerzu Gehör finden. Sowohl die Feier des fünfhundertsten Jahrestags des Beginns der Evangelisierung Amerikas als auch die Gedenkfeier der zweitausendsten Wiederkehr der Geburt Christi – das Große Jubiläum, das wir bald begehen werden – sind eine Aufforderung, die eigene christliche Berufung zu vertiefen. Die Größe des Ereignisses der Menschwerdung und die Dankbarkeit für das Geschenk der ersten Verkündigung des Evangeliums in Amerika laden uns ein, Christus bereitwillig und durch entschiedenere persönliche Umkehr zu antworten. Gleichzeitig werden wir dadurch angespornt, immer treuer und großherziger das Evangelium zu befolgen. Die Aufforderung Christi zur Umkehr erklingt auch in den Worten des Apostels Paulus: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden“ (Rm 13,11). Die Begegnung mit dem lebendigen Christus drängt also zur Umkehr.

Wenn im Neuen Testament von Umkehr gesprochen wird, wird das Wort „metánoia“ gebraucht, was soviel wie „seine Mentalität ändern“, „umdenken“ bedeutet. Dabei geht es aber nicht nur um eine veränderte Denkweise auf intellektuellem Niveau, sondern um eine Überprüfung des eigenen Verhaltens im Lichte evangelischer Kriterien. Der hl. Paulus spricht diesbezüglich vom „Glauben […), der in der Liebe wirksam ist“ (Ga 5,6). Deshalb wird echte Umkehr durch die als Gebet praktizierte Lektüre der Heiligen Schrift und den Empfang der Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie vorbereitet und in die Tat umgesetzt. Die Umkehr führt zur brüderlichen Gemeinschaft, da sie zu verstehen hilft, daß Christus das Haupt der Kirche ist, die ihrerseits den mystischen Leib darstellt. Die Umkehr drängt zur Solidarität, da sie uns ins Bewußtsein ruft, daß wir das, was wir den anderen, insbesondere den Bedürftigen tun, Christus tun. Die Umkehr fördert daher eine neue Lebensweise, bei der es keine Trennung zwischen dem Glauben und den Werken gibt, die wir als tägliche Antwort auf den alles umfassenden Ruf zur Heiligkeit vollbringen. Um ernsthaft von Umkehr sprechen zu können, ist es unerläßlich, die Trennung zwischen Glauben und Leben zu überwinden, denn wenn eine solche Trennung besteht, existiert auch das Christentum nur als bloßer Name. Um ein wahrer Jünger des Herrn zu sein, muß ein Gläubiger Zeuge seines eigenen Glaubens sein, denn „der Zeuge legt nicht nur durch seine Worte, sondern durch sein Leben Zeugnis ab.“ (68) Wir müssen uns daher Jesu Worte vergegenwärtigen: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“ (Mt 7,21). Sich dem Willen des Vaters zu öffnen, setzt totale Bereitschaft voraus, eine Bereitschaft, die nicht einmal die Hingabe des eigenen Lebens ausschließt: „das größte Zeugnis aber ist das Martyrium“. (69)

Soziale Dimension der Umkehr


27 Die Umkehr ist aber nicht vollkommen, wenn das Bewußtsein für die Anforderungen an ein christliches Leben fehlt, und man sich nicht bemüht, sie zu erfüllen. Diesbezüglich haben die Synodenväter hervorgehoben, daß „sowohl das persönliche als auch das kollektive Engagement für eine intensivere Umkehr und für die Beziehungen zwischen den verschiedenen kirchlichen Bereichen, Institutionen und Gruppierungen leider sehr mangelhaft ausfällt“. (70) „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1Jn 4,20).

Die Bruderliebe beinhaltet die Sorge um die Bedürfnisse des Nächsten. „Wenn jemand Vermögen hat und sein Herz vor dem Bruder verschließt, den er in Not sieht, wie kann die Gottesliebe in ihm bleiben?“ (1Jn 3,17). Daher bedeutet für die amerikanischen Christen die Umkehr zum Evangelium, „erneut alle Bereiche und Dimensionen des eigenen Lebens, besonders aber all das zu überprüfen, was das Sozialwesen ausmacht und zur Erlangung des Allgemeinwohls beiträgt“. (71) Es ist indes besonders wichtig, „zu erreichen, daß die Gesellschaft sich immer mehr der Würde der ganzen Person bewußt wird und es folglich fertigbringt, daß die menschliche Gemeinschaft immer sensibler für ihre Pflicht wird, am politischen Leben nach den Maßstäben des Evangeliums teilzunehmen“ (72) Dennoch wird man sich vergegenwärtigen müssen, daß die Aktivität im politischen Umfeld zur Berufung und zum Tätigkeitsbereich der Laien gehört. (73)

Diesbezüglich ist es selbstverständlich von äußerster Wichtigkeit – und dies gilt besonders für eine pluralistische Gesellschaft – sich einen korrekten Begriff von den Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu bilden und eindeutig zwischen jenen Handlungen zu unterscheiden, welche die Gläubigen einzeln oder in Gemeinschaft, jedoch in Eigenregie als Bürger und in Übereinstimmung mit ihrem christlichen Gewissen ausüben, und jenen Handlungen, die sie im Namen der Kirche und in Gemeinschaft mit ihren Hirten ausführen. „Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person.“ (74)

Ständige Umkehr


28 Die Umkehr ist auf dieser Erde ein niemals völlig erreichtes Ziel, und sie stellt für die zur Nachfolge Christi berufenen Menschen eine Aufgabe dar, die das ganze Leben umfaßt. Andererseits wissen wir unseren Vorsatz zur Umkehr während unseres Erdenlebens ständig durch die Versuchung bedroht. „Niemand kann zwei Herren dienen“ (Mt 6,24), daher besteht das Umdenken („metánoia“) in dem Bemühen, die Werte des Evangeliums zu übernehmen, die zu den dominierenden Strömungen der Welt im Gegensatz stehen. Es ist also notwendig, „die Begegnung mit dem lebendigen Jesus Christus“ ständig zu erneuern. Er ist der Weg, der „uns zur permanenten Umkehr führt“, (75) wie die Synodenväter hervorgehoben haben.

Der universale Ruf zur Umkehr nimmt besondere Nuancen für die Kirche in Amerika an, die sich auch für die Erneuerung ihres Glaubens einsetzt. Die Synodenväter haben diese konkrete und anspruchsvolle Aufgabe folgendermaßen formuliert: „Diese Umkehr verlangt besonders von uns Bischöfen eine echte Identifizierung mit der persönlichen Lebensweise Jesu Christi, die uns zur Einfachheit, zur Armut und zur Gottesnähe führt, die uns nicht immer auf den eigenen Vorteil bedacht sein läßt. So werden wir wie er, ohne auf menschliche Mittel zu bauen, aus der Kraft des Heiligen Geistes und des Wortes die ganze Wirksamkeit des Evangeliums schöpfen und in erster Linie für all jene ein offenes Herz behalten, die fern und ausgeschlossen sind.“ (76) Um Hirten nach Gottes Herzen zu sein (vgl. Jer Jr 3,15), ist es unerläßlich, eine Lebensweise anzunehmen, die uns dem ähnlich werden läßt, der von sich selbst gesagt hat: „Ich bin der gute Hirt“ (Jn 10,11). Darauf spielt auch der hl. Paulus an, wenn er schreibt: „Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme“ (1Co 11,1). 29

Vom Heiligen Geist zu einer neuen Lebensweise angeleitet


29 Der Vorschlag zu einer neuen Lebensweise gilt nicht nur für die Hirten, sondern vielmehr für alle in Amerika lebende Christen. Von allen wird erwartet, daß sie eine echte christliche Spiritualität annehmen und vertiefen. „In der Tat versteht man unter dem Begriff Spiritualität die Art und Weise der Lebensführung, wie sie von uns Christen verlangt wird. Spiritualität bedeutet ›leben in Christus‹ und ›leben im Geiste‹. Sie wird im Glauben angenommen, findet in der Liebe ihren Ausdruck, wird durch die Hoffnung belebt und im täglichen Leben der kirchlichen Gemeinschaft umgesetzt.“ (77) In diesem Sinne versteht man unter Spiritualität – welche das Ziel ist, zu der die Umkehr führt – nicht nur „einen Teil des Lebens, sondern das ganze Leben unter der Leitung des Heiligen Geistes“. (78) Von all den Ausdrucksformen der Spiritualität, die der Christ sich zu eigen machen soll, überwiegt das Gebet. Es „führt dazu, daß man allmählich einen kontemplativen Blick für die Realität bekommt, was einem gestattet, Gott immer und in allem zu erkennen, ihn in allen Menschen zu suchen und zu finden und seinen Willen in allem, was geschieht, zu suchen“. (79)

Jeder Christ ist sowohl zum persönlichen als auch zum liturgischen Gebet verpflichtet. „Jesus Christus, das Evangelium des Vaters, macht uns darauf aufmerksam, daß wir ohne ihn nichts vermögen (vgl. Joh
Jn 15,5). Er selbst hat sich in den entscheidenden Augenblicken seines Lebens bevor er handelte, an einen einsamen Ort zurückgezogen, um sich ganz dem Gebet und der Betrachtung hinzugeben, und er verlangte von den Aposteln, dasselbe zu tun“. (80) Auch seinen Jüngern rief er ohne Ausnahme in Erinnerung: „Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist“ (Mt 6,6). Eine solche, durch das Gebet geprägte, intensive Lebensweise muß den Fähigkeiten und Bedingungen eines jeden Christen angepaßt sein, so daß er stets in den verschiedenen Lebenssituationen „zur Quelle der Begegnung mit Jesus Christus zurückkehren kann, um mit dem einen Geist getränkt zu werden (1Co 12,13)“ 81 . In diesem Sinne ist die kontemplative Dimension kein Privileg einiger weniger in der Kirche; im Gegenteil: in den Pfarreien, Gemeinschaften und Bewegungen soll eine offene und an der Betrachtung der fundamentalen Glaubenswahrheiten ausgerichtete Spiritualität gefördert werden. Gemeint sind hier die Glaubensgeheimnisse der Dreifaltigkeit, der Menschwerdung des Wortes, der Erlösung der Menschen und weitere große Heilswerke Gottes. (82)

Die Männer und Frauen, die sich ausschließlich der Betrachtung hingeben, haben in der amerikanischen Kirche eine fundamentale Sendung. Sie sind – so drückt es das Zweite Vatikanische Konzil aus – „eine Zier der Kirche und verströmen himmlische Gnaden“. (83) Daher müssen die Klöster, die weit und breit auf dem ganzen Kontinent verstreut sind, „den Hirten ganz besonders am Herzen liegen, deren tiefste Überzeugung es sei, daß die Seelen, die sich ganz dem kontemplativen Leben hingeben, durch Gebet, Buße und Betrachtung – denn dafür weihen sie ihr Leben – reiche Gnaden erwirken. Die in kontemplativen Klöstern lebenden Ordensleute müssen sich darüber bewußt sein, daß sie in die Mission der Kirche in dieser Welt integriert sind und daß sie durch ihr eigenes Lebenszeugnis zum Seelenheil der Gläubigen beitragen; denn so suchen diese in ihrem täglichen Leben nach dem Antlitz Gottes“. (84)

Christliche Spiritualität wird vor allem durch einen häufigen Sakramentenempfang genährt, da die Sakramente die Wurzel und unversiegbare Quelle der Gnade Gottes sind. Ihrer bedürfen die Gläubigen, um sich auf ihrer irdischen Pilgerschaft zu laben. Eine solche Lebensweise muß auch durch die Werte der Volksfrömmigkeit geprägt sein, die durch die sakramentale Praxis bereichert werden und so weit davon entfernt sind, zu bloßer Routine zu erstarren. Jedoch steht die Spiritualität der sozialen Dimension des christlichen Engagements nicht entgegen, im Gegenteil: die Gläubigen werden sich durch ihr Gebetsleben mehr der Anforderungen des Evangeliums und der Verpflichtung ihren Brüdern und Schwestern gegenüber bewußt, denn durch das Gebet erlangen sie die unerläßliche Gnadenkraft, um im Guten auszuharren. Damit der Christ zu geistiger Reife gelangt, soll er auf den Rat und die geistige Leitung der geweihten Diener oder anderer, in diesem Bereich erfahrener Personen, hören. Dies ist eine Praxis, die seit alters in der Kirche ausgeübt wird. Die Synodenväter hielten es für notwendig, den Priestern diesen so wichtigen Dienst ans Herz zu legen. (85)


Ecclesia in America DE 15