Ecclesia in Africa DE 27

Gott will Afrika retten


27 Der Völkerapostel sagt uns, dab Gott »will, dab alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle« (1Tm 2,4-6). Da Gott alle Menschen zu ein und derselben Bestimmung beruft, die göttlich ist, »müssen wir festhalten, dab der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein«.35 Die erlösende Liebe Gottes umfabt die ganze Menschheit, jede Rasse, jeden Stamm, jede Nation: sie umfabt also auch die Völker des afrikanischen Kontinents. Die göttliche Vorsehung wollte es, dab Afrika während des Leidens und Sterbens Christi zugegen war in der Person Simons von Kyrene, den römische Soldaten gezwungen hatten, dem Herrn das Kreuz tragen zu helfen (vgl. Mk Mc 15,21).


28 Die Liturgie des sechsten Ostersonntags 1994 während des feierlichen Gottesdienstes zum Abschlub der Sitzungsperiode der Sonderversammlung bot mir die Gelegenheit zu einer Reflexion über Gottes Heilsplan für Afrika. Eine der biblischen Lesungen, die der Apostelgeschichte entnommen war, erinnerte an ein Ereignis, das als der erste Schritt in der Sendung der Kirche zu den Heiden angesehen werden kann: der Bericht darüber, dab Petrus auf Eingebung des Heiligen Geistes das Haus eines Heiden, des Hauptmannes Cornelius, besuchte. Bis dahin war das Evangelium vor allem unter den Juden verkündet worden. Nachdem Petrus zunächst ziemlich gezögert hatte, beschlob er, vom Geist erleuchtet, sich in das Haus eines Heiden zu begeben. Als er dort eintraf, war er freudig davon überrascht, dab der Hauptmann auf Christus und die Taufe wartete. Das Buch der Apostelgeschichte berichtet: »Die gläubig gewordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, konnten es nicht fassen, dab auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde. Denn sie hörten sie in Zungen reden und Gott preisen« (10, 45-46).

Im Hause des Cornelius wiederholte sich gewissermaben das Pfingstwunder. Da sagte Petrus: »Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dab Gott nicht auf die Person sieht, sondern dab ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist [...]. Kann jemand denen das Wasser zur Taufe verweigern, die ebenso wie wir den Heiligen Geist empfangen haben?« (
Ac 10,34-35 Ac 10,47).

So begann die Mission der Kirche ad gentes, deren wichtigster Bote Paulus von Tarsus werden sollte. Die ersten Missionare, die in das Innere Afrikas gelangten, haben sicher ein ähnliches Wunder erlebt, wie es die Christen der apostolischen Zeit angesichts der Ausgiebung des Heiligen Geistes erfahren haben.


29 Der Plan Gottes für die Rettung Afrikas steht am Anfang der Ausbreitung der Kirche auf dem afrikanischen Kontinent. Da jedoch nach dem Willen Christi die Kirche ihrem Wesen nach missionarisch ist, folgt daraus, dab die Kirche in Afrika aufgerufen ist, selbst eine aktive Rolle im Dienst am Heilsplan Gottes zu übernehmen. Darum habe ich oft gesagt, »die Kirche in Afrika ist missionarische Kirche und zugleich Missionskirche«.36

Die Sonderversammlung für Afrika der Bischofssynode hatte die Aufgabe, die Mittel zu untersuchen, mit deren Hilfe die Afrikaner besser den Auftrag erfüllen können, den der auferstandene Herr seinen Jüngern erteilt hat: »Darum geht zu allen Völkern [...] und lehrt sie« (
Mt 28,19-20).

KAPITEL II


DIE KIRCHE IN AFRIKA


I. Kurze geschichte der evangelisierung auf dem kontinent


30 Am Eröffnungstag der Sonderversammlung für Afrika der Bischofssynode, der ersten Versammlung dieser Art in der Geschichte, haben die Synodenväter an einige der Wunder erinnert, die im Verlauf der Evangelisierung Afrikas von Gott vollbracht worden sind. Es ist eine Geschichte, die in die Entstehungszeit der Kirche selbst zurückreicht. Die Verbreitung des Evangeliums hat sich in verschiedenen Phasen vollzogen. Die ersten Jahrhunderte des Christentums erlebten die Evangelisierung Ägyptens und Nordafrikas. Eine zweite Phase, die die südlich der Sahara gelegenen Gebiete des Kontinents betraf, erfolgte im 15. und 16. Jahrhundert. Eine von auberordentlicher missionarischer Anstrengung gekennzeichnete dritte Phase hat im 19. Jahrhundert begonnen.

Erste Phase


31 In einer die Förderung des materiellen und geistigen Wohlergehens des Kontinents betreffenden Botschaft an die Bischöfe und an alle Völker Afrikas erinnerte mein verehrter Vorgänger Paul VI. in Worten von historischer Bedeutung an die ruhmreiche und glanzvolle christliche Vergangenheit Afrikas: »Wir denken an die christlichen Kirchen Afrikas, deren Ursprung in die apostolische Zeit zurückreicht und der Überlieferung nach mit dem Namen und der Lehre des Evangelisten Markus verbunden ist. Wir denken an die zahllose Schar von Heiligen, Märtyrern, Bekennern, Jungfrauen, die ihnen angehören. Tatsächlich gab es zwischen dem zweiten und vierten Jahrhundert in den nördlichen Regionen Afrikas ein intensives christliches Leben, das sowohl in der theologischen Forschung wie in der literarischen Ausdrucksweise führend war. Da fallen uns die Namen der groben Gelehrten und Schriftsteller ein, wie Origenes, die hll. Athanasius und Kyrillos, Leuchten der alexandrinischen Schule, und am anderen Ende der afrikanischen Mittelmeerküste Tertullian, der hl. Cyprian und vor allem der hl. Augustinus, eine der leuchtendsten Gestalten der Christenheit. Wir werden an die groben Wüstenheiligen erinnert, Paulus, Antonius, Pachomius, die ersten Begründer des Mönchtums, das sich dann nach ihrem Vorbild im Osten und im Abendland verbreitete. Und unter den vielen anderen wollen wir den Namen des hl. Frumentius, genannt Abba Salama, nicht vergessen, der, vom hl. Athanasius zum Bischof geweiht, der Apostel Äthiopiens war«.37 Während dieser ersten Jahrhunderte der Kirche in Afrika haben auch einige Frauen Zeugnis von Christus abgelegt. Unter ihnen verdienen besondere Erwähnung die hll. Felicitas und Perpetua, die hl. Monika und die hl. Thekla.

»Diese leuchtenden Beispiele sowie auch die Gestalten der heiligen afrikanischen Päpste Victor I., Miltiades und Gelasius I. gehören zum gemeinsamen Erbe der Kirche, und die Schriften der christlichen Autoren Afrikas sind noch heute grundlegend für eine Vertiefung der Heilsgeschichte im Lichte des Wortes Gottes. Mit der Erinnerung an die antike Glanzzeit des christlichen Afrika möchten wir unsere tiefe Achtung gegenüber den Kirchen zum Ausdruck bringen, mit denen wir nicht in voller Gemeinschaft stehen: der griechischen Kirche des Patriarchats von Alexandrien, der koptischen Kirche Ägyptens und der äthiopischen Kirche, die den Ursprung und das lehrmäbige und spirituelle Erbe der groben Kirchenväter und Heiligen nicht nur ihres Landes, sondern der ganzen alten Kirche mit der katholischen Kirche gemeinsam haben. Sie haben viel getan und gelitten, um den christlichen Namen in Afrika durch die Wechselfälle der Zeiten hindurch lebendig zu erhalten«.38 Diese Kirchen erbringen noch heute das Zeugnis für die christliche Lebenskraft, die sie aus ihren apostolischen Wurzeln besonders in Ägypten und in Äthiopien und, bis zum 17. Jahrhundert, in Nubien schöpfen. Auf dem übrigen Kontinent begann damals ein zweiter Abschnitt der Evangelisierung.

Zweite Phase


32 Im 15. und 16. Jahrhundert war die Erforschung der afrikanischen Küste durch die Portugiesen schon bald von der Evangelisierung der südlich der Sahara gelegenen Gebiete Afrikas begleitet. Dieses Bemühen betraf unter anderen die Gebiete der heutigen Staaten Benin, Sâo Tomé, Angola, Mozambique und Madagaskar.

Am Pfingstsonntag, dem 7. Juni 1992, habe ich anläblich der 500-Jahrfeier der Evangelisierung Angolas in Luanda unter anderem gesagt: »Die Apostelgeschichte nennt mit Namen die Bewohner der verschiedenen Gegenden, die unmittelbar an der Geburt der Kirche unter dem Wirken und Wehen des Heiligen Geistes teilnahmen. Und alle sagten: ?Wir hören sie in unserer Sprache Gottes grobe Taten verkünden' (
Ac 2,11). Vor fünfhundert Jahren traten in diesen Chor der Sprachen auch die Völkerschaften Angolas ein. Damals hat sich in eurer afrikanischen Heimat der Pfingsttag von Jerusalem erneuert. Eure Vorfahren hörten die Frohbotschaft, die die Sprache des Geistes ist. Ihre Herzen nahmen zum ersten Mal dieses Wort auf, und sie neigten ihr Haupt unter dem Wasser des Taufbrunnens, in dem der Mensch unter dem Wirken des Heiligen Geistes zusammen mit dem gekreuzigten Christus stirbt und zum neuen Leben in seiner Auferstehung wiedergeboren wird [...]. Es war gewib der gleiche Geist, der diese Männer des Glaubens, die ersten Missionare, angetrieben hat, die im Jahre 1491 an der Mündung des Flusses Zaire in Pinda an Land gingen und ein wirklich grobartiges Missionswerk begannen. Es war der Heilige Geist, der auf seine Weise in den Herzen der Menschen wirkt, der den groben König von Kongo, Nzinga-a-Nkuwu, veranlabte, um Missionare für die Verkündigung des Evangeliums zu bitten. Es war der Heilige Geist, der im Leben jener vier ersten Christen von Angola am Werk war, die nach der Rückkehr aus Europa den Wert des christlichen Glaubens bezeugten. Nach den ersten Missionaren kamen viele weitere aus Portugal und anderen europäischen Ländern, um das begonnene Werk weiterzuführen, auszuweiten und zu festigen«.39

In dieser Zeit wurde eine gewisse Anzahl von Bischofssitzen errichtet, und eine der ersten Taten dieses missionarischen Einsatzes war im Jahr 1518 in Rom die Weihe von Don Henrique, Sohn des kongolesischen Königs Alphons I., zum Titularbischof von Utica durch Papst Leo X. Don Henrique wurde so der erste einheimische Bischof Schwarzafrikas.

In jener Epoche, genau im Jahr 1622, errichtete mein Vorgänger Gregor XV. als ständige Einrichtung die Kongregation De Propaganda Fide zum Zweck einer besseren Organisation und Weiterentwicklung der Missionen.

Wegen verschiedenartiger Schwierigkeiten fand die zweite Phase der Evangelisierung Afrikas im 18. Jahrhundert mit der Auslöschung nahezu aller Missionen in den südlich der Sahara gelegenen Regionen ein jähes Ende.

Dritte Phase


33 Die dritte Phase der systematischen Evangelisierung Afrikas begann im 19. Jahrhundert, einer Zeit, die von einem auberordentlichen, von groben Aposteln und Anregern der Afrikamission vorangetriebenen Aufschwung geprägt war. Es war eine Zeit raschen Wachstums, wie die der Synodenversammlung von der Kongregation für die Evangelisierung der Völker vorgelegten Statistiken deutlich beweisen.40 Afrika hat sehr grobzügig auf den Anruf Christi geantwortet. In den letzten Jahrzehnten haben zahlreiche afrikanische Länder das Hundertjahr-Jubiläum des Beginns ihrer Evangelisierung begangen. Das Wachstum der Kirche in Afrika seit hundert Jahren stellt wahrlich ein Wunder der Gnade Gottes dar.

Leuchtenden Ruhm und Glanz verleihen der Evangelisierung Afrikas in der heutigen Zeit auf wunderbare Weise die Heiligen, die das moderne Afrika der Kirche geschenkt hat. Papst Paul VI. hat dieser Wirklichkeit beredten Ausdruck verliehen, als er anläblich des Weltmissionstages 1964 die Märtyrer Ugandas in der Petersbasilika heiligsprach: »Diese afrikanischen Märtyrer fügen der Liste der Siegreichen, die das Martyrologium ist, eine tragische und grobartige Seite hinzu, die wahrhaft würdig ist, zu jenen wunderbaren Seiten des antiken Afrika hinzuzukommen [...]. Getaucht in das Blut dieser Märtyrer, der ersten der Neuzeit (gebe Gott, dab es die letzten seien, so grobartig und kostbar ihr Opfer auch ist!), ersteht Afrika wieder, frei und erlöst«.41


34 Die Liste der Heiligen, die Afrika der Kirche schenkt, eine Liste, die ihr höchster Ehrentitel ist, wird ständig länger. Wie könnten wir unter den jüngsten Clementina Anwarite, Jungfrau und Märtyrerin aus Zaire, unerwähnt lassen, die ich 1985 auf afrikanischem Boden seliggesprochen habe, Victoria Rasoamanarivo aus Madagaskar und Josephine Bakhita aus dem Sudan, die gleichfalls während meines Pontifikats seliggesprochen wurden? Und mub man nicht an den seligen Isidor Bakanja, Märtyrer aus Zaire, erinnern, den ich während der Sonderversammlung für Afrika zur Ehre der Altäre erheben durfte?

»Weitere Prozesse stehen vor dem Abschlub. Die Kirche in Afrika mub für ihr eigenes Martyrologium sorgen, indem sie zu den grobartigen Gestalten der ersten Jahrhunderte [...] die Märtyrer und Heiligen der letzten Zeit hinzufügt«.42

Für das auberordentliche Wachstum der Kirche in Afrika in den letzten hundert Jahren, für die Früchte an Heiligkeit, die erreicht worden sind, gibt es nur eine einzige mögliche Erklärung: das alles ist Gabe Gottes, denn keine menschliche Anstrengung hätte im Laufe einer relativ so kurzen Zeit ein derartiges Werk zu vollbringen vermocht. Menschlicher Triumphalismus ist jedoch nicht angebracht. Wenn die Synodenväter an die Glanzzeit der Kirche in Afrika erinnerten, wollten sie damit lediglich die von Gott für die Befreiung und das Heil Afrikas vollbrachten Wunder preisen.

»Das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen
geschah dieses Wunder« (
Ps 118 [117],23).
»Der Mächtige hat Grobes an mir getan,
und sein Name ist heilig« (Lc 1,49).

Anerkennung für die Missionare


35 Das grobartige Wachstum und das Werk der Kirche in Afrika sind grobenteils der heroischen, selbstlosen Hingabe von Generationen von Missionaren zu verdanken. Das wird von allen zugegeben. Die gesegnete Erde Afrikas ist in der Tat übersät von Gräbern tapferer Boten des Evangeliums.

Als die Bischöfe Afrikas in Rom zur Sonderversammlung zusammentraten, waren sie sich sehr wohl der Dankesschuld bewubt, die ihr Kontinent ihren Vorfahren im Glauben gegenüber hat.

In seiner Ansprache an die erste Versammlung von S.E.C.A.M. am 31. Juli 1969 in Kampala nahm Papst Paul VI. Bezug auf diese Dankesschuld: »Ihr Afrikaner seid nunmehr eure eigenen Missionare. Die Kirche Christi ist wirklich in diese gesegnete Erde eingepflanzt (vgl. Dekret Ad gentes,
AGD 6). Eine Verpflichtung müssen wir erfüllen: wir müssen die Erinnerung an diejenigen wachhalten, die in Afrika vor euch das Evangelium verkündet haben und es noch heute mit euch verkündigen, wie uns die Heilige Schrift ermahnt: ?Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben; schaut auf das Ende ihres Lebens und ahmt ihren Glauben nach' (He 13,7). Eine Geschichte, die wir nicht vergessen dürfen; sie verleiht der Ortskirche das Kennzeichen ihrer Glaubwürdigkeit und Vortrefflichkeit; ihren ?apostolischen' Charakter; sie ist ein Drama der Liebe, des Heroismus und des Opfers, das die afrikanische Kirche seit ihren Anfängen grob und heilig macht«.43


36 Die Sonderversammlung hat auf würdige Weise diese Dankesschuld beglichen, als sie bei ihrer ersten Generalkongregation erklärte: »An dieser Stelle müssen die Missionare eine warm- empfundene Würdigung erfahren, Männer und Frauen aller Orden und Säkularinstitute, und ebenso alle Länder, die sich während der etwa 2000 Jahre der Evangelisierung des afrikanischen Kontinents [...] intensiv dafür eingesetzt haben, die Fackel des christlichen Glaubens weiterzugeben [...]. Darum ist es uns, den glücklichen Erben dieses wunderbaren Abenteuers, ein Anliegen, Gott bei diesem feierlichen Anlab Dank zu sagen«.44

In der Botschaft an das Volk Gottes haben die Synodenväter noch einmal ausdrücklich die Missionare gewürdigt, aber nicht vergessen, den Söhnen und Töchtern Afrikas, die besonders als Katechisten und Übersetzer mit ihnen zusammenarbeiteten, ihre Anerkennung auszusprechen.45


37 Dank des groben Missionsepos, für das besonders in den letzten zwei Jahrhunderten der afrikanische Kontinent die Bühne abgab, konnten wir in Rom zusammentreten, um die Sonderversammlung für Afrika abzuhalten. Der in Afrika einst ausgesäte Same hat überreiche Frucht getragen. Meine Brüder im Bischofsamt, Söhne der Völker Afrikas, sind dafür beredte Zeugen. Zusammen mit ihren Priestern tragen sie nunmehr den Grobteil der Evangelisierungsarbeit auf ihren Schultern. Davon zeugen auch die zahlreichen Söhne und Töchter Afrikas, die den alten Missionsorden angehören oder in die neuen, in Afrika entstandenen Institute eintreten, indem sie mit ihren Händen die Fackel der totalen Hingabe an den Dienst Gottes und des Evangeliums ergreifen.

Verwurzelung und Wachstum der Kirche


38 Der Umstand, dab innerhalb von fast zwei Jahrhunderten die Zahl der Katholiken in Afrika rasch gewachsen ist, stellt an sich in jeder Hinsicht ein bemerkenswertes Ergebnis dar. Die Konsolidierung der Kirche auf dem Kontinent wird besonders durch Faktoren bekräftigt wie die beachtliche und rasche zahlenmäbige Zunahme der Kirchenbezirke, das Ansteigen des einheimischen Klerus, der Seminaristen und der Kandidaten in den Instituten des geweihten Lebens, sowie die schrittweise Ausdehnung des Netzes der Katechisten, deren Beitrag zur Ausbreitung des Evangeliums unter den afrikanischen Völkern allen wohl bekannt ist. Schlieblich verdient der hohe Prozentsatz der einheimischen Bischöfe Afrikas besonders erwähnt zu werden, die nunmehr die Hierarchie des Kontinents bilden.

Die Synodenväter haben zahlreiche sehr bedeutsame Schritte zur Kenntnis genommen, die von der Kirche in Afrika auf den Gebieten der Inkulturation und des ökumenischen Dialogs vollzogen worden sind.46 Die beachtlichen und verdienstvollen Leistungen im Erziehungsbereich werden allgemein anerkannt.

Obwohl die Katholiken nur vierzehn Prozent der afrikanischen Bevölkerung bilden, stellen die katholischen Einrichtungen im Bereich des Gesundheitswesens siebzehn Prozent der Gesamtstrukturen des Gesundheitswesens des ganzen Kontinents dar.

Die Initiativen, die von den jungen Kirchen Afrikas mutig ergriffen wurden, um das Evangelium »bis an die Grenzen der Erde« (
Ac 1,8) zu tragen, sind zweifellos bemerkenswert. Die in Afrika errichteten Missionsinstitute haben an Zahl zugenommen und damit begonnen, nicht nur für die Länder des Kontinents, sondern auch für andere Regionen der Erde Missionare bereitzustellen. Afrikanische Diözesanpriester, deren Zahl langsam wächst, stellen sich für begrenzte Zeiträume alsfidei donum-Priester in anderen, personalschwachen Diözesen in ihrer Nation oder anderswo zur Verfügung. Die afrikanischen Provinzen sowohl der männlichen wie der weiblichen Ordensinstitute päpstlichen Rechts haben gleichfalls eine Zunahme ihrer Mitglieder erfahren. Auf diese Weise stellt sich die Kirche in den Dienst der afrikanischen Völker; sie akzeptiert auberdem, in den »Gabenaustausch« mit anderen Teilkirchen im Rahmen des ganzen Gottesvolkes einbezogen zu werden. All das zeigt auf greifbare Weise, zu welcher Reife die Kirche in Afrika gelangt ist: dies ist es denn auch, was die Abhaltung der Sonderversammlung für Afrika der Bischofssynode möglich gemacht hat.

Was ist aus Afrika geworden?


39 Vor knapp dreibig Jahren erlangten nicht wenige afrikanische Länder ihre Unabhängigkeit von den Kolonialmächten. Das hat grobe Erwartungen geweckt hinsichtlich der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung der afrikanischen Völker. Obgleich »sich in manchen Ländern die innere Lage leider noch nicht gefestigt hat und die Gewalt die Oberhand hatte und manchmal noch immer hat, darf das nicht Anlab zu einer allgemeinen Verurteilung geben, die ein ganzes Volk oder eine ganze Nation oder, noch schlimmer, einen ganzen Kontinent einbezieht«.47


40 Aber wie sieht die tatsächliche Gesamtsituation des afrikanischen Kontinents heute aus, besonders unter dem Gesichtspunkt des Evangelisierungsauftrags der Kirche? In diesem Zusammenhang haben sich die Synodenväter vor allem eine Frage gestellt: »Inwiefern ist auf einem Kontinent, der der schlechten Nachrichten überdrüssig ist, die christliche Verkündigung eine ?gute Nachricht' für unser Volk? Wo sind, mitten in der Verzweiflung, die alles befällt, die Hoffnung und der Optimismus, die das Evangelium mit sich bringt? Die Evangelisierung fördert viele der wesentlichen Werte, die unserem Kontinent so sehr fehlen: Hoffnung, Frieden, Freude, Harmonie, Liebe und Einheit«.48

Nachdem sie zu Recht betont hatten, dab Afrika ein riesiger Kontinent mit ganz unterschiedlichen Gegebenheiten sei und man sich daher sowohl bei der Einschätzung von Problemen wie bei Lösungsvorschlägen vor jeder Verallgemeinerung zu hüten habe, mubte die Synodenversammlung schmerzvoll feststellen: »Eine allgemein verbreitete Situation ist ohne Zweifel die Tatsache, dab Afrika voller Probleme ist: in fast allen unseren Ländern herrscht eine schreckliche Verelendung, schlechte Verwaltung der ohnehin kargen verfügbaren Mittel, politische Instabilität und soziale Orientierungslosigkeit. Das Ergebnis haben wir vor Augen: Elend, Kriege, Verzweiflung. In einer von den reichen und mächtigen Nationen kontrollierten Welt ist Afrika praktisch zu einem unbedeutenden, oft vergessenen und von allen vernachlässigten Anhängsel geworden«.49


41 Für viele Synodenväter kann das heutige Afrika mit jenem Mann verglichen werden, der von Jerusalem hinab nach Jericho ging; er fiel Räubern in die Hände, die ihn ausplünderten, ihn niederschlugen, dann weggingen und ihn halbtot liegen lieben (vgl. Lk Lc 10,30-37). Afrika ist ein Kontinent, in dem zahllose Menschen — Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche — gleichsam am Strabenrand liegen, krank, verwundet, ohnmächtig, an den Rand geschoben und verlassen. Sie bedürfen dringend barmherziger Samariter, die ihnen zu Hilfe kommen.

Ich wünsche mir, dab die Kirche weiterhin geduldig und unermüdlich als guter Samariter tätig ist. Denn lange Zeit haben Regime, die heute verschwunden sind, die Afrikaner auf eine harte Probe gestellt und ihr Reaktionsvermögen geschwächt: der verwundete Mensch mub alle Möglichkeiten seines Menschseins wiederentdecken. Die Söhne und Töchter Afrikas brauchen verständnisvolle Präsenz und pastorale Sorge. Es gilt, ihnen zu helfen, ihre eigenen Kräfte zu sammeln, um sie in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen.

Positive Werte der afrikanischen Kultur


42 Afrika befindet sich trotz seiner reichen Naturschätze in einer Situation wirtschaftlicher Armut. Trotzdem besitzt es eine Vielfalt von kulturellen Werten und unschätzbaren menschlichen Qualitäten, die es den Kirchen und der ganzen Menschheit anbieten kann. Die Synodenväter haben einige dieser kulturellen Werte hervorgehoben, die gewib eine willkommene Vorbereitung auf die Weitergabe des Evangeliums darstellen; es sind Werte, die eine positive Entwicklung der dramatischen Situation des Kontinents fördern und jenen Gesamtaufschwung in Gang bringen können, von dem die ersehnte Entwicklung der einzelnen Nationen abhängt.

Die Afrikaner haben einen tiefen Sinn für das Religiöse, einen Sinn für das Heilige, für die Existenz des Schöpfergottes und einer spirituellen Welt. Die Realität der Sünde in ihren individuellen und sozialen Formen ist dem Bewubtsein jener Völker sehr gegenwärtig, und empfunden wird auch das Bedürfnis nach Reinigungs- und Sühneriten.


43 In der afrikanischen Kultur und Tradition gilt die Rolle der Familie allgemein als grundlegend. Da der Afrikaner offen ist für diesen Sinn für die Familie, für die Liebe und Achtung des Lebens, liebt er die Kinder, die voll Freude als ein Gottesgeschenk angenommen werden. »Die Söhne und Töchter Afrikas lieben das Leben. Gerade diese Liebe zum Leben läbt sie der Verehrung der Vorfahren so grobe Bedeutung beimessen. Sie glauben instinktiv, dab jene Toten weiterleben und in Gemeinschaft mit ihnen bleiben. Ist das nicht irgendwie eine Vorbereitung auf den Glauben an die Gemeinschaft der Heiligen? Die Völker Afrikas achten das Leben, das empfangen und geboren wird. Sie freuen sich über dieses Leben. Sie lehnen den Gedanken ab, es dürfe zerstört werden, auch wenn die sogenannten ?fortschrittlichen Zivilisationen' sie in diese Richtung drängen möchten. Lebensfeindliche Praktiken aber werden ihnen durch Wirtschaftssysteme auferlegt, die dem Egoismus der Reichen dienen«.50 Die Afrikaner bekunden Achtung für das Leben bis zu seinem natürlichen Ende und halten für alte Menschen und Angehörige einen Platz im Schobe der Familie bereit.

Die afrikanischen Kulturen besitzen einen scharfen Sinn für Solidarität und Gemeinschaftsleben. Ein Fest wird in Afrika nur mit der ganzen Dorfgemeinschaft vorbereitet und begangen. Das Gemeinschaftsleben in den afrikanischen Gesellschaften ist tatsächlich Ausdruck der Grobfamilie. Ich bete inbrünstig darum und bitte darum zu beten, dab Afrika dieses kostbare kulturelle Erbe für immer bewahren und nie der Versuchung des Individualismus erliegen möge, der seinen besten Traditionen so fremd ist.

Einige Optionen der afrikanischen Völker


44 Auch wenn die bereits angeführten tragischen Aspekte der Lage in Afrika keineswegs bagatellisiert werden dürfen, ist es der Mühe wert, hier einige positive Leistungen der Völker des Kontinents zu erwähnen, die Lob und Ermutigung verdienen. Die Synodenväter haben in ihrerBotschaft an das Volk Gottes zum Beispiel mit Freude auf die Anbahnung des Demokratisierungsprozesses in vielen afrikanischen Ländern hingewiesen und den Wunsch ausgesprochen, dab sich dieser Demokratisierungsprozeb festigen möge und alsbald durch die Zusammenarbeit aller mabgeblich Beteiligten und ihren Sinn für das Gemeinwohl die Hindernisse und Widerstände gegen den Rechtsstaat beseitigt würden.51

Auf dem Kontinent weht vielerorts ein starker »Wind der Veränderung«, und das Volk verlangt immer eindringlicher die Anerkennung und Förderung der Rechte und Freiheiten des Menschen. In diesem Zusammenhang stelle ich mit Befriedigung fest, dab sich die Kirche in Afrika getreu ihrer Berufung entschieden auf die Seite der Unterdrückten, der Völker stellt, die keine Stimme haben und an den Rand gedrängt sind. Ich ermutige sie nachhaltig dazu, fortzufahren in diesem Zeugnis.Die Vorzugsoption für die Armen ist »eine besondere, vorrangige Form bei der Ausübung der christlichen Liebe, eine Option, die von der ganzen Tradition der Kirche bezeugt wird [...]. Die aufrüttelnde Sorge für die Armen — nach einer aufschlubreichen Formulierung die ?Armen des Herrn' — mub auf allen Ebenen in konkrete Taten einmünden, bis schlieblich mit Entschlossenheit eine Reihe notwendiger Reformen erreicht ist«.52


45 Trotz der Armut und der geringen verfügbaren Mittel hat die Kirche in Afrika eine erst- rangige Rolle, was die menschliche Gesamtentwicklung betrifft; ihre beachtlichen Leistungen auf diesem Gebiet finden häufig Anerkennung bei den Regierungen und bei den internationalen Experten.

Die Sonderversammlung für Afrika hat »allen Christen und allen Menschen guten Willens, die auf dem Gebiet der Fürsorge und der Entwicklungsförderung gemeinsam mit unserer Caritas oder mit unseren Entwicklungsorganisationen tätig sind«, tiefe Anerkennung ausgesprochen.53 Die Hilfe, die sie gleich barmherzigen Samaritern den afrikanischen Opfern von Kriegen und Katastrophen, den Flüchtlingen und Vertriebenen leisten, verdient von seiten aller Bewunderung, Anerkennung und Unterstützung.

Ich halte es für meine Pflicht, der Kirche in Afrika lebhaften Dank für die Rolle auszusprechen, die sie im Laufe der Jahre zugunsten von Frieden und Versöhnung in zahlreichen Konfliktsituationen, politischen Umstürzen oder Bürgerkriegen gespielt hat.

II. Aktuelle probleme der kirche in Afrika


46 Die Bischöfe Afrikas stehen vor zwei grundlegenden Fragen: wie soll die Kirche ihren Evangelisierungsauftrag beim Näherrücken des Jahres 2000 voranbringen? Wie werden die afrikanischen Christen zu immer treueren Zeugen des Herrn Jesus werden können? Um auf diese Fragen adäquate Antworten zu bieten, haben die Bischöfe vor und während der Sonderversammlung die wichtigsten Herausforderungen untersucht, denen sich die afrikanischen Ortskirchen heute stellen müssen.

Intensive Evangelisierung


47 Die erste grundlegende Feststellung der Synodenväter betrifft den Hunger der afrikanischen Völker nach Gott. Um eine entsprechende Erwartung nicht zu enttäuschen, müssen die Glieder der Kirche vor allem ihren Glauben vertiefen.54 Denn gerade weil sie Trägerin der Evangelisierung ist, mub die Kirche »damit beginnen, sich selbst zu evangelisieren«.55 Sie mub die Herausforderung aufgreifen, die enthalten ist »in diesem Thema von der Kirche, die sich durch eine beständige Bekehrung und Erneuerung selbst evangelisiert, um die Welt glaubwürdig zu evangelisieren«.56

Die Synode hat Kenntnis genommen von der dringenden Notwendigkeit, in Afrika Millionen von Menschen, die noch nicht evangelisiert sind, die Frohe Botschaft zu verkünden. Sicher respektiert und schätzt die Kirche die nichtchristlichen Religionen, zu denen sich unzählige Menschen auf dem afrikanischen Kontinent bekennen, da sie ja lebendiger Ausdruck der Seele breiter Bevölkerungsgruppen sind. Doch »weder die Achtung und Wertschätzung gegenüber diesen Religionen noch die Vielschichtigkeit der aufgeworfenen Fragen können für die Kirche eine Aufforderung darstellen, eher zu schweigen als Jesus Christus vor den Nichtchristen zu verkünden. Im Gegenteil, die Kirche ist der Auffassung, dab diese vielen Menschen das Recht haben, den Reichtum des Geheimnisses Christi (vgl. Eph
Ep 3,8) kennenzulernen, worin, nach unserem Glauben, die Menschheit in unerschöpflicher Fülle alles das finden kann, was sie suchend und tastend über Gott, über den Menschen und seine Bestimmung, über Leben und Tod und über die Wahrheit in Erfahrung zu bringen sucht«.57


48 Die Synodenväter sagen mit Recht, dab »sich ein tiefschürfendes Interesse für eine echte und ausgewogene Inkulturation des Evangeliums als notwendig erweist, um in unserer, einer rapiden Entwicklung unterworfenen Gesellschaft Verwirrung und Entfremdung zu vermeiden«.58 Anläblich meines Besuches in Malawi im Jahr 1989 sagte ich: »Ich stelle euch heute vor eine Herausforderung, eine Herausforderung, die darin besteht, eine Lebensweise, die der Qualität eurer lokalen Traditionen und dem christlichen Glauben nicht entspricht, abzulehnen. Viele Menschen in Afrika schauen nach der sogenannten ?Freiheit der modernen Lebensweise' jenseits von Afrika aus. Ich lege euch heute inständig ans Herz, in euch selber zu blicken. Blickt auf den Reichtum eurer Traditionen, blickt auf den Glauben, den wir bei dieser Zusammenkunft feiern. Da werdet ihr wahre Freiheit finden, da werdet ihr Christus finden, der euch zur Wahrheit führt«.59

Überwindung der Gegensätze


49 Eine weitere Herausforderung, die von den Synodenvätern hervorgehoben wurde, betrifft die verschiedenen Formen von Uneinigkeit und Zwietracht, die es durch eine ehrliche Praxis des Dialogs zu beheben gilt.60 Mit Recht wurde darauf hingewiesen, dab innerhalb der von den Kolonialmächten ererbten Grenzen die Koexistenz unterschiedlicher ethnischer Gruppen, Traditionen, Sprachen und auch Religionen oft auf Hindernisse stöbt, die auf schwerwiegende wechselseitige Feindseligkeiten zurückgehen. »Die Stammesgegensätze bringen bisweilen, wenn auch nicht den Frieden, so zumindest die Erreichung des Gemeinwohls der Gesellschaft als ganzer in Gefahr und rufen auch Schwierigkeiten hervor für das Leben der Kirchen und für die Annahme von Bischöfen aus anderen ethnischen Gruppen«.61 Deshalb fühlt sich die Kirche in Afrika genau zu der Aufgabe ermahnt, solche Feindschaften abzubauen. Auch unter diesem Gesichtspunkt hat die Sonderversammlung die Bedeutung des ökumenischen Dialogs mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sowie das Gespräch auch mit der traditionellen afrikanischen Religion und mit dem Islam hervorgehoben. Die Synodenväter haben sich zudem die Frage gestellt, mit welchen Mitteln dieses Ziel erreicht werden könnte.

Ehe und geistliche Berufe


50 Eine wichtige Herausforderung, die von den Bischofskonferenzen Afrikas in ihren Antworten auf die Lineamenta nahezu einstimmig unterstrichen wurde, betrifft die christliche Ehe und das Familienleben.62 Der Einsatz, der auf dem Spiel steht, ist sehr hoch: denn »die Zukunft der Welt und der Kirche führt über die Familie«.63

Eine weitere fundamentale Aufgabe, welche von der Sonderversammlung hervorgehoben wurde, stellt die Sorge um die Berufungen zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben dar: es gilt, die Berufenen weise zu erkennen, sie von fähigen Ausbildern begleiten zu lassen, die Qualität der tatsächlich gebotenen Ausbildung zu überprüfen. Von der Sorge, die auf die Lösung dieses Problems verwandt wird, hängt es ab, ob sich die Hoffnung auf ein blühendes Anwachsen von afrikanischen Missionsberufen bewahrheitet, wie es von der Verkündigung des Evangeliums in allen Teilen des Kontinents und auch über seine Grenzen hinaus gefordert wird.


Ecclesia in Africa DE 27