Ecclesia in Africa DE 51

Soziale und politische Schwierigkeiten


51 »In Afrika ist die Notwendigkeit, das Evangelium auf das konkrete Leben anzuwenden, stark zu spüren. Wie könnte man Christus auf diesem riesigen Kontinent verkünden und dabei vergessen, dab es sich um eines der ärmsten Gebiete der Welt handelt? Wie könnte man die leiderfüllte Geschichte eines Landes unberücksichtigt lassen, wo viele Nationen sich noch immer mit Hunger, Krieg, Rassenspannungen und Stammesfehden, politischer Unsicherheit und Verletzung der Menschenrechte herumschlagen? Das alles bedeutet eine Herausforderung für die Evangelisierung«.64

Sämtliche Vorbereitungsdokumente wie auch die Diskussionen im Verlauf der Versammlung haben ausführlich die Tatsache hervorgehoben, dab Fragen wie die wachsende Armut in Afrika, die Urbanisierung, die internationale Verschuldung, der Waffenhandel, das Problem der Flüchtlinge und Vertriebenen, die Bevölkerungsprobleme und Bedrohungen, die auf der Familie lasten, die Emanzipation der Frauen, die Ausbreitung von AIDS, das Fortbestehen der Sklaverei in einigen Gegenden, der Ethnozentrismus und die Stammesfehden zu den wesentlichen Herausforderungen gehören, die von der Synode untersucht wurden.

Vordringen der Massenmedien


52 Schlieblich hat sich die Sonderversammlung mit den sozialen Kommunikationsmitteln beschäftigt, einem Problem von enormer Bedeutung, da es sich zugleich um Werkzeuge im Dienst der Evangelisierung und um Mittel zur Verbreitung einer neuen Kultur handelt, die evangelisiert werden mub.65 So wurden die Synodenväter mit der traurigen Tatsache konfrontiert, dab »die Entwicklungsländer, anstatt sich zu selbständigen Nationen zu entwickeln, die sich um ihren eigenen Weg zur gerechten Teilhabe an den für alle bestimmten Gü- tern und Dienstleistungen bemühen, zu Rädern ei- nes Mechanismus, zu Teilen einer gewaltigen Maschinerie werden. Das geschieht oft auch auf dem Gebiet der sozialen Kommunikationsmittel: Weil diese meistens von Zentren im Norden der Welt aus geleitet werden, berücksichtigen sie nicht immer in gebührender Weise die eigenen vorrangigen Anliegen und Probleme dieser Länder, noch achten sie deren kulturelle Eigenart, sondern drängen ihnen nicht selten ein entstelltes Bild vom Leben und vom Menschen auf und entsprechen so nicht den Anforderungen einer echten Entwicklung« 66

III. Ausbildung der träger der evangelisierung


53 Mit welchen Ressourcen wird es der Kirche in Afrika gelingen, die eben erwähnten Herausforderungen aufzugreifen? »Die bedeutendste ist, nach der Gnade Christi, offensichtlich die des Volkes. Das Volk Gottes — verstanden im theologischen Sinn von Lumen gentium, dieses Volk, das die Glieder des Leibes Christi in seiner Ganzheit umfabt — hat den Auftrag erhalten, der eine Ehre und eine Pflicht zugleich ist, die Botschaft des Evangeliums zu verkündigen [...]. Die ganze Gemeinschaft mub für die Evangelisierung vorbereitet, motiviert und gestärkt werden, ein jeder nach seiner spezifischen Rolle in der Kirche«.67 Darum hat die Synode starkes Gewicht auf die Ausbildung derer gelegt, die für die Evangelisierung in Afrika tätig sind. Die Notwendigkeit einer geeigneten Ausbildung der Priesteramtskandidaten und derjenigen, die zum Ordensleben berufen sind, habe ich bereits erwähnt. Die Versammlung hat in gleicher Weise der Ausbildung der gläubigen Laien gebührende Aufmerksamkeit gewidmet, in Anerkennung ihrer unverzichtbaren Rolle bei der Evangelisierung Afrikas. Besonders Wert gelegt wurde zu Recht auf die Ausbildung der Laienkatechisten.


54 Noch eine letzte Frage drängt sich auf: Hat die Kirche in Afrika die Laien genügend dafür ausgebildet, ihre Verantwortlichkeiten im zivilen Leben sachkundig wahrzunehmen und die gesellschaftlich-politischen Probleme im Lichte des Evangeliums und des Glaubens an Gott zu bedenken? Das ist zweifellos eine Aufgabe, die die Christen herausfordert; auf das Gesellschaftsgefüge einen Einflub auszuüben, der nicht nur die Denkweisen, sondern die eigentlichen Strukturen der Gesellschaft so umwandeln soll, dab sich darin Gottes Pläne bezüglich der menschlichen Familie besser widerspiegeln. Gerade deshalb habe ich für die Laien eine vollständige Ausbildung gewünscht, die ihnen dazu verhilft, ein völlig kohärentes Leben zu führen. Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe müssen für das Verhalten des echten Jüngers Christi in jeder seiner Handlungen, Situationen und Verantwortlichkeiten richtunggebend sein. Da »evangelisieren besagt, die Frohbotschaft in alle Bereiche der Menschheit zu tragen, sie durch deren Einflub von innen her umzuwandeln und die Menschheit selbst zu erneuern«,68 müssen die Christen dazu ausgebildet werden, die sozialen Auflagen des Evangeliums so zu leben, dab ihr Zeugnis zu einer prophetischen Herausforderung gegenüber allem wird, was dem wahren Wohl der Menschen Afrikas wie jedes anderen Erdteils schadet.

KAPITEL III


EVANGELISIERUNG UND INKULTURATION


Sendung der Kirche


55 »Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!« (Mc 16,15). Das ist der Auftrag, den der auferstandene Christus, ehe er zum Vater aufstieg, den Aposteln hinterlassen hat: »Sie aber zogen aus und predigten überall« (Mc 16,20).

»Die Aufgabe, allen Menschen die Frohbotschaft zu verkündigen, ist die wesentliche Sendung der Kirche [...]. Evangelisieren ist die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren«.69 Entstanden aus dem evangelisierenden Wirken Jesu und der Zwölf, ist sie ihrerseits gesandt, »Hüterin der Frohbotschaft zu sein, die es zu verkündigen gilt [...] Die Kirche beginnt damit, sich selbst zu evangelisieren«. In der Folge »entsendet die Kirche selbst Glaubensboten. Sie legt ihnen das Wort in den Mund, das rettet«.70 Wie der Völkerapostel kann die Kirche sagen: »Wenn ich das Evangelium verkünde, [...] liegt ein Zwang auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1Co 9,16).

Die Kirche verkündet die Frohbotschaft nicht allein durch die Verkündigung des Wortes, das sie vom Herrn empfangen hat, sondern auch durch das Zeugnis des Lebens, durch das die Jünger Christi Rechenschaft geben über den Glauben, die Hoffnung und die Liebe, die sie in sich tragen (vgl. 1P 3,15).

Dieses Zeugnis des Christen von Christus und vom Evangelium kann bis zum äubersten Opfer führen: dem Martyrium (vgl. Mk Mc 8,35). Denn die Kirche und der Christ verkündigen den, der »ein Zeichen [ist], dem widersprochen wird« (Lc 2,34). Sie verkündigen »Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit« (1Co 1,23). Wie ich oben ausführte, kann sich Afrika nicht nur berühmter Märtyrer der ersten Jahrhunderte rühmen, sondern auch seiner Märtyrer und Heiligen aus unserer Zeit.

Die Evangelisierung hat zum Ziel, »die Menschheit selbst von innen her umzuwandeln und zu erneuern«.71 In dem einen Sohn und durch ihn sollen die Beziehungen der Menschen zu Gott, zu den anderen Menschen und zur ganzen Schöpfung erneuert werden. Dadurch kann die Verkündigung des Evangeliums zur inneren Umwandlung aller Menschen guten Willens beitragen, die ein offenes Herz für das Wirken des Heiligen Geistes haben.


56 Das Evangelium durch Worte und Taten bezeugen: das ist der Auftrag, den die Sonderversammlung für Afrika der Bischofssynode erhalten hat und den sie nun an die Kirche des Kontinents weitergibt. »Ihr werdet meine Zeugen sein« (Ac 1,8): das ist der Einsatz, der auf dem Spiel steht, das sollen in Afrika die Früchte der Synode in allen Bereichen des menschlichen Lebens sein.

Entstanden aus der Verkündigung mutiger Bischöfe und Missionspriester mit wirksamer Unterstützung durch die Katechisten — »Anerkennung verdient die Schar der Katechisten, die so grobe Verdienste um das Werk der Heidenmission haben«,72 —, ist die Kirche in Afrika, der Erde, die zur »neuen Heimat Christi« 73 geworden ist, nunmehr verantwortlich für die Mission auf ihrem Erdteil und in der Welt: »Afrikaner, ihr seid jetzt eure eigenen Missionare«, sagte mein Vorgänger Paul VI. in Kampala.74 Da die grobe Mehrheit der Einwohner des afrikanischen Kontinents die Verkündigung der Frohbotschaft vom Heil noch nicht empfangen hat, empfiehlt die Synode, zu Missionsberufen zu ermutigen, und ersucht, die Darbringung von Gebeten, Opfern und konkreten Hilfen zugunsten der Missionsarbeit der Kirche zu fördern und aktiv zu unterstützen.75

Verkündigung


57 »Die Synode erinnert daran, dab Evangelisieren besagt, durch das Wort und das Leben die Frohbotschaft von Jesus Christus zu verkünden, der gekreuzigt wurde, gestorben und auferstanden ist, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist«.76 Dem von allen Seiten von aufbrechendem Hab und Gewalt, von Konflikten und Kriegen erdrückten Afrika sollen die Verkünder des Evangeliums die im Ostergeheimnis verwurzelte Hoffnung auf das Lebenverkünden. Jesus hat gerade zu dem Zeitpunkt, als sein Leben menschlich gesprochen zum Scheitern verurteilt zu sein schien, die Eucharistie, das »Unterpfand der ewigen Herrlichkeit«,77 eingesetzt, um seinen Sieg über den Tod in Zeit und Raum zu verewigen. Deshalb wollte sich die Sonderversammlung für Afrika zu diesem Zeitpunkt, da sich der afrikanische Kontinent in verschiedener Hinsicht in einer kritischen Lage befindet, als »Synode der Wiedererstehung, Synode der Hoffnung« vorstellen [...] . »Christus, unsere Hoffnung, lebt, auch wir werden leben!«.78 Afrika ist nicht dem Tod, sondern dem Leben geweiht!

Daher mub sich »die Neuevangelisierung auf die Begegnung mit der lebendigen Person Christi konzentrieren«.79 »Die Erstverkündigung mub das Ziel haben, dieses erschütternde und begeisternde Erleben Christi, der uns anzieht und mitreibt, schlieblich in ein Abenteuer des Glaubens zu verwandeln«.80 Eine Aufgabe, die auf einzigartige Weise dadurch erleichtert wird, dab »der Afrikaner von seinem Leben und seiner traditionellen Religion her an Gott, den Schöpfer, glaubt. Er ist daher auch offen für die vollständige und endgültige Offenbarung Gottes in Jesus Christus, Gott-mit-uns, fleischgewordenes Wort. Jesus, die Frohe Botschaft, ist Gott, der den Afrikaner [...] aus Unterdrückung und Sklaverei rettet«.81

Die Evangelisierung mub »den Menschen und die Gesellschaft auf allen Bereichen ihres Daseins erreichen. Sie äubert sich in verschiedenen Aktivitäten, insbesondere in den Betätigungsfeldern, die von der Synode ausdrücklich in Betracht gezogen wurden: Verkündigung, Inkulturation, Dialog, Gerechtigkeit und Frieden, soziale Kommunikationsmittel«.82

Damit diese Mission vollständig gelingt, mub »bei der Evangelisierung die eindringliche Anrufung des Heiligen Geistes erfolgen, auf dab sich ein ständiges Pfingsten ereigne, in dem, wie schon beim ersten Pfingsten, Maria ihren Platz haben wird«.83 In der Tat führt die Kraft des Heiligen Geistes die Kirche in die ganze Wahrheit ein (vgl. Joh
Jn 16,13) und läbt sie auf die Welt zugehen, damit sie mit vertrauensvoller Gewibheit Zeugnis gibt von Christus.


58 Das Wort, das aus dem Mund Gottes kommt, ist lebendig und kraftvoll und kehrt nie leer zu ihm zurück (vgl. Jes Is 55,11 He 4,12-13). Man mub es daher unaufhörlich verkünden, bei jeder Gelegenheit »dafür eintreten, ob man es hören will oder nicht [...] in unermüdlicher und geduldiger Belehrung« (2Tm 4,2). Das zuerst der Kirche anvertraute geschriebene Wort Gottes »darf nicht eigenmächtig ausgelegt werden« (2P 1,20); seine authentische Auslegung ist Sache der Kirche.84

Um zu erreichen, dab das Wort Gottes bekannt, geliebt, bedacht und im Herzen der Gläubigen bewahrt werde (vgl. Lk Lc 2,19 Lk Lc 2,51), ist es notwendig, die Anstrengungen für einen erleichterten Zugang zur Heiligen Schrift zu intensivieren, speziell durch Gesamt- oder Teilübersetzungen der Bibel, die möglichst in Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften erstellt werden und von Leseanleitungen für das Gebet und das Studium des Textes in Familie und Gemeinde begleitet sein sollen. Auberdem gilt es, für die Mitglieder des Klerus, für die Ordensleute, für die Katechisten und für die Laien im allgemeinen die Bibelausbildung zu fördern; für entsprechende Wortgottesdienste zu sorgen; das Bibelapostolat zu fördern mit Hilfe des biblischen Zentrums für Afrika und Madagaskar und anderer ähnlicher Einrichtungen, die auf allen Ebenen Unterstützung verdienen. Kurz gesagt, man wird trachten müssen, allen Gläubigen von Kindheit an die Heilige Schrift in die Hand zu geben.85

Dringlichkeit und Notwendigkeit der Inkulturation


59 Die Synodenväter haben wiederholt die besondere Bedeutung unterstrichen, die bei der Evangelisierung der Inkulturation zukommt, also jenem Prozeb, durch den »sich die Katechese in den unterschiedlichen Kulturen ?inkarniert'«.86 Die Inkulturation weist eine doppelte Dimension auf: einerseits »die innere Umwandlung der authentischen kulturellen Werte durch deren Einfügung ins Christentum« und andererseits »die Verwurzelung des Christentums in den verschiedenen Kulturen«.87 Die Synode betrachtet die Inkulturation als eine Priorität und Dringlichkeit im Leben der Teilkirchen für eine tatsächliche Verwurzelung des Evangeliums in Afrika,88 als »ein Erfordernis der Evangelisierung«,89 als »einen Weg zur vollen Evangelisierung«,90 als eine der gröbten Herausforderungen für die Kirche auf dem Kontinent angesichts des nahenden dritten Jahrtausends.91

Theologische Grundlagen


60 »Als aber die Zeit erfüllt war« (Ga 4,4), ist das Wort, zweite Person der Heiligen Dreifaltigkeit, Gottes eingeborener Sohn, »Fleisch geworden vom Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau, und ist Mensch geworden«.92 Das ist das erhabene Geheimnis von der Fleischwerdung des Wortes, ein Geheimnis, das in der Geschichte stattgefunden hat: unter genau feststehenden zeitlichen und räumlichen Umständen, in einem Volk, das über seine eigene Kultur verfügt, das Gott auserwählt und durch die ganze Heilsgeschichte begleitet hatte, um durch alles, was er in ihm vollbrachte, zu zeigen, was er für die ganze Menschheit zu tun beabsichtigte.

Als offenkundiger Beweis der Liebe Gottes zu den Menschen (vgl. Röm Rm 5,8) hat Jesus Christus mit seinem Leben, mit der den Armen verkündeten Frohbotschaft, mit dem Leiden, dem Tod und der glorreichen Auferstehung die Vergebung unserer Sünden und unsere Wiederversöhnung mit Gott, seinem Vater und, dank ihm, unserem Vater, erwirkt. Das Wort, das die Kirche verkündet, ist eben das menschgewordene Wort Gottes, er selbst ist Subjekt und Objekt dieses Wortes. Die Frohbotschaft ist Jesus Christus.

Wie »das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat« (Jn 1,14), so mub sich die Frohe Botschaft, das den Völkern verkündete Wort Jesu Christi, in das Lebensmilieu seiner Hörerhineinlassen. Die Inkulturation ist genau diese Einverleibung der Botschaft des Evangeliums in die Kulturen.93 Die Menschwerdung des Gottessohnes war in der Tat, eben weil sie vollständig und konkret war,94 auch Inkarnation in einer spezifischen Kultur.


61 In Anbetracht der engen, organischen Be- ziehung, die zwischen Jesus Christus und dem von der Kirche verkündeten Wort besteht, kann die Inkulturation der geoffenbarten Botschaft gar nicht umhin, der dem Geheimnis der Erlösung eigenen »Logik« zu folgen. Die Menschwerdung des Wortes stellt ja kein isoliertes Ereignis dar, sondern strebt auf »die Stunde« Jesu und das Ostergeheimnis zu: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Jn 12,24). »Und ich, sagt Jesus, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen« (Jn 12,32). Diese Selbstentäuberung, diese Kenosis, derer es für die Verherrlichung bedarf, der Weg Jesu und jedes seiner Jünger (vgl. Phil Ph 2,6-9) istLeuchtkraft für die Begegnung der Kulturen mit Christus und seinem Evangelium. »Jede Kultur mub von den Wer- ten des Evangeliums im Lichte des Ostergeheimnisses umgewandelt werden«.95

Mit dem Blick auf das Geheimnis der Menschwerdung und der Erlösung mub man zwischen den Werten und den Unwerten der Kulturen unterscheiden. Wie das Wort Gottes in allem uns ähnlich geworden ist auber der Sünde, so übernimmt die Inkulturation der Frohen Botschaft alle authentischen menschlichen Werte, reinigt sie von der Sünde und gibt ihnen ihre volle Bedeutung zurück.

Die Inkulturation besitzt auch tiefe Bande zum Pfingstgeheimnis. Durch die Ausgiebung und das Wirken des Heiligen Geistes, der Gaben und Talente vereint, erleben alle Völker der Erde, wenn sie in die Kirche eintreten, ein neues Pfingsten, bekennen in ihrer Sprache den einen Glauben an Jesus Christus und verkündigen die Wundertaten, die der Herr für sie vollbracht hat. Der Geist, der auf der natürlichen Ebene Urquelle der Weisheit der Völker ist, führt die Kirche durch eine übernatürliche Erleuchtung zur Erkenntnis der ganzen Wahrheit. Die Kirche ihrerseits wird, wenn sie die Werte der verschiedenen Kulturen aufnimmt, zur »sponsa ornata monilibus suis«, »Braut, die ihr Geschmeide anlegt« (Is 61,10).

Kriterien und Bereiche der Inkulturation


62 Das ist eine schwierige und heikle Aufgabe, denn sie stellt die Treue der Kirche zum Evangelium und zur apostolischen Überlieferung in der ständigen Entwicklung der Kulturen in Frage. Zu Recht haben die Synodenväter daher bemerkt: »Was die raschen kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen betrifft, so werden unsere Ortskirchen an einem immer wieder erneuerten Inkulturationsprozeb arbeiten und dabei folgende zwei Kriterien beachten müssen: die Vereinbarkeit mit der christlichen Botschaft und die Gemeinschaft mit der Universalkirche [...]. Auf jeden Fall wird man dafür sorgen müssen, jeden Synkretismus zu vermeiden«.96

»Als Weg zu einer vollständigen Evangelisierung zielt die Inkulturation darauf ab, den Menschen in die Lage zu versetzen, angesichts der vollen Anhänglichkeit an Gottvater und eines heiligmäbigen Lebens durch die Wirkung des Heiligen Geistes Jesus Christus in die Gesamtheit des persönlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Daseins aufzunehmen«.97

Indem die Synode Gott für die Früchte dankte, die die Anstrengungen der Inkulturation für das Leben der Kirchen des Kontinents, besonders für die alten orientalischen Kirchen Afrikas bereits erbracht haben, empfahl sie »den Bischöfen und allen Bischofskonferenzen, dem Umstand Rechnung zu tragen, dab die Inkulturation sämtliche Bereiche des Lebens der Kirche und der Evangelisierung einbezieht: Theologie, Liturgie, Leben und Aufbau der Kirche. Das alles unterstreicht, dab es einer Untersuchung im Bereich der afrikanischen Kulturen in ihrer ganzen Komplexität bedarf«. Aus diesem Grund hat die Synode die Hirten aufgefordert, »sich weitestgehend die vielfältigen Möglichkeiten zunutze zu machen, die die derzeitige Disziplin der Kirche diesbezüglich bereits vorsieht«.98

Kirche als Familie Gottes


63 Die Synode hat nicht nur von Inkulturation gesprochen, sondern hat sie auch konkret angewandt, wenn sie als Leitgedanken für die Evangelisierung Afrikas die Idee von der Kirche als Familie Gottes 99 übernahm. Darin erkannten die Sy- nodenväter einen für Afrika besonders passenden Ausdruck für das Wesen der Kirche. Dieser bildhafte Ausdruck betont nämlich die Sorge um den anderen, die Solidarität, die Herzlichkeit der Beziehungen, die Annahme, den Dialog und das Vertrauen.100 Die Neuevangelisierung wird daher den Aufbau der Kirche als Familieanstreben, wobei jeder Ethnozentrismus und jeder übertriebene Partikularismus ausgeschlossen und stattdessen versucht werden soll, auf die Aussöhnung und eine echte Gemeinschaft zwischen den verschiedenen Völkerschaften hinzuarbeiten durch Förderung der Solidarität und der Verteilung des Personals und der Mittel zwischen den Teilkirchen, ohne Ansehen der ethnischen Herkunft.101 »Man kann nur wünschen, dab die Theologen die Theologie von der Kirche als Familie erarbeiten, mit dem ganzen Reichtum, der diesem Begriff innewohnt, und dabei die Komplementarität dieses Begriffes durch andere Kirchenbilder entwickeln«.102

Das setzt ein gründliches Nachdenken über das biblische und das Erbe der Überlieferung voraus, wie es das II. Vatikanische Konzil in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium vorgestellt hat. Der wunderbare Text legt die Lehre über die Kirche dar und greift dabei auf Bilder aus der Heiligen Schrift zurück, wie Mystischer Leib, Volk Gottes, Tempel des Geistes, Herde und Schafstall, Haus, in dem Gott mit den Menschen wohnt. Nach Aussage des Konzils ist die Kirche Braut Christi und unsere Mutter, heilige Stadt und Anfang des künftigen Reiches. Diesen eindrucksvollen Bildern wird man aufgrund der Empfehlung der Synode Rechnung tragen müssen, wenn eine auf den Begriff Kirche als Familie Gottes eingestellte Ekklesiologie entwickelt werden soll.103 So wird man die Aussage, von der die Konzilskonstitution ausgeht, in ihrer ganzen Fülle und Dichte bewerten können: »Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heibt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit«.104

Anwendungsgebiete


64 Ohne jegliches Vorurteil gegenüber den Traditionen, die jeder Kirche, der lateinischen bzw. der orientalischen Kirche, eigen sind, wird man in der Praxis »die Inkulturation der Liturgievorantreiben müssen — wobei freilich dafür zu sorgen ist, dab an den wesentlichen Elementen nichts verändert wird —, damit das gläubige Volk die liturgischen Feiern besser verstehen und miterleben kann«.105

Die Synode hat zudem noch einmal beteuert, dab es auch dann, wenn sich trotz einer langen Periode der Evangelisierung die Lehre schwerlich assimilieren läbt oder wenn ihre praktische Handhabung ernste pastorale Probleme, vor allem im sakramentalen Leben, mit sich bringt, geboten ist, der Lehre der Kirche treu zu bleiben und gleichzeitig die Menschen in Gerechtigkeit und mit echter pastoraler Liebe zu respektieren. Unter dieser Voraussetzung hat die Synode den Wunsch ausgesprochen, die Bischofskonferenzen mögen, was die Fragen Ehe, Ahnenverehrung und Geisterwelt betrifft, in Zusammenarbeit mit den Universitäten und den katholischen Instituten Studienkommissionen ins Leben rufen, um alle kulturellen Aspekte der Probleme gründlich zu untersuchen, die sich unter theologischem, sakramentalem, rituellem und kirchenrechtlichem Gesichtspunkt stellen.106

Dialog


65 »Die Dialoghaltung ist die Verhaltensweise des Christen innerhalb seiner Gemeinschaft sowie gegenüber den anderen Gläubigen und Menschen guten Willens«.107 Der Dialog mub yor allem in der Kirhe als Familie gepflegt werden, und zwar auf allen Ebenen: zwischen Bischöfen, Bischofskonferenzen oder Versammlungen der Hierarchie und Apostolischem Stuhl, zwischen den Bischofskonferenzen bzw. Bischofsversammlungen der verschiedenen Nationen desselben Kontinents und jenen der anderen Kontinente und in jeder Teilkirche zwischen dem Bischof, dem Presbyterium, den Ordensleuten, den pastoralen Mitarbeitern und den gläubigen Laien; sowie auch zwischen den verschiedenen Riten innerhalb ein und derselben Kirche. S.E.C.A.M. soll für seine Ausstattung »mit Strukturen und Mitteln« sorgen, »die die Ausübung dieses Dialogs gewährleisten«,108 um insbesondere eine organisch gewachsene pastorale Solidarität zu fördern.

»In ihrem Zeugnis in Afrika mit Christus verbunden, sind die Katholiken eingeladen, einenökumenischen Dialog mit allen getauften Brüdern und Schwestern der anderen christlichen Konfessionen in Gang zu bringen, damit die Einheit, für die Christus gebetet hat, Wirklichkeit werde und auf diese Weise ihr Dienst an den Völkern des Kontinents das Evangelium in den Augen aller Männer und Frauen, die Gott suchen, glaubwürdiger mache«.109 Dieser Dialog kann konkrete Gestalt annehmen in Initiativen wie der ökumenischen Bibelübersetzung, der theologischen Vertiefung des einen oder anderen Aspekts des christlichen Glaubens oder auch durch das gemeinsam dargebrachte evangelische Zeugnis für die Gerechtigkeit, den Frieden und die Achtung der Menschenwürde. Man sollte sich daher um die Errichtung von Ökumenismus-Kommissionen auf nationaler und diözesaner Ebene kümmern.110 Die Christen sind gemeinsam für das Zeugnis des Evangeliums auf dem Kontinent verantwortlich. Die Fortschritte im Ökumenismus haben auch zum Ziel, diesem Zeugnis gröbere Wirksamkeit zu verleihen.


66 »Das Bemühen um den Dialog mub auch die Muslime guten Willens einbeziehen. Die Christen dürfen nicht vergessen, dab viele Muslime willens sind, den Glauben Abrahams nachzuahmen und nach den Vorschriften der Zehn Gebote zu leben«.111 In diesem Zusammenhang unterstreicht dieBotschaft der Synode, dab der lebendige Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde und Herr der Geschichte, der Vater der groben Menschheitsfamilie ist, der wir angehören. Als solcher will er, dab wir seine Zeugen sind, indem wir die Werte und religiösen Traditionen eines jeden achten, gemeinsam für die Förderung und Entwicklung des Menschen auf allen Ebenen arbeiten. Weit davon entfernt, jemand sein zu wollen, in dessen Namen andere Menschen sich umbringen, verpflichtet er die Gläubigen dazu, sich gemeinsam in den Dienst am Leben in Gerechtigkeit und Frieden zu stellen.112

Man wird daher besondere Aufmerksamkeit darauf legen müssen, dab der islamisch-christliche Dialog auf beiden Seiten die Ausübung der Religionsfreiheit respektiert, und zwar mit allem, was dazugehört, einschlieblich der äuberen, öffentlichen Glaubenskundgebungen.113 Christen und Muslime sind aufgerufen, sich um die Förderung eines Dialogs zu bemühen, der von den aus einer falschen Irenik oder einem militanten Fundamentalismus herrührenden Gefahren frei ist, und ihre Stimme ebenso gegen unlautere politische Mabnahmen und Praktiken zu erheben wie gegen jedes Fehlen tatsächlicher Reziprozität der Religionsfreiheit.114


67 Was die traditionelle afrikanische Religion betrifft, so wird ein offener und kluger Dialog einerseits vor negativen Einflüssen, die selbst die Lebensweise vieler Katholiken prägen, schützen können und andererseits die Übernahme positiver Werte, wie den Glauben an ein höchstes, ewiges Wesen, einen Schöpfer und vorsorglichen und gerechten Richter sicherstellen, die sich sehr wohl mit dem Inhalt des Glaubens in Einklang bringen lassen. Ja, sie können als eine Vorbereitung auf das Evangelium angesehen werden, da sie kostbare semina Verbi, Samenkörner des Wortes, enthalten, die, wie bereits in der Vergangenheit geschehen, imstande sind, eine grobe Anzahl von Personen zu veranlassen, »sich der Fülle der Offenbarung in Jesus Christus durch die Verkündigung des Evangeliums zu öffnen«.115

Es gilt daher, alle Anhänger der traditionellen Religion mit grober Achtung und Wertschätzung zu behandeln und jede unpassende und respektlose Redeweise zu vermeiden. Zu diesem Zweck soll an den Priesterseminaren und Ausbildungshäusern der Orden der erforderliche Unterricht über die traditionelle Religion gehalten werden.116

Volle menschliche Entfaltung


68 Die volle menschliche Entfaltung — die Entfaltung jedes Menschen und des ganzen Menschen, besonders des bedürftigsten und aus der Gemeinschaft ausgegrenzten — steht im Zentrum der Evangelisierung. »Zwischen Evangelisierung und menschlicher Entfaltung — Entwicklung und Befreiung — bestehen in der Tat enge Verbindungen. Verbindungen anthropologischer Natur, denn der Mensch, dem die Evangelisierung gilt, ist kein abstraktes Wesen, sondern sozialen und wirtschaftichen Problemen unterworfen. Verbindungen theologischer Natur, da man ja den Schöpfungsplan nicht vom Erlösungsplan trennen kann, der hineinreicht bis in die konkreten Situationen des Unrechts, das es zu bekämpfen, und der Gerechtigkeit, die es wiederherzustellen gilt. Verbindungen schlieblich jener ausgesprochen biblischen Ordnung, wie sie die der Liebe ist: Wie könnte man in der Tat das neue Gebot der Liebe verkünden, ohne in der Gerechtigkeit und im Frieden das wahre, echte Wachstum des Menschen zu fördern?«.117

So wählte der Herr Jesus, als er in der Synagoge von Nazaret sein öffentliches Wirken aufnahm, zur Erläuterung seiner Sendung den messianischen Text aus dem Buch des Jesaja: »Der Geist des Herrn ruht auf mir: denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht: damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe« (
Lc 4,18-19 vgl. Jes Is 61,1-2).

Der Herr sieht sich also als den, der gesandt worden ist, um das Elend der Menschen zu lindern und jede Form von Ausgrenzung zu bekämpfen. Er ist gekommen, den Menschen zu befreien; er ist gekommen, um unsere Leiden auf sich zu nehmen und unsere Krankheiten zu tragen: »In der Tat galt der ganze Dienst Jesu der Aufmerksamkeit für alle jene in seiner Umgebung, die von einem Leiden betroffen waren: Menschen in Leid und Schmerz, Lahme, Aussätzige, Blinde, Taube, Stumme (vgl. Mt Mt 8,17)«.118 »Es ist unmöglich, dab das Werk der Evangelisierung die äusserst schwierigen und heute so stark erörterten Fragen vernachlässigen kann und darf, die die Gerechtigkeit, die Befreiung, die Entwicklung und den Frieden in der Welt betreffen«:119 die Befreiung, die die Evangelisierung verkündet, »kann sich nicht einfach auf die begrenzte wirtschaftliche, politische, soziale oder kulturelle Dimension beschränken, sondern mub den ganzen Menschen in allen seinen Dimensionen sehen, einschlieblich seiner Öffnung auf das Absolute hin, das Gott ist«.120

Zu Recht führt das II. Vatikanische Konzil aus: »In Verfolgung ihrer eigenen Heilsabsicht vermittelt die Kirche nicht nur den Menschen das göttliche Leben, sondern läbt dessen Widerschein mehr oder weniger auf die ganze Welt fallen, vor allem durch die Heilung und Hebung der menschlichen Personwürde, durch die Festigung des menschlichen Gemeinschaftsgefüges, durch die Erfüllung des alltäglichen menschlichen Schaffens mit tieferer Sinnhaftigkeit und Bedeutung. So glaubt die Kirche durch ihre einzelnen Glieder und als ganze viel zu einer humaneren Gestaltung der Menschenfamilie und ihrer Geschichte beitragen zu können«.121 Die Kirche verkündet das Reich Gottes und beginnt es nach dem Beispiel Jesu zu verwirklichen, denn »die Natur des Reiches [ist] die Gemeinschaft aller Menschen untereinander und mit Gott«.122 So ist »das Reich Quelle der völligen Befreiung und des ganzen Heiles für die Menschen: Die Kirche lebt und geht mit ihnen in tiefer und wahrer Solidarität mit der Menschheitsgeschichte«.123


69 Die Geschichte der Menschen erhält ihre wahre Sinnhaftigkeit in der Menschwerdung des Wortes Gottes, die das Fundament der wiederhergestellten menschlichen Würde ist. Durch Christus, »Ebenbild des unsichtbaren Gottes, Erstgeborener der ganzen Schöpfung« (Col 1,15), ist der Mensch erlöst worden; ja, »der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaben mit jedem Menschen vereinigt«.124 Mub man da nicht mit dem hl. Leo dem Groben ausrufen: »Christ, werde dir deiner Würde bewubt«?125

Christus verkündigen heibt also dem Menschen seine unveräuberlihe Wrde offenbaren, die Gott durch die Menschwerdung seines eingeborenen Sohnes wiederhergestellt hat. Und das II. Vatikanische Konzil fährt fort: »Da es aber der Kirche anvertraut ist, das Geheimnis Gottes, des letzten Zieles der Menschen, offenkundig zu machen, erschliebt sie dem Menschen gleichzeitig das Verständnis seiner eigenen Existenz, das heibt die letzte Wahrheit über den Menschen und seine Bestimmung«.126

Da der Mensch nun einmal mit dieser unvergleichlichen Würde ausgestattet ist, kann er nicht unter menschenunwürdigen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Lebensbedingungen leben. Das ist die theologische Grundlage des Kampfes für die Verteidigung der Personwürde, für Gerechtigkeit und sozialen Frieden, für die Förderung, Befreiung und vollständige Entfaltung des Menschen und jedes Menschen. Das auch deshalb, weil mit Rücksicht auf diese Würde die Entwicklung der Völker — innerhalb jeder Nation und in den internationalen Beziehungen — aufsolidarische Weise erfolgen mub, wie mein Vorgänger Paul VI. äuberst treffend bemerkte.127 Genau aus dieser Sicht konnte er feststellen: »Entwicklung ist der neue Name für Friede«.128 Man kann also mit Recht sagen, dab »die volle Entwicklung und Entfaltung die Achtung der Menschenwürde voraussetzt, die sich nur in Gerechtigkeit und Frieden verwirklichen kann«.129


Ecclesia in Africa DE 51