Familiaris consortio DE 39

Die erste Erfahrung von Kirche


39 Die Erziehungsaufgabe verlangt, daß die christlichen Eltern den Kindern all das vermitteln, was für die stufenweise Reifung ihrer Persönlichkeit in christlicher und kirchlicher Hinsicht notwendig ist. Sie werden also den weiter oben angeführten erzieherischen Leitlinien folgen und sich bemühen, den Kindern aufzuzeigen, zu welcher Tiefe und welchem Reichtum der Glaube und die Liebe zu Jesus Christus sie zu führen vermögen. Ferner wird das Bewußtsein, daß der Herr ihnen das Heranwachsen eines Gotteskindes, eines Bruders, einer Schwester Christi, eines Tempels des Heiligen Geistes, eines Gliedes der Kirche anvertraut, die christlichen Eltern in ihrer Aufgabe bestärken, in der Seele ihrer Kinder das Geschenk der göttlichen Gnade zu festigen.

Das II. Vatikanische Konzil beschreibt den Inhalt der christlichen Erziehung auf folgende Weise: "Diese erstrebt nicht nur die (...) Reifung der menschlichen Person, sondern zielt hauptsächlich darauf ab, daß die Getauften, indem sie allmählich in das Heilsmysterium eingeführt werden, der empfangenen Gabe des Glaubens immer mehr bewußt werden. Sie sollen lernen, Gott, den Vater, im Geist und in der Wahrheit (vgl. Joh
Jn 4,23) vornehmlich durch die Mitfeier der Liturgie anzubeten und ihr eigenes Leben nach dem neuen Menschen in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit (Ep 4,22-24) zu gestalten. So sollen sie zur Mannesreife gelangen, zum Vollmaß des Alters Christi (vgl. Ep 4,13), und sich um den Aufbau des mystischen Leibes mühen. Überdies sollen sie sich im Bewußtsein ihrer Berufung darin einüben, Zeugnis abzulegen für die Hoffnung, die in ihnen ist (vgl.] 1P 3,15), und an der christlichen Weltgestaltung mitzuhelfen." (Gravissimum educationis GE 2).

Auch die Synode hat - im Anschluß an die Gedanken des Konzils und in deren Fortführung - die Erziehungsaufgabe der christlichen Familie als ein echtes Amt dargestellt, durch welches das Evangelium vermittelt und verbreitet wird bis zu dem Punkt, daß das Familienleben selbst zu einem Weg des Glaubens und in gewisser Weise christliche Initiation und Schule der Nachfolge Christi wird. "In der Familie, die sich dieses Geschenkes bewußt ist, verkünden alle Familienmitglieder das Evangelium, und es wird ihnen verkündet", wie Paul VI. schreibt (Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi EN 71, AAS 68 (1976) 60 f.).

Kraft dieses Erziehungsauftrags sind die Eltern durch ihr Lebenszeugnis die ersten Verkünder des Evangeliums für ihre Kinder. Mehr noch, sie werden, indem sie mit den Kindern beten, mit ihnen das Wort Gottes lesen und sie durch die christliche Initiation in das innerste Geheimnis des - eucharistischen und kirchlichen - Leibes Christi eingliedern, auf vollkommene Weise Eltern, das heißt, Eltern nicht nur des leiblichen Lebens, sondern auch desjenigen, das durch die Erneuerung im Heiligen Geist aus Christi Kreuz und Auferstehung strömt.

Damit die christlichen Eltern ihren erzieherischen Auftrag würdig erfüllen können, haben die Synodalen den Wunsch geäußert, daß ein geeigneter Familienkatechismus erarbeitet werde: klar und kurz und so gestaltet, daß er von allen leicht angeeignet werden kann. Die Bischofskonferenzen wurden herzlich gebeten, sich für die Schaffung eines solchen Katechismus einzusetzen.

Beziehungen zu anderen Erziehungsinstanzen


40 Die Familie ist die erste, aber nicht die einzige und ausschließliche Erziehungsgemeinschaft: Die soziale Dimension des Menschen, zivil und kirchlich gesehen, verlangt und bedingt von sich aus ein umfassenderes, gegliedertes Werk als Ergebnis der geordneten Zusammenarbeit verschiedener Erziehungsinstanzen. Diese Instanzen sind alle notwendig, wenn auch jede einzelne nach der jeweiligen Kompetenz ihren speziellen Beitrag leisten kann und muß (Gravissimum educationis GE 3).

Die Erziehungsaufgabe der christlichen Familie hat daher in einer Gesamtpastoral einen bedeutenden Platz; das beinhaltet eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen den Eltern und den christlichen Gemeinschaften, zwischen den verschiedenen Erziehungsgruppen und den Seelsorgern. In diesem Sinn muß bei der Erneuerung der katholischen Schule eine besondere Aufmerksamkeit sowohl den Eltern der Schüler als auch der Formung des Lehrkörpers zu einer idealen erzieherischen Gemeinschaft geschenkt werden.

Das Recht der Eltern auf die freie Wahl einer Erziehung, die mit ihrem religiösen Glauben in Einklang steht, muß unbedingt gewährleistet sein.

Der Staat und die Kirche haben die Pflicht, den Familien alle möglichen Hilfen zu geben, damit sie ihre Erziehungsaufgaben in angemessener Weise wahrnehmen können. Dafür müssen beide jene Institutionen und Aktivitäten schaffen und fördern, die die Familien berechtigterweise fordern; die Hilfe muß der Hilfsbedürftigkeit der Familien entsprechen. Dabei dürfen all jene, denen in der Gesellschaft die Schulen anvertraut sind, niemals vergessen, daß die Eltern von Gott selbst als die ersten und hauptsächlichen Erzieher der Kinder bestellt sind und daß ihr Recht ganz und gar unveräußerlich ist.

Diesem Recht aber entspricht bei den Eltern die schwere Pflicht, mit ganzem Einsatz ein herzliches und aktives Verhältnis zu den Lehrern und Schulleitern zu pflegen.

Wenn in den Schulen Ideologien gelehrt werden, die zum christlichen Glauben in Widerspruch stehen, muß die Familie zusammen mit anderen Familien, wenn möglich durch Familienvereinigungen, mit allen Kräften und mit Klugheit den Jugendlichen helfen, sich nicht dem Glauben zu entfremden. In diesem Fall hat die Familie besondere Hilfen vonseiten der Seelsorger nötig, die nicht vergessen dürfen, daß die Eltern das unverletzliche Recht haben, ihre Kinder der kirchlichen Gemeinschaft anzuvertrauen.

Ein vielfältiger Dienst am Leben


41 Die fruchtbare eheliche Liebe bringt ihren Dienst am Leben in vielfältigen Formen zum Ausdruck, von denen die Zeugung und die Erziehung die unmittelbarsten, die eigentlichsten und unersetzbarsten sind. In der Tat, jeder Akt echter Liebe zum Menschen bezeugt und vervollkommnet die geistige Fruchtbarkeit der Familie, weil er sich von der tiefen inneren Dynamik der Liebe als Hingabe seiner selbst an die anderen leiten läßt.

An diesem Zusammenhang, der für alle von großem Wert und voller Verpflichtung ist, werden sich besonders jene Eheleute orientieren, denen Kinder versagt geblieben sind.

Die christlichen Familien, die im Glauben alle Menschen als Kinder des gemeinsamen Vaters im Himmel erkennen, werden sich auch hochherzig den Kindern anderer Familien zuwenden und ihnen nicht als Fremde, sondern als Gliedern der einen Familie der Kinder Gottes ihre Hilfe und Liebe schenken. Die christlichen Eltern können auf diese Weise ihre Liebe über die Bande der Blutsverwandtschaft hinaus ausweiten und jene Verbundenheit fördern, die im Geistigen ihre Wurzeln hat und sich im konkreten Dienst an den Kindern anderer Familien entfaltet, denen oft sogar das Notwendigste fehlt.

Die christlichen Familien werden eine größere Bereitschaft zu Adoption oder Annahme von Kindern zu finden wissen, die ihrer Eltern beraubt oder von ihnen verlassen worden sind. Während diese Kinder dadurch, daß sie die affektive Geborgenheit einer Familie wiederfinden, Gott als den liebenden und fürsorgenden Vater, wie er von den christlichen Eltern bezeugt wird, erfahren und so unbeschwert und mit Vertrauen zum Leben aufwachsen können, wird die ganze Familie durch die reichen geistigen Früchte einer umfassenderen Brüderlichkeit beschenkt.

Die Fruchtbarkeit der Familien muß stets schöpferisch sein - als wunderbare Frucht des Geistes Gottes, der die Augen des Herzens öffnet, um die neuen Bedürfnisse und Leiden unserer Gesellschaft zu entdecken, und dazu ermutigt, sich ihrer anzunehmen und eine Antwort darauf zu geben. Hier tut sich den Familien ein weites Wirkungsfeld auf; noch besorgniserregender als die Vernachlässigung von Kindern ist heute nämlich das Phänomen der sozialen und kulturellen Verdrängung an den Rand der Gesellschaft, welche die Alten, Kranken, Behinderten, Süchtigen, Haftentlassenen und viele andere schmerzlich trifft.

Auf diese Weise weitet sich der Horizont der Vaterschaft und Mutterschaft der christlichen Familien ganz entscheidend; ihre geistig fruchtbare Liebe wird von den genannten und vielen anderen Nöten unserer Zeit herausgefordert. Mit den Familien und durch sie übt der Herr weiter "Mitleid mit den Menschen".

III. Die Teilnahme der Familie an der gesellschaftlichen Entwicklung

Die Familie als Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft


42 "Der Schöpfer aller Dinge hat die eheliche Gemeinschaft zum Ursprung und Fundament der menschlichen Gesellschaft bestimmt" ; so ist die Familie die "Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft" geworden (II. Vat. Konzil, Dekret über das Apostolat der Laien Apostolicam actuositatem AA 11).

Die Familie ist in lebendiger, organischer Weise mit der Gesellschaft verbunden; denn durch ihren Auftrag, dem Leben zu dienen, bildet sie deren Grundlage und ständigen Nährboden. In der Familie wachsen ja die Bürger heran, und dort finden sie auch ihre erste Schule für jene sozialen Tugenden, die das Leben und die Entwicklung der Gesellschaft von innen her tragen und gestalten.

So ergibt sich aus der Natur und Berufung der Familie, daß sie sich auf keinen Fall in sich selbst verschließen darf, sondern sich vielmehr auf die anderen Familien und die Gesellschaft hin öffnen und so ihre gesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen muß.

Das Familienleben als Erfahrung von Gemeinschaft und Anteilnahme


43 Gerade die Erfahrung von Gemeinschaft und Anteilnahme, die das tägliche Leben in der Familie prägen soll, stellt auch ihren ersten und grundlegenden Beitrag für die Gesellschaft dar.

Die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Familiengemeinschaft werden vom Gesetz des unentgeltlichen Schenkens geprägt und geleitet, das in allen und in jedem einzelnen die Personwürde als einzig entscheidenden Wertmaßstab achtet und fördert, woraus dann herzliche Zuneigung und Begegnung im Gespräch, selbstlose Einsatzbereitschaft und hochherziger Wille zum Dienen sowie tiefempfundene Solidarität erwachsen können.

So wird die Förderung einer echten und reifen Gemeinschaft von Personen in der Familie zu einer ersten unersetzlichen Schule für gemeinschaftliches Verhalten, zu einem Beispiel und Ansporn für weiterreichende zwischenmenschliche Beziehungen im Zeichen von Achtung, Gerechtigkeit, Dialog und Liebe.

Auf diese Weise ist die Familie, wie die Väter der Synode in Erinnerung gerufen haben, der ursprüngliche Ort und das wirksamste Mittel zur Humanisierung und Personalisierung der Gesellschaft; sie wirkt auf die ihr eigene und tiefreichende Weise mit bei der Gestaltung der Welt, indem sie ein wahrhaft menschliches Leben ermöglicht, und das vor allem durch den Schutz und die Vermittlung von Tugenden und Werten. Nach den Worten des II. Vatikanischen Konzils "leben in der Familie verschiedene Generationen zusammen und helfen sich gegenseitig, um zu größerer Weisheit zu gelangen und die Rechte der einzelnen Personen mit den anderen Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Lebens zu vereinbaren" (Gaudium et Spes
GS 52).

Angesichts einer Gesellschaft, die in Gefahr ist, den Menschen immer mehr seiner personalen Einmaligkeit zu berauben und zur "Masse" zu machen und so selbst unmenschlich und menschenfeindlich zu werden mit der negativen Folge so vieler Fluchtversuche - wie zum Beispiel Alkoholismus, Drogen und auch Terrorismus -, besitzt und entfaltet die Familie auch heute noch beträchtliche Energien, die imstande sind, den Menschen seiner Anonymität zu entreißen, in ihm das Bewußtsein seiner Personwürde wachzuhalten, eine tiefe Menschlichkeit zu entfalten und ihn als aktives Mitglied in seiner Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der Gesellschaft einzugliedern.

Der gesellschaftliche und politische Auftrag


44 Der gesellschaftliche Auftrag der Familie darf sich gewiß nicht auf Zeugung und Erziehung beschränken, auch wenn er darin seine erste und unersetzliche Ausdrucksweise findet.

Die Familien können und müssen sich deshalb - einzeln oder im Verband - vielfältigen gesellschaftlichen Aufgaben widmen, vor allem im Dienst an den Armen und allgemein an jenen Personen und Lebenssituationen, welche die öffentliche Organisation der Vorsorge und Fürsorge nicht zu erreichen vermag.

Der soziale Beitrag der Familie hat seinen besonderen Charakter, der noch mehr bewußt gemacht und stärker gefördert werden muß; und das vor allem, während die Kinder allmählich heranwachsen, so daß möglichst alle Glieder der Familie wirksam einbezogen werden (Apostolicam actuositatem
AA 11).

Im einzelnen muß die wachsende Bedeutung hervorgehoben werden, die in der heutigen Gesellschaft der Gastfreundschaft in all ihren Formen zukommt, vom Öffnen der Tür des eigenen Hauses und noch mehr des eigenen Herzens für die Anliegen der Mitmenschen bis hin zum konkreten Einsatz, jeder Familie das eigene Heim zu sichern als naturgegebenen Ort für ihr Bestehen und Wachsen. Vor allem die christliche Familie ist berufen, die Aufforderung des Apostels zu beherzigen: "Gewährt jederzeit Gastfreundschaft!" (Rm 12,13) und nach dem Vorbild und in der Liebe Christi den notleidenden Bruder aufzunehmen: "Wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist - amen, ich sage euch: Er wird gewiß nicht um seinen Lohn kommen" (Mt 10,42).

Der gesellschaftliche Auftrag der Familie soll sich auch in Formen politischen Handelns äußern, das heißt, die Familien müssen als erste sich dafür einsetzen, daß die Gesetze und Einrichtungen des Staates die Rechte und Pflichten der Familie nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern positiv stützen und verteidigen. In diesem Sinne sollen die Familien sich dessen immer mehr bewußt werden, daß in erster Linie sie selbst im Bereich der sogenannten "Familienpolitik" die Initiative ergreifen müssen; sie sollen die Verantwortung für die Veränderung der Gesellschaft übernehmen. Sonst werden die Familien die ersten Opfer jener Übel sein, die sie vorher nur gleichgültig betrachtet haben. Der Appell des II. Vatikanischen Konzils, die individualistische Ethik zu überwinden, hat darum seine Bedeutung auch für die Familie als solche (Vgl. Gaudium et Spes GS 30).

Die Gesellschaft im Dienst an der Familie


45 Wie die sehr enge Verbindung zwischen Familie und Gesellschaft die Öffnung der Familie für die Gesellschaft und ihre Teilnahme an deren Entwicklung erfordert, so verlangt sie umgekehrt, daß die Gesellschaft stets ihrem grundlegenden Auftrag nachkommt, ihrerseits die Familie zu achten und zu fördern.

Gewiß ergänzen Familie und Gesellschaft einander bei der Verteidigung und Förderung des Wohles aller und jedes einzelnen. Aber die Gesellschaft, und hier vor allem der Staat, muß anerkennen, daß die Familie "eine Gemeinschaft eigenen und ursprünglichen Rechtes" (II. Vat. Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae
DH 5) ist, und hat deshalb die ernste Verpflichtung, sich in den jeweiligen Beziehungen zur Familie an das Subsidiaritätsprinzip zu halten.

Kraft dieses Prinzips kann und darf der Staat nicht den Familien jene Aufgaben entziehen, welche diese als einzelne oder im freien Verband ebensogut erfüllen können, sondern muß soweit wie irgend möglich die eigenverantwortliche Initiative der Familien fördern und anregen. In der Überzeugung, daß das Wohl der Familie einen unersetzlichen und unverzichtbaren Wert für das Zusammenleben der Bürger darstellt, müssen die staatlichen Autoritäten ihr möglichstes tun, um den Familien alle jene Hilfen auf wirtschaftlichem, sozialem, erzieherischem, politischem und kulturellem Gebiet zu sichern, die sie brauchen, um in menschenwürdiger Weise ihrer vollen Verantwortung nachkommen zu können.

Die Charta der Familienrechte


46 Das Ideal gegenseitiger Hilfe und Förderung zwischen Familie und Gesellschaft stößt oft, und zwar sehr massiv, auf die harte Wirklichkeit, daß beide voneinander getrennt, ja sogar in einen Gegensatz zueinander geraten sind.

In der Tat, so beklagt es die Synode immer wieder, ist die Lage sehr vieler Familien in verschiedenen Ländern mit zahlreichen Problemen verbunden, ja oft genug ausgesprochen belastet: Institutionen und Gesetze mißachten willkürlich die unverletzlichen Rechte der Familie, ja der menschlichen Person, und die Gesellschaft geht, anstatt sich in den Dienst der Familie zu stellen, gegen deren Werte und Grundbedürfnisse gewaltsam vor. Die Familie, die im Plane Gottes die erste Lebenszelle der Gesellschaft und noch vor dem Staat und jeder anderen Gemeinschaft Träger von Rechten und Pflichten ist, wird so zum Opfer einer Gesellschaft, deren Hilfsmaßnahmen oft schleppend oder zu spät kommen, und die ihr gegenüber sogar offenkundige Ungerechtigkeiten begeht.

Darum verteidigt die Kirche offen und nachdrücklich die Rechte der Familie vor den untragbaren Anmaßungen der Gesellschaft und des Staates. Im einzelnen haben die Väter der Synode unter anderem folgende Rechte der Familie genannt:

1. das Recht, als Familie zu leben und sich zu entwickeln, das heißt das Recht jedes Menschen, besonders auch der Armen, eine Familie zu gründen und sie mit den nötigen Mitteln zu unterhalten;
2. das Recht, die eigene Verantwortung in der Weitergabe des Lebens und in der Erziehung der Kinder wahrzunehmen;
3. das Recht auf Intimität für den ehelichen und familiären Bereich;
4. das Recht auf Dauerhaftigkeit der ehelichen Bindung und Institution;
5. das Recht, einen Glauben zu haben, ihn zu bekennen und zu verbreiten;
6. das Recht, die Kinder nach den eigenen religiösen wie kulturellen Traditionen und Werten mit den notwendigen Hilfen, Mitteln und Einrichtungen zu erziehen;
7. das Recht auf leibliche, soziale, politische und wirtschaftliche Sicherheit, besonders der Armen und der Kranken;
8. das Recht auf eine geeignete Wohnung, die ein angemessenes Familienleben ermöglicht;
9. das Recht, die eigenen Anliegen vor den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Behörden auf oberer und unterer Ebene auszudrücken und zu vertreten, sei es persönlich oder mit Hilfe von Verbänden;
10. das Recht, mit anderen Familien und Institutionen Verbände zu bilden, um die eigenen Aufgaben gut und schnell erfüllen zu können;
11. das Recht, die Minderjährigen vor schädlichen Drogen, Pornographie, Alkoholismus usw. mit Hilfe von entsprechenden Einrichtungen und Gesetzgebungen zu schützen;
12. das Recht auf eine sinnvolle Freizeit, die auch die Werte der Familie fördert;
13. das Recht der alten Menschen auf ein menschenwürdiges Leben und Sterben;
14. das Recht, als Familie auswandern zu können, um bessere Lebensbedingungen zu suchen. (Vgl. Propositio 42).
Der Heilige Stuhl wird die ausdrückliche Bitte der Synode aufgreifen und diese Anregungen durch die Erstellung einer "Charta der Familienrechte" weiterführen, die den in Frage kommenden Gremien und Autoritäten überreicht werden soll.


Gnade und Verantwortung der christlichen Familie


47 Der gesellschaftliche Auftrag, der jeder Familie eigen ist, kommt der christlichen Familie, die auf das Ehesakrament gegründet ist, aus einem neuen und eigenständigen Grunde zu. Indem dieses Sakrament die menschliche Wirklichkeit ehelicher Liebe in all ihren Bezügen aufgreift, befähigt und verpflichtet es die christlichen Ehegatten und Eltern, ihre Berufung als Laien zu erleben, und so "in der Behandlung und gottgewollten Gestaltung der weltlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen" (Lumen gentium LG 31).

Der gesellschaftliche und politische Auftrag gehört zu jener königlichen, dienenden Sendung, an der die christlichen Eheleute kraft des Ehesakramentes teilhaben. Dabei erhalten sie einen Auftrag, dem sie sich nicht entziehen können, und empfangen zugleich eine Gnade, die sie darin stützt und ermutigt.

So ist die christliche Familie dazu berufen, allen Zeugnis zu geben von einem hochherzigen und selbstlosen Einsatz für die sozialen Probleme, vorzugsweise zugunsten der Armen und Verstoßenen. Auf dem Wege der Nachfolge des Herrn in einer tiefen Liebe zu allen Armen muß die christliche Familie darum in besonderer Weise ein Herz haben für die Hungernden, die Bedürftigen, die Alten, die Kranken, die Süchtigen, die Alleinstehenden.

Für eine neue internationale Ordnung


48 Angesichts der weltweiten Dimension, die die verschiedenen sozialen Probleme heute aufweisen, erfährt die Familie, wie sich ihr Auftrag für die Entwicklung der Gesellschaft in bisher nicht gekannten Ausmaßen erweitert. Es geht darum, auch an einer neuen internationalen Ordnung mitzuwirken; denn nur in weltweiter Solidarität können die ungeheuren dramatischen Probleme der Gerechtigkeit in der Welt, der Freiheit der Völker und des Friedens unter den Menschen angegangen und gelöst werden.

Die geistige Gemeinschaft der christlichen Familien, die im selben Glauben und in der gemeinsamen Hoffnung wurzeln und von der Liebe belebt werden, bildet eine innere Energie, die unter den Menschen Gerechtigkeit und Versöhnung, Brüderlichkeit und Frieden aufkeimen, sich ausbreiten und entfalten läßt. Als "kleine Kirche" ist die christliche Familie, ähnlich wie die "große Kirche", dazu berufen, Zeichen der Einheit für die Welt zu sein und so ihr prophetisches Amt auszuüben, indem sie Christi Herrschaft und Frieden bezeugt, woraufhin die ganze Welt unterwegs ist.

Die christlichen Familien können dies durch ihr erzieherisches Wirken tun, indem sie ihren Kindern das Beispiel eines Lebens geben, das sich auf die Werte der Wahrheit und Freiheit, der Gerechtigkeit und der Liebe gründet, oder durch einen aktiven und verantwortlichen Einsatz für echt menschliches Wachsen der Gesellschaft und ihrer Institutionen oder auch durch verschiedene Formen der Unterstützung von Vereinigungen, die sich in besonderer Weise den Problemen der internationalen Ordnung widmen.

IV. Die Teilnahme der Familie am Leben und an der Sendung der Kirche


Die Familie im Geheimnis der Kirche


49 Zu den grundlegenden Aufgaben der christlichen Familie gehört ihr kirchlicher Auftrag: Sie ist zum Dienst am Aufbau des Reiches Gottes in der Geschichte berufen, indem sie am Leben und an der Sendung der Kirche teilnimmt.

Um die Grundlagen, Inhalte und Eigenschaften dieser Teilnahme besser zu verstehen, muß man den vielfältigen tiefen Bindungen zwischen der Kirche und der christlichen Familie nachgehen, durch die diese zu einer "Kirche im kleinen" (Ecclesia domestica - Hauskirche) (Lumen gentium
LG 11 vgl. Dekret über das Apostolat der Laien Apostolicam actuositatem AA 11 Johannes Paul II.,Homilie zur Eröffnung der VI. Bischofssynode AA 3, AAS AA 72 AA 1008) wird und in ihrer Weise ein lebendiges Bild und eine Vergegenwärtigung des Geheimnisses der Kirche in der Zeit darstellt.

Es ist zunächst die Mutter Kirche, welche der christlichen Familie das Leben schenkt, sie erzieht und wachsen läßt, indem sie die Heilssendung, die sie von ihrem Herrn empfangen hat, an der Familie vollzieht. Durch die Verkündigung des Wortes Gottes enthüllt die Kirche der christlichen Familie deren wahre Identität, das, was sie nach dem Plan des Herrn ist und sein soll. Durch die Feier der Sakramente bereichert und bestärkt die Kirche die christliche Familie mit der Gnade Christi, damit sie heilig werde zur Ehre Gottes, des Vaters. Durch die unablässige Verkündigung des neuen Gebotes der Liebe inspiriert und führt die Kirche die christliche Familie zur dienenden Liebe, auf daß sie dieselbe sich verschenkende und aufopfernde Liebe, die der Herr Jesus Christus für die ganze Menschheit hegt, nachvollziehe und lebe.

Die christliche Familie ihrerseits ist dem Geheimnis der Kirche so tief eingefügt, daß sie auf ihre Art an deren Heilssendung teilnimmt: Die christlichen Ehegatten und Eltern haben kraft des Sakramentes "in ihrem Lebensstand und in ihrem Wirkbereich ihre besondere Gabe im Gottesvolk" (Lumen gentium LG 11). Darum empfangen sie nicht nur die Liebe Christi und werden dadurch eine erlöste Gemeinschaft, sondern sind auch dazu berufen, diese Liebe Christi an die Mitmenschen weiterzugeben und so auch erlösende Gemeinschaft zu werden. Während die christliche Familie so Frucht und Erweis der übernatürlichen Fruchtbarkeit der Kirche ist, wird sie zugleich Symbol und Zeugin für diese Mutterschaft der Kirche, an der sie aktiv teilnimmt (Vgl.ebd., 41).

Ein besonderer und eigener kirchlicher Auftrag


50 Die christliche Familie ist dazu berufen, aktiv und verantwortlich an der Sendung der Kirche mit einem besonderen und eigenen Beitrag teilzunehmen, indem sie sich selber mit ihrem Sein und Handeln als innige Liebes- und Lebensgemeinschaft in den Dienst an Kirche und Gesellschaft stellt.

Wenn die christliche Familie eine Gemeinschaft ist, deren innere Bindungen von Christus durch den Glauben und die Sakramente auf eine neue Ebene erhoben sind, muß ihre Teilnahme an der Sendung der Kirche eine gemeinschaftliche Note tragen. Gemeinsam also, die Gatten als Ehepaar und die Eltern mit den Kindern als Familie, müssen sie ihren Dienst für Kirche und Welt vollziehen. Sie müssen im Glauben "ein Herz und eine Seele" sein (
Ac 4,32) durch die gemeinsame apostolische Gesinnung, die sie beseelt, und durch die Zusammenarbeit, die sie bei ihrem Einsatz im Dienst an der kirchlichen und bürgerlichen Gemeinschaft verbindet.

Die christliche Familie erbaut das Reich Gottes in der Geschichte ferner durch dieselben täglichen Wirklichkeiten, die ihre besondere Lebenssituation betreffen und prägen. So ist es gerade die Liebe in Ehe und Familie mit ihrem außerordentlichen Reichtum an Werten und Aufgaben im Zeichen der Ganzheit und Einmaligkeit, der Treue und der Fruchtbarkeit (Vgl. Paul VI., Enzyklika Humanae vitae HV 9, AAS 60 (1968) 486 f.), durch die sich die Teilnahme der christlichen Familie an der prophetischen, priesterlichen und königlichen Sendung Jesu Christi und seiner Kirche ausdrückt und verwirklicht; Liebe und Leben bilden deshalb den Wesenskern der Heilssendung der christlichen Familie in der Kirche und für die Kirche.

Daran erinnert das II. Vatikanische Konzil, wenn es schreibt: "Von ihrem reichen geistlichen Leben soll die Familie auch anderen Familien in hochherziger Weise mitgeben. Daher soll die christliche Familie - entsteht sie doch aus der Ehe, die das Bild und die Teilhabe am Liebesbund Christi mit der Kirche ist - die lebendige Gegenwart des Erlösers in der Welt und die wahre Natur der Kirche allen kundmachen sowohl durch die Liebe der Gatten, in hochherziger Fruchtbarkeit, in Einheit und Treue als auch in der bereitwilligen Zusammenarbeit aller ihrer Glieder" (Gaudium et Spes GS 48).

Nachdem so das Fundament für die Teilnahme der christlichen Familie an der Sendung der Kirche dargelegt ist, soll nun im folgenden ihr Inhalt aufgewiesen werden, und zwar in seinem dreifachen Bezug auf Jesus Christus, den Propheten, Priester und König; damit soll die christliche Familie 1) als glaubende und verkündende Gemeinschaft, 2) als Gemeinschaft im Dialog mit Gott sowie 3) als Gemeinschaft im Dienst am Menschen dargestellt werden.

1) Die christliche Familie als glaubende und verkündende Gemeinschaft

Der Glaube läßt den Plan Gottes für die Familie entdecken und bewundern


51 Durch die Teilnahme am Leben und an der Sendung der Kirche, die das Wort Gottes hörend empfängt und es mit festem Vertrauen verkündet (Vgl. Dei Verbum DV 1), lebt die christliche Familie ihren prophetischen Auftrag, indem auch sie das Wort Gottes annimmt und weitergibt. So wird sie von Tag zu Tag mehr zu einer gläubigen und verkündenden Gemeinschaft.

Auch von den christlichen Ehegatten und Eltern ist der Gehorsam des Glaubens gefordert (Vgl. Rm 16,26). Sie sind dazu aufgerufen, das Wort Gottes anzunehmen, das ihnen die herrliche Neuheit - die Frohe Botschaft - ihres Lebens in Ehe und Familie verkündet, welches durch Christus Heil empfängt und wirkt. Denn nur im Glauben können sie ja wahrnehmen und in froher Dankbarkeit bewundern, zu welcher Würde Gottes heiliger Wille Ehe und Familie erhoben hat, indem er sie zum Zeichen und Ort des Liebesbundes zwischen Gott und den Menschen, zwischen Jesus Christus und seiner Braut, der Kirche, gemacht hat.

Bereits die Vorbereitung auf eine christliche Ehe stellt sich als ein Glaubensweg dar. Sie bietet eine hervorragende Gelegenheit, daß die Verlobten den Glauben, den sie in der Taufe empfangen und während ihrer christlichen Erziehung entfaltet haben, neu entdecken und vertiefen. Auf diese Weise anerkennen und übernehmen sie in Freiheit die Berufung, im Ehestand Christus nachzufolgen und dem Reiche Gottes zu dienen.

Grundlegende Bedeutung für den Glauben der Brautleute hat die Feier des Ehesakramentes, das in seinem inneren Wesen Verkündigung der Frohbotschaft über die eheliche Liebe in der Kirche ist. Es ist Gottes Wort, das seinen weisen und liebenden Plan für die Brautleute enthüllt und vollzieht, der sie zur geheimnisvollen, aber realen Teilnahme an der Liebe Gottes zur Menschheit führt. Wenn die Trauung in sich selbst Verkündigung des Wortes Gottes ist, muß sie bei allen, die die Feier tragen oder mitvollziehen, zu einem Glaubensbekenntnis werden, das in der Kirche, der Gemeinschaft der Glaubenden, und zusammen mit ihr abgelegt wird.

Dieses Glaubensbekenntnis will im Laufe des Lebens der Ehegatten und der Familie weitervollzogen werden; Gott, der die Gatten zur Ehe berufen hat, ruft sie in der Ehe weiterhin an (Vgl. Paul VI., Enzyklika Humanae vitae HV 25, AAS 60 (1968) 498). Durch die Ereignisse, Probleme, Schwierigkeiten des täglichen Lebens und in diesen begegnet ihnen Gott, der ihnen die konkreten Anforderungen vor Augen stellt, die sich im Hinblick auf ihre jeweilige familiäre, gesellschaftliche und kirchliche Lage aus ihrer Teilnahme an der Liebe Christi zu seiner Kirche ergeben.

Die Entdeckung und Befolgung des Planes Gottes muß in Ehe und Familie gemeinschaftlich geschehen durch die menschliche Erfahrung der Liebe, die im Geiste Christi zwischen den Gatten, zwischen den Eltern und Kindern gelebt wird.

Aus diesem Grunde muß, wie die "große Kirche", auch die kleine Hauskirche ständig und gründlich in die Frohbotschaft tiefer eingeführt werden. Hieraus ergibt sich die Aufgabe einer fortwährenden Glaubenserziehung.

Der Verkündigungsauftrag der christlichen Familie


52 In dem Maße, wie die christliche Familie das Evangelium annimmt und im Glauben reift, wird sie zu einer verkündigenden Gemeinschaft. Paul VI. hat hierzu gesagt: "Die Familie muß wie die Kirche ein Raum sein, wo die Frohbotschaft weitergegeben wird und überzeugend aufleuchtet. Im Schoß einer Familie, die sich dieser Sendung bewußt ist, verkünden alle Familienmitglieder das Evangelium und empfangen es zugleich voneinander. Die Eltern vermitteln nicht nur ihren Kindern die Frohbotschaft, sondern auch die Kinder können diese ihren Eltern in besonderer Lebendigkeit wiederschenken. Eine solche Familie wirkt verkündigend auch auf viele andere Familien und auf die gesamte Umwelt, in der sie lebt" (Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi EN 71, AAS 68 (1976) 60 f).

Wie die Synode betonte, indem sie meinen Appell von Puebla wiederholte, wird die Evangelisierung in Zukunft zu einem großen Teil von der "Hauskirche" abhängen (Vgl. Ansprache an die III. Vollversammlung der Bischöfe von Lateinamerika (28.1.1979), IV a: AAS 71 (1979) 204). Diese apostolische Sendung der Familie wurzelt in der Taufe und empfängt durch die sakramentale Gnade der Ehe eine neue Kraft, die heutige Gesellschaft nach den Absichten Gottes zu heiligen und zu verändern.

Vor allem heute hat die christliche Familie eine besondere Berufung, den Bund mit dem auferstandenen Herrn zu bezeugen, indem sie beständig die Freude erkennen läßt, die aus der Liebe entsteht, und die Gelassenheit, die aus der Hoffnung kommt, von der sie Rechenschaft geben soll: "Die christliche Familie verkündet mit lauter Stimme die gegenwärtige Wirkkraft des Reiches Gottes wie auch die Hoffnung auf das ewige Leben" (Lumen gentium LG 35).

Die absolute Notwendigkeit einer Katechese im Rahmen der Familie ergibt sich mit besonderer Dringlichkeit in bestimmten Situationen, welche die Kirche mit Bedauern mancherorts vorfindet: "Dort, wo eine antireligiöse Gesetzgebung jede andere Form der Glaubenserziehung zu verhindern sucht oder wo verbreiteter Unglaube oder eine uferlose Verweltlichung ein wirksames Wachstum im Glauben praktisch unmöglich machen, bleibt die sogenannte Hauskirche der einzige Ort, an dem Kinder und Jugendliche eine echte Glaubensunterweisung erhalten können" (Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Catechesi tradendae CTR 68, AAS 71 (1979) 1334).


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