Generalaudienz 2001 40

Mittwoch, 25. Juli 2001



Lesung: Tob 13,2.6.7.9 - 10a

Der Herr bestraft und rettet

1. »Ich will meinen Gott rühmen, den König des Himmels« (Tb 13,9). Der Mensch, der diese Worte im soeben verkündeten Canticum ausspricht, ist der betagte Tobit, von dem das Alte Testament in dem nach seinem Sohn Tobias benannten Buch (Anm. d. Red.: Dies gilt nicht für die Bibelübersetzung in deutscher Sprache.) eine kurze und erbauliche Lebensgeschichte zeichnet.

Um den Sinn dieses Hymnus vollkommen zu verstehen, muß man sich die Erzählungen auf den vorhergehenden Seiten vergegenwärtigen. Die Geschichte ereignet sich unter den in Ninive im Exil lebenden Israeliten. Auf sie blickt der Verfasser des Bibeltextes - der viele Jahrhunderte später schreibt -, um sie den Brüdern und Schwestern im Glauben, die unter einem fremden Volk verstreut leben und versucht sind, die Traditionen der Väter aufzugeben, als Vorbild vorzustellen. Die Beschreibung Tobits und seiner Familie wird somit als Lebensprogramm angeboten. Er ist der Mann, der trotz allem den Vorschriften des Gesetzes treu bleibt, insbesondere der Praxis des Almosengebens. Über ihn bricht das Unheil in Form von Armut und Blindheit herein, aber sein Glaube erlischt nicht. Die Antwort, die Gott durch den Engel Rafael gibt, läßt dann auch nicht auf sich warten: Er geleitet den jungen Tobias auf einer risikoreichen Reise, führt ihn zu einer glücklichen Ehe und heilt den Vater Tobit schließlich von seiner Blindheit.

Die Botschaft ist eindeutig: Wer Gutes tut, besonders indem er sein Herz für die Bedürfnisse des Nächsten öffnet, ist dem Herrn wohlgefällig. Auch wenn er Prüfungen erdulden muß, wird er zu guter Letzt Gottes Wohlwollen erfahren.

2. Vor diesem Hintergrund nehmen die Worte unseres Hymnus ihre ganze Bedeutung an. Sie laden dazu ein, nach oben zu schauen, auf »Gott, der in Ewigkeit lebt«, auf sein Reich, das »ewig währt«. Aus diesem Schauen auf Gott entwickelt sich eine Skizze der Theologie der Geschichte. In ihr versucht der Bibelautor auf die Frage zu antworten, die das versprengte und leidgeprüfte Gottesvolk sich stellt:Warum behandelt Gott uns so? Die Antwort bezieht sich sowohl auf die Gerechtigkeit als auch auf die Barmherzigkeit Gottes: »Er züchtigt uns wegen unserer Sünden, doch hat er auch wieder Erbarmen« (V. 5). Die Bestrafung erscheint auf diese Weise als eine Art göttliche Pädagogik, in der allerdings dem Erbarmen immer das letzte Wort vorbehalten ist: »Er züchtigt und hat auch wieder Erbarmen; er führt hinab in die Unterwelt und führt auch wieder zum Leben« (V. 2).

Demzufolge kann man Gott, der sein Geschöpf nie verläßt, vollkommen vertrauen. Ja noch mehr: Die Worte des Hymnus führen zu einer Sichtweise, die sogar leidvollen Situationen eine heilsbringende Bedeutung zuweist, indem sie das Exil in eine Gelegenheit zum Zeugnis für die Werke Gottes verwandeln: »Bekennt euch zu ihm vor allen Völkern, ihr Kinder Israels; denn er selbst hat uns unter die Völker zerstreut. Verkündet dort seine erhabene Größe« (V. 3 - 4).

41 3. Ausgehend von dieser Einladung zur Deutung des Exils unter der Perspektive der göttlichen Vorsehung können wir unsere Gedanken ausweiten auf die Betrachtung des geheimnisvoll positiven Sinns, den der Zustand des Leidens annimmt, wenn er in Hingabe an den Plan Gottes gelebt wird. Schon im Alten Testament setzen sich verschiedene Stellen mit diesem Thema auseinander. Denken wir nur an die Geschichte im Buch Genesis über Josef, der von seinen Brüdern verkauft wird (vgl. Gn 37,2 - 36) und doch dazu bestimmt ist, einst ihr Retter zu sein. Und wie könnten wir das Buch Ijob vergessen? Hier ist es sogar ein Unschuldiger, der leidet und keine Erklärung für sein Drama findet, wenn er sich nicht der Größe und Weisheit Gottes überläßt (vgl. Ijob Jb 42,1 - 6).

Für uns, die wir diese Abschnitte aus dem Alten Testament aus christlicher Sicht deuten, kann der Bezugspunkt nur das Kreuz Christi sein, in dem das Geheimnis des Leids in der Welt seine tiefe Antwort findet.

4. An die Sünder, die wegen ihres Unrechts gezüchtigt wurden (vgl. V. 5), richtet der Hymnus Tobits einen Aufruf zur Bekehrung, und er eröffnet die wunderbare Aussicht einer »beiderseitigen« Umkehr Gottes und des Menschen: »Wenn ihr zu ihm umkehrt, von ganzem Herzen und aus ganzer Seele, und euch an seine Wahrheit haltet, dann kehrt er sich euch zu und verbirgt sein Angesicht nicht mehr vor euch« (V. 6). Die Verwendung eines ähnlichen Wortes - »umkehren« und »zukehren« - für das Geschöpf und für Gott, wenn auch mit unterschiedlicher Bedeutung, ist sehr aussagekräftig.

Wenn der Verfasser des Canticum vielleicht an die Vorteile denkt, die die »Rückkehr« Gottes mit sich bringt - das heißt an seine neue Gunst gegenüber dem Volk -, müssen wir im Licht des Geheimnisses Christi vor allem an das Geschenk denken, das Gott selbst ist. Noch mehr als seine Gaben braucht der Mensch Ihn selbst. Die Sünde ist eine Tragödie nicht so sehr, weil sie die Strafe Gottes auf uns zieht, sondern weil sie Ihn aus unserem Herzen verdrängt.

5. Der Hymnus lenkt daher unsere Blicke auf das Antlitz Gottes, der als Vater betrachtet wird, und er lädt uns zum Lob und Preis ein: »Er ist unser Herr und Gott, er ist unser Vater« (V. 4). Hier spürt man den Sinn der besonderen »Kindschaft«, die Israel als Geschenk des Bundes erfährt und die das Mysterium der Menschwerdung des Gottessohnes vorbereitet. Dann wird in Jesus das Antlitz des Vaters erstrahlen, und seine grenzenlose Barmherzigkeit wird offenbar werden.

Es würde ausreichen, an die vom Evangelisten Lukas verfaßte Parabel des barmherzigen Vaters zu denken. Der Umkehr des verlorenen Sohnes entspricht nicht nur die Vergebung des Vaters, sondern seine Umarmung voller unendlicher Zärtlichkeit, die von Freude und festlicher Stimmung begleitet ist: »Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küßte ihn« (Lc 15,20). Die Worte unseres Canticum kommen dem bewegenden Bild aus dem Evangelium sehr nahe. Daraus ergibt sich das Bestreben, Gott zu loben und ihm zu danken: »Wenn ihr dann seht, was er für euch tut, bekennt euch laut und offen zu ihm! Preist den Herrn der Gerechtigkeit, rühmt den ewigen König!« (V. 7).

Liebe Schwestern und Brüder!

Die Worte aus dem Buch Tobit, die wir soeben vernommen haben, stehen im Zusammenhang mit der Errettung aus der großen Not, die der greise Tobit mit großer Ergebenheit und Glaubenstreue überwunden hat.

Er und seine Familie sind leuchtende Beispiele des Glaubens an Gott, der niemals einen Menschen verläßt, auch wenn dieser für eine bestimmte Zeit Krankheit und Leid, Trauer und Angst erleiden muß.

Deshalb besingt Tobit voller Dankbarkeit und Zuversicht Gottes Barmherzigkeit und Liebe. Denn der Gerechte weiß, daß ihn nichts zerstören kann, weil Gottes Wohlwollen immer und in jeder Situation den einzelnen begleitet.
* * * * *


42 Herzlich begrüße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders willkommen heiße ich die Jugendlichen aus Bonn und die Ministranten und Ministrantinnen. Nehmt Euch Tobit zum Vorbild. Vertraut auch ihr auf den Herrn und überwindet mit eurem Glauben, eurer Hoffnung und eurer Liebe die dunklen Täler und Schattenseiten eures Lebens. Gerne erteile ich euch allen und euren Lieben daheim den Apostolischen Segen.



August 2001

Mittwoch, 1. August 2001



Liebe Schwestern und Brüder!
Liebe Jungen und Mädchen!

1. Der Petersplatz ist heute ein Platz der Jugend. Fast genau vor einem Jahr, im Herzen des Großen Jubiläums 2000, haben hier die Jugendlichen aus aller Welt anläßlich des Weltjugendtages herzliche Aufnahme erfahren. Heute öffnet sich dieser Platz, der die tausendste Generalaudienz seit meiner Bestellung durch die göttliche Vorsehung zum Nachfolger des Apostels Petrus beherbergt, Tausenden von Jungen und Mädchen, die aus ganz Europa gekommen sind, um an das Grab des Apostelfürsten zu pilgern.

Liebe Ministranten! Als ihr gestern in einer langen Prozession über den Petersplatz zur Confessio gezogen seid, habt ihr sozusagen den Weg fortgesetzt, den die Jugend der Welt im Heiligen Jahr eingeschlagen hat. Das Motto eures Pilgerweges in die Ewige Stadt lautet: »Unterwegs in die neue Welt.« Dies ist ein Zeichen dafür,daß ihr gewillt seid, eure christliche Berufung ernst zu nehmen.

2. Ich begrüße euch ganz herzlich, liebe Jungen und Mädchen, und freue mich, daß es zu dieser Begegnung gekommen ist. Besonders danke ich Herrn Weihbischof Martin Gächter, dem Präsidenten des Coetus Internationalis Ministrantium, der im Namen von euch allen so herzliche Worte an mich gerichtet hat.

Mit besonderer Freude wende ich mich an die Meßdiener aus den Ländern deutscher Sprache, die zahlenmäßig die weitaus größte Gruppe bilden. Es ist schön, daß so viele junge Christen aus Deutschland gekommen sind.

Euer Tun am Altar ist nicht nur eine Pflicht, sondern eine hohe Ehre, ein wahrhaft heiliger Dienst. Für diesen Dienst möchte ich euch einige Gedanken mit auf den Weg geben.

Der Ministrant hat ein besonderes Gewand. Es erinnert uns an ein Kleid, das jeder übergestreift bekommt, wenn er in die Gemeinschaft mit Jesus Christus aufgenommen wird. Ich meine das Taufkleid, dessen tiefere Bedeutung der heilige Paulus erklärt: "Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angezogen" (Ga 3,27).

43 Auch wenn ihr, liebe Ministranten, aus dem Taufkleid herausgewachsen seid, so habt ihr dafür gleichsam das Ministrantengewand angelegt. Ja, die Taufe ist der Ausgangspunkt eures "wahren liturgischen Dienstes", der euch zu Helfer eurer Bischöfe, Priester und Diakone macht (vgl. Sacrosanctum Concilium, SC 29).

3. Der Ministrant hat einen herausragenden Platz innerhalb der liturgischen Feiern. Wer ministriert, tritt an die Öffentlichkeit. Er erfährt aus nächster Nähe, daß in jeder liturgischen Handlung Jesus Christus gegenwärtig ist und wirkt. Jesus ist gegenwärtig, wenn die Gemeinde sich versammelt zum gemeinsamen Gebet und Gotteslob. Jesus ist anwesend im Wort der Heiligen Schrift. Vor allem ist Jesus zugegen in der Eucharistie unter den Gestalten von Brot und Wein. Jesus handelt durch den Priester, der an der Stelle Jesu Christi die heilige Messe feiert und die Sakramente spendet.

So seid ihr beim Gottesdienst mehr als nur "Helfer des Pfarrers". Vor allem seid ihr Diener Jesu Christi, des ewigen Hohenpriesters. So seid Ihr Ministranten in besonderer Weise berufen, Jesu junge Freunde zu sein. Bemüht euch, diese Freundschaft mit ihm zu vertiefen und zu pflegen. Ihr werdet entdecken, daß ihr in Jesus einen wahren Freund fürs Leben gefunden habt.

4. Der Ministrant trägt oft eine Kerze. Muß man da nicht unweigerlich an ein Wort denken, das Jesus in der Bergpredigt gesprochen hat: "Ihr seid das Licht der Welt" (Mt 5,14)? Euer Dienst darf sich nicht auf das Gotteshaus beschränken; er muß ausstrahlen auf die Umgebung, in der ihr täglich lebt: Schule, Familie und andere Bereiche der Gesellschaft. Denn wer Jesus Christus in der Kirche dienen darf, der muß auch überall in der Welt sein Zeuge sein.

Liebe Jugendliche! Eure Altersgenossen warten auf das "wahre Licht der Welt" (vgl Jn 1,9). Haltet nicht nur in der Kirche eure Leuchter hoch, sondern tragt die Fackel des Evangeliums zu allen, die im Dunkeln sitzen und eine schwere Zeit erleben müssen.

5. Ich habe von der Freundschaft mit Jesus erzählt. Wie würde ich mich freuen, wenn aus dieser Freundschaft noch mehr würde! Wie schön wäre es, wenn aus euren Reihen junge Männer sich zum Priestertum entscheiden könnten! Jesus braucht dringend junge Menschen, die sich ihm großmütig und vorbehaltlos zur Verfügung stellen. Könnte es sein, daß der Herr auch das eine oder andere Mädchen von euch ruft, um ein gottgeweihtes Leben zu führen und so der Kirche und den Menschen zu dienen? Auch für jene, die sich einmal in der Ehe binden werden, kann das Ministrieren eine gute Schule dafür sein, daß eine gelingende Partnerschaft stets die Bereitschaft zum gegenseitigen Dienen aus freien Stücken einschließen muß.



Mittwoch, 8. August 2001



Lesung: Ps 33,1-4.8 -9.20 -22 Eine Hymne an die göttliche Vorsehung

1. In 22 Verse unterteilt, ebenso viele wie es im hebräischen Alphabet Buchstaben gibt, ist der Psalm 33 eine Lobeshymne an den Herrn des Universums und der Geschichte. Ein Überschwang an Freude kennzeichnet ihn von Beginn an: »Ihr Gerechten, jubelt vor dem Herrn; für die Frommen ziemt es sich, Gott zu loben. Preist den Herrn mit der Zither, spielt für ihn auf der zehnsaitigen Harfe! Singt ihm ein neues Lied, greift voll in die Saiten und jubelt laut!« (V. 1-3). Diese Anrufung (»tern’ah«) wird also von Musik begleitet, und sie ist Ausdruck einer inneren Stimme des Glaubens und der Hoffnung, des Glücks und Vertrauens. Das Lied ist »neu«, nicht nur weil es die Gewißheit der Gegenwart Gottes innerhalb der Schöpfung und der menschlichen Geschicke erneuert, sondern auch weil es das vollkommene Lob vorwegnimmt, das am Tag des endgültigen Heils angestimmt werden soll, wenn das Reich Gottes seine glorreiche Verwirklichung erreicht haben wird.

Mit der letztendlichen Erfüllung in Christus befaßt sich der hl. Basilius, der diesen Abschnitt folgendermaßen erklärt: »Normalerweise wird als ›neu‹ bezeichnet, was ungewohnt ist oder was es erst seit kurzem gibt. Wenn du an die erstaunliche und alle Vorstellungskraft übersteigende Weise der Menschwerdung des Herrn denkst, singst du notwendigerweise ein neues und ungewöhnliches Lied. Und wenn du in Gedanken die Wiedererschaffung und Erneuerung der gesamten, durch die Sünde alt gewordenen Menschheit verfolgst und die Mysterien der Auferstehung verkündest, auch dann singst du ein neues und ungewöhnliches Lied« (vgl. Homilie über Psalm 33,2; ). Somit bedeutet die Einladung des Psalmisten, der sagt: »Singt Gott ein neues Lied«, laut dem hl. Basilius für den Christgläubigen folgendes: »Ehrt Gott nicht nach dem alten Brauch des ›Buchstabens‹, sondern in der Neuheit des ›Geistes‹. Denn wer das Gesetz nicht als etwas Äußerliches versteht, sondern dessen ›Geist‹ erkennt, der singt ein ›neues Lied‹« (vgl. ebd.).

2. In seinem Mittelteil ist der Hymnus wiederum in drei Abschnitte untergliedert, die eine Trilogie des Lobes bilden. Im ersten (vgl. V. 6 -9) wird das schöpferische Wort Gottes gepriesen. Die wunderbare Architektur des Universums, die einem kosmischen Tempel ähnelt, ist nicht etwa durch einen Kampf zwischen Göttern entstanden und erwachsen, wie manche Weltentstehungsmythen des Nahen Orients in der Antike nahelegten, sondern allein durch das wirkmächtige Wort Gottes. Genauso, wie es das erste Kapitel der Genesis lehrt: »Gott sprach [und] so geschah es.« In der Tat wiederholt der Psalmist: »Denn der Herr sprach, und sogleich geschah es; er gebot, und alles war da« (Ps 33,9). Besondere Aufmerksamkeit widmet der Betende der Überwachung der Meereswasser, denn in der Bibel ist das Meer ein Symbol für das Chaos und das Böse. Trotz ihrer Beschränkungen wird die Welt jedoch vom Schöpfer im Sein gehalten; Er gebietet dem Meer, am Küstenstreifen haltzumachen, wie im Buch Ijob geschildert wird: »Bis hierher darfst du und nicht weiter, hier muß sich legen deiner Wogen Stolz« (38,11).

44 3. Der Herr ist auch Herrscher der Menschheitsgeschichte, wie im zweiten Teil des Psalms 33 (V. 10 -15) herausgestellt wird. In entschlossener Antithese stehen sich die Pläne der weltlichen Mächte und der wunderbare Plan, den Gott in der Geschichte entwirft, gegenüber. Wenn sie sich von ihm unterscheiden wollen, führen die menschlichen Vorhaben zu Ungerechtigkeit, zu Bösem und zu Gewalt, da sie sich gegen den göttlichen Plan für Gerechtigkeit und Heil auflehnen. Trotz ihrer vergänglichen und vermeintlichen Erfolge beschränken sie sich auf einfache Machenschaften, die zur Auflösung und zum Scheitern verurteilt sind. Im biblischen Buch der Sprichwörter wird zusammenfassend festgestellt: »Viele Pläne faßt das Herz des Menschen, doch nur der Ratschluß des Herrn hat Bestand« (Pr 19,21). In ähnlicher Weise erinnert uns der Psalmist daran, daß Gott aus dem Himmel, seiner transzendenten Wohnstatt, alle Wege der Menschheit, auch die irrigen und absurden, verfolgt und alle Geheimnisse des menschlichen Herzens kennt: »Wo immer du gehst, was immer du tust, sowohl in der Finsternis als auch im Tageslicht, das Auge Gottes sieht dich«, kommentiert der hl. Basilius (vgl. Homilie über Psalm 33,8; ). Glücklich wird das Volk sein, welches die göttliche Offenbarung annimmt, deren Lebenslehren befolgt und sich auf deren Pfade im Laufe der Geschichte begibt. Am Ende wird nur eines bleiben: »Der Ratschluß des Herrn bleibt ewig bestehen, die Pläne seines Herzens überdauern die Zeiten« (Ps 33,11).

4. Der dritte und letzte Teil des Psalms (V. 16 -22) nimmt das Thema der einzigartigen Herrschaft Gottes über die menschlichen Gegebenheiten unter zwei neuen Blickwinkeln wieder auf: zunächst unter dem Gesichtspunkt der Mächtigen, die aufgefordert werden, sich hinsichtlich der militärischen Macht der Heere und der Kavallerie keinen Illusionen hinzugeben. Danach von seiten der oft unterdrückten, Hunger leidenden und am Rande des Todes lebenden Gläubigen: Diese werden eingeladen, auf den Herrn zu hoffen, der sie nicht in den Abgrund der Zerstörung fallen lassen wird. So offenbart sich auch die »katechetische« Funktion dieses Psalms. Er verwandelt sich in einen Aufruf zum Glauben an einen Gott, der der Arroganz der Mächtigen gegenüber nicht gleichgültig und der Schwäche der Menschen nahe ist; er erhöht sie und stützt sie, wenn sie Vertrauen haben, wenn sie sich ihm anvertrauen, wenn sie ihr Flehen und Lob zu ihm erheben. »Die Demut derer, die Gott dienen« - erklärt der hl. Basilius weiter - »zeigt, wie sehr sie auf sein Erbarmen hoffen. Wer nämlich nicht auf die eigenen großen Taten vertraut und nicht erwartet, von seinen Werken gerechtfertigt zu werden, hat als einzige Hoffnung auf das Heil die Barmherzigkeit Gottes« (vgl. Homilie über Psalm 33,10; ).

5. Der Psalm endet mit einer Antiphon, die in den Schlußteil des berühmten Hymnus »Te Deum« aufgenommen wurde: »Laß deine Güte über uns walten, o Herr, denn wir schauen aus nach dir« (V. 22). Göttliche Gnade und menschliche Hoffnung begegnen einander und verbinden sich. Ja noch mehr:die liebevolle Treue Gottes (entsprechend der Bedeutung der ursprünglich hier verwendeten hebräischen Vokabel »hesed«) umgibt, wärmt und schützt uns wie ein Mantel; sie schenkt uns Zuversicht und gibt unserem Glauben und unserer Hoffnung eine sichere Grundlage.

Liebe Schwestern und Brüder!

Was kann es für den Christen Schöneres geben als den Herrn zu loben und zu preisen! Aus dem Psalm, den wir eben gehört haben, spricht eine tiefe Symbolik der Zahlen: Er besteht aus 22 Versen, was den Buchstaben des hebräischen Alfabets entspricht. Das heißt: Der Psalm möchte gleichsam buchstabieren, wie vielfältig und erhaben die Herrschaft unseres Gottes ist.

"Singt dem Herrn ein neues Lied, greift voll in die Saiten und jubelt laut". Der Psalmist will uns durch seine Freude mitreißen und in seine Begeisterung hineinziehen. Wer in das Lob Gottes einstimmt, kommt an kein Ende: Wie groß ist Gottes Phantasie, wenn es um die Liebe zu uns Menschen geht! Gott hat nicht nur das Universum geschaffen, er lenkt auch den Lauf der Geschichte. Wer sich in Gottes Hände fallen läßt, wird spüren, daß Seine Hände gute Hände sind.

Der Psalm schließt mit einer Bitte, die im großen Te Deum enthalten ist: "Laß deine Güte über uns walten. Denn wir schauen aus nach dir." Darin liegt die "Logik" des Christseins: Göttliche Gnade und menschliche Hoffnung begegnen und umarmen sich.
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Für diese Begegnung zwischen göttlicher Gnade und menschlicher Hoffnung, zwischen der Gabe Gottes und dem Tun des Menschen sind wir gerade im Urlaub besonders offen. So grüße ich die Pilger aus den Ländern deutscher Sprache. Ich wünsche euch, daß ihr während der Ferien Gottes Nähe erfahren dürft und erholt in den Alltag zurückkehrt. Gern erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.





Mittwoch, 22. August 2001



Lesung: Ps 36, 2 - 3. 6 - 7a. 8 - 11 Bosheit des Sünders - Güte des Herrn

45 1. Jedesmal, wenn ein Arbeitstag und ein Tag menschlichen Miteinanders beginnt, kann der Mensch zwei grundsätzliche Haltungen einnehmen: Er kann sich für das Gute entscheiden oder dem Bösen nachgeben. Der Psalm 36, den wir vor kurzem gehört haben, stellt uns eben diese beiden gegensätzlichen Möglichkeiten vor Augen. Einerseits gibt es Menschen, die schon auf dem »Lager«, von dem sie sich erheben werden, unlautere Vorhaben hegen; andererseits solche, die das Licht Gottes, die »Quelle des Lebens« (vgl. V. 10), suchen. Dem Abgrund der Bosheit des Frevlers steht der Abgrund der Güte Gottes gegenüber, als lebendige Quelle, die den Durst stillt, und als Licht, das den Gläubigen erleuchtet.

Zwei Menschentypen beschreibt also das soeben verkündete Gebet des Psalms, den uns das Stundengebet für die Laudes am Mittwoch der ersten Woche vorschlägt.

2. Die erste Charakterskizze, die der Psalmist uns aufzeigt, ist die des Sünders (vgl. V. 2 -5). In seinem Innern befindet sich die »Weissagung der Sünde«, wie es im hebräischen Original heißt (vgl. V. 2). Dies ist ein bedeutungsstarker Ausdruck. Es läßt an ein satanisches Wort denken, das im Gegensatz zum Wort Gottes im Herzen und im Sprechen des Frevlers erklingt.

In ihm scheint das Böse eines Wesens zu sein mit seiner innersten Wirklichkeit, so daß es in Worten und Taten zum Vorschein kommt (vgl. V. 3 -4). Er verbringt seine Tage, indem er »schlimme Wege« wählt, und zwar vom frühen Morgen an, wenn er noch auf seinem Lager liegt (vgl. V. 5), bis zum Abend, wenn er sich schlafen legt. Diese beständige Wahl des Sünders entstammt einer Entscheidung, die sein gesamtes Dasein berührt und zum Tod führt.

3. Der Psalmist ist aber ganz auf die andere Darstellung hinorientiert, in der er sich selbst widerspiegeln möchte: die eines Mannes, der das Antlitz Gottes sucht (vgl. V. 6 -13). Er erhebt eine regelrechte Hymne auf die göttliche Liebe (vgl. V. 6 -11), der er am Ende die flehentliche Anrufung folgen läßt, der Herr möge ihn von der dunklen Faszination des Bösen befreien, damit er für immer vom Licht der Gnade umgeben sei.

Durch diesen Gesang zieht sich eine wahre Litanei von Begriffen, die die Charakterzüge des Gottes der Liebe preisen: Güte, Treue, Gerechtigkeit, Urteil, Huld, bergender Schatten, Reichtum, Wonne, Leben, Licht. In besonderer Weise sind vier dieser göttlichen Züge hervorzuheben; sie werden durch hebräische Vokabeln wiedergegeben, die eine tiefere Bedeutung besitzen als aus den Übersetzungen in die modernen Sprachen hervorgeht.

4. Zunächst der Begriff »hesed«, »Gnade«, der zugleich Treue, Liebe, Loyalität, Zärtlichkeit bedeutet. Dies ist eine der grundlegenden Bezeichnungen zum Lobpreis des Bundes zwischen dem Herrn und seinem Volk. Es ist von Bedeutung, daß dieses Wort ganze 127 Mal im Psalter vorkommt, das ist mehr als die Hälfte der Verwendung dieses Wortes im gesamten Alten Testament. Dann finden wir das Wort »’emunáh«: Es entstammt derselben Wurzel wie das »Amen«, das Wort des Glaubens, und bedeutet Stabilität, Sicherheit, unerschütterliche Treue. Es folgt das Wort »sedaqah«, die »Gerechtigkeit«, das einen vor allem heilsbringenden Sinn besitzt: Es handelt sich um die heilige und weise Einstellung Gottes, der durch sein Eingreifen in die Geschichte seinen Gläubigen vom Bösen und von der Ungerechtigkeit befreit. Schließlich ist das Wort »mishpat«, das »Urteil«, zu nennen, durch das Gott über seine Geschöpfe herrscht, indem er sich zu den Armen und Unterdrückten herabbeugt und die überheblichen und anmaßenden Menschen ihrerseits beugt.

Vier theologische Worte, die der Betende in seinem Glaubensbekenntnis wiederholt, während er sich in die Straßen der Welt aufmacht in der Gewißheit, den liebenden, treuen, gerechten und rettenden Gott an seiner Seite zu haben.

5. Den verschiedenen Titeln, mit denen er Gott verherrlicht, fügt der Psalmist zwei einprägsame Bilder hinzu. Einerseits die Überfülle an Nahrung: Sie läßt vor allem an das heilige Mahl denken, das im Tempel Zions mit dem Fleisch der Opfertiere gefeiert wurde. Dann gibt es die Quelle und den Strom, deren Wasser den Durst nicht nur des ausgetrockneten Halses, sondern auch der Seele stillen (vgl. V. 9 - 10;
Ps 42,2 - 3; 63, 2 - 6). Der Herr stillt den Hunger und Durst des Betenden, er gibt ihm Anteil an seinem vollkommenen und unsterblichen Leben.

Das zweite Bild wird durch das Symbol des Lichts vermittelt: »In deinem Licht schauen wir das Licht« (V. 10). Diese Leuchtkraft strahlt gewissermaßen »wasserfallartig« und ist ein Zeichen der Selbstoffenbarung Gottes gegenüber seinen Gläubigen. So war es mit Mose am Sinai geschehen (vgl. Ex 34,29 - 30), und so geschieht es mit dem Christen in dem Maße, wie er »mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn widerspiegelt und so in sein eigenes Bild verwandelt wird« (vgl. 2Co 3,18).

Im Sprachgebrauch der Psalmen bedeutet »das Licht des Gottesantlitzes sehen« konkret, dem Herrn im Tempel zu begegnen, wo das liturgische Gebet gefeiert und das Wort Gottes gehört wird. Auch der Christ macht diese Erfahrung, wenn er zu Tagesbeginn den Lobpreis des Herrn betet, bevor er sich auf die nicht immer geraden Wege des täglichen Lebens aufmacht.

46 Liebe Schwestern und Brüder!

Auch wenn unser tägliches Leben das Grau des Alltags kennt, wissen wir, daß wir wählen müssen: zwischen Weiß und Schwarz, zwischen Hell und Dunkel, zwischen Gut und Böse.

Diese Alternative stellt uns der Psalm vor Augen, den wir vorher gehört haben. Zunächst zeichnet er das Bild des Sünders, der entschlossen ist zum Bösen und keine Furcht vor Gott kennt (vgl. v. 2).

Dann wird ihm eine andere Gestalt gegenübergestellt: der Mensch, der das Angesicht Gottes sucht. Es folgt eine ganze Litanei von Begriffen, die von der Liebe Gottes zum Menschen singen: Güte und Treue, Gerechtigkeit und Huld, Schatten der Flügel und Reichtum des Hauses, Strom der Wonnen und Quelle des Lebens.

Alles gipfelt in der dankbaren Feststellung: "In deinem Licht schauen wir das Licht" (v. 10). So wollen wir den Herrn bitten, daß er unsere Wege erleuchte, damit wir die Schritte klarer sehen, die er von uns erwartet.
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In diese Bitte schließe ich euch alle ein, liebe Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Besonders grüße ich die Jugendlichen, unter ihnen die Ministranten aus Kirchberg am Walde. Möge der Herr eure Lebenswege hell machen! Mit diesem Wunsch erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.





Mittwoch, 29. August 2001

,,Der Herr, Schöpfer der Welt, beschützt sein Volk"

(Lesung: Jdt 6,1 - 2a. 3 - 15)

Der soeben vorgetragene Lobgesang (Jdt 6,1-17) wird Judit zugeschrieben, einer Heldin, die zum Stolz aller Frauen Israels wurde, weil es ihr beschieden war, die befreiende Kraft Gottes in einer für das Leben ihres Volkes dramatischen Zeit zum Ausdruck zu bringen. Die Liturgie der Laudes läßt uns nur wenige Verse ihres Gesangs beten. Sie laden uns zum Feiern, zum Singen mit fester Stimme, zum Spielen mit Pauken und Zimbeln ein, um den Herrn, »der den Kriegen ein Ende setzt« (V. 2), zu loben.

47 Der letztgenannte Ausdruck, der das wahre Antlitz des friedliebenden Gottes beschreibt, führt uns in den Kontext der Entstehung dieser Hymne ein: Völlig überraschend hatten die Israeliten einen Sieg errungen durch das Wirken Gottes, der eingreift, um sie vor einer bevorstehenden und vollkommenen Niederlage zu bewahren.

2. Der Verfasser dieser Bibelstelle rekonstruiert dieses Ereignis einige Jahrhunderte später, um den Brüdern und Schwestern im Glauben, die sich in einer schwierigen Situation entmutigt fühlen, ein Vorbild vor Augen zu stellen, das ihnen Mut machen kann. So berichtet er, was Israel zustieß, als Nebukadnezzar, der verärgert war über den Widerstand dieses Volkes angesichts seiner Expansionsvorhaben und seiner Forderung der Götzenanbetung, seinen General Holofernes aussandte mit dem strikten Befehl, es zu bezwingen und zu vernichten. Niemand sollte ihm Widerstand leisten, ihm, der beanspruchte, wie ein Gott verehrt zu werden. Und sein General, der diese Überheblichkeit teilte, hatte gelacht über die von ihm erhaltene Warnung, Israel nicht anzugreifen, weil dies wie ein Angriff gegen Gott selbst gewesen wäre.

Im Grunde genommen will der Autor eben diesen Grundsatz bekräftigen, um die Gläubigen seines Zeitalters in der Treue zum Gott des Bundes zu bestärken: Man muß Gott vertrauen. Der wahre Feind, den Israel fürchten soll, sind nicht die Mächtigen dieser Erde, sondern die Untreue gegenüber dem Herrn. Ein solches Tun beraubt es des göttlichen Schutzes und macht es verwundbar. Wenn es aber treu ist, kann das Volk auf die Kraft Gottes selbst zählen: »Wunderbar bist du in deiner Stärke; keiner kann dich übertreffen« (V. 13).

3. Dieses Prinzip zeigt sich in der ganzen Geschichte Judits auf wundervolle Weise. Die Szenerie ist die eines inzwischen von Feinden besetzten Landes Israel. Aus dem Gesang geht die Dramatik jener Zeit eindeutig hervor: »Assur kam von den Bergen des Nordens mit seiner unzählbaren Streitmacht; die Masse der Truppen verstopfte die Täler, sein Reiterheer bedeckte die Hügel« (V. 3). Sarkastisch wird die vergängliche Überheblichkeit des Feindes herausgestellt: »Brandschatzen wollten sie mein Gebiet, die Jugend morden mit scharfem Schwert, den zarten Säugling am Boden zerschmettern, die Kinder als Beute verschleppen, als billigen Raub die Mädchen entführen« (V. 4).

Die durch die Worte Judits beschriebene Situation ähnelt anderen von Israel erlebten, in denen die Rettung erst dann kam, als alles ausweglos schien. War nicht auch die Rettung beim Exodus, beim wunderbaren Durchzug durch das Rote Meer, so gewesen? Auch jetzt zerstört die Belagerung durch ein zahlenstarkes und mächtiges Heer jede Hoffnung. All dies unterstreicht jedoch vor allem die Macht Gottes, der sich als unbezwingbarer Beschützer seines Volkes erweist.

4. Das Werk Gottes geht umso strahlender daraus hervor, weil er sich nicht eines Kriegers oder eines Heeres bedient. Wie schon einmal, zur Zeit Deboras, als er den kanaanäischen General Sisera durch die Hand Jaëls, einer Frau, entmachtet hatte (vgl. Ri
Jg 4,7 - 2), bedient er sich nun wiederum einer wehrlosen Frau, um seinem Volk in Schwierigkeiten zu Hilfe zu kommen. Von ihrem Glauben stark gemacht, wagt sich Judit ins feindliche Lager, betört den Heerführer mit ihrer Schönheit und tötet ihn auf demütigende Weise. Der Gesang hebt diese Tatsache deutlich hervor: »Doch der Herr, der Allmächtige, gab sie preis, er gab sie der Vernichtung preis durch die Hand einer Frau. Ihr Held fiel nicht durch die Kraft junger Männer, nicht Söhne von Riesen erschlugen ihn, noch traten ihm hohe Recken entgegen. Nein, Judit, Meraris Tochter, bannte seine Macht mit dem Reiz ihrer Schönheit« (Jdt 6,5 - 6).

Die Gestalt Judits entwickelt sich in der Folgezeit zum Archetyp, der es nicht nur der jüdischen, sondern auch der christlichen Überlieferung ermöglicht, die Vorliebe Gottes für alles, was als hinfällig und schwach angesehen wird, herauszustellen;es wird aber gerade deshalb erwählt, um die göttliche Macht zu offenbaren. Sie ist eine vorbildliche Persönlichkeit, die auch die Berufung und Sendung der Frau darzustellen vermag, welche mit ihren besonderen Wesenszügen ebenso wie der Mann dazu aufgerufen ist, eine wesentliche Rolle im Heilsplan Gottes zu spielen. Verschiedene Äußerungen aus dem Buch Judit werden mehr oder minder wörtlich in die christliche Tradition übergehen, die in der jüdischen Heldin eine Art Vorwegnahm Marias erkennen wird. Hört man etwa nicht einen Widerhall der Worte Judits, wenn Maria im Magnificat singt: »Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen« (Lc 1,52)? Daraus wird ersichtlich, warum die liturgische Tradition der Christen in Ost und West der Mutter Jesu gerne für Judit gedachte Titel zuweist, wie beispielweise die folgenden: »Du bist der Ruhm Jerusalems, du bist die große Freude Israels und der Stolz unseres Volkes« (Jdt 5,9).

5. Von der Erfahrung des Sieges ausgehend, schließt der Gesang Judits mit der Aufforderung, ein neues Lied zu Gott zu erheben und ihn als »groß und voll Herrlichkeit« anzuerkennen. Gleichzeitig werden alle Geschöpfe ermahnt, sich Demjenigen zu unterwerfen, der mit seinem Wort alles erschaffen und es mit seinem Geist geformt hat. Wer kann der Stimme Gottes widerstehen? Judit erinnert sehr nachdrücklich daran: Vor dem Schöpfer und Herrn der Geschichte werden die Berge in ihrem Grund erbeben und die Felsen wie Wachs zerschmelzen (vgl. Jdt Jdt 6,5). Das sind eindrucksvolle Metaphern, um darauf hinzuweisen, daß vor der Macht Gottes alle Dinge »nichts« sind. Dieser Siegesgesang will jedoch nicht Schrecken verbreiten, sondern Trost spenden, denn Gott läßt jenen seine unbesiegbare Macht als Stütze zuteil werden, die ihm treu sind: »Doch wer dich fürchtet, der erfährt deine Gnade« (ebd.).

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir haben soeben Judits Lobgesang gehört. Mit diesen Worten feiert der Gläubige den Sieg Gottes über den Feind und erfreut sich seiner befreienden Allmacht. Wir sind eingeladen, den Herrn zu rühmen, "der den Kriegen ein Ende setzt".

Der Sieg über den Feind Israels lehrt uns, daß dem auserwählten Volk nur ein einziger Feind auflauert: die Untreue gegenüber dem Gott der Treue. Gott hält sein Versprechen, wenn sein Volk den Bund mit ihm bewahrt. Nur ein treues Volk kann singen: "Wunderbar bist du in deiner Stärke, keiner kann dich übertreffen. "

48 Judit gehört in die Reihe der großen Frauen des Alten Testaments. Obwohl oft als "schwaches Geschlecht" abqualifiziert, bedient sich Gott der Frauen, um seine Stärke zu zeigen. Mit Maria singen wir im Magnificat: "Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen" (Lc 1,52).
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Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gekommen sind. Besonders herzlich grüße ich die zahlreichen Jugendlichen und Ministranten. Euch, Euren Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.



                                                                           September 2001


Generalaudienz 2001 40