Generalaudienz 2000 61

61 Mit Freude empfange ich die zahlreichen Pilger, die aus mehreren italienischen Diözesen unter der Leitung ihrer jeweiligen Bischöfe heute hierhergekommen sind: aus Terni-Narni-Amelia mit Msgr. Vincenzo Paglia; aus Acqui mit Msgr. Livio Maritano; aus der Territorialabtei der Allerheiligsten Dreifaltigkeit in Cava de’ Tirreni mit ihrem Abt Benedetto Chianetta.

Meine Lieben! Ihr seid in großer Zahl auf diesem Platz zusammengekommen, um in Gemeinschaft mit euren geschätzten Diözesangemeinden eine einzigartige Zeit der Gnade und der innerlichen Erneuerung zu erleben. In der Tat ist eure Heiligjahrwallfahrt eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Bande der Einheit mit dem Stuhl Petri, der »Vorsteher des Liebesbundes«, zu vertiefen und die Verkündigung des Evangeliums mit größerem Eifer fortzuführen.

Von Herzen wünsche ich, daß das Jubiläumsjahr euch in eurem Engagement als Leitfiguren und Sauerteig der ganzen bürgerlichen Gesellschaft stärke. Seid euch eurer Verantwortung zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Geschichte - zu Beginn des dritten christlichen Jahrtausends - bewußt: Die Gläubigen sind dazu aufgerufen, den Männern und Frauen unserer Zeit dabei zu helfen, ihre tiefen spirituellen und kulturellen Wurzeln wiederzuentdecken.

An euch alle, ihr Lieben, richte ich den herzlichen Wunsch einer freudigen und gewinnbringenden Heiligjahrfeier, den ich mit einem besonderen Apostolischen Segen verbinde!
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In fast provokativer Weise sagt der heilige Augustinus: "Wir sind Christus geworden. Denn wenn er das Haupt ist und wir die Glieder sind, dann ist der ganze Mensch er und wir".

Was beim ersten Hören Erstaunen hervorruft, erweist sich bei längerem Nachdenken als Wirklichkeit. Es geht um die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, um eine Art Intimität, die ihren höchsten Ausdruck in der Eucharistie findet.

Johannes spricht dabei gern vom "Bleiben": "Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm" (
Jn 6,56). Paulus redet lieber von der "Gemeinschaft": Das Brot, das wir brechen, ist Ausdruck der Gemeinschaft am Leib Christi (vgl. 1Co 10,16).

Vertrautheit mit Christus verpflichtet. Wer Gemeinschaft mit dem Heiligen hat, ist selbst zur Heiligkeit berufen. So wollen wir nicht müde werden, dieser Verpflichtung ein Leben lang treu zu sein: "Jesus, bleibe bei uns, damit wir mit dir gehen. Geh mit uns, damit wir bei dir bleiben in der Gemeinschaft der Eucharistie".
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Mit diesen Gedanken wende ich mich an die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Ich grüße die Diözesanwallfahrt des Erzbistums Vaduz, die begleitet wird von Erzbischof Wolfgang Haas. Ebenso herzlich heiße ich die Angehörigen des Malteser-Ritterordens willkommen sowie die Freunde von Radio Vatikan. Euch allen, Euren Lieben daheim sowie jenen, die mit uns über Radio und Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.





62

Mittwoch, 25. Oktober 2000

Die Eucharistie macht offen für die Zukunft Gottes

Liebe Schwestern und Brüder!

1. »In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil« (Sacrosanctum Concilium SC 8 vgl. Gaudium et spes GS 38). Diese klaren und bedeutungsvollen Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils zeigen uns eine grundlegende Dimension der Eucharistie auf: ihre Eigenschaft als »futurae gloriae pignus«, Unterpfand der künftigen Herrlichkeit, gemäß einem schönen Ausdruck der christlichen Tradition (vgl. Sacrosanctum Concilium SC 47). Dieses Sakrament - so merkt der hl. Thomas von Aquin an - »führt uns nicht sogleich in die Herrlichkeit ein, sondern gibt uns die Kraft, zur Herrlichkeit zu gelangen. Darum heißt es Wegzehrung« (Summa Th., III, 79, 2, zu 1). Die Gemeinschaft mit Christus, die wir im Heute als Pilger und Wanderer auf den Straßen der Geschichte erleben, nimmt die höchste Begegnung jenes Tages vorweg, an dem »wir ihm ähnlich sein werden […] denn wir werden ihn sehen, wie er ist« (1Jn 3,2). Elija, der sich auf seinem Weg durch die Wüste kraftlos unter einem Ginsterstrauch niederließ und von einem geheimnisvollen Brot gestärkt wurde, damit er den Gipfel der Gottesbegegnung erreichen konnte (vgl. 1 Kön 19,1-8), ist ein traditionsreiches Symbol für den Weg der Gläubigen, die im eucharistischen Brot die nötige Kraft finden, um auf das strahlende Ziel der Heiligen Stadt zuzugehen.

2. Dies ist auch der tiefe Sinn des Manna, das Gott in den Steppen des Sinai zum Mahle reicht: die »Speise der Engel«, die jeden Genuß gewährt und jedem Geschmack entspricht und die Gottes zärtliche Liebe zu seinen Kindern offenbart (vgl. Weish 16,20-21). Christus selbst wird auf die spirituelle Bedeutung der Ereignisse des Exodus hinweisen. Er läßt uns in der Eucharistie den zweifachen Geschmack als Speise des Pilgers und Speise der messianischen Fülle in der Ewigkeit kosten (vgl. Is 25,6). In Anlehnung an einen Ausdruck, der der jüdischen Sabbatliturgie gewidmet ist, können wir die Eucharistie als einen »Vorgeschmack auf die Ewigkeit in der Zeit« bezeichnen (vgl. A. J. Heschel). Ebenso wie Christus im Fleisch lebte und hierbei dennoch seine Herrlichkeit als Sohn Gottes beibehielt, ist die Eucharistie göttliche und transzendente Gegenwart, Gemeinschaft mit dem Ewigen und Zeichen des »Ineinanders des irdischen und himmlischen Gemeinwesens« (Gaudium et spes GS 40). Die Eucharistie, als Erinnerung an das Pascha Christi, überbringt ihrem Wesen nach das Ewige und Unendliche in die Menschheitsgeschichte.

3. Verdeutlicht wird dieser Aspekt, demzufolge die Eucharistie für die Zukunft Gottes offen macht - obgleich sie in der gegenwärtigen Wirklichkeit verankert bleibt - durch die Worte, die Jesus beim Letzten Abendmahl über den Kelch mit Wein spricht (vgl. Lc 22,20 1Co 11,25). Markus und Matthäus verweisen mit den gleichen Worten auf den Bund im Opferblut am Sinai (vgl. Mc 14,24 Mt 26,28 Ex 24,8). Lukas und Paulus hingegen bekunden die Erfüllung des »neuen Bundes«, den der Prophet Jeremia angekündigt hatte: »Seht, es werden Tage kommen - Spruch des Herrn -, in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde, nicht wie der Bund war, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten herauszuführen« (31,31-32). Und Jesus erklärt: »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut«. Der Begriff »neu« steht im Sprachgebrauch der Bibel üblicherweise für Fortschritt und endgültige Vollkommenheit.

Wiederum sind es Lukas und Paulus, die betonen, daß die Eucharistie eine Vorwegnahme jenes glorreichen Lichthorizontes ist, der für das Reich Gottes bezeichnend ist. Vor dem Letzten Abendmahl hatte Jesus gesagt: »Ich habe mich sehr danach gesehnt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen. Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis das Mahl seine Erfüllung findet im Reich Gottes. Und er nahm den Kelch, sprach das Dankgebet und sagte: Nehmt den Wein, und verteilt ihn untereinander! Denn ich sage euch: von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt« (Lc 22,15-18). Auch Paulus erinnert ausdrücklich daran, daß das eucharistische Mahl auf das endgültige Kommen des Herrn hinzielt: »Denn sooft ihr von diesem Brot eßt und aus diesem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt« (1Co 11,26).

4. Johannes, der vierte Evangelist, rühmt diese Ausrichtung der Eucharistie auf die Fülle des Reiches Gottes in der berühmten Rede über das »Lebensbrot«, die Jesus in der Synagoge von Kafarnaum hält. Das Symbol, das er als biblischen Bezugspunkt gewählt hat, ist das bereits erwähnte Manna, das Gott dem in der Wüste pilgernden Volk Israel reicht. Im Zusammenhang mit der Eucharistie erklärt Jesus feierlich: »Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben […] Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag […] Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Mit ihm ist es nicht wie mit dem Brot, das die Väter gegessen haben; sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot ißt, wird leben in Ewigkeit« (Jn 6,51 Jn 6,54 Jn 6,58). In der Sprache des vierten Evangeliums ist das »ewige Leben« das göttliche Leben selbst, das die Grenzen der Zeit übersteigt. Die Eucharistie ist Gemeinschaft mit Christus und daher Teilnahme am Leben Gottes, das ewig ist und den Tod überwindet. Deshalb sagt Jesus: »Es ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, daß ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern daß ich sie auferwecke am Letzten Tag. Denn es ist der Wille meines Vaters, daß alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, das ewige Leben haben, und daß ich sie auferwecke am Letzten Tag« (Jn 6,39-40).

5. In diesem Licht betrachtet ist - wie Sergej Bulgakov, ein russischer Theologe, es eindrucksvoll formulierte - »die Liturgie der Himmel auf Erden«. Daher habe ich im Apostolischen Schreiben Dies Domini die Worte Pauls VI. aufgreifen wollen und die Christen ermahnt, »diese Begegnung, dieses Festmahl [nicht zu] vernachlässigen, das uns Jesus in seiner Liebe bereitet. Die Vorbereitung soll jedesmal entsprechend würdig und festlich sein! Es ist der gekreuzigte und auferstandene Christus, der durch die Reihen seiner Jünger geht, um sie mit sich in die Erneuerung seiner Auferstehung zu führen. Es ist hier auf Erden der Höhepunkt des Liebesbundes zwischen Gott und seinem Volk: Zeichen und Quelle der christlichen Freude und Vorbereitung auf das ewige Fest« (Nr. 58; vgl. Gaudete in Domino, Schluß).

Im irdischen Gottesdienst bekommen wir eine Art Kostprobe an der himmlischen Liturgie (vgl. SC SC 8). In dieser Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils finden wir die grundlegende Dimension der Eucharistie wieder. Sie ist das Unterpfand der künftigen Herrlichkeit. Schon im Johannes-Evangelium lesen wir den Satz: “Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben” (6,51).

Die Eucharistie ist gleichsam der Himmel auf Erden. Unsere christliche Freude ist “ihrem Wesen nach innere Teilhabe an der unergründlichen, zugleich göttlichen und menschlichen Freude im Herzen des verherrlichten Herrn Jesus Christus” (Gaudete in Domino, II).

63 Nehmen wir also an der sonntäglichen Eucharistiefeier treu und froh teil! Jesus selbst hat aus Liebe zu uns diese Begegnung, dieses Festmahl, vorbereitet!
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Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gekommen sind. Mein besonderer Gruß gilt den Behindertenwallfahrten, die von den Maltesern in Österreich und Deutschland vorbereitet wurden. Ich grüße die Darsteller und Organisatoren der Passionsspiele von Oberammergau und die Franziskanerinnen aus Thuine. Möge euch der Tisch der Eucharistie ein Tisch der Einheit sein! Euch, Euren lieben Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen.



                                                                           November 2000


Mittwoch, 8. November 2000

Die Eucharistie als Sakrament der Einheit

Liebe Schwestern und Brüder!

1. »O Sakrament der Ehrfurcht! O Zeichen der Einheit! O Band der Liebe!« Der Ausruf des hl. Augustinus in seinem Kommentar zum Johannesevangelium (In Johannis Evangelium, 26,12; [KKK, 1398]) ist gleichsam eine ideelle Wiederaufnahme und Zusammenfassung der Worte, die Paulus an die Korinther richtete und die wir soeben gehört haben: »Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1Co 10,17). Die Eucharistie ist das Sakrament und die Quelle der kirchlichen Einheit. Dies wurde von den Anfängen der christlichen Überlieferung an bestätigt, und zwar gerade aufgrund der Zeichen von Brot und Wein. In der Didachè, einem in den Anfangszeiten des Christentums entstandenen Text, lesen wir: »Wie dieses gebrochene Brot auf den Bergen zerstreut war und zusammengebracht eins wurde, so möge Deine Gemeinde von den Enden der Erde zusammengebracht werden in Deinem Reich« (9,4; in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 35, Kempten/München 1918, S. 11).

2. Der hl. Cyprian, Bischof von Karthago, knüpft im 3. Jahrhundert an diese Worte an, wenn er schreibt: »Die durch das feste und unzertrennliche Band der Liebe eng verknüpfte christliche Einmütigkeit wird ferner auch durch die Opfer des Herrn selbst bestätigt. Denn wenn der Herr seinen Leib als Brot bezeichnet, das aus der Vereinigung vieler Körner entstanden ist, so weist er damit auf unser geeinigtes Volk hin, das er trug, und wenn er sein Blut Wein nennt, wie man ihn aus einer Masse von Trauben und Weinbeeren preßt und gewinnt, so meint er ebenfalls unsere Herde, die sich aus der Mischung einer großen vereinigten Menge zusammensetzt« (Brief an Magnus, in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 60, Kempten/München 1928, S. 311). Diese Symbolik der Eucharistie, die Bezug nimmt auf die Einheit der Kirche, findet sich bei den Vätern und scholastischen Theologen recht häufig. »Das Konzil von Trient hat ihre Lehre zusammenfassend erklärt, daß unser Heiland in seiner Kirche die Eucharistie hinterlassen habe ›als ein Symbol … ihrer Einheit und der Liebe, und er wollte, daß durch sie alle Christen unter sich verbunden seien, und als ein Symbol jenes einen Leibes, dessen Haupt er selbst ist‹« (Paul VI., Mysterium fidei; vgl. Konzil von Trient, Decr. de SS. Eucharistia, Prooem. und Kap. 2). Der Katechismus der Katholischen Kirche faßt dies eindrucksvoll zusammen: »Wer die Eucharistie empfängt, wird enger mit Christus vereint. Dadurch vereint ihn Christus auch mit allen Gläubigen zu einem einzigen Leib: zur Kirche« (CEC 1396).

3. Diese traditionelle Lehre ist tief in der Schrift verwurzelt. In dem schon zitierten Abschnitt aus dem Ersten Korintherbrief entwickelt Paulus sie weiter; er geht dabei von einem Hauptthema aus, nämlich der »koinonía«, d. h. der Gemeinschaft, die in der Eucharistie zwischen dem Gläubigen und Christus entsteht. »Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe (»koinonia«) am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe (»koinonia«) am Leib Christi?« (10,16). Diese Gemeinschaft wird im Johannesevangelium noch deutlicher dargestellt, nämlich als einzigartiges Verhältnis »gegenseitiger Innerlichkeit«: »Er in mir und ich in ihm.« Jesus erklärt nämlich in der Synagoge von Kafarnaum: »Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm« (Jn 6,56).

Dasselbe Thema wird auch in den Reden des Letzten Abendmahls durch das Symbol des Weinstocks herausgestellt: Die Rebe kann nur dann grünen und Frucht bringen, wenn sie am Weinstock bleibt, von dem sie Lebenssaft und Kraft erhält (Joh 15,1-7). Sonst ist sie nur ein verdorrter Ast, der ins Feuer geworfen wird; »aut vitis aut ignis«, »entweder der Weinstock oder das Feuer«, kommentiert der hl. Augustinus hierzu lapidar (In Johannis Evangelium, 81,3; in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 19, Kempten/München 1914, S. 123). Es zeichnet sich hier eine Einheit, eine »Communio« ab, die sich zwischen dem Gläubigen und dem in der Eucharistie gegenwärtigen Christus verwirklicht, und zwar auf der Grundlage des Grundsatzes, den Paulus folgendermaßen formuliert: »Haben die, welche von den Opfern essen, nicht teil am Altar?« (1Co 10,18).

64 4. Diese Gemeinschaft-»koinonia« ist »vertikaler« Art, weil sie uns mit dem göttlichen Mysterium verbindet; gleichzeitig schafft sie eine Gemeinschaft- »koinonia«, die wir als »horizontal«, also kirchlich und brüderlich bezeichnen könnten, da sie alle Teilnehmer am selben Mahl in einem Liebesband zu vereinen vermag. »Darum sind wir viele ein Leib« - sagt uns Paulus - »denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1Co 10,17). Die Rede über die Eucharistie nimmt jene große Reflexion über die Kirche vorweg, die der Apostel im 12. Kapitel desselben Briefes entwickeln wird, wenn er vom Leib Christi in seiner Einheit und Vielfalt spricht. Auch die berühmte Beschreibung der Kirche von Jerusalem, die Lukas in der Apostelgeschichte vornimmt, zeigt diese brüderliche Einheit oder »koinonia« auf und bringt sie in Verbindung mit dem Brechen des Brotes, d. h. mit der Eucharistiefeier (vgl. Ac 2,42). Es ist eine Gemeinschaft, die sich unter den konkreten Bedingungen der Geschichte vollzieht: »Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft (»koinonia«), am Brechen des Brotes und an den Gebeten […] Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam« (Ac 2,42 Ac 2,44).

5. Wenn man also die Eucharistie feiert, ohne die Anforderungen der Nächstenliebe und Gemeinschaft zu berücksichtigen, verleugnet man ihre tiefe Bedeutung. Mit strengen Worten äußert sich Paulus hierzu gegenüber den Korinthern, denn ihre Zusammenkünfte waren wegen der Spaltungen, Ungerechtigkeiten und Egoismen »keine Feier des Herrenmahls mehr« (1Co 11,20). In diesem Fall ist die Eucharistie nicht mehr »agape«, also Ausdruck und Quelle der Liebe, und wer unwürdig an ihr teilnimmt, ohne sie also in brüderliche Liebe umzusetzen, »der zieht sich das Gericht zu, indem er ißt und trinkt« (1Co 11,29). »Wenn nämlich das Leben der Christen in der Erfüllung des größten Gebots besteht, in der Liebe zu Gott und dem Nächsten, so findet diese Liebe ihre Quelle gerade im allerheiligsten Altarsakrament, das ja auch oft Sakrament der Liebe genannt wird« (Dominicae coenae, 5).

Die Eucharistie erinnert an diese Liebe, sie vergegenwärtigt und schafft sie. Folgen wir also dem Aufruf des Bischofs und Märtyrers Ignatius, der die Gläubigen von Philadelphia in Kleinasien zur Einheit ermahnte: »Es ist nur ein Fleisch unseres Herrn Jesu Christi und nur ein Kelch zur Einigung mit seinem Blute, nur ein Altar, wie nur ein Bischof ist« ( Philadelphenses, 4; in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 35, Kempten/München 1918, S. 143). Und mit den Worten der Liturgie beten wir zu Gott Vater: »Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem Heiligen Geist, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus« (Drittes Hochgebet).

Die Eucharistie ist das Zeichen der Einheit der Gläubigen mit Jesus Christus und untereinander. Sie ist das Sakrament und die Quelle der kirchlichen Gemeinschaft. Die christliche Überlieferung hat dies von Anfang an durch die Zeichen von Brot und Wein zum Ausdruck gebracht: Das Brot besteht aus vielen Körnern. Der Wein wird aus den Beeren vieler Trauben gewonnen.

Durch die Teilnahme am eucharistischen Mahl werden die Gläubigen mit Jesus Christus und miteinander verbunden. So wächst und ereignet sich Kommunion. Dabei zeigt sich eine vertikale Gemeinschaft, die uns auf wunderbare Weise mit Gott vereint, und eine horizontale, die uns in der Kirche zu Brüdern und Schwestern macht. Gottes Liebe versammelt seine Kinder um den einen Tisch. Die dort empfangene Liebe müssen die Gläubigen im Alltag leben und weitergeben. Daran erkennt man die wahren Jünger Jesu.
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Liebe deutschsprachige Pilger und Besucher, ich begrüße euch sehr herzlich. Euer Aufenthalt in Rom möge zu Tagen des Heiles werden. Der Gang durch die Heilige Pforte sei euch ein Ansporn, euren Lebensweg immer mehr auf Christus auszurichten. Dazu erteile ich euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.




Mittwoch, 15. November 2000

Das Wort, die Eucharistie und die getrennten Christen

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Im Programm dieses Heiligen Jahres durfte die Dimension des ökumenischen und interreligiösen Dialogs nicht fehlen, wie ich bereits in Tertio millennio adveniente ankündigte (vgl. Nrn. 53 und Nr. 55). Die trinitarischen und eucharistischen Gedanken, die wir in den vorigen Katechesen entwickelt haben, bringen uns nun dazu, bei diesem Aspekt zu verweilen. Hierbei soll vornehmlich das Problem der Wiederherstellung der Einheit zwischen den Christen berücksichtigt werden. Wir tun dies im Licht des Berichts aus dem Evangelium über die Emmausjünger (vgl. Lc 24,13-35) und untersuchen hierbei die Art und Weise, wie die zwei Jünger, die sich von der Gemeinschaft entfernt hatten, dazu gebracht wurden, den Weg zurückzugehen und wieder zur Gemeinschaft zurückzufinden.

65 2. Die beiden Jünger kehrten dem Ort, an dem Jesus gekreuzigt worden war, den Rücken zu, da dieses Ereignis für sie eine bittere Enttäuschung bedeutete. Aus demselben Grund entfernten sie sich von den anderen Jüngern und überließen sich sozusagen dem Individualismus. »Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte« (Lc 24,14), ohne dessen Sinn zu verstehen. Sie erkannten nicht, daß Jesus gestorben war, »um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln« (Jn 11,52). Sie sahen nur den schrecklich negativen Aspekt des Kreuzes, das ihre Hoffnungen zunichte machte: »Wir aber hatten gehofft, daß er der sei, der Israel erlösen werde« (Lc 24,21). Der auferstandene Jesus tritt an ihre Seite und geht mit ihnen, doch »sie waren wie mit Blindheit geschlagen, so daß sie ihn nicht erkannten« (Lc 24,16), denn in spiritueller Hinsicht befanden sie sich in tiefster Finsternis. Jesus bemüht sich also mit bewundernswerter Geduld, sie durch eine ausführliche Auslegung der Bibel wieder zum Licht des Glaubens zu führen: »Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht« (Lc 24,27). Ihr Herz begann zu brennen (vgl. Lc 24,32). Sie baten ihren geheimnisvollen Gefährten, bei ihnen zu bleiben. »Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr« (Lc 24,30-31). Dank der erhellenden Erklärung der Schrift waren sie aus der Finsternis des Unverständnisses zum Licht des Glaubens gelangt und vermochten nun den auferstandenen Christus zu erkennen, »als er das Brot brach« (Lc 24,35).

Die Folge dieser tiefgreifenden Veränderung war der Wunsch, sich sofort aufzumachen und nach Jerusalem zurückzukehren, um bei »den Elf und den anderen« (vgl. Lc 24,33) zu sein. Der Weg des Glaubens hatte diese brüderliche Einigung möglich gemacht.

3. Die Verbindung zwischen der Auslegung des Wortes Gottes und der Eucharistie kommt auch an anderen Stellen des Neuen Testaments vor. Johannes verknüpft dieses Wort mit der Eucharistie, als er uns bei der Rede in Kafarnaum Jesus vor Augen stellt, der an das Geschenk des Manna in der Wüste erinnert und es unter dem eucharistischen Blickwinkel neu interpretiert (vgl. Jn 6,32-58). In der Kirche von Jerusalem war das beharrliche Hören der »didaché« - also der auf dem Wort Gottes gründenden apostolischen Lehre - der Teilnahme am »Brechen des Brotes« (Ac 2,42) vorangestellt.

Lukas berichtet auch, daß, als sich in Troas die Christen um Paulus versammelten, um »das Brot zu brechen«, diese Versammlung mit langen Ansprachen des Apostels eröffnet wurde (vgl. Ac 20,7) - sicherlich um Glauben, Hoffnung und Liebe zu stärken. Aus all dem wird ersichtlich, daß die Einheit im Glauben die Vorbedingung für die gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie ist.

Das II. Vatikanische Konzil zitiert den hl. Johannes Chrysostomus (vgl. In Joh hom., 46), um uns daran zu erinnern, daß durch den Wortgottesdienst und die Eucharistie »die Gläubigen, mit ihrem Bischof geeint, Zutritt zu Gott, dem Vater, haben durch den Sohn, das fleischgewordene Wort, der gelitten hat und verherrlicht wurde in der Ausgießung des Heiligen Geistes, und so die Gemeinschaft mit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit erlangen, indem sie ›der göttlichen Natur teilhaftig‹ (2P 1,4) geworden sind. So baut sich auf und wächst durch die Feier der Eucharistie des Herrn in diesen Einzelheiten die Kirche Gottes, und durch die Konzelebration wird ihre Gemeinschaft offenbar« (Unitatis redintegratio UR 15). Diese Bindung an das Geheimnis der göttlichen Einheit erzeugt also ein Band der Gemeinschaft und Liebe zwischen denen, die um den einzigen Tisch des Wortes und der Eucharistie versammelt sind. Der eine Tisch ist Zeichen und Ausdruck der Einheit. »Folglich ist die eucharistische Gemeinschaft untrennbar an die volle kirchliche Gemeinschaft und deren sichtbaren Ausdruck gebunden« (Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Ökumenisches Direktorium, 1993, Nr. 129).

4. In diesem Licht wird verständlich, warum die lehramtlichen Spaltungen, die zwischen den Jüngern Christi in den verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften bestehen, die volle Gemeinschaft im Sakrament einschränken. Doch die Taufe bildet die tiefe Wurzel einer grundsätzlichen Einheit, die die Christen - trotz aller Spaltungen - untereinander verbindet. Wenn also die Teilnahme an ein und derselben Eucharistie für die noch getrennten Christen ausgeschlossen ist, so kann man doch in die Eucharistiefeier - in bestimmten, vom Ökumenischen Direktorium vorgesehenen Fällen - einige Zeichen der Einheit einbringen, die die schon existierende Einheit ausdrücken und in die Richtung der vollen Gemeinschaft der Kirchen rund um den Tisch des Wortes sowie des Leibes und Blutes des Herrn gehen. So kann »in Ausnahmefällen und aus gutem Grund […] der Diözesanbischof dem Mitglied einer anderen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft erlauben, die Aufgabe des Lektors zu übernehmen« (ebd., Nr. 133). In Anlehnung daran ist zwischen Katholiken und orientalischen Christen, »wenn die Notwendigkeit es erfordert oder ein wirklicher geistlicher Nutzen dazu rät und vorausgesetzt, daß jede Gefahr des Irrtums oder des Indifferentismus vermieden wird« (ebd., Nr. 123), eine gewisse Gegenseitigkeit für die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung zulässig (vgl. ebd., Nr. 123-131).

5. Und dennoch muß der Baum der Einheit erst bis zu seiner vollen Größe heranwachsen, wie Christus in dem großen Gebet im Abendmahlssaal bat, das heute zu Beginn verlesen wurde (vgl. Jn 17,20-26; Unitatis redintegratio UR 22). Die Grenzen, die der Interkommunion vor dem Tisch des Wortes und der Eucharistie gesetzt sind, müssen sich in einen Aufruf zur Läuterung, zum Dialog und zum ökumenischen Weg der Kirchen verwandeln. Es sind Grenzen, die uns gerade in der Eucharistiefeier die Last unserer Trennungen und Widersprüche noch schwerer spüren lassen. Die Eucharistie wird so zu einer Herausforderung und Provokation im Herzen der Kirche selbst, um uns an den eindrücklichen, äußersten Wunsch Christi zu erinnern: »Alle sollen eins sein« (Jn 17,21).

Die Kirche darf kein Leib mit geteilten und schmerzenden Gliedern sein, sondern ein lebendiger und starker Organismus. Er wird genährt vom göttlichen Brot - wie dies beim Weg des Elija angedeutet wird (vgl. 1 Kön 19,1-8) -um bis zum Gipfel der endgültigen Begegnung mit Gott vorzurücken. Dort wird die Vision der Apokalypse endlich in Erfüllung gehen: »Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat« (Ap 21,2).

Im Jubel des Heiligen Jahres dürfen wir auch die Töne nicht überhören, die nachdenklich stimmen und uns zur Einkehr mahnen.

Ich denke dabei an den ökumenischen Dialog, besonders im Hinblick auf die Eucharistie. Ich bin mir bewußt: Nicht wenige Jünger Christi, die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften angehören, machen die schmerzliche Erfahrung, noch nicht gemeinsam Gäste am Tisch des Wortes und der Eucharistie sein zu können.

Doch wer die sakramentale Kommunion teilen will, muß auch in voller Gemeinschaft in der Lehre stehen. Wenn den getrennten Christen die Teilnahme an der Eucharistie auch versagt bleibt, so ist es doch möglich, in besonderen Fällen nach dem Ökumenischen Direktorium einige Zeichen zu setzen, welche die schon bestehende Einheit ausdrücken und das Ziel der vollen Gemeinschaft der Kirchen um den Tisch des Wortes und des Leibes und Blutes Christi andeuten.

Jedenfalls ist die Last der Trennung für uns Herausforderung und Provokation zugleich: Der Wunsch Christi, daß alle eins sein mögen, soll uns anspornen, den Weg der Umkehr und der Reinigung des Herzens einzuschlagen und entschieden voranzugehen.
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Diese eindringliche Bitte, sich um die wahre Einheit der Christen zu mühen, lege ich allen deutschsprachigen Pilgern und Besuchern ans Herz. Besonders heiße ich die Dillinger Franziskanerinnen willkommen, die an dieser Audienz teilnehmen, ehe sie ihr Haus in La Storta verlassen: Gott begleite Euren Neuanfang! Euch allen, Euren lieben Angehörigen daheim und denen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.




Mittwoch, 22. November 2000

Glaube, Hoffnung und Liebe in ökumenischer Hinsicht

66 Liebe Schwestern und Brüder!

1. Glaube, Hoffnung und Liebe sind wie drei Sterne, die am Himmel unseres spirituellen Lebens aufstrahlen, um uns zu Gott zu führen. Es sind die »göttlichen« Tugenden, denn sie verbinden uns mit Gott und geleiten uns zu Ihm. Sie bilden ein Triptychon, das seinen Höhepunkt in der Liebe findet: die »agape«, die von Paulus in einem Hymnus des Ersten Korintherbriefs so wundervoll beschrieben wird. Er endet mit den Worten: »Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe« (
1Co 13,13).

Die göttlichen Tugenden spornen die Jünger Christi - in dem Maße wie diese sich von ihnen beseelen lassen - auch zur Einheit an, gemäß dem Hinweis der paulinischen Worte, die wir zu Beginn gehört haben: »Ein Leib […] eine gemeinsame Hoffnung […] ein Herr, ein Glaube […] ein Gott und Vater« (Ep 4,4-6). Wir setzen unsere Überlegungen der vorangegangenen Katechese über die ökumenische Perspektive fort und wollen uns heute mit der Rolle der theologischen Tugenden auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott und mit den Brüdern und Schwestern befassen.

2. Im soeben erwähnten Abschnitt aus dem Epheserbrief hebt der Apostel in erster Linie die Einheit des Glaubens hervor. Diese Einheit hat ihren Ursprung im Wort Gottes, das alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften als Leuchte für ihre Schritte auf dem Pfad ihrer Geschichte ansehen (vgl. Ps 119,105). Gemeinsam bekennen Kirchen und kirchliche Gemeinschaften den Glauben an den »einen Herrn«, Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, und an »einen Gott und Vater aller« (vgl. Ep 4,5 Ep 4,6). Diese grundlegende Einheit - zusammen mit jener, die sich aus der einen Taufe ergibt - geht klar aus den zahlreichen Dokumenten des ökumenischen Dialogs hervor, auch wenn über diesen oder jenen Punkt noch Gründe zum Vorbehalt bestehen. So lesen wir beispielsweise in einem Dokument des Ökumenischen Rats der Kirchen: »Die Christen glauben, daß der ›einzige wahre Gott‹, der sich dem Volk Israel zu erkennen gab, sich in Jesus Christus, ›den er gesandt hat‹ (vgl. Jn 17,3), auf höchste Weise offenbart hat; daß Gott ›in Christus die Welt mit sich versöhnt hat‹ (2Co 5,19) und daß Gott durch seinen Heiligen Geist allen, die sich ihm durch Christus anvertrauen, neues und ewiges Leben bringt« (vgl. ÖRK, Den einen Glauben bekennen, 1992, Nr. 6).

Alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften berufen sich auf die ursprünglichen Glaubensbekenntnisse und die Definitionen der ersten ökumenischen Konzile. Es bleiben jedoch gewisse lehramtliche Meinungsverschiedenheiten. Diese müssen überwunden werden, damit der Prozeß der Einheit des Glaubens zu jener Fülle gelange, die in der Verheißung Christi angedeutet wird: »Sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten« (Jn 10,16).

3. Im Text des Epheserbrief, den wir als Leitgedanken unseres Treffens gewählt haben, spricht Paulus auch von der einen Hoffnung, zu der wir berufen sind (vgl. 4,4). Es ist eine Hoffnung, die durch das Gebet und durch ein tätiges und konsequentes Leben im gemeinsamen Einsatz für das Kommen des Reiches Gottes erkennbar wird. Innerhalb dieses weiten Horizonts ist die ökumenische Bewegung auf grundlegende Zielsetzungen ausgerichtet, die miteinander verbunden sind in einer einzigen Hoffnung: Einheit der Kirche, Evangelisierung der Welt, Befreiung und Frieden in der menschlichen Gemeinschaft. Der ökumenische Weg hat auch aus dem Dialog mit den irdischen und humanistischen Hoffnungen unserer Zeit Vorteile gezogen, sogar aus dem Dialog mit der verborgenen und scheinbar besiegten Hoffnung der »Hoffnungslosen«. Angesichts dieser vielfältigen Ausdrucksformen der Hoffnung in unserem Zeitalter wurden die Christen - obwohl es Spannungen zwischen ihnen gibt und sie unter Trennungen leiden - dazu bewegt, »einen gemeinsamen Grund zur Hoffnung« zu entdecken und zu bezeugen (vgl. ÖRK, Kommission »Faith and Order«, Sharing in One Hope, Bangalore 1978) und deren unzerstörbares Fundament in Christus zu erkennen. Ein französischer Dichter schrieb einmal: »Das eigentlich Schwierige ist das Hoffen [. . .] Verzweifeln ist einfach, und es ist die große Versuchung« (vgl. Charles Péguy, Porche du mystère de la deuxième vertu). Für uns Christen bleibt allerdings immer die Ermahnung des hl. Petrus gültig, nämlich Rede und Antwort zu stehen für die Hoffnung, die uns erfüllt (vgl. 1P 3,15).

67 4. Auf der höchsten Stufe der göttlichen Tugenden steht die Liebe. Paulus vergleicht sie mit einem goldenen Band, das die ganze christliche Gemeinschaft in vollkommener Harmonie vereint: »Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht« (Col 3,14). In dem feierlichen Gebet um die Einheit der Jünger offenbart Jesus ihr tiefes theologisches Wesen: »Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht […], damit die Liebe, mit der du [Vater] mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin« (Jn 17,26). Genau diese Liebe soll man annehmen und wachsen lassen, damit sie die Kirche zu einem einzigen Leib zusammenfügt, wie uns Paulus weiter sagt: »Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut« (Ep 4,15-16).

5. Das kirchliche Ziel der Liebe, das zugleich deren unerschöpfliche Quelle darstellt, ist die Eucharistie: Gemeinschaft mit dem Leib und Blut des Herrn, Vorwegnahme der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott. In den Beziehungen zwischen den getrennten Christen ist es leider - wie ich in der vorigen Katechese erwähnte - »wegen der den Glauben berührenden Divergenzen noch nicht möglich, miteinander die Eucharistie zu feiern. Doch haben wir den sehnlichen Wunsch, gemeinsam die eine Eucharistie des Herrn zu feiern, und dieser Wunsch wird schon zu einem gemeinsamen Lob, zu ein und demselben Bittgebet. Gemeinsam wenden wir uns an den Vater und tun das zunehmend ›mit nur einem Herzen‹« (Ut unum sint UUS 45). Das Konzil hat uns daran erinnert, »daß dieses heilige Anliegen der Wiederversöhnung aller Christen in der Einheit der einen und einzigen Kirche Christi die menschlichen Kräfte und Fähigkeiten übersteigt«. Wir müssen daher unsere ganze Hoffnung »auf das Gebet Christi für die Kirche, auf die Liebe des Vaters zu uns und auf die Kraft des Heiligen Geistes« setzen (Unitatis redintegratio UR 24).

Glaube, Hoffnung und Liebe sind wie drei Sterne, die am Himmel unseres geistlichen Lebens leuchten. Sie stellen im wahrsten Sinn des Wortes göttliche Tugenden dar. Denn sie führen uns in die Gemeinschaft mit Gott ein. Diese Dreiheit der Tugenden gipfelt in der Tugend der Liebe, der ‘agape’, die vom heiligen Apostel Paulus so schön besungen sind. ‘Für jetzt bleiben Glauben, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.’ (1Co 13,13)

In dem Maß, in dem diese Tugenden jeden Christen erfüllen, drängen sie die Jünger Jesu zur Einheit: ‘Ein Leib und ein Geist’, ein Herr’ ein Glaube’ ein Gott und Vater aller? (vgl. Ep 4,4-6). So erhalten die göttlichen Tugenden einen ökumenischen Charakter: In der Tat tragen sie dazu bei, daß die Christen einander näherkommen.

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Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gekommen sind. Euch, Euren lieben Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen.



Generalaudienz 2000 61