Generalaudienz 2002 43


Mittwoch 10. Juli 2002




Liebe Schwestern und Brüder!

Das Gebet der drei Jünglinge im Feuerofen, das uns das dritte Kapitel des Buches Daniel überliefert, ist ein großartiger Lobgesang. In ihm macht sich der Mensch zum Sprachrohr der gesamten Schöpfung, um Gott zu danken.

Selbst in Todesgefahr verstummt der Lobpreis nicht: Zu jeder Zeit wissen die gläubigen Beter um den mächtigen Beistand dessen, der sie erschaffen hat. Hier erweist sich die Kraft des vertrauensvollen Gebetes, das nicht aufhört in Dankbarkeit Gott als den Herrn in allen Lebenslagen zu bekennen.
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Von Herzen heiße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. In besonderer Weise begrüße ich die Ministranten aus Deutschland und der Schweiz. Euch allen und Euren Lieben daheim, sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gerne den Apostolischen Segen.




Mittwoch, 17. Juli 2002

44
Lesung: Psalm 148, 1-6


Liebe Schwestern und Brüder!

1. Der soeben zu Gott erhobene Psalm 148 ist ein wahrer »Sonnengesang«, eine Art »Te Deum« des Alten Testamentes, ein kosmisches Halleluja, das alles und alle in das göttliche Lob miteinbezieht.

Ein zeitgenössischer Exeget kommentiert ihn wie folgt: »Der Psalmist ordnet die Geschöpfe, indem er sie beim Namen nennt: oben den Himmel, zwei Gestirne, den Zeiten entsprechend, und seitwärts die Sterne; auf der einen Seite die Fruchtbäume, auf der andern die Zedern; auf einer Stufe die Reptilien und auf einer andern die Vögel; hier die Fürsten und dort das Volk; die Jungen und die Mädchen in Zweierreihen, vielleicht Hand in Hand …Gott hat sie hingestellt, indem er ihnen einen Platz und eine Aufgabe zugeteilt hat; der Mensch nimmt sie an, indem er ihnen einen Platz in der Sprache einräumt und sie, so geordnet, zur Liturgiefeier geleitet. Der Mensch ist der ›Hirt des Daseins‹ oder der Liturge der Schöpfung« (L. Alonso Schökel, Trenta salmi: poesia e preghiera, Bologna 1982, S. 499).

Auch wir folgen diesem universalen Chor, der in der Apsis des Himmels erklingt und den gesamten Kosmos als Gotteshaus hat. Lassen wir uns vom Atem und Lobpreis erfassen, den alle Geschöpfe zu ihrem Schöpfer erheben.

2. Im Himmel finden wir die Sänger des Weltraums: die weit entfernten Gestirne, die Scharen der Engel, die Sonne und den Mond, die leuchtenden Sterne, »alle Himmel« (vgl. V. 4), das heißt den Weltraum, die Wasser über dem Himmel, von denen der biblische Mensch meinte, sie würden in einem Behälter aufbewahrt, bevor sie als Regen auf die Erde niederfallen.

Das Halleluja, das heißt die Einladung, »den Herrn zu loben«, erklingt wenigstens achtmal und hat die Ordnung und Harmonie der himmlischen Wesen zum Ziel: »Er gab ihnen ein Gesetz, das sie nicht übertreten« (V. 6).

Der Blick richtet sich dann auf den Horizont der Erde, wo sich eine Prozession von wenigstens 22 Sängern aufstellt, das heißt eine Art Alphabet des Lobes, das über unseren Planeten verstreut ist. Da sind die Seeungeheuer und die Tiefen, Symbole des Chaos der Meere, auf dem er den Erdkreis gegründet hat (vgl.
Ps 24,2), gemäß der kosmoslogischen Auffassung der alten Semiten.

Der Kirchenvater Basilius sagt dazu: »Nicht einmal der Abgrund wurde vom Psalmisten für verächtlich gehalten, denn er hat ihn in den allgemeinen Chor der Schöpfung einbezogen, er vervollständigt sogar mit eigenen Worten harmonisch den Hymnus an den Schöpfer« (Homiliae in hexaemeron, III. 9: ).

3. Die Prozession wird mit den Geschöpfen der Atmosphäre fortgesetzt: mit dem blitzenden Feuer, dem Hagel, dem Schnee, dem Nebel und dem Sturmwind, der als rascher Bote Gottes gilt (vgl. Ps 148,8).

Dann kommen die Berge und die Hügel an die Reihe, die im allgemeinen als die ältesten Geschöpfe der Erde betrachtet w rden (vgl. V. 9a). Das Pflanzenreich wird von den Fruchtbäumen und den Zedern vertreten (vgl. V. 9b). Die Tierwelt hingegen ist durch die wilden Tiere, das Vieh, die Kriechtiere und die gefiederten Vögel anwesend (vgl. V. 10).

45 Und zum Schluß tritt der Mensch auf und leitet die Schöpfungsliturgie. Er wird nach Alter und Merkmalen vorgestellt: die jungen Männer und Frauen, die Jungen und die Alten, die Fürsten, Könige und Völker (vgl. V. 11 -12).

4. Wir überlassen jetzt dem hl. Johannes Chrysostomus die Aufgabe, einen Überblick über diesen riesigen Chor zu geben. Er tut es mit Worten, die auch auf den Lobgesang der drei jungen Männer im Feuerofen anspielen, über den wir in der vergangenen Katechese nachgedacht haben.

Der bedeutende Kirchenvater und Patriarch von Konstantinopel bekräftigt: »Aufgrund ihrer großen Rechtschaffenheit der Herzen rufen die Heiligen, wenn sie sich zur Danksagung an Gott vorbereiten, viele Geschöpfe zur Teilhab an ihrem Lobgesang herbei und fordern sie auf, gemeinsam mit ihnen diese schöne Liturgie zu feiern. Das taten auch die drei jungen Männer im Feuerofen, als sie die ganze Schöpfung aufriefen, Gott für die empfangene Wohltat zu danken und ihn zu lobpreisen (Dn 3).

Dasselbe tut auch dieser Psalm, indem er beide Teile der Welt herbeiruft, den einen in der Höhe und den anderen, der niedriger steht, den sinnlich wahrnehmbaren und den verstandesmäßigen Teil. Das tat auch der Prophet Jesaja, als er sagte: »Jubelt, ihr Himmel, jauchze, o Erde! Denn der Herr hat sein Volk getröstet« (
Is 49,13). Und das Psalterium drückt sich wie folgt aus: »Als Israel aus Ägypten auszog, Jakobs Haus aus dem Volk mit fremder Sprache … hüpften die Berge wie Widder, die Hügel wie junge Lämmer« (Ps 114,1 Ps 114,4). Und bei Jesaja heißt es an anderer Stelle: »Ihr Wolken laßt Gerechtigkeit regnen« (Is 45,8). Denn die Heiligen halten sich allein nicht für ausreichend im Lobpreis des Herrn, sie wenden sich nach allen Seiten und beziehen alle in die allgemeine Hymnodie ein« (Expositio in psalmum CXLVIII: - 485).

5. Auch wir sind eingeladen, in diesen großen Chor einzustimmen, indem wir zum Vorsänger aller Geschöpfe werden und Gott in den beiden Grunddimensionen seines Geheimnisses lobpreisen. Auf der einen Seite müssen wir seine transzendente Größe anbeten, »denn sein Name allein ist erhaben, seine Hoheit strahlt über Erde und Himmel«, heißt es in unserem Psalm (V. 13). Anderseits erkennen wir seine nachsichtige Güte, denn Gott ist seinen Geschöpfen nahe und kommt besonders seinem Volk zu Hilfe: »Seinem Volk verleiht er Macht …das Volk, das ihm nahen darf« (V. 14), wie der Psalmist weiter bekräftigt.

Angesichts des allmächtigen und barmherzigen Schöpfers nehmen wir also die Einladung des hl. Augustinus an, ihn zu loben, zu rühmen und zu preisen durch seine Werke: »Wenn du diese Geschöpfe siehst und dich daran freust und zum Urheber von allem erhebst und durch die Einsicht seine unsichtbaren Eigenschaften in den Geschöpfen entdeckst, dann steigt auf Erden und im Himmel das Bekenntnis auf …Wenn die Geschöpfe schön sind, um wieviel schöner wird dann der Schöpfer sein?« (Esposizioni sui Salmi, IV, Roma, 1977, Ss. 887 -889).

In Psalm 148, dem „Te Deum" des Alten Testamentes, vereint sich die Stimme aller Wesen im Himmel und auf der Erde zu einem kosmischen Halleluja ohne Ende: Die Geschöpfe sollen loben den Namen des Herrn; denn er gebot, und sie waren erschaffen! (vgl. Ps 148,5). Gottes souveräner Wille steht am Anfang der Schöpfung. Alles und alle nehmen teil an der Verherrlichung des Herrn, dem sie das Sein verdanken. Wir Menschen sind eingeladen, in diesen großen Lobpreis auf Gott, den Herrn und Schöpfer, einzustimmen.
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Mit Freude begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache sowie aus Belgien und den Niederlanden. Als Teil der wunderbaren Schöpfung Gottes wollen wir in Worten und Taten die große Danklitanei auf unseren Herrn und Erschaffer mitvollziehen. Von Herzen erteile ich Euch und Euren Lieben daheim sowie allen, die heute mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.



August 2002


Mittwoch, 7. August 2002

46
Liebe Schwestern und Brüder!


1. Beim Angelusgebet am vergangenen Sonntag wollte ich in Gedanken nach Toronto zurückkehren, wo der XVII. Weltjugendtag stattgefunden hat. Heute möchte ich bei den nachfolgenden Etappen meiner Apostolischen Reise nach Guatemala und Mexiko verweilen, wo mir der Herr die Freude zuteil werden ließ, einige bedeutende Söhne des amerikanischen Kontinents selig- und heiligzusprechen.

Ich möchte vor allem den Autoritäten aus Politik, Verwaltung und Militär und allen institutionellen Organisationen der jeweiligen Länder erneut meine tiefempfundene Dankbarkeit für den Empfang und die Gastfreundschaft aussprechen, die sie mir und meinen Mitarbeitern entgegengebracht haben.

Meine Dankbarkeit gilt auch den Bischöfen, den Priestern, den Ordensmännern und -frauen, den freiwilligen Helfern und den Familien, die sich mit großherziger Einsatzbereitschaft um den Empfang der Pilger gekümmert und dafür gesorgt haben, daß alles aufs beste ablief. Die Beteiligung der Bevölkerung hat dazu beigetragen, daß jede Etappe meiner Pilgerreise durch eine geistige Atmosphäre der Freude und des Festes gekennzeichnet war. Mein tiefster und herzlichster Dank gilt aber dem christlichen Volk, das in großer Zahl zusammengeströmt ist, um mir in Guatemala und Mexiko zu begegnen. In der intensiven Teilnahme dieser Brüder und Schwestern konnte ich den Glauben wahrnehmen, der sie beseelt, die kindliche Treue gegenüber dem Nachfolger des hl. Petrus und die Begeisterung über ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche.

2. Der Anlaß für meinen Besuch in Guatemala-Stadt war die Heiligsprechung von Bruder Pedro de San José de Betancur, der, aus Teneriffa stammend, den Ozean überquerte, um den Armen und den Eingeborenen von Kuba, Honduras und schließlich Guatemala, das er gerne sein »verheißenes Land« nannte, das Evangelium zu bringen. Er war ein Mann des intensiven Gebets und ein unerschrockener Apostel der göttlichen Barmherzigkeit. Aus der Betrachtung der Geheimnisse von Betlehem und Golgotha schöpfte er die Kraft für seinen Dienst. Das Gebet wurde die Quelle seines Eifers und seines apostolischen Mutes. Antlitz Christi Demütig und genügsam wußte er in den Brüdern, besonders in den verlassensten, das Antlitz Christi zu erkennen, und für alle Menschen in Not war er »der Mensch, der zur Nächstenliebe wurde«. Sein Beispiel ist eine Einladung, die barmherzige Liebe gegenüber den Brüdern und Schwestern zu üben, besonders gegenüber den Verlassenen. Seine Fürsprache möge die Gläubigen von Guatemala und der ganzen Welt beseelen und dabei unterstützen, ihr Herz für Christus und die Nächsten zu öffnen.

3. Die letzte Station meiner Reise war Mexiko-Stadt, wo ich die Freude hatte, in der Basilika von Guadalupe bei zwei verschiedenen Anlässen drei Söhne dieses geliebten Landes zur Ehre der Altäre zu erheben: den hl. Juan Diego, dem auf dem Hügel des Tepeyac die Jungfrau Maria erschienen war;die sel. Juan Bautista und Jacinto de los Ángeles, die im Jahr 1700 ihr Blut vergossen haben, um ihrer Taufe und der katholischen Kirche treu zu bleiben.

Juan Diego, der erste heiliggesprochene Indio, war ein Mann großer Einfachheit, demütig und großherzig. Er steht in enger Verbindung zur Jungfrau von Guadalupe, deren Gesichtszüge einer Mestizin eine zärtliche mütterliche Liebe gegenüber allen Mexikanern zum Ausdruck bringen. Das Ereignis von Guadalupe bedeutete den Beginn der Evangelisierung von Mexiko, das Modell einer auf vollkommene Weise inkulturierten Evangelisierung, das aufzeigt, wie die christliche Botschaft angenommen werden kann, ohne dabei auf die eigene Kultur verzichten zu müssen.

Die sel. Juan Bautista und Jacinto de los Ángeles sind Früchte der Heiligkeit der ersten Evangelisierung unter den zapotekischen Indios. Als rechtschaffene Familienväter wußten sie ihre Pflichten zu erfüllen, indem sie sich immer an den Lehren des Evangeliums ausrichteten, ohne die traditionelle einheimische Kultur aufzugeben. Ihr Leben ist ein beispielhaftes Modell dafür, wie man die Gipfel der Heiligkeit erreichen kann, auch in der Treue zur Kultur der Vorfahren, die von der erneuernden Gnade Christi erleuchtet wird.

Diese treuen Jünger Christi mit ihrer kindlichen Verehrung für Maria, die Jungfrau von Guadalupe, die Mutter und Königin von Amerika, deren Gedenken diese eine Pastoralreise ständig begleitet hat, mögen den missionarischen Eifer der Gläubigen in Amerika im Dienst an der Neuevangelisierung unterstützen. Sie mögen für das ganze Volk Gottes Ansporn sein, eine neue Menschheit heranzubilden, die sich an den ewigen Werten des Evangeliums ausrichtet.

Heute möchte ich auf meine Apostolische Reise zurückschauen, die mich nach Kanada, Guatemala und Mexiko geführt hat.

Die Begegnung mit den Jugendlichen in Toronto war eine wunderbare Erfahrung für alle Teilnehmer. In Guatemala fand die Heiligsprechung von Bruder Pedro de san José de Betancur statt, der besonders in den Ärmsten das Angesicht Jesu Christi erkannte. Drei vorbildliche eingeborene Söhne des Landes wurden in Mexiko zur Ehre der Altäre erhoben: San Juan Diego und die seligen Juan Bautista und Jacinto de los Angeles. Möge das leuchtende Beispiel dieser Zeugen den missio-narischen Eifer der Gläubigen in Amerika stärken.
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47 Herzlich heiße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen.
Euch allen und Euren Lieben daheim sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gerne den Apostolischen Segen.




Mittwoch, 21. August 2002

Liebe Schwestern und Brüder!


1. Heute kehre ich in Gedanken zurück zur achten Reise in meine Heimat. Die göttliche Vorsehung hat mir ermöglicht, sie in den vergangenen Tagen glücklich zu beenden.

Erneut bekunde ich dem Präsidenten der Republik Polen, dem Premierminister, den nationalen zivilen und militärischen Behörden jeder Art und jeden Grades sowie den Autoritäten der Stadt Krakau meine Dankbarkeit dafür, daß sie für den reibungslosen Ablauf meines Besuches gesorgt haben. Ein herzlicher Gedanke gilt auch dem Primas, Kardinal Józef Glemp, dem Erzbischof von Krakau, Kardinal Franciszek Macharski, dem gesamten Episkopat, den Priestern, den Gottgeweihten und allen, die dieses wichtige kirchliche Ereignis vorbereitet und mit Glauben und Andacht daran teilgenommen haben.

Vor allem möchte ich meinen lieben Landsleuten von Herzen Dank sagen dafür, daß sie mich in so großer Zahl it bewegender Zuneigung und intensiver Teilnahme empfangen haben. Mein Besuch galt nur einer Diözese, aber geistig habe ich ganz Polen eingeschlossen, dem ich wünsche, daß es seine Bemühungen, einen wahren sozialen Fortschritt zu erreichen, fortführt und niemals nachläßt, die ihm eigene christliche Identität treu zu schützen.

2. »Gott, der voll Erbarmen ist« (Ep 2,4). Diese Worte sind während meiner Apostolischen Reise oft erklungen. Das vorrangige Ziel dieses Besuches bestand in der Tat eben darin, von neuem Gott, »der voll Erbarmen ist«, zu verkünden, vor allem durch die Weihe des neuen Heiligtums der Göttlichen Barmherzigkeit in Lagiewniki. Die neue Kirche wird ein Zentrum sein, von dem das Feuer der Barmherzigkeit Gottes in die ganze Welt ausstrahlt, gemäß dem, was der Herr der hl. Faustyna Kowalska, der Verkünderin der göttlichen Barmherzigkeit, offenbart hat.

»Jesus, ich vertraue auf dich!«: Das ist das einfache Gebet, das uns Schwester Faustyna gelehrt hat und das wir in jedem Augenblick unseres Lebens auf den Lippen haben können. Wie oft habe auch ich als Arbeiter und Student und dann als Priester und Bischof in schwierigen Zeiten der Geschichte Polens diese einfache und tiefgehende Anrufung wiederholt und deren Wirksamkeit und Kraft erfahren.

Die Barmherzigkeit ist eines der schönsten Attribute des Schöpfers und des Erlösers, und die Kirche existiert, um die Menschen zu dieser unerschöpflichen Quelle zu führen, deren Hüterin und Ausspenderin sie ist. Deshalb wollte ich der göttlichen Barmherzigkeit meine Heimat, die Kirche und die gesamte Menschheit weihen.

3. Die barmherzige Liebe Gottes öffnet das Herz auf konkrete Akte der Nächstenliebe hin. So war es bei Erzbischof Zygmunt Szczesny Felinski, Pater Jan Beyzym, Schwester Sancja Szymkowiak und beim Priester Jan Balicki, die ich zu meiner großen Freude im Rahmen der heiligen Messe in Krakau im Blonie-Park am letzten Sonntag seligsprechen durfte.

48 Ich wollte diese neuen Seligen dem Volk Gottes vorstellen, damit ihr Beispiel und ihre Worte Anreiz und Ermutigung sein mögen, tatkräftig die barmherzige Liebe des Herrn zu bezeugen, die das Böse durch das Gute besiegt (vgl. Rm 12,21). Nur so ist es möglich, die erhoffte Zivilisation der Liebe aufzubauen, deren sanfte Gewalt im krassen Gegensatz steht zum »mysterium iniquitatis«, das in der Welt am Wirken ist. Wir, die Jünger Christi, haben die Aufgabe, das große Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit zu verkünden und zu leben, das die Welt erneuert und dazu einlädt, den Nächsten und sogar die Feinde zu lieben. Die genannten Seligen sind zusammen mit den anderen Heiligen leuchtende Beispiele für die »Phantasie der Liebe«, von der ich im Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte gesprochen habe: Sie läßt uns den Leidenden nahe und solidarisch sein (vgl. NM 50), als Baumeister einer von der Liebe erneuerten Welt.

4. Meine Pilgerreise hat mich dann nach »Kalwaria Zebrzydowska« geführt, um an den 400. Jahrestag dieses Heiligtums zu erinnern, das der Passion Jesu und der schmerzhaften Gottesmutter geweiht ist. Mit diesem heiligen Ort bin ich seit meiner Kindheit verbunden. Viele Male habe ich dort erfahren, wie die Muttergottes ihre barmherzigen Augen auf den betrübten Menschen richtet, der der Weisheit bedarf und der Hilfe von Ihr, der Jungfrau der Gnaden.

Nach Tschenstochau ist es eines der bekanntesten und meistbesuchten Heiligtümer ganz Polens, zu dem die Gläubigen auch aus den Nachbarländern kommen. Nachdem sie den Kreuzweg und den »Weg des Mitleidens der Gottesmutter« gegangen sind, halten die Pilger vor dem alten und wundertätigen Bild der »Fürsprecherin Maria« inne, die sie mit einem liebevollen Blick empfängt. An ihrer Seite kann man das geheimnisvolle Band wahrnehmen und betrachten, das zwischen dem Erlöser, der auf Golgota gelitten hat, und seiner Mutter, die am Fuß des Kreuzes mit ihm gelitten hat, besteht. In dieser Gemeinschaft der Liebe im Leiden kann man leicht die Quelle jener mächtigen Fürsprache erkennen, die das Gebet der Jungfrau für ihre Kinder bewirkt.

Wir bitten die Muttergottes, in den Herzen den Funken der Gnade Gottes anzufachen, indem sie uns hilft, der Welt das Feuer der göttlichen Barmherzigkeit zu übermitteln. Maria möge es sein, die für alle die Gabe der Einheit und des Friedens erlangt:die Einheit des Glaubens, die Einheit des Geistes und der Gedanken, die Einheit der Familien;den Frieden der Herzen, den Frieden der Nationen und der Welt, in Erwartung der glorreichen Wiederkunft Christi.

Heute möchte ich auf meine achte Reise in mein Heimatland zurückschauen. Ich danke von Herzen der göttlichen Vorsehung sowie allen, die für das Gelingen dieses Besuches in Krakau beigetragen haben.
Mein Hauptziel war es, den Gläubigen die Barmher-zigkeit Gottes zu verkünden. Die Weihe der Kirche von Lagiewniki bot dafür eine wunderbare Möglichkeit. Von diesem neuen Wallfahrtsort wird die Barmherzigkeit Gottes wie ein Feuer in die Welt strahlen.
Sodann habe ich vier neue Selige zur Ehre der Altäre erhoben. Ihre Herzen waren empfänglich für die barmherzige Liebe Gottes, die in der Liebe zu ihren Mitmenschen sichtbaren Ausdruck fand.
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Liebe Pilger und Besucher, indem ich euch herzlich grüße, lade ich alle ein, Euch immer der göttlichen Barmherzigkeit anzuvertrauen. Gerne erteile ich Euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.



Mittwoch, 28. August 2002

Lesung: Ps 84, 2-3. 5-6. 9-10

49 Ps 84,2-3 Ps 84,5-6 Ps 84,9-10

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wir setzen unseren Weg durch die Psalmen der Liturgie der Laudes fort. Gerade haben wir den Psalm 84 gehört, den die jüdische Tradition den »Söhnen Kores« (Korachitern) zuschreibt, also einer Priesterfamilie, die sich um den Gottesdienst kümmerte und die Schwelle des Zeltes der Bundeslade bewachte (vgl. 1Ch 9,19).

Es ist ein ganz melodiöser Gesang, von einer mystischen Sehnsucht nach dem Gott des Lebens durchdrungen, der mehrfach mit dem Titel »Herr der Heerscharen« - also Herr der Himmelsheere und damit des Kosmos - gepriesen wird (vgl. Ps 84,2 Ps 84,4 Ps 84,9 Ps 84,13). Im übrigen stand dieser Titel in einer besonderen Beziehung zur Bundeslade, die im Tempel aufbewahrt und als »die Bundeslade des Herrn der Heere, der über den Kerubim thront«, bezeichnet wurde (1S 4,4 vgl. Ps 80,2). In der Tat wurde sie als Zeichen des göttlichen Schutzes in Zeiten der Gefahr und des Kriegs angesehen (vgl. 1S 4, 3-5; 2S 11,11).

Den Hintergrund des ganzen Psalms bildet der Tempel, zu dem die Wallfahrt der Gläubigen zieht. Die Jahreszeit scheint Herbst zu sein, weil vom »Frühregen« die Rede ist, der die Hitze des Sommers abkühlen läßt (vgl. Ps 84,7). Man könnte also an den Pilgerzug nach Zion zum dritten Hauptfest des jüdischen Kalenders denken: das Laubhüttenfest, der Gedenktag an das Umherirren des Volkes Israel in der Wüste.

2. Der Tempel ist am Anfang und am Ende des Psalms in seiner ganzen Faszination gegenwärtig. Zu Beginn (vgl. V. 2-4) finden wir das einzigartige und sanfte Bild der Vögel, die ihre Nester im Heiligtum gebaut haben; ein beneidenswertes Privileg.

Es handelt sich hierbei um eine Darstellung der Freude jener Menschen wie z.B. der Priester des Tempels, die ihre feste Wohnstätte im Haus Gottes haben und dadurch seine Abgeschiedenheit und seinen Frieden genießen können. Das ganze Wesen des Gläubigen strebt nämlich zum Herrn hin, gewissermaßen von einem körperlichen und geistigen Wunsch getrieben: »Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn. Mein Herz und mein Leib jauchzen ihm zu, ihm, dem lebendigen Gott« (V. 3). Der Tempel kommt dann wieder im letzten Teil des Psalms vor (vgl. V. 11-13). Der Pilger äußert seine große Freude darüber, einige Zeit in den Vorhöfen des Gotteshauses verbringen zu können, und stellt dieses geistliche Glück in Gegensatz zur götzendienerischen Illusion, die zu den »Zelten der Frevler«, also zu den schändlichen Tempeln der Ungerechtigkeit und Abartigkeit, drängt.

3. Nur im Heiligtum des lebendigen Gottes ist Licht, Leben und Freude; dort ist der Mensch »selig«, der dem Herrn »vertraut« und sich für den Weg der Rechtschaffenheit entscheidet (vgl. V. 12-13). Das Bild des Weges führt uns zur Mitte des Psalms (vgl. V. 5-9), wo eine andere und bedeutsamere Wallfahrt stattfindet. Wenn derjenige selig ist, der seinen festen Wohnsitz im Tempel hat, so sind doch jene noch seliger, die beschließen, eine Reise des Glaubens nach Jerusalem zu unternehmen.

Auch die Kirchenväter stellten in ihren Kommentaren zum Psalm 84 den sechsten Vers besonders heraus: »Wohl den Menschen, die Kraft finden in dir, wenn sie sich zur Wallfahrt rüsten.« Die ältesten Psalterübersetzungen sprachen von der Entscheidung, zur heiligen Stadt »hinaufzusteigen«. Für die Väter wurde daher die Pilgerfahrt nach Zion zum Symbol des ständigen Voranschreitens der Gerechten zu den »ewigen Wohnungen«, in denen Gott seine Freunde in der vollkommenen Freude aufnimmt (vgl. Lc 16,9).

Wir möchten einen Augenblick näher auf diesen mystischen »Aufstieg« eingehen, der in der Wallfahrt auf Erden sein Abbild und Zeichen findet. Wir tun dies mit den Worten eines christlichen Autors des 7. Jahrhunderts, der Abt des Sinai-Klosters war.

4. Gemeint ist Johannes Klimakos, der einen ganzen Traktat, nämlich »Die Himmelsleiter«, der Darstellung der unzähligen Stufen widmete, über die das geistige Leben emporsteigt. Zum Schluß seines Werks erteilt er der Nächstenliebe selbst das Wort, und er stellt sie auf die höchste Stufe der Leiter des spirituellen Werdegangs.

Sie fordert auf und ermahnt, sie regt zu Empfindungen und Verhaltensweisen an, die auch unser Psalm uns nahelegt: »Steigt auf, Brüder, steigt hinauf. Hegt, Brüder, in eurem Herzen den lebendigen Wunsch, stets aufzusteigen (vgl. Ps 84,6). Hört auf die Schrift, die auffordert: ›Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs‹ (Is 2,3), der unsere Füße schnell machte wie die eines Hirsches und uns einen erhabenen Ort zum Ziel gab, damit wir seinen Wegen folgen und dadurch als Sieger hervorgehen. Beeilen wir uns also - wie geschrieben steht - bis wir alle in der Einheit des Glaubens dem Antlitz Gottes begegnet sind, ihn erkannt und in der vollen Reife des Alters Christi den vollkommenen Menschen erreicht haben (vgl. Ep 4,13)« (Die Himmelsleiter).

50 5. Der Psalmist denkt in erster Linie an die konkrete Pilgerreise, die aus den verschiedenen Orten des Heiligen Landes auf den Zion führt. Der einsetzende Regen scheint ihm ein Vorzeichen der freudigen Segnungen zu sein, die ihn wie ein Mantel einhüllen werden (vgl. Ps 84,7), wenn er vor dem Herrn im Tempel stehen wird (vgl. V. 8). Die mühevolle Reise durch »das trostlose Tal« (vgl. V. 7) wird durch die Gewißheit verklärt, daß Gott das Ziel ist: Er gibt Kraft (vgl. N. 8), er erhört das Beten des Gläubigen (vgl. V. 9) und wird zu einem Schutzschild (vgl. V. 10).

In diesem Licht verwandelt sich - wie die Väter schon erkannt hatten - die konkrete Wallfahrt in ein Gleichnis des ganzen Lebens im Spannungsfeld zwischen Ferne und Vertrautheit mit Gott, zwischen Geheimnis und Offenbarung. Auch in der Wüste des täglichen Daseins werden die sechs Werktage von der Begegnung mit Gott am siebten Tag durch die Liturgie und das Gebet bei der sonntäglichen Begegnung fruchtbar gemacht, erleuchtet und geheiligt.

Gehen wir also voran, auch wenn wir uns im »trostlosen Tal« befinden, und richten wir unseren Blick fest auf das leuchtende Ziel des Friedens und der Gemeinschaft. Auch wir wiederholen in unserem Herzen die abschließende Seligpreisung. Sie ähnelt einer Antiphon, die den Psalm besiegelt: »Herr der Heerscharen, wohl dem, der dir vertraut!« (V. 13).

Das Leben des Menschen hat Gott zum Ziel. In dieser Erkenntnis begreift der Gläubige seine ganze Existenz als Weg und Pilgerschaft: ausgerichtet auf Gott, angetrieben von heiligem Verlangen nach der beglückenden Gegenwart des Herrn! Diese Lebenshaltung steht hinter der Wallfahrt zum Tempel, zur „liebenswerten Wohnung des Herrn", von der Psalm 84 spricht: „Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Hause Gottes" (vgl. Ps 84,3).

Unser Leben verläuft im Spannungsfeld zwischen der Nähe und der Ferne Gottes. Manche Wegstrecke mag einem „Tal der Tränen" gleichen. Immer müssen wir den Blick auf das eigentliche Ziel richten: die ewige Gemeinschaft mit dem Gott des Friedens und der Liebe.
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Mit Freude begrüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern sowie aus Belgien und den Niederlanden. Die Sehnsucht nach Gott möge Eurem Leben Halt und Richtung geben! Von Herzen erteile ich Euch und Euren Lieben daheim sowie allen, die heute mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.



September 2002


Mittwoch, 4. September 2002

Canticum Jes 2, 2 -5

51 Is 2,2-5

Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, in einer Vision über Juda und Jerusalem gehört hat.
Am Ende der Tage wird es geschehen:
Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge;
er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg.
Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs.
Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen.
Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort.
Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht.
Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen.
Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk,und übt nicht mehr für den Krieg.
Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn.



Liebe Schwestern und Brüder!

52 1. Die Liturgie der Laudes bietet heute immer ein dem Alten Testament entnommenes Canticum an. Bekanntlich gibt es ja außer dem Psalterium, dem eigentlichen Gebetbuch Israels und dann der Kirche, ein weiteres sogenanntes »Psalterium«, das in den geschichtlichen und prophetischen Texten sowie in den Weisheitsliedern der Bibel vorkommt. Es besteht auch aus Hymnen, Bittpsalmen, Lobliedern und Anrufungen, die oft von großer Schönheit und geistlicher Eindringlichkeit sind.

Auf unserer ideellen Wanderung durch die Gebete der Liturgie der Laudes sind uns schon viele dieser Lieder begegnet, die die Seiten der Bibel füllen. Jetzt nehmen wir uns einen wirklich einzigartigen Text vor, den Jesaja, der im 8. Jahrhundert vor Christus lebte und zu den bedeutendsten Propheten Israels gehörte, verfaßt hat. Er war Zeuge der schweren Stunden, die das Reich Juda erlebte; er verkündete aber auch die messianische Hoffnung in einer höchst poetischen Sprache.

2. Das trifft auf das Canticum zu, das wir soeben gehört haben und das in den ersten Versen des 2. Kapitels gleichsam an den Anfang des Buches gestellt ist; dem Canticum geht folgende redaktionelle Anmerkung voraus: »Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, in einer Vision über Juda und Jerusalem gehört hat« (
Is 2,1). Der Hymnus wird als eine prophetische Vision verstanden, die ein Ziel beschreibt, auf das die Geschichte Israels voll Hoffnung ausgerichtet ist. Nicht umsonst lauten die ersten Worte: »Am Ende der Tage« (V. 2), das heißt, wenn die Zeit erfüllt ist. Das bedeutet, daß wir eingeladen sind, uns nicht an die armselige Gegenwart zu klammern, sondern unter der Oberfläche der täglichen Ereignisse die geheimnisvolle Gegenwart Gottes und seines Handelns zu erahnen, der die Geschichte zu einem ganz anderen Horizont des Lichtes und des Friedens hinführt.

Diese messianisch gefärbte »Vision« wird noch in einem größeren Rahmen im 60. Kapitel des gleichen Buches behandelt; das deutet darauf hin, daß die wesentlichen und einschneidenden Worte des Propheten, eben jener des soeben gesungenen Canticum, nochmals bedacht wurden. Der Prophet Michea (vgl. 4, 1-3) sollte später denselben Hymnus aufgreifen, wenn auch mit einem unterschiedlichen Ausgang (vgl. 4, 4-5) gegenüber dem Spruch Jesajas (vgl. Is 2,5).

3. Im Mittelpunkt von Jesajas Vision erhebt sich der Berg Zion, der alle anderen Berge ideell überragt, weil er von Gott bewohnt wird und deshalb ein Ort der Verbindung mit dem Himmel ist (vgl. 1R 8, 22-53). Von ihm wird nach der Weissagung des Jesaja (60, 1-6) ein Licht ausgehen, das die Finsternis durchbrechen und aufhellen wird und zu dem Völkerscharen aus allen Himmelsrichtungen kommen werden.

Diese Anziehungskraft Zions beruht auf zwei Wirklichkeiten, die vom heiligen Berg Jerusalems ausstrahlen: das Gesetz und das Wort des Herrn. Sie sind in Wahrheit eine einzige Wirklichkeit, die die Quelle des Lebens, des Lichts und des Friedens sowie Ausdruck des Geheimnisses des Herrn und seines Willens ist. Wenn die Völker zur Spitze des Zion gelangen, wo sich der Tempel Gottes erhebt, dann geschieht jenes Wunder, auf das die Menschheit seit je wartet und das sie ersehnt. Die Völker legen die Waffen ab, die dann aufgesammelt und in friedliche Werkzeuge für die Arbeit umgeschmiedet werden: Die Schwerter werden in Pflugscharen, die Lanzen in Winzermesser umgewandelt. Auf diese Weise zieht ein Horizont des Friedens herauf, des »shalom« (vgl. Is 60,17), wie es in Hebräisch heißt, einem Wort, das vor allem in der messianischen Theologie beliebt ist. Endlich senkt sich der Vorhang über Krieg und Haß für immer.

4. Der jesajische Spruch endet mit einem Aufruf, der mit der Spiritualität der Wallfahrtslieder in Jerusalem übereinstimmt: »Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn« (Is 2,5). Israel darf nicht Zuschauer dieses radikalen geschichtlichen Wandels bleiben; es darf sich nicht von der Einladung distanzieren, die zu Beginn über die Lippen der Völker gekommen ist: »Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn« (V. 3).

Auch wir Christen werden von dieser Jesaja-Prophetie angesprochen. Sie hatte sich für die Kirchenväter des 5. Jahrhunderts (Basilius der Große, Johannes Chrysostomus, Theodoretos von Kyros und Cyrill von Alexandrien), die es kommentierten, mit der Ankunft Christi erfüllt. Sie erkannten in der Kirche den »Berg mit dem Haus des Herrn … fest gegründet als höchster der Berge«, von dem das Wort des Herrn ausging und zu dem die Heidenvölker in der vom Evangelium eingeleiteten neuen Zeit des Friedens strömten.

5. Schon der hl. Justinos der Märtyrer verkündete in seiner Ersten Apologie, etwa aus dem Jahr 153 n. Chr., die Verwirklichung des Kehrverses des Canticum, in dem es heißt: »Aus Jerusalem kommt das Wort des Herrn« (vgl. V. 3). Er schrieb: »Von Jerusalem zogen Menschen in die Welt hinaus, zwölf an der Zahl, und diese waren unwissend; sie konnten nicht reden, aber dank der Macht Gottes offenbarten sie dem ganzen Menschengeschlecht, daß sie von Christus eingeladen sind, alle Menschen das Wort Gottes zu lehren. Und wir, die zuvor einander getötet hatten, kämpfen nicht mehr gegen unsere Feinde und - um nicht mehr zu lügen und diejenigen, die uns fragen, nicht mehr zu betrügen - bekennen uns zu Christus und sterben gern« (Erste Apologie, 39, 3: Gli apologeti greci, Roma 1986, S. 118).

Deshalb nehmen besonders wir Christen den Aufruf des Propheten an und versuchen, die Grundlagen für die Zivilisation der Liebe und des Friedens zu legen, in der kein Krieg, kein Tod mehr sein wird, »keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen« (Ap 21,4).

Das Canticum im zweiten Kapitel des Propheten Jesaja läßt uns an der Vision des Friedensreiches teilnehmen, das von Gott selbst ausgeht. Die neue Stadt Gottes wird „am Ende der Tage" das Ziel aller Menschen sein: „Kommt, wir ziehen hinauf, zum Berg des Herrn. Zu ihm strömen die Völker" (vgl. Is 2,2-3). Diese Vision spricht auch uns Christen an. Wir wissen um das verborgene Wirken Gottes, der die Geschichte lenkt. Wir erwarten die Fülle der Zeit, in der das Reich des Lichtes, des Friedens und der Liebe alle Menschen umfassen und einen wird. Wir danken, daß der Herr selbst uns in seiner heiligen Kirche diesem Ziel entgegenführt.
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53 Herzlich begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache sowie aus den Niederlanden und aus Belgien. Die Stadt Gottes, das Reich des Friedens ist unser Lebensziel. Bleiben wir auf dem Weg! Gerne erteile ich Euch und Euren Lieben daheim sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.




Generalaudienz 2002 43