Predigten 1978-2005 324

GOTTESDIENST ZUM BEGINN DES AKADEMISCHEN JAHRES AN DEN KIRCHLICHEN UNIVERSITÄTEN

Freitag, 20. Oktober 2000



» …zum Lob seiner Herrlichkeit« (Ep 1,12 Ep 1,14).

1. Diese Worte des hl. Paulus, die wir soeben vernommen haben, eröffnen uns den Sinn und die Perspektive dieser Feier zur Eröffnung des Akademischen Jahres an den römischen, kirchlichen Universitäten. Von Anfang an wollen wir Gott alles schenken und zu seiner Ehre darbringen: die Lehre, das Studium, das Leben in Gemeinschaft, die Arbeitszeit und Freizeit, vor allem jedoch unser persönliches Leben und Beten, unsere Askese und unsere Freundschaften. All unser Sein und Tun wollen wir heute abend auf den Altar des Herrn legen, als geistliches Opfer »zum Lob seiner Herrlichkeit«.

An euch alle, liebe Brüder und Schwestern, die ihr zu dieser traditionellen Verabredung gekommen seid, richte ich meinen herzlichen Gruß. Herzlich begrüße ich Msgr. Zenon Grocholewski, Präfekt der Kongregation für das Katholische Bildungswesen, der dieser Eucharistiefeier vorsteht. Mit ihm zusammen grüße ich die Rektoren der Universitäten, die Mitglieder der akademischen Lehrkörper, die Verantwortlichen der Seminarien und Kollegien, in denen ihr Studenten aufgenommen werdet und Hilfe bekommt auf eurem Bildungsweg.

Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die »Erstsemestler«, die in diesem Jahr ihre Studien an den Päpstlichen Universitäten und Instituten beginnen. Mein Wunsch ist, daß sich jeder von euch dessen bewußt wird, welch großes Geschenk es ist, die eigenen Studien in Rom vollenden zu können. Gleichzeitig sollt ihr erkennen, welche Verantwortung mit diesem Privileg verbunden ist: Ihr seid dazu berufen, eure Bildung im Hinblick auf einen besonderen Dienst in der Kirche zu vertiefen. Daher nimmt euch das christliche Rom mit all seinen kulturellen Einrichtungen auf im Wissen um jene universelle Sendung, die auf dem Zeugnis der Apostel und Märtyrer gründet.

2. »Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, der Nation, die er sich zum Erbteil erwählt hat« (Ps 33,12). Muß man nicht gerade in der Kirche diese besondere Nation erkennen, deren Gott der Herr ist? Sie ist das Volk, das »in der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes verbunden ist« – gemäß dem berühmten Wort des hl. Cyprian (Über das Gebet des Herrn, 23, in: Bibliothek der Kirchenväter, Band 34, Kempten/ München 1918, S. 186).

325 Ihr, meine Lieben, kommt aus verschiedenen Ländern der Erde. Eure Gesichter bilden in dieser Basilika ein wunderbares »Mosaik«, in dem sich die Unterschiede harmonisch vereinen, um zu einem einzigen Bild zu werden, das seine Form aus dem einen Geist Christi bekommt. »Durch ihn habt auch ihr« – so hat uns der hl. Paulus gesagt – »das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; durch ihn habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr den Glauben annahmt« (Ep 1,13).

Zum Beginn eines neuen Studienjahres ist es für jeden von euch wichtig, zu den eigenen Wurzeln zurückzukehren und durch sie wieder zu Christus aufzusteigen. In ihm finden sich die Unterschiede zusammen, so daß wir zu etwas Gemeinsamem vereint werden. Es ist schön, zu erkennen und zu bekennen, daß wir Kirche sind, »das Volk, dessen Gott der Herr ist«. Wir sind das Volk, das er sich aus allen Völkern auserwählt hat, damit es in der Welt gleichsam zu einem »Sakrament« der Einheit des Menschengeschlechts werde. Vergeßt nie diesen tiefen Sinn des Mysteriums der Kirche, der ihr angehört! Sie bildet nämlich den Lebensraum für eine wahre christliche Bildung. In Gemeinschaft mit der Kirche werdet ihr auch euren Verpflichtungen im Studium nachkommen.

3. »Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das heißt vor der Heuchelei« (Lc 12,1). In diesem soeben vorgetragenen Abschnitt des Evangeliums warnt Jesus seine Jünger davor, eine heuchlerische Haltung einzunehmen im falschen Glauben, Schlechtes unter einer scheinbaren Ehrlichkeit verbergen zu können. Der Herr erinnert uns daran, daß alles ans Licht kommen wird, auch das Verborgene und Geheime. Er ruft außerdem die Seinen – die er »Freunde« nennt – dazu auf, vor nichts und niemandem Angst zu haben, sondern allein Gott zu fürchten, in dessen Händen unser Leben liegt. Auch wenn die Einladung, sich vor demjenigen zu fürchten, »der nicht nur töten kann, sondern die Macht hat, euch auch noch in die Hölle zu werfen« (Lc 12,5), eine heilsame Furcht einflößt, kann uns die gleich darauffolgende Beschreibung Gottes Trost spenden: Gott kümmert sich um jedes Lebewesen und in besonderer Weise um den Menschen, der in seinen Augen so wertvoll ist. Das Thema der vollkommenen Transparenz von allem und jedem vor Gott verbindet die beiden Teile der heutigen Evangelienperikope. Es handelt sich um ein wesentliches Element jener Gotteskindschaft, die Christus verkündet und durch die er die Offenbarung des Alten Bundes zur Vollendung gebracht hat.

Liebe Lehrenden und liebe Studenten, auch euch obliegt – ebenso wie es für Jesus galt – die vorrangige Aufgabe, das wahre Abbild Gottes zu erkennen und erkennbar werden zu lassen. »Dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast« (Jn 17,3): Hierin besteht für die Menschen das ewige Leben, und aus diesem Grund ist der Sohn Gottes Mensch geworden, damit sie »das Leben haben, und es in Fülle haben« (Jn 10,10).

Zum Beginn des neuen Jahres theologischer bzw. kirchlicher Studien hilft uns dieser Abschnitt aus dem Evangelium des Lukas, den grundlegenden Bezug der Sendung Christi und den Sinn seiner Menschwerdung zum Ausdruck zu bringen: Hieraus erhält auch eure Sendung in der Verschiedenheit der Charismen und Dienste Licht und Kraft. Einsatz in Treue gegenüber dem Lehramt

4. Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte heute auf einige Worte aus der Erklärung Gravissimum educationis des Zweiten Vatikanischen Konzils verweisen: »Von der Tätigkeit der theologischen Fakultäten erwartet die Kirche sehr viel« (GE 11). In der Tat bedeutet ihr das Werk, das jede der Päpstlichen Universitäten täglich erfüllt, sehr viel. So möchte ich als Bischof von Rom meine Anerkennung und meinen Dank besonders für die Arbeit der kirchlichen Oberen, der Lehrenden und der Verantwortlichen der kirchlichen Institutionen in Rom aussprechen. Meine Lieben, euer Einsatz bezeugt eure Liebe zu Christus und zur Kirche. Diese Liebe wird auch zum Ausdruck gebracht durch das hohe wissenschaftliche Niveau, die unverbrüchliche Treue gegenüber dem Lehramt, und, ich würde sagen, durch den wahren missionarischen Geist, in dem ihr der Wahrheit dient.

Am Vorabend des Weltmissionstages möchte ich betonen, daß die Arbeit derjenigen, die an den kirchlichen Fakultäten unterrichten und lernen, nicht getrennt und noch weniger im Gegensatz zu all jenen steht, die sozusagen »an vorderster Front« stehen. Wir alle dienen der Wahrheit, die im Evangelium Christi, unseres Herrn, besteht. Das Evangelium muß – seiner Natur entsprechend – verkündet werden. Die Verkündigung aber setzt eine stabile und tiefe Kenntnis der Botschaft selbst voraus, so daß die Evangelisierung zu einem wirksamen Dienst an Gott, an der Wahrheit und am Menschen wird.

Meine Lieben, die Mutter des Erlösers, der Sitz der Weisheit, möge über euch und die Aufgaben dieses beginnenden akademischen Jahres wachen. Maria ist das Bild und Urbild der Kirche. Sie nimmt das göttliche Wort an, bewahrt es in Liebe, verwirklicht es und bringt es in die Welt. Ihre mütterliche Hilfe sei für jeden von euch Quelle neuer Motivation und eine ständige Stütze in euren Mühen. All eure Aktivitäten mögen stets in Gott ihren Anfang und ihre Vollendung finden, zum »Lob seiner Herrlichkeit«.

Amen!



WELTMISSIONSSONNTAG

Sonntag, 22. Oktober 2000

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1.»Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (
Mc 10,45).

Liebe Brüder und Schwestern, am heutigen Weltmissionssonntag klingen diese Worte des Herrn wie eine frohe Botschaft für die ganze Menschheit und wie ein Lebensprogramm für die Kirche und jeden einzelnen Christen. Hieran erinnerte uns zu Beginn der Feier Kardinal Jozef Tomko, der Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Er setzte uns darüber in Kenntnis, daß heute morgen auf diesem Platz Vertreter aus 127 Ländern anwesend sind, die am Weltmissionskongreß teilgenommen haben, sowie Gelehrte verschiedener Konfessionen, die zum Internationalen Missiologischen Kongreß zusammengekommen sind. Ich danke Kardinal Tomko für die Grußworte, die er an mich gerichtet hat, sowie für die bedeutsame Arbeit, die er zusammen mit den Mitgliedern der Kongregation, deren Leiter er ist, im Dienst der Verkündigung des Evangeliums in der ganzen Welt leistet.

»Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.« Mit diesen Worten stellt sich der göttliche Meister uns vor. Jesus bezeichnet sich selbst als denjenigen, der gekommen ist, um zu dienen; und gerade im Dienst und in der völligen Hingabe am Kreuz offenbart er die Liebe des Vaters. Er ist »Diener«, doch seine Größe wird hierdurch nicht geschmälert, sondern vielmehr mit neuem Licht erhellt.

Verkünder und Apostel durch die Gnade des Glaubens Jesus ist der »erhabene Hohepriester« (He 4,14), er ist das Wort, das »im Anfang […] bei Gott [war]. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist« (Jn 1,2). Jesus ist der Herr, »er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich« (); Jesus ist der Retter, dem wir uns vertrauensvoll nähern können. Jesus ist der Weg und die Wahrheit und das Leben (vgl. Jn 14,6), der Hirte, der sein Leben für die Schafe hingegeben hat (vgl. Jn 10,11), das Haupt, das der Urheber des Lebens ist (vgl. Ac 3,15).

2. Der missionarische Einsatz entspringt wie eine Art Liebesfeuer der gläubigen Betrachtung Jesu und der Faszination, die von ihm ausgeht. Der Christ, der Jesus Christus betrachtet hat, wird von seinem Glanz ergriffen (vgl. Vita Consecrata ) und kommt nicht umhin, seinen Glauben an Christus, den einzigen Retter des Menschen, zu bezeugen. Welche große Gnade ist doch dieser Glaube, den wir ohne Verdienst als Geschenk von oben empfangen haben (vgl. Redemptoris missio RMi 11).

Diese Gnade wird ihrerseits zu einer Quelle der Verantwortung. Denn es ist die Gnade, die uns zu Verkündern und Aposteln macht. Daher sagte ich in der Enzyklika Redemptoris missio, daß »die Mission […] eine Frage des Glaubens [ist], sie ist ein unbestechlicher Gradmesser unseres Glaubens an Christus und seiner Liebe zu uns« (RMi 11). Zudem merkte ich diesbezüglich an: »Wenn der Missionar nicht kontemplativ ist, kann er Christus nicht glaubwürdig verkünden« (RMi 91).

Wenn wir unseren Blick fest auf Jesus richten, lernen wir den Sinn und den Stil der Mission kennen. Denn er ist der Missionar des Vaters, der Hohepriester und der Urheber und Vollender des Glaubens (vgl. He 3,1 He 12,2).

3. Er ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben für viele hinzugeben. Für die Kirche, die den Spuren Christi folgt, ist die Selbsthingabe für alle Menschen eine grundlegende Pflicht. Zugleich zeigt sie der Kirche auf, nach welchen Methoden sie bei der Mission vorgehen soll.

Sich selbst hinzugeben bedeutet zunächst einmal, den anderen in seinen Werten und Bedürfnissen anzuerkennen. »Die missionarische Verhaltensweise beginnt immer mit einem Gefühl der Hochachtung vor dem, ›was in jedem Menschen ist‹, vor dem, was er selbst im Innersten seines Wesens schon erarbeitet hat bezüglich der tiefsten und bedeutendsten Probleme; es handelt sich um eine Achtung vor allem, was der Geist in ihm gewirkt hat, der ›weht, wo er will‹« (Redemptor hominis RH 12).

Wie Jesus die Verbundenheit Gottes mit den Menschen geoffenbart hat und die Natur des Menschen, mit Ausnahme der Sünde, angenommen hat, so möchte die Kirche solidarisch sein mit »Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art« (Gaudium et spes GS 1). Die Kirche begegnet dem Menschen mit jener Diskretion und jenem Respekt, die demjenigen zu eigen sind, der einen Dienst zu leisten hat. Die Kirche glaubt, daß ihr erster und vornehmster Dienst in der Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi besteht. Hierdurch will sie den Erlöser bekannt machen, der den Vater offenbarte und somit dem Menschen das Menschsein selbst offenbar machte.

4. Die Kirche möchte Jesus, den Christus, den Sohn Mariens, verkünden, indem sie jenen Weg geht, den Jesus selbst beschritten hat: den Weg des Dienstes, der Armut, der Demut und des Kreuzes. Daher muß sie mit aller Kraft den Versuchungen widerstehen, die uns das Evangelium im Verhalten der beiden Brüder aufzeigt, die, »einer zur Rechten und einer zur Linken des Herrn« sitzen wollten, sowie im Verhalten der anderen Jünger, die sich dem Geiste der Gegnerschaft und des Wettstreites untereinander nicht abgeneigt zeigten. Das Wort Christi zieht einen deutlichen Trennungsstrich zwischen dem Geist des Herrschens und dem Geist des Dienens.

Für einen Jünger Christi bedeutet der »Erste« zu sein, »Diener aller« zu sein. Diese Umkehrung der Werte wird nur dann verständlich, wenn man auf den Menschensohn schaut: »Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut« (Is 53,3). Der Heilige Geist wird seine Kirche diese Worte über das Mysterium Christi verstehen lassen. Erst zu Pfingsten werden die Apostel die Fähigkeit empfangen, die sie an jene »Kraft der Schwäche« glauben läßt, die sich im Kreuz offenbart.

327 Meine Gedanken gehen nun zu den zahlreichen Missionaren, die Tag für Tag in Stille und ohne jegliche Unterstützung von seiten menschlicher Mächte ihre Liebe zu Jesus verkünden und bezeugen, oftmals bis zur Hingabe des eigenen Lebens, wie es kürzlich erst geschehen ist. Welcher Anblick bietet sich da unserem geistigen Auge! Wie viele Brüder und Schwestern geben ihre ganze Kraft in der vordersten Linie des Reiches Gottes! Es sind Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien, die uns Christus auf lebendige Weise nahebringen. Sie lassen ihn uns ganz konkret erkennen als den Herrn, der gekommen ist, nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben aus Liebe zum Vater und zu den Brüdern hinzugeben. Euch allen gilt mein aufrichtiger Dank, verbunden mit der Einladung, voller Vertrauen voranzugehen. Nur Mut, Brüder und Schwestern! Christus ist mit euch!

An der Seite jener, die sich in der vordersten Linie für die Mission »ad gentes« einsetzen, muß das ganze Volk Gottes stehen. Hierzu kann jeder seinen Beitrag leisten, wie es die Gründer der Päpstlichen Missionswerke sehr genau erkannt und betont haben: Alle können und müssen an der Evangelisierung teilnehmen, auch die Kleinen, die Kranken, die Armen, die ihr Opfer bringen, wie die Witwe, die Jesus uns als Vorbild vorstellte (vgl. ). Die Mission ist die Aufgabe des ganzen Gottesvolkes, jeder mit der Berufung, zu der die Vorsehung ihn gerufen hat.

5. Die Worte Jesu über den Dienst sind jedoch auch Verheißung einer neuen Form der Beziehungen, nicht nur für die christliche Gemeinschaft, sondern auch für die Gesellschaft. Wir dürfen nie die Hoffnung verlieren, eine brüderlichere Welt schaffen zu können. Der schrankenlose Wettbewerb, der Wunsch, um jeden Preis über andere Herrschaft auszuüben, die Diskrimination, die von jenen ausgeht, die sich den anderen überlegen fühlen, die maßlose Suche nach Reichtum sind die Wurzel von Ungerechtigkeiten, von Gewalttätigkeit und Kriegen.

Die Worte Jesu werden so zu einer Einladung, den Frieden zu erbitten. Die Mission ist die Botschaft von Gott, der Vater ist, von Jesus, der unser älterer Bruder, ist und vom Geist, der die Liebe ist. Die Mission ist die demütige und zugleich leidenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Plan Gottes, der eine erlöste und versöhnte Menschheit will. Am Ziel der Geschichte des Menschen steht für Gott ein Plan der Gemeinschaft. Zu diesem Ziel muß die Mission uns führen.

Die Königin des Friedens, die Königin der Mission und den Stern der Evangelisierung bitten wir um das Geschenk des Friedens. Ihren mütterlichen Schutz rufen wir auf alle herab, die großzügig an der Verbreitung des Namens und der Botschaft Jesu arbeiten. Sie erbitte uns einen lebendigen und glühenden Glauben, so daß wir mit neuer Kraft den Menschen unserer Zeit Christus, den einzigen Retter der Welt, verkünden können.



HEILIGJAHRFEIER DER SPORTLER

Sonntag, 29. Oktober 2000



1. »Wißt ihr nicht, daß die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber daß nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, daß ihr ihn gewinnt« (1Co 9,24).

In Korinth, wo Paulus das Evangelium verkündet hatte, gab es ein bedeutendes Stadion, in dem die »Isthmischen Spiele« ausgetragen wurden. Daher bezieht sich der Apostel sinnvollerweise auf die Wettkämpfe der Athleten, um die Christen jener Stadt zu einem ganzheitlichen Einsatz im »Wettlauf« des Lebens anzuspornen. Die Läufer im Stadion – so der Apostel – laufen zwar alle, doch nur einer ist der Sieger: Lauft auch ihr … Durch die bildliche Rede vom gesunden sportlichen Kampfgeist stellt er den Wert des Lebens heraus und vergleicht es mit einem Lauf hin zu einem nicht bloß irdischen und vergänglichen, sondern ewigen Ziel. Ein Lauf, bei dem nicht nur ein einziger, sondern alle Beteiligten Sieger sein können.

Wir hören heute diese Worte des Apostels hier im Olympiastadion versammelt, das sich erneut in ein großes Gotteshaus unter freiem Himmel verwandelt hat, so wie bereits anläßlich der internationalen Heiligjahrfeier der Sportler im Jahr 1984, dem Heiligen Jahr der Erlösung. Damals wie heute ist es Christus, der einzige Erlöser des Menschen, der uns aufnimmt und unseren Weg mit seinem Wort des Heils erhellt.

An euch alle, liebe Athleten und Sportler aus allen Teilen der Welt, die ihr eure Heiligjahrfeier begeht, richte ich meinen herzlichen Gruß! Mein aufrichtiges »Dankeschön« gilt den Verantwortlichen der internationalen und italienischen Sportorganisationen sowie allen, die bei der Organisation dieses einzigartigen Treffens mit der Welt des Sports in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen mitgewirkt haben.

Ich danke dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Herrn Juan Antonio Samaranch, und dem Vorsitzenden des Italienischen Olympischen Komitees, Herrn Giovanni Petrucci, für die Worte, die sie an mich gerichtet haben. Mein Dank geht zudem an Herrn Antonio Rossi, Goldmedaillengewinner in Sydney und Atlanta, der die Empfindungen von euch allen, liebe Athleten, zum Ausdruck gebracht hat. Wenn ich euch hier in schöner Ordnung in diesem Stadion versammelt betrachte, kommen mir viele Erinnerungen an mein Leben, die mit sportlichen Ereignissen verbunden sind, ins Gedächtnis zurück. Liebe Freunde! Vielen Dank für eure Anwesenheit, und vielen Dank vor allem für den Enthusiasmus, mit dem ihr diesen Tag im Heiligen Jahr erlebt.

328 2. Bei dieser Feier vereint sich die Welt des Sports wie zu einem großen Chor, um durch Gebet, Gesang, Spiel und Bewegung dem Herrn einen Lob- und Dankgesang darzubringen. Es ist dies eine günstige Gelegenheit, Gott für das Geschenk des Sports zu danken, durch das der Mensch Körper, Intelligenz und Willen trainiert und in seinen eigenen Fähigkeiten die Gaben seines Schöpfers erkennt.

Der sportlichen Betätigung kommt heute eine große Bedeutung zu, da sie zur Festigung wichtiger Werte wie Fairness, Ausdauer, Freundschaft, Teilen und Solidarität in den Jugendlichen beitragen kann. Gerade aus diesem Grund hat sie sich in den letzten Jahren immer mehr als ein typisches Phänomen der Moderne entwickelt, gewissermaßen als ein »Zeichen der Zeit«, das die neuen Bedürfnisse und Erwartungen der Menschheit zu deuten vermag. Der Sport hat sich in allen Teilen der Erde verbreitet und hierbei Unterschiede zwischen Kulturen und Nationen überwunden.

Aufgrund der weltumspannenden Dimension, die diese Aktivität angenommen hat, tragen die Sportler eine große Verantwortung in der Welt. Sie sind dazu aufgerufen, den Sport zu einer Gelegenheit der Begegnung und des Dialogs zu machen – jenseits aller Barrieren der Sprache, Rasse und Kultur. In der Tat kann der Sport einen wertvollen Beitrag zum friedlichen Einvernehmen zwischen den Völkern leisten und die Verwirklichung einer neuen Zivilisation der Liebe in der Welt unterstützen.

3. Das Große Jubiläumsjahr 2000 lädt einen jeden einzelnen von uns zu einem ernstgemeinten Weg des Nachdenkens und der Umkehr ein. Kann sich die Welt des Sports dieser providentiellen geistlichen Dynamik entziehen? Nein! Im Gegenteil: Gerade die Bedeutung des Sports in der heutigen Zeit fordert alle Beteiligten auf, diese Gelegenheit für eine Gewissenserforschung zu nutzen. Es ist wichtig, die vielen positiven Aspekte des Sports zu erkennen und zu fördern; es ist jedoch auch nötig, die in vielerlei Hinsicht regelwidrigen Situationen auszumachen, denen er erliegen kann.

Das erzieherische und spirituelle Potential des Sports muß die Gläubigen und alle Menschen guten Willens zur gemeinsamen Überzeugung führen, sich mit Entschiedenheit allen abweichenden Elementen, die in den Sport einzudringen drohen, zu widersetzen und in ihnen ein Phänomen zu erkennen, das der vollen Entfaltung der Person und ihrer Lebensfreude entgegensteht. Es sollte die größte Sorgfalt darauf verwendet werden, den menschlichen Körper gegen jeden Angriff auf seine Unversehrtheit, gegen Ausbeutung und jede Form von Vergötzung zu schützen.

Man muß bereit sein, um Vergebung zu bitten für all das, was in der Sportwelt getan oder unterlassen wurde – im Gegensatz zu den im vorigen Heiligen Jahr übernommenen Verpflichtungen. Diese Verpflichtungen finden ihre Bestätigung im »Manifest des Sports«, das in Kürze vorgestellt wird. Möge dieses Nachdenken allen Beteiligten – Funktionären, Trainern und Athleten – die Gelegenheit geben, einen neuen kreativen und anspornenden Impuls zu finden, damit der Sport – ohne zu entarten – den Anforderungen unserer Zeit entspricht: Ein Sport, der die Schwachen schützt und niemanden ausschließt, der die Jugendlichen von den Gefahren der Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit befreit und in ihnen einen gesunden Kampfgeist weckt. Ein Sport, der zur Emanzipierung der ärmsten Länder beiträgt und eine Hilfe zur Bekämpfung der Intoleranz und zum Aufbau einer brüderlicheren und solidarischeren Welt darstellt. Ein Sport, der dazu beiträgt, daß die Menschen das Leben lieben, und der zu Opferbereitschaft, Achtung und Verantwortung erzieht, damit der Wert eines jeden Menschen voll zur Geltung kommen möge.

4. »Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten« (
Ps 126,5). Der Antwortpsalm hat uns daran erinnert, daß man, um im Leben Erfolg zu haben, in den Mühen Ausdauer zeigen muß. Wer Sport treibt, weiß das nur allzu gut: Nur um den Preis mühevollen Trainings kann man bedeutende Ergebnisse erreichen. Deshalb kann sich der Sportler die Worte des Psalmisten zu eigen machen, wonach die Mühe beim Säen ihren Lohn in der Freude der Ernte finden wird: »Sie gehen hin unter Tränen und tragen den Samen zur Aussaat. Sie kommen wieder mit Jubel und bringen ihre Garben ein« (Ps 126,6).

Bei den jüngst in Sydney ausgetragenen Olympischen Spielen haben wir die Taten großer Sportler bewundert, die sich jahrelang Tag für Tag aufgeopfert haben, um diese Ergebnisse zu erreichen. Dies ist die Logik des Sports, insbesondere des olympischen Sports. Es ist jedoch auch die Logik des Lebens: Ohne Opfer kann man weder hervorragende Resultate noch echte Genugtuung erlangen.

Daran hat uns wiederum der Apostel Paulus erinnert: »Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen« (1Co 9,25). Jeder Christ ist aufgerufen, ein tüchtiger Athlet Christi zu sein, das heißt ein treuer und mutiger Zeuge seines Evangeliums. Damit ihm dies gelingt, muß er im Gebet Ausdauer zeigen, sich in den Tugenden üben und in allem dem göttlichen Meister folgen.

Denn in der Tat ist Er der wahre Athlet Gottes.Christus ist der stärkere Mensch (vgl. Mk Mc 1,7), der für uns und mit der Kraft des Heiligen Geistes dem »Gegner«, Satan, entgegengetreten ist, ihn besiegt und uns auf diese Weise das Reich Gottes eröffnet hat. Er lehrt uns, daß man durch das Leid hindurchgehen muß, um in die Herrlichkeit einzugehen (vgl. Lc 24,26 Lc 24,46), und er ist uns auf diesem Weg vorangegangen, damit wir seinen Spuren folgen.

Das Große Jubiläumsjahr helfe uns, uns zu kräftigen und zu stärken, um die Herausforderungen aufnehmen zu können, die uns zu Beginn des dritten Jahrtausends erwarten.

329 5. »Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!« (Mc 10,47).

Dies sind die Worte des Blinden von Jericho aus dem Bericht des Evangeliums, der soeben vorgetragen wurde. Sie können auch zu unseren Worten werden: »Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!«

Christus, wir richten unseren Blick auf dich, der du jedem Menschen die Fülle des Lebens anbietest. Herr, du heilst und stärkst alle, die auf dich vertrauen und deinen Willen annehmen.

Heute sind im Rahmen des Großen Jubiläumsjahres 2000 die Sportler der ganzen Welt im Geiste mit uns versammelt, vor allem, um ihren Glauben an dich, den einzigen Retter des Menschen, zu erneuern.

Auch derjenige, der – wie der Sportler – im Vollbesitz seiner Kräfte ist, begreift, daß er ohne dich, Christus, innerlich gleichsam blind ist, also unfähig, die volle Wahrheit zu erkennen und den tiefen Sinn des Lebens zu verstehen, besonders angesichts der Finsternis des Bösen und des Todes. Angesichts der grundlegenden Fragen des Daseins merkt auch der größte Gewinner, daß er schutzlos ist und dein Licht braucht, um aus den anspruchsvollen Herausforderungen, die ein Mensch auf sich nehmen muß, als Sieger hervorgehen zu können.

Herr Jesus Christus, hilf diesen Sportlern, deine Freunde und Zeugen deiner Liebe zu sein. Hilf ihnen, in ihre persönliche Askese denselben Einsatz zu investieren, den sie dem Sport zukommen lassen. Hilf ihnen, eine harmonische und konsequente Einheit zwischen Körper und Seele zu verwirklichen.

Sie mögen für alle, von denen sie bewundert werden, nachahmenswerte Vorbilder sein. Hilf ihnen, immer Athleten des Geistes zu sein, um deinen unschätzbar wertvollen Preis zu erhalten: jenen Siegeskranz, der nicht welkt und in Ewigkeit währt. Amen!



HOCHFEST ALLERHEILIGEN



EUCHARISTIEFEIER ZUM 50. JAHRESTAG DER VERKÜNDIGUNG DES

DOGMAS DER AUFNAHME MARIENS MIT LEIB UND SEELE IN DEN HIMMEL

Mittwoch, 1. November 2000

1.»Lob und Herrlichkeit, Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Stärke unserem Gott in alle Ewigkeit« (Ap 7,12).

In einer Haltung tiefer Anbetung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit schließen wir uns allen Heiligen an, die unablässig die himmlische Liturgie feiern, um gemeinsam mit ihnen unserem Gott Dank zu sagen für die Wundertaten, die er in der Heilsgeschichte vollbringt.

Lob und Dank sei Gott dafür, daß er in der Kirche eine unermeßliche Schar von Heiligen hervorgebracht hat, die niemand zählen kann (vgl. Ap 7,9). Eine unermeßlich große Schar: Nicht nur die Heiligen und Seligen, die wir im Laufe des liturgischen Jahres verehren, sondern auch all die unbekannten Heiligen, um die Er allein weiß. Familienväter und -mütter, die in ihrer täglichen Hingabe für die Kinder auf eindrucksvolle Weise zum Wachstum der Kirche und zum Aufbau der Gesellschaft beigetragen haben. Priester, Ordensschwestern und Laien, die sich – wie brennende Kerzen vor dem Altar des Herrn – im Dienst am Nächsten, der materieller und spiritueller Hilfe bedarf, verzehrt haben. Missionare und Missionarinnen, die alles verließen, um die Verkündigung des Evangeliums in alle Teile der Welt zu bringen. Und diese Liste könnte man durchaus noch fortsetzen.

330 2. Lob und Dank sei Gott vor allem für das heiligste unter allen Geschöpfen, Maria: vom Vater geliebt, wegen Jesus, der Frucht ihres Leibes, gebenedeit und vom Heiligen Geist geheiligt und zu einem neuen Geschöpf gemacht. Sie ist ein Vorbild in der Heiligkeit, weil sie dem Höchsten ihr Leben zur Verfügung stellte, und sie leuchtet »hier auf Erden in der Zwischenzeit bis zur Ankunft des Tages des Herrn als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes« (Lumen gentium LG 68).

Genau heute begehen wir den 50. Jahrestag jenes feierlichen Akts, mit dem mein verehrter Vorgänger Papst Pius XII. hier auf diesem Platz das Dogma der Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele definierte. Sagen wir dem Herrn Lob und Dank dafür, daß er seine Mutter verherrlicht und sie an seinem Sieg über Sünde und Tod hat teilhaftig werden lassen.

Unserem Lobpreis haben sich heute in besonderer Weise die Gläubigen von Pompeji anschließen wollen, die unter der Leitung des Bischofs und Prälaten des dortigen Heiligtums, Msgr. Francesco Saverio Toppi, und in Begleitung des Bürgermeisters der Stadt in großer Zahl hierhergepilgert sind. Ihre Anwesenheit erinnert uns daran, daß der sel. Bartolo Longo, der Gründer des neuen Pompeji, im Jahr 1900 eine Bewegung ins Leben rief, die sich besonders für die Definition des Dogmas der Aufnahme Mariens in den Himmel einsetzte.

Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich! Der göttliche Meister nennt an erster Stelle jene »selig«, die arm sind vor Gott – ja wir könnten fast sagen, er »spricht sie heilig«. Es handelt sich um diejenigen, deren Herz frei von Vorurteilen und Bedingungen ist und die deshalb dem Willen Gottes gegenüber ganz aufgeschlossen sind. Die vollkommene und vertrauensvolle Treue zu Gott setzt Entäußerung und konsequentes Abstandnehmen vom eigenen Ich voraus.

Selig die Trauernden! Dies ist die Seligpreisung nicht nur jener Menschen, die unter den vielen Nöten aufgrund ihrer menschlichen Sterblichkeit leiden, sondern auch all jener, die das Leid, das sie bei ihrem aufrichtigen Eintreten für die Moral des Evangeliums erfahren, mit Mut annehmen.

Selig, die ein reines Herz haben! Es werden hier diejenigen »selig« genannt, die sich nicht mit äußerlicher und ritueller Reinheit begnügen, sondern die nach der absoluten inneren Rechtschaffenheit suchen, die jede Form von Lüge und Falschheit ausschließt.

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit! Die menschliche Gerechtigkeit ist an sich bereits ein sehr hohes Ziel, und sie adelt den Geist derer, die nach ihr streben. Das Denken Jesu bezieht sich jedoch auf jene noch größere Gerechtigkeit, die in der Suche nach dem Heilswillen Gottes liegt:

Selig ist vor allem, wer nach dieser Gerechtigkeit hungert und dürstet. Jesus sagt nämlich: In das Himmelreich kommt nur, »wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt« (Mt 7,21).

Selig die Barmherzigen! Glückselig ist, wer die Hartherzigkeit und Gleichgültigkeit besiegt, um ganz konkret den Primat der erbarmungsvollen Liebe anzuerkennen – nach dem Vorbild des barmherzigen Samariters und letztlich des Vaters, »der voll Erbarmen ist« (Ep 2,4).

3. Die gesamte heutige Liturgie spricht von Heiligkeit. Um jedoch herauszufinden, welcher Weg zur Heiligkeit führt, müssen wir mit den Aposteln zum Berg der Seligpreisungen emporsteigen, uns Jesus nähern und den Worten des Lebens zuhören, die aus seinem Mund kommen. Auch heute wiederholt Er für uns:

Selig, die Frieden stiften! Der Frieden, der alle messianischen Güter in sich zusammenfaßt, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. In einer Zeit, die geprägt ist von schrecklichen Gegensätzen und Vorurteilen, muß man ein brüderliches, von Liebe und Anteilnahme inspiriertes Miteinander fördern und hierbei Feindschaften und Streit überwinden.

331 Selig, die sich in diesem zutiefst edlen Werk engagieren!

4. Die Heiligen haben diese Worte Jesu ernst genommen. Sie glaubten, daß sie die »Glückseligkeit « durch die konkrete Umsetzung dieser Worte in ihrem Dasein erreichen würden. Und sie haben deren Wahrheit in der täglichen Konfrontation mit dem Erlebten erfahren: Trotz der Prüfungen, der Dunkelheit und der Mißerfolge haben sie bereits hier auf Erden die tiefe Freude der Gemeinschaft mit Christus gekostet. In Ihm haben sie den Urkeim der künftigen Herrlichkeit des Reiches Gottes, der in der Zeit gegenwärtig ist, entdeckt.

Dessen wurde sich insbesondere die selige Jungfrau Maria gewahr, die mit dem menschgewordenen Wort in einzigartiger Gemeinschaft lebte und sich vorbehaltlos seinem Heilsplan überantwortete. Deshalb war es ihr gegeben, noch vor der »Bergpredigt« jene Seligpreisung zu hören, die alle anderen Seligpreisungen in sich zusammenfaßt: »Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (
Lc 1,45).

5. Wie tief der Glaube der Jungfrau an das Wort Gottes war, geht sehr deutlich aus dem Gesang des Magnificat hervor: »Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut« ().

Mit diesem Gesang zeigt uns Maria die Grundlage ihrer Heiligkeit: ihre tiefe Demut. Man kann sich fragen, worin diese Demut bestand. Vielsagend ist diesbezüglich das »Erschrecken«, das sie beim Gruß des Engels erfaßte: »Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir« (Lc 1,28). Angesichts des Geheimnisses der Gnade und der Erfahrung der besonderen Gegenwart Gottes, der seinen Blick auf sie gerichtet hat, empfindet Maria einen natürlichen Impuls der Demut – wörtlich der »Erniedrigung«. Es ist die Reaktion einer Person, die sich ihrer Kleinheit angesichts der Größe Gottes voll bewußt ist. In dieser Wahrheit betrachtet Maria sich selbst, die anderen, die Welt.

War ihre Frage »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?« (Lc 1,34) etwa kein Zeichen der Demut?

Sie hatte gerade gehört, daß sie ein Kind empfangen und zur Welt bringen sollte, das als Sohn des Allerhöchsten auf dem Thron Davids herrschen würde. Sicherlich verstand sie das Geheimnis jener göttlichen Weisung nicht in seinem vollen Ausmaß, doch sie begriff, daß es eine radikale Veränderung ihrer Lebenssituation bedeutete. Und doch fragte sie nicht: Wird es wirklich so sein? Muß das geschehen? Sie sagte einfach: Wie soll das geschehen? Frei von Zweifeln und ohne Vorbehalte nahm sie das Eingreifen Gottes an, welches ihr Dasein verwandeln sollte. Ihre Frage verdeutlicht die Demut ihres Glaubens und die Bereitschaft, ihr Leben in den Dienst am göttlichen Geheimnis zu stellen – obwohl sie nicht imstande war, das »Wie« seiner Verwirklichung zu verstehen.

Diese Demut des Geistes, diese völlige Unterwerfung im Glauben fand im »Fiat« ihren besonderen Ausdruck: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lc 1,38). Durch die Demut Mariens konnte sich das erfüllen, was sie kurz darauf im Magnificat besingen sollte: »Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig« ().

Der Tiefe der Demut entspricht die Größe des Geschenks. Der Allmächtige hat »Großes« an ihr getan (vgl. Lc 1,49), und sie wußte dies dankbar anzunehmen und es allen Generationen von Gläubigen weiterzugeben. Das ist der Weg zum Himmel, den Maria, die Mutter des Erlösers, einschlug und auf dem sie allen Heiligen und Seligen der Kirche vorangegangen ist.

6. Selig bist du, Maria, die mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde! Pius XII. definierte diese Wahrheit »Zur Ehre des Allmächtigen Gottes [. . .] zur Ehre seines Sohnes, des unsterblichen Königs der Zeiten und Siegers über Sünde und Tod, zur Vermehrung der Herrlichkeit seiner erhabenen Mutter und zur Freude und Begeisterung der ganzen Kirche« (Apost. Konst. Munificentissimus Deus; dt. in: DH 3903).

Und wir lobsingen, Du in den Himmel aufgenommene Jungfrau, bei der Betrachtung deiner verherrlichten Person, die im auferstandenen Christus zur Mitarbeiterin des Geistes bei der Vermittlung des göttlichen Lebens an die Menschen gemacht wurde. In Dir sehen wir das Ziel der Heiligkeit, zu der Gott alle Mitglieder der Kirche aufruft. In diesem Leben des Glaubens erkennen wir einen deutlichen Wegweiser des Pfades zur geistigen Reife und zur christlichen Heiligkeit.

332 Mit Dir und mit allen Heiligen verherrlichen wir den dreifaltigen Gott, der uns auf unserer Pilgerreise auf Erden zu Hilfe kommt und der lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Amen.






Predigten 1978-2005 324