Predigten 1978-2005 137

137 Meine Lieben, die Taufe ist in ganz besonderer Weise euer Ostern, das Sakrament eurer Erlösung, eurer Wiedergeburt in Christus durch den Glauben und das Werk des Heiligen Geistes, kraft dessen ihr Gott "Vater" nennen dürft und ihr Söhne im Sohn sein werdet.

Wir wünschen euch, daß das neue Leben, das ihr in dieser hochheiligen Nacht als Geschenk empfangt, sich bis zu seiner Fülle entfalte und reiche Früchte der Liebe, der Freude und des Friedens, Früchte des ewigen Lebens bringe.

4. "O vere beata nox!" singt die Kirche im Osterlob, während sie die großen Taten Gottes im Alten Bund beim Auszug Israels aus Ägypten in Erinnerung ruft. Es ist die prophetische Ankündigung des Exodus der Menschheit aus der Knechtschaft des Todes zum neuen Leben durch das Pascha Christi.

O vere beata nox! wollen wir mit dem Osterhymnus wiederholen, während wir das universale Geheimnis des Menschen im Licht der Auferstehung Christi betrachten. Am Anfang schuf ihn Gott als sein Abbild, ihm ähnlich. Durch Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, wird dieses Abbild Gottes, das von der Sünde getrübt worden ist, wiederhergestellt und zur Vollendung gebracht. Und wir können mit den Worten eines antiken Autors sprechen: Mensch, schaue dich selbst an! Erkenne deine Würde und deine Berufung! Christus, der in dieser heiligen Nacht den Tod besiegt hat, öffnet dir das Tor des Lebens und der Unsterblichkeit.

Ich lasse die Worte des Diakons, der die österliche Botschaft feierlich verkündet hat, nachklingen und wiederhole voll Freude: Annuntio vobis gaudium magnum: surrexit Dominus vere! Surrexit hodie!

Amen!





19. Juni 1998



"Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen" (
Ps 23,1)

1. Die Worte, die der Psalmist auf Gott im Alten Bund bezieht, dürfen wir heute an unseren Hirten richten, das menschgewordene Wort Gottes: Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Dankbar schauen wir auf den Glauben, der wie ein starker Baum in dieser Gegend Früchte getragen und Geschichte gemacht hat: "Freue dich, Juvavum, denn am Ufer deiner Wasser hat der Herr Bäume gepflanzt, die niemals aufhören, Früchte zu tragen" (1. Antiphon der Lesehore zum Fest Rupert und Virgil).

Das Licht des Glaubens wurde hier wohl zum ersten Mal von dem berühmten Missionar Severin entzündet. Es war am Ende des fünften Jahrhunderts, in einer Zeit, als die römischen Provinzen dem Untergang geweiht waren. Mehr als zwei Jahrhunderte sollten vergehen, bis aus der Stadt Worms am Rhein wieder ein guter Hirte den Weg zur kleinen, weithin zerstörten Stadt an der Salzach fand: der Wanderbischof Rupertus. Er baute Kirchen und richtete geistliche Stützpunkte ein. Schon das erste Gotteshaus wurde dem heiligen Petrus geweiht.

Im Jahre 739 war es der heilige Bonifatius, der als Legat des Papstes für Germanien vier Diözesen errichtete: Regensburg, Passau, Freising und Salzburg. Heute sind die Oberhirten dieser altehrwürdigen Diözesen unter uns. So grüße ich neben Erzbischof Georg Eder, der heute unser Gastgeber ist, ganz besonders Herrn Kardinal Friedrich Wetter von München und Freising, Herrn Bischof Manfred Müller von Regensburg und Herrn Bischof Franz Xaver Eder von Passau.

138 Reich an Jahren und Glanz ist die Kirche von Salzburg! Nachdem der heilige Bischof Virgil, der aus Irland kam, den ersten Dom eingeweiht hatte, wurde vor 1200 Jahren durch Papst Leo III. Salzburg zur Metropole erhoben.

Die Glanzpunkte der Vergangenheit lassen uns heute am Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu mit Recht das Te Deum auf den Herrn anstimmen, der als Guter Hirte die Kirche von Salzburg durch die Jahrhunderte getragen hat. Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen.

2. Dieser Tag, an dem ich als Nachfolger des heiligen Petrus zum zweiten Mal das "deutsche Rom" besuchen darf, ist aber nicht nur der Erinnerung an eine stolze Geschichte gewidmet. Er soll jeden einzelnen dazu anregen, sich um eine ehrliche Erneuerung im Glauben und um die entschlossene Bündelung der eigenen Kräfte mit denen der anderen Gläubigen zu bemühen, damit es der neuen Evangelisierung dient.

Dabei weitet sich mein Blick über das Gebiet des Salzburger Landes hinaus. Ich grüße den Bundespräsidenten der Republik Österreich, Herrn Thomas Klestil. Ein herzliches Willkommen rufe ich neben den zahlreichen Brüdern im Bischofs- und Priesteramt, die aus Österreich und den Nachbarländern gekommen sind, sowohl dem Erzbischof von Wien, Kardinal Christoph Schönborn, zu als auch dem Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Bischof Johann Weber von Graz-Seckau.

Im Licht der missionarischen Tätigkeit unserer Vorfahren wird uns eines neu bewußt: Wir dürfen den Glauben nicht einschließen in unsere Gotteshäuser. Wir sollen ihn hinaustragen in unsere kleine und große Welt. Der missionarische Einsatz hat in dieser Bischofsstadt eine lange Tradition. Die Bischöfe von Salzburg sind als gute Hirten weit in den Osten gezogen und haben die Frohe Botschaft nach Böhmen, Mähren und Ungarn gebracht. Sie haben ihre Helfer als Missionare ausgesandt bis nach Maribor an der Drau, nach Brixen, an den Lech und zur Donau.

Heute ist die Mutterdiözese Salzburg geographisch zwar kleiner geworden. Aber in den Steinen dieses ehrwürdigen Domes und der erhabenen Festung hat sich das eingeprägt, was Salzburg in der Geschichte war und in Zukunft sein soll: ein Missionszentrum, das ausstrahlt über die Grenzen der Diözese und des Landes hinaus. Salzburg, du Stadt auf dem Berg gebaut, du trägst in Deinem Namen das Salz: Deine Bewohner mögen auch in Zukunft das Salz des Evangeliums gläubig annehmen und durch ihr Zeugnis bestätigen. Denk an das Erbe, das dir die Vergangenheit vermacht hat: das Salz der Heilsbotschaft in das umliegende Gebiet hinauszutragen.

Du Sitz des Primas Germaniae, die Geschichte hat dir eine Art Vorsitz in der Mission übertragen: Die Christen dieser Erzdiözese mögen sich der Verpflichtung stets bewußt sein, die ein solches Vorrecht mit sich bringt.

Du hast eine Sendung gegenüber den Männern und Frauen, die einen Weg suchen, der sie "zum Ruheplatz am Wasser" führt. Durch das Zeugnis deiner Gläubigen mögen sie Dem begegnen, der sie auf rechten Pfaden führt, bis sie "auf grünen Auen lagern" und sich stärken können. (vgl.
Ps 23,2-3): Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen.

3. "Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil" (Ps 23,4). Wir wissen um die Gefahren, die sich in steilen Tälern bei Dunkelheit stellen. Das geographische Bild ist ein trefflicher Spiegel der Seele. Auch unser Inneres ist tückischen Abgründen ausgesetzt. Wir kennen die Dunkelheiten von Enttäuschungen, Schicksalsschlägen und Glaubenszweifeln. Die jedoch auf Gott vertrauen, finden Schutz und Sicherheit in der Obhut des Guten Hirten: "Dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht" (Ps 23,4).

Spielen diese Worte aus der Heiligen Schrift nicht auf die Aufgabe des Lehramtes an, das Christus den Hirten der Kirche anvertraut hat? Dieses Amt ist nicht menschliche Erfindung, um in der Seelsorge Herrschaft auszuüben. Christus selbst hat uns zu diesem Dienst bestellt, damit Sein göttliches Wort aus menschlichem Mund weitergetragen werde und den Menschen "Stock und Stab", Halt und Orientierung sei.

Liebe Schwestern und Brüder!

139 Im Bewußtsein meiner Sendung, die mit meinem Amt als Nachfolger des heiligen Petrus verbunden ist, bin ich zu Euch nach Österreich gekommen, um Euch ein Wort des Zuspruchs und der Ermutigung zu bringen. Ich danke Euch für Euer Kommen, in dem ich ein Zeugnis dafür sehe, daß Ihr zu Christus gehören wollt. Wie im Evangelium der Hirte das Schaf auf seinen Schultern trägt, so habe ich auch Euch in den vergangenen Monaten in meinem Herzen getragen.

Das Herz des Hirten aus Rom schlägt für Euch alle!

Verlaßt die Herde des Guten Hirten nicht!

Tretet nicht aus, sondern tretet auf - für die Frohe Botschaft, die auch die Dunkelheiten unseres Lebens erleuchten kann: Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen.

4. Es ist mir ein großes Anliegen, meine Wertschätzung allen gegenüber auszudrücken, die sich unermüdlich dafür einsetzen, daß die Pfarrgemeinden lebendig sind. Die Pfarren sind ja "die Kirche, die inmitten der Häuser ihrer Söhne und Töchter lebt" (Apostolisches Schreiben Christifideles laici
CL 26). Es ist erfreulich, daß sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Vielzahl von Diensten entwickelt hat, denen sich unzählige Laien in hochherziger Weise widmen. Mit hohem Einsatz an Zeit nehmen sie die Mitverantwortung wahr, die ihnen aufgrund der durch Taufe und Firmung übertragenen Würde zukommt.

In der Verschiedenheit der Aufgaben das rechte Mit- und Zueinander zu finden, bereitet mitunter Schwierigkeiten. Gleichheit in der Würde bedeutet in der Herde des Guten Hirten nicht Gleichheit in den Ämtern und Tätigkeiten. So können die besonderen Aufgaben des bischöflichen und priesterlichen Hirtenamtes nicht einfach auf Laien übergehen. Andererseits haben die Hirten die spezifischen Aufgaben der Laien zu achten. Deshalb soll es auch nicht geschehen, daß Laien ihre Dienste an Priester, Diakone oder hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen. Nur wenn jeder den Platz einnimmt, der ihm gebührt, wird der gemeinsame Weg von Hirte und Herde gelingen.

Mir liegt sehr daran, Euch, liebe Schwestern und Brüder im Laienstand, meine tiefempfundene Anerkennung auszusprechen. Euer Einsatz ist mit Geld nicht zu bezahlen. Ohne Euch wären unsere Pfarrgemeinden nicht nur ärmer. Ihnen würde etwas Wesentliches fehlen. Ich bitte Euch alle, Euer Apostolat auch in Zukunft ernst zu nehmen, sei es als Lektoren oder Kommunionhelfer, als Mitglieder von Kirchenchören und Gebetsgruppen oder bei der Hinführung der Kinder und Jugendlichen zur Erstkommunion und Firmung. Ausdrücklich ermutige ich die Laien dazu, aufs engste mit ihren Priestern zusammenzuarbeiten.

Dabei erinnere ich an die Bedeutung der Pfarrgemeinderäte, in denen die pastoralen Probleme “in gemeinsamer Beratung” zu prüfen und zu lösen sind (vgl. Apostolicam actuositatem AA 10). Wagt den Dialog in Euren Gremien!

Nicht vergessen möchte ich die zahllosen Männer und vor allem Frauen, die sich ohne viele Worte, aber mit großer Hingabe im caritativen Bereich aufzehren. Sie kümmern sich um Alte, Kranke und Einsame. Auf diese Weise lassen sie gerade die Menschen auf der Schattenseite des Lebens spüren, was es heißt: Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen.

5. “Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde” (Ps 23,5). Auch wenn die Christen nicht gewaltsam verfolgt werden, ist es für sie nicht leicht, Zeugnis zu geben. Vielfach begegnet ihnen die Masse mit Gleichgültigkeit, einer Haltung, die nicht weniger schwer wiegt als offene Feindseligkeit. Die Priester und ihre Mitarbeiter decken den Tisch des Wortes und der Eucharistie. Dabei müssen sie die enttäuschende Erfahrung machen, daß die Zahl der Gäste, die der Einladung folgen, stetig abnimmt. Der Tisch des Wohlstandes und des Konsumismus scheint anziehender zu sein. Deshalb leben viele Zeitgenossen so, als wenn es Gott nicht gäbe. Gleichzeitig haben Formen weitverbreiteter Volksfrömmigkeit überdauert, denen allerdings die Grundlage bewußter Überzeugung fehlt. Deshalb besteht die Gefahr, daß sie in der Konfrontation mit der zunehmenden Säkularisierung austrocknen. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem christlichen Erbe ist ebenso gefährlich wie eine offene Feindseligkeit.

Nur eine neue Evangelisierung wird die Vertiefung eines reinen und festen Glaubens gewährleisten, der die überkommenen Traditionen in eine befreiende Kraft verwandeln kann.

140 Haben wir noch Ressourcen, aus denen wir zehren können? Wo liegen die Quellen, aus denen wir schöpfen dürfen? Christen von Österreich, Ihr wißt, wo diese Quellen liegen!

Das alte Europa, das zu einer neuen Völkerfamilie zusammenwachsen will, scheint verkrustet. Der Kontinent schickt sich an, die Botschaft, die ihn seit den ersten Jahrhunderten der neuen Zeitrechnung erreicht hat, langsam zu vergessen. In vielen mittel- und osteuropäischen Ländern durfte mehr als fünfzig Jahre lang das Evangelium nicht mehr verkündet werden. Unter diktatorischen Machthabern ohne Gott ist das Licht in den Tabernakeln erloschen. Die Gotteshäuser sind zu Denkmälern vergangener Zeiten erstorben.

Heute dürfen wir jedoch feststellen: Diese Herrschaftssysteme sind untergegangen. Doch die alten Quellen fließen weiter in Fülle und Frische: die Heilige Schrift als Ader der Wahrheit; die Sakramente der Kirche, aus denen die Kraft der Gegenwart Christi fließt; das Gebet, bei dem die Seele Atem holen darf aus dem frischen Sauerstoff der Gnade Gottes.

6. Diese Quellen stehen offen für alle. Gerade Ihr, liebe Jugendliche, dürft daraus schöpfen. Ihr sollt wissen: Der Papst zählt auf Euch! Auch wenn Ihr Euch manchmal als kleine Herde fühlt, verliert den Mut nicht: Ihr seid das Kapital des Guten Hirten.

Zwölf Männer sind am Anfang in die ganze Welt hinausgezogen. Deshalb traut der Papst Eurer Jugend zu, dem alten Europa wieder ein christliches Gesicht zu geben. Setzt dabei auf Euer persönliches Zeugnis. Ihr seid "ein Brief Christi” (
2Co 3,3), Seine Visitenkarte! Wer Euch begegnet, soll wissen, daß er eine gute Adresse hat.

Bei der Ausübung meines Hirtenamtes habe ich mich in den verschiedenen Gegenden der Welt immer mehr in die Wahrheit hineingehört, über die ich in der Enzyklika Redemptoris missio geschrieben habe: “Der Mensch unserer Zeit vertraut mehr den Zeugen als den Lehrern, mehr der Erfahrung als der Lehre, mehr dem Leben und den Taten als den Theorien” (N. 42). In der Begegnung mit Euch sollen Eure Altersgenossen spüren, daß etwas Besonderes in Euch steckt, was sie nicht erklären können. Ihr aber kennt es genau - dieses "Etwas", das der Psalm treffend ausdrückt: Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen.

7. Aus den nie versiegenden Quellen der Gnade haben die Heiligen geschöpft. Deshalb sind sie wahre Missionare (vgl. Redemptoris missio RMi 2). So ist die Geschichte Eurer Heimat auch eine Geschichte Eurer Heiligen. Diese Geschichte reicht bis in die jüngste Vergangenheit.

Vor einigen Monaten wurden in Rom die Priester Otto Neururer und Jakob Gapp seliggesprochen. Am Sonntag werde ich in Wien neben zwei weiteren Dienern Gottes Schwester Restituta Kafka zur Ehre der Altäre erheben. In diesen Gestalten wird deutlich, worin jede Hirtenexistenz gipfelt: “Der Gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe” (Jn 10,11). Wenn die Kirche an dunkle Kapitel der Geschichte erinnert, dann will sie nicht alte Wunden aufreißen, sondern nur das Gedächtnis heilen. Die Täter der Gewalt haben die Bühne verlassen, gekommen sind die Helden der Liebe. Sie haben bezeugt, daß sich gerade in den tragischen Jahren unseres Jahrhunderts, als auch Euer Land vom Bösen mächtig geschüttelt wurde, das Gleichnis vom Guten Hirten erfüllt hat. In ihrem Leben und in ihrem Sterben spiegelt sich ihre Hoffnung wider: Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen.

8. Liebe Schwestern und Brüder!

Euer Oberhirte, Erzbischof Eder, hat mich gebeten, die Statue Unserer Lieben Frau von Fatima zu krönen und die 1200 Jahre alte Erzdiözese Salzburg dem Schutz der Gottesmutter anzuvertrauen. Ich habe diese Bitte gern erfüllt. Eure altehrwürdige Kirche hat die Jungfrau Maria stets aufrichtig und tief verehrt. Ich bin sicher, daß die Gottesmutter Euren Wunsch nicht abweisen wird, Euch als Schutzfrau und Führerin auf Eurem Weg zu begleiten.

Ihr vertraue ich Eure Erzdiözese und jeden von Euch an. Maria möge Euch unter ihren Schutzmantel nehmen: "Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, heilige Gottesmutter. Verschmähe nicht unser Gebet in unseren Nöten ..."

141 Unter dem Schutz deines Mantels, Maria, sind unsere Ängste und Sorgen gut aufgehoben. Wir schöpfen wieder Mut und Zuversicht. Wir schauen dich an und lernen von dir, uns neu in vollkommener Hingabe zu überantworten: Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen. Amen.



JOHANNES PAUL II.




MESSE IM LANDHAUSPARK PREDIGT


20. Juni 1998


“Der Geist des Herrn ruht auf mir: denn der Herr hat mich gesalbt” (Lc 4,18).

1. Das ganze Leben Jesu steht unter dem Einfluß des Heiligen Geistes. Am Anfang ist er es, der die Jungfrau Maria im Geheimnis der Menschwerdung umschattet. Am Jordan ist es wieder der Geist, der auf Jesus herabkommt, während der Vater den geliebten Sohn bezeugt. Dann führt der Geist den Sohn in die Wüste. In der Synagoge von Nazareth bestätigt Jesus von sich selbst: “Der Geist des Herrn ruht auf mir” (Lc 4,18).

Diesen Geist verspricht Jesus den Aposteln als fortwährenden Garanten seiner Gegenwart in ihrer Mitte. Am Kreuz gibt der Sohn den Geist an den Vater zurück (vgl. Jn 19,30). So besiegelt er den Neuen Bund, der aus dem Osterereignis hervorgeht. Am Pfingsttag schließlich gießt er den Heiligen Geist über die Urgemeinde aus, um sie im Glauben zu festigen und die Apostel als lebendige und mutige Zeugen auf die Straßen der Welt hinauszusenden.

2. Von damals bis heute wird der mystische Leib Christi, seine Kirche, auf ihrem Weg durch die Zeit vom Wehen desselben Geistes angetrieben. Die Kirche erleuchtet die Geschichte mit dem glühenden Feuer des Wortes Gottes und reinigt die Herzen der Menschen mit den Strömen reinen Wassers, die aus ihrem Innern fließen (vgl. Ez 36,25). So wird sie “das durch die Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk” (Cyprian, De Dom. Orat., 23).

In dieser Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes hat jeder Getaufte die Möglichkeit, unter “dem Gesetz des Geistes, der Leben in Christus Jesus schenkt” (Rm 8,2) zu leben. Unter der Führung des Geistes tritt der Christ in den "geistlichen Raum" ein, in dem sich der Dialog mit Gott ereignet. Die Fragen, die der Mensch stellt, sind eigentlich Anrufe, die Gott im Innern des Menschen weckt: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin soll ich gehen?

Liebe Schwestern und Brüder! Ihr seid Gesprächspartner Gottes! Seit Ihr in der Taufe zu Christus gehört, hat Gott Euch in Christus zu seinen Söhnen und Töchtern adoptiert. Seid Euch dieser hohen Würde bewußt! Verspielt nicht diese große Ehre!

Gott hat mit jedem von Euch einen ganz persönlichen Plan. Sein Auge ist jedem liebend zugewandt. Er schenkt allen immer sein Ohr. Wie ein treusorgender und feinfühliger Vater ist Er Euch nahe. Er gibt Euch das, was Ihr zum neuen Leben braucht: Seinen Heiligen Geist.

3. Mit Eurer Eingliederung in die Kirche habt Ihr nicht nur den Namen “Christen”, “Gesalbte” erhalten, sondern auch die Salbung des Heiligen Geistes. Deshalb sollt Ihr nicht nur Christen heißen, sondern es in Wahrheit sein.Der Geist Gottes ruht auf Euch. Denn der Herr hat Euch gesalbt (vgl. Lc 4,18).

Im neuen Leben, das der Taufe entspringt und sich durch das Wort und die Sakramente entfaltet, finden die Gnadengaben, die Ämter und die verschiedenen Formen des gottgeweihten Lebens ihre Nahrung. Schon der Völkerapostel Paulus hat im Blick auf die Gemeinde von Korinth festgestellt: “Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur einen Geist” (1Co 12,4).

142 Neue Berufungen sind auch heute möglich durch den Heiligen Geist. Dafür muß man eine Umgebung schaffen, die dem Hören auf Gottes Anruf förderlich ist. Große Bedeutung kommt dabei den Pfarrgemeinden zu. Wenn dort eine Haltung wahrer Treue zum Herrn gelebt wird und ein Klima tiefer Religiosität und ehrlicher Bereitschaft zum Zeugnis herrscht, ist es für einen Berufenen leichter, mit "Ja" zu antworten. Die Lebendigkeit einer Pfarrgemeinde wird ja nicht nur an der Anzahl ihrer Aktionen gemessen, sondern an der Tiefe ihres Gebetslebens. Das Hören auf Gottes Wort auf der einen und die Feier und Anbetung der Eucharistie auf der anderen Seite sind die beiden tragenden Säulen, die einer Pfarrgemeinde Halt und Festigkeit geben.

Das Klagen über den Mangel an Priestern und Ordensleuten hilft wenig. Berufungen sind menschlich nicht zu “machen”. Berufungen können aber von Gott erbeten werden. Mein Wunsch ist es, daß Ihr den Herrn der Ernte inständig und stetig um neue Berufungen zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben bittet.

4. Als Jesus am Kreuz seinen Geist an den Vater zurückgab, machte er aus allen Jüngern “ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk” (
Ex 19,6). Er baute sie zu einem “geistigen Haus” auf, “zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen” (1P 2,5). Dies ist das gemeinsame Priestertum, zu dessen Dienst er die Zwölf berufen hat, daß sie “mit ihm seien” (Mc 3,14). Dann sandte er sie aus, damit sie in seinem Namen und an seine Stelle handelten.

Durch das Amtspriestertum führt Christus bis heute seine Heilssendung ununterbrochen fort. Er hat dafür Bischöfe und Priester eingesetzt, die “in der Kirche und für die Kirche eine sakramentale Vergegenwärtigung Jesu Christi, des Hauptes und Hirten, sind; sie verkündigen mit Vollmacht sein Wort, sie wiederholen sein vergebendes Wirken und sein umfassendes Heilsangebot” (Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis PDV 15). Sie sind gesandt, um den Armen eine gute Nachricht zu bringen, um den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und den Blinden das Augenlicht und um die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen (vgl. Lc 4,18). Das Amt in der Kirche ist also keine menschliche Errungenschaft. Es ist eine göttliche Stiftung.

Bei aller Anerkennung und Wertschätzung für die kostbaren Dienste der Laien in den Pfarrgemeinden darf man nicht vergessen: Im sakramentalen Bereich kann der Laie nie das ersetzen, was den Priester auszeichnet. Letztlich kann ein Priester nur von einem Priester ersetzt werden.

5. An dieser Stelle grüße ich Herrn Bischof Kurt Krenn, der zusammen mit seinem Weihbischof Heinrich Fasching nicht nur mit Sorgfalt dieses heutige Fest des Glaubens vorbereitet hat, sondern sich mit allen Kräften bemüht, auch in Zukunft den Gläubigen in den vielen Pfarren der ihm anvertrauten Diözese Sankt Pölten Priester zu senden. Ich grüße alle Brüder im Bischofsamt, besonders den Metropoliten, Herrn Kardinal Christoph Schönborn, und den Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Bischof Johann Weber.

Ich freue mich, daß der verehrte Herr Bundespräsident Thomas Klestil bei dieser Feier unter uns ist. Mit ihm grüße ich die Vertreter des politischen und öffentlichen Lebens, die uns die Ehre ihrer Anwesenheit geben.

Wenn ich mich an die Priester und Diakone wende, verbinde ich damit ein Wort der Anerkennung und Dankbarkeit: Diese Gefühle weite ich auf alle geweihten Amtsträger aus, die in den verschiedenen Diözesen dieses Landes wirken. Wie in Sankt Pölten, so gibt es auch in den anderen Teilen Österreichs viele, die sich mit unermüdlicher Hingabe in der Seelsorge aufzehren und sich weder Krankheit noch fortgeschrittenem Alter beugen. Mit Bewunderung blicke ich ebenso auf jene Priester, die bereit sind, sich über die ihnen anvertrauten Pfarren hinaus auch um Nachbargemeinden zu kümmern, damit den Gläubigen die Heilsmittel nicht fehlen. Lob gebührt auch den vielen Ordensleuten, die sich in der Seelsorge einsetzen. Zudem möchte ich die Priester nicht vergessen, die aus anderen Ländern kommen; einige davon sind aus meiner Heimat. Sie alle leisten einen wertvollen Beitrag zur Pastoral.

Liebe Priester, die jungen Menschen schauen auf Euch. Sie sollen feststellen, daß Ihr trotz Eurer Arbeitslast frohe Diener des Evangeliums seid und in der Wahl Eurer Lebensform Erfüllung und Zufriedenheit findet. An Eurem Zeugnis sollen die jungen Menschen sehen: Das Priestertum ist kein Auslaufmodell, sondern eine Berufung mit Zukunft!

6. Wie sollte man hier nicht auch in Dankbarkeit gegenüber dem Heiligen Geist an die vielen Ordensgemeinschaften denken, die in der Geschichte gerade dieser Diözese für die Seelsorge so wichtig geworden sind! Liebe Brüder und Schwestern, ich grüße Euch aus ganzem Herzen. Ihr lebt nach den evangelischen Räten und bemüht Euch, durch Euer Verhalten den Weg zum Himmelreich zu weisen. Das gottgeweihte Leben gehört ins Herz der Kirche als ein Element, das für die Erfüllung ihrer Sendung entscheidend ist. Es drückt das Wesen christlicher Berufung und die Spannung der ganzen Kirche aus, die als Braut zur Vereinigung mit ihrem einzigen Bräutigam drängt.

7. Nicht vergessen möchte ich die christlichen Eheleute. Auch Eure Lebensform ist eine Berufung! Ich spreche Euch mein Lob aus und ermutige Euch in allen Euren Anstrengungen, aus der Gnade des Ehesakramentes zu leben. Eure Familien mögen “Hauskirchen” sein, in denen die Kinder lernen, den Glauben zu leben und zu feiern.

143 Ihr Väter und Mütter seid die erste Schule für Eure Kinder. Bemüht Euch um Eintracht im Hause, um den Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, um die regelmäßige Teilnahme am kirchlichen Leben, um Gelassenheit und Stärke bei der Lösung der täglichen Schwierigkeiten. Bittet den Herrn, daß Eure Kinder einmal den Weg wählen, den Gott mit ihnen plant! Laßt ihnen auch die Freiheit, in die radikale Nachfolge Jesu Christi zu treten, wenn sie Gottes Ruf dafür verspüren. Kinder sind kein Besitz. Sie sind Euch von Gott für eine bestimmte Zeit anvertraut. Eure Sendung besteht darin, sie in die Freiheit hineinwachsen zu lassen, aus der heraus sie sich verantwortlich binden können.

8. In den Familien entscheidet sich auch die Zukunft von Kirche und Gesellschaft. Neben den vielen pastoralen Initiativen und Hilfen erwähne ich besonders das Internationale Theologische Institut für Studien zu Ehe und Familie, das als junge Pflanze in Gaming eingesetzt wurde und von den Bischöfen Österreichs mitgetragen wird. Gebe Gott, daß daraus ein starker Baum werde, der viele Früchte zugunsten der Wertschätzung von Ehe und Familie hervorbringt.

9. Liebe Schwestern und Brüder!

“Wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott” (
1Jn 4,7). Viele unserer Zeitgenossen haben Gott als Vater verloren. Deshalb fehlt ihnen auch die Muttersprache des Glaubens. Helfen wir ihnen, sich in das Alphabet des Glaubens einzulesen. Zuneigung, Anteilnahme und Liebe gehören in den religiösen Grundwortschatz, den jeder versteht. Darauf kann man eine Grammatik des Lebens aufbauen, die dem Menschen hilft, den Plan, den Gott mit ihm hat, im Heiligen Geist zu buchstabieren.

Lebt in Taten vor, was ihr mit Worten lehrt. Zeigt, daß eine Frucht des Geistes auch die Freude ist. An der Schwelle des dritten Jahrtausends muß der Gedanke wieder neu ins Bewußtsein rücken: Wie Gott mit jedem einen Plan hat, so hat er für jeden auch eine Sendung. Ihr seid nicht nur Nachlaßverwalter der Vergangenheit, sondern auch Wegbereiter einer Zukunft, in die der Heilige Geist die Kirche führt!

Euer Landespatron, der heilige Leopold, möge Euch Vorbild und Fürsprecher sein. Er war nicht nur Vater seiner Familie, sondern auch Landesvater. Sein Gedenkstein, den ich bei meinem letzten Pastoralbesuch in Österreich segnen durfte, steht heute hier in diesem neuen Regierungsviertel. Er soll Euch allen Ansporn und Ermutigung sein!

Wir schauen auf die heilige Jungfrau Maria, deren Leben ein Weg im Heiligen Geiste war.

Maria, Magna Mater Austriae, dir vertrauen wir die Sorge um die Berufungen in den Priester- und Ordensstand an.

Maria, Mutter Gottes, trete bei deinem Sohn für die Kirche in Österreich ein. Bewirke, daß ihr viele junge Menschen geschenkt werden, die bereit sind, sich für die Nachfolge Christi zu entscheiden und sich selbst hinzugeben für das Reich Gottes.

Maria, Mutter der Kirche, bitte für uns! Amen.



JOHANNES PAUL II. Seligsprechung der Diener Gottes Restituta KAFKA, Jakob KERN und Anton Maria SCHWARTZ


21. Juni 1998



144 1. "Für wen halten mich die Leute?" (Lc 9,18)

Diese Frage hat Jesus einmal seinen Jüngern gestellt, die mit ihm unterwegs waren. Auch den Christen auf den Straßen unserer Zeit legt Jesus die Frage vor: "Für wen halten mich die Leute?"

Wie vor fast zweitausend Jahren in einem versteckten Winkel der damals bekannten Welt, so scheiden sich auch heute an Jesus die Geister: Die einen billigen ihm die Fähigkeit prophetischer Rede zu. Andere halten ihn für eine großartige Persönlichkeit, ein Idol, das Menschen zu fesseln vermag. Wieder andere trauen ihm sogar zu, eine neue Epoche einzuleiten.

"Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" (Lc 9,20)

Die Frage kann man nicht neutral beantworten. Sie verlangt eine Grundsatzentscheidung und geht alle persönlich an. Auch heute stellt Jesus die Frage: Ihr Katholiken Österreichs, ihr Christen dieses Landes, ihr Bürgerinnen und Bürger, für wen haltet ihr mich?

Es ist eine Frage, die aus dem Herzen Jesu kommt. Wer sein eigenes Herz öffnet, der wünscht sich, daß das Gegenüber nicht nur mit dem Kopf antwortet. Die Frage aus dem Herzen Jesu muß uns selbst zu Herzen gehen: Wer bin ich für Euch? Was bedeute ich Euch? Kennt Ihr mich eigentlich? Bekennt Ihr Euch zu mir? Habt Ihr mich lieb?

2. Damals hat Petrus als Sprecher der Jünger geantwortet: Wir halten dich "für den Messias Gottes" (Lc 9,20). Etwas ausführlicher gibt Matthäus das Bekenntnis des Petrus wieder: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16,16).

Heute bekennt der Nachfolger des Apostels Petrus, der ich durch Gottes Gnade bin, stellvertretend für Euch und gemeinsam mit Euch: Du bist der Messias Gottes. Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.

3. Im Laufe der Jahrhunderte wurde immer wieder um das richtige Bekenntnis gerungen. Dank sei Petrus, dessen Worte einen Maßstab gesetzt haben!

An ihm müssen sich die Bemühungen messen lassen, mit denen die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit versucht auszudrücken, was ihr Jesus bedeutet. Dabei genügt das Lippenbekenntnis allein nicht. Die Kenntnis von Schrift und Tradition ist wichtig, das Studium des Katechismus ist wertvoll, aber was nützt das alles, wenn dem Glaubenswissen die Taten fehlen?

Das Christusbekenntnis ruft in die Christusnachfolge. Zum richtigen Bekenntnis muß das richtige Leben treten. Rechtgläubigkeit verlangt Glaubwürdigkeit. Diese anspruchsvolle Wahrheit hat Jesus den Seinen gegenüber von Anfang an nicht verschwiegen. Gerade hat Petrus ein außerordentliches Bekenntnis abgelegt. Im gleichen Atemzug müssen er und der ganze Jüngerkreis sich von Jesus erklären lassen, was ihr Meister sich von ihnen erwartet: "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach" (Lc 9,23).

145 Wie es am Anfang war, so ist es bis heute geblieben: Jesus Christus sucht nicht nur Menschen, die ihm zujubeln. Er sucht Menschen, die ihm nachfolgen.

4. Liebe Schwestern und Brüder! Wer die Geschichte der Kirche mit liebendem Auge betrachtet, darf dankbar entdecken, daß es trotz aller dunklen Punkte und Schattenseiten immer und überall Menschen gegeben hat und gibt, deren Leben neues Licht auf die Glaubwürdigkeit des Evangeliums wirft.

Heute wird mir die große Freude geschenkt, drei Christen aus der Kirche Eurer Heimat in das Buch der Seligen eintragen zu dürfen. Jeder von ihnen hat auf eigene Weise das Messiasbekenntnis mit dem persönlichen Lebenszeugnis eingelöst. Alle drei zeigen uns, daß mit "Messias" nicht nur ein Titel für Christus gemeint ist, sondern die Bereitschaft, an der messianischen Ordnung mitzuarbeiten: Große werden klein und Schwache kommen zum Zug.

Auf dem Heldenplatz, hier und heute, haben nicht die Helden der Welt das Wort, sondern die Helden der Kirche, drei neue Selige. Vor sechzig Jahren hat vom Balkon dieses Platzes aus ein Mensch für sich das Heil proklamiert. Die neuen Seligen haben eine andere Botschaft. Sie sagen uns: Nicht in einem Menschen liegt das Heil, sondern: Heil Christus, dem König und Erlöser!

5. Jakob Kern entstammt einer einfachen Wiener Arbeiterfamilie. Aus seinem Studium im Knabenseminar in Hollabrunn reißt ihn der erste Weltkrieg heraus. Eine schwere Kriegsverletzung macht sein kurzes Leben im Priesterseminar und im Prämonstratenser-Stift Geras zu einer, wie er selber sagt, "Karwoche". Um Christi willen hält er sein Leben nicht fest, sondern opfert es bewußt auf für andere. Zunächst wollte er Weltpriester werden. Doch ein Ereignis sollte für ihn andere Weichen stellen: Ein Prämonstratenser verläßt sein Kloster und schließt sich der neu entstandenen, von Rom getrennten tschechischen Nationalkirche an. In diesem traurigen Vorfall entdeckt Jakob Kern seine Berufung: Er will für den Ordensmann Sühne leisten. Gewissermaßen an seiner Stelle tritt Jakob Kern ins Kloster Geras ein. Gott hat das Geschenk des "Stellvertreters" angenommen.

Der selige Jakob Kern steht vor uns als Zeuge für die Treue zum Priestertum. Ursprünglich war es ein Kindertraum: Schon als kleiner Junge hat er Pfarrer gespielt. Im Laufe seines Lebens ist dieser Wunsch immer reifer geworden. Im Leiden geläutert, ging dem Ordensmann der tiefe Sinn priesterlicher Berufung auf: das eigene Leben mit dem Kreuzesopfer Christi zu vereinen und für das Heil anderer stellvertretend hinzugeben.

Möge der selige Jakob Kern, der ein lebensfroher, "farbtragender" Student war, vielen jungen Männern Mut machen, dem Ruf Christi zum Priestertum hochherzig zu folgen. Seine Worte von damals sind uns gesagt: "Heute braucht man mehr denn je ganze und heilige Priester. Jedes Gebet, jedes Opfer, jede Mühe und Plage werden, wenn mit der richtigen Intention verbunden, heiliges Saatgut Gottes, das früher oder später seine Frucht bringt".

6. In Wien hat sich vor hundert Jahren Pater Anton Maria Schwartz vom Los der Arbeiter anrühren lassen. Vor allem den jungen Menschen in der Ausbildung, den Lehrlingen, widmet er sein Leben. Seine Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen vergißt er nie, so daß ihn mit den Bedürftigen aus dem Arbeitermilieu eine Herzensverwandtschaft verbindet. Um ihnen zu helfen, gründet er die "Kongregation der frommen Arbeiter" nach der Regel des heiligen Josef von Kalasanz, die bis heute blüht. Eine große Sehnsucht erfüllt ihn: eine Gesellschaft im Umbruch zu Christus zurückzuführen und sie in Christus zu erneuern. Er hat Verständnis für die Not der Lehrlinge und Arbeiter, denen oft Halt und Orientierung fehlt. Mit Phantasie und Liebe wendet er sich ihnen zu. Er findet Mittel und Wege, "die erste Arbeiterkirche Wiens" zu bauen. Verborgen und bescheiden, ohne sich abzuheben zwischen Häusern mit kleinen Wohnungen, gleicht das Gotteshaus dem Wirken dessen, der es errichtet und vierzig Jahre lang mit Leben erfüllt hat.

Am "Arbeiterapostel" Wiens schieden sich aber auch die Geister. Vielen ging sein Einsatz zu weit. Andere schlugen ihn für höchste Auszeichnungen vor. Pater Schwartz blieb sich treu und scheute nicht davor zurück, auch mutige Schritte zu wagen. Mit seinen Forderungen nach Ausbildungsplätzen für Jugendliche und nach einem arbeitsfreien Sonntag ist er bis in den Reichstag vorgedrungen.

Er hinterläßt uns eine Botschaft: Unternehmt alles, was Euch möglich ist, um den Sonntag zu schützen! Zeigt, daß dieser Tag zu Recht arbeitsfrei bleiben muß, weil er als Tag des Herrn gefeiert wird! Helft vor allem den Jugendlichen, denen das Recht auf Arbeit vorenthalten wird! Wer dafür sorgt, daß die Jugend von heute Brot hat, der trägt dazu bei, daß die Erwachsenen von morgen ihren Kindern Sinn vermitteln können. Ich weiß, daß es dafür keine einfachen Lösungen gibt. Deshalb wiederhole ich ein Wort, unter das der selige Pater Schwartz seine vielfältigen Bemühungen gestellt hat: “Wir müssen mehr beten”.

7. Schwester Restituta Kafka war noch nicht volljährig, als sie den Wunsch äußerte, ins Kloster zu gehen. Die Eltern sind dagegen. Aber die junge Frau hält unbeirrt an ihrem Ziel fest, "aus Liebe zu Gott und den Menschen" Schwester zu werden. Besonders in den Armen und Kranken möchte sie Christus dienen. Bei den "Franziskanerinnen der christlichen Liebe" findet sie den Weg, ihre Berufung im nüchternen, oft harten Spitalsalltag zu leben. Mit Leib und Seele Krankenschwester, wird sie in Mödling bald zur Institution. Ihre fachliche Kompetenz, ihre Durchsetzungskraft und ihre Herzlichkeit tragen dazu bei, daß sie von vielen nicht mehr Schwester Restituta, sondern Schwester Resoluta genannt wird.

146 Ihr Mut und ihre Unerschrockenheit lassen sie auch vor der nationalsozialistischen Herrschaft nicht schweigen. Schwester Restituta setzt sich über das Verbot der politischen Führung hinweg und läßt in allen Krankenzimmern Kreuze anbringen. Am Aschermittwoch 1942 wird sie von der Gestapo abgeholt. Im Gefängnis beginnt für sie eine mehr als einjährige "Fastenzeit", die am 30. März 1943 auf dem Schafott endet. Als letzte Worte sind uns überliefert: "Für Christus habe ich gelebt, für Christus will ich sterben".

An der seligen Schwester Restituta können wir ablesen, zu welchen Höhen innerer Reife ein Mensch an der Hand Gottes geführt werden kann. Für das Bekenntnis zum Kreuz hat sie ihren Kopf hingehalten. Sie hat es im Herzen bewahrt und vor der Hinrichtung noch einmal leise ausgesprochen, als sie den Gefängnispfarrer um ein "Kreuzerl auf die Stirne" bat.

Man kann uns Christen vieles nehmen. Aber das Kreuz als Zeichen des Heils lassen wir uns nicht nehmen. Lassen wir nicht zu, daß man es aus der Öffentlichkeit entfernt! Hören wir auf die Stimme des Gewissens, die uns sagt: "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!" (
Ac 5,29).

8. Liebe Schwestern und Brüder! Die heutige Feier bekommt eine europäische Note. Neben dem verehrten Herrn Bundespräsidenten der Republik Österreich, Herrn Thomas Klestil, geben uns auch Vertreter des politischen Lebens aus dem In- und Ausland die Ehre ihrer Anwesenheit. Ich grüße sie herzlich und mit ihnen die Völker, die Sie vertreten.

In der Freude, daß uns heute drei neue Selige geschenkt wurden, wende ich mich an alle Schwestern und Brüder des Volkes Gottes, die hier versammelt sind oder sich über Radio und Fernsehen mit uns verbunden haben. Ich grüße den Oberhirten der Erzdiözese Wien, Herrn Kardinal Christoph Schönborn, und den Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Herrn Bischof Johann Weber, sowie alle Brüder im Bischofsamt, die aus nah und fern zum Heldenplatz gekommen sind. Nicht vergessen möchte ich die vielen Priester und Diakone, die Ordensleute und die pastoralen Mitarbeiter der Pfarren und Gemeinschaften.

Liebe Jugendliche! Einen besonderen Gruß schulde ich heute Euch. Ich freue mich, daß Ihr in so großer Zahl anwesend seid. Wieviele von Euch sind von weither gekommen! Ich meine das nicht nur geographisch ... Aber Ihr seid da: das Geschenk der Jugend, auf die das Leben wartet!

Die drei Helden der Kirche, die wir gerade in das Buch der Seligen eingeschrieben haben, können Euch eine Lebenshilfe sein: der junge Jakob Kern, der gerade in seiner Krankheit das Vertrauen der Jugend gewann; Pater Anton Maria Schwartz, der es verstand, die Herzen der Lehrlinge zu erreichen; Schwester Restituta Kafka, die den Mut aufbrachte, für ihre eigene Meinung einzustehen.

Sie waren keine "fotokopierten Christen", sondern jeder für sich ein Original, unauswechselbar und einzigartig. Sie haben angefangen wie Ihr: als junge Menschen, voller Ideale und auf der Suche nach einem Sinn, für den es sich zu leben lohnt.

Noch etwas macht die drei neuen Seligen so anziehend: Ihre Lebensgeschichten zeigen uns, wie sie als Persönlichkeiten nach und nach gereift sind. Auch Euer Leben ist noch keine reife Frucht. Deshalb kommt es darauf an, daß Ihr das Leben pflegt, damit es zur Blüte und Reife kommen kann. Nährt es mit dem Saft des Evangeliums! Haltet es Christus hin, der Sonne des Heiles! Pflanzt das Kreuz in Eurer Leben ein - das Kreuz als wahren Baum des Lebens!

9. Liebe Schwestern und Brüder! "Ihr aber, für wen haltet ihr mich?"

Wir werden in wenigen Augenblicken das Glaubensbekenntnis beten. In diesem Bekenntnis, mit dem wir uns in die Gemeinschaft der Apostel und der Überlieferung der Kirche sowie in die Schar der Heiligen und Seligen stellen, soll auch unsere persönliche Antwort vorkommen. Die Überzeugungskraft der Botschaft ist auch an die Glaubwürdigkeit ihrer Botschafter gebunden. Deshalb fängt die Neuevangelisierung bei uns selber an, bei unserem Lebensstil.

147 Die Kirche von heute braucht keine Teilzeitkatholiken, sondern Vollblutchristen! Die drei neuen Seligen waren es. An ihnen können wir Maß nehmen.

Danke, seliger Jakob Kern, für Deine priesterliche Treue!

Danke, seliger Pater Anton Maria Schwartz, für Deine Begleitung der Arbeiter!

Danke, selige Schwester Restituta Kafka, für Dein Schwimmen gegen den Strom der Zeit!

Ihr Heiligen und Seligen Gottes, bittet für uns. Amen.




Predigten 1978-2005 137