Predigten 1978-2005 147


Sonntag, 11. Oktober 1998


1. Ich will mich allein des Kreuzes Jesu Christi rühmen (vgl. Ga 6,14).

Die Worte, die der heilige Paulus einst an die Galater schrieb und die wir eben gehört haben, könnten auch über der menschlichen und geistlichen Erfahrung von Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz stehen, die heute feierlich in das Buch der Heiligen eingeschrieben wird. Auch sie kann dem Apostel nachsprechen: Ich will mich allein des Kreuzes Jesu Christi rühmen.

Es ist das Kreuz Christi! Der Baum des Kreuzes trägt in ewiger Blüte immer wieder neue Früchte des Heils. Deshalb schauen die Gläubigen vertrauensvoll auf das Kreuz. Aus seinem Geheimnis der Liebe schöpfen sie Mut und Kraft, um dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn in Treue nachzufolgen. So hat sich die Botschaft vom Kreuz in das Herz vieler Männer und Frauen eingesenkt und ihr Leben verändert.

Ein lebendiges Beispiel für diese außerordentliche innere Erneuerung ist die geistliche Entwicklung von Edith Stein. Aus einer jungen Frau, die nach der Wahrheit suchte, ist durch das stille Wirken der göttlichen Gnade eine Heilige und Märtyrin geworden: Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz. Heute wiederholt sie für uns vom Himmel her die Worte, die ihr Leben geprägt haben: "Ich will mich allein des Kreuzes Jesu Christi rühmen".

2. Am 1. Mai 1987 hatte ich in Köln während meines Pastoralbesuches in Deutschland die Freude, der Kirche diese hochherzige Zeugin des Glaubens als Selige vor Augen zu stellen. Elf Jahre später darf ich heute hier auf dem Petersplatz in Rom diese herausragende Tochter Israels und treue Tochter der Kirche vor aller Welt feierlich zur Heiligen erklären.

148 Wie damals, so verneigen wir uns in dieser Stunde vor dem Zeugnis, das Edith Stein abgelegt hat. Wir verkünden das unbezwingbare Zeugnis ihres Lebens und Sterbens. Neben Theresia von Avila und Theresia von Lisieux reiht sich Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz in die Schar heiliger Männer und Frauen ein, die der Ruhm des Ordens vom Berge Karmel sind.

Liebe Schwestern und Brüder, die Ihr zu dieser festlichen Feier versammelt seid, laßt uns Gott preisen für das Werk seiner Gnade, das er an Edith Stein vollbracht hat.

3. Ich grüße die zahlreichen Pilger, die nach Rom gekommen sind, vor allem die Angehörigen der Familie Stein, die sich zu diesem freudigen Ereignis mit uns verbinden wollen. Einen herzlichen Gruß richte ich an die Vertreter der Karmelitischen Gemeinschaft, die für Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz zur “zweiten Familie” geworden ist.

Außerdem heiße ich die offizielle Delegation der Bundesrepublik Deutschland willkommen. Sie wird angeführt vom scheidenden Bundeskanzler Helmut Kohl, den ich mit Respekt und von Herzen grüße. Ich begrüße auch die Vertreter der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie den Oberbürgermeister der Stadt Köln.

Auch aus meinem Heimatland Polen ist eine offizielle Delegation unter der Leitung von Ministerpräsident Jerzy Buzek angereist. Ich grüße sie aus ganzem Herzen.

Besonders erwähnen möchte ich die Pilgergruppen aus den Diözesen Breslau (Wroclaw), Köln, Krakau, Münster, Speyer und Bielsko-Zywiec, die mit ihren Kardinälen, Bischöfen und Seelsorgern unter uns sind. Sie reihen sich ein in die große Schar der Gläubigen aus Deutschland, den Vereinigten Staaten von Amerika und aus meiner Heimat Polen.

4. Liebe Schwestern und Brüder! Weil Edith Stein Jüdin war, wurde sie zusammen mit ihrer Schwester Rosa und vielen anderen katholischen Juden aus den Niederlanden in das Konzentrationslager nach Auschwitz gebracht, wo sie mit ihnen in den Gaskammern starb. Heute gedenken wir ihrer aller in großer Ehrfurcht. Noch wenige Tage vor ihrem Abtransport hatte die Ordensfrau die Frage nach einer möglichen Rettung mit den Worten abgewehrt: “Tun sie das nicht, warum soll ich eine Ausnahme erfahren? Ist dies nicht gerade Gerechtigkeit, daß ich keinen Vorteil aus meiner Taufe ziehen kann? Wenn ich nicht das Los meiner Schwestern und Brüder teilen darf, ist mein Leben wie zerstört”.

Wenn wir fortan Jahr für Jahr das Gedächtnis der neuen Heiligen feiern, müssen wir uns auch an die Shoah erinnern, an den grausamen Plan, ein Volk zu vernichten - einen Plan, dem Millionen jüdischer Schwestern und Brüder zum Opfer fielen. Der Herr lasse über sie sein Angesicht leuchten und schenke ihnen seinen Frieden (vgl.
Nb 6, 25f).

Um Gottes und der Menschen willen erhebe ich noch einmal tief betrübt meine Stimme und rufe: Ein solches verbrecherisches Tun darf sich nie mehr wiederholen, an keiner ethnischen Gruppe, an keinem Volk, an keiner Rasse, nirgendwo auf dieser Welt! Es ist ein Schrei, der allen gilt: allen Menschen guten Willens; allen, die an den Ewigen und Gerechten glauben; allen, die sich in Christus, dem menschgewordenen Wort, verbunden wissen. Wir alle müssen zusammenstehen. Die Würde des Menschen ist es wert. Es gibt nur eine einzige Menschheitsfamilie. Darauf hat auch die neue Heilige eindringlich hingewiesen: “Unsere Menschenliebe ist das Maß unserer Gottesliebe. Für die Christen - und nicht nur für sie - gibt es keine ?fremden Menschen’. Die Liebe Christi kennt keine Grenzen”.

5. Liebe Schwestern und Brüder! Die Liebe Christi war das Feuer, das das Leben von Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz entflammt hat. Längst bevor es ihr bewußt wurde, war sie von diesem Feuer ergriffen. Zunächst hatte sich Edith Stein der Freiheit verschrieben. Lange war sie eine Suchende. Ihr Geist wurde nicht müde, sich der Forschung zu widmen, und ihr Herz streckte sich nach Hoffnung aus. Voller Begeisterung legte sie den mühseligen Weg der Philosophie zurück. Dafür wurde sie schließlich belohnt: Sie eroberte die Wahrheit. Oder besser gesagt: Sie wurde von der Wahrheit erobert. Denn sie durfte entdecken, daß die Wahrheit einen Namen hat: Jesus Christus. Von diesem Augenblick an war das menschgewordene Wort ihr Ein und Alles. Als sie auf diesen Lebensabschnitt als Karmelitin zurückblickte, schrieb sie an eine Benediktinerin: “Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht”.

Obwohl Edith Stein von ihrer jüdischen Mutter religiös erzogen worden war, hatte sie sich mit vierzehn Jahren “das Beten ganz bewußt und aus freiem Entschluß abgewöhnt”. Sie wollte ihr Leben ausschließlich aus sich selbst heraus gestalten, ganz darauf bedacht, ihre Freiheit in den Entscheidungen ihres Lebens zu behaupten. Am Ende eines langen Weges durfte sie zur überraschenden Erkenntnis gelangen: Nur wer sich an die Liebe Christi bindet, der wird wirklich frei.

149 Diese Frau hatte die Herausforderungen eines so umwälzenden Jahrhunderts wie des unseren zu bestehen. Ihre Erfahrung wird zum Beispiel für uns. Die moderne Welt prahlt mit der verlockenden Tür, die sagt: Alles ist erlaubt. Dabei übersieht sie die schmale Pforte der Unterscheidung und des Verzichts. Deshalb wende ich mich besonders an Euch, liebe junge Christen, vor allem an die vielen Ministranten, die in diesen Tagen nach Rom gepilgert sind: Gebt acht! Euer Leben ist kein endloser Tag der offenen Tür! Hört in Euer Herz hinein! Begnügt Euch nicht mit der Oberfläche, sondern geht den Dingen auf den Grund! Und wenn es Zeit ist, habt den Mut, Euch zu entscheiden! Der Herr wartet auf Euch, daß Ihr Eure Freiheit in Seine guten Hände legt.

6. Die heilige Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz ist zu der Erkenntnis gelangt, daß die Liebe Christi und die Freiheit des Menschen ineinandergreifen; denn auch Liebe und Wahrheit gehören innerlich zusammen. Die Suche nach Wahrheit und deren Vermittlung in Liebe waren für sie kein Gegensatz. Im Gegenteil: Sie hat verstanden, daß beide einander brauchen.

In unseren Tagen wird Wahrheit vielfach mit Mehrheit verwechselt. Zudem ist die Überzeugung verbreitet, in bestimmten Fällen Wahrheit und Liebe gegeneinander ausspielen zu müssen. Aber Wahrheit und Liebe sind aufeinander angewiesen. Schwester Teresia Benedicta ist dafür eine Zeugin: Von keinem ließ sich die “Märtyrin aus Liebe”, die ihr Leben für ihre Freunde hingab, in der Liebe übertreffen. Zugleich aber hat sie um die Wahrheit gerungen, von der sie schreibt: “Kein geistiges Werk kommt ja ohne schwere Wehen zur Welt. Es will auch immer den ganzen Menschen in Anspruch nehmen”.

Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz sagt uns allen: Akzeptiert nichts als Wahrheit, was ohne Liebe ist. Aber akzeptiert auch nichts als Liebe, was ohne Wahrheit ist! Eines ohne das andere wird zur Lüge, die zerstört.

7. Schließlich weist uns die heilige Teresia Benedicta vom Kreuz darauf hin, daß die Liebe Christi sich im Leiden bewähren muß. Wer wirklich liebt, der bleibt auch vor dem Leiden nicht stehen. Der Liebende stellt sich in die Leidensgemeinschaft mit dem Geliebten.

Edith Stein war sich dessen bewußt, was ihre jüdische Herkunft mit sich bringen sollte, und drückte es treffend aus: “Unter dem Kreuz verstand ich das Schicksal des Volkes Gottes. (...) Gewiß weiß ich heute mehr davon, was es heißt, dem Herrn im Zeichen des Kreuzes vermählt zu sein. Mit der Vernunft allein wird man es niemals begreifen, weil es ein Geheimnis ist”.

Das Geheimnis des Kreuzes hat allmählich ihr ganzes Leben umfaßt und ihr die höchste Hingabe abverlangt. Als am Kreuz Vermählte hat sie nicht nur tiefgreifende Seiten über die “Kreuzeswissenschaft” verfaßt, sondern ist die Schule des Kreuzes zu Ende gegangen. Viele unserer Zeitgenossen wollen das Kreuz zum Schweigen bringen. Aber nichts ist sprechender als das totgeschwiegene Kreuz! Die wahre Botschaft des Leidens ist eine Lektion der Liebe. Die Liebe befruchtet das Leiden; und das Leiden vertieft die Liebe.

Durch die Erfahrung des Kreuzes hat sich für Edith Stein zugleich ein Weg geöffnet für eine neue Begegnung mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus. Für sie gehörten Glaube und Kreuz untrennbar zusammen; sie leuchten einander aus. In der Schule des Kreuzes gereift, durfte sie entdecken, welchen Wurzeln sich ihr Lebensbaum verdankt. Sie hat begriffen, wieviel es ihr bedeutet, “Tochter des auserwählten Volkes zu sein, nicht nur geistig, sondern auch blutsmäßig zu Christus zu gehören”.

8. “Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten” (
Jn 4,24).

Liebe Schwestern und Brüder, diese Worte sprach der göttliche Lehrer gegenüber der Samariterin am Jakobsbrunnen aus. Was er der Gesprächspartnerin, die ihn zufällig traf, aber ihm aufmerksam zuhörte, geschenkt hat, das spiegelt sich bei Edith Stein im “Aufstieg zum Berge Karmel” wider. Die Tiefe des göttlichen Geheimnisses wurde für sie in der betrachtenden Stille erfaßbar. Im Laufe ihres Lebens reifte sie allmählich in der Erkenntnis Gottes. Sie erkannte immer mehr ihre besondere Berufung, mit Christus den Kreuzweg zu gehen, das Kreuz gelassen und vertrauensvoll in die Arme zu nehmen und es in der Nachfolge ihres geliebten Bräutigams zu lieben: Die heilige Teresia Benedicta vom Kreuz wird uns heute als Vorbild gezeigt, an dem wir uns ausrichten können. Sie steht auch vor uns als Beschützerin, bei der wir Zuflucht nehmen dürfen.

Dank sei Gott für dieses Geschenk. Die neue Heilige sei für uns ein Beispiel für unseren Einsatz im Dienst an der Freiheit und für unsere Suche nach Wahrheit. Ihr Zeugnis trage dazu bei, die Brücke gegenseitigen Verständnisses zwischen Juden und Christen immer fester zu machen.

150 Schwester Teresia, Du vom Kreuz Gesegnete - bitte für uns! Amen.



JOHANNES PAUL II.

PREDIGT

12. Dezember 1998


1. »Die Liebe Christi drängt uns«: Caritas Christi urget nos (2Co 5,14). Diese Worte des Apostels Paulus leiten uns bei der Meditation im Laufe dieser Eucharistiefeier, die die Arbeiten der Sonderversammlung der Bischofssynode für Australien und Ozeanien beschließt.

Die Liebe Christi drängte die Apostel zu Beginn der Evangelisierung in alle Teile der Welt. Besonders drängte sie Paulus: Er wird der Völkerapostel genannt, weil er nach seiner Bekehrung das Evangelium Christi in nicht wenige der damals bekannten Länder brachte. Sein Weg für die Evangelisierung führte ihn durch die ganze Mittelmeerregion: von Jerusalem über Griechenland nach Rom, und dann sogar bis nach Spanien.

In späterer Zeit haben sich andere Wege aufgetan, und die Sphäre der christlichen Verkündigung erweiterte sich in dem Maße, wie die Boten des Evangeliums in Kontakt mit neuen Ländern kamen. Die Evangelisierung erreichte schrittweise Nordafrika und die europäischen Gegenden nördlich der Alpen, die Völker des Römischen Reiches, die germanischen und dann die slawischen Völker. Mit der Taufe der Rus’ begann nicht nur die Evangelisierung des europäischen Ostens, sondern auch – im Laufe der Zeit – die der großen Gebiete jenseits des Kaukasus. Im südlichen Teil Asiens waren schon die Missionare der ersten Generation gewesen, darunter der hl. Thomas, der Apostel von Indien – gemäß einer Tradition, die den christlichen Gemeinschaften jenes großen Landes lieb und teuer ist. [Der Papst sagte dann auf englisch:]

2. Die Evangelisierung Australiens und Ozeaniens fand erst später statt, als die großen Seefahrer diesen Teil der Welt, der von Europa am weitesten entfernt ist, erreichten. Mit ihnen kamen auch Missionare in jene Länder: Sie brachten das Evangelium mit und bekräftigten oft dessen göttliche Wahrheit mit ihrem Martyrium. Wir brauchen nur den hl. Peter Chanel unter vielen anderen zu erwähnen.

Wir hatten nun Gelegenheit, all das während dieser Wochen der Sonderversammlung der Bischofssynode für Ozeanien neu zu erleben. Wir haben versucht, das gemeinsam zu tun – Bischöfe, Priester, Ordensmänner und -frauen und Laien – , eingedenk der Worte des hl. Paulus: Caritas Christi urget nos. Das Hauptthema, das uns leitete, war: »Jesus Christus und die Völker Ozeaniens: Seinen Weg gehen, Seine Wahrheit verkünden, Sein Leben leben.«

Das Jahr 2000 nähert sich schnell, und vor uns liegt das große Ereignis des Heiligen Jahres. Bald werden wir das Jubeljahr feiern, das den zweitausendsten Jahrestag der Geburt Christi anzeigt und uns an die Ursprünge des Evangeliums und der Kirche erinnert. Mit der Geburt Jesu ist das Mysterium der Dreifaltigkeit Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist in die Menschheitsgeschichte eingegangen, um den Menschen zu einem neuen Geschöpf zu machen in Jesus Christus. In Christus erschien vor der Welt jenes große Gesetz der Liebe, das in der heutigen Liturgie verkündet wurde: das neue Gesetz der Seligpreisungen, von dem wir gerade im Evangelium gehört haben. Während das dritte Jahrtausend also näherrückt – Tertio millennio adveniente –, ist die Kirche zur Pilgerin geworden und bereist die Wege der ganzen Welt. Sie empfindet ein tiefes Bedürfnis, nachzudenken, und möchte gewissermaßen sich selbst auf diesen Wegen wiederfinden, wo das Evangelium gegangen und sogar »gerannt« ist und durch die Macht des Geistes Christi die Liebe offenbart hat. Die Heilsgeschichte schreitet auch weiterhin auf den Pfaden der Vergangenheit voran. [Johannes Paul II. ging dann zum Französischen über:]

3. Die Synode, die heute zu Ende geht, entspricht genau dieser Zielsetzung – so wie die vorigen Sonderversammlungen für die verschiedenen Erdteile. »Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (He 13,8). Wir halten daran fest und wollen dadurch den künftigen Jahrhunderten und den kommenden Generationen das reiche Erbe der Evangelisierung Ozeaniens weitergeben. Es ist in der Tat nötig, daß diese Völker voll an der Liebe Christi teilhaben, die in vergangenen Zeiten die Boten der Frohbotschaft auf alle Straßen der Welt geführt hat. Dort sind sie neuen Völkern und neuen Nationen begegnet, die ebenfalls berufen waren, Erben des Reiches Gottes zu sein.

Liebe Synodenväter dieser Versammlung für Australien und Ozeanien; ich grüße euch herzlich und danke euch für die geleistete Arbeit, vor allem aber für das Zeugnis der Gemeinschaft, das ihr mir und der ganzen Kirche gegeben habt. Ich danke Kardinal Schotte und seinen Mitarbeitern im Generalsekretariat der Bischofssynode für ihren Dienst an den Teilkirchen.

Ihr seid aus Australien, von Neuseeland, von den Inseln des Pazifiks, von Papua-Neuguinea und den Salomoninseln hierhergekommen und habt die geistigen Reichtümer eurer Völker, aber auch die Probleme, auf die sie stoßen, mitgebracht. Wie könnten wir daher nicht darauf hinweisen, daß sogar in euren Gesellschaften die Religion verschiedenen Drohungen und Isolierungsversuchen ausgesetzt ist? Wie sollten wir nicht herausstellen, daß man sie manchmal auf eine individuelle Erfahrung beschränken möchte, die keinerlei Einfluß auf das Sozialleben haben kann? Ihr habt über die Auswirkungen der Kolonisation und der Einwanderung gesprochen, über die Lebensbedingungen der ethnischen Minderheiten und über die Glaubensprobleme der jungen Menschen. Die Herausforderungen der Moderne und der Säkularisation wurden ebenfalls erörtert; sie erfordern Aufmerksamkeit und pastorale Liebe in verschiedenen Bereichen wie: Berufungen, Gerechtigkeit und Frieden, Familie, kirchliche Gemeinschaft, katholische Erziehung, sakramentales Leben, Ökumenismus und interreligiöser Dialog. [Zur italienischen Sprache zurückkehrend, sagte der Papst:]

151 4. Ihr habt eure Gedanken über das leitende Thema ausgetauscht und wart euch einig: Jesus Christus ist auch für die Völker Ozeaniens der Weg, dem sie folgen sollen, die Wahrheit, die sie verkünden sollen, und das Leben, das sie leben sollen. Auf der ganzen Welt hat die Neuevangelisierung dieses Programm; es wird in großherziger Zusammenarbeit mit dem Heiligen Geist, der das Antlitz der Erde erneuert (vgl. Ps 104,30), in die Tat umgesetzt.

Meine Lieben! An jeden von euch ergeht mein Friedensgruß; dem Herrn – der Weg, Wahrheit und Leben ist – empfehle ich die Kirchen in Ozeanien und wende mich an sie mit den Worten des Propheten Jesaja:

»Singt dem Herrn ein neues Lied,
verkündet seinen Ruhm bis ans Ende der Erde!
Es jauchze das Meer und alles, was es erfüllt,
die Inseln und ihre Bewohner« (Is 42,10).

Es begleite euch Maria, die Mutter der Kirche; die Liebe Christi möge euch drängen und allezeit mit euch sein.

Amen!



JOHANNES PAUL II.

PREDIGT BEI DER HL. MESSE

FÜR DIE UNIVERSITÄTSSTUDENTEN


15. Dezember 1998



1. »Der Herr ist denen nahe, die ihn suchen

Die Worte des Antwortpsalms geben genau den Sinn des Advents wieder und unterstreichen jene Haltung, die wir haben müssen, um diese liturgische Zeit in ihrer ganzen Fülle zu leben. Diese Worte sind besonders bedeutungsvoll für alle, die aus Glaubens- und Berufsgründen das Suchen und Forschen zu einer wichtigen Dimension in ihrem Leben gemacht haben.

152 Heute ist dieses Wort in besonderer Weise an euch, geschätzte und liebe Vertreter der römischen und italienischen Universitäten, gerichtet: an die Rektoren, Dozenten und Studenten, die in immer größerer Zahl an diesem mittlerweile zur Tradition gewordenen Adventstreffen in Vorbereitung auf das Weihnachtsfest teilnehmen. Euch alle heiße ich hier herzlich willkommen. Besonders begrüße ich den Minister für das Universitätswesen und für wissenschaftliche Forschungsarbeit sowie alle anderen akademischen Autoritäten. Auch begrüße ich die Vertretung der Verwaltungsdirektoren, die heute zum ersten Mal an dieser Eucharistiefeier teilnehmen, und ich möchte dem Rektor und der Studentin meinen Dank aussprechen, die vorhin sozusagen als Sprecher der gesamten akademischen Gemeinschaft Roms und Italiens fungiert haben.

2. Unser Treffen findet im Advent statt, dessen Liturgie uns eine tiefe und ansprechende Botschaft bereithält. Angesichts des nahen Herrn – »Dominus prope« (vgl.
Ph 4,5) – und angesichts des Königs, dem wir Anbetung schulden – »Regem venturum, Dominum, venite adoremus« (Römisches Brevier) – dürfen wir den großen Fragen des Lebens gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Handelt es sich dabei doch um stets aktuelle Fragen, die den Ursprung und das Ziel des Menschen betreffen. Diese Fragen begleiten uns ständig, ja man könnte sagen, sie koexistieren mit uns. Wer bin ich? Woher komme ich, und wohin gehe ich? Was ist der Sinn meiner Existenz und meines Daseins als menschliches Geschöpf? Warum ist in mir diese immerwährende »Unruhe«, wie es der hl. Augustinus auszudrücken pflegte? Aus welchem Grund muß ich immerzu den Forderungen der Moral entsprechen, das Gute vom Bösen unterscheiden, das Gute tun und das Böse meiden und besiegen? Dies sind Fragen, denen keiner entrinnen kann. Die Heilige Schrift liefert hierzu hinreichende Antworten, angefangen vom Buch Genesis. Und diese Antworten stellen in gewisser Weise den Inhalt der Adventszeit dar, wie sie die Kirche begeht, wenn sie die Vergangenheit aktualisiert und uns in die Zukunft hinein projiziert.

»Der Herr ist denen nahe, die ihn suchen«, sagt die heutige Liturgie und eröffnet uns faszinierende Perspektiven. »Nahe« und »fern« sind in der Tat Kategorien, die Maßeinheiten, eine zeitliche Distanz in Stunden, Jahren, Jahrhunderten und Jahrtausenden ausdrücken. Im Zusammenhang mit dem Advent sind wir vor allem eingeladen, das Wesen und die tiefere Bedeutung einer solchen Distanz zu betrachten, oder, anders gesagt, wie sie auf Gott verweist. Wie ist es überhaupt möglich, die Gottesnähe oder -ferne zu erfassen? Ist es nicht das »unruhige Herz« des Menschen, das die spirituelle Dimension der Ferne und Nähe zu Gott am präzisesten und angemessensten wiedergibt?

3. All das macht also das menschliche Wesen aus: Sichtbarkeit und Mysterium, Gottesnähe und -ferne, unsteter Besitz und kontinuierliches Suchen. Nur, wenn wir diese innersten Koordinaten des menschlichen Wesens in unsere Betrachtung mit einbeziehen, können wir den Advent als eine Zeit des Wartens auf den Messias verstehen.

Wer ist der Messias, der Erlöser der Welt? Warum und worin besteht sein Kommen? Um diese Marschroute einzuschlagen, müssen wir nochmals auf das Buch Genesis Bezug nehmen. Es offenbart uns, daß die Sünde und ihr Eintritt in die Geschichte die Ursache der Entfernung zwischen Gott und dem Menschen ist, wofür die Vertreibung Adams und Evas aus dem irdischen Paradies das beredte Symbol bildet.

Gott selbst zeigt uns aber in der Folge, daß die Entfernung des Menschen aufgrund der Sünde nicht unwiderrufbar ist. Im Gegenteil. Er hält den Menschen dazu an, auf den Gesalbten zu warten, auf Jenen, der in der Kraft des Heiligen Geistes kommen wird, um dem Fürsten der Lüge gegenüberzutreten. Ausdrücklich verkündet das Buch Genesis, daß dieser der Sohn der Frau ist, und es lädt dazu ein, ihn zu erwarten und sich auf seinen würdigen Empfang vorzubereiten. Die folgenden Bücher des Alten Bundes präzisieren und führen dies weiter aus. Sie sprechen vom Messias, der innerhalb des Volkes Israel, des von Gott unter allen Völkern auserwählten Volkes, geboren werden wird.

Je näher die »Fülle der Zeit« (Ga 4,4) rückte, desto mehr erfüllte sich auch allmählich die Erwartung, und man verstand immer mehr deren Sinn und Wert. Mit Johannes, dem Täufer, wird diese Erwartung zur Frage, zu jener Frage, wel-che die Jünger des Vorläufers an Christus richten: »Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten« (Lc 7,19)? Eben diese Frage sollte ihm noch des öfteren gestellt werden, und wir wissen, daß die Antwort zur Ursache seines Todes wird. Auf diese wunderbare Weise sollte sich die Verheißung erfüllen, die der Menschheit nach dem ersten Sündenfall zuteil wurde.

4. Liebe Brüder und Schwestern! Die Adventszeit ist uns geschenkt, damit wir uns nochmals den Inhalt dieser Frage zu eigen machen können. Es geht nicht einfach nur darum, die Jünger Johannes des Täufers nachzuahmen oder in die Vergangenheit zurückzukehren, sondern es geht viel mehr darum, intensiv den Fragen und Hoffnungen unserer Tage gerecht zu werden.

Die tägliche Erfahrung und die Ereignisse jeder Epoche zeigen, daß die Menschheit und jeder einzelne in ständiger Erwartung des Reiches Gottes sind. Christus kommt uns im Laufe der Geschichte als die erwartete Erfüllung der menschlichen Ereignisse entgegen. Nur in ihm werden wir, wenn der vergängliche Horizont der Zeit und der mitunter wunderbaren und anziehenden irdischen Wirklichkeiten erreicht ist, die endgültige Antwort auf die Frage nach der Ankunft des Messias finden, die den menschlichen Geist zum Vibrieren bringt.

Auch für euch, liebe Studenten und verehrte Dozenten, soll das Warten auf Christus zu einer täglichen Suche nach der Wahrheit werden, welche die Pfade des Lebens in all seinen Ausdrucksformen erleuchtet. Die Wahrheit drängt sodann zur Liebe, dem authentischen Zeugnis, welches das Dasein der Person und die Strukturen der Gesellschaft selbst verwandelt.

Die biblische Offenbarung hebt die tiefe und innige Verbindung zwischen Wahrheit und Liebe klar und deutlich hervor, wenn sie dazu aufruft, daß »wir uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten wollen« (Ep 4,15), und vor allem, wenn Jesus, der den Vater offenbart, sagt: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben« (Jn 14,6).

153 Den Höhepunkt der Gotteserkenntnis erreicht man in der Liebe, in jener Liebe, die das Herz der Menschen mit der Wahrheit Christi erleuchtet und verwandelt. Der Mensch braucht Liebe, und er braucht auch Wahrheit, um nicht den zerbrechlichen Schatz der Freiheit zu zerstreuen.

5. In der Universität gibt es ein lebendiges Zeichen des Evangeliums, nämlich die Kapelle. Mit Zufriedenheit stelle ich fest, daß immer mehr Kapellen in den verschiedenen Universitätszentren der Stadt entstehen. An sie alle werde ich heute nachmittag das Kreuz der Stadtmission überreichen. Meine Lieben, schätzt und liebt diese Universitätskapellen, seid stets und gerne zur Zusammenarbeit in den pastoralen Werken bereit, die einen großen und wichtigen Aufgabenbereich darstellen und immer mehr zum Tragen kommen.

An dieser Stelle möchte ich gerne meiner hohen Wertschätzung allen Dozenten gegenüber Ausdruck verleihen, die ihre Zeit und Energie der Vorbereitung auf das Jubiläum der Universitätsdozenten widmen, sowie allen jenen, die aktiv an der Vorbereitung auf den Weltjugendtag des Jahres 2000 beteiligt sind. Außerdem ist es auch eine Freude festzustellen, wie viele Kulturgruppen in den verschiedenen Fakultäten im Entstehen begriffen sind. Es wäre mein Wunsch, daß sie alle im Dienst des Wortes Gottes stehen, welches – auf dem Boden selbst der kühnsten Forschung ausgesät – ihn zum Wohl des Menschen fruchtbar werden läßt.

Ebenso bete ich, die Initiative der Universitätskatechesen über das Vaterunser, intensiviert in diesem der Mission in den verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen der Stadt gewidmeten Jahr, möge in jedem Glaubenden das Bewußtsein vertiefen helfen, zum Ferment des Evangeliums in der Welt der Universität berufen zu sein.

6 . »Regem venturum, Dominum, venite adoremus«!

Die Adventszeit und speziell die Novene vor Weihnachten, die morgen beginnt, regt uns an, den Blick auf den kommenden Herrn zu richten. In eben dieser Sicherheit über seine glorreiche Wiederkunft erhält unser Warten und unsere tägliche Arbeit einen Sinn. Wenn wir mit der inneren Haltung Marias, der »Jungfrau des aufmerksamen Hörens«, auf Ihn schauen, bekommt unser oft schwieriger und mühsamer Einsatz Kraft und wird unsere mühevolle Forschung fruchtbar.

»Der Herr ist denen nahe, die ihn suchen!«, wiederholt uns die Liturgie in diesen Tagen. Richten wir unseren Blick auf Ihn und rufen zu Ihm:

Komm, Herr Jesus! Komm, Erlöser der Menschen! Komm, uns zu retten!
»Dominus prope«: Der Herr ist nahe!
Kommt, laßt uns anbeten!

Amen!



Predigt des Heiligen Vaters Johannes Paul II. in der Christmette


154
(Weihnachten, 25. Dezember 1998)


1. »Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude ... Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr« (
Lc 2,10-11).

In dieser Heiligen Nacht lädt uns die Liturgie ein, voll Freude das große Ereignis der Geburt Jesu in Betlehem zu feiern. Wie wir im Evangelium nach Lukas gehört haben, kam er in einer Familie zur Welt, die arm war an materiellen Gütern, aber reich an Freude. Er wurde in einem Stall geboren, weil in der Herberge kein Platz für ihn war (vgl. Lc 2,7); man legte ihn in eine Krippe, denn es war keine Wiege für ihn da; er kam in völliger Verlassenheit zur Welt; keiner wußte davon. Die Hirten, denen die Engel seine Geburt verkündet hatten, waren die ersten, die ihn aufnahmen und erkannten.

Dieses Ereignis birgt ein Geheimnis. Das offenbaren die Chöre der Himmelsboten, die die Geburt Jesu besingen, indem sie »Gott in der Höhe« verherrlichen und Frieden auf Erden »bei den Menschen seiner Gnade« (vgl. Lc 2,14) verkünden. Der Lobpreis, der die Jahrhunderte durchzieht, ist zum Gebet geworden, das in der Heiligen Nacht aus unzähligen Menschenherzen aufsteigt, die den Sohn Gottes weiterhin aufnehmen.

2. Mysterium: Ereignis und Geheimnis. Ein Mensch wird geboren, der der ewige Sohn des allmächtigen Vaters ist, des Schöpfers des Himmels und der Erde: In diesem einzigartigen Ereignis wird das göttliche Geheimnis offenbar. Im Wort, das Fleisch geworden ist, ereignet sich das Wunder der Menschwerdung Gottes. Das Geheimnis erklärt das Ereignis dieser Geburt: einem Kind huldigten die Hirten im Stall von Betlehem. Es ist »der Retter der Welt«, »der Messias, der Herr« (vg. Lc 2,11). Ihre Augen sahen ein neugeborenes Kind, in Windeln gewickelt, das in einer Krippe lag. In diesem "Zeichen" erkannten sie durch das innere Licht des Glaubens den Messias, den die Propheten angekündigt hatten.

3. Seht den Immanuel, den Gott-mit-uns, der kommt, um die Erde mit Gnade zu erfüllen. Er kommt zur Welt, um die Schöpfung zu verwandeln. Er wird Mensch unter Menschen, damit jeder Mensch in Ihm und durch Ihn von Grund auf erneuert wird. Durch seine Geburt führt er uns alle in den Raum Gottes ein. Denn er schenkt jedem, der bereit ist, sein Geschenk im Glauben anzunehmen, die Möglichkeit, an seinem göttlichen Leben teilzuhaben.

Darin liegt die Rettung, von der die Hirten in der Nacht von Betlehem Kunde erhalten: »Heute ist euch der Retter geboren« (vgl. Lc 2,11). Christi Ankunft unter uns ist der Angelpunkt der Geschichte, die seitdem eine neue Bedeutung bekommen hat. Gott selbst ist es, der gleichsam Geschichte schreibt, indem er sich in sie hineinbegibt. Das Ereignis der Menschwerdung Gottes weitet sich und greift so auf die Menschheitsgeschichte in ihrer ganzen Fülle aus, von der Schöpfung bis zur Parusie. Deshalb singt in der Liturgie die ganze Schöpfung und bricht in Freude aus: In die Hände klatschen sollen die Ströme, jubeln sollen alle Bäume des Waldes, freuen sollen sich die vielen Inseln (vgl. Ps 98,8 Ps 96,12 Ps 97,1).

Alle Geschöpfe auf dieser Erde vernehmen diese Botschaft. Im tiefen Schweigen des Alls hallt das kosmische Echo dessen wider, was die Liturgie der Kirche in den Mund legt: Christus natus est nobis. Venite, adoremus!

4. Christus ist uns geboren, kommt, lasset uns anbeten! Ich denke schon an das Weihnachtsfest im kommenden Jahr, wenn ich, so Gott will, durch die Öffnung der Heiligen Pforte den Anfang des Großen Jubiläums setzen werde. Es wird wahrhaftig ein großes Heiliges Jahr werden. Denn es wird in ganz besonderer Weise die zweitausendjährige Wiederkehr der Menschwerdung Gottes begangen, die Ereignis und Geheimnis zugleich ist. Darin hat die Menschheit den Höhepunkt ihrer Berufung erreicht. Gott ist Mensch geworden, um dem Menschen Anteil zu geben an seinem göttlichen Leben.

Seht, das ist die Kunde des Heils, die Botschaft der Heiligen Weihnacht! Die Kirche verkündet sie in dieser Nacht auch durch meinen Mund. Die Völker und Nationen der ganzen Erde sollen es vernehmen: Christus natus est nobis - Christus ist uns geboren. Venite adoremus! - Kommt, lasset uns anbeten.



JOHANNES PAUL II. TE DEUM


31. Dezember 1998


155 1. Die Kirche in Rom und überall auf der Welt versammelt sich heute abend, um das »Te Deum« zu singen, während das Jahr 1998 dem Ende zugeht.

Te Deum laudamus: te Dominum confitemur.
Te aeternum Patrem omnis terra veneratur.

Dich, Gott, loben wir, dich, Herr, preisen wir.
Dir, dem ewigen Vater, huldigt das Erdenrund.

Wir stehen nun an der Schwelle von 1999, dem Jahr, das uns in das Große Jubiläum hineinführen wird: Es ist dem Vater im Himmel gewidmet, entsprechend dem trinitarischen Rhythmus, der diesen Drei-Jahres-Zeitraum kennzeichnet, der das zwanzigste Jahrhundert und das zweite Jahrtausend abschließt. Der trinitarische Rhythmus, der in das tägliche Leben der Christen eingeschrieben ist, klingt in der Schlußformel jedes liturgischen Gebets mit: »Durch unseren Herrn Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir lebt und herrscht in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.«

Gott, der Vater, unbeschreibliches Geheimnis, hat sich uns offenbart durch den Sohn, Jesus Christus, für uns geboren, gestorben und auferstanden, und heiligt uns in der Kraft des Heiligen Geistes. An die Heiligste Dreifaltigkeit wenden wir uns im »Te Deum« mit den ehrwürdigen Worten einer langen Tradition:

Patrem immensae maiestatis;
venerandum tuum verum et unicum Filium;
Sanctum quoque Paraclitum Spiritum.

[an den] Vater unermeßbarer Majestät;
156 deinen wahren und einzigen Sohn;
und den Heiligen Fürsprecher Geist.«

Vater des Lebens und der Heiligkeit, Vater unser im Himmel! Vater, den »niemand kennt … nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will« (
Mt 11,27).

Vater Jesu Christi und unser Vater.

2. Der Bibeltext, den wir soeben gehört haben, erinnert uns daran, daß Gott uns nicht nur, als »die Zeit erfüllt war«, seinen eingeborenen Sohn sandte, sondern auch »den Geist seines Sohnes in unser Herz [sandte], den Geist, der ruft: Abba, Vater« ().

Abba, Vater! In diesen Worten, die der Geist im Herzen der Glaubenden weckt, hallt der Ruf Jesu wider, wie ihn die Jünger von seinen Lippen vernommen hatten. Wenn wir ihn zu dem unseren machen, bringen wir uns die Wirklichkeit unserer Annahme an Kindes Statt in Christus, dem ewigen und einzigen Sohn des Vaters, menschgeworden im Schoß Marias, lebendig zu Bewußtsein.

Während wir heute abend vom ausklingenden Jahr 1998 Abschied nehmen, treten wir vor den Vater, um Ihm zu danken für all das Gute, das Er uns in diesen vergangenen zwölf Monaten geschenkt hat. Wir kommen zu Ihm, um für unsere und anderer Menschen Sünden um Vergebung zu bitten und mit zuversichtsvollem Vertrauen zu rufen: »Heiliger Gott; heiliger, starker Gott; heiliger, unsterblicher Gott, erbarme dich unser!« Und wir sagen ihm:

»Gepriesen seist Du, Herr,
Vater im Himmel.
In Deiner unendlichen Barmherzigkeit
hast Du Dich der Armseligkeit des Menschen angenommen
157 und uns Jesus geschenkt, Deinen Sohn, geboren von einer Frau.
Er ist unser Retter und Freund, unser Bruder und Erlöser«
(Johannes Paul II., Gebet zum dritten Jahr der Vorbereitung auf das Große Jubiläum).

3. In diesem Augenblick des Gebets geht mein Gedanke mit besonderer Zuneigung zu den Einwohnern unserer Stadt. Ich vertraue sie dem Herrn an zusammen mit ihren Familien, den Pfarreien, den öffentlichen Einrichtungen. Ich bete besonders für diejenigen, welche, von Schwierigkeiten und Leid bedrückt, es schwer haben, mit Hoffnung ins neue Jahr zu blicken. Allen gilt mein herzlicher Wunsch auf Frieden und Wohlergehen im Jahr 1999, das vor der Türe steht.

Weiter möchte ich alle mit Liebe grüßen, die bei diesem geistlichen Anlaß zum Jahresende zugegen sind, angefangen beim Kardinalvikar, den Weihbischöfen von Rom und den anderen Bischöfen, die diese Feier mit uns begehen. Ein besonders herzlicher Gruß gilt Pater Kolvenbach, dem General der Gesellschaft Jesu, und den Jesuitenpatres, denen dieses an Erinnerungen und Zeugnissen der Heiligkeit reiche Gotteshaus anvertraut ist.

Dem Bürgermeister von Rom und den Mitgliedern der Stadtverwaltung drücke ich aufrichtigen Dank für ihre Teilnahme und das erneute Geschenk eines Votivkelchs aus, wobei ich mit großer Freude an den Besuch zurückdenke, den der Herr mich Anfang 1998 dem Kapitol abstatten ließ. Mein Gedanke geht weiter zum Präfekten von Rom, der vor wenigen Tagen diese wichtige Verantwortung übernommen hat, zum Präsidenten des Regionalrates von Latium sowie zu allen zivilen, militärischen und religiösen Persönlichkeiten, die sich hier eingefunden haben.

4. Wie sollen wir Gott danken für die reichen Gaben, die er uns im nun zu Ende gehenden Jahr beschert hat? Heute abend will ich ihm zusammen mit euch vor allem für das danken, was er in unserer Diözesangemeinschaft vollbracht hat. Ich denke hier sofort an die Pfarreibesuche, kostbare und bereichernde Gelegenheiten fruchtbarer pastoraler Begegnungen. Im Lauf dieser zwanzig Jahre habe ich 278 römische Pfarreien besucht; in jeder von ihnen habe ich Eifer im Glauben und in Werken angetroffen dank des Einsatzes der Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien, seien es Römer oder aus anderen Teilen Italiens und der Welt Stammende.

Sodann danke ich dem Herrn für die Stadtmission, die dieses Jahr vor allem von den Familienbesuchen gekennzeichnet war. Die Missionare haben bei ihren Hausbesuchen eine insgesamt positive Aufnahme erfahren und konnten auch bei denen, die nicht regelmäßig in die Kirche gehen, bedeutsame Glaubensbezeugungen feststellen. Ich möchte wünschen, daß solche pastoralen Kontakte zu jeder Familie fortgesetzt werden, sei es anläßlich der Haussegnungen oder durch andere geeignete Initiativen, wie sie in nicht wenigen römischen Pfarreien bereits mit Erfolg erprobt wurden.

Heute abend will ich dem Herrn insbesondere danken für die Tausende von Missionaren, die – schon seit zwei Jahren am Werk – ein Hilfsmittel der Vorsehung darstellen, um der diözesanen Pastoral einen wachsenden apostolischen Impuls zu vermitteln auch im Hinblick auf das Große Jubiläum des Jahres 2000.

In einem Jahr werden wir bereits im Heiligen Jahr sein, und aus allen Ecken der Erde werden zahlreiche Pilger einzutreffen beginnen. Ich wünsche mir von Herzen, daß sie von einer lebendigen und an religiösem Engagement reichen Kirche empfangen werden; einer weitherzigen und für die Nöte der Brüder – besonders der ärmsten und bedürftigsten unter ihnen – aufgeschlossenen Kirche.

5. Wenn ich auf das abgelaufene Jahr zurückblicke, kann ich nicht umhin, auf die Härten und Probleme hinzuweisen, die auch in Rom das Dasein vieler unserer Brüder und Schwestern geprägt haben. Ich denke an die Familien, die nur mit Schwierigkeiten für ihre täglichen Ausgaben aufkommen können; an die Minderjährigen in Schwierigkeiten und die Jugendlichen ohne Zukunftsaussichten; an die Kranken, die Alten und die in Einsamkeit Lebenden; an die in einem Zustand der Verwahrlosung Befindlichen, an die Obdachlosen und die, welche sich von der Gesellschaft verstoßen fühlen. Möge ihnen das neue Jahr Trost und Hoffnung bringen. Durch breitangelegte Zusammenarbeit und soziale, wirtschaftliche und politische Anweisungen, die für Initiativen und Veränderungen offener sind, wird es in der Stadt zur Förderung von zunehmend von Vertrauen und Kreativität gekennzeichneten Haltungen kommen.

158 In besonderer Weise möchte ich erneut die Gläubigen einladen, ihre Anstrengungen der Reflexion und Planung fortzusetzen, damit Rom, »sich seines spirituellen und zivilen Auftrags bewußt und sein Erbe an Menschlichkeit, Kultur und Glauben fruchtbar machend, die zivile und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt fördere auch zum Wohl der ganzen italienischen Nation« (vgl. Lettera sul Vangelo del lavoro [Brief an die Diözese Rom über das Evangelium von der Arbeit], 8. Dezember 1998; Nr. 8). Es ist mein Wunsch, daß unsere »Metropole«, grundlegend in allen Dimensionen des gesellschaftlichen und geistlichen Lebens erneuert, sich der Begegnung mit dem Jubiläum stellen kann.

6. Dieser mein Wunsch wird zum Gebet, daß der Herr die Anstrengungen aller fruchtbar werden lasse. Ihm vertrauen wir all unsere Wünsche und Pläne an. Ihm gilt unser Lobpreis und unser kindliches, zuversichtsvolles Gebet:

»Dir, dem Vater des Lebens,
dem Anfang ohne Beginn,
der höchsten Güte und dem ewigen Licht,
mit dem Sohn und dem Heiligen Geist, sei Ehre und Preis,
Lob und Dank in alle Ewigkeit. Amen«
(Johannes Paul II., Gebet zum dritten Jahr der Vorbereitung auf das Große Jubiläum).



Predigten 1978-2005 147