Predigten 1978-2005 176


SELIGSPRECHUNG VON 10 NEUEN SELIGEN

Petersdom - Sonntag, 7. März 1999



177 1. »Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben« (Jn 4,14).

Am heutigen dritten Sonntag der Fastenzeit bildet die Begegnung Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen eine einzigartige Katechese über den Glauben. Den Katechumenen, die sich darauf vorbereiten, die Taufe zu empfangen, und allen Gläubigen, die dem Osterfest entgegengehen, zeigt das heutige Evangelium das »lebendige Wasser« des Heilligen Geistes, das dem inneren Menschen neues Leben gibt und ihn »von oben« zu neuem Leben geboren werden läßt.

Das menschliche Dasein ist ein »Exodus«, ein »Auszug« aus der Sklaverei ins verheißene Land, aus dem Tod ins Leben. Auf diesem Weg spüren wir manchmal die Dürre und Mühe des Daseins: Elend, Einsamkeit, Sinn- und Hoffnungslosigkeit. Das geht so weit, daß auch wir uns, wie die Israeliten auf der Wanderschaft, manchmal fragen: »Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?« (Ex 17,7).

Auch die vom Leben so geprüfte Frau von Samaria wird oft gedacht haben: »Wo ist der Herr?« Bis sie eines Tages einen Mann trifft, der ihr, einer Frau, und noch dazu einer Samariterin, was so viel heißt wie: einer doppelt verachteten, die volle Wahrheit sagt. In einem schlichten Zwiegespräch bietet er ihr die Gabe Gottes an: den Heiligen Geist, die Quelle lebendigen Wassers für das ewige Leben. Er offenbart sich ihr als der erwartete Messias und verkündet ihr den Vater, der im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will.

2. Die Heiligen sind die »wahren Anbeter des Vaters«: Männer und Frauen, die, wie die Samariterin, Christus begegnet sind und durch Ihn den Sinn des Lebens entdeckt haben. Sie haben in erster Person erfahren, was der Apostel Paulus in der zweiten Lesung sagt: »Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist« (Rm 5,5).

Auch in den neuen Seligen hat die Gnade der Taufe in Fülle Frucht getragen. Sie haben so ausgiebig am Brunnen der Liebe Christi getrunken, daß sie innerlich davon umgestaltet und auch ihrerseits zu überfließenden Quellen für den Durst so vieler Brüder und Schwestern wurden, die sie auf dem Weg des Lebens trafen.

... auf spanisch:

3. »Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott [. . .] und rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes« (Rm 5,1-2). Heute nimmt die Kirche bei der Seligsprechung der Martyrer von Motril diese Worte des hl. Paulus auf ihre Lippen. In der Tat haben ja Vincente Soler und seine sechs Gefährten, die Augustiner-Rekollekten, sowie der Diözesanpriester Manuel Martin für ihr heroisches Glaubenszeugnis den Zugang zur »Herrlichkeit Gottes« erhalten. Sie sind nicht für eine Ideologie gestorben, sondern haben aus freien Stücken ihr Leben hingegeben für jemanden, der schon zuvor für sie gestorben war. So gaben sie Christus das Geschenk zurück, das sie von ihm empfangen hatten.

Um des Glaubens willen waren diese einfachen Männer des Friedens tätig, fern von politischen Debatten, jahrelang in Missionsgebieten, ertrugen viele Leiden auf den Philippinen, benetzten mit ihren Schweißtropfen die weiten Felder Brasiliens, Argentiniens und Venezuelas und gründeten in Motril und anderen Teilen Spaniens soziale Werke und Erziehungseinrichtungen. Im Glauben sahen sie, als die große Stunde des Martyriums kam, ruhigen Herzens dem Tod entgegen, stärkten die anderen Verurteilten und verziehen ihren Henkern. Wir fragen uns: Wie war das möglich? Der hl. Augustinus antwortet: »Weil der, der im Himmel herrscht, den Geist und die Zunge seiner Martyrer lenkte und durch sie auf Erden siegte« (Predigt 329,1-2).

Selig ihr, Martyrer Christi! Mögen alle sich über die Ehre freuen, die diesen Glaubenszeugen zuteil wurde. Gott stand ihnen in ihren Qualen bei und verlieh ihnen die Siegeskrone. Mögen sie allen helfen, die heute in Spanien und in der Welt für Versöhnung und Frieden arbeiten!

... auf französisch:

178 4. Das Volk, das in der Wüste lagerte, litt Durst, wie wir in der ersten Lesung hörten, die dem Buch Exodus entnommen ist (vgl. 17,3). Den Anblick des geistig dürstenden Volkes hatte Nicolas Barré aus dem Minoritenorden vor Augen. Sein Dienst brachte ihn fortwährend mit Menschen in Kontakt, die in der Wüste religiöser Unwissenheit lebten und Gefahr liefen, ihren Durst an der verdorbenen Quelle gewisser Ideen ihrer Zeit zu stillen. Daher empfand er es als Pflicht, geistlicher Lehrer und Erzieher für solche zu werden, die er durch seine Pastoralarbeit erreichen könnte. Um seinen Aktionsradius zu vergrößern, gründete er eine neue Ordensfamilie, die Schwestern vom Kinde Jesus. Sie hatten die Aufgabe, die verlassene Jugend zu evangelisieren und zu erziehen, um ihnen die Liebe Gottes kundzutun, ihnen das göttliche Leben in Fülle zu vermitteln und zum Aufbau ihrer Persönlichkeit beizutragen.

Der neue Selige verwurzelte seine Sendung ohne Unterlaß in der Betrachtung des Geheimnisses der Menschwerdung, denn Gott löscht den Durst derer, die in vertrauter Freundschaft mit ihm leben. Er hat gezeigt, daß etwas, was für Gott getan wird, notwendig zur Gottverbundenheit führt, und daß der Weg zur Heiligkeit auch über das Apostolat führt. Nicolas Barré lädt jeden ein, auf den Heiligen Geist zu vertrauen, auf ihn, der sein Volk auf dem Weg der Hingabe an Gott leitet, auf dem Weg der Selbstlosigkeit, der Demut und der Beharrlichkeit bis in die härtesten Prüfungen hinein. Eine solche Haltung öffnet für die Freude, auf diesem Weg das machtvolle Handeln des lebendigen Gottes zu erfahren.

... auf deutsch:

5. Wenn wir schließlich unseren Blick auf die selige Anna Schäffer richten, dann lesen wir ihr Leben gleichsam als lebendigen Kommentar dessen, was der heilige Paulus an die Römer geschrieben hat: "Die Hoffnung läßt nicht zugrunde gehen. Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist" (
Rm 5,5).

Je mehr ihr Lebensweg zum Leidensweg wurde, umso stärker wuchs in ihr die Erkenntnis, daß Krankheit und Schwäche die Zeilen sein können, auf denen Gott sein Evangelium schreibt. Ihr Krankenzimmer nennt sie eine "Leidenswerkstatt", um dem Kreuz Christi immer gleichförmiger zu werden. Sie spricht von drei Himmelsschlüsseln, die Gott ihr gegeben habe: "Der größte davon ist aus rohem Eisen und schwer von Gewicht, das ist mein Leiden. Der zweite ist die Nadel und der dritte der Federhalter. Mit all diesen Schlüsseln will ich täglich fest arbeiten, um das Himmelstor öffnen zu können".

Gerade im größten Schmerz wird Anna Schäffer die Verantwortung bewußt, die jeder Christ für das Heil seiner Mitmenschen hat. Dazu gebraucht sie den Federhalter. Ihr Krankenbett wird die Wiege eines weit gespannten Briefapostolats. Was ihr an Kraft bleibt, verwendet sie für die Anfertigung von Stickereien, um damit anderen eine Freude zu bereiten. Ob auf den Briefen oder bei der Handarbeit, ihr Lieblingsmotiv ist das Herz Jesu als Symbol der göttlichen Liebe. Dabei fällt auf, daß sie die Flammen aus dem Herzen Jesu nicht als Feuerflammen, sondern als Weizenähren darstellt. Der Bezug zur Eucharistie, die Anna Schäffer täglich von ihrem Pfarrer empfangen hat, ist unverkennbar. Das so gedeutete Herz Jesu ist deshalb das Attribut, das die neue Selige bei sich tragen wird.

... auf italienisch:

6. Liebe Brüder und Schwestern, danken wir Gott für das Geschenk dieser neuen Seligen! Trotz der Prüfungen des Lebens haben sie ihr Herz nicht verhärtet, sondern auf die Stimme des Herrn gehört, und der Heilige Geist hat sie mit der Liebe Gottes erfüllt. So wurde es ihnen zur erlebten Erfahrung, daß »die Hoffnung nicht zugrunde gehen läßt« (Rm 5,5). Sie waren wie Bäume, die an Wasserläufen gepflanzt sind, und haben zur rechten Zeit reichlich Frucht getragen (vgl. Ps 1,3).

Darum ruft heute die ganze Kirche, ihr Zeugnis bewundernd: Herr, du bist wahrhaft der Erlöser der Welt, du bist der Fels, aus dem lebendiges Wasser strömt für den Durst der Menschheit!

Gib uns immer, Herr, von diesem Wasser, damit wir den Vater erkennen und ihn in Geist und Wahrheit anbeten. Amen!





XIV. WELTJUGENDTAG

Petersdom - Palmsonntag, 28. März 1999

179 1.»Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz« (Ph 2,8).

Die Feier der Karwoche beginnt mit dem »Hosanna!« an diesem Palmsonntag und findet ihren Höhepunkt im »Crucifige!« am Karfreitag. Das ist aber kein Widerspruch; es ist vielmehr der Kern des Geheimnisses, das die Liturgie verkündigen möchte: Jesus hat sich freiwillig dem Leiden ausgeliefert, er wurde nicht von Mächten erdrückt, die größer waren als er (vgl. Jn 10,18). Er selbst hat den Willen des Vaters erforscht und verstanden, daß seine Stunde gekommen war, er hat sie im freiwilligen Gehorsam des Sohnes und mit unendlicher Liebe zu den Menschen angenommen.

Jesus hat unsere Sünden ans Kreuz getragen, und unsere Sünden haben Jesus ans Kreuz gebracht: Er wurde wegen unserer Sünden zermalmt (vgl. Jes Is 53,5). David, der nach dem Verantwortlichen der Missetat suchte, von der ihm Natan erzählt hatte, erhält vom Propheten folgende Antwort: »Du selbst bist der Mann« (2S 12,7). Dieselbe Antwort gibt die Heilige Schrift auch uns, wenn wir uns fragen, durch wen Jesus zu Tode gekommen ist: »Du selbst bist der Mann.« Der Prozeß und das Leiden Jesu gehen nämlich in der heutigen Welt weiter und werden von jedem Menschen wiederholt, der sich der Sünde hingibt und dadurch den Aufschrei wiederauflegt: »Nicht diesen, sondern Barabbas! Ans Kreuz mit ihm!«

2. Wenn wir auf Jesus in seinem Leiden schauen, sehen wir – wie in einem Spiegel – die Leiden der Menschheit und unser persönliches Geschick. Obwohl Christus frei von jeder Sünde war, hat er trotzdem all das, was der Mensch nicht ertragen konnte, auf sich genommen: die Ungerechtigkeit, das Böse, die Sünde, den Haß, das Leid und schließlich den Tod. In Christus, dem erniedrigten und leidenden Menschensohn, liebt Gott alle Menschen, in ihm vergibt er allen und schenkt der menschlichen Existenz ihren letztendlichen Sinn.

Wir sind heute morgen hier, um diese Botschaft von diesem uns liebenden Vater zu empfangen. Wir können uns fragen: Was will Er von uns? Er will, daß wir auf Jesus schauen und bereit sind, ihm in seinem Leiden nachzufolgen, um die Auferstehung mit ihm zu teilen. In diesem Augenblick kommen uns die Worte Jesu an seine Jünger in den Sinn: »Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde« (Mc 10,39); »Wer mein Jünger sein will, der […] nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen« ().

Das »Hosanna« und das »Crucifige« werden so zum Maß einer Art, das Leben, den Glauben und das Zeugnis des Christen aufzufassen: Man soll weder bei Niederlagen den Mut verlieren noch sich der Siege rühmen, denn der einzige Sieg ist – wie für Christus – die Treue zur Sendung, die man vom Vater erhalten hat. »Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen« (Ph 2,9).

3. Beim ersten Teil der heutigen Feier haben wir den triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem nacherlebt. Wer hatte an jenem schicksalsträchtigen Tag die Eingebung, daß Jesus von Nazaret, der Meister, der mit Vollmacht redete (vgl. Lc 4,32), [in Wirklichkeit] der Messias, der Sohn Davids, der erwartete und versprochene Erlöser war? Es war das Volk, und darunter waren die Jugendlichen die begeistertsten und aktivsten, die auf diese Weise gewissermaßen zu »Herolden« des Messias wurden. Sie verstanden, daß damals die Stunde Gottes schlug, die ersehnte und gesegnete Stunde, auf die das Volk Israel jahrhundertelang gewartet hatte. Sie wedelten mit Palm- und Ölzweigen und zeigten so den Triumph Jesu an.

In gedanklicher Kontinuität mit jenem Ereignis wird seit nunmehr vierzehn Jahren der Weltjugendtag durchgeführt. In dessen Verlauf bekennen und verkünden die mit ihren Hirten versammelten Jugendlichen freudig ihren Glauben an Christus, sie stellen sich Fragen über ihre tiefsten Sehnsüchte, sie erfahren die kirchliche Gemeinschaft, sie bestätigen und erneuern ihren Einsatz für die dringende Aufgabe der Neuevangelisierung.

Sie suchen den Herrn im Mittelpunkt des Ostergeheimnisses. Das Mysterium des glorreichen Kreuzes wird für sie zum großen Geschenk und gleichzeitig zum Zeichen eines reifen Glaubens. Mit seinem Kreuz, dem universalen Symbol der Liebe, leitet Christus die Jugendlichen der Welt in der großen »Versammlung« des Reiches Gottes, welche die Herzen und Gesellschaften verändert.

Wie sollten wir dem Herrn nicht danken für die Weltjugendtage, die gerade hier, auf dem Petersplatz, im Jahr 1985 begonnen haben, die dem »Kreuz des Heiligen Jahres« gefolgt und ihre Reise durch die ganze Welt gemacht haben, wie eine lange Wallfahrt zum neuen Jahrtausend? Wie sollte man Gott, der den jungen Menschen die Geheimnisse seines Reiches offenbart hat (vgl. Mt 11,25), nicht loben für alle Früchte des Guten und des christlichen Zeugnisses, die aus dieser gelungenen Initiative hervorgegangen sind?

Der heutige Weltjugendtag ist der letzte vor dem wichtigen Termin des Jubeljahres, der letzte in diesem Jahrhundert und in diesem Jahrtausend: Daher kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. Durch den Beitrag aller möge er eine eindrucksvolle Erfahrung des Glaubens und der kirchlichen Gemeinschaft sein.

180 4. Damals riefen die Jugendlichen von Jerusalem: »Hosanna dem Sohn Davids!« (Mt 21,9). Ihr Jugendlichen, meine Freunde: Wollt auch ihr, wie eure Altersgenossen in jenen fernen Zeiten, Jesus als Messias, Retter, Meister, Leiter und Freund eures Lebens anerkennen? Denkt daran: Nur Er weiß wirklich, was in jedem Menschen ist (vgl. Jn 2,25); nur Er lehrt den Menschen, sich dem Geheimnis zu öffnen und Gott mit dem Namen des Vaters, »Àbba«, anzusprechen; nur Er macht ihn zu selbstloser Liebe gegenüber seinem Mitmenschen fähig, den er als »Bruder« und »Schwester« annimmt und anerkennt.

Liebe Jugendliche! Geht Christus, der eure Jugend glücklich macht, mit Freude entgegen. Sucht und findet ihn, indem ihr an seinem Wort und seiner geheimnisvollen Gegenwart in der Kirche und den Sakramenten festhaltet. Lebt mit ihm in der Treue zu seinem Evangelium: Es ist fordernd bis hin zum Opfer, das ist wahr, aber es ist zugleich die einzige Quelle der Hoffnung und des wahren Glücks. Liebt ihn im Antlitz des Bruders, der Gerechtigkeit, Hilfe, Freundschaft und Liebe benötigt.

Auf der Schwelle zum dritten Jahrtausend ist dies eure Stunde. Die heutige Welt eröffnet euch neue Wege und ruft euch auf, Träger des Glaubens und der Freude zu sein. Das bringen auch die Palm- und Ölzweige zum Ausdruck, die ihr heute in den Händen haltet: Sie sind das Symbol eines neuen Frühlings der Gnade, der Schönheit, der Güte und des Friedens. Der Herr Jesus ist bei euch und begleitet euch!

5. Jedes Jahr tritt die Kirche mit der Karwoche in banger Erwartung in das Ostergeheimnis ein, wenn sie des Todes und der Auferstehung des Herrn gedenkt.

Und eben aufgrund dieses Ostergeheimnisses, aus dem sie hervorgegangen ist, kann sie mit den Worten und Werken ihrer Söhne und Töchter vor der Welt verkünden: »Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes, des Vaters« (Ph 2,11).

Ja! Jesus Christus ist der Herr! Er ist der Herr der Zeit und der Geschichte; der Erlöser und Retter des Menschen. Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Hosanna!

Amen.





CHRISAM-MESSE AM GRÜNDONNERSTAG


1. April 1999

1.»Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut; er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater. Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen« (Ap 1,5-6).

Christus, der Priester des Neuen und Ewigen Bundes, ist durch sein Blut in das himmlische Heiligtum eingetreten, nachdem er ein für allemal die Erlösung von den Sünden der ganzen Menschheit bewirkt hat.

Auf der Schwelle des Heiligen Triduums treffen sich die Priester aller Teilkirchen der Welt mit ihren Bischöfen zur feierlichen Chrisam-Messe, bei der sie ihre priesterlichen Versprechen erneuern. Auch die Priesterschaft der Kirche in Rom versammelt sich vor dem großen Tag, an dem die Liturgie daran erinnert, wie Christus durch sein Blut der einzige und ewige Priester wurde, um ihren Bischof.

181 An jeden von euch, liebe Brüder im Priesteramt, richte ich meinen herzlichen Gruß; ein besonderer Gruß gilt dem Kardinalvikar und den konzelebrierenden Kardinälen, den Weihbischöfen und den anderen anwesenden Bischöfen. Ich freue mich sehr, mit euch an diesem Tag zusammenzukommen. Für uns, die geweihten Diener, hat er den Duft der heiligen Salbung, mit der wir nach dem Bild Dessen geweiht wurden, der der Geweihte des Vaters ist.

»Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch alle, die ihn durchbohrt haben« (
Ap 1,7). Morgen wird die Liturgie des Karfreitags für uns das vergegenwärtigen, wovon die eben verkündeten Worte der Offenbarung des Johannes sprechen. An diesem hochheiligen Tag vom Leiden und Sterben Christi werden alle Altäre abgedeckt und sind von großem Schweigen umgeben: Am Tag des jährlichen Gedenkens an das eine Opfer, das in blutiger Weise von Christus, dem Priester, auf dem Altar des Kreuzes dargebracht wurde, wird keine Messe gefeiert.

2. »Er hat uns zu Priestern gemacht« (Ap 1,6). Christus hat nicht nur persönlich das Erlösungsopfer vollbracht, das die Sünden der Welt hinwegnimmt und das ein vollkommenes Lob zur Ehre des Vaters ist. Er hat auch das Priestertum als Sakrament des Neuen Bundes eingesetzt, damit das eine Opfer, das er dem Vater in blutiger Weise dargebracht hat, in der Kirche beständig auf unblutige Weise unter den Gestalten von Brot und Wein erneut vollzogen werden könne. Der Gründonnerstag eben ist der Tag, an dem wir in besonderer Weise des Priestertums gedenken, das Christus beim Letzten Abendmahl gestiftet und untrennbar mit dem eucharistischen Opfer verbunden hat.

Er hat uns zu Teilhabern an seinem einzigen Priestertum gemacht, damit auf allen Altären der Welt und zu allen Zeiten der Geschichte das blutige, unwiederholbare Opfer von Kalvaria vergegenwärtigt werden kann. Der Gründonnerstag ist das große Fest der Priester. Heute abend werden wir wiederum, dem in den Evangelien uns übermittelten Verlauf der österlichen Ereignisse folgend, das Gedächtnis der Einsetzung des eucharistischen Opfers begehen. Die feierliche Liturgie des heutigen Morgens ist hingegen eine einzige Danksagung an Gott von uns allen, die wir, dank eines Geschenkes, das zugleich ein Geheimnis ist, zutiefst teilhaben am Priestertum Christi. Jeder von uns macht sich die Worte des Psalmisten zu eigen: »Misericordias Domini in aeternum cantabo.« »Von den Taten deiner Huld, o Herr, will ich ewig singen« (Ps 88,289/88, 2).

3. Wir wollen uns dieses großen Geschenkes wieder neu bewußt werden. Wir wollen es gewissermaßen neu empfangen, um es auf einen weiteren Dienst auszurichten. Dieses unser Weihepriestertum ist ja ein Dienstamt, ein einzigartiger und besonderer Dienst. Wir dienen Christus, damit sein einziges und unwiederholbares Priestertum immer in der Kirche zum Wohl der Gläubigen leben und wirken kann. Wir dienen dem christlichen Volk, unseren Brüdern und Schwestern, die durch unseren sakramentalen Dienst immer tiefer der Erlösung Christi teilhaft werden können.

Heute kann jeder von uns mit Christus besonders intensiv die im Evangelium verkündeten Worte des Propheten Jesaja wiederholen: »Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe« (Lc 4,18-19).

4. »Ein Gnadenjahr des Herrn«! Meine Lieben, wir stehen jetzt nahe vor der Schwelle eines außerordentlichen Gnadenjahres, jenes Großen Jubiläums, in welchem wir die zwei Jahrtausende seit der Menschwerdung des Herrn feiern. Der heutige Gründonnerstag ist der letzte vor dem Jahr Zweitausend.

Ich freue mich, daß ich heute den Priestern der ganzen Welt im Geist den Brief darbieten kann, den ich zu diesem Anlaß an sie gerichtet habe. In dem Jahr, das Gott dem Vater geweiht ist, muß die Vaterschaft eines jeden Priesters als Widerschein der Vaterschaft des himmlischen Vaters deutlicher erkennbar werden, damit das christliche Volk und alle Menschen jeder Rasse und Kultur die Liebe spüren, die Gott zu ihnen hegt, und daß sie ihr treu folgen. Für alle soll das bevorstehende Jubiläumsereignis die gegebene Gelegenheit sein, die barmherzige Liebe Gottes als starke geistige Energie zu erfahren, die das Herz des Menschen erneuert.

Bei dieser festlichen Eucharistiefeier wollen wir den Herrn bitten, die Gnade des Großen Jubiläums möge in allen Gliedern des Leibes Christi, der Kirche, und in besonderer Weise in den Priestern, voll zur Reife kommen.

Das nun schon nahe Heilige Jahr ruft uns, die geweihten Diener, insgesamt auf, uns vollkommen zur Verfügung zu stellen für das Geschenk des Erbarmens, das Gott der Vater jedem Menschen in Fülle zuwenden will. Der Vater sucht solche Priester (vgl. Jn 4,23)! Möge er sie finden, erfüllt von seiner heiligen Salbung, um unter den Armen die gute Nachricht des Heils zu verbreiten.

Amen.



ABENDMAHLSMESSE

Petersdom - Gründonnerstag, 1. April 1999

182
1. »Adoro te devote, latens Deitas,
Quae sub his figuris vere latitas

»Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir.
Unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier« (vgl. Gotteslob, Nr. 546).

Wieder erleben wir an diesem Abend das Letzte Abendmahl, bei dem der göttliche Erlöser in der Nacht, in der er verraten wurde, uns das eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes als Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung hinterließ: das Sakrament huldvollen Erbarmens, Zeichen der Einheit und Band der Liebe (vgl. Sacrosanctum Concilium
SC 47).

Die Lesungen dieser Feier sprechen alle von Riten und Handlungen, die dazu bestimmt sind, den Heilsplan Gottes in die Geschichte einzuprägen. Das Buch Exodus überliefert das Priesterdokument, das die Vorschriften für die Feier des jüdischen Pascha festlegt. Der Apostel Paulus übermittelt der Kirche im Ersten Brief an die Korinther das älteste Zeugnis über das neue christliche Pascha-Abendmahl: den Ritus des Neuen und Ewigen Bundes, den Jesus vor seinem Leiden im Abendmahlssaal einsetzte. Und schließlich faßt der Evangelist Johannes, vom Heiligen Geist erleuchtet, den tiefen Sinn des Opfers Christi in der »Fußwaschung« zusammen.

Es ist das Pascha des Herrn, das seine Wurzeln in der Geschichte des Volkes Israel hat und seine Vollendung in Jesus Christus, dem zu unserem Heil geopferten Lamm Gottes, findet.

2. Die Kirche lebt von der Eucharistie. Durch den Dienst der Apostel und ihrer Nachfolger in einer ununterbrochenen, vom Abendmahlssaal ausgehenden Kette, finden die Worte Christi immer neu ihre Verwirklichung auf dem Weg der Kirche, um den Menschen jeder Generation das Brot des Lebens anzubieten: »Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis!… Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!« (1Co 11,24-25).

Weil die Eucharistie die sakramentale Darstellung des Kreuzesopfers ist, bildet sie den Höhepunkt des Erlösungswerkes: Sie verkündet und verwirklicht jenes Geheimnis, das die Quelle des Lebens für jeden Menschen ist. Denn jedesmal, wenn wir von diesem Brot essen und aus diesem Kelch trinken, verkünden wir den Tod des Herrn, bis er kommt (vgl. 1Co 11,26).

Nach der Wandlung ruft der Priester aus: »Mysterium fidei!«, und die Versammelten antworten: »Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.«

183 Ja, heute ist es uns gegeben, in besonderer Weise zu begreifen, daß das »Geheimnis des Glaubens« wahrhaft groß ist und daß seine Tiefe durch die schlichten eucharistischen Symbole – Brot und Wein, Tisch und geschwisterliches Mahl – nur noch erhabener wird.

3. »O memoriale mortis Domini!
Panis vivus, vitam praestans homini!«

»Denkmal, das uns mahnet an des Herren Tod!
Du gibst uns das Leben, o lebendig Brot« (vgl.Gotteslob, 546).

Der Tod des Gottessohnes wird für uns zur Quelle des Lebens. Das ist das Ostergeheimnis! Das ist die neue Schöpfung! Die Kirche bekennt diesen Glauben mit den Worten des Thomas von Aquin und betet:

"Pie Pellicane, Iesu Domine,
Me immundum munda tuo sanguine,
Cuius una stilla salvum facere
Totum mundum quit ab omni scelere".

»Gleich dem Pelikane starbst du, Jesu mein,
184 Wasch in deinem Blute mich von Sünden rein.
Schon ein kleiner Tropfen sühnet alle Schuld,
Bringt der ganzen Erde Gottes Heil und Huld« (ebd.)

Lebenspendende Macht des Todes Christi! Reinigende Kraft des Blutes Christi, die die Vergebung der Sünden für die Menschen jeder Zeit und jedes Ortes erwirkt. Hoch erhabenes Erlösungsopfer, worin alle Opfer des alten Gesetzes Erfüllung finden!

4. Dieses Geheimnis der Liebe, »unbegreiflich« für den Menschen, bietet sich ganz und gar im Sakrament der Eucharistie an. Das christliche Volk ist eingeladen, heute abend bis in die Nachtstunden hinein in schweigender Anbetung davor zu verweilen:

"Iesu, quem velatum nunc aspicio,
Oro, fiat illud quod tam sitio:
Ut, te revelata cernens facie,
Visu sim beatus tuae gloriae".

»Jesus, den verborgen jetzt mein Auge sieht,
Stille mein Verlangen, das mich heiß durchglüht:
185 Laß die Schleier fallen einst in deinem Licht, Daß ich selig schaue,
Herr, dein Angesicht. Amen.« (ebd.)

Das ist der Glaube der Kirche. Das ist der Glaube eines jeden von uns vor dem hocherhabenen eucharistischen Geheimnis. Ja, genug der Worte. Es bleibe die Anbetung. In Schweigen.

"Ave, verum Corpus, natum de Maria Virgine...

"Ave, vero Corpo, nato da Maria Vergine,
realmente sottoposto alla passione,
immolato sulla croce per l'uomo...
O Gesù dolce! O Gesù pio! O Gesù, figlio di Maria!".
Amen!

»Wahrer Leib, o sei gegrüßet, den Maria uns gebar,
Du hast unsre Schuld gebüßet sterbend auf dem Kreuzaltar.«

186 »O Iesu dulcis, o Iesu pie, o Iesu, Fili Mariae!«

Amen.



EUCHARISTIEFEIER IN DER OSTERNACHT

Petersdom - Karsamstag, 3. April 1999



1. »Der Stein, den die Bauleute verwarfen, ist zum Eckstein geworden« (Ps 118,22).

In dieser Nacht spricht die Liturgie zu uns durch die Fülle und den Reichtum des Wortes Gottes. Diese nächtliche Feier ist nicht nur die Mitte des Kirchenjahres, sondern gleichsam sein Urbild. Denn in ihr enfaltet sich das ganze sakramentale Leben. Der Tisch, um den die Kirche in dieser Nacht ihre Söhne und Töchter, vor allem die Taufanwärter, versammelt, ist reich und festlich gedeckt. Liebe Katechumenen, ich wende mich zuerst an euch, die ihr in Kürze aus Wasser und Geist wiedergeboren werdet (vgl. Jn 3,5).

Mit großer Freude grüße ich euch und zugleich eure Herkunftsländer: Albanien, Kap Verde, China, Frankreich, Marokko und Ungarn.

Durch die Taufe werdet ihr Glieder des Leibes Christi und voll berechtigt, an seiner geheimnisvollen Gemeinschaft teilzuhaben. Möge euer Leben ständig in dieses Ostergeheimnis eingetaucht bleiben, so daß ihr stets authentische Zeugen der Liebe Gottes seid.

2. Nicht nur ihr, liebe Katechumenen, sondern alle Getauften sind in dieser Nacht zur tiefen Glaubenserfahrung dessen eingeladen, was wir soeben in der Lesung gehört haben: »Wißt ihr denn nicht, daß wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? … Wir wurden mit ihm begraben … und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben« (Rm 6,3-4).

Christsein bedeutet, persönlich am Tod und an der Auferstehung Christi teilzuhaben. Diese Teilhabe wird auf sakramentale Weise durch die Taufe bewirkt, auf der sich die christliche Existenz eines jeden von uns wie auf einem festen Fundament aufbaut. Und deshalb hat uns der Antwortpsalm zum Dank aufgefordert: »Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig … Die Rechte des Herrn … wirkt mit Macht! Ich werde nicht sterben, sondern leben, um die Taten des Herrn zu verkünden« (Ps 118,1-2 Ps 118,16-17). In dieser heiligen Nacht wiederholt die Kirche dieses Danklied und bekennt die Wahrheit über Christus, der gestorben ist und begraben wurde, aber am dritten Tage auferstand (vgl. Credo).

3. »Als eine Nacht des Wachens zur Ehre des Herrn gilt sie …in allen Generationen« (Ex 12,42).

Diese Worte aus dem Buch Exodus bilden den Abschluß des Berichtes über den Auszug der Israeliten aus Ägypten. Einen besonderen Klang erhalten sie in der Osternacht, da sie zur vollen Bedeutung gelangen. Denken wir in diesem Jahr, das Gott dem Vater gewidmet ist, nicht unwillkürlich daran, daß diese Nacht, die Osternacht, die lange »Nachtwache des Vaters« ist? Diese »Nacht des Wachens« Gottes umfaßt das ganze österliche Triduum. Ganz besonders aber »wacht« der Vater am Karsamstag, während der Sohn im Grab liegt. Das Geheimnis des Sieges Christi über die Sünde der Welt ist gerade in diesem Wachen des Vaters verborgen. Er »wacht« über die ganze Sendung des Sohnes auf Erden. Sein unendliches Mitleiden erreicht den Höhepunkt in der Stunde des Leidens und Sterbens: in der Stunde, da der Sohn verlassen wird, damit die Kinder gerettet werden; da der Sohn verachtet und geschmäht wird, damit die Kinder wiedergefunden werden; da der Sohn stirbt, damit die Kinder das Leben erlangen.

187 Das Wachen des Vaters begründet die Auferstehung des Sohnes. Auch in der Todesstunde wird die Liebesbeziehung in Gott nicht geschmälert. Der Heilige Geist, der vom gekreuzigten und sterbenden Jesus ausströmt, erhellt die Finsternis des Bösen, er macht Christus lebendig und setzt ihn ein als Sohn Gottes in Macht und Herrlichkeit (vgl. Rm 1,4).

4. »Der Stein, den die Bauleute verwarfen, ist zum Eckstein geworden« (Ps 118,22). Welchen Glanz erhält diese vom Psalmisten besungene Wahrheit im Licht der Auferstehung Christi! Der Menschensohn, der zu einem schändlichen Tod Verurteilte, Gekreuzigte und Auferstandene, er ist für das Leben der Kirche und eines jeden Christen zum Eckstein geworden.

»Das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder« (Ps 118,23). Das hat sich in dieser heiligen Nacht ereignet. Die Frauen konnten es feststellen, als sie »am ersten Tag der Woche, früh morgens, als es noch dunkel war« (Jn 20,1), zum Grab gekommen waren, um den Leichnam des Herrn zu salben, und das Grab leer fanden. Sie hörten die Stimme des Engels: »Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden« (vgl. Mt 28,1-5).

So erfüllten sich die prophetischen Worte des Psalmisten: »Der Stein, den die Bauleute verwarfen, ist zum Eckstein geworden.« Das ist unser Glaube. Das ist der Glaube der Kirche, und wir rühmen uns, ihn an der Schwelle zum dritten Jahrtausend bekennen zu dürfen. Denn Christi Ostern ist die Hoffnung der Welt, gestern, heute und in Ewigkeit.

Amen!



HEILIGSPRECHUNG DER SELIGEN: MARCELLIN BENOIT CHAMPAGNAT, GIOVANNI CALABRIA,

UND AGOSTINA LIVIA PIETRANTONI

Petersplatz - Sonntag, 18. April 1999


1. »Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn« ().

Vorhin haben wir diese Worte aus dem Lukasevangelium wieder einmal gehört: Sie berichten von der Begegnung Jesu mit den zwei Jüngern auf ihrem Weg ins Dorf Emmaus am Auferstehungstag selbst. Dieses unerwartete Treffen flößt Freude in die Herzen der beiden traurigen Wanderer ein und entzündet in ihnen eine neue Hoffnung. Das Evangelium berichtet, daß sie – als sie ihn erkannt hatten – noch in derselben Stunde aufbrachen und nach Jerusalem zurückkehrten (vgl. Lc 24,33). Sie empfanden das Bedürfnis, die Apostel darüber zu informieren, »was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach« (Lc 24,35).

Der Wunsch, für Jesus Zeugnis abzulegen, ergibt sich im Herz der Glaubenden aus der persönlichen Begegnung mit ihm. So ist es bei den drei neuen Heiligen geschehen, die ich heute mit Freude zur Ehre der Altäre erhebe: Marcellin Benoît Champagnat, Giovanni Calabria und Agostina Livia Pietrantoni. Sie haben ihre Augen für die Zeichen der Gegenwart Christi geöffnet: Sie haben ihn in der Eucharistie verehrt und empfangen, ihn in ihren bedürftigen Brüdern und Schwestern geliebt und die Spuren seines Heilsplans in den Ereignissen des täglichen Lebens erkannt.

Es brannte ihnen das Herz, wenn sie sein Wort hörten und seine Gesellschaft pflegten. Welch unbeschreibliche Faszination übt die geheimnisvolle Gegenwart des Herrn in den Menschen aus, die ihn aufnehmen! Das ist die Erfahrung der Heiligen. Es ist dieselbe spirituelle Erfahrung, die auch wir machen können, die wir auf den Straßen der Welt zur himmlischen Heimat unterwegs sind. Auch uns kommt der Auferstandene mit seinem Wort entgegen, und im Sakrament des eucharistischen Brotes, das zur Rettung der ganzen Menschheit gebrochen wird, offenbart er uns seine unendliche Liebe. Mögen die Augen unseres Geistes sich seiner Wahrheit und Liebe öffnen, so wie es bei Marcellin Benoît Champagnat, Don Giovanni Calabria und Sr. Agostina Livia Pietrantoni geschehen ist.

2. »Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unter wegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloß?« (Lc 24,32). Dieses brennende Verlangen nach Gott, das den Emmausjüngern innewohnte, zeigte sich ganz deutlich auch bei Marcellin Champagnat, einem Priester, der von der Liebe zu Jesus und Maria eingenommen war. Dank seines unerschütterlichen Glaubens blieb er Christus trotz aller Schwierigkeiten treu – inmitten einer Welt, die den Sinn für Gott manchmal verloren zu haben schien. Auch wir sind aufgefordert, unsere Kraft aus der Betrachtung des auferstandenen Christus zu schöpfen, indem wir uns am Beispiel der Jungfrau Maria orientieren.


Predigten 1978-2005 176