Predigten 1978-2005 236

HEILIGJAHRFEIER DES GEWEIHTEN LEBENS

236

Mittwoch, 2. Februar 2000

Liebe Brüder und Schwestern!


1. »In Jerusalem lebte damals ein Mann namens Simeon. Er war gerecht und fromm und wartete auf die Rettung Israels, und der Heilige Geist ruhte auf ihm. […] Damals lebte auch eine Prophetin namens Hanna« (Lc 2,25 Lc 2,36).

Diese beiden Gestalten, Simeon und Hanna, begleiten die Darstellung Jesu im Tempel von Jerusalem. Der Evangelist unterstreicht, daß auf seine Weise jeder von ihnen dem Ereignis zuvorkommt. Im einen wie in der anderen drückt sich die Erwartung der Ankunft des Messias aus. Beide tragen in irgendeiner Weise das Geheimnis des Tempels von Jerusalem in sich. Daher sind beide – man kann sagen: von der Vorsehung gefügt – in ihm anwesend, als die Eltern Jesus vierzig Tage nach der Geburt dorthin tragen, um ihn dem Herrn darzubringen.

Simeon und Hanna stehen für die Erwartung ganz Israels. Ihnen wird es zuteil, dem zu begegnen, den die Propheten seit Jahrhunderten ankündigten. Erleuchtet vom Heiligen Geist, erkennen die beiden alten Menschen den erwarteten Messias in dem Kind, das Maria und Josef in den Tempel getragen haben, um die Vorschrift des Gesetzes des Herrn zu erfüllen.

Die Worte des Simeon haben prophetischen Klang: Der Greis blickt auf die Vergangenheit und kündigt die Zukunft an. Er spricht: »Nun läßt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel« (). Simeon drückt die Erfüllung der Erwartung aus, die seinen Lebensinhalt ausmachte. Ebenso ergeht es der Prophetin Hanna, die sich beim Anblick des Kindes freut und über es spricht »zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten« (Lc 2,38).

2. Jedes Jahr führt das heutige liturgische Fest eine große Schar gottgeweihter Menschen am Petrusgrab zusammen. Heute wird die Schar zur Menge, denn es sind gottgeweihte Menschen aus allen Teilen der Welt anwesend. Liebe Brüder und Schwestern, ihr feiert heute euer Jubiläum, das »Jubiläum des geweihten Lebens«. Ich empfange euch mit dem Gruß des Friedens gemäß dem Evangelium!

Grüßen möchte ich die Oberen und Oberinnen der verschiedenen Kongregationen und Institute, und ich grüße euch, liebe Brüder und Schwestern, die ihr das Jubiläumserlebnis erfahren und die Schwelle der Heiligen Pforte der Vatikanischen Patriarchalbasilika überschritten habt. In euch erreicht mein Gedanke alle eure Mitbrüder und Mitschwestern in der ganzen Welt: Auch ihnen gilt mein liebevoller Gruß.

In diesem Jubiläumsjahr am Grab des Apostelfürsten versammelt, wollt ihr mit besonderer Deutlichkeit das tiefe Band zum Ausdruck bringen, welches des geweihte Leben mit dem Nachfolger Petri verbindet. Ihr seid hier, um die Hoffnungen und Probleme eurer Institute auf den Altar des Herrn zu legen. Im Geist des Jubiläums sagt ihr Gott Dank für das vollbrachte Gute und bittet zugleich um Vergebung für die möglichen Unzulänglichkeiten, die das Leben eurer Ordensfamilien gezeichnet haben. Ihr stellt euch zu Beginn eines neuen Jahrtausends Fragen nach den wirksamsten Methoden, um in Achtung vor eurem Gründungscharisma zur Neuevangelisierung beizutragen und die vielen Menschen zu erreichen, die Christus noch nicht kennen. In dieser Perspektive erhebt sich inständig euer Gebet zum Herrn der Ernte, daß er im Herzen vieler Jungen und Mädchen den Wunsch wecke, sich ganz hinzugeben an die Sache Christi und des Evangeliums.

Gerne schließe ich mich eurem Gebet an. Als Pilger in vielen Teilen der Welt konnte ich mir den Wert eurer prophetischen Präsenz für die ganze Christenheit bewußt machen. Die Männer und Frauen der heutigen Generation haben ein großes Bedürfnis, dem Herrn und seiner befreienden Botschaft des Heils zu begegnen. Und gerade bei diesem Anlaß stelle ich gern die Haltung zum Vorbild hochherziger Hingabe an das Evangelium heraus, das von unzähligen eurer Mitbrüder und Mitschwestern gegeben wird, die oft in beschwerlichen Situationen tätig sind. Sie verzehren sich rückhaltlos im Namen Christi im Dienst an den Armen, den Ausgegrenzten, den Letzten.

Nicht wenige von ihnen haben auch in diesen Jahren mit dem äußersten Zeugnis des Blutes ihre Entscheidung unabweisbarer und kompromißloser Treue zu Christus und zum Menschen bezahlt. Ihnen gilt das geschuldete Verdienst unserer Bewunderung und dankbaren Anerkennung!

237 3. Die Darstellung Jesu im Tempel wirft ein besonderes Licht auf eure Wahl, liebe Brüder und Schwestern. Lebt etwa nicht auch ihr das Geheimnis der Erwartung des Kommens Christi, das durch Simeon und Hanna ausgedrückt und gewissermaßen personalisiert wird? Drücken eure Gelübde etwa nicht mit besonderer Intensität jene Erwartung der Begegnung mit dem Messias aus, die die beiden alten Israeliten im Herzen trugen? Gestalten des Alten Testaments, an die Schwelle des Neuen gestellt, drücken sie eine innere Haltung aus, die nicht verjährt. Ihr habt sie euch zu eigen gemacht, wenn ihr nun ganz auf die Erwartung der Rückkehr des Bräutigams ausgerichtet seid.

Das eschatologische Zeugnis gehört zum Wesen eurer Berufung. Die Gelübde der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit für das Reich Gottes stellen eine Botschaft dar, die ihr der Welt in bezug auf das endgültige Schicksal des Menschen verkündet. Es ist eine kostbare Botschaft: »Wer wachsam die Erfüllung der Verheißungen Christi erwartet, ist imstande, auch bei seinen im Hinblick auf die Zukunft oft mißtrauischen und pessimistischen Brüdern und Schwestern Hoffnung zu wecken« (Vita consecrata
VC 27).

4. »Der Heilige Geist ruhte auf ihm« (Lc 2,25). Was der Evangelist von Simeon sagt, kann gut auch auf euch angewandt werden, die der Heilige Geist zu einer besonderen Erfahrung Christi führt. Mit der erneuernden Kraft seiner Liebe will Er aus euch wirksame Zeugen der Umkehr, Buße und des neuen Lebens machen.

Das Herz, die Zuneigungen, Interessen, Gefühle auf Christus konzentriert zu haben, bildet den größten Aspekt des Geschenkes, das der Geist in euch bewirkt. Er gestaltet euch Ihm, dem Keuschen, Armen und Gehorsamen, gleich. Und die Evangelischen Räte, weit davon entfernt, ein Verzicht zu sein, der verarmen läßt, stellen eine Wahl dar, welche die Person zur volleren Verwirklichung ihrer Fähigkeiten befreit.

Über die Prophetin Hanna bemerkt der Evangelist: »Sie hielt sich ständig im Tempel auf« (Lc 2,37). Die erste Berufung derer, die sich mit ungeteiltem Herzen in die Nachfolge Jesu begeben, ist es, »bei ihm zu sein« (vgl. Mc 3,14), Gemeinschaft mit ihm zu pflegen im Hören seines Wortes und im ständigen Lob Gottes (vgl. Lc 2,38). Ich denke in diesem Augenblick an das Gebet, besonders das liturgische, das sich aus den vielen über die ganze Erde verstreuten Klöstern und Gemeinschaften geweihten Lebens zu Gott erhebt. Liebe Brüder und Schwestern, laßt in Demut und Beständigkeit euer Lob in der Kirche erschallen, und das Lied eures Lebens wird ein Echo finden tief im Herzen der Welt.

5. Die freudige Erfahrung der Begegnung mit Jesus, der Jubel und das Lob, die aus dem Herzen hervorbrechen, können nicht verborgen bleiben. Der Dienst, den die Institute geweihten Lebens und die Gesellschaften apostolischen Lebens dem Evangelium in der Verschiedenheit der Formen, die der Heilige Geist in der Kirche hervorgerufen hat, erweisen, kommt stets aus einer Erfahrung der Liebe und aus einer lebendigen Begegnung mit Christus. Er kommt aus der Teilnahme an seiner Mühe und seiner unablässigen Hingabe an den Vater.

Gerufen, alles zu verlassen, um Christus zu folgen, verzichtet ihr gottgeweihten Männer und Frauen darauf, euer Leben von der Familie, dem Beruf und den irdischen Belangen her zu bestimmen, und wählt als einziges Kriterium das Sich-Identifizieren mit dem Herrn. Ihr nehmt auf diese Weise eine neue Identität von Familie an. Für euch gelten in besonderem Maß die Worte des göttlichen Meisters: »Dieser ist für mich Bruder und Schwester und Mutter« (vgl. Mc 3,35). Der Ruf zum Verzicht, das wißt ihr wohl, hat nicht das Ziel, euch »ohne Familie« zu lassen, sondern er will euch zu ersten und qualifizierten Mitgliedern der »neuen Familie« machen, Zeugnis und Verheißung für alle, die Gott rufen und in sein Haus aufnehmen will.

6. Meine Lieben, in jedem Augenblick eures Lebens sei euch die Jungfrau Maria als Vorbild und Beistand zur Seite. Ihr hat Simeon das Geheimnis des Sohnes und des Schwertes, das ihr »durch die Seele dringen« (Lc 2,35) würde, offenbart. Ihr vertraue ich heute euch hier anwesenden und alle gottgeweihten Menschen, die das Jubiläum feiern, an:

Jungfrau Maria, Mutter Christi und der Kirche,
wende deinen Blick auf die Männer und Frauen,
die dein Sohn gerufen hat, ihm nachzufolgen
238 in der vollkommenen Weihe an seine Liebe:
daß sie sich immer vom Geist leiten lassen,
unermüdlich in der Hingabe ihrer selbst und im Dienst für den Herrn,
um treue Zeugen der Freude zu sein,
die aus dem Evangelium entspringt,
und Verkündiger der Wahrheit,
die den Menschen an die Quellen unvergänglichen Lebens führt.

Amen!



HEILIGJAHRFEIER DER KRANKEN UND IM KRANKENDIENST TÄTIGEN

Freitag, 11. Februar 2000

1.»[Es] wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe« (Lc 1,78). Mit diesen Worten kündigte Zacharias das bevorstehende Kommen des Messias in die Welt an.

Die soeben vorgetragene Lesung aus dem Evangelium läßt uns die Geschichte der Heimsuchung miterleben: der Besuch Marias bei ihrer Kusine Elisabeth der Besuch Jesu bei Johannes, der Besuch Gottes beim Menschen.

239 Liebe kranke Brüder und Schwestern, die ihr heute auf diesem Platz zusammengekommen seid, um euer Jubiläum zu feiern: auch dieser Augenblick, den wir gerade zusammen erleben, ist Ausdruck eines besonderen Besuches von seiten Gottes. In diesem Bewußtsein empfange und grüße ich euch ganz herzlich. Euch hat der Nachfolger Petri, der alle Sorgen und Ängste mit euch teilt, ins Herz geschlossen. Seid willkommen! Mit tiefer innerer Anteilnahme feiere ich heute das Große Jubiläum des Jahres 2000 gemeinsam mit euch sowie mit den Angestellten im Krankendienst, mit euren Verwandten und Bekannten sowie mit den freiwilligen Helfern, die euch mit zuvorkommender Hingabe zur Seite stehen.

Ich begrüße Erzbischof Javier Lozano Barragán, den Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst, und seine Mitarbeiter, die dieses Treffen des Jubiläums organisiert haben. Ich grüße die hier anwesenden Kardinäle und Bischöfe ebenso wie alle Bischöfe und Priester, die Gruppen von Kranken zu den heutigen Feierlichkeiten begleitet haben. Begrüßen möchte ich den Herrn Gesundheitsminister des italienischen Staates sowie die weiteren an den Feierlichkeiten beteiligten Autoritäten. Mein Dankesgruß gilt schließlich den zahlreichen professionellen und freiwilligen Helfern, die sich in diesen Tagen für den Dienst an den Kranken zur Verfügung gestellt haben.

2. »[Es] wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe« (
Lc 1,78). Ja! Gott hat uns heute seinen Besuch abgestattet. Er ist in jedem Augenblick bei uns. Das Jubiläum läßt uns seinen Besuch jedoch auf einzigartige Weise erfahren.Indem er Mensch wurde, machte sich der Sohn Gottes auf, einen jeden Menschen zu besuchen, und er machte sich für einen jeden zum Tor: Tor zum Leben, Tor zum Heil. Wenn der Mensch das Heil finden will, muß er durch dieses Tor eintreten. Ein jeder ist dazu eingeladen, diese Schwelle zu überschreiten.

Heute seid in besonderer Weise ihr eingeladen, liebe Kranke und Leidende, die ihr aus Italien und der ganzen Welt hier auf dem Petersplatz in Rom zusammengekommen seid. Und auch ihr seid geladen, die ihr vom Heiligtum von Tschenstochau aus durch eine eigens eingerichtete Fernsehverbindung mit uns im Gebet verbunden seid: Euch gilt mein herzlicher Gruß, den ich gerne auf all jene ausweite, die über das Fernsehen und den Rundfunk in Italien und im Ausland unsere Feier verfolgen.

Liebe Brüder und Schwestern, einige von euch sind seit Jahren ans Bett gefesselt und leiden bittere Schmerzen: Ich bitte Gott darum, daß die heutige Begegnung ihnen körperlichen und seelischen Trost und Linderung bringen möge. Mein Wunsch ist, daß diese ergreifende Feier allen, Gesunden und Kranken, die Gelegenheit biete, über den heilbringenden Wert des Leidens nachzudenken.

3. Schmerz und Krankheit sind ein Teil des Geheimnisses des hier auf Erden lebenden Menschen. Sicherlich ist es richtig, gegen die Krankheit anzukämpfen, da die Gesundheit ein Geschenk Gottes ist. Es ist jedoch auch wichtig, den Heilsplan Gottes lesen zu können, wenn das Leid an unsere Türe klopft. Der »Schlüssel« zu dieser Lektüre liegt im Kreuz Christi begründet. Das menschgewordene Wort wollte unserer Schwäche entgegenkommen, indem es das Geheimnis des Kreuzes auf sich nahm. Seitdem kommt dem Leid ein möglicher Sinn zu, der es außerordentlich wertvoll werden läßt. Seit zweitausend Jahren, seit dem Tag der Passion des Herrn, erstrahlt das Kreuz als höchste Ausdrucksform der Liebe Gottes über uns Menschen. Wer es anzunehmen versteht, der wird verspüren, wie das Leid, vom Glauben erleuchtet, zu einer Quelle der Hoffnung und des Heils wird. Liebe Kranke, die ihr derzeit dazu gerufen seid, ein schweres Kreuz zu tragen, Christus sei für euch das Tor.

Er sei auch für euch das Tor, liebe Begleiter, die ihr euch um die Kranken sorgt und kümmert. Ebenso wie der barmherzige Samariter muß jeder Gläubige seine Liebe denen schenken, die Leid erfahren. Wir dürfen an denen, die vom Leid geprüft sind, nicht vorübergehen. Vielmehr müssen wir stehenbleiben, uns zu ihrem Leiden hinabbeugen und großherzig daran anteilnehmen, um somit seine Schwere und Not zu lindern.

4. Der hl. Jakobus schreibt: »Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben« (Jak 5,14–15). Wir werden diese Ermahnung des Apostels gleich auf einzigartige Weise miterleben, wenn einige von euch, liebe Kranke, das Sakrament der Krankensalbung empfangen werden. Dieses Sakrament, das seelische und körperliche Kraft schenkt, macht uns deutlich, daß Christus für den Leidenden das Tor ist, das zum Leben führt.

Liebe Kranke, dies ist der Höhepunkt eures Jubiläums! Wenn ihr die Schwelle der Heiligen Pforte überschreitet, dann vereint ihr euch mit allen, die überall auf der Welt diese Schwelle bereits überschritten haben, sowie mit allen, die sie während des Jubiläumsjahres noch überschreiten werden. Euer Gang durch die Heilige Pforte sei Ausdruck eures geistlichen Eingehens in das Geheimnis Christi, des gekreuzigten und auferstandenen Erlösers, der aus Liebe »unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen hat« (Is 53,4).

5. Die Kirche tritt in das neue Jahrtausend ein, indem sie sich das Evangelium vom Leiden, durch das uns Erlösung und Heil verkündigt wird, zu Herzen nimmt. Ihr, liebe kranke Brüder und Schwestern, seid einzigartige Zeugen dieses Evangeliums. Das dritte Jahrtausend verlangt von den leidenden Christen dieses Zeugnisgeben. Es erwartet sie auch von euch, ihr Angestellten im Krankendienst, die ihr auf unterschiedliche Art und Weise für und mit den Kranken eine so bedeutsame und wertvolle, ja äußerst wertvolle Sendung übernehmt.

Einem jeden von euch wende die Unbefleckte Jungfrau sich zu, die die Menschen in Lourdes besucht hat, woran wir uns heute voller Freude und Dankbarkeit erinnern. In der Grotte von Massabielle vertraute sie der hl. Bernadette eine Botschaft an, die uns zur Mitte des Evangeliums führt: zur Umkehr und Buße, zum Gebet und zur vertrauensvollen Hingabe in die Hand Gottes.

240 Gemeinsam mit Maria, der Jungfrau der Heimsuchung, erheben auch wir zum Herrn unser »Magnificat«, diesen Gesang der Hoffnung aller Armen, Kranken und Leidenden der Welt, die vor Freude jubeln, weil sie darum wissen, daß ihr Gott als Erlöser bei ihnen ist.

Zusammen mit der allerseligsten Jungfrau Maria rufen wir aus: »Meine Seele preist die Größe des Herrn!«, und wir lenken unsere Schritte zur wahren Pforte des Jubiläums: zu Jesus Christus, derselbe gestern, heute und in Ewigkeit!



FEST DER KATHEDRA PETRI HEILIGJAHRFEIER DER RÖMISCHEN KURIE


Dienstag, 22. Februar 2000

1.»Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen« (Mt 16,18).

Wir haben als Pilger die Heilige Pforte der Vatikanbasilika durchschritten, und nun lenkt das Wort Gottes unsere Aufmerksamkeit auf das, was Christus zu Petrus und über Petrus gesagt hat.

Wir sind um den Confessio-Altar versammelt, der über dem Grab des Apostels errichtet wurde, und unsere Gemeinde wird von jener besonderen Dienstgemeinschaft gebildet, die sich die Römische Kurie nennt. Das »ministerium petrinum« [das »Petrusamt«], d.h. der dem Bischof von Rom eigene Dienst, an dem jeder von euch in seinem Arbeitsbereich gerufen ist, mitzuarbeiten, vereinigt uns in einer einzigen Familie und inspiriert unser Gebet bei dem feierlichen Anlaß, den die Römische Kurie heute feiert, das Fest der Kathedra Petri.

Wir alle, und an erster Stelle ich selbst, sind tief berührt von den Worten des Evangeliums, die soeben verkündet wurden: »Du bist der Messias … Du bist Petrus« (Mt 16,16 Mt 16,18). In dieser Basilika, am Ort des Gedenkens des Martyriums des Fischers aus Galiläa, widerhallen sie mit besonderer Beredsamkeit, gesteigert durch die intensive geistliche Atmosphäre des Zweitausendjahr-Jubiläums der Menschwerdung.

2. »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16 Mt 16): Das ist das Glaubensbekenntnis des Apostelfürsten. Das ist auch das Bekenntnis, das wir heute erneuern, verehrte Mitbrüder, Kardinäle, Bischöfe und Priester, gemeinsam mit euch allen, liebe Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien, die ihr eure geschätzte Mitarbeit im Bereich der Römischen Kurie leistet. Wir wiederholen die lichtvollen Worte des Apostels mit besonderer Ergriffenheit an diesem Tag, an dem wir unser spezielles Jubiläum feiern.

Und die Antwort Christi ertönt kraftvoll in unserem Herzen: »Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen« (Mt 16,18). Der Evangelist Johannes bezeugt, daß schon bei der ersten Begegnung, als sein Bruder Andreas ihn zu Jesus führte, dieser dem Simon den Namen »Kephas« gab (vgl. ). Der Bericht des Matthäus hingegen verleiht dieser Geste Jesu größte Bedeutung. Er setzt sie nämlich an eine zentrale Stelle der messianischen Sendung Jesu, der hier die Bedeutung des Namens »Petrus« erklärt und mit dem Aufbau der Kirche in Zusammenhang bringt.

»Du bist der Messias«: Auf diesem Glaubensbekenntnis des Petrus und der darauffolgenden Erklärung Jesu: »Du bist Petrus« ist die Kirche gegründet. Ein unbesiegbares Fundament, das die Mächte des Bösen nicht zerstören können: Garant dafür ist der »Vater im Himmel« (Mt 16,17). Die Kathedra Petri, die wir heute feiern, stützt sich nicht auf menschliche Sicherheiten – »Fleisch und Blut« –, sondern auf Christus, den Eckstein. Und auch wir fühlen uns wie Simon »selig«, denn wir wissen, daß wir uns nur des ewigen und voraussehenden Planes Gottes rühmen können.

3. »Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern« (Ez 34,11). Die erste Lesung aus der berühmten Weissagung des Propheten Ezechiel über die Hirten Israels weist deutlich auf den pastoralen Charakter des Petrusamtes hin. Es ist der Charakter, der wiederum die Natur und den Dienst der Römischen Kurie bestimmt, deren Sendung gerade darin besteht, mit dem Nachfolger Petri zusammenzuarbeiten bei der ihm von Christus anvertrauten Aufgabe, seine Herde zu weiden. »Jetzt will ich meine Schafe selber […] auf die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen« (Ez 34,11 Ez 34,15). »Ich selber«: Das sind die wichtigsten Worte. Sie drücken in der Tat die Entschlossenheit aus, mit der Gott die Initiative ergreifen und sich in erster Person um sein Volk kümmern will. Wir wissen, daß die Verheißung – »Ich selber« – Wirklichkeit geworden ist. Sie ist in Erfüllung gegangen in der Fülle der Zeit, als Gott seinen Sohn, den Guten Hirten, gesandt hat, die Herde zu weiden »in der Kraft des Herrn, im hohen Namen […] Gottes« (Mi 5,3). Er hat ihn gesandt, die verstreuten Kinder Gottes zu sammeln und sich als Lamm hinzugeben, sanftes Sühneopfer auf dem Altar des Kreuzes.

241 Das ist das Vorbild des Hirten, das Petrus und die anderen Apostel kennen und nachahmen lernten, als sie bei Jesus waren und an seinem messianischen Dienst teilnahmen (vgl. ). Den Widerhall dessen vernimmt man in der zweiten Lesung, in der Petrus sich als »ein Zeuge der Leiden Christi« bezeichnet, der »auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird« (1P 5,1). Der Hirt Petrus ist ganz geprägt vom Hirten Jesus und der Dynamik seines Passah. Das »Petrusamt« wurzelt in dieser einzigartigen Gleichgestaltung Petri und seiner Nachfolger mit Christus, eine Gleichgestaltung, die in einem besonderen Charisma der Liebe ihre Grundlage hat: »Liebst du mich mehr als diese? […] Weide meine Lämmer!« (Jn 21,15).

4. Bei einer Gelegenheit wie der heutigen Feier kann der Nachfolger Petri nicht vergessen, was vor dem Leiden Christi geschah – am Ölberg, nach dem Letzten Abendmahl. Keiner der Apostel schien sich darüber Rechenschaft zu geben, was als nächstes geschehen würde und was Jesus sehr gut wußte: Er wußte, daß er sich dorthin begeben würde, um zu wachen und zu beten und sich so vorzubereiten auf »seine Stunde«, die Stunde des Todes am Kreuz.

Er hatte zu den Aposteln gesagt: »Ihr werdet alle (an mir) Anstoß nehmen und zu Fall kommen; denn in der Schrift steht: Ich werde den Hirten erschlagen, dann werden sich die Schafe zerstreuen« (Mc 14,27). Und Petrus hatte entgegnet: »Auch wenn alle (an dir) Anstoß nehmen – ich nicht!« (Mc 14,27). Darauf Jesus: »Amen, ich sage dir: Noch heute nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen« (Mc 14,30). »Und wenn ich mit dir sterben müßte – ich werde dich nie verleugnen« (Mc 14,31), hatte Petrus entschlossen beteuert, und mit ihm die anderen Apostel. Und Jesus: »Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder« ().

Hier haben wir das Versprechen Christi, das uns tröstliche Gewißheit ist: Das Petrusamt ist nicht auf menschliche Fähigkeiten und Kräfte gegründet, sondern auf das Gebet Christi, der den Vater darum bittet, daß der Glaube des Simon »nicht erlischt« (Lc 22,32). Wenn er sich dann »wieder bekehrt« hat, kann Petrus seinen Dienst unter den Brüdern ausführen. Die Bekehrung des Apostels – wir können fast sagen: seine zweite Bekehrung – bildet so den entscheidenden Abschnitt auf seinem Weg der Nachfolge des Herrn.

5. Liebe Brüder und Schwestern, die ihr an dieser Jubiläumsfeier der Römischen Kurie teilnehmt, die Worte Christi an Petrus dürfen uns niemals aus dem Gedächtnis verschwinden. Unser Durchschreiten der Heiligen Pforte, um die Gnade des Großen Jubiläums zu erlangen, muß von einem tiefen Geist der Umkehr getragen sein. Dabei ist gerade die Geschichte des Petrus uns hilfreich, seine Erfahrung der menschlichen Schwäche, die ihn kurz nach dem eben erwähnten Gespräch mit Jesus dazu gebracht hat, die mit so großem Beteuern gemachten Versprechungen zu vergessen und seinen Herrn zu verleugnen. Trotz seiner Sünde und seiner Grenzen hat Christus ihn gewählt und zu einer so hohen Aufgabe berufen: das Fundament der sichtbaren Einheit der Kirche zu sein und seine Brüder im Glauben zu stärken.

Entscheidend an der Begebenheit war das, was in der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag der Passion geschah. Christus, der aus dem Haus des Hohenpriesters herausgeführt wurde, sah Petrus in die Augen. Der Apostel, der ihn soeben dreimal verleugnet hatte, begriff, von diesem Blick getroffen, auf einmal alles. Ihm kamen die Worte des Meisters wieder in den Sinn, er fühlte sein Herz durchbohrt. »Und er ging hinaus und weinte bitterlich« (Lc 22,62).

Die Tränen des Petrus mögen uns im Innersten betroffen machen und uns so zu einer wahren inneren Reinigung bewegen. »Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder« (Lc 5,8), hatte er eines Tages nach dem wunderbaren Fischfang ausgerufen. Machen wir uns diesen Ausruf des Petrus zu eigen, liebe Brüder und Schwestern, während wir unser heiliges Jubiläum feiern. Christus wird auch für uns – so hoffen wir mit demütiger Zuversicht – seine Wunder neu werden lassen: Er wird uns im Übermaß seine heilende Gnade gewähren und neue wunderbare Fischgründe erschließen, reich an Verheißungen für die Sendung der Kirche im dritten Jahrtausend.

Heilige Jungfrau, du hast die ersten Schritte der entstehenden Kirche mit dem Gebet begleitet: Wache über unseren Jubiläumsweg. Erbitte uns, daß wir wie Petrus die stete Hilfe Christi erfahren. Hilf uns, unsere Sendung im Dienst des Evangeliums in Treue und Freude zu leben in der Erwartung der Wiederkunft in Herrlichkeit des Herrn Christus Jesus, derselbe gestern, heute und in Ewigkeit.



GEDÄCHTNISFEIER FÜR ABRAHAM, "VATER ALLER GLÄUBIGEN"

23. Februar 2000

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1.»Ich bin der Herr, der dich aus Ur in Chaldäa herausgeführt hat, um dir dieses Land zu eigen zu geben […] An diesem Tag schloß der Herr mit Abram folgenden Bund: Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land vom Grenzbach Ägyptens bis zum großen Strom, dem Eufrat« (
Gn 15,7 Gn 15,18).

Noch bevor Mose auf dem Berg Sinai die berühmten Worte Jahwes hörte: »Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus« (Ex 20,2), hatte der Patriarch Abraham schon folgende Worte vernommen: »Ich bin der Herr, der dich aus Ur in Chaldäa herausgeführt hat.« Deshalb müssen wir in Gedanken zu diesem in der Geschichte des Gottesvolkes so bedeutenden Ort aufbrechen, um dort nach den allerersten Anfängen des Bundes Gottes mit dem Menschen zu suchen. Das ist der Grund, warum wir in diesem Jubiläumsjahr im Herzen zum Beginn des Bundes Gottes mit der Menschheit zurückgehen und dabei unseren Blick auf Abraham und auf die Stadt richten, wo er den Ruf Gottes aufnahm und mit dem Gehorsam des Glaubens beantwortete. Mit uns schauen auch die Juden und Muslime auf die Gestalt Abrahams als Vorbild bedingungsloser Unterwerfung unter den Willen Gottes (vgl. Nostra aetate NAE 3).

Der Autor des Hebräerbriefs schreibt: »Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde« (He 11,8). Ja: Abraham, den der Apostel Paulus als »unseren Vater im Glauben« bezeichnet (vgl. ), glaubte an Gott und vertraute auf Den, der ihn berufen hatte. Er glaubte an die Verheißung. Gott sagte zu Abraham: »Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein […] Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen« (). Ging es hier vielleicht um die Fährte einer der vielen für jenes Zeitalter typischen Völkerwanderungen, als die Viehzucht eine der wesentlichen Formen des Wirtschaftslebens war? Das ist wahrscheinlich. Gewiß ist allerdings, daß es nicht nur darum ging. In der Lebensgeschichte Abrahams, von der die Heilsgeschichte ihren Ausgang nahm, können wir schon eine andere Bedeutung der Berufung und der Verheißung erkennen. Das Land, zu dem sich der von Gottes Stimme geleitete Mann aufmacht, gehört nicht ausschließlich zu der Geographie dieser Welt. Abraham, der Gläubige, nimmt die Einladung Gottes an und bricht in ein Gelobtes Land auf, das nicht dem Diesseits angehört.

2. Im Hebräerbrief lesen wir: »Aufgrund des Glaubens brachte Abraham den Isaak dar, als er auf die Probe gestellt wurde, und gab den einzigen Sohn dahin, er, der die Verheißungen empfangen hatte und zu dem gesagt worden war: Durch Isaak wirst du Nachkommen haben« (). Das ist der Höhepunkt von Abrahams Glauben. Abraham wird von dem Gott auf die Probe gestellt, dem er sein Vertrauen geschenkt hatte, von dem Gott, der ihm für die ferne Zukunft verheißen hatte: »Durch Isaak wirst du Nachkommen haben« (He 11,18). Er wird aber aufgefordert, Gott als Opfer eben diesen Isaak darzubringen, seinen einzigen Sohn, an dem seine ganze Hoffnung hing, die im übrigen ja der göttlichen Verheißung entsprach. Wie kann sich das Versprechen Gottes einer zahlreichen Nachkommenschaft erfüllen, wenn Isaak, der einzige Sohn, geopfert werden soll?

Durch seinen Glauben geht Abraham aus dieser Prüfung als Sieger hervor; es ist eine dramatische Prüfung, die seinen Glauben direkt in Frage stellt. »Er verließ sich darauf – so schreibt der Autor des Hebräerbriefs weiter –, daß Gott sogar die Macht hat, Tote zum Leben zu erwecken« (He 11,19). Auch in jenem menschlich tragischen Augenblick, als er schon zum Todesstoß gegen seinen Sohn bereit war, hörte Abraham nicht auf zu glauben. Im Gegenteil: Genau dann erreichte sein Glauben an die Verheißung Gottes seinen Gipfel. Er dachte: »Gott hat die Macht, sogar Tote zum Leben zu erwecken.« So dachte ein Vater, der – nach menschlicher Sicht – über jedes Maß hinaus auf die Probe gestellt wurde. Und sein Glauben, seine vollkommene Hingabe an Gott enttäuschte ihn nicht. Es steht geschrieben: »Darum erhielt er Isaak auch zurück« (He 11,19). Er erhielt Isaak zurück, weil er an Gott glaubte – bedingungslos und bis zum Äußersten.

Der Briefautor möchte hier wohl noch etwas mehr zum Ausdruck bringen: Die gesamte Erfahrung Abrahams scheint ihm gewissermaßen eine Analogie zum Heilsereignis des Todes und der Auferstehung Christi zu sein. Dieser Mensch, der an den Ursprung unseres Glaubens gesetzt wurde, gehört zum ewigen Heilsplan. Laut Überlieferung ist der Ort, wo Abraham fast seinen Sohn geopfert hätte, derselbe, an dem ein anderer, nämlich der ewige Vater, das Opfer seines eingeborenen Sohnes Jesus Christus annehmen sollte. Das Opfer Abrahams erscheint uns also als prophetische Ankündigung des Opfers Christi. »Denn Gott – so schreibt der hl. Johannes – hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab« (Jn 3,16). Der Patriarch Abraham, unser Vater im Glauben, führt, ohne es zu wissen alle Gläubigen in den ewigen Plan Gottes ein, worin sich die Erlösung der Welt vollzieht.

3. Eines Tages erklärte Christus: »Amen, amen, ich sage euch: Noch ehe Abraham wurde, bin ich« (Jn 8,58). Diese Worte verwunderten seine Zuhörer, die ihm entgegneten: »Du bist noch keine fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben?« (Jn 8,57). Wer so reagierte, argumentierte nach rein menschlichen Kriterien und akzeptierte deshalb Christi Worte nicht. »Bist du etwa größer als unser Vater Abraham? Er ist gestorben, und die Propheten sind gestorben. Für wen gibst du dich aus?« (Jn 8,53). Ihnen erwiderte Jesus: »Euer Vater Abraham jubelte, weil er meinen Tag sehen sollte. Er sah ihn und freute sich« (Jn 8,56). Die Berufung Abrahams erscheint daher als ganz auf den Tag ausgerichtet, von dem Christus spricht. Hier gelten menschliche Rechnungen nicht mehr; man muß das Maß Gottes anlegen. Nur dann können wir die rechte Bedeutung des Gehorsams Abrahams verstehen, der »gegen alle Hof fnung voll Hoffnung geglaubt hat« (vgl. Rm 4,18). Er hoffte, Vater zahlreicher Völker zu werden, und heute jubelt er gewiß mit uns, denn die Verheißung Gottes erfüllt sich durch die Jahrhunderte, von Generation zu Generation.

Der Glaube – voll Hoffnung gegen alle Hoffnung – wurde »ihm als Gerechtigkeit angerechnet« (Rm 4,22), und zwar nicht nur in bezug auf ihn selbst, sondern auch auf uns alle, seine Nachkommen im Glauben. Wir glauben an den, »der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat« (Rm 4,24); wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt (vgl. Rm 4,25). Das wußte Abraham noch nicht; durch den Gehorsam des Glaubens strebte er aber der Vollendung aller Versprechen Gottes zu, von der Hoffnung auf ihre Erfüllung beseelt. Und gibt es vielleicht ein größeres Versprechen als das, was sich im Ostergeheimnis Christi erfüllte? Im Glauben Abrahams hat Gott wahrlich einen ewigen Bund mit dem Menschengeschlecht geschlossen, und Jesus Christus ist die endgültige Erfüllung dieses Bundes. Der eingeborene Sohn des Vaters, eines Wesens mit ihm, ist Mensch geworden, um uns durch die Demütigung des Kreuzes und die Herrlichkeit der Auferstehung in das Land der Erlösung zu führen, das der barmherzige Gott der Menschheit von Anfang an verheißen hat.

4. Das unübertreffliche Vorbild für das erlöste Volk auf seinem Weg zur Erfüllung dieser universalen Verheißung ist Maria, »die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lc 1,45).

Als Tochter Abrahams nicht nur im Fleisch, sondern auch im Glauben, teilte Maria seine Erfahrung ganz persönlich. Auch sie willigte – wie Abraham – in das Opfer ihres Sohnes ein, aber während von Abraham das eigentliche Opfer Isaaks zu guter Letzt doch nicht gefordert wurde, trank Christus den Kelch des Leidens bis zum letzten Tropfen. Maria nahm persönlich an der Prüfung des Sohnes Anteil, indem sie neben dem Kreuz stehend glaubte und hoffte (vgl. Jn 19,25).

Dies war der Epilog eines langen Wartens. Durch die Meditation über die Worte der Propheten geschult, ahnte Maria, was ihr bevorstand, und in der Verherrlichung der Barmherzigkeit Gottes, der von Generation zu Generation seinem Volk treu bleibt, äußerte sie ihre Zusage zu seinem Heilsplan. Insbesondere brachte sie ihr »Ja« zum zentralen Geschehnis dieses Plans zum Ausdruck, nämlich zum Opfer jenes Kindes, das sie in ihrem Schoß trug. Auch sie akzeptierte – wie Abraham – das Opfer des Sohnes.

Heute vereinen wir unsere Stimme mit der ihren, und mit ihr, der Jungfrau und Tochter Zion, verkünden wir, daß Gott sich seines Erbarmens erinnert hat, »das er unsern Väter verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig« (Lc 1,55).



Predigten 1978-2005 236