Humanae vitae DE 21

Selbstbeherrschung

21 Sittlich geordnete Geburtenregelung aber verlangt von den Gatten vor allem eine volle Anerkennung und Wertschätzung der wahren Güter des Lebens und der Familie, ferner eine ständige Bemühung um allseitige Beherrschung ihrer selbst und ihres Trieblebens. Ganz sicher ist diese geistige Herrschaft über den Naturtrieb ohne Askese nicht möglich. Nur so vermag man die dem ehelichen Leben eigentümlichen Ausdrucksformen der Liebe in Einklang zu bringen mit der rechten Ordnung. Das gilt besonders für jene Zeiten, in denen man Enthaltsamkeit üben muß. Solche Selbstzucht, Ausdruck ehelicher Keuschheit, braucht keineswegs der Gattenliebe zu schaden; sie erfüllt sie vielmehr mit einem höheren Sinn für Menschlichkeit. Solche Selbstzucht verlangt zwar beständiges Sich-Mühen; ihre heilsame Kraft aber führt die Gatten zu einer volleren Entfaltung ihrer selbst und macht sie reich an geistlichen Gütern. Sie schenkt der Familie wahren Frieden und hilft, auch sonstige Schwierigkeiten zu meistern. Sie fördert bei den Gatten gegenseitige Achtung und Besorgtsein füreinander; sie hilft den Eheleuten, ungezügelte Selbstsucht, die der wahren Liebe widerspricht, zu überwinden, sie hebt bei ihnen das Verantwortungsbewußtsein für die Erfüllung ihrer Aufgaben. Sie verleiht den Eltern bei der Erziehung der Kinder eine innerlich begründete, wirkungsvollere Autorität: dementsprechend werden dann Kinder und junge Menschen mit fortschreitendem Alter zu den wahren menschlichen Werten die rechte Einstellung bekommen und die Kräfte ihres Geistes und ihrer Sinne in glücklicher Harmonie entfalten.

Schaffung einer für die Keuschheit gedeihlichen Atmosphäre

22 Bei dieser Gelegenheit wollen Wir die Erzieher und alle, die für das Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft verantwortlich sind, an die Notwendigkeit erinnern, ein Klima zu schaffen, das geschlechtlich zuchtvolles Verhalten begünstigt. So überwindet wahre Freiheit Ungebundenheit durch Wahrung der sittlichen Ordnung. Alle, denen der Fortschritt der menschlichen Kultur und der Schutz der wesentlichen Güter der Seele am Herzen liegt, müssen einstimmig verurteilen, was bei den modernen Massenmedien dazu beiträgt, die Sinne aufzupeitschen und Sittenverfall zu verbreiten, ebenso jede Form von Pornographie in Schrift, Wort und Darstellung. Man soll doch nicht versuchen, solche Entartung mit Berufung auf Kunst und Wissenschaft zu rechtfertigen (25) oder mit dem Hinweis auf die Freiheit, die vielleicht in diesem Bereich die staatlichen Stellen gewähren.

25) Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Dekret Inter Mirifica über die sozialen Kommunikationsmittel, Nr.
IM 6-7.

Appell an die staatlichen Behörden

23 Daher richten Wir das Wort an die Regierungen, denen vor allem die Verantwortung für den Schutz des Gemeinwohls obliegt und die soviel zur Wahrung der guten Sitten beitragen können: Duldet niemals, daß die guten Sitten eurer Völker untergraben werden; verhindert unter allen Umständen, daß durch Gesetze in die Familie, die Keimzelle des Staates, Praktiken eindringen, die zum natürlichen und göttlichen Gesetz im Widerspruch stehen. Um das Problem des Bevölkerungszuwachses zu lösen, kann und muß die staatliche Gewalt einen anderen Weg gehen: den einer weisen und vorausschauenden Familien- und Bildungspolitik, die das Sittengesetz und die Freiheit der Bürger sicherstellt. Wir wissen sehr wohl um die Schwierigkeiten, die hier die Regierungen haben, zumal in den Entwicklungsländern. Unser Verständnis für diese begründeten Sorgen beweist Unsere Enzyklika "Populorum progressio". Hier aber wiederholen Wir mit Unserem Vorgänger Johannes XXIII.: "Bei Behandlung und Lösung dieser Fragen darf der Mensch weder Wege gehen noch Mittel anwenden, die im Widerspruch zu seiner Würde stehen, wie sie von jenen ungescheut angeboten werden, die vom Menschen und seinem Leben rein materialistisch denken. Unserer Überzeugung nach läßt sich die Frage nur lösen, wenn beim wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt sowohl der einzelnen wie des ganzen Menschheitsgeschlechtes die echt menschlichen Güter und Werte geachtet und gemehrt werden (26)." Sehr zu Unrecht würde man die göttliche Vorsehung für das verantwortlich machen, was im Gegenteil eine Folge kurzsichtiger Politik ist, mangelnden Sinns für soziale Gerechtigkeit, selbstsüchtiger Bereicherung, schließlich fauler Nachlässigkeit in der Übernahme von Anstrengungen, die ein Volk mit all seinen Bürgern zu höherem Lebensstandard führen könnten (27). Möchten doch alle Verantwortlichen, auf die es ankommt - wie es einige schon ausgezeichnet tun -, immer wieder mit allen Kräften ans Werk gehen. Man darf nicht nachlassen im Eifer, sich innerhalb der großen Menschenfamilie gegenseitig zu helfen; hier öffnet sich, meinen Wir, ein schier unbegrenztes Betätigungsfeld für die großen überstaatlichen Einrichtungen.

26) Vgl. Enz. Mater et Magistra: AAS 53 (1961), S.
MM 447.
27) Vgl. Enz. Populorum Progressio, Nr. PP 48-55.

An die Wissenschaftler

24 Wir möchten nun Unsern Appell an die Männer der Wissenschaft richten, "die dem Wohl von Ehe und Familie und dem Frieden des Gewissens sehr dienen, wenn sie durch ihre gemeinsame wissenschaftliche Arbeit die Voraussetzungen für eine sittlich einwandfreie Geburtenregelung genauer zu klären versuchen (28)". Vor allem ist zu wünschen - was schon Pius XII. gesagt hat -, daß aufbauend auf dem Wissen um die natürlichen Zyklen die Medizin für eine sittlich geordnete Geburtenregelung sichere Grundlagen zu schaffen vermag (29). So werden dann die Wissenschaftler - besonders die Katholiken unter ihnen - durch ihren Beitrag beweisen, daß es so ist, wie die Kirche lehrt: daß nämlich "es keinen wahren Widerspruch geben kann zwischen den göttlichen Gesetzen hinsichtlich der Übermittlung des Lebens und dem, was echter ehelicher Liebe dient (30)".

28) Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr.
GS 52.
29) Vgl. Pius XII., Ansprache an den Kongreß des Fronte della Famiglia und der Vereinigung der kinderreichen Familien: AAS 43 (1951), S. 859.
30) Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. GS 51.

An die christlichen Eheleute

25 Nun richtet sich Unser Wort insbesondere an Unsere Söhne und Töchter, besonders an diejenigen, die Gott beruft, ihm im Ehestande zu dienen. Indem die Kirche die unumstößlichen Forderungen des göttlichen Gesetzes weitergibt, verkündet sie das Heil und schließt in den Sakramenten Wege der Gnade auf: dadurch wird der Mensch eine neue Schöpfung, die in Liebe und echter Freiheit dem erhabenen Plan seines Schöpfers und Erlösers entspricht und Sinn hat für die leichte Last Christi (31). Indem sie in Demut seiner Stimme folgen, sollen die christlichen Eheleute daran denken, daß ihre Berufung zum christlichen Leben, die in der Taufe gründet, im Sakrament der Ehe entfaltet und gefestigt wurde. So werden sie "gestärkt und gleichsam geweiht", um ihre Aufgaben treu erfüllen, ihre Berufung zur Vollendung führen und vor der Welt das ihnen aufgetragene christliche Zeugnis geben zu können (32). Diese Aufgabe hat der Herr ihnen anvertraut, damit sie den Menschen jenes heilige und doch milde Gesetz offenbar machen, das ihre gegenseitige Liebe und ihr Zusammenwirken mit der Liebe Gottes, des Urhebers menschlichen Lebens, innig vereint. Daß für das Leben christlicher Eheleute bisweilen ernste Schwierigkeiten auftreten, leugnen Wir keineswegs: denn wie für jeden von uns ist auch für sie "die Pforte eng und schmal der Weg, der zum Leben führt (33)". Dennoch wird die Hoffnung auf dieses Leben wie ein hellstrahlendes Licht ihren Weg erleuchten, wenn sie tapferen Sinnes bemüht sind, "nüchtern, gerecht und gottesfürchtig in dieser Welt zu leben (34)", wohl wissend, daß "die Gestalt dieser Welt vergeht (35)". Deshalb sollen die Eheleute die ihnen auferlegten Opfer bereitwillig auf sich nehmen, gestärkt durch den Glauben und die Hoffnung, die "nicht zuschanden werden läßt: denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ward (36)". Sie sollen ferner in inständigem Gebet die Hilfe Gottes erflehen und vor allem aus der immer strömenden Quelle der Eucharistie Gnade und Liebe schöpfen. Sollten aber Sünden ihren Weg hemmen, dann mögen sie nicht den Mut verlieren, sondern demütig und beharrlich zur Barmherzigkeit Gottes ihre Zuflucht nehmen, die ihnen im Bußsakrament in reichem Maße geschenkt wird. So können die Eheleute zu der ihnen als Gatten eigenen Vollkommenheit kommen, wie der Apostel sie kennzeichnet: "Ihr Männer, liebet eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt hat ... So sollen die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Hat doch niemand je sein eigenes Fleisch gehaßt, sondern er hegt und pflegt es wie Christus seine Kirche ... Dieses Geheimnis ist groß: ich meine im Hinblick auf Christus und die Kirche. Wohlan, so liebe jeder von euch seine Frau ebenso wie sich selbst; die Frau aber stehe in Ehrfurcht zum Manne (37)."

31) Vgl.
Mt 11,30.
32) Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. GS 48; Dogm. Konst.Lumen Gentium, Nr. LG 35.
33) Mt 7,14; vgl. He 12,11.
34) Vgl. Tt 2,12.
35) Vgl. 1Co 7,31.
36) Vgl. Rm 5,5.
37) Ep 5,25 Ep 5,28-29 Ep 5,32-33.

Familienapostolat

26 Eine der edelsten Früchte, die aus dem unentwegten Bemühen der Eheleute um die Befolgung des göttlichen Gesetzes heranreift, ist der häufige Wunsch der Eheleute, andere an ihrer Erfahrung teilhaben zu lassen. So fügt sich dem weiten Bereich der Laienberufung ein neues Apostolat ausgezeichneter Art ein: der Dienst jener aneinander, die in gleicher Situation stehen: die Eheleute übernehmen für andere Eheleute, denen gegenüber sie sich als Führer erweisen, eine apostolische Aufgabe. Das scheint heute eine besonders zeitgemäße Form des Apostolates zu sein (38).

38) Vgl. Dogm. Konst. Lumen Gentium, Nr.
LG 35 und LG 41; Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. GS 48-49; 2. Vatikanisches Konzil, Dekret Apostolicam Actuositatem, Nr. AA 11.

An die Ärzte und ihre Helfer


27 Große Hochachtung zollen Wir den Ärzten und ihren Helfern, die in der Ausübung ihres Berufes mehr darauf schauen, was ein christliches Berufsethos von ihnen fordert als auf rein menschliche Interessen. Sie mögen beharrlich bei dem Vorsatz bleiben, sich für die Lösungen einzusetzen, die dem Glauben und der Vernunft entsprechen; sie mögen sich auch bemühen, ihre Berufskollegen für die gleiche Einstellung zu gewinnen. Zudem sollen sie es als besondere Aufgabe ihres Berufes betrachten, sich das notwendige Wissen zu erwerben, um in diesem schwierigen Bereich Eheleute, die zu ihnen kommen, recht beraten und ihnen verantwortbare Wege zeigen zu können, wie es mit Fug und Recht von ihnen erwartet wird.

An die Priester


28 Liebe Priester, liebe Söhne! Durch euren heiligen Beruf seid ihr Berater und geistliche Führer der einzelnen Menschen wie der Familien. Voll Vertrauen möchten Wir Uns an euch wenden. Eure Pflicht ist es ja - Unser Wort gilt besonders den Lehrern der Moraltheologie -, die kirchliche Ehelehre unverfälscht und offen vorzulegen. Gebt an erster Stelle ihr bei der Ausübung eures Amtes das Beispiel aufrichtigen Gehorsams, der innerlich und nach außen dem kirchlichen Lehramt zu leisten ist. Wie ihr wohl wißt, verpflichtet euch dieser Gehorsam nicht so sehr wegen der beigebrachten Beweisgründe, als wegen des Lichtes des Heiligen Geistes, mit dem besonders die Hirten der Kirche bei der Darlegung der Wahrheit ausgestattet sind (39). Ihr wißt auch, daß es zur Wahrung des inneren Friedens der einzelnen und der Einheit des christlichen Volkes von größter Bedeutung ist, daß in Sitten- wie in Glaubensfragen alle dem kirchlichen Lehramt gehorchen und die gleiche Sprache sprechen. Deshalb machen Wir Uns die eindringlichen Worte des großen Apostels Paulus zu eigen und appellieren erneut an euch aus ganzem Herzen: "Ich ermahne euch, Brüder, ... daß Ihr alle in Eintracht redet; keine Parteiungen soll es unter euch geben, vielmehr sollt ihr im gleichen Sinn und in gleicher Überzeugung zusammenstehen (40)."

39) Vgl. Dogm. Konst. Lumen Gentium, Nr.
LG 25.
40) Vgl. 1Co 1,10.


29 Ferner, wenn nichts von der Heilsiehre Christi zu unterschlagen eine hervorragende Ausdrucksform der Liebe ist, so muß dies immer mit Duldsamkeit und Liebe verbunden sein; dafür hat der Herr selbst durch sein Wort und Werk den Menschen ein Beispiel gegeben. Denn obwohl er gekommen war; nicht um die Welt zu richten, sondern zu retten (41), war er zwar unerbittlich streng gegen die Sünde, aber geduldig und barmherzig gegenüber den Sündern. Bei ihren Schwierigkeiten und Nöten sollten die Eheleute im Wort und im mitfühlenden Herzen des Priesters ein Echo der Stimme und der Liebe unseres Erlösers finden. Redet mit Zuversicht, liebe Söhne, überzeugt, daß der Heilige Geist, welcher dem Lehramt bei der Darlegung der rechten Lehre beisteht, die Herzen der Gläubigen erleuchtet und sie zur Zustimmung einlädt. Es geht nicht ohne Gebet. Lehrt es die Eheleute; unterweist sie, daß sie oft, mit großem Glauben, zu den Sakramenten der Eucharistie und der Buße kommen und niemals wegen ihrer Schwachheit den Mut verlieren.

41) Vgl.
Jn 3,17.

An die Bischöfe

30 Liebe und ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! Am Ende dieses Rundschreibens wenden Wir Uns in Ehrerbietung und Liebe an euch. Mit euch teilen Wir besonders eng die Sorgen um das geistliche Wohl des Gottesvolkes. An euch richtet sich Unsere dringende Bitte: Setzt euch, an der Spitze eurer Mitarbeiter, der Priester, und eurer Gläubigen restlos und unverzüglich ein für Schutz und Heiligkeit der Ehe; dafür, daß damit das Leben in der Ehe zu menschlicher und christlicher Vollendung kommt. Das sollt ihr als die größte und verantwortungsvollste Aufgabe ansehen, die euch heute anvertraut ist. Ihr wißt sehr wohl, daß dieser Hirtendienst eine gewisse Abstimmung der pastoralen Bemühungen aufeinander erfordert, die alle Bereiche menschlichen Tuns umfaßt: den wirtschaftlichen, den der Bildung und den gesellschaftlichen. Gleichzeitiger Fortschritt auf allen diesen Gebieten wird das Leben von Eltern und Kindern in der Familie erträglicher, leichter und froher machen. Bei ehrfürchtiger Wahrung von Gottes Plan mit der Welt wird auch das Leben der menschlichen Gesellschaft durch brüderliche Liebe reicher und durch wahren Frieden gesicherter werden.

SCHLUSSWORT


31 Euch, ehrwürdige Brüder, liebe Söhne und Töchter, und euch alle, Menschen guten Willens, rufen Wir auf zu einem wahrhaft großen Werk der Erziehung und des Fortschritts und der Liebe. Wir stützen Uns dabei auf die feste Lehre der Kirche, die der Nachfolger des heiligen Petrus, gemeinsam mit den Brüdern im katholischen Bischofsamt, treu bewahrt und auslegt. Dieses wahrhaft große Werk, davon sind Wir fest überzeugt, gereicht sowohl der Welt wie der Kirche zum Segen. Nur wenn der Mensch sich an die von Gott in seine Natur eingeschriebenen und darum weise und liebevoll zu achtenden Gesetze hält, kann er zum wahren, sehnlichst erstrebten Glück gelangen. Für dieses große Werk erflehen Wir nicht nur euch allen, sondern besonders den Eheleuten, vom allheiligen und allbarmherzigen Gott die Fülle himmlischer Gnade und erteilen euch als deren Unterpfand von Herzen Unseren Apostolischen Segen.

Rom, bei St. Peter, am 25. Juli, am Fest des heiligen Apostels Jakobus 1968, im sechsten Jahre Unseres Pontifikats.

PAUL PP. VI.





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