Pacem in terris DE


ENZYKLIKA

PACEM IN TERRIS

RUNDSCHREIBEN UNSERES HEILIGEN VATERS

JOHANNES PP. XXIII.

AN DIE EHRWÜRDIGEN BRÜDER, DIE PATRIARCHEN,

PRIMATEN, ERZBISCHÖFE, BISCHÖFE

UND DIE ANDEREN OBERHIRTEN,

DIE IN FRIEDEN UND GEMEINSCHAFT

MIT DEM APOSTOLISCHEN STUHL LEBEN,

AN DEN KLERUS UND DIE CHRISTGLÄUBIGEN

DES GANZEN ERDKREISES

SOWIE AN ALLE MENSCHEN GUTEN WILLENS:

ÜBER DEN FRIEDEN UNTER ALLEN VÖLKERN

IN WAHRHEIT, GERECHTIGKEIT,

LIEBE UND FREIHEIT



EINLEITUNG



Die Ordnung im Universum

Ehrwürdige Brüder, geliebte Söhne Gruß und apostolischen Segen!


1 Der Friede auf Erden, nach dem alle Menschen zu allen Zeiten sehnlichst verlangten, kann nur dann begründet und gesichert werden, wenn die von Gott gesetzte Ordnung gewissenhaft beachtet wird.

Aus den Fortschritten der Wissenschaften und den Erfindungen der Technik ersehen wir deutlich, daß in den Lebewesen und in den Naturkräften eine wunderbare Ordnung herrscht, und auch, daß der Mensch gewürdigt wird, die Ordnung zu entdecken und geeignete Werkzeuge anzufertigen, um sich dieser Kräfte zu bemächtigen und sie zu seinem Nutzen zu gebrauchen.


2 Aber der Fortschritt der Wissenschaften und die Erfindungen der Technik offenbaren vor allem die unendliche Größe Gottes, der die Gesamtheit der Dinge und den Menschen selbst erschuf. Er schuf, so sagen Wir, aus dem Nichts die Gesamtheit der Dinge und verschwendete auf sie die Fülle seiner Weisheit und Güte. Daher lobt der Psalmist Gott mit den Worten "Herr, Herr, wie wunderbar ist dein Name auf dem ganzen Erdenrund" (Ps 8,2); und an einer anderen Stelle: "Wie zahlreich sind deine Werke, Herr! Mit Weisheit hast du sie alle mit gemacht" (Ps 104,24). Den Menschen aber schuf Gott "nach seinem Bild und Gleichnis" (vgl. Gen Gn 1,26), ausgestattet mit Verstand und Freiheit, und bestellte ihn zum Herrn aller Dinge, wie der Psalmist es bekennt: "Du hast ihn nur wenig unter die Engel gestellt, mit Ruhm und Ehre ihn gekrönt; du hast ihm Macht verliehen über deiner Hände Werk, alles hast du ihm zu Füßen gelegt" (Ps 8,6 f.).


3 Zu der vorzüglichen Ordnung des Universums steht nun aber die Unordnung unter den einzelnen wie unter den Völkern in krassem Widerspruch, wie wenn die Beziehungen, die sie untereinander verbinden, nur mit Gewalt geregelt werden könnten.

Jedoch hat der Schöpfer der Welt die Ordnung ins Innere des Menschen eingeprägt; sein Gewissen tut sie ihm kund und befiehlt ihm unbedingt, sie einzuhalten: "Sie lassen erkennen, daß der Inhalt des Gesetzes ihren Herzen eingeschrieben ist, indem ihnen ihr Gewissen Zeugnis gibt" (
Rm 2,15). Wie könnte es auch anders sein? Denn was Gott auch immer gemacht hat, das offenbart seine unendliche Weisheit, und zwar um so klarer, je größer die Vollkommenheit ist, deren es sich erfreut (vgl. Ps Ps 18,8-11).

Die Ordnung in der Natur des Menschen


4 Eine falsche Ansicht gibt jedoch häufig Anlaß zu einem Irrtum. Viele meinen, die Beziehungen, die zwischen den einzelnen Menschen und dem Staat bestehen, könnten durch dieselben Gesetze geregelt werden, durch welche die vernunftlosen Kräfte und Elemente des Universums gelenkt werden. Diese Gesetze aber, die von ganz anderer Art sind, können selbstverständlich nur dort entnommen werden, wo sie der Schöpfer aller Dinge eingeschrieben hat, nämlich aus der Natur der Menschen,

Durch diese Gesetze werden die Menschen deutlich belehrt, wie sie ihre gegenseitigen Beziehungen im Zusammenleben mit anderen Menschen gestalten sollen; wie die Beziehungen zu regeln sind, die zwischen den Staatsbürgern und den staatlichen Behörden bestehen; ferner, wie die Staaten einander begegnen sollen; schließlich, in welcher Weise die einzelnen Menschen und Staaten und anderseits die Gemeinschaft aller Völker sich gegeneinander zu verhalten haben. Daß diese Gemeinschaft endlich gegründet werde, ist heute ein dringendes Erfordernis des allgemeinen Wohls.

I.

DIE ORDNUNG UNTER DEN MENSCHEN

Jeder Mensch ist seinem Wesen nach Person mit Rechten und Pflichten


5 Jedem menschlichen Zusammenleben, das gut geordnet und fruchtbar sein soll, muß das Prinzip zugrunde liegen, daß jeder Mensch seinem Wesen nach Person ist. Er hat eine Natur, die mit Vernunft und Willensfreiheit ausgestattet ist; er hat daher aus sich Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Weil sie allgemein gültig und unverletzlich sind, können sie auch in keiner Weise veräußert werden (vgl. Pius XII.,Weihnachtsbotschaft 1942).

Wenn wir die Würde der menschlichen Person nach den Offenbarungswahrheiten betrachten, müssen wir sie noch viel höher einschätzen. Denn die Menschen sind ja durch das Blut Jesu Christi erlöst, durch die himmlische Gnade Kinder und Freunde Gottes geworden und zu Erben der ewigen Herrlichkeit eingesetzt.

Die Rechte


Das Recht auf Leben und Lebensunterhalt


6 Bezüglich der Menschenrechte, die Wir ins Auge fassen wollen, stellen Wir gleich zu Beginn fest, daß der Mensch das Recht auf Leben hat, auf die Unversehrtheit des Leibes sowie auf die geeigneten Mittel zu angemessener Lebensführung. Dazu gehören Nahrung, Kleidung, Wohnung, Erholung, ärztliche Behandlung und die notwendigen Dienste, um die sich der Staat gegenüber den einzelnen kümmern muß. Daraus folgt auch, daß der Mensch ein Recht auf Beistand hat im Falle von Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter, Arbeitslosigkeit oder wenn er ohne sein Verschulden sonst der zum Leben notwendigen Dinge entbehren muß (vgl. Pius XI., Enz. Divini Redemptoris).

Moralische und kulturelle Rechte


7 Von Natur aus hat der Mensch außerdem das Recht, daß er gebührend geehrt und sein guter Ruf gewahrt wird, daß er frei nach der Wahrheit suchen und unter Wahrung der moralischen Ordnung und des Allgemeinwohls seine Meinung äußern, verbreiten und jedweden Beruf ausüben darf; daß er schließlich der Wahrheit entsprechend über die öffentlichen Ereignisse in Kenntnis gesetzt wird.

Zugleich steht es dem Menschen kraft des Naturrechtes zu, an der geistigen Bildung teilzuhaben, d.h. also auch das Recht, sowohl eine Allgemeinbildung als auch eine Fach- und Berufsausbildung zu empfangen, wie es der Entwicklungsstufe des betreffenden Staatswesens entspricht. Man muß eifrig darauf hinarbeiten, daß Menschen mit entsprechenden geistigen Fähigkeiten zu höheren Studien aufsteigen können, und zwar so, daß sie, wenn möglich, in der menschlichen Gesellschaft zu Aufgaben und Ämtern gelangen, die sowohl ihrer Begabung als auch der Kenntnis entsprechen, die sie sich erworben haben (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942).

Das Recht auf Gottesverehrung


8 Zu den Menschenrechten gehört auch das Recht, Gott der rechten Norm des Gewissens entsprechend zu verehren und seine Religion privat und öffentlich zu bekennen. Denn wie Lactantius treffend sagt, "werden wir mit der Bestimmung geboren, Gott, unserm Schöpfer, den gerechten und schuldigen Gehorsam zu erweisen; ihn allein sollen wir anerkennen, ihm folgen. Durch dieses Band der Frömmigkeit sind wir Gott verpflichtet und verbunden; und daher hat auch die Religion ihren Namen" (Divinae Institutiones IV, 28, 2). Zur gleichen Sache stellte Unser Vorgänger unsterblichen Andenkens Leo XIII. nachdrücklich fest: "Diese wahre und der Kinder Gottes würdige Freiheit, welche die Würde der menschlichen Person in vornehmster Weise schützt, ist größer als alle Gewalt und alles Unrecht; sie ist der Kirche immer ein Anliegen und besonders teuer. Diese Art von Freiheit haben die Apostel ständig für sich in Anspruch genommen, die Apologeten in den Schriften unverbrüchlich festgelegt, die Martyrer in unermeßlicher Zahl durch ihr Blut geheiligt" (Leo XIII., Enz. Libertas praestantissimum).

Das Recht auf freie Wahl des Lebensstandes


9 Darüber hinaus haben die Menschen das unantastbare Recht, jenen Lebensstand zu wählen, den sie für gut halten, d.h. also, entweder eine Familie zu gründen, wobei in dieser Gründung Mann und Frau gleiche Rechte und Pflichten haben, oder das Priestertum oder den Ordensstand zu ergreifen (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942).

Die Familie, die auf der Ehe ruht, die selbstverständlich frei geschlossen, eins und unauflöslich ist, muß als die erste und natürliche Keimzelle der menschlichen Gesellschaft angesehen werden. Daraus folgt, daß für sie sowohl auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet als auch in kultureller und sittlicher Hinsicht möglichst gut gesorgt werden muß. Dies alles dient dazu, die Familie zu festigen und in der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen.

Pflege und Erziehung der Kinder aber sind an erster Stelle das Recht der Eltern (vgl. Pius XI., Enz. Casti connubii).

Rechte in wirtschaftlicher Hinsicht


10 Wenn Wir Uns nun dem Bereich der Wirtschaft zuwenden, so ergibt sich für den Menschen auf Grund des Naturrechtes nicht nur, daß ihm Arbeitsmöglichkeit gegeben werden muß, sondern auch, daß er seine Arbeit frei übernimmt (vgl. Pius XII., Pfingstbotschaft 1941).

Mit diesen Rechten ist ohne Zweifel auch das Recht auf solche Arbeitsbedingungen verbunden, unter denen weder die Körperkräfte geschwächt noch die guten Sitten zugrunde gerichtet werden, noch dem rechten Wachsen und Gedeihen der Jugendlichen Schaden zugefügt wird. Bezüglich der Frauen gilt, daß ihnen solche Arbeitsbedingungen zugestanden werden, die den Bedürfnissen und Pflichten der Ehefrauen und Mütter entsprechen (vgl. Leo XIII., Enz. Rerum Novarum).

Aus der Würde der menschlichen Person entspringt auch das Recht, im Bewußtsein eigener Verantwortung wirtschaftliche Unternehmungen zu betreiben (vgl. Johannes XXIII., Enz. Mater et Magistra ). Hier muß auch erwähnt werden, daß der Arbeiter Anspruch auf gerechten Lohn hat. Er muß im Verhältnis zu den zur Verfügung stehenden Mitteln dem Arbeiter und seiner Familie eine menschenwürdige Lebenshaltung gestatten. Darüber sagt Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII.: "Der naturgegebenen persönlichen Arbeitspflicht entspricht folgerichtig das naturgegebene persönliche Recht, durch Arbeit für das eigene Leben der Seinen Vorsorge zu treffen. So ist der Befehl der Natur auf das erhabene Ziel der Erhaltung des Menschen hingeordnet" (vgl. Pius XII., Pfingstbotschaft 1941). Ferner leitet sich aus der Natur des Menschen das Recht auf Privateigentum, auch an Produktivgütern, her. Dieses Recht, wie Wir an anderer Stelle gesagt haben, "schützt in wirksamer Weise die Würde der menschlichen Person und erleichtert die Ausübung der beruflichen Verantwortung in allen Lebensbereichen. Es fördert die Ruhe und Beständigkeit des menschlichen Zusammenlebens in der Familie und fördert den inneren Frieden und die Wohlfahrt des Landes" (vgl. ebd.).

Schließlich ist es angebracht, zu bemerken, daß das Recht auf Eigentum zugleich eine soziale Funktion einschließt (vgl. Johannes XXIII., Enz. Mater et Magistra ).

Recht auf Gemeinschaftsbildung


11 Daraus aber, daß die Menschen von Natur aus gemeinschaftsbezogen sind, entsteht das Recht der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Sie können den Gemeinschaftsgründungen die Form geben, die sie für die geeignetere halten, um das Ziel zu erreichen, das sie sich gesteckt haben, und in diesen Gemeinschaften aus eigenem Antrieb und aus eigener Verantwortung handeln und diese zum gewünschten Ziel hinlenken (vgl. Leo XIII., Enz. Rerum Novarum).

In der Enzyklika Mater et magistra haben Wir selbst sehr eindringlich darauf hingewiesen, wie sehr es nottut, daß recht viele Vereinigungen oder Körperschaften, die zwischen Familie und Staat stehen, gegründet werden, die den Zwecken genügen, die der einzelne Mensch nicht wirksam erreichen kann. Diese Vereinigungen und Körperschaften sind als überaus notwendige Instrumente zu betrachten, um die Würde und Freiheit in Hinblick auf die Wahrung ihrer Eigenverantwortlichkeit zu schützen (vgl. Mater et Magistra ).

Recht auf Auswanderung und Einwanderung


12 Jedem Menschen muß das Recht zugestanden werden, innerhalb der Grenzen seines Staates seinen Wohnsitz zu behalten oder zu ändern; ja, es muß ihm auch erlaubt sein, sofern gerechte Gründe dazu raten, in andere Staaten auszuwandern und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1952). Auch dadurch, daß jemand Bürger eines bestimmten Staates ist, hört er in keiner Weise auf, Mitglied der Menschheitsfamilie und Bürger jener universalen Gesellschaft und jener Gemeinschaft aller Menschen zu sein.

Rechte politischen Inhalts


13 Dazu kommt, daß mit der Würde der menschlichen Person das Recht verknüpft ist, am öffentlichen Leben aktiv teilzunehmen und zum Gemeinwohl beizutragen. Dazu sagte Unser Vorgänger Pius XII.: "Weit entfernt, nur Gegenstand und gleichsam ein passives Element des sozialen Lebens zu sein, ist und muß er vielmehr dessen Träger, Grundlage und Ziel sein" (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1944).

Zur menschlichen Person gehört auch der gesetzliche Schutz ihrer Rechte, der wirksam und unparteiisch sein muß in Übereinstimmung mit den wahren Normen der Gerechtigkeit, wie Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII. mahnt:

"Aus der gottgesetzten Rechtsordnung ergibt sich das unveräußerliche Recht des Menschen auf Rechtssicherheit und damit auf einen greifbaren Rechtsbereich, der gegen jeden Angriff der Willkür geschützt ist" (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942).

Die Pflichten

Unauflösliche Beziehung zwischen Rechten und Pflichten in derselben Person


14 Die bisher von Uns erwähnten Rechte, die aus der Natur hervorgehen, sind in dem Menschen, dem sie zustehen, mit ebenso vielen Pflichten verbunden. Diese Rechte und Pflichten haben ihren Ursprung, ihre Nahrung und unzerstörbare Kraft vom Naturgesetz, durch das sie verliehen oder geboten sind.

Um dafür einige Beispiele anzuführen: das Recht des Menschen auf Leben hängt mit der Pflicht zusammen, sein Leben zu erhalten; das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein mit der Pflicht ehrenhaft zu leben; das Recht, frei nach der Wahrheit zu forschen, mit der Pflicht, immer tiefer und weiter nach der Wahrheit zu suchen.

Gegenseitige Rechte und Pflichten unter verschiedenen Personen


15 Daraus folgt auch, daß in der menschlichen Gemeinschaft dem natürlichen Recht des einen eine Pflicht der anderen entspricht: die Pflicht nämlich, jenes Recht anzuerkennen und zu achten. Denn jedes Grundrecht des Menschen leitet seine Kraft und Autorität aus dem natürlichen Sittengesetz her; dieses verleiht jenes Recht und legt die entsprechende Pflicht auf. Diejenigen also, die zwar ihre Rechte in Anspruch nehmen, aber ihre Pflichten ganz vergessen oder nicht entsprechend erfüllen, sind denen zu vergleichen, die ein Gebäude mit einer Hand aufbauen und es mit der anderen wieder zerstören.

In wechselseitiger Zusammenarbeit


16 Da die Menschen von Natur aus Gemeinschaftswesen sind, müssen sie miteinander leben und ihr gegenseitiges Wohl anstreben. Das geordnete Zusammenleben erfordert deshalb, daß sie gleicherweise Rechte und Pflichten wechselseitig anerkennen und erfüllen. Daraus ergibt sich auch, daß jeder großmütig seinen Beitrag leisten muß, um jenes soziale Milieu zu schaffen, durch das die Rechte der Bürger immer sorgfältiger und segensreicher gewahrt und ihre Pflichten ebenso erfüllt werden.

Um dafür ein Beispiel anzuführen: Es genügt nicht, den Menschen das Recht auf das Lebensnotwendige zuzugestehen, wenn man nicht auch nach Kräften dahin wirkt, daß ihm auch das, was zum Lebensunterhalt gehört, in genügendem Maße zur Verfügung steht.

Dazu kommt, daß die Gemeinschaft der Menschen nicht nur geordnet, sondern auch möglichst fruchtbar sein muß. Das verlangt dringend, daß sie ihre Rechte und Pflichten gegenseitig anerkennen und erfüllen, daß sie aber darüber hinaus auch alle gemeinschaftlich an den so vielfältigen Unternehmungen teilnehmen, die der heutige Stand der Zivilisation erlaubt, nahelegt oder fordert.

Verantwortungsbewußtsein


17 Außerdem verlangt die Würde der menschlichen Person, daß es dem Menschen möglich gemacht wird, aus eigenem Entschluß und in Freiheit zu handeln. Im Zusammenleben hat er deshalb mit gutem Grund Rechte zu pflegen, Pflichten zu erfüllen und sich aus eigenem Antrieb und Entschluß in den so zahlreichen Werken, die durchzuführen sind, für andere in der Gemeinschaft dienend einzusetzen; und zwar so, daß jeder nach seiner Überzeugung, seinem Urteil und Pflichtbewußtsein handelt und nicht vorwiegend auf Grund von äußerem Zwang und Druck.

Wenn eine Gemeinschaft von Menschen allein auf Gewalt aufgebaut ist, so ist sie nicht menschlich; die einzelnen haben dann keine Freiheit mehr, während sie doch im Gegenteil anzuspornen sind, ihr Leben selber zu entfalten und an ihrer Vervollkommnung zu arbeiten.

Zusammenleben in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit


18 Das bürgerliche Zusammenleben ist deshalb dann als gut geordnet, fruchtbar und der menschlichen Würde entsprechend anzusehen, wenn es auf der Wahrheit gründet, wie der Apostel Paulus mahnt: "Darum leget ab die Lüge, ein jeder rede die Wahrheit mit seinem Nächsten; denn wir sind Glieder untereinander" (Ep 4,25). Das wird dann sicher der Fall sein, wenn jeder seine Rechte und besonders seine Pflichten gegenüber den anderen anerkennt. Überdies wird das Zusammenleben so sein, wie Wir es soeben gezeichnet haben, wenn die Menschen, von der Gerechtigkeit geleitet, sich bemühen, sowohl die Rechte anderer zu achten, als auch die eigenen Pflichten zu erfüllen; wenn sie in solchem Bemühen von der Liebe beseelt sind, daß sie die Nöte der anderen wie ihre eigenen empfinden und die anderen an ihren Gütern teilnehmen lassen, und somit danach streben, daß auf der Welt die höchsten geistigen Werte unter alten verbreitet werden. Aber auch das genügt noch nicht; denn die menschliche Gemeinschaft wächst durch die Freiheit zusammen, und zwar in Formen, die der Würde der Menschen angemessen sind. Da diese von Natur aus vernunftbegabt sind, tragen sie deshalb auch die Verantwortung für ihr Tun.


19 Das Zusammenleben der Menschen ist deshalb, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, als ein vordringlich geistiges Geschehen aufzufassen. In den geistigen Bereich gehören nämlich die Forderungen, daß die Menschen im hellen Licht der Wahrheit ihre Erkenntnisse untereinander austauschen, daß sie ihre Rechte wahrzunehmen und ihre Pflichten zu erfüllen in den Stand gesetzt werden, daß sie angespornt werden, die geistigen Güter zu erstreben, daß sie aus jeder ehrenhaften Sache, wie immer sie beschaffen sein mag, einen Anlaß zu gemeinsamer rechtschaffener Freude gewinnen, daß sie in unermüdlichem Wollen das Beste, was sie haben, einander mitzuteilen und voneinander zu empfangen suchen. Diese Werte berühren und lenken alles, was sich auf Wissenschaft, Wirtschaft, soziale Einrichtungen, Entwicklung und Ordnung des Staates, Gesetzgebung und schließlich auf alle übrigen Dinge bezieht, die äußerlich das menschliche Zusammenleben ausmachen und in ständigem Fortschritt entwickeln.

Gott, das Fundament der sittlichen Ordnung


20 Die Ordnung jedoch, die im menschlichen Zusammenleben waltet, ist ganz geistiger Art: auf der Wahrheit aufruhend, ist sie nach den Geboten der Gerechtigkeit zu verwirklichen; sie verlangt, durch gegenseitige Liebe beseelt und zur Vollendung geführt zu werden; schließlich ist sie in ungeschmälerter Freiheit zu einer täglich menschenwürdigeren Harmonie zu gestalten.

Aber diese Art von Ordnung, deren Prinzipien sich auf alle erstrecken und absolut und unveränderlich sind, geht ganz vom wahren, und zwar vom persönlichen und die menschliche Natur übersteigenden Gott aus. Denn da Gott die erste Wahrheit aller Dinge und das höchste Gut ist, ist er zugleich die erhabene Quelle, aus der die menschliche Gemeinschaft allein wahrhaft Leben schöpfen kann, um so recht geordnet, fruchtbar und der menschlichen Würde angemessen zu sein (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942). Hierher gehört jenes Wort des heiligen Thomas von Aquin: "Daß aber die menschliche Vernunft die Richtschnur des menschlichen Willens ist, an der seine Gutheit gemessen werden muß, das hat sie aus dem ewigen Gesetz, welches die göttliche Vernunft ist ... Daraus folgt klar, daß die Gutheit des menschlichen Willens viel mehr vom ewigen Gesetz abhängt als von der menschlichen Vernunft" (Summa theol. I/II, q. 19, a. 4; vgl. a. 9).

Zeichen der Zeit


21 Unsere Gegenwart ist durch drei Merkmale gekennzeichnet:

Vor allem stellt man den wirtschaftlich-sozialen Aufstieg der Arbeiterklasse fest. Die Arbeiter machten zunächst, vordringlich auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, ihre Rechte geltend; dann taten sie den Schritt zur Wahrung ihrer politischen Interessen; schließlich richteten sie ihren Sinn besonders darauf, in angemessener Weise an den Gütern der Kultur teilzunehmen. Deshalb sind die Arbeiter heutzutage auf der ganzen Welt besonders darauf bedacht, nie nur als Sache ohne Verstand und Freiheit gewertet zu werden, die andere ausbeuten, sondern als Menschen in allen Bereichen menschlicher Gemeinschaft, d.h. auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, im Staat und schließlich auch auf dem Feld der Wissenschaften und der Kultur.


22 An zweiter Stelle steht die allgemein bekannte Tatsache, daß die Frau am öffentlichen Leben teilnimmt, was vielleicht rascher geschieht bei den christlichen Völkern und langsamer, aber in aller Breite, bei den Völkern, welche als Erben anderer Überlieferungen auch andere Lebensformen und Sitten haben. Die Frau, die sich ihrer Menschenwürde heutzutage immer mehr bewußt wird, ist weit davon entfernt, sich als seelenlose Sache oder als bloßes Werkzeug einschätzen zu lassen; sie nimmt vielmehr sowohl im häuslichen Leben wie im Staat jene Rechte und Pflichten in Anspruch, die der Würde der menschlichen Person entsprechen.


23 Schließlich bemerken wir in unseren Tagen, daß die ganze Menschheitsfamilie im sozialen wie im politischen Leben eine völlig neue Gestalt angenommen hat. Da nämlich alle Völker für sich Freiheit beanspruchen oder beanspruchen werden, wird es bald keine Völker mehr geben, die über andere herrschen, noch solche, die unter fremder Herrschaft stehen.


24 Denn die Menschen aller Länder und Völker sind entweder bereits Bürger eines freien Staatswesens oder werden es bald sein. Keine einzige Stammesgemeinschaft will in Zukunft noch unter fremder Herrschaft stehen. Denn in der Gegenwart schwinden die Anschauungen, die so ,viele Jahrhunderte überdauerten, auf Grund derer sich gewisse Menschengruppen für untergeordnet hielten, während andere sich Überlegen dünkten, sei es wegen ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Stellung, sei es wegen des Geschlechtes oder ihres gesellschaftlichen Ranges.

Dagegen verbreitete und behauptete sich weitgehendst die Auffassung, daß alle Menschen in der Würde ihrer Natur unter sich gleich sind. Deshalb wird, wenigstens theoretisch, eine Diskriminierung der Rassen in keiner Weise mehr anerkannt. Und dies ist von größter Bedeutung und größtem Gewicht für die Entwicklung eines menschlichen Zusammenlebens nach den Prinzipien, die Wir erwähnt haben. Sofern in einem Menschen das Bewußtsein seiner Rechte erwacht, muß in ihm auch notwendig das Bewußtsein seiner Pflichten entstehen, so daß, wer bestimmte Rechte hat, zugleich auch die Pflicht hat, sie als Zeichen seiner Würde zu beanspruchen, während die übrigen Menschen die Pflicht haben, diese Rechte anzuerkennen und hochzuschätzen.


25 Wenn so das Grundgefüge der Beziehungen zwischen den Bürgern auf die Rechte und Pflichten abgestellt wird, entdecken die Menschen immer mehr die geistigen Werte, nämlich was Wahrheit, was Gerechtigkeit, was Liebe und was Freiheit ist. So werden sie sich bewußt, Glieder einer solchen Gemeinschaft zu sein. Doch nicht genug! Auf diesem Wege kommen die Menschen dazu, den wahren Gott als die Menschennatur überragendes persönliches Wesen besser zu erkennen. So halten sie schließlich die Beziehungen zu Gott für das Fundament ihres Lebens, das sie sowohl in ihrem Inneren leben als auch gemeinsam mit den übrigen Menschen gestalten.



II.


DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN MENSCHEN


UND DER STAATSGEWALT


INNERHALB DER


POLITISCHEN GEMEINSCHAFTEN


Notwendigkeit der Autorität und ihr göttlicher Ursprung


26 Die menschliche Gesellschaft kann weder gut geordnet noch fruchtbar sein, wenn es in ihr niemanden gibt, der mit rechtmäßiger Autorität die Ordnung aufrechterhält und mit der notwendigen Sorgfalt auf das allgemeine Wohl bedacht ist.

Alle Autorität aber leitet sich von Gott her, wie der heilige Paulus lehrt: "Es gibt keine Gewalt, außer von Gott" (
Rm 13,1-6). Diese Lehre des Apostels erklärt der heilige Johannes Chrysostomus folgendermaßen: "Was sagst du? Ist jeder einzelne Fürst von Gott eingesetzt? Das behaupte ich nicht; denn ich habe jetzt nicht von den einzelnen Fürsten zu reden, sondern über die Sache an sich. Daß es Fürstentümer gibt und daß die einen befehlen, die anderen gehorchen, und daß alles nicht zufällig und planlos verursacht ist, das ist Sache der göttlichen Weisheit, behaupte ich" (Kommentar zum Römerbrief,13). Gott hat aber die Menschen ihrer Natur nach als Gemeinschaftswesen geschaffen, und weil keine Gemeinschaft "bestehen kann, wenn nicht einer an der Spitze von allen steht, der durch kräftigen und gleichmäßigen Impuls einen jeden zu dem gemeinsamen Ziele hinwendet, so ergibt sich für die politische Gesellschaft die Notwendigkeit einer Autorität, welche sie regiert; wie die Gesellschaft selbst, hat auch sie in der Natur und somit in Gott selbst ihren Ursprung" (Leo XIII., Enz. Immortale Dei).


27 Dennoch darf man nicht glauben, die Autorität sei an keine Norm gebunden. Sie wurzelt vielmehr in der Fähigkeit, nach Maßgabe der Vernunft zu befehlen; daraus ergibt sich, daß sie die Gewalt, Verpflichtungen aufzuerlegen, aus der sittlichen Ordnung herleitet, die ihrerseits Gott als Ursprung und Ziel hat. Deshalb schreibt Unser Vorgänger Pius XII. seligen Andenkens: "Dieselbe unbedingt gültige Ordnung des Seins und der Zwecke, die den Menschen als autonome Persönlichkeit ausweist, das heißt als Träger von unverletzlichen Pflichten und Rechten - Ursprung und Ziel seines gesellschaftlichen Lebens -, diese Ordnung umfaßt auch den Staat als eine notwendige Gesellschaft, bekleidet mit der Autorität, ohne die er weder bestehen noch leben könnte... Da nun diese unbedingt gültige Ordnung im Lichte der gesunden Vernunft, besonders aber im Lichte des christlichen Glaubens keinen andern Ursprung haben kann als den persönlichen Gott, unsern Schöpfer, so ist klar, daß die Würde des Staates, die Würde der von Gott gewollten sittlichen Gemeinschaft, die Würde der öffentlichen Gewalt die Würde ihrer Teilnahme an der Autorität Gottes ist" (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1944).


28 Befehlsgewalt, die nur oder hauptsächlich auf Drohung und Furcht vor Strafen oder auf Versprechungen von Lohn beruht, treibt keineswegs wirksam dazu an, das gemeinsame Wohl aller zu verwirklichen; sollte es vielleicht doch der Fall sein, so wäre dies immerhin nicht in Übereinstimmung mit der Würde von Menschen, die der Freiheit und des Vernunftgebrauches fähig und teilhaft sind. Denn da die Autorität hauptsächlich in einer geistigen Gewalt besteht, müssen die Staatslenker an das Gewissen, d.h. an die Pflicht eines jeden appellieren, sich bereitwillig für das gemeinsame Wohl aller einzusetzen. Weil aber alle Menschen in der natürlichen Würde unter sich gleich sind, besitzt keiner von ihnen die Macht, einen anderen innerlich zu einem Tun zu bestimmen. Gott allein kann das tun, der ja als einziger die geheimen Ratschlüsse des Herzens durchforscht und richtet.


29 Die Träger staatlicher Gewalt dürfen die Menschen also nur dann im Gewissen verpflichten, wenn ihre Autorität mit Gottes Autorität in Einklang steht und an dieser teilhat (vgl. Leo XIII., Enz.Diuturnum illud).

Wo dieses Prinzip gilt, wird auch für die Würde der Bürger Sorge getragen. Indem sie nämlich den Regierungen gehorchen, gehorchen sie ihnen keineswegs als bloßen Menschen, sondern sie ehren tatsächlich Gott, den sorgenden Schöpfer aller Dinge, der gebot, daß die Beziehungen unter den Menschen nach der von ihm festgesetzten Ordnung gestaltet werden. Dadurch, daß wir Gott die schuldige Ehrfurcht erweisen, unterdrücken wir keineswegs unsere Überzeugung, vielmehr erheben und adeln wir sie; denn Gott dienen ist herrschen [26].(vgl. ebd.; Leo XIII., Enz.Immortale Dei).


30 Da die staatliche Gewalt von der Ordnung der geistigen Wirklichkeit gefordert wird und von Gott ausgeht, können Gesetze oder Anordnungen die Staatsbürger innerlich nicht verpflichten, wenn die Staatslenker gegen diese Ordnung und deshalb gegen Gottes Willen Gesetze erlassen oder etwas vorschreiben; denn "man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg S, 29); in diesem Falle hört die Autorität ganz auf; an ihre Stelle tritt gräßliches Unrecht, wie der heilige Thomas von Aquin ehrt: "Zum Zweiten ist zu sagen, daß das menschliche Gesetz nur insoweit die Beschaffenheit eines Gesetzes hat, als es der rechten Vernunft gemäß ist. Demzufolge ist offenbar, daß es vom ewigen Gesetz abgeleitet wird. Insofern es aber von der Vernunft abweicht, wird es als ungerechtes Gesetz bezeichnet und hat nicht die Bewandtnis eines Gesetzes, sondern eher die einer Gewalttätigkeit" (Summa theol. I/II, q. 93, a. 3 ad 2).


31 Jedoch daraus, daß die Autorität aus Gott stammt, ist durchaus nicht zu folgern, daß die Menschen keine Möglichkeit hätten, diejenigen zu wählen, die an der Spitze des Staates stehen sollen, die Staatsform zu bestimmen und den Umfang sowie die Art und Weise der Gewaltausübung abzugrenzen. Daher kann diese Lehre mit jeder demokratischen Regierungsform in Einklang gebracht werden, die diesen Namen wirklich verdient (vgl. Leo XIII., Enz. Diuturnum illud).

Die Sorge für das Gemeinwohl als Existenzgrund der staatlichen Gewalt


32 Daraus, daß die einzelnen Menschen wie alle Körperschaften gehalten sind, durch ihren Beitrag das Gemeinwohl zu fördern, folgt vor allem, daß sie die eigenen Interessen den Bedürfnissen der anderen anpassen müssen; daß sie ihren Beitrag in der Güterbeschaffung und in den Dienstleistungen erbringen müssen gemäß den Zielsetzungen, die die staatliche Obrigkeit, natürlich unter Wahrung der Gerechtigkeit, in entsprechender Form im Rahmen ihrer Zuständigkeit gegeben hat. Wer nämlich die Staatsgewalt ausübt, muß solche Handlungen vorschreiben, die nicht nur rechtlich formell ordnungsgemäß sind, sondern auch entweder direkt das Gemeinwohl betreffen oder doch wenigstens dazu beitragen können.

Die Existenzberechtigung aller öffentlichen Gewalt ruht in der Verwirklichung des Gemeinwohls, die nur unter Berücksichtigung seines Wesens wie der gegebenen zeitlichen Verhältnisse zu erreichen ist (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942).

Grundlegende Gesichtspunkte zum Gemeinwohl


33 Gewiß bestimmt sich das Gemeinwohl auch aus dem, was einem jeden Volk eigentümlich ist (vgl. Pius XII., Enz. Summi pontificatus); doch macht dies keineswegs das Gemeinwohl in seiner Gesamtheit aus. Denn weil es wesentlich mit der Menschennatur zusammenhängt, kann es als Ganzes und vollständig stets nur bestimmt werden, wenn man es im Hinblick auf seine innerste Natur und geschichtliche Wirklichkeit von der menschlichen Person aus sieht (vgl. Pius XI., Enz.Mit brennender Sorge).


34 Außerdem verlangt dieses Gut kraft seiner Natur, daß alle Glieder des Staates an ihm teilhaben, wenn auch in verschiedenem Grade je nach den Aufgaben, Verdiensten und Verhältnissen des einzelnen. Deshalb müssen alle Staatslenker darauf hinarbeiten, das gemeinsame Wohl ohne Bevorzugung irgendeines Bürgers oder einer Bevölkerungsschicht zum Nutzen aller zu fördern, wie es Unser Vorgänger unsterblichen Andenkens Leo XIII. eindringlich ausspricht, wenn er sagt: "Auf keinen Fall darf zugelassen werden, daß die Staatsgewalt dem Vorteil eines einzelnen oder nur wenigen diene, während sie doch für das Wohl aller eingesetzt ist" (Leo XIII., Enz. Immortale Dei). Doch können Gründe der Gerechtigkeit und Billigkeit zuweilen fordern, daß die Behörden sich um die Schwächeren sorgsamer kümmern, da diese selbst weniger in der Lage sind, ihre Rechte geltend zu machen und die ihnen zustehenden Interessen wahrzunehmen (vgl. Leo XIII., Enz. Rerum Novarum).


35 An dieser Stelle glauben Wir, Unsere Söhne darauf hinweisen zu müssen, daß das Gemeinwohl sich auf den ganzen Menschen erstreckt, also auf die Erfordernisse des Leibes ebenso wie auf die des Geistes. Daraus folgt, daß die Führer des Staates darauf sehen müssen, diesen Wert in geeigneter Weise und in Stufen zu verwirklichen, nämlich so, daß sie unter Einhaltung der rechten Wertordnung den Bürgern sowohl die materielle Wohlfahrt wie auch die geistigen Güter vermitteln (vgl. Pius XII., Enz. Summi pontificatus).

Diese Grundsätze stehen in vollem Einklang mit dem Satz Unseres Rundschreibens Mater et magistra, in welchem Wir dargelegt haben, daß das Gemeinwohl "der Inbegriff jener gesellschaftlichen Voraussetzungen ist, die den Menschen die volle Entfaltung ihrer Werte ermöglichen oder erleichtern" (Mater et Magistra
MM 65).

Da die Menschen aus Leib und unsterblicher Seele bestehen, können sie in diesem sterblichen Leben weder ihr Dasein voll ausschöpfen noch ein vollkommenes Glück erreichen. Darum muß das Gemeinwohl auf eine Weise verwirklicht werden, die dem ewigen Heil der Menschen nicht nur nicht entgegensteht, sondern ihm vielmehr dient (vgl. Pius XI., Enz. Quadragesimo Anno).


Pacem in terris DE