Predigten 1978-2005 596

BESUCH VON JOHANNES PAUL II. IN LORETO



HL. MESSE MIT SELIGSPRECHUNG VON:

PEDRO TARRES Y CLARET,

ALBERTO MARVELLI

PINA SURIANO

Ebene von Montorso

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Sonntag, 5. September 2004

1.»Welcher Mensch kann Gottes Plan erkennen? « (Sg 9,13). Auf diese im Buch der Weisheit gestellte Frage gibt es eine Antwort: Allein der Sohn Gottes, der zu unserem Heil im jungfräulichen Schoß Marias Mensch geworden ist, kann uns den Plan Gottes offenbaren. Nur Jesus Christus weiß, auf welchem Weg wir »ein weises Herz bekommen« (Antwortpsalm) und Frieden und Heil erlangen.

Welcher Weg ist es? Jesus hat ihn uns im Evangelium von heute aufgezeigt: Es ist der Weg des Kreuzes. Seine Worte sind klar: »Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, kann nicht mein Jünger sein« (Lc 14,27).

»Das Kreuz tragen und Jesus nachfolgen« heißt, aus Liebe zu ihm zu jedem Opfer bereit sein. Es heißt, ihm nichts und niemanden vorzuziehen, auch nicht die liebsten Menschen, auch nicht unser eigenes Leben.

2. Liebe Brüder und Schwestern, ihr seid in diesem »wunderschönen Montorso-Tal«, wie Erzbischof Comastri es nannte, zusammengekommen. Von Herzen danke ich ihm für die herzlichen Grußworte, die er an mich gerichtet hat. Mit ihm begrüße ich die Kardinäle, die hier anwesenden Erzbischöfe und Bischöfe; ich grüße die Priester, die Ordensmänner und -frauen, die Personen des geweihten Lebens; vor allem aber gilt mein Gruß euch, liebe Jugendliche, Angehörige der Katholischen Aktion, an der Spitze Generalassistent Bischof Francesco Lambiasi und die Nationalpräsidentin Frau Dr. Paola Bignardi, der ich für die herzlichen Grußworte danke. Ihr wolltet euch hier unter dem Blick der Gottesmutter von Loreto versammeln und eure Verpflichtung zur Treue gegenüber Jesus Christus erneuern.

Ihr wißt, Christus zustimmen ist eine anspruchsvolle Entscheidung. Nicht zufällig spricht Jesus vom »Kreuz«. Doch er stellt sofort klar: »Wer mir nachfolgt«. Das ist der entscheidende Punkt. Wir tragen das Kreuz nicht allein. Er geht uns voran und bahnt uns den Weg durch das Licht seines Beispiels und die Kraft seiner Liebe.

3. Das Kreuz, das aus Liebe angenommen wird, macht frei. Das hat der Apostel Paulus erfahren als »alter Mann, der jetzt für Christus im Kerker liegt«, wie er im Brief an Philemon über sich selbst geschrieben hat, der aber innerlich vollkommen frei ist. Eben diesen Eindruck vermittelt der kurz zuvor vorgetragene Text: Paulus ist im Kerker, aber sein Herz ist frei, weil in ihm die Liebe Christi wohnt. Darum kann er vom finsteren Gefängnis aus, in dem er für seinen Herrn leidet, zu einem Freund, der außerhalb des Gefängnisses ist, von Freiheit sprechen. Philemon ist ein Christ aus Kolossä. Paulus wendet sich an ihn mit der Bitte, Onesimus, der dem damaligen Recht nach noch Sklave war, aber jetzt durch die Taufe Bruder geworden ist, freizulassen. Wenn Philemon auf den anderen als Besitz verzichtet, wird er in ihm einen Bruder gewinnen.

Die Lehre, die aus diesem Bericht hervorgeht, ist klar: Es gibt keine größere Liebe als die des Kreuzes; es gibt keine wahrhaftigere Freiheit als die der Liebe; es gibt keine vollkommenere Brüderlichkeit als jene, die aus dem Kreuz Jesu erwächst. Nach diesen Worten auf italienisch fuhr der Heilige Vater auf spanisch fort:

4. Die soeben proklamierten Seligen sind demütige Jünger und heroische Zeugen des Kreuzes Jesu gewesen.

Pedro Tarrés y Claret, zuerst Arzt und dann Priester, widmete sich dem Laienapostolat unter den Jugendlichen der Katholischen Aktion von Barcelona, deren Beirat er später war. In der Ausübung des Arztberufes trug er besondere Sorge für die armen und bedürftigen Kranken in der Überzeugung, daß »der Kranke Sinnbild des leidenden Christus ist«.

Nach seiner Priesterweihe erfüllte er mit großem Eifer die mit seinem Dienst verbundenen Aufgaben und blieb dem Versprechen treu, das er am Vorabend seiner Weihe abgelegt hatte: »Herr, ich habe nur den einen Vorsatz: als Priester heilig zu werden, darum bitte ich dich.« Er nahm im Glauben und mit heroischer Geduld eine schwere Krankheit an, an der er im Alter von nur 45 Jahren verstarb. Trotz seines Leidens wiederholte er häufig: »Wie gut ist der Herr zu mir! Ich bin wirklich glücklich.«

598 5. Alberto Marvelli, ein tüchtiger und unabhängiger junger Mann, hochherziger Sohn der Kirche von Rimini und der Katholischen Aktion, hat sein kurzes Leben von knapp 28 Jahren als Geschenk der Liebe zu Jesus zum Wohl der Brüder verstanden. »Jesus umgibt mich mit seiner Gnade«, schrieb er in sein Tagebuch; »ich sehe nur Ihn, ich denke nur an Ihn.« Alberto machte die tägliche Eucharistiefeier zur Mitte seines Lebens. Im Gebet suchte er auch Inspiration für das politische Engagement in der festen Überzeugung, daß es notwendig ist, in der Zeitgeschichte ganz als Kinder Gottes zu leben, um sie zur Heilsgeschichte zu machen.

In der schwierigen Zeit des Zweiten Weltkrieges, der Tod, schreckliche Gewalttaten und Leiden mit sich brachte, pflegte der selige Alberto ein intensives geistliches Leben, aus dem die Liebe zu Jesus erwuchs, die ihn so weit führte, daß er sich selbst geringschätzte, um das Kreuz der Armen auf sich zu nehmen.

6. Auch die selige Pina Suriano, geboren in Partinoco, Diözese Monreale, hat Jesus mit brennender und treuer Liebe so sehr geliebt, daß sie aufrichtig schreiben konnte: »Ich lebe einzig und allein durch Jesus.« Sie sprach zu Jesus mit dem Herzen einer Braut: »Jesus, laß mich immer mehr dein sein. Jesus, ich will mit dir und für dich leben und sterben.«

Sie gehörte schon als Mädchen der weiblichen Jugendsektion der Katholischen Aktion an und wurde später Leiterin des Pfarrverbandes. Sie fand in dieser Vereinigung durch die ausgeprägte Atmosphäre geschwisterlicher Freundschaft wichtige Anregungen für ihre menschliche und kulturelle Entfaltung. Sie entwickelte nach und nach den einfachen und festen Willen, ihr junges Leben als Liebesgabe besonders für die Heiligung und Standhaftigkeit der Priester Gott darzubringen.

7. Liebe Brüder und Schwestern, Freunde der Katholischen Aktion, ihr seid aus Italien, Spanien und vielen anderen Ländern der Welt nach Loreto gekommen. Durch das Ereignis der Seligsprechung dieser drei Diener Gottes sagt euch heute der Herr: Das größte Geschenk, das ihr der Kirche und der Welt machen könnt, ist die Heiligkeit.

Das, was der Kirche am Herzen liegt, soll auch euch am Herzen liegen: daß viele Menschen unserer Zeit von der Faszination Jesu erobert werden; daß sein Evangelium als Licht der Hoffnung für die Armen, die Kranken, die nach Gerechtigkeit Hungernden wieder erstrahlt; daß die christlichen Gemeinden immer lebendiger, offener und anziehender werden; daß unsere Städte für alle gastfreundlich und lebenswert sind; daß die Menschheit Wege des Friedens und der Brüderlichkeit zu gehen vermag.

8. Ihr Laien habt die Aufgabe, den Glauben durch jene Tugenden zu bezeugen, die für euch charakteristisch sind: die Treue und Liebe in den Familien, die berufliche Kompetenz, die Ausdauer im Dienst am Gemeinwohl, die Solidarität in den sozialen Beziehungen, der Einfallsreichtum in Initiativen zugunsten der Evangelisierung und der Förderung des Menschen. Euch obliegt es auch, in enger Verbindung mit den Hirten zu zeigen, daß das Evangelium aktuell ist und daß der Glaube den Gläubigen nicht der Geschichte entfremdet, sondern ihn tiefer in sie eintaucht.

Hab Mut, Katholische Aktion! Der Herr führe dich auf deinem Weg der Erneuerung!

Die unbefleckte Jungfrau von Loreto begleitet dich mit zärtlicher Sorge; die Kirche schaut auf dich mit Zuversicht; der Papst grüßt dich, er stützt dich und er segnet dich von Herzen.

Danke, Katholische Aktion Italiens!





EUCHARISTIEFEIER MIT SELIGSPRECHUNGEN AUF DEM PETERSPLATZ

Sonntag, 3. Oktober 2004

599 1.»Verbum Domini manet in aeternum – Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.« Dieser Ruf vor dem Evangelium führt uns zu den Grundlagen des Glaubens. Angesichts des Laufes der Zeit und der ständigen Umwälzungen der Geschichte bleibt die Offenbarung, die Gott uns in Jesus Christus geschenkt hat, für immer unveränderlich und eröffnet auf unserem irdischen Weg einen Ausblick auf die Ewigkeit.

Dies haben die fünf neuen Seligen auf einzigartige Weise erfahren: Pierre Vigne, Joseph-Marie Cassant, Anna Katharina Emmerick, Maria Ludovica De Angelis, Karl von Österreich. Sie haben sich vom Wort Gottes wie von einer hellen und sicheren Leuchte führen lassen, die nie aufgehört hat ihren Weg zu erhellen. [Nach diesen Worten auf italienisch fuhr der Heilige Vater auf französisch fort:]

2. Durch die Betrachtung des in der Eucharistie gegenwärtigen Christus und seines heilbringenden Leidens wurde Pater Pierre Vigne dazu bewegt, ein wahrer Jünger und ein der Kirche treuer Missionar zu sein. Sein Vorbild möge in den Gläubigen den Wunsch wecken, aus der Liebe zur Eucharistie und aus der Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes den Mut zur Mission zu schöpfen! Bitten wir Ihn, die Herzen der jungen Menschen zu berühren, damit sie sich Ihm – wenn sie von Gott gerufen werden – im Priestertum oder Ordensstand vollkommen weihen. Die Kirche in Frankreich möge in Pater Vigne ein Vorbild finden, damit uns neue Sämänner des Evangeliums geschenkt werden.

3. Bruder Joseph-Marie hat sein Vertrauen stets auf Gott gesetzt, in der Betrachtung des Geheimnisses der Passion und in Einheit mit Christus, der in der Eucharistie gegenwärtig ist. So hat er sich von der Liebe Gottes erfüllen lassen, indem er sich Ihm, dem »einzigen Glück auf Erden«, hingab und in der Stille des Klosters »La Trappe« den Gütern der Welt entsagte. Inmitten der Prüfungen richtete er seinen Blick auf Christus und opferte seine Leiden dem Herrn und der Kirche auf. Mögen die Menschen von heute, besonders die kontemplativen Ordensleute und die Kranken, nach seinem Beispiel das Geheimnis des Gebets entdecken, das die Welt zu Gott erhebt und in den Prüfungen Kraft verleiht! [Der Papst sagte daraufhin auf spanisch:]

4. »Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit« (
2Tm 1,7). Diese Worte des hl. Paulus laden uns ein, im Lichte des Glaubens am Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken. Sie treffen auch gut auf das Leben der sel. Ludovica De Angelis zu, deren Dasein ganz der Ehre Gottes und dem Dienst an den Nächsten gewidmet war.

In ihrer Persönlichkeit treten ihr mütterliches Herz, ihre Führungsqualitäten und die den Heiligen eigene Kühnheit hervor. Für die kranken Kinder empfand sie eine konkrete, großherzige Liebe und nahm Opfer auf sich, um sie zu trösten; für ihre Mitarbeiter im Krankenhaus von La Plata war sie ein Vorbild durch ihre Freude und ihren Verantwortungssinn, durch die sie eine familiäre Atmosphäre schuf; für ihre Mitschwestern war sie ein echtes Vorbild als Tochter Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit. In allem wurde sie getragen vom Gebet, das ihr Leben zu einem ständigen Dialog mit dem Herrn werden ließ. [Auf deutsch sagte der Papst:]

5. Die selige Anna Katharina Emmerick, hat „das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi" geschaut und an ihrem Leib erfahren. Daß aus der Tochter armer Bauern, die beharrlich Gottes Nähe suchte, die bekannte „Mystikerin des Münsterlandes" wurde, ist ein Werk der göttlichen Gnade. Ihrer materiellen Armut steht ein reiches inneres Leben gegenüber. Wie die Geduld im Ertragen ihrer körperlichen Schwäche beeindruckt uns die charakterliche Stärke der neuen Seligen und ihre Festigkeit im Glauben.

Die Kraft dazu bezog sie aus der heiligsten Eucharistie. So hat ihr Beispiel die Herzen Armer und Reicher, einfacher und gebildeter Menschen für die liebende Ganzhingabe an Jesus Christus erschlossen. Noch heute vermittelt sie allen die erlösende Botschaft: Durch Christi Wunden sind wir geheilt (vgl. 1P 2,24).

6. Die entscheidende Aufgabe des Christen besteht darin, in allem Gottes Willen zu suchen, zu erkennen und danach zu handeln. Dieser täglichen Herausforderung stellte sich der Staatsmann und Christ Karl aus dem Hause Österreich. Er war ein Freund des Friedens. In seinen Augen war der Krieg „etwas Entsetzliches". Mitten in den Stürmen des Ersten Weltkriegs an die Regierung gelangt, versuchte er die Friedensinitiative meines Vorgängers Benedikt XV. aufzugreifen.

Von Anfang an verstand Kaiser Karl sein Herrscheramt als heiligen Dienst an seinen Völkern. Sein ernstes Bestreben war es, der Berufung des Christen zur Heiligkeit auch in seinem politischen Handeln zu folgen.Dabei war ihm der Gedanke der sozialen Liebe wichtig. Sei er uns allen ein Vorbild, besonders denen, die heute in Europa politische Verantwortung tragen!

7. Zusammen mit der ganzen Kirche sagen wir dem Herrn Lob und Dank für die Wunder, die er in diesen guten und treuen Dienern des Evangeliums vollbracht hat. Die allerseligste Jungfrau Maria, die wir im Monat Oktober besonders durch das Gebet des Rosenkranzes anrufen, möge uns helfen, unsererseits zu großherzigen und mutigen Aposteln des Evangeliums zu werden. Amen!





"STATIO ORBIS" IN DER PETERSBASILIKA

MIT DIREKTSCHALTUNG NACH GUADALAJARA IN MEXIKO ZUM ABSCHLUSS DES INTERNATIONALEN EUCHARISTISCHEN KONGRESSES

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.

600
Konfessionsaltar im Petersdom

Sonntag, 17. Oktober 2004



1. »Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20).

Vor der Eucharistie versammelt, erfahren wir in diesem Augenblick besonders lebendig die Wahrheit der Zusage Christi: Er ist bei uns!

Ich grüße euch alle, die ihr in Guadalajara zusammengekommen seid, um am Abschluß des Internationalen Eucharistischen Kongresses teilzunehmen. Besonders grüße ich Kardinal Tomko, meinen Legaten, Kardinal Juan Sandoval Iñíguez, Erzbischof von Guadalajara, wie auch die dort anwesenden Herren Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe und Priester aus Mexiko und zahlreichen anderen Ländern.

Mein Gruß gilt auch allen Gläubigen aus Guadalajara, Mexiko und anderen Teilen der Welt, die mit uns in der Anbetung des eucharistischen Geheimnisses verbunden sind.

2. Die Fernsehverbindung zwischen der Petersbasilika, dem Herz der Christenheit, und Guadalajara, dem Sitz des Kongresses, ist wie eine Brücke, die zwischen den beiden Kontinenten errichtet wurde. Sie läßt unser Gebetstreffen zu einer idealen »Statio Orbis« werden, zu der die Gläubigen der ganzen Welt zusammenkommen. Der Ort der Begegnung ist Jesus, der mit dem Mysterium seines Todes und seiner Auferstehung wahrhaft gegenwärtig ist in der heiligen Eucharistie, in der sich Himmel und Erde vereinen und sich Völker und verschiedene Kulturen begegnen. Christus ist »unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden)« (Ep 2,14).

3. »Die Eucharistie, Licht und Leben des neuen Jahrtausends.« Das Thema des Kongresses lädt uns ein, nicht nur das eucharistische Geheimnis an sich zu betrachten, sondern auch in bezug zu den Problemen unserer Zeit.

Geheimnis des Lichtes! Das Herz des Menschen braucht das Licht, das Menschenherz, das, von der Sünde belastet, oft orientierungslos und müde ist und von Leiden aller Art geprüft wird. Die Welt braucht das Licht in der schwierigen Suche nach Frieden, der weit entfernt zu sein scheint am Beginn eines Jahrtausends, das von Gewalt, Terrorismus und Krieg erschüttert und gedemütigt wird.

Die Eucharistie ist Licht! Im unaufhörlich verkündeten Wort Gottes, im Brot und Wein, die Leib und Blut Christi geworden sind, ist Er es, der auferstandene Herr, der den Geist und das Herz öffnet und sich zu erkennen gibt wie den beiden Jüngern in Emmaus, als er das Brot brach (vgl. Lc 24,30). In dieser Geste bei einem Mahl erleben wir das Kreuzesopfer wieder, erfahren wir die unendliche Liebe Gottes und fühlen uns dazu gerufen, das Licht Christi unter den Männern und Frauen unserer Zeit zu verbreiten.

4. Geheimnis des Lebens! Welche Sehnsucht ist größer als der Wunsch zu leben? Dennoch fallen auf diese universale menschliche Sehnsucht bedrohliche Schatten: der Schatten einer Kultur, die dem Leben in allen seinen Phasen die Achtung verweigert; der Schatten einer Gleichgültigkeit, der zahllose Menschen dem Schicksal des Hungers und der Unterentwicklung überläßt; der Schatten einer wissenschaftlichen Forschung, die manchmal im Dienst des Egoismus des Stärkeren steht.

601 Liebe Brüder und Schwestern, wir müssen uns von den Nöten, die so viele von unseren Brüdern bedrücken, ansprechen lassen. Wir können das Herz ihren Hilferufen nicht verschließen. Und wir dürfen auch nicht vergessen, daß der Mensch nicht nur von Brot lebt (vgl. Mt 4,4). Wir brauchen »das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist« (Jn 6,51). Jesus ist dieses Brot. Sich von ihm zu ernähren heißt das Leben Gottes aufzunehmen (vgl. Jn 10,10) und sich der Logik der Liebe und des Teilens zu öffnen.

5. Ich wollte, daß dieses Jahr besonders der Eucharistie geweiht ist. Tatsächlich lebt die Kirche jeden Tag und besonders am Sonntag, dem Tag der Auferstehung Jesu, von diesem Geheimnis. Aber die christliche Gemeinschaft ist in diesem Jahr der Eucharistie eingeladen, sich dessen mehr bewußt zu werden durch eine tiefer empfundene Feier, eine lange und eifrige Anbetung, durch einen größeren Einsatz in der Gemeinschaft und den Dienst an den Bedürftigsten. Die Eucharistie ist Quelle und Epiphanie der Gemeinschaft. Sie ist Prinzip und Plan der Mission (vgl. Mane nobiscum Domine, Kap. III und IV).

Auf den Spuren Marias, der »eucharistischen Frau« (Ecclesia de Eucharistia, Kap. VI), möge die christliche Gemeinschaft aus diesem Geheimnis leben! Gestärkt durch das »Brot des ewigen Lebens« möge sie Gegenwart des Lichtes und des Lebens sein, Ferment der Evangelisierung und der Solidarität!

6. »Mane nobiscum, Domine!« Wie die beiden Jünger im Evangelium bitten wir dich flehentlich, Herr Jesus: Bleibe bei uns!

Du, göttlicher Wanderer, du kennst unsere Wege und unser Herz, laß uns nicht Gefangene der Finsternis werden.

Stütze uns, wenn wir müde sind, vergib uns unsere Sünden und lenke unsere Schritte auf den Weg des Guten.

Segne die Kinder, die Jugendlichen, die alten Menschen, die Familien und besonders die Kranken. Segne die Priester und Personen des geweihten Lebens. Segne die ganze Menschheit.

In der Eucharistie bist du »Medizin der Unsterblichkeit« geworden: Schenke uns die Freude an einem Leben in Fülle, die uns hilft, auf dieser Erde als zuversichtliche und frohe Pilger zu wandeln, die ihren Blick immer auf das Ziel des Lebens richten, das kein Ende hat.

Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns! Amen.

Am Ende dieser Ansprache sprach Johannes Paul II. die folgenden Worte:

»Ich habe jetzt die Freude anzukündigen, daß der nächste Internationale Eucharistische Kongreß im Jahr 2008 in der Stadt Québec stattfinden wird.

602 Diese Perspektive möge die Gläubigen zu einem noch größeren Einsatz anregen, das gegenwärtige Jahr der Eucharistie mit Intensität zu leben.«



EUCHARISTIEFEIER ZUM BEGINN DES AKADEMISCHEN JAHRES

DER KIRCHLICHEN UNIVERSITÄTEN ROMS

Freitag, 22. Oktober 2004



1. Es ist mir eine Freude, die große, vielfältige Gemeinschaft der kirchlichen Universitäten Roms zur Wiederaufnahme ihrer akademischen Tätigkeit auch dieses Jahr in der Peterskirche zu empfangen. Mit Dankbarkeit begrüße ich Kardinal Zenon Grocholewski, der die Eucharistie feiert; ich begrüße die anderen anwesenden Bischöfe, die Beamten der Kongregation für das Katholische Bildungswesen, die Rektoren, Dozenten und Studenten der Päpstlichen Hochschulen, Institute und Päpstlichen Fakultäten. An alle und jeden richte ich meinen ganz herzlichen Willkommensgruß.

2. »Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist« (Ep 4,4). Die Worte, die der hl. Paulus an die Epheser richtet, gelten heute abend den kirchlichen Hochschulgemeinschaften Roms; sie ist hinsichtlich ihrer Anzahl und der Vielfalt der Beteiligten einzig auf der Welt. In der Tat sind die römischen kirchlichen Universitäten auf ihre besondere Weise ein Ausdruck der Einheit und Universalität der Kirche. Diese mannigfaltige Einheit gründet sich auf ein und dieselbe »Berufung«, das heißt auf den gemeinsamen Aufruf zur Nachfolge Christi. Ich lade besonders euch, liebe Studenten, ein, dafür zu sorgen, daß die Ausbildung dieser Jahre euch helfe, ein Leben zu führen, das des christlichen Rufes würdig ist (vgl. Ep 4,1); ich fordere euch auf, eure Talente mit großer Bescheidenheit und Bereitwilligkeit in den Dienst der Kirche zu stellen.

3. Der Antwortpsalm (Ps 24) sprach soeben von »Menschen, die das Antlitz Gottes suchen«. Ich denke dabei an euch, liebe Dozenten und Studenten: Euch verbindet der Wunsch, Gott zu kennen und in sein Heilsgeheimnis einzudringen, das in Christus vollkommen offenbart wurde. Der Psalmist mahnt, daß reine Hände und ein lauteres Herz erforderlich sind, um zum Berg des Herrn hinaufzuziehen (vgl. Ps 24,4). Er fügt hinzu, daß diejenigen, die die Wahrheit erkennen wollen, sich zu deren Umsetzung im Reden und Handeln verpflichten müssen (vgl. ebd.). »Das sind die Menschen, die Gott suchen«: So sollt ihr sein, liebe Studenten! Ihr sollt Männer und Frauen sein, die sich um eine Einheit zwischen Glauben und Leben bemühen, sowohl hinsichtlich eurer Kenntnisse, aber auch und vor allem in eurem Dasein.

4. In der Eucharistie finden wir einen kurzgefaßten Interpretationsschlüssel zu dem, was das Wort Gottes uns in der heutigen Liturgie sagt. Einerseits ist die Eucharistie der Ursprung der Einheit in der Liebe, der Gemeinschaft in der Vielfalt der Gaben. Andererseits ist sie das »Mysterium fidei«, das die Aufforderung enthält, von der Oberfläche zu der tiefen Wirklichkeit vorzustoßen, die unter den Äußerlichkeiten liegt. Durch die Eucharistie erleuchtet der Heilige Geist die Augen unseres Herzens und gibt uns dadurch die Möglichkeit, die Zeichen der neuen Zeiten zu verstehen (Ruf vor dem Evangelium, vgl. Ep 1,17 Lk 21,29–31). Das eucharistische Geheimnis ist eine Schule, in der der Christ zum »Intellectus fidei« erzogen wird, indem er sich darin übt, anbetend zu erkennen und betrachtend zu glauben. Gleichzeitig läßt er darin seine christliche Persönlichkeit reifen, damit er in Liebe für die Wahrheit Zeugnis ablegen kann.

5. Liebe Brüder und Schwestern! Dieses akademische Jahr fällt mit dem Jahr der Eucharistie zusammen. Nach dem Beispiel des hl. Thomas von Aquin und aller Kirchenlehrer sollt ihr danach trachten, aus dem Altarsakrament das neue Licht der Weisheit und die stete Kraft eines Lebens nach dem Evangelium zu schöpfen. Zur Eucharistie, dieser unerschöpflichen Quelle des Heils, begleite und führe euch jeden Tag Maria, die »eucharistische Frau« und Jungfrau des gehorsamen Hörens.



HL. MESSE ZUM GEDENKEN AN DIE IM VERGANGENEN JAHR

VERSTORBENEN KARDINÄLE UND BISCHÖFE

Donnerstag, 11. November 2004

1.»Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben« (Jn 6,51). Diese Worte sprach Jesus zu der Menge nach der wunderbaren Brotvermehrung. Er stellt sich selbst als das wahre Manna vor, als ein Geschenk vom himmlischen Vater, damit die Menschen das ewige Leben haben (vgl. ). Diese seine Worte kündigen in gewisser Weise das große Geschenk der Eucharistie an, das Sakrament, das Er im Abendmahlssaal beim Letzten Abendmahl eingesetzt hat.

Am Paschafest vollzieht sich das Geheimnis seines Todes und seiner Auferstehung. Es ist ein Geheimnis, das in der Eucharistie fortwährend gegenwärtig gesetzt wird, dem mystischen Mahl, bei dem der Heiland sich selbst den Geladenen als Speise gibt, um sie an sich zu binden mit einem Band der Liebe und des Lebens, das stärker ist als der Tod.

2. Meine Herren Kardinäle, geehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Brüder und Schwestern! Das Thema des messianischen Mahls ist der Leitfaden unserer Gedanken zu diesem Gottesdienst, bei dem wir unserer Brüder, der vor kurzem verstorbenen Kardinäle und Bischöfe, gedenken.

603 Jedesmal, wenn wir die Eucharistie feiern, nehmen wir teil am Abendmahl des Herrn, das das Festmahl der himmlischen Herrlichkeit vorwegnimmt. Auf dieses glorreiche Mahl hat uns der Prophet Jesaja in der ersten Lesung hingewiesen, die soeben vorgetragen wurde. Es wird auf dem heiligen Berg von Jerusalem stattfinden und wird für immer den Tod und die Trauer beseitigen (vgl. Is 25,6 Is 25,8). Auch Psalm 23 ruft dies in der trostreichen Vision des von Gott selbst eingeladenen Beters in Erinnerung, der für ihn den Tisch deckt und sein Haupt mit Öl salbt (vgl. Psalm 23,5).

3. Wieviel Licht strahlt das Wort Gottes auf die heutige Liturgie aus, wenn wir, im Gebet um den Altar vereint, das eucharistische Opfer im Gedenken an die verehrten Kardinäle und Bischöfe darbringen, die im Laufe des vergangenen Jahres von dieser Welt zum Vater heimgekehrt sind.

Mit Zuneigung gehen meine Gedanken insbesondere zu den Kardinälen: Paulos Tzadua, Opilio Rossi, Franz König, Hyacinthe Thiandoum, Marcelo González Martín, Juan Francisco Fresno Larraín, James Aloysius Hickey und Gustaaf Joos.

Laßt uns beten für sie und für die verstorbenen Erzbischöfe und Bischöfe, die wir mit kindlichem Vertrauen der göttlichen Barmherzigkeit anempfehlen.

4. Wenn wir an sie denken und dabei ihren großherzigen Dienst an der Kirche in Erinnerung rufen, scheint es, als könnten wir ihre Stimmen hören, die mit dem Apostel die Worte wiederholen: »Die Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen« (Rm 5,5)!

Ja, liebe Brüder und Schwestern! Gott ist treu und unsere Hoffnung auf Ihn ist nicht vergeblich. Danken wir dem Herrn für alle Gaben, die er der Kirche durch den priesterlichen Dienst dieser verstorbenen Hirten zuteil werden ließ.

Bitten wir für sie um die mütterliche Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, damit sie am ewigen Mahl teilhaben können, an demselben Mahl, das sie voll Glaube und Liebe auf ihrem irdischen Pilgerweg vorausgekostet haben. Amen!



VESPER IM PETERSDOM ANLÄSSLICH DES 40. JAHRESTAGES DER VERÖFFENTLICHUNG DES KONZILSDEKRETS ÜBER DEN ÖKUMENISMUS "UNITATIS REDINTEGRATIO"

Samstag, 13. November 2004

»Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede« (Ep 2,13f.).


1. Mit diesen Worten aus dem Brief an die Epheser verkündet der Apostel, daß Christus unser Friede ist. In Ihm sind wir versöhnt; wir sind jetzt nicht mehr Fremde, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, gebaut auf dem Fundament der Apostel und der Propheten und mit Christus Jesus selbst als Schlußstein (vgl. Ep 2,19 f.).

Diese Worte des hl. Paulus haben wir anläßlich der heutigen Feier vernommen, die uns in der über dem Grab des Apostels Petrus errichteten ehrwürdigen Basilika versammelt sieht. Von Herzen grüße ich die Teilnehmer an dieser ökumenischen Konferenz, die zum 40. Jahrestag des vom Zweiten Vatikanischen Konzil veröffentlichten Dekrets Unitatis redintegratio einberufen worden ist. Mein Gruß gilt den teilnehmenden Kardinälen, Patriarchen und Bischöfen, den Bruderdelegierten der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, den Konsultoren, den Gästen und den Mitarbeitern des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen. Ich danke euch für die aufmerksame Reflexion über die Bedeutung dieses wichtigen Dekrets und die aktuellen und zukünftigen Perspektiven der ökumenischen Bewegung. Heute abend sind wir hier versammelt, um Gott zu preisen, von dem »jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt« (Jc 1,17), und Ihm für die reichen Früchte zu danken, die das Dekret in den vergangenen 40 Jahren mit dem Beistand des Heiligen Geistes getragen hat. Ökumenische Einheit liegt im Heilsplan Gottes begründet

604 2. Die Umsetzung dieses von meinem Vorgänger, dem seligen Papst Johannes XXIII., erwünschten und von Papst Paul VI. veröffentlichten Konzilsdekrets war von Anfang an eine der pastoralen Prioritäten meines Pontifikats (Ut unum sint UUS 99). Die ökumenische Einheit ist nicht ein zweitrangiges Attribut der Gemeinschaft der Jünger (vgl. ebd., 9), und die ökumenische Aktivität ist nicht lediglich eine Art »Anhängsel«, das der traditionellen Tätigkeit der Kirche hinzugefügt wird (vgl. ebd., 20), sondern es liegt vielmehr im Heilsplan Gottes begründet, alle in der Einheit zu sammeln (vgl. ebd., 5). Daher entsprechen sie dem Willen unseres Herrn Jesus Christus, der eine einzige Kirche gewollt und am Vorabend seines Todes zum Vater gebetet hat, daß alle eins sein mögen (vgl. Jn 17,21).

Nach Einheit zu suchen, bedeutet im wesentlichen, dem Gebet Jesu zuzustimmen. Das Zweite Vatikanische Konzil, das sich diesen Wunsch unseres Herrn zu eigen machte, hat keineswegs etwas Neues geschaffen. Vom Geist Gottes geführt und erleuchtet, hat es den wahren und tiefen Sinn der Einheit und der Katholizität der Kirche in ein neues Licht gerückt. Der ökumenische Weg ist der Weg der Kirche (vgl. ebd., 7), die keine in sich verschlossene Wirklichkeit darstellt, sondern fortwährend offen ist für die missionarische und ökumenische Dynamik (vgl. ebd., 5).

Der Einsatz für die Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Gemeinschaft unter allen Getauften ist nicht nur Sache einiger Experten des Ökumenismus; diese Aufgabe fällt jedem Christen zu, jeder Diözese und Pfarrgemeinde, jeder Gemeinschaft in der Kirche. Alle sind aufgefordert, dieser Aufgabe nachzukommen, und niemand kann sich der Pflicht entziehen, wie Jesus zu beten, damit alle eins sein mögen. Alle sind aufgerufen, für die Einheit der Jünger Christi zu beten und zu arbeiten.

3. Dieser ökumenische Weg ist heute notwendiger denn je in einer Welt, die sich auf ihre Einigung zubewegt, und die Kirche muß bei ihrem Evangelisierungsauftrag neue Herausforderungen annehmen. Das Konzil stellte fest, daß die Spaltung unter den Christen »ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums« ist (Unitatis redintegratio UR 1). Die ökumenische und die missionarische Tätigkeit sind somit miteinander verbunden und verkörpern die beiden Wege, auf denen die Kirche ihre Sendung in der Welt erfüllt und ihre Katholizität konkret zum Ausdruck bringt. In unserer Zeit erleben wir die Ausbreitung eines irrigen gottlosen Humanismus und sehen mit tiefem Schmerz die Konflikte, die die Welt mit Blut beflecken. In dieser Situation ist die Kirche um so mehr dazu berufen, Zeichen und Werkzeug der Einheit und der Versöhnung mit Gott und zwischen den Menschen zu sein (vgl. Lumen gentium LG 1).

Das Dekret über den Ökumenismus war eine der konkreten Initiativen, mit denen die Kirche auf diese Situation geantwortet hat. Dabei hörte sie auf den Geist des Herrn, der uns lehrt, aufmerksam die »Zeichen der Zeit« zu lesen (vgl. Ut unum sint UUS 3). Unser Zeitalter verspürt eine tiefe Sehnsucht nach Frieden. Als glaubhaftes Zeichen und Werkzeug des Friedens Christi muß die Kirche sich dafür einsetzen, die Spaltungen zwischen den Christen zu überwinden, und so immer mehr zum Zeugen jenes Friedens werden, den Christus der Welt anbietet. Angesichts dieser betrüblichen Situation kommen einem unweigerlich die bewegenden Worte des Apostels in den Sinn: »Ich, der ich um des Herrn willen im Gefängnis bin, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält« (). Gemeinschaft mit anderen Christen fördern

4. Die zahlreichen ökumenischen Treffen auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens, die theologischen Dialoge und die Wiederentdeckung der gemeinsamen Zeugen des Glaubens haben die Gemeinschaft mit den anderen Christen – eine in gewissem Maße bereits bestehende, wenn auch noch nicht vollkommene Gemeinschaft – bestätigt, vertieft und bereichert. Wir betrachten andere Christen nicht mehr als fern und fremd, sondern als Brüder und Schwestern. »Die universale Brüderlichkeit der Christen ist zu einer festen ökumenischen Überzeugung geworden … die Christen haben sich zu einer brüderlichen Liebe bekehrt, die alle Jünger Christi umfaßt« (Ut unum sint UUS 42). Wir danken Gott, daß in diesen letzten Jahrzehnten zahlreiche Gläubige in aller Welt den brennenden Wunsch nach der Einheit aller Christen verspürt haben. Von Herzen danke ich jenen, die zum Werkzeug des Geistes geworden sind und für diesen Weg der Annäherung und Versöhnung gebetet und gearbeitet haben.

Dennoch haben wir das Ziel unseres ökumenischen Weges noch nicht erreicht: die volle und sichtbare Gemeinschaft im selben Glauben, in denselben Sakramenten und im selben apostolischen Dienst. Unverständnis und nicht wenige Gegensätze sind, Gott sei Dank, überwunden worden, aber noch ist der Weg voller Hindernisse. Mitunter sind nicht nur fortbestehende Mißverständnisse und Vorurteile festzustellen, sondern auch bedauernswerte Trägheit und Enge des Herzens (vgl. Novo millennio ineunte NM 48) und insbesondere Gegensätze in Glaubensfragen, die sich größtenteils auf das Thema der Kirche, ihres Wesens und ihrer Ämter konzentrieren. Leider stehen wir auch neuen Problemen gegenüber, vor allem im ethischen Bereich, wo es zu weiteren Spaltungen kommt, die das gemeinsame Zeugnis erschweren.

5. Viel Leid und zahlreiche Enttäuschungen sind zweifellos auf die Tatsache zurückzuführen, daß – wie ich in meiner Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (43–46) dargelegt habe – all diese Gründe uns daran hindern, schon jetzt am Sakrament der Einheit teilzunehmen, am Tisch des Herrn das eucharistische Brot zu teilen und aus dem gemeinsamen Kelch zu trinken.

All das darf uns nicht resignieren lassen, im Gegenteil, es sollte uns ermutigen, weiterzumachen und auf dem Gebet und dem Einsatz für die Einheit zu beharren. Auch wenn der vor uns liegende Weg wahrscheinlich noch lang und beschwerlich ist, so wird er dennoch voller Freude und Hoffnung sein. Jeden Tag entdecken und erfahren wir das Wirken und die Eingebung des Geistes Gottes, der, wie wir mit Freude feststellen, auch in den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften wirkt, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen. Wir anerkennen »die Reichtümer Christi und das Wirken der Geisteskräfte im Leben der anderen, die für Christus Zeugnis geben, manchmal bis zur Hingabe des Lebens« (vgl. Unitatis redintegratio UR 4). Anstatt über das zu klagen, was noch nicht möglich ist, sollten wir dankbar sein und uns über das freuen, was bereits verwirklicht und möglich ist. Wenn wir von nun an das tun, was möglich ist, werden wir in der Einheit wachsen, und es wird in uns der notwendige Enthusiasmus entfacht, um die Schwierigkeiten zu überwinden. Nie darf ein Christ die Hoffnung aufgeben und den Mut und die Begeisterung verlieren. Die Einheit der einen und einzigen Kirche, die in der katholischen Kirche bereits besteht und nicht verloren gehen kann, gewährleistet, daß eines Tages auch die Einheit aller Christen Wirklichkeit wird (vgl. ebd., 4).

6. Wie soll die ökumenische Zukunft aussehen? Vor allem müssen wir die Grundlagen der ökumenischen Tätigkeit festigen, das heißt den gemeinsamen Glauben an alles, was im Taufversprechen, im apostolischen Glaubensbekenntnis und im Nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis ausgesagt wird. Diese lehrmäßige Grundlage bringt jenen Glauben zum Ausdruck, zu dem sich die Kirche seit der Zeit der Apostel bekennt. Von diesem Glauben ausgehend, müssen wir dann das Konzept und die Spiritualität der Gemeinschaft entwickeln. »Gemeinschaft der Heiligen« und volle Gemeinschaft bedeuten nicht abstrakte Einheitlichkeit, sondern Reichtum legitimer Verschiedenheit der von allen geteilten und anerkannten Gaben gemäß dem bekannten Sprichwort: »in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas«.

7. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet zudem die Fähigkeit, den christlichen Bruder in der in der Taufe wurzelnden tiefen Einheit anzuerkennen »›wie einen, der zu mir gehört‹, damit ich seine Freuden und Leiden teile, mich seiner Bedürfnisse annehmen und ihm echte, tiefe Freundschaft anbieten kann« (vgl. Novo millennio ineunte NM 43).

605 Spiritualität der Gemeinschaft »ist auch die Fähigkeit, vor allem das Positive im anderen zu sehen, um es als Gottesgeschenk anzunehmen und zu schätzen: nicht nur ein Geschenk für den anderen, der es direkt empfangen hat, sondern auch ein ›Geschenk für mich‹. Spiritualität der Gemeinschaft heißt schließlich, dem Bruder ›Platz machen‹ können, indem ›einer des anderen Last trägt‹ (Ga 6,2) und den egoistischen Versuchungen widersteht, die uns dauernd bedrohen und Rivalität, Karrierismus, Mißtrauen und Eifersüchteleien erzeugen. Machen wir uns keine Illusionen: Ohne diesen geistlichen Weg würden die äußeren Mittel der Gemeinschaft recht wenig nützen. Sie würden zu seelenlosen Apparaten werden, eher Masken der Gemeinschaft als Möglichkeiten, daß diese sich ausdrücken und wachsen kann« (Novo millennio ineunte NM 43).

Kurz gesagt: Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet, gemeinsam den Weg der Einheit zu gehen im unverkürzten Glaubensbekenntnis, in den Sakramenten und im kirchlichen Dienstamt (vgl. Lumen gentium LG 14 Unitatis redintegratio UR 2).

8. Abschließend möchte ich insbesondere auf den geistlichen Ökumenismus verweisen, der – den Worten des Dekrets Unitatis redintegratio entsprechend – Seele und Herz der gesamten ökumenischen Bewegung ist (vgl. UR 8; Ut unum sint, ). Euch allen danke ich, diesen für die Zukunft des Ökumenismus zentralen Aspekt bei diesem Treffen hervorgehoben zu haben. Ohne innere Umkehr und Reinigung des Gedächtnisses, ohne die dem Evangelium entsprechende Heiligkeit des Lebens und vor allem ohne intensives und beharrliches Beten, das sich das Gebet Jesu zum Vorbild nimmt, ist ein wahrer Ökumenismus nicht möglich. In dieser Hinsicht beobachte ich mit Freude die Entwicklung gemeinsamer Gebetsinitiativen wie auch das Entstehen von Gruppen, die die jeweiligen spirituellen Traditionen kennenlernen und teilen (vgl. Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus, 114).

Wir müssen uns so verhalten wie die Apostel und Maria, die Mutter Gottes, nach der Himmelfahrt des Herrn; sie haben sich im Abendmahlssaal versammelt und um die Ausgießung des Geistes gebetet (vgl. ). Er allein, der Geist der Gemeinschaft und der Liebe, kann uns die volle Gemeinschaft schenken, nach der wir uns so tief sehnen.

»Veni creator Spiritus!« Amen!



Predigten 1978-2005 596