Predigten 1978-2005 409

409 Die Vergebung Gottes! Diese freudvolle Botschaft, die die Welt heute besonders braucht, stehe ganz besonders im Mittelpunkt eures Lebens, liebe Priester. Ihr seid dazu berufen, Diener des göttlichen Erbarmens zu sein, das in der Sündenvergebung auf erhabenste Weise zum Ausdruck kommt. Meinen Brief an die Priester zum vergangenen Gründonnerstag habe ich deshalb gerade dem Sakrament der Versöhnung widmen wollen. Und darum, liebe Brüder im Priesteramt, übergebe ich euch heute ideell erneut diese Botschaft und erbitte für jeden von euch und für die gesamte priesterliche Gemeinschaft jene Überfülle der Gnade, von der der Apostel Paulus spricht (vgl. 1Tm 1,14).

Und ihr, liebe Ordensmänner und Ordensfrauen, strahlt mit eurem Beispiel die Freude der Menschen aus, die das Geheimnis der Liebe Gottes erfahren haben, wie im Ruf vor dem Evangelium gut zum Ausdruck kommt: »Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen« (1Jn 4,16).

4. Es ist dringend geboten, in der gegenwärtigen Zeit Christus, den Erlöser des Menschen, zu verkünden, damit seine Liebe von allen erkannt werde und sich in alle Richtungen verbreite. Das Große Jubiläumsjahr 2000 war ein providentielles Werkzeug dieser Verkündigung. Wir müssen aber auf diesem Weg weitergehen. Aus diesem Grunde habe ich zum Abschluß des Heiligen Jahres vor der Kirche und der Welt die Aufforderung Christi an Petrus wiederholt: »Duc in altum – Fahr hinaus« (Lc 5,4).

Diese Einladung wiederhole ich nun dir, liebe Diözese Frosinone-Veroli-Ferentino, damit sie dir Orientierung gebe bei der mutigen spirituellen Erneuerung, die in einen konkreten Pastoralplan umzusetzen ist. Halte beim Aufbau deiner Gegenwart und Zukunft den Blick fest auf Jesus gerichtet. Er ist alles: alles für die Kirche, alles für das Heil des Menschen. Die Universalkirche hat sich mit dem Jubiläumsjahr auf die Suche nach dem Antlitz Christi gemacht. Nun muß sie immer stärker das Bedürfnis und die Leidenschaft verspüren, jenes Licht zu betrachten, das von diesem Antlitz ausgeht, um es auf ihrem täglichen Weg widerzuspiegeln: Jesus – Sohn Gottes; Jesus – Eucharistie; Jesus –Liebe. Jesus – unsere Hoffnung! Jesus – unser ein und alles.

In den Pfarrgemeinden sollen die Zeiten des intensiven Studiums und der Betrachtung des Wortes Gottes vermehrt werden. Über die Heilige Schrift zu meditieren, sie zu vertiefen und zu lieben bedeutet, bescheiden und aufmerksam auf den Herrn zu hören, damit die Gemeinde um den Tisch dieses Wortes wachse: Es erleuchtet Richtlinien und Entscheidungen, es läßt die anzustrebenden Ziele erkennen, vor allem aber läßt es den Glauben in den Seelen brennen, es nährt die Hoffnung, es bekräftigt den Wunsch, allen Menschen die frohe Botschaft zu verkünden. Dies ist die Neuevangelisierung, für die eure Diözesangemeinschaft ein eigenes »Pastoralzentrum« eingerichtet hat.

5. Liebe Brüder und Schwestern! Herz und Leitung eures spirituellen und apostolischen Weges sei die Eucharistie. Das sakramentale Leben ist nämlich die Quelle der Gnade und des Heils für die Kirche. Alles geht vom eucharistischen Christus aus, und alles kehrt zum lebendigen Christus, dem Herz der Welt und Herz der Diözesan- und Pfarrgemeinschaft, zurück. Wenn es euch gelingt, wie ich es euch wünsche, Christus in den Mittelpunkt eures Lebens zu stellen, werdet ihr entdecken, daß er nicht nur von jedem persönlich aufgenommen, sondern auch an die anderen weitergeschenkt, gegeben, gespendet, vermittelt werden möchte. So macht ihr euch, in seinem Namen, zu »barmherzigen Samaritern« an der Seite der Notleidenden, der Armen, der Geringsten und der vielen Immigranten, die aus fernen Ländern in diese Gegend gekommen sind. Ihr werdet erfahren, daß die gesamte seelsorgliche Tätigkeit der Diözesanzentren »für den Gottesdienst und die Heiligung« und »für die Dienste in der Kirche und das Zeugnis der Nächstenliebe« jener überreichen Quelle der Heiligkeit entspringt, die das eucharistische Geheimnis ist und die alle aufruft, nach Heiligkeit zu streben.

Auf den Spuren der Heiligen dieser Region Ciociaria setzt auch ihr euch als Hauptziel, heilig zu werden, wie der himmlische Vater heilig ist, wie der Sohn Jesus Christus heilig ist und wie der Geist, der in unseren Herzen wohnt, heilig ist. Heilig wird man durch das Gebet, durch die Teilnahme an der Eucharistie, durch Werke der Barmherzigkeit, durch das Zeugnis eines demütigen und großherzigen Lebens.

6. Ein besonderes Wort möchte ich an die Eltern richten. Liebe Mütter, liebe Väter! Durch eure Hingabe zeigt ihr euren Kindern, daß Gott gut und groß in der Liebe ist. Belegt mit einem ehrlichen und arbeitsamen Leben, daß die Heiligkeit der »normale« Weg der Christen ist.

Am Sonntag, dem 21. Oktober, werde ich die Freude haben, ein römisches Ehepaar zur Ehre der Altäre zu erheben: die Eheleute Luigi und Maria Beltrame Quattrocchi. Diese Seligsprechung wird im Rahmen des von der Italienischen Bischofskonferenz organisierten Nationalen Familientreffens gefeiert, das am Samstagnachmittag, den 20., und am Sonntag, den 21. Oktober, auf dem Petersplatz in Rom stattfinden wird. Zu diesen beiden bedeutenden Terminen, an denen ich persönlich teilnehmen werde, lade ich die Bischöfe, die Priester und alle italienischen Familien ein, insbesondere jene aus der Region Latium, in der die beiden neuen Seligen gelebt haben. Es wird eine Gelegenheit sein, um über die Berufung der christlichen Familien zur Heiligkeit nachzudenken, sich gleichzeitig der sozialen Rolle der Familie besser bewußt zu werden und die staatlichen Einrichtungen zu ersuchen, die Familie durch angemessene Gesetze und Regeln zu verteidigen und zu fördern.

Diözese Frosinone-Veroli-Ferentino, sei eine Familie von Heiligen! In dieser geliebten Ciociaria, der Heimat bedeutender Persönlichkeiten und hochherziger Diener des Evangeliums, sollst du »Salz der Erde« und »Licht der Welt« sein (vgl. Mt 5,13 – 14).

Maria, die Mutter der Kirche, begleite dich mit ihrer Fürsprache, damit du – worum du während der Vorbereitung auf meinen Pastoralbesuch intensiv gebetet hast – auch in Zukunft eine lebendige Gemeinschaft seist, fest im Glauben, geeint in der Hoffnung und beharrlich in der Liebe. Amen!



PASTORALBESUCH IN KASACHSTAN

410
Astana – Mutterlandsplatz

Sonntag, 23. September 2001

. »Einer ist Gott, / Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: / der Mensch Jesus Christus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle …« (1Tm 2,5).


Diese Worte des Apostels Paulus, die dem ersten Brief an Timotheus entnommen sind, enthalten die zentrale Wahrheit des christlichen Glaubens. Es ist mir eine Freude, sie euch heute verkünden zu können, liebe Brüder und Schwestern Kasachstans. Ich bin unter euch als Apostel und Zeuge Christi; ich bin bei euch als Freund jedes Menschen guten Willens. Allen und jedem einzelnen möchte ich den Frieden und die Liebe Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes anbieten.

Ich kenne eure Geschichte. Ich weiß um die Leiden, die viele von euch ertragen mußten, als das vormalige totalitäre Regime sie ihrem Herkunftsland entrissen und unter äußerst beschwerlichen und entbehrungsreichen Umständen hierher deportiert hat. Es freut mich, heute hier unter euch sein zu können, um euch zu sagen, daß der Papst euch nahe ist.

Voller Zuneigung umarme ich einen jeden von euch, liebe Brüder im Bischofs- und Priesteramt. Besonders begrüße ich Bischof Tomasz Peta, den Apostolischen Administrator von Astanà, dem ich für die Empfindungen danken möchte, die er im Namen aller zum Ausdruck gebracht hat. Mein Gruß geht an die Repräsentanten der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sowie an die Vertreter der verschiedenen Religionen dieser weiten eurasiatischen Region. Ich grüße den Herrn Präsidenten der Republik, die Vertreter der zivilen und militärischen Autoritäten und alle, die sich dieser Feier anschließen wollten.

2. »Einer ist Gott.« Der Apostel bekräftigt vor allem die absolute Einzigkeit Gottes. Diese Wahrheit erbten die Christen von den Söhnen Israels, und sie teilen sie mit den muslimischen Gläubigen: Es ist der Glaube an den einen Gott, den »Herrn des Himmels und der Erde« (Lc 10,21), der allmächtig und barmherzig ist.

Im Namen dieses einen Gottes wende ich mich an die in Kasachstan lebende Bevölkerung, die sich alter und tiefer religiöser Traditionen rühmen kann. Ich wende mich auch an alle, die keinem religiösen Glauben angehören, und an jene, die auf der Suche nach der Wahrheit sind. Ihnen gegenüber möchte ich die Worte des hl. Paulus wiederholen, die ich zu meiner großen Freude im vergangenen Monat Mai auf dem Areopag in Athen hören konnte: »[Gott] ist keinem von uns […] fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir …« (Ac 7,27 – 28). Dies läßt uns daran denken, was euer großer Dichter Abai Kunanbai geschrieben hat: »Könnte man etwa an Seiner Existenz zweifeln / wo doch alles auf der Erde Zeugnis von Ihm ablegt?« (Gedichte 4).

3. »Einer [ist] Mittler zwischen Gott und den Menschen: / der Mensch Jesus Christus …« Nachdem er das Geheimnis Gottes aufgezeigt hat, richtet der Apostel seinen Blick auf Christus, den einzigen Mittler des Heils. Eine Mittlerschaft – so hebt Paulus in einem anderen Brief hervor–, die sich in Armut vollzogen hat. »Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen« (2Co 8,9Ruf vor dem Evangelium).

Jesus »hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein« (Ph 2,6); er wollte sich unserer Menschheit, die schwach und bedürftig ist, nicht in seiner überwältigenden Übermacht zeigen. Wenn er dies getan hätte, so hätte er nicht der Logik Gottes gehorcht, sondern jener der Machtgierigen dieser Welt, die von den Propheten Israels in aller Deutlichkeit angeklagt werden, so etwa im Buch Amos, dem die heutige erste Lesung entnommen ist (vgl. Am Am 8,4 –6).

Das Leben Jesu stand in vollkommenem Einklang mit dem Heilsplan des Vaters, der »will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen« (1Tm 2,4). Für diesen Willen legte er treu Zeugnis ab, indem er »sich als Lösegeld hingegeben hat für alle «(1Tm 2,6). Dadurch daß er sich aus Liebe vollkommen entäußert hat, erwirkte er uns die Freundschaft mit Gott, die durch die Sünde verlorengegangen war. Auch uns empfiehlt Er diese »Logik der Liebe« und bittet uns, sie vor allem durch die Großherzigkeit gegenüber den Bedürftigen zum Ausdruck zu bringen. Es ist eine Logik, die Christen und Muslims aneinander annähern und sie ermutigen kann, gemeinsam die »Zivilisation der Liebe« aufzubauen. Es ist eine Logik, die alle Hinterhältigkeit der Welt überwindet und es ermöglicht, sich wahre Freunde zu machen, die uns in den »ewigen Wohnungen« aufnehmen werden (Lc 6,9), in der »Heimat« des Himmels.

411 4. Meine Lieben, die Heimat der Menschheit ist das Reich Gottes! Es ist von besonderer Bedeutung, daß wir über diese Wahrheit gerade an diesem Ort nachdenken können, auf dem Platz, der nach dem Mutterland benannt ist, vor diesem Monument, durch das es sinnbildlich dargestellt wird. Das II. Vatikanische Konzil lehrt, daß es eine Beziehung gibt zwischen der Menschengeschichte und dem Reich Gottes, zwischen den partiellen Verwirklichungen des sozialen Zusammenlebens und jenem letzten Ziel, zu dem die Menschheit – durch die freie Initiative Gottes – berufen ist (vgl. Gaudium et spes GS 33 – 39).

Der 10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans, den ihr dieses Jahr feierlich begeht, führt euch dazu, hierüber nachzudenken. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der irdischen Heimat mit ihren Werten und Zielen und dem himmlischen Vaterland, in das die gesamte Menschenfamilie – durch Überwindung aller Formen von Ungerechtigkeiten und Konflikten – einzugehen berufen ist? Das Konzil gibt uns eine erhellende Antwort: »Obschon der irdische Fortschritt eindeutig vom Wachstum des Reiches Christi zu unterscheiden ist, so hat er doch große Bedeutung für das Reich Gottes, insofern er zu einer besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaft beitragen kann« (ebd., 39).

5. Die Christen sind zugleich Bewohner der Welt und Bürger des Himmelreiches. Sie setzen sich vorbehaltlos für den Aufbau der irdischen Gesellschaft ein, bleiben jedoch auf die ewigen Güter ausgerichtet; hierbei orientieren sie sich gleichsam an einem höheren transzendenten Vorbild, um es immer mehr und immer besser im alltäglichen Leben zu verwirklichen.

Der christliche Glaube bedeutet keine Abkehr vom Einsatz hier auf Erden. Wenn er in manchen Situationen diesen Eindruck vermittelt, so ist dies zurückzuführen auf die Inkonsequenz so vieler Christen: In Wirklichkeit ist der wahrhaftig gelebte christliche Glaube wie ein Sauerteig für die Gesellschaft: er läßt sie wachsen und auf menschlicher Ebene reifen und macht sie offen für die transzendente Dimension des Reiches Christi, in dem die neue Menschheit vollkommen verwirklicht ist.

Diese geistliche Dynamik bezieht ihre Kraft aus dem Gebet, wie uns vor kurzem in der zweiten Lesung in Erinnerung gerufen wurde. Und eben dies wollen wir in dieser Feier tun, wenn wir für Kasachstan und seine Einwohner beten, damit dieses große Land, angesichts der Vielfalt seiner ethnischen, kulturellen und religiösen Bevölkerungsgruppen, in der Gerechtigkeit, der Solidarität und im Frieden fortschreite. Es mache Fortschritte dank der Zusammenarbeit von Christen und Muslims, die jeden Tag Seite an Seite auf der demütigen Suche nach dem Willen Gottes sind.

6. Das Gebet muß stets von den entsprechenden Werken begleitet werden. Im Treue zu Christus trennt die Kirche nie die Evangelisierung von der Förderung des Menschen, und sie ermutigt ihre Gläubigen, in allen Bereichen zu Förderern der Erneuerung und des sozialen Fortschritts zu werden.

Liebe Brüder und Schwestern, möge das »Mutterland« Kasachstan in euch hingebungsvolle und eifrige Kinder finden, die dem geistlichen und kulturellen Erbe eurer Väter treu sind und es den neuen Anforderungen anzupassen verstehen.

Unterscheidet euch, gemäß dem Vorbild des Evangeliums, durch eure Demut und Konsequenz, indem ihr eure Talente im Dienst am Gemeinwohl Früchte tragen laßt und euch vor allem der schwächsten und benachteiligsten Personen annehmt. Der Respekt der Rechte jedes einzelnen – auch mit unterschiedlichen persönlichen Überzeugungen – ist Voraussetzung für jedes wahrhaft menschliche Zusammenleben.

Lebt in einem tiefen und tatkäftigen Geist der Gemeinschaft zwischen euch und allen Menschen, indem ihr euch daran orientiert, was die Apostelgeschichte über die erste Gemeinschaft der Glaubenden berichtet (Ac 2,44 – 45; 4,32). Bezeugt die Nächstenliebe, die ihr am Tisch der Eucharistie stärkt, durch die geschwisterliche Liebe und den Dienst an den Armen, Kranken und Ausgegrenzten. Seid Baumeister der Begegnung, der Versöhnung und des Friedens zwischen unterschiedlichen Personen und Gruppen, indem ihr einen wahren Dialog pflegt, der stets die Wahrheit zur Geltung bringen möge.

7. Liebt die Familie! Verteidigt und fördert diese Grundzelle des sozialen Organismus; kümmert euch um dieses vorrangige Heiligtum des Lebens. Steht mit Aufmerksamkeit den Verlobten und den jungen Brautpaaren zur Seite, damit sie für ihre Kinder und die gesamte Gemeinschaft ein beredtes Zeichen der Liebe Gottes werden.

Ihr Lieben, voller Freude und Ergriffenheit möchte ich allen hier Anwesenden und allen Gläubigen, die mit uns verbunden sind, eine Einladung zurufen, die ich zu Beginn des neuen Jahrtausends so häufig wiederholt habe: »Duc in altum

412 Ich umarme dich voller Zuneigung, Bevölkerung von Kasachstan, und ich hege den Wunsch, daß du all deine Vorhaben der Liebe und des Heils zur Vollendung bringen mögest. Gott wird dich nicht verlassen. Amen!



PASTORALREISE NACH KASACHSTAN

Astana – Kathedrale ,,Mutter der immerwährenden Hilfe"

Montag, 24. September 2001

Das Volk »soll nach Jerusalem in Juda hinaufziehen und das Haus des Herrn, des Gottes Israels, aufbauen« (Esd 1,3).


Mit diesen Worten befahl der Perserkönig Kyrus, als er dem »Rest von Israel« die Freiheit schenkte, den Verschleppten, die heilige Stätte in Jerusalem wieder aufzubauen, wo der Name Gottes angebetet werden konnte. Es war ein Auftrag, den die Verbannten voll Freude aufnahmen, so daß sie sich rasch auf den Weg machten in das Land ihrer Väter.

Wir können uns die Aufregung vorstellen, die eiligen Vorbereitungen, die Freudentränen, die Dankeslieder, die die Verbannten bei ihrer Rückkehr in die Heimat begleiteten. Nach den Klagen im Exil konnte »der Rest von Israel« wieder lächeln, als es sich nach Jerusalem, der Stadt Gottes, aufmachte. Es konnte endlich Dankeslieder anstimmen für die großen Taten, die der Herr unter ihnen vollbracht hatte (vgl. Ps 125,1 – 2).

2. Wir empfinden ähnliche Gefühle heute, während wir die Eucharistie zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria, der Königin des Friedens, feiern. Nach der kommunistischen Unterdrückung könnt auch ihr – gleichsam als Exilanten – wieder den gemeinsamen Glauben bekennen.Während ihr an die in den vergangenen zehn Jahren überwundenen Schwierigkeiten zurückdenkt, lobpreist ihr heute nach zehn Jahren der wiedererlangten Freiheit die Barmherzigkeit des Herrn, der seine Kinder auch in Zeiten der Prüfung nicht verläßt. Seit langem habe ich das heutige Treffen herbeigewünscht, um eure Freude teilen zu können.

Ich grüße mit brüderlicher Zuneigung den Bischof von Karagandà, Msgr. Jan Pawel Lenga, der in diesem Jahr sein zehnjähriges Bischofsjubiläum feiert. Ich danke ihm für die an mich gerichteten freundlichen Worte, und gemeinsam mit ihm lobpreise ich Gott für das Gute, das er für die Kirche getan hat. Ich hätte auch gern seine Diözese besucht, aber die Umstände haben es nicht erlaubt. Mit gleicher Herzlichkeit grüße ich den Apostolischen Administrator von Astana, Msgr. Tomasz Peta; den Apostolischen Administrator von Almaty, Msgr. Henry Theophilus Howaniec;und den Apostolischen Administrator von Atyrau, den Hochwürdigen Herrn Janusz Kaleta. Ich grüße die Oberen der Missionen »sui iuris« und alle lieben geistlichen Würdenträger, die hier anwesend sind. Großherziger Einsatz in einem weiten Gebiet

Einen herzlichen Gruß richte ich an euch, liebe Priester, Ordensleute und Seminaristen von Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan. Ich umarme euch alle mit aufrichtiger Hochschätzung für den großherzigen Einsatz, mit dem ihr eure Aufgaben erfüllt. Durch euch möchte ich eure Gemeinschaften und die einzelnen Christen erreichen, die ihnen angehören. Liebe Schwestern und Brüder! Steht in Treue zum Herrn des Lebens, und baut gemeinsam seinen lebendigen Tempel auf, der die in diesem weiten eurasischen Gebiet verbreitete kirchliche Gemeinschaft ist.

3. Den Tempel des Herrn wieder aufbauen: Das ist die Sendung, zu der ihr berufen und für die ihr geweiht seid. Ich denke in diesem Moment an eure Gemeinschaften, die zerstreut und bedrängt waren. Im Geist und im Herzen sind die unsäglichen Prüfungen derer gegenwärtig, die nicht nur das körperliche Exil und Gefängnis erlitten haben, sondern auch die öffentliche Verhöhnung und Gewalt, weil sie ihren Glauben nicht verleugnen wollten.

Ich möchte hier u. a. an den sel. Oleks Zarytsky, den Priester und Martyrer, erinnern, der im Gulag von Dolynka gestorben ist;an den sel. Msgr. Mykyta Budka, gestorben im Gulag von Karadzar;an Msgr. Alexander Chira, der über zwanzig Jahre lang der beliebte und hochherzige Oberhirte von Karangandà war und in seinem letzten Brief schrieb:»Ich übergebe meinen Leib der Erde, meinen Geist dem Herrn, und mein Herz, das schenke ich Rom. Ja, mit dem letzten Atemzug meines Lebens will ich meine volle Treue zum Stellvertreter Christi auf Erden bekennen.« Ich denke noch an P. Tadeusz Federowicz, den ich persönlich kenne und der als »Initiator« einer neuen Art der Seelsorge an den Deportierten bezeichnet werden kann.

413 In dieser Eucharistiefeier gedenken wir ihrer aller in Dankbarkeit und Liebe. Auf ihren Leiden, vereint mit dem Kreuz Christi, ist das neue Leben eurer christlichen Gemeinschaft erblüht.

4. Wie die nach Jerusalem zurückgekehrten Juden werdet auch ihr »Brüder finden, die euch in jeder Weise unterstützen« (vgl. Es 1,6). Meine Anwesenheit heute unter euch soll euch der Solidarität der universalen Kirche versichern. Dieses nicht leichte Vorhaben ist – getragen von der unerläßlichen Hilfe Gottes – eurer Klugheit, eurem Einsatz und eurer Sensibilität anvertraut. Ihr seid berufen, selbst Handwerker, Schmiede, Maurer und Arbeiterschaft des geistlichen Tempels zu sein, den es aufzubauen gilt.

Liebe Priester, das geistliche Klima der Gemeinschaft und echten Zusammenarbeit, das ihr unter euch und mit den gläubigen Laien erzeugt, ist der Schlüssel für das Gelingen dieser interessanten und schweren Aufgabe. Im täglichen Dienst sei das neue Gebot für euch richtungweisend, das Christus am Vorabend vor seinem Leiden uns gegeben hat: »Liebt einander!« (
Jn 13,34). Dieses Thema habt ihr passenderweise für meinen Pastoralbesuch gewählt. Es verpflichtet euch, das Geheimnis der Gemeinschaft konkret zu leben in der Verkündigung des lebendigen Wortes, in der Belebung der Liturgie, in der Sorge für die jungen Generationen, in der Heranbildung der Katechisten, in der Förderung der katholischen Verbände und Vereine, in der Aufmerksamkeit für die Menschen in materieller oder geistlicher Not. So könnt ihr in Einheit mit euren Ordinarien und zusammen mit den Ordensleuten den Tempel des Herrn aufbauen!

5. In diesen zehn Jahren der wiedererlangten Freiheit wurde viel geschaffen, dank des unermüdlichen Evangelisierungseifers, der euch auszeichnet. Aber alle äußeren Strukturen müssen einem soliden inneren Fundament entsprechen. Deshalb ist es wichtig, die theologische, asketische und pastorale Bildung derer zu pflegen, die der Herr in seinen Dienst ruft.

Ich freue mich über das in Karagandà neueröffnete Priesterseminar, das die Seminaristen der zentralasiatischen Republiken aufnehmen soll. Ihr wolltet es zusammen mit dem Diözesanzentrum einem tüchtigen Priester, P. Wladyslaw Bukowinski, widmen, der während der schweren Jahre des Kommunismus sein Dienstamt in dieser Stadt ununterbrochen ausgeübt hat. »Wir wurden nicht zu dem Zweck geweiht, daß wir uns schonen« – schrieb er in seinen Memoiren –, »sondern daß wir, wenn nötig, unser Leben für die Schafe Christi hingeben.« Ich hatte das Glück, ihn persönlich zu kennen und seinen tiefen Glauben, seine weisen Worte und sein unerschütterliches Vertrauen auf die Macht Gottes hochzuschätzen. Ihm und allen anderen, die unter Entbehrungen und Verfolgungen ihr Leben hingaben, möchte ich heute im Namen der ganzen Kirche die Ehre erweisen.

Diese treuen Arbeiter des Evangeliums sind Vorbild und Ermutigung auch für euch, liebe geweihte Männer und Frauen. Ihr seid berufen, Zeichen der Unentgeltlichkeit und Liebe im Dienst am Reich Gottes zu sein. »Das Leben der Kirche und der Gesellschaft« – betonte ich im nachsynodalen Apostolischen Schreiben Vita consecrata – »hat Menschen nötig, die fähig sind, sich ganz Gott und aus Liebe zu Gott den anderen zu widmen« (105). Von euch wird verlangt, jene seelische Fülle anzubieten, die die Welt so dringend braucht.

6. Der Verkünder muß zuallererst glaubwürdiger Zeuge des Evangeliums sein. Die politische und soziale Atmosphäre hat sich jetzt von der Last der totalitären Unterdrückung befreit, und es ist zu wünschen, daß keine Macht mehr die Freiheit der Gläubigen einschränken wird. Jetzt ist es notwendig, daß jeder Jünger Christi Licht der Welt und Salz der Erde ist (vgl. Mt 4,13 – 14). Ja, es ist noch notwendiger auf Grund der geistlichen Verwüstung, die der militante Atheismus hinterlassen hat, wie auch auf Grund der Gefahren, die dem Hedonismus und Konsumismus von heute innewohnen.

Mit der Kraft des Zeugnisses, liebe Brüder und Schwestern, sollt ihr die Freundlichkeit des Dialogs verbinden. Kasachstan ist ein Land, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft und verschiedener Religionszugehörigkeit wohnen, die Erben hochentwickelter Kulturen und einer reichen Geschichte sind. Der weise Abai Kunanbai, ein bedeutender Vertreter der kasachischen Kulturwelt, bekräftigte mit Offenherzigkeit: »Gerade weil wir Gott vollkommen anbeten und an ihn glauben, haben wir nicht das Recht, die anderen zu zwingen, an ihn zu glauben und ihn anzubeten« (Sprüche, Kap. 45).

Die Kirche will den anderen ihren Glauben nicht aufzwingen. Dennoch steht fest, daß das die Jünger des Herrn nicht davon entbindet, den anderen das große Geschenk zu vermitteln, an dem sie teilhaben: das Leben in Christus. »Wir brauchen uns nicht zu fürchten, daß das eine Beleidigung für die Identität des anderen sein könnte, was frohe Verkündigung eines Geschenkes ist:eines Geschenkes, das für alle bestimmt ist und das allen mit größter Achtung der Freiheit eines jeden angeboten werden soll. Es ist das Geschenk der Verkündigung des Gottes, der Liebe ist« (Novo millennio ineunte NM 56). Je mehr man sie bezeugt, um so mehr wächst die Liebe Gottes im Herzen.

7. Liebe Brüder und Schwestern, wenn eure apostolische Mühe von Tränen benetzt wird und wenn der Weg steiler und schwieriger wird, dann denkt an das Gute, das der Herr durch eure Hände, euer Wort und euer Herz vollbringt. Er hat euch als Geschenk für den Nächsten hierher gestellt.Seid dieser Sendung gewachsen.

Und du, Maria, Königin des Friedens, stütze diese deine Kinder. Dir vertrauen wir sie heute mit neuer Zuversicht an. Mutter der immerwährenden Hilfe, du umfängst von dieser Kathedrale aus die ganze kirchliche Gemeinschaft: Hilf den Gläubigen, sich hochherzig in ihrem Glaubenszeugnis zu engagieren, damit das Evangelium deines Sohnes an jedem Ort dieses geliebten, unermeßlichen Landes verkündet werde. Amen.



APOSTOLISCHE REISE NACH ARMENIEN

414
Ökumenisches Gebetstreffen


PREDIGT VON JOHANNNES PAUL II.


Kathedrale des hl. Gregorios

Eriwan, 26. September 2001




»Seht doch, wie gut und schön ist es,
wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen« (Ps 133,1).

Gelobt sei Jesus Christus!

1. Am vergangenen Sonntag hatten Eure Heiligkeit und das gesamte Katholikat von Etschmiadzin die Freude, diese neue Kathedrale des hl. Gregorios des Erleuchters einzuweihen als würdiges Gedächtnis an die 1700jährige Treue Armeniens zu unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus. Dieses herrliche Gotteshaus zeugt von dem Glauben, den eure Väter euch weitergegeben haben, und spricht zu uns allen von der Hoffnung, die heute das armenische Volk bewegt, mit neuer Zuversicht und mutiger Entschlossenheit in die Zukunft zu blicken.

Für mich persönlich ist es eine große Freude, mit Eurer Heiligkeit diese ökumenische Liturgie zu leiten. Sie ist gleichsam die Fortsetzung unseres gemeinsamen Gebets vom vergangenen Jahr in der Petersbasilika in Rom. Dort haben wir zusammen die Reliquie des hl. Gregorios des Erleuchters verehrt, und der Herr gewährt uns heute, hier in Eriwan dieselbe Geste zu wiederholen. Ich umarme Eure Heiligkeit mit derselben brüderlichen Zuneigung, mit der Sie mich während Ihres Besuchs in Rom begrüßt haben.

Ich danke Seiner Exzellenz dem Präsidenten der Republik für seine Anwesenheit bei diesem ökumenischen Treffen zum Zeichen unserer gemeinsamen Überzeugung, daß die Nation durch die gegenseitige Achtung und die Zusammenarbeit aller ihrer Institutionen blühen und gedeihen wird. Ich denke in diesem Augenblick an Seine Heiligkeit Aram I., den Katholikos des Großen Hauses von Kilikien, wie auch an die armenischen Patriarchen von Jerusalem und Konstantinopel: Ich sende ihnen einen Gruß in der Liebe des Herrn. Herzlich grüße ich die geehrten Mitglieder aller zivilen und religiösen Autoritäten und die heute abend hier vertretenen Gemeinschaften.

2. Als sich König Tiridates III. durch die Predigt des hl. Gregorios bekehrte, wurde die lange Geschichte des armenischen Volkes von einem neuen Licht erhellt. Die Universalität des Glaubens verband sich unauflöslich mit eurer nationalen Identität. Der christliche Glaube faßte für immer Wurzeln in diesem Land um den Berg Ararat, und das Wort des Evangeliums beeinflußte sehr stark die Sprache, das Familienleben, die Kultur und die Kunst des armenischen Volkes.

Während die armenische Kirche ihre eigene Identität bewahrte und weiterentfaltete, bemühte sie sich, auch den Dialog mit anderen christlichen Traditionen zu pflegen und aus deren geistlichem und kulturellem Erbe zu schöpfen. Schon von den Anfängen an wurden nicht nur die Heiligen Schriften, sondern auch die Hauptwerke der syrischen, griechischen und lateinischen Väter ins Armenische übersetzt. Die armenische Liturgie ließ sich von den liturgischen Traditionen der Kirche des Orients und des Okzidents inspirieren. Dank dieser außergewöhnlichen geistigen Öffnung war die armenische Kirche im Lauf der Geschichte besonders empfänglich für das Anliegen der Einheit der Christen. Heilige Patriarchen und Kirchenlehrer wie Isaak der Große, Babghèn von Otmus, Zacharias von Dzag, Nerses Snorhali, Nerses von Lambron, Stefan von Salmasta, Jakob von Julfa u. a. waren bekannt für ihren Eifer im Hinblick auf die Einheit der Kirche.

415 In seinem Brief an den byzantinischen Kaiser beschrieb Nerses Snorhali einige Grundprinzipien des ökumenischen Dialogs, die immer noch voll gültig sind. Bei seinen vielen intuitiven Erkenntnissen besteht er auch darauf, daß die Suche nach der Einheit Aufgabe der ganzen Gemeinschaft ist und man deshalb nicht zulassen darf, daß innerhalb der Kirchen Spaltungen entstehen. Er lehrt weiter, daß eine Heilung der Erinnerungen notwendig ist, um den Groll und die Vorurteile der Vergangenheit zu überwinden; unerläßlich sind auch gegenseitige Achtung und Sinn für Gleichheit unter den Gesprächspartnern, die die einzelnen Kirchen vertreten; er sagt auch, daß die Christen tief davon überzeugt sein müssen, daß die Einheit grundlegend ist, nicht wegen eines strategischen Vorteils oder politischen Verdienstes, sondern im Interesse der Verkündigung des Evangeliums, wie es Christus uns aufträgt. Die Erkenntnisse dieses großen armenischen Lehrers sind Frucht einer außerordentlichen pastoralen Klugheit, und ich mache sie mir zu eigen, während ich heute unter euch bin.

3. »Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen« (
Ps 133,1). Als Papst Paul VI. und Katholikos Vasken I. im Jahr 1970 den Friedenskuß tauschten, setzten sie den Anfang für eine neue Epoche brüderlicher Kontakte zwischen der Kirche von Rom und der armenischen Kirche. Diesem Treffen folgten weitere wichtige Besuche. Ich selbst habe in besonders guter Erinnerung die Besuche Seiner Heiligkeit Karekin I. in Rom, zuerst als Katholikos des Großen Hauses von Kilikien, dann als Katholikos von Etschmiadzin. Nachdem er als Beobachter am II. Vatikanischen Konzil teilgenommen hatte, nutzte Katholikos Karekin I. jede Gelegenheit, um brüderliche Beziehungen und praktische Zusammenarbeit unter den Christen des Ostens und des Westens zu fördern. Ich hätte ihn sehr gern hier in Armenien besucht, aber sein schlechter Gesundheitszustand und dann sein vorzeitiger Tod verhinderten es. Ich danke dem Herrn, daß er uns diesen großen Mann der Kirche geschenkt hat, ein kluges und mutiges Vorbild der Einheit der Christen.

Eure Heiligkeit, es freut mich, Ihren Besuch, den Sie mir mit einer Delegation von armenischen Bischöfen und Gläubigen in Rom abstatteten, erwidern zu können. Ich verstand damals Ihre hochherzige Einladung, Armenien und den heiligen Etschmiadzin zu besuchen, als ein echtes Zeichen der Freundschaft und kirchlichen Liebe. Jahrhundertelang waren die Kontakte zwischen der armenisch-apostolischen Kirche und der Kirche von Rom eng und herzlich, und der Wunsch nach der vollen Einheit verlosch nie ganz. Mein Besuch heute bezeugt unsere geteilte Sehnsucht, zur vollen Einheit zu gelangen, die der Herr für seine Jünger gewollt hat. Wir befinden uns in der Nähe des Ararat, wo nach der Überlieferung Noahs Arche landete. Wie die Taube mit dem Ölzweig des Friedens und der Liebe zurückkehrte (vgl. Gn 8,11), so bitte ich, daß mein Besuch gleichsam eine Weihe der schon unter uns bestehenden reichen und fruchtbaren Zusammenarbeit ist.

Zwischen der katholischen Kirche und der Kirche Armeniens besteht eine wahre und enge Einheit, weil beide die apostolische Nachfolge bewahrt und gültige Sakramente haben, insbesondere die Taufe und die Eucharistie. Dieses Bewußtsein muß uns anspornen, noch eifriger zu wirken und unseren ökumenischen Dialog zu verstärken. In diesem Dialog des Glaubens und der Liebe darf keine noch so schwierige Frage außer Acht gelassen werden. Im Bewußtsein der Bedeutung des Amtes des Bischofs von Rom bei der Suche nach der Einheit der Christen bat ich – in meiner Enzyklika Ut unum sint – die Bischöfe und die Theologen unserer Kirchen, nachzudenken, um »Formen zu finden, in denen dieser Dienst einen von den einen und anderen anerkannten Dienst der Liebe zu verwirklichen vermag« (95). Das Beispiel der ersten Jahrhunderte des Lebens der Kirche kann uns bei dieser Unterscheidung hilfreich sein. Mein inniges Gebet ist, daß dieser »Gabenaustausch«, von dem die Kirche des ersten Jahrtausends ein so schönes Beispiel gegeben hat, wieder Wirklichkeit wird. Die Erinnerung an die Zeit, in der die Kirche mit »beiden Lungen« atmete, soll die Christen des Ostens und des Westens anspornen, gemeinsam in der Einheit des Glaubens und in Achtung der legitimen Verschiedenheit fortzuschreiten, indem sie einander als Glieder des einen Leibes Christi annehmen und stützen (vgl. Novo millennio ineunte NM 48).

4. Einmütig schauen wir auf Christus, unsern Frieden, der das vereinigt hat, was einst getrennt war (vgl. Ep 2,14). Die Zeit drängt wirklich, und es ist unsere heilige und dringende Pflicht. Wir müssen allen Menschen unserer Zeit die frohe Botschaft von der Erlösung verkünden. Nachdem sie die geistige und geistliche Leere des Kommunismus und Materialismus erfahren haben, suchen sie den Weg des Lebens und der Glückseligkeit: Sie dürsten nach dem Evangelium. Wir haben ihnen gegenüber eine große Verantwortung, und sie erwarten von uns ein überzeugendes Zeugnis der Einheit im Glauben und in der gegenseitigen Liebe. Weil wir die volle Gemeinschaft zum Ziel haben, sollten wir so viel wie möglich von dem gemeinsam machen, was wir nicht getrennt tun müssen. Arbeiten wir zusammen in voller Achtung unserer verschiedenen Identität und Traditionen. Nie wieder Christen gegen Christen, nie wieder Kirche gegen Kirche! Gehen wir vielmehr gemeinsam Hand in Hand, damit die Welt des 21. Jahrhunderts und des neuen Jahrtausends glaubte.

5. Die Armenier hegten immer große Verehrung für das Kreuz Christi. Im Laufe der Jahrhunderte, zur Zeit der Prüfung und des Leidens, war das Kreuz ihre unerschöpfliche Quelle der Hoffnung. Kennzeichnend für dieses Land sind die vielen Kreuze in Form des »Katchkar«, die eure feste Treue zum christlichen Glauben bezeugen. In dieser Zeit des Jahres feiert die armenische Kirche eines ihrer Hochfeste: die Kreuzerhöhung.

Über die Erde erhöht am Holz des Kreuzes, zieht Jesus Christus, unser Heil, Leben und Auferstehung, alle zu sich (vgl. Jn 12,32).

O Kreuz Christi, unsere wahre Hoffnung! Wenn die Sünde und menschliche Schwachheit ein Grund zur Trennung sind, gib uns die Kraft, einander zu vergeben und uns miteinander zu versöhnen. O Kreuz Christi, sei unsere Stütze, während wir uns bemühen, die volle Gemeinschaft wiederherzustellen unter denen, die auf den gekreuzigten Herrn als unseren Erlöser und unseren Gott blicken. Amen.

Ich danke für eure Aufmerksamkeit und rufe den Segen Gottes auf unsere Schritte auf dem Weg zur vollen Einheit herab.



Predigten 1978-2005 409