Lumen gentium DE 60

III. Die selige Jungfrau und die Kirche


60 Ein einziger ist unser Mittler nach dem Wort des Apostels: "Es gibt nämlich nur einen Gott und nur einen Mittler Gottes und der Menschen, den Menschen Christus Jesus, der sich selbst als Erlösung für alle gegeben hat" (1Tm 2,5-6). Marias mütterliche Aufgabe gegenüber den Menschen aber verdunkelt oder mindert diese einzige Mittlerschaft Christi in keiner Weise, sondern zeigt ihre Wirkkraft. Jeglicher heilsame Einfluß der seligen Jungfrau auf die Menschen kommt nämlich nicht aus irgendeiner sachlichen Notwendigkeit, sondern aus dem Wohlgefallen Gottes und fließt aus dem Überfluß der Verdienste Christi, stützt sich auf seine Mittlerschaft, hängt von ihr vollständig ab und schöpft aus ihr seine ganze Wirkkraft. Die unmittelbare Vereinigung der Glaubenden mit Christus wird dadurch aber in keiner Weise gehindert, sondern vielmehr gefördert.


61 Die selige Jungfrau, die von Ewigkeit her zusammen mit der Menschwerdung des göttlichen Wortes als Mutter Gottes vorherbestimmt wurde, war nach dem Ratschluß der göttlichen Vorsehung hier auf Erden die erhabene Mutter des göttlichen Erlösers, in einzigartiger Weise vor anderen seine großmütige Gefährtin und die demütige Magd des Herrn. Indem sie Christus empfing, gebar und nährte, im Tempel dem Vater darstellte und mit ihrem am Kreuz sterbenden Sohn litt, hat sie beim Werk des Erlösers in durchaus einzigartiger Weise in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen. Deshalb ist sie uns in der Ordnung der Gnade Mutter.


62 Diese Mutterschaft Marias in der Gnadenökonomie dauert unaufhörlich fort, von der Zustimmung an, die sie bei der Verkündigung gläubig gab und unter dem Kreuz ohne Zögern festhielt, bis zur ewigen Vollendung aller Auserwählten. In den Himmel aufgenommen, hat sie diesen heilbringenden Auftrag nicht aufgegeben, sondern fährt durch ihre vielfältige Fürbitte fort, uns die Gaben des ewigen Heils zu erwirken (186). In ihrer mütterlichen Liebe trägt sie Sorge für die Brüder ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen, bis sie zur seligen Heimat gelangen. Deshalb wird die selige Jungfrau in der Kirche unter dem Titel der Fürsprecherin, der Helferin, des Beistandes und der Mittlerin angerufen (187). Das aber ist so zu verstehen, daß es der Würde und Wirksamkeit Christi, des einzigen Mittlers, nichts abträgt und nichts hinzufügt (188).

Keine Kreatur nämlich kann mit dem menschgewordenen Wort und Erlöser jemals in einer Reihe aufgezählt werden. Wie vielmehr am Priestertum Christi in verschiedener Weise einerseits die Amtspriester, andererseits das gläubige Volk teilnehmen und wie die eine Gutheit Gottes auf die Geschöpfe in verschiedener Weise wirklich ausgegossen wird, so schließt auch die Einzigkeit der Mittlerschaft des Erlösers im geschöpflichen Bereich eine unterschiedliche Teilnahme an der einzigen Quelle in der Mitwirkung nicht aus, sondern erweckt sie.

Eine solche untergeordnete Aufgabe Marias zu bekennen, zögert die Kirche nicht, sie erfährt sie auch ständig und legt sie den Gläubigen ans Herz, damit sie unter diesem mütterlichen Schutz dem Mittler und Erlöser inniger anhangen.

(186) Vgl. Kleutgen, neugefaßter Text De Mysterio Verbi incarnati, Kap. IV: Mansi 53, 290. Vgl. Andreas v. Kreta, In nat. Mariae, sermo 4: PG 97, 865 A. Germanus v. Konstantinopel, In annunt. Deiparae: PG 98, 321 BC. Ders., In dorm. Deiparae, III: PG 98, 361 D. Johannes v. Damaskus, In dorm. B. V. Mariae, Hom. 1, 8: PG 96, 712 BC - 713 A.
(187) Vgl. Leo XIII., Enz. Adiutricem populi, 5. Sept. 1895: ASS 15 (1895-96) 303. Pius X., Enz. Ad diem illum, 2 Febr. 1904: Acta, I, 154; Denz. 1978 a (3370). Pius XI., Enz. Miserentissimus, 8. Mai 1928: AAS 20 (1928) 178. Pius XII., Radiobotschaft, 13. Mai 1946: AAS 38 (1946) 266.
(188) Ambrosius, Epist. 63: PL 16, 1218.


63 Die selige Jungfrau ist aber durch das Geschenk und die Aufgabe der göttlichen Mutterschaft, durch die sie mit ihrem Sohn und Erlöser vereint ist, und durch ihre einzigartigen Gnaden und Gaben auch mit der Kirche auf das innigste verbunden. Die Gottesmutter ist, wie schon der heilige Ambrosius lehrte, der Typus der Kirche unter der Rücksicht des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus (189). Im Geheimnis der Kirche, die ja auch selbst mit Recht Mutter und Jungfrau genannt wird, ist die selige Jungfrau Maria vorangegangen, da sie in hervorragender und einzigartiger Weise das Urbild sowohl der Jungfrau wie der Mutter darstellt (190). Im Glauben und Gehorsam gebar sie den Sohn des Vaters auf Erden, und zwar ohne einen Mann zu erkennen, vom Heiligen Geist überschattet, als neue Eva, die nicht der alten Schlange, sondern dem Boten Gottes einen von keinem Zweifel verfälschten Glauben schenkte. Sie gebar aber einen Sohn, den Gott gesetzt hat zum Erstgeborenen unter vielen Brüdern (Rm 8,29), den Gläubigen nämlich, bei deren Geburt und Erziehung sie in mütterlicher Liebe mitwirkt.

(189) Ambrosius, Expos. Lc. II, 7: PL 15, 1555.
(190) Vgl. Ps.-Petrus Dam., Serm. 63: PL 144, 861 AB. Godefrid v. St. Viktor, In nat. B. M., Ms. Paris, Mazarine, 1002, fol. 109f. Gerhoh v. Reich., De gloria et honore Filii hominis, 10: PL 194, 1105 AB.
64 Nun aber wird die Kirche, indem sie Marias geheimnisvolle Heiligkeit betrachtet, ihre Liebe nachahmt und den Willen des Vaters getreu erfüllt, durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes auch selbst Mutter: Durch Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben. Auch sie ist Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt und in Nachahmung der Mutter ihres Herrn in der Kraft des Heiligen Geistes jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe bewahrt (191).

(191) Ambrosius, ebd. und Expos. Lc. X, 2 4-25: PL 15, 1810. Augustinus, In Io. Tr. 13, 12: PL 35, 1499. Vgl. serm. 191, 2, 3: PL 38, 1010; u. a. Vgl. auch Beda Ven., In Lc. Expos. I, Kap. 2: PL 92, 330. Isaac v. Stella, Serm. 51: PL 194, 1863 A.

65 Während aber die Kirche in der seligsten Jungfrau schon zur Vollkommenheit gelangt ist, in der sie ohne Makel und Runzel ist (vgl. Ep 5,27), bemühen sich die Christgläubigen noch, die Sünde zu besiegen und in der Heiligkeit zu wachsen. Daher richten sie ihre Augen auf Maria, die der ganzen Gemeinschaft der Auserwählten als Urbild der Tugenden voranleuchtet. Indem die Kirche über Maria in frommer Erwägung nachdenkt und sie im Licht des menschgewordenen Wortes betrachtet, dringt sie verehrend in das erhabene Geheimnis der Menschwerdung tiefer ein und wird ihrem Bräutigam mehr und mehr gleichgestaltet. Denn Maria vereinigt, da sie zuinnerst in die Heilsgeschichte eingegangen ist, gewissermaßen die größten Glaubensgeheimnisse in sich und strahlt sie wider. Daher ruft ihre Verkündigung und Verehrung die Gläubigen hin zu ihrem Sohn und seinem Opfer und zur Liebe des Vaters. Die Kirche aber wird, um die Ehre Christi bemüht, ihrem erhabenen Typus ähnlicher durch dauerndes Wachstum in Glaube, Hoffnung und Liebe und durch das Suchen und Befolgen des Willens Gottes in allem. Daher blickt die Kirche auch in ihrem apostolischen Wirken mit Recht zu ihr auf, die Christus geboren hat, der dazu vom Heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau geboren wurde, daß er durch die Kirche auch in den Herzen der Gläubigen geboren werde und wachse. Diese Jungfrau war in ihrem Leben das Beispiel jener mütterlichen Liebe, von der alle beseelt sein müssen, die in der apostolischen Sendung der Kirche zur Wiedergeburt der Menschen mitwirken.


IV. Die Verehrung der seligen Jungfrau in der Kirche


66 Maria wird, durch Gottes Gnade nach Christus, aber vor allen Engeln und Menschen erhöht, mit Recht, da sie ja die heilige Mutter Gottes ist und in die Mysterien Christi einbezogen war, von der Kirche in einem Kult eigener Art geehrt. Schon seit ältester Zeit wird die selige Jungfrau unter dem Titel der "Gottesgebärerin" verehrt, unter deren Schutz die Gläubigen in allen Gefahren und Nöten bittend Zuflucht nehmen (192). Vor allem seit der Synode von Ephesus ist die Verehrung des Gottesvolkes gegenüber Maria wunderbar gewachsen in Verehrung und Liebe, in Anrufung und Nachahmung, gemäß ihren eigenen prophetischen Worten: "Selig werden mich preisen alle Geschlechter, da mir Großes getan hat, der da mächtig ist" (Lc 1,48). Dieser Kult, wie er immer in der Kirche bestand, ist zwar durchaus einzigartig, unterscheidet sich aber wesentlich vom Kult der Anbetung, der dem menschgewordenen Wort gleich wie dem Vater und dem Heiligen Geist dargebracht wird, und er fördert diesen gar sehr. Die verschiedenen Formen der Verehrung der Gottesmutter, die die Kirche im Rahmen der gesunden und rechtgläubigen Lehre je nach den Verhältnissen der Zeiten und Orte und je nach Eigenart und Veranlagung der Gläubigen anerkannt hat, bewirken, daß in der Ehrung der Mutter der Sohn, um dessentwillen alles ist (vgl. Col 1,15-16) und in dem nach dem Wohlgefallen des ewigen Vaters die ganze Fülle wohnt (Col 1,19), richtig erkannt, geliebt, verherrlicht wird und seine Gebote beobachtet werden.

(192) "Unter deinen Schutz und Schirm".
67 Diese katholische Lehre trägt die Heilige Synode wohlbedacht vor. Zugleich mahnt sie alle Kinder der Kirche, die Verehrung, vor allem die liturgische, der seligen Jungfrau großmütig zu fördern, die Gebräuche und Übungen der Andacht zu ihr, die im Laufe der Jahrhunderte vom Lehramt empfohlen wurden, hochzuschätzen und das, was in früherer Zeit über die Verehrung der Bilder Christi, der seligen Jungfrau und der Heiligen festgesetzt wurde, ehrfürchtig zu bewahren (193). Die Theologen und die Prediger des Gotteswortes ermahnt sie aber eindringlich, sich ebenso jeder falschen Übertreibung wie zu großer Geistesenge bei der Betrachtung der einzigartigen Würde der Gottesmutter sorgfältig zu enthalten (194). Unter der Führung des Lehramtes sollen sie in der Pflege des Studiums der Heiligen Schrift, der heiligen Väter und Kirchenlehrer und der kirchlichen Liturgien die Aufgaben und Privilegien der seligen Jungfrau recht beleuchten, die sich immer auf Christus beziehen, den Ursprung aller Wahrheit, Heiligkeit und Frömmigkeit. Sorgfältig sollen sie vermeiden, was in Wort, Schrift oder Tat die getrennten Brüder oder jemand anders bezüglich der wahren Lehre der Kirche in Irrtum führen könnte. Die Gläubigen aber sollen eingedenk sein, daß die wahre Andacht weder in unfruchtbarem und vorübergehendem Gefühl noch in irgendwelcher Leichtgläubigkeit besteht, sondern aus dem wahren Glauben hervorgeht, durch den wir zur Anerkennung der Erhabenheit der Gottesmutter geführt und zur kindlichen Liebe zu unserer Mutter und zur Nachahmung ihrer Tugenden angetrieben werden.

(193) II. Konzil von Nicaea v. J. 787: Mansi 13, 378-379; Denz. 302 (
DS 600-601). Konzil v. Trient, Sess. 25: Mansi 33, 171-172.
(194) Vgl. Pius XII., Radiobotschaft, 24. Okt. 1954: AAS 46 (1954) 679. Ders., Enz. Ad caeli Reginam, 11. Okt. 1954: AAS 46 (1954) 637.

V. Maria als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes für das wandernde Gottesvolk


68 Wie die Mutter Jesu, im Himmel schon mit Leib und Seele verherrlicht, Bild und Anfang der in der kommenden Weltzeit zu vollendenden Kirche ist, so leuchtet sie auch hier auf Erden in der Zwischenzeit bis zur Ankunft des Tages des Herrn (vgl. 2P 3,10) als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes dem wandernden Gottesvolk voran.


69 Dieser Heiligen Synode bereitet es große Freude und Trost, daß auch unter den getrennten Brüdern solche nicht fehlen, die der Mutter des Herrn und Erlösers die gebührende Ehre erweisen, dies besonders unter den Orientalen, die sich zur Verehrung der allzeit jungfräulichen Gottesmutter mit glühendem Eifer und andächtiger Gesinnung vereinen (195). Alle Christgläubigen mögen inständig zur Mutter Gottes und Mutter der Menschen flehen, daß sie, die den Anfängen der Kirche mit ihren Gebeten zur Seite stand, auch jetzt, im Himmel über alle Seligen und Engel erhöht, in Gemeinschaft mit allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte einlege, bis alle Völkerfamilien, mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen oder ihren Erlöser noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum einen Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit.

(195) Vgl. Pius XI., Enz. Ecclesiam Dei, 12. Nov. 1923: AAS 15 (1923) 581. Pius XII., Enz. Fulgens corona, 8. Sept. 1953: AAS 45 (1953) 590-591.


21. November 1964

AUS DEN AKTEN DES HEILIGEN ÖKUMENISCHEN


II. VATIKANISCHEN KONZILS


Bekanntmachungen, des Generalsekretärs des Konzils in der 123. Generalkongregation

Es ist gefragt worden, welcher theologische Verbindlichkeitsgrad der Lehre zukommt, die im Schema über die Kirche ausgeführt und der Abstimmung unterbreitet wird. Die Theologische Kommission hat auf diese Frage bei der Prüfung der Änderungsvorschläge zum dritten Kapitel des Schemas über die Kirche so geantwortet: "Ein Text des Konzils ist selbstverständlich immer nach den allgemeinen, allseits bekannten Regeln auszulegen." Bei dieser Gelegenheit verweist die Theologische Kommission auf ihre Erklärung vom 6. März 1964, deren Wortlaut wir hier wiedergeben:

"Unter Berücksichtigung des konziliaren Verfahrens und der pastoralen Zielsetzung des gegenwärtigen Konzils definiert das Konzil nur das als für die Kirche verbindliche Glaubens- und Sittenlehre, was es selbst deutlich als solche erklärt.

Was aber das Konzil sonst vorlegt, müssen alle und jeder der Christgläubigen als Lehre des obersten kirchlichen Lehramtes annehmen und festhalten entsprechend der Absicht der Heiligen Synode selbst, wie sie nach den Grundsätzen der theologischen Interpretation aus dem behandelten Gegenstand oder aus der Aussageweise sich ergibt."

Seitens der höheren Autorität wird den Vätern eine erläuternde Vorbemerkung zu den Änderungsvorschlägen des dritten Kapitels des Kirchenschemas mitgeteilt, nach deren Absicht und Sinn die in diesem dritten Kapitel dargelegte Lehre erklärt und verstanden werden muß.

16. November 1964

ERLÄUTERNDE VORBEMERKUNGEN


"Die Kommission hat beschlossen, der Prüfung der Änderungsvorschläge folgende allgemeinen Hinweise vorauszuschicken:

1. Kollegium wird nicht im streng juridischen Sinne verstanden, das heißt nicht von einem Kreis von Gleichrangigen, die etwa ihre Gewalt auf ihren Vorsitzenden übertrügen, sondern als fester Kreis, dessen Struktur und Autorität der Offenbarung entnommen werden müssen. Darum wird in der Antwort auf den Änderungsvorschlag 12 ausdrücklich von den Zwölfen gesagt, daß der Herr sie bestellt hat "nach Art eines Kollegiums oder eines festen Kreises". (Vgl. auch Änderungsvorschlag 53c.) - Aus dem gleichen Grunde werden immer wieder auf das Bischofskollegium auch die Ausdrücke "Ordnung" (Ordo) oder "Körperschaft" (Corpus) angewandt. Der Parallelismus zwischen Petrus und den übrigen Aposteln auf der einen Seite und Papst und Bischöfen auf der anderen schließt nicht die Übertragung der außerordentlichen Vollmacht der Apostel auf ihre Nachfolger und selbstverständlich auch nicht eine Gleichheit zwischen Haupt und Gliedern des Kollegiums ein, sondern nur eine Verhältnisgleichheit zwischen der ersten Beziehung (Petrus - Apostel) und der zweiten (Papst - Bischöfe). Daher hat die Kommission beschlossen, in Nr. 22 nicht in derselben, sondern in entsprechender Weise zu schreiben. (Vgl. Änderungsvorschlag 57).

2. Glied des Kollegiums wird man kraft der Bischofsweihe und durch die hierarchische Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums. (Vgl. Nr. 22, Absatz 1, am Schluß).

In der Weihe wird die seinsmäßige Teilnahme an den heiligen Ämtern verliehen, wie unbestreitbar aus der Überlieferung, auch der liturgischen, feststeht. Mit Bedacht ist der Ausdruck Ämter (munera) verwendet und nicht Vollmachten (potestates), weil das letztgenannte Wort von der zum Vollzug völlig freigegebenen Vollmacht verstanden werden könnte. Damit aber eine solche zum Vollzug völlig freigegebene Vollmacht vorhanden sei, muß noch die kanonische, das heißt rechtliche Bestimmung (determinatio) durch die hierarchische Obrigkeit hinzukommen. Diese Bestimmung der VoIlmacht (determinatio) kann bestehen in der Zuweisung einer besonderen Dienstobliegenheit oder in der Zuordnung von Untergebenen, und sie wird erteilt nach den von der höchsten Obrigkeit gebilligten Richtlinien. Eine derartige weitere Norm ist aus der Natur der Sache gefordert, weil es sich um Ämter handelt, die von mehreren nach Christi Willen hierarchisch zusammenwirkenden Trägern ausgeübt werden müssen. Offenkundig ist diese "Gemeinschaft" im Leben der Kirche den Zeitumständen gemäß schon in Übung gewesen, bevor sie im Recht sozusagen kodifiziert worden ist. Darum wird ausdrücklich gesagt, es sei eine hierarchische Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern der Kirche erfordert. "Gemeinschaft" (Communio) ist ein Begriff, der in der alten Kirche (wie auch heute noch vor allem im Osten) hoch in Ehren steht. Man versteht darunter nicht irgendein unbestimmtes Gefühl, sondern eine organische Wirklichkeit, die eine rechtliche Gestalt verlangt und zugleich von der Liebe beseelt ist. Daher hat die Kommission fast mit Stimmeneinheit zu formulieren beschlossen: "in hierarchischer Gemeinschaft". (Vgl. Änderungsvorschlag 40 sowie auch die Aussagen über die Missio canonica unter Nr. 24). Die päpstlichen Dokumente aus jüngerer Zeit über die Jurisdiktion der Bischöfe verstehen sich von dieser notwendigen Festlegung der Vollmacht her.

3. Von dem Kollegium, das es ohne Haupt nicht gibt, wird gesagt: "Es ist ebenfalls Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche." Das anzunehmen ist notwendig, damit die Fülle der Gewalt des Bischofs von Rom nicht in Frage gestellt wird. Denn bei dem Kollegium wird sein Haupt immer und notwendigerweise mitverstanden, das in dem Kollegium sein Amt als Statthalter Christi und Hirt der Gesamtkirche unverkürzt bewahrt. Mit anderen Worten: Die Unterscheidung waltet nicht zwischen dem Bischof von Rom einerseits und den Bischöfen zusammengenommen anderseits, sondern zwischen dem Bischof von Rom für sich und dem Bischof von Rom vereint mit den Bischöfen. Da aber der Papst das Haupt des Kollegiums ist, kann er allein manche Handlungen vollziehen, die den Bischöfen in keiner Weise zustehen, z. B. das Kollegium einberufen und leiten, die Richtlinien für das Verfahren approbieren usw. (Vgl. Änderungsvorschlag 81). Dem Urteil des Papstes, dem die Sorge für die ganze Herde Christi anvertraut ist, unterliegt es, je nach den im Laufe der Zeit wechselnden Erfordernissen der Kirche die Weise festzulegen, wie diese Sorge tunlich ins Werk gesetzt wird, sei es persönlich, sei es kollegial. Der Bischof von Rom geht bei der Leitung, Förderung und Billigung der kollegialen Betätigung in Ausrichtung auf das Wohl der Kirche nach eigenem Urteil vor.

4. Der Papst als höchster Hirte der Kirche kann seine Vollmacht jederzeit nach Gutdünken ausüben, wie es von seinem Amt her gefordert wird. Das Kollegium aber handelt, wenn es auch immer besteht, darum nicht auch schon beständig in streng kollegialem Akt, wie die Überlieferung der Kirche beweist. Mit anderen Worten: Das Kollegium ist nicht immer "in voller Tätigkeit", vielmehr handelt es nur von Zeit zu Zeit in streng kollegialem Akt und nicht ohne Zustimmung des Hauptes. Es heißt aber "nicht ohne Zustimmung des Hauptes", damit man nicht an eine Abhängigkeit wie von einem Außenstehenden denke. Der Ausdruck "Zustimmung" erinnert im Gegenteil an die Communio zwischen Haupt und Gliedern und schließt die Notwendigkeit des Aktes, der dem Haupt als solchem zusteht, mit ein. Die Sache wird ausdrücklich ausgesprochen in Nr. 22, Absatz 2, und wird erklärt ebd., gegen Ende. Die negative Formulierung mit "nicht ohne" umfaßt alle Fälle; so ist deutlich, daß die von der höchsten Autorität gebilligten Richtlinien immer zu beobachten sind. (Vgl. Änderungsvorschlag 84).

Im ganzen aber wird ersichtlich, daß es sich um die Verbundenheit der Bischöfe mit ihrem Haupt handelt, niemals jedoch um die Betätigung der Bischöfe unabhängig vom Papst. In diesem Falle, wenn die Tätigkeit des Hauptes ausfällt, können die Bischöfe als Kollegium nicht handeln, wie aus dem Begriff "Kollegium" hervorgeht. Diese hierarchische Gemeinschaft aller Bischöfe mit dem Papst ist in der Tradition fest verwurzelt.

N.B. Ohne die hierarchische Gemeinschaft kann das sakramental seinsmäßige Amt, das von dem kanonisch-rechtlichen Gesichtspunkt zu unterscheiden ist, nicht ausgeübt werden. Die Kommission war aber der Auffassung, daß sie auf die Fragen der Erlaubtheit und Gültigkeit nicht eingehen sollte, die der theologischen Forschung überlassen bleiben. Insbesondere gilt das von der Vollmacht, die tatsächlich bei den getrennten Orientalen ausgeübt wird und über deren Erklärung verschiedene Lehrmeinungen bestehen."

+ PERICLES FELICI

Titularerzbischof von Samosata

Generalsekretär des Hl. Ökumenischen II. Vatikanischen Konzils






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