Mulieris dignitatem DE


APOSTOLISCHES SCHREIBEN

MULIERIS DIGNITATEM
VON PAPST
JOHANNES PAUL II.
ÜBER DIE WÜRDE UND BERUFUNG DER FRAU
ANLÄSSLICH DES MARIANISCHEN JAHRES




Verehrte Mitbrüder, geliebte Söhne und Töchter,
Gruß und Apostolischen Segen!

I.

EINLEITUNG

Ein Zeichen der Zeit


1 DIE WÜRDE DER FRAU und ihre Berufung - ständiges Thema menschlicher und christlicher Reflexion - haben in den letzten Jahren eine ganz besondere Bedeutung gewonnen. Das beweisen unter anderem die Beiträge des kirchlichen Lehramtes, die sich in verschiedenen Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils wiederfinden, das dann in seiner Schlußbotschaft sagt: »Die Stunde kommt, die Stunde ist schon da, in der sich die Berufung der Frau voll entfaltet, die Stunde, in der die Frau in der Gesellschaft einen Einfluß, eine Ausstrahlung, eine bisher noch nie erreichte Stellung erlangt. In einer Zeit, in welcher die Menschheit einen so tiefgreifenden Wandel erfährt, können deshalb die vom Geist des Evangeliums erleuchteten Frauen der Menschheit tatkräftig dabei helfen, daß sie nicht in Verfall gerät«.(1) Die Worte dieser Botschaft fassen zusammen, was bereits in der Lehre des Konzils, insbesondere in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes(2) und im Dekret über das Laienapostolat Apostolicam Actuositatem,(3) Ausdruck gefunden hatte.

Ähnliche Stellungnahmen hatte es in der Zeit vor dem Konzil gegeben, zum Beispiel in einer Reihe von Ansprachen Papst Pius' XII.(4) und in der Enzyklika Pacem in Terris von Papst Johannes XXIII.(5) Nach dem II. Vatikanischen Konzil hat mein Vorgänger Paul VI. die Bedeutung dieses »Zeichens der Zeit« zum Ausdruck gebracht, als er die heilige Theresia von Avila und die heilige Katharina von Siena zu Kirchenlehrerinnen erhob(6) und außerdem auf Ersuchen der Bischofssynode vom Jahre 1971 eine eigene Kommission einrichtete, deren Zweck die Untersuchung der Probleme unserer Zeit im Zusammenhang mit der »Förderung der Würde und der Verantwortung der Frauen« war.(7) In einer seiner Ansprachen sagte Paul VI. unter anderem: »Im Christentum besaß die Frau mehr als in jeder anderen Religion schon von den Anfängen an eine besondere Würdestellung, wofür uns das Neue Testament nicht wenige und nicht geringe Beweise bietet...; es erscheint ganz offenkundig, daß die Frau dazu bestimmt ist, an der lebendigen, tätigen Struktur des Christentums so stark teilzunehmen, daß vielleicht noch nicht alle Kräfte und Möglichkeiten dafür freigelegt worden sind«.(8)

Die Synodenväter der letzten Vollversammlung der Bischofssynode (Oktober 1987), die der »Berufung und Sendung der Laien in der Kirche und in der Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil« gewidmet war, haben sich erneut mit der Würde und Berufung der Frau beschäftigt. Sie haben unter anderem die Vertiefung der anthropologischen und theologischen Grundlagen verlangt, die für die Lösung der Probleme in Bezug auf die Bedeutung und Würde des Menschseins als Frau und als Mann notwendig sind. Es geht darum, den Grund und die Folgen der Entscheidung des Schöpfers zu verstehen, daß der Mensch immer nur als Frau oder als Mann existiert. Erst von diesen Grundlagen her, die ein tiefes Erfassen von Würde und Berufung der Frau erlauben, ist es überhaupt möglich, von ihrer aktiven Stellung in Kirche und Gesellschaft zu sprechen.

Das alles möchte ich im vorliegenden Dokument behandeln. Das nachsynodale Apostolische Schreiben, das danach veröffentlicht werden soll, wird Vorschläge pastoralen Charakters zur Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft vorlegen, zu denen die Synodenväter, auch unter Berücksichtigung der von den Laien-Auditoren - Männern und Frauen - aus den Teilkirchen aller Kontinente vorgetragenen Zeugnisse, wichtige Überlegungen angestellt haben.

(1) Message du Concile aux femmes (8 décembre 1965) : AAS 58 (1966), p. 13-14.
(2) Cf. CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, n.
GS 8 GS 9 GS 60.
(3) Cf. CONC. OECUM. VAT. II, Décr. sur l’apostolat des laïcs Apostolicam actuositatem, AA 9.
(4) Cf. PIE XII, Allocution aux femmes italiennes (21 octobre 1945) : AAS 37 (1945), p. 284-295;Alloc. à l’Union mondiale des Organisations féminines catholiques (24 avril 1952) : AAS 44 (1952), p. 420-424; Discours aux participants du XIVe Congrès international de l’Union mondiale des Organisations féminines catholiques (29 septembre 1957) : AAS 49 (1957), p. 906-922.
(5) Cf. JEAN XXIII, Encycl. Pacem in Terris (11 avril 1963) : AAS 55 (1963), p. PT 267-268.
(6) S. Thérèse de Jésus proclamée «Docteur de l’Église universelle» (27 septembre 1970) : AAS62 (1970), p. 590-596; S. Catherine de Sienne proclamée «Docteur de l’Église universelle» (4 octobre 1970) : AAS 62 (1970), p. 673-678.
(7) Cf. AAS 65 (1973), p. 284-285.
(8) PAUL VI, Discours aux participants de la Rencontre internationale du Centre féminin italien (6 décembre 1976) : Insegnamenti di Paolo VI, XIV (1976), 1017.

Das Marianische Jahr


2 Die letzte Synode wurde während des Marianischen Jahres abgehalten, das einen besonderen Anstoß zur Auseinandersetzung mit diesem Thema bietet, worauf auch die Enzyklika Redemptoris Mater hinweist.(9) Diese Enzyklika entwickelt und aktualisiert die im VIII. Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium enthaltene Lehre des II. Vatikanischen Konzils. Dieses Kapitel trägt einen bedeutsamen Titel: »Die selige jungfräuliche Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche«. Maria - jene »Frau« der Bibel (vgl. Gn 3,15 Joh Jn 2,4 Jn 19,26) - gehört eng zum Heilsmysterium Christi und ist daher in besondererer Weise auch im Mysterium der Kirche gegenwärtig. Da »die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament (...) für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« ist,(10) denken wir bei dieser besonderen Gegenwart der Gottesmutter im Geheimnis der Kirche an die einzigartige Beziehung zwischen dieser »Frau« und der ganzen Menschheitsfamilie. Es handelt sich hier um jeden einzelnen und jede einzelne, um alle Söhne und alle Töchter des Menschengeschlechts, in denen sich im Laufe der Generationen jenes grundlegende Erbe der ganzen Menschheit verwirklicht, das an das Geheimnis des biblischen »Anfangs« gebunden ist: »Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie« (Gn 1,27).(11)

Diese ewige Wahrheit über den Menschen als Mann und Frau - eine Wahrheit, die auch in der Erfahrung aller fest verankert ist, - stellt gleichzeitig das Geheimnis dar, das sich nur im fleischgewordenen Wort wahrhaft aufklärt. »Christus macht dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«, so lehrt das Konzil.(12) Dürfen wir dann nicht in diesem »dem Menschen den Menschen Kundmachen« einen besonderen Platz für jene »Frau« entdecken, die die Mutter Christi wurde? Hat nicht vielleicht die im Evangelium - dessen Hintergrund die ganze Schrift, Altes und Neues Testament, ist - enthaltene »Botschaft« Christi der Kirche und der Menschheit Wesentliches zu sagen über Würde und Berufung der Frau?

Genau dies soll denn auch das Thema des vorliegenden Dokumentes sein, das sich in den weiten Rahmen des Marianischen Jahres einfügt, während wir uns dem Ende des zweiten und dem Beginn des dritten Jahrtausends seit der Geburt Christi nähern. Und es scheint mir das beste zu sein, diesem Text den Stil und Charakter einer Meditation zu geben.

(9) Cf. Encycl. Redemptoris Mater (25 mars 1987), RMA 46 : AAS 79 (1987), p. 424-425. .
(10) CONC. OECUM. VAT. II, Const. dogm. sur l’Eglise Lumen gentium, LG 1.
(11) On peut trouver une explication du sens anthropologique et théologique du «commencement» dans la première partie des allocutions du mercredi (audiences générales) consacrées à la «théologie du corps», à partir du 5 septembre 1979 : Insegnamenti II, 2 (1979), p. 234-236.
(12) CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, GS 22.

II.


FRAU - GOTTESMUTTER


(THEOTÓKOS)


Verbundenheit mit Gott


3 »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau«. Mit diesen Worten aus seinem Brief an die Galater (Ga 4,4) verbindet der Apostel Paulus die für die Erfüllung des »von Gott im voraus bestimmten« Geheimnisses (vgl. Eph Ep 1,9) ausschlaggebenden Momente miteinander. Der Sohn, das Wort, gleichen Wesens mit dem Vater, wird als Mensch von einer Frau geboren, als »die Zeit erfüllt ist«. Dieses Geschehen führt zum Schlüsselereignis der als Heilsgeschichte verstandenen Geschichte des Menschen auf Erden. Es ist bezeichnend, daß der Apostel die Mutter Christi nicht mit ihrem Namen »Maria« nennt, sondern von ihr als »Frau« spricht: Dies stellt eine Übereinstimmung mit den Worten des Protoevangeliums im Buch Genesisher (vgl. Gn 3,15). Eben jene »Frau« ist in dem zentralen Heilsereignis gegenwärtig, das die »Fülle der Zeit« bestimmt: In ihr und durch sie wird dieses Ereignis Wirklichkeit.

So beginnt das zentrale Ereignis, das Schlüsselereignis in der Heilsgeschichte, das Pascha des Herrn. Doch ist es wohl auch der Mühe wert, dieses Ereignis von der im weitesten Sinne verstandenen geistlich-religiösen Geschichte des Menschen her, wie sie in den verschiedenen Religionen der Welt zum Ausdruck kommt, zu erwägen. Wir berufen uns hier auf die Worte des II. Vatikanums: »Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von jeher die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?«.(13) »Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei den verschiedenen Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist, und nicht selten findet sich auch die Anerkennung einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters«.(14)

Vor dem Hintergrund dieses weiten Panoramas, das die Bestrebungen des menschlichen Geistes auf der Suche nach Gott - manchmal, »als ob sie ihn ertasten und finden könnten« (vgl. Apg Ac 17,27) - hervorhebt, macht die »Fülle der Zeit«, von der Paulus in seinem Brief spricht, die Antwort Gottes selbst offenkundig, die Antwort dessen, »in dem wir leben, uns bewegen und sind« (vgl. Ac 17,28). Es ist der Gott, der »viele Male und auf vielerlei Weise einst zu den Vätern gesprochen hat durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn« (vgl. Hebr He 1,1-2). Die Entsendung dieses Sohnes, gleichen Wesens mit dem Vater und als Mensch »von einer Frau geboren«, stellt den endgültigen Höhepunkt der Selbstoffenbarung Gottes an die Menschheit dar. Diese Selbstoffenbarung besitzt Heilscharakter, wie das II. Vatikanum an anderer Stelle lehrt: »Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph Ep 1,9): daß die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph Ep 2,18 2P 1,4)«.(15)

Die Frau befindet sich am Herzen dieses Heilsereignisses. Die Selbstoffenbarung Gottes, der unerforschlichen Einheit in Dreifaltigkeit, ist in ihren wesentlichen Zügen in der Verkündigung von Nazaret enthalten. »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden«. - »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?« - »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden (...). Denn für Gott ist nichts unmöglich«(Lc 1,31-37).(16)

Es ist naheliegend, wenn wir dieses Ereignis betrachten aus der Sicht der Geschichte Israels, des auserwählten Volkes, dem Maria entstammte; aber es fällt auch nicht schwer, im Hinblick auf all jene Wege daran zu denken, auf welchen die Menschheit seit jeher Antwort sucht auf die grundlegenden und zugleich entscheidenden Fragen, die sie bedrängen. Ist nicht in der Verkündigung von Nazaret der Anfang jener endgültigen Antwort gesetzt, mit der Gott selber der Unruhe des menschlichen Herzens begegnet? (17) Hier handelt es sich nicht nur um Worte Gottes, die durch Propheten offenbart wurden, sondern mit dieser Antwort wird tatsächlich »das Wort Fleisch« (vgl. Joh Jn 1,14). Maria erlangt auf diese Weise eine solche Verbundenheit mit Gott, daß sämtliche Erwartungen des menschlichen Geistes übertroffen werden. Diese Antwort übertrifft sogar die Erwartungen ganz Israels und insbesondere der Töchter dieses auserwählten Volkes, die auf Grund der Verheißung hoffen konnten, eine von ihnen würde eines Tages Mutter des Messias werden. Wer von ihnen konnte jedoch ahnen, daß der verheißene Messias der »Sohn des Höchsten« sein würde? Vom alttestamentlichen Monotheismus her gesehen, war das kaum vorstellbar. Allein kraft des Heiligen Geistes, der »sie überschattete«, vermochte Maria anzunehmen, was »für Menschen unmöglich, aber für Gott möglich ist« (vgl. Mc 10,27).

(13) CONC. OECUM. VAT. II, Décl. sur les relations de l’Église avec les religions non chrétiennes Nostra aetate, NAE 1.
(14) Ibid., NAE 2.
(15) CONC. OECUM. VAT. II, Const. dogm. sur la Révélation divine Dei Verbum, DV 2.
(16) Les Pères de l’Église pensaient déjà que la première révélation de la Trinité dans le Nouveau Testament a été faite lors de l’Annonciation. Dans une homélie attribuée à S. GRÉGOIRE LE THAUMATURGE, on lit: « Tu resplendis de lumière, ô Marie, dans le sublime royaume spirituel! En toi est glorifié le Père, qui n’a pas de commencement et dont la puissance t’a prise sous son ombre. En toi est adoré le Fils, que tu as porté selon la chair. En toi est célébré l’Esprit-Saint, qui a accompli en ton sein la naissance du grand Roi. C’est grâce à toi, ô pleine de grâce, que la Trinité sainte et consubstantielle a pu être connue dans le monde. » (Hom. 2, In Annuntiat. Virg. Mariae: ). Cf. aussi S. ANDRÉ DE CRÈTE, In Annuntiat B. Mariae : PG 97, 909.
(17) Cf. CONC. OECUM. VAT. II, Décl. sur les relations de l’Église avec les religions non chrétiennes Nostra aetate, NAE 2.


Theotókos


4 So macht »die Fülle der Zeit« die außerordentliche Würde der »Frau« offenbar. Diese Würde besteht einerseits in der übernatürlichen Erhebung zur Verbundenheit mit Gott in Jesus Christus, die das tiefste Ziel der Existenz jedes Menschen sowohl auf Erden wie in der Ewigkeit ausmacht. In diesem Sinne ist die »Frau« Vertreterin und Urbild der ganzen Menschheit: Sie vertritt das Menschsein, das zu allen Menschenwesen, Männern wie Frauen, gehört. Andererseits jedoch stellt das Ereignis von Nazaret eine Form der Verbundenheit mit dem lebendigen Gott dar, die nur der »Frau«, Maria, zukommen kann: die Verbundenheit zwischen Mutter und Sohn. Die Jungfrau aus Nazaret wird tatsächlich die Mutter Gottes.

Diese vom christlichen Glauben von Anfang an angenommene Wahrheit wurde auf dem Konzil von Ephesus (431) feierlich als Dogma formuliert.(18) Im Gegensatz zur Auffassung des Nestorius, der in Maria ausschließlich die Mutter des Menschen Jesus sah, hob dieses Konzil die wesentliche Bedeutung der Mutterschaft der Jungfrau Maria hervor. Als Maria im Augenblick der Verkündigung mit ihrem »Fiat« antwortete, empfing sie einen Menschen, der Sohn Gottes und gleichen Wesens mit dem Vater war. Sie ist daher wahrhaft die Mutter Gottes; denn ihre Mutterschaft betrifft die ganze Person und nicht nur den Leib und auch nicht nur die menschliche »Natur«. Auf diese Weise wurde der Name Theotókos - »Gottesgebärerin«, Gottesmutter - zum eigentlichen Namen für die der Jungfrau Maria gewährte Verbundenheit mit Gott.

Die besondere Verbundenheit der »Theotókos« mit Gott, welche die jedem Menschen geschenkte übernatürliche Bestimmung zur Verbundenheit mit dem Vater (filii in Filio) in überragendster Weise verwirklicht, ist reine Gnade und als solche ein Geschenk des Geistes. Gleichzeitig jedoch bringt Maria durch ihre im Glauben gesprochene Antwort ihren freien Willen zum Ausdruck und damit die volle Teilnahme ihres personalen, fraulichen »Ich« am Ereignis der Menschwerdung. Mit ihrem Fiat wird Maria zum wahren Subjekt jener Verbundenheit mit Gott, die sich im Geheimnis der Menschwerdung des mit dem Vater wesengleichen Wortes verwirklicht hat. Das gesamte Handeln Gottes in der Geschichte der Menschen achtet immer den freien Willen des menschlichen »Ich«. Das war auch bei der Verkündigung in Nazaret der Fall.

(18) La doctrine théologique sur la Mère de Dieu (Théotokos), soutenue par de nombreux Pères de l’Église, mise en lumière et définie aux Conciles d’Éphèse (
DS 251) et de Chalcédoine (DS 301), a été exposée à nouveau par le Concile Vatican II, au chap. VIII de la Const. dogm. sur l’Église Lumen gentium, LG 52-69. Cf. Encycl. Redemptoris Mater, RMA 31-32, et notes 9. 78-83 :l.c., p. 365, 402-404.


»Ihm zu dienen bedeutet herrschen\b\i«


5 Dieses Ereignis hat einen klaren interpersonalen Charakter: Es ist ein Dialog. Wir begreifen das nicht ganz, wenn wir nicht das gesamte Gespräch zwischen dem Engel und Maria von dem »Sei gegrüßt, du Begnadete« her betrachten.(19) Der ganze Dialog enthüllt die wesentliche Dimension des Geschehens: die übernatürliche Dimension (***). Aber die Gnade schiebt niemals die Natur beiseite, noch hebt sie sie auf; sie trägt vielmehr zu ihrer Vervollkommnung und Veredelung bei. Daher bedeutet jene »Gnadenfülle«, die der Jungfrau aus Nazaret im Hinblick darauf, daß sie Theotókos werden sollte, gewährt worden ist, zugleich die Fülle der Vollkommenheit all dessen, »was kennzeichnend für die Frau ist«, was »das typisch Frauliche ist«. Wir befinden uns hier gewissermaßen am Höhepunkt und beim Urbild der personalen Würde der Frau.

Als Maria auf die Worte des himmlischen Boten mit ihrem »Fiat« antwortet, empfindet die »Begnadete« das Bedürfnis, ihre persönliche Einstellung zu dem Geschenk, das ihr geoffenbart wurde, zu bekennen, und sagt: »Ich bin die Magd des Herrn« (
Lc 1,38). Dieser Satz darf nicht dadurch seiner tiefen Bedeutung beraubt oder geschmälert werden, daß man ihn aus dem Gesamtzusammenhang des Geschehens und aus dem Gesamtinhalt der über Gott und über den Menschen offenbarten Wahrheit künstlich herauslöst. Im Ausdruck »Magd des Herrn« wird deutlich, daß sich Maria voll bewußt ist, vor Gott ein Geschöpf zu sein. Doch wird das Wort »Magd« vom Ende des Verkündigungsdialogs dann in die Gesamtperspektive der Geschichte der Mutter und des Sohnes einbezogen. In der Tat wird dieser Sohn, der wahrer und wesensgleicher »Sohn des Höchsten« ist oft - besonders auf dem Höhepunkt seiner Sendung - von sich sagen: »Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen« (Mc 10,45).

Christus trägt immer in sich das Bewußtsein, der »Gottesknecht« nach der Prophezeiung des Jesaja zu sein (vgl. Is 42,1 Is 49,3 Is 49,6 Is 52,13), wo der Inhalt seiner messianischen Sendung im wesentlichen schon enthalten ist: das Bewußtsein, der Erlöser der Welt zu sein. Maria fügt sichvom ersten Augenblick ihrer Gottesmutterschaft, ihrer Verbundenheit mit dem Sohn, den »der Vater in die Welt gesandt hat, damit die Welt durch ihn gerettet wird« (vgl. Jn 3,17), in den messianischen Dienst Christi ein.(20) Dieser Dienst ist es, der das Fundament zu jenem Reich legt, in dem »dienen (...) herrschen bedeutet«.(21) Christus, der »Knecht des Herrn«, wird allen Menschen die königliche Würde des Dienens offenbaren, mit der die Berufung jedes Menschen eng verknüpft ist.

So beginnen wir mit der Betrachtung der Wirklichkeit »Frau - Gottesmutter« auf sehr passende Weise die vorliegende Meditation des Marianischen Jahres. Diese Wirklichkeit bestimmt auch denwesentlichen Horizont der Betrachtung über Würde und Berufung der Frau. Wenn etwas zur Würde und Berufung der Frau gedacht, gesagt oder getan werden soll, dürfen sich Geist, Herz und Handeln nicht von diesem Horizont abwenden. Die Würde jedes Menschen und die ihr entsprechende Berufung finden ihr entscheidendes Maß in der Verbundenheit mit Gott. Maria - die Frau der Bibel - ist der vollkommenste Ausdruck dieser Würde und dieser Berufung. Denn jeder Mensch, Mann oder Frau, kann sich, da nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen, in der Tat nur in der Dimension dieser Ebenbildlichkeit verwirklichen.

(19) Cf. Encycl. Redemptoris Mater, RMA 7-11, et les textes des Pères qui y sont cités à la note 21 :l. c., p. 367-373.
(20) Cf. ibid., RMA 39-41 : l. c., p. 412-418.
(21) Cf. CONC. OECUM. VAT. II, Const. dogm. sur l’Église Lumen gentium, LG 36.

III.


ABBILD UND GLEICHNIS GOTTES


Buch der Genesis


6 Wir müssen uns in den Bereich jenes biblischen »Anfangs« begeben, wo die über den Menschen als »Abbild und Gleichnis Gottes« offenbarte Wahrheit die unveränderliche Grundlage der gesamten christlichen Anthropologie darstellt.(22) »Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie« (Gn 1,27). Dieser knappe Text enthält die anthropologischen Grundwahrheiten: Der Mensch ist die Spitze der gesamten Schöpfungsordnung in der sichtbaren Welt - das Menschengeschlecht, das damit seinen Anfang nimmt, daß Mann und Frau ins Dasein gerufen werden, ist die Krönung des ganzen Schöpfungswerkes - beide, Mann und Frau in gleichem Grade, sind Menschenwesen, beide nach dem Abbild Gottes geschaffen. Diese für den Menschen wesentliche Gottebenbildlichkeit geben Mann und Frau als Eheleute und Eltern an ihre Nachkommen weiter: »Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch« (Gn 1,28). Der Schöpfer vertraut die »Herrschaft« über die Erde dem Menschengeschlecht an, allen Menschen, allen Männern und allen Frauen, die aus dem gemeinsamen Anfang ihre Würde und Berufung schöpfen.

In der Genesis findet sich noch eine andere Darstellung der Erschaffung des Menschen, von Mann und Frau (vgl. Gn 2,18-25), auf die wir später noch eingehen werden. Sogleich gilt es jedoch festzuhalten, daß sich aus der biblischen Darstellung der personale Charakter des Menschenwesens ergibt. Der Mensch ist eine Person: das gilt in gleichem Maße für den Mann und für die Frau; denn beide sind nach dem Bild und Gleichnis des personhaften Gottes geschaffen. Was den Menschen Gott ähnlich macht, ist die Tatsache, daß - zum Unterschied von der gesamten Welt der übrigen Lebewesen, einschließlich der mit Sinnen ausgestatteten (animalia)- der Mensch auch ein Vernunftwesen (animal rationale) ist.(23) Dank dieser Eigenschaft können Mann und Frau über die anderen Lebewesen der sichtbaren Welt »herrschen« (vgl. Gn 1,28).

Im zweiten Bericht von der Erschaffung des Menschen (vgl. Gn 2,7 Gn 2,18-25) ist die Sprache, in der die Wahrheit über die Erschaffung des Mannes und besonders der Frau mitgeteilt wird, anders, in gewissem Sinne weniger klar und - so könnte man sagen - eher beschreibend und bildhaft: Sie erinnert an die Sprache der damals bekannten Mythen. Dennoch läßt sich kein wesentlicher Widerspruch zwischen den beiden Texten feststellen. Der Text von Gen Gn 2,18-25 ist eine Hilfe, um das in dem dichten Text von Gn 1,27-28 Ausgesagte gut zu verstehen, und verhilft zugleich, wenn wir ihn zusammen mit diesem zweiten Text lesen, zu einem noch tieferen Erfassen der darin enthaltenen grundlegenden Wahrheit über den Menschen, der nach dem Bild und Gleichnis Gottes als Mann und Frau geschaffen ist.

In der Darstellung von Gn 2,18-25 wird die Frau von Gott »aus der Rippe« des Mannes geschaffen und als ein anderes »Ich«, als eine Partnerin, dem Mann an die Seite gestellt, der in der ihn umgebenden Welt der Lebewesen allein ist und in keinem von ihnen eine ihm entsprechende »Hilfe« findet. Die auf diese Weise ins Dasein gerufene Frau wird vom Mann sogleich als »Fleisch von seinem Fleisch und Gebein von seinem Gebein« erkannt (vgl. Gn 2,23) und eben deshalb »Frau« genannt. In der Sprache der Bibel weist dieser Name auf die wesentliche Identität gegenüber dem Mann hin: i* - i**ah, was die modernen Sprachen im allgemeinen leider nicht ausdrücken können (»Frau - i**ah -soll sie heißen, denn vom Mann - i* - ist sie genommen«: Gn 2,23).

Der biblische Text liefert ausreichende Grundlagen, um die wesentliche Gleichheit von Mann und Frau im Menschsein zu erkennen.(24) Beide sind von Anfang an Personen, zum Unterschied von den anderen Lebewesen der sie umgebenden Welt. Die Frau ist ein anderes »Ich« im gemeinsamen Menschsein. Von Anfang an erscheinen sie als »Einheit von zweien«, und das bedeutet die Überwindung der ursprünglichen Einsamkeit, in welcher der Mensch »keine Hilfe fand, die ihm entsprach« (Gn 2,20). Handelt es sich hier nur um die »Hilfe« bei der Arbeit, beim »Unterwerfen der Erde« (vgl. Gn 1,28)? Mit Sicherheit handelt es sich um die Lebensgefährtin, mit der sich der Mann als mit seiner Ehefrau verbinden kann, so daß er »ein Fleisch« mit ihr wird und deshalb »Vater und Mutter verläßt« (vgl. Gn 2,24). Die Darstellung der Bibel spricht also im selben Zusammenhang der Erschaffung des Mannes und der Frau von der Einsetzung der Ehedurch Gott als unerläßlicher Voraussetzung für die Weitergabe des Lebens an die neuen (Generationen der Menschen, zu der Ehe und eheliche Liebe ihrer Natur nach bestimmt sind: »Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch« (Gn 1,28).

(22) Cf. S. IRÉNÉE, Contre les hérésies, V, 6; 1; V 16, 2-3 : S. Ch. 153, 72-81 et 216-221; S. GRÉGOIRE DE NYSSE, De hom. op. 16: PG 44,180; In Cant. Cant hom. 2: PG 44, 805-808: S. AUGUSTIN, In Ps. 4, 8: CCL 38, 17.
(23) « Persona est naturae rationalis individua substantia » : M. SÉVERIN BOÈCE, Liber de persona et duabus naturis, III : PL 64, 1343; cf. S. THOMAS D’AQUIN, Somme théologique, I 29,1.
(24) Parmi les Pères de l’Église qui affirment l’égalité fondamentale de l’homme et de la femme devant Dieu, cf. ORIGÈNE, In Iesu nave IX, 9 : PG 12, 878; CLÉMENT D’ALEXANDRIE, Le Pédagogue, I, 4 : S. Ch. 70, 128-131; S. AUGUSTIN, Sermon 51, II, 3 : PL 38, 334-335.

Person - Gemeinschaft - Hingabe


7 Wenn wir die Darstellung von Gn 2,18-25 als ganze bedenken und im Licht der Wahrheit über die Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit des Menschen (vgl. Gn 1,26-27) auslegen, sind wir in der Lage, nochvollständiger zu begreifen, worin das Personsein des Menschen besteht, durch das beide - der Mann und die Frau - Gott ähnlich sind. Jeder einzelne Mensch ist nämlich das Abbild Gottes, insofern er ein vernunftbegabtes und freies Geschöpf ist und in der Lage, diesen zu erkennen und zu lieben. Wir lesen dort ferner, daß der Mensch »allein« nicht existieren kann (vgl. Gn 2,18); er kann nur als »Einheit von zweien«, in Beziehung also zu einer anderen menschlichen Person, existieren. Es handelt sich hier um eine gegenseitige Beziehung: des Mannes zur Frau und der Frau zum Mann. Personsein nach dem Abbild Gottes bedeutet also auch Existenz in Beziehung, in Beziehung zum anderen »Ich«. Das läßt uns die endgültige Selbstoffenbarung des dreieinigen Gottes vorausahnen: lebendige Einheit in der Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligem Geist.

Am Anfang der Bibel wird dies noch nicht direkt ausgesprochen. Das ganze Alte Testament ist ja vor allem die Offenbarung der Wahrheit über die Einzigkeit und Einheit Gottes. In diese grundlegende Wahrheit über Gott wird das Neue Testament die Offenbarung des unerforschlichen Geheimnisses vom inneren Leben Gottes einführen. Gott, der sich den Menschen durch Christus zu erkennen gibt, ist Einheit in Dreifaltigkeit: Einheit in Gemeinschaft. Damit fällt auch neues Licht auf jenes Abbild und Gleichnis Gottes im Menschen, von dem das Buch Genesis spricht. Daß der als Mann und Frau geschaffene Mensch Gottes Abbild ist, bedeutet nicht nur, daß jeder von ihnen einzeln als vernunftbegabtes und freies Wesen Gott ähnlich ist. Es bedeutet auch, daß Mann und Frau, als »Einheit von zweien« im gemeinsamen Menschsein geschaffen, dazu berufen sind, eine Gemeinschaft der Liebe zu leben und so in der Welt jene Liebesgemeinschaft widerzuspiegeln, die in Gott besteht und durch die sich die drei göttlichen Personen im innigen Geheimnis des einen göttlichen Lebens lieben. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, ein einziger Gott durch die Einheit des göttlichen Wesens, existieren als Personen durch die unergründlichen göttlichen Beziehungen. Nur auf diese Weise wird die Wahrheit begreifbar, daß Gott in sich selbst Liebe ist (vgl. 1Jn 4,16).

Das Abbild und Gleichnis Gottes in dem als Mann und Frau geschaffenen Menschen (in der Analogie, wie man sie zwischen Schöpfer und Geschöpf annehmen darf) besagt also auch »Einheit der zwei« im gemeinsamen Menschsein. Diese »Einheit der zwei«, ein Zeichen der Gemeinschaft von Personen, weist darauf hin, daß zur Erschaffung des Menschen auch eine gewisse Ähnlichkeit mit der göttlichen Gemeinschaft (»communio«) gehört. Diese Ähnlichkeit ist dort enthalten als Eigenschaft des personhaften Seins beider, des Mannes und der Frau, und zugleich als Berufung und Aufgabe. Im Bild und Gleichnis Gottes, welches das Menschengeschlecht seit dem »Anfang« in sich trägt, ist das gesamte »Ethos« des Menschen begründet: Altes und Neues Testament werden dieses »Ethos« entfalten, dessen Gipfel dasLiebesgebot darstellt.(25)

In der »Einheit der zwei« sind Mann und Frau von Anfang an gerufen, nicht nur »nebeneinander« oder »miteinander« zu existieren, sondern sie sind auch dazu berufen, gegenseitig »füreinander«dazusein.

So erklärt sich auch die Bedeutung jener »Hilfe«, von der in Gn 2,18-25 die Rede ist: »Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht«. Im biblischen Zusammenhang dürfen wir das auch in dem Sinne verstehen, daß die Frau dem Mann und dieser ihr vor allem deshalb »helfen« sollen, weil sie »menschliche Personen« sind: Das läßt ihn und sie gewissermaßen immer wieder von neuem den vollständigen Sinn des eigenen Menschseins entdecken und bestätigen. Es ist leicht erkennbar, daß es sich - auf dieser fundamentalen Ebene - um eine »Hilfe« beider Seiten und zugleich um eine gegenseitige »Hilfe« handelt . Menschsein bedeutet Berufensein zur interpersonalen Gemeinschaft. Der Text von Gn 2,18-25 weist darauf hin, daß die Ehe die erste und gewissermaßen grundlegende Dimension dieser Berufung ist. Allerdings nicht die einzige. Die gesamte Geschichte des Menschen auf Erden vollzieht sich im Rahmen dieser Berufung. Auf Grund des Prinzips, daß in der interpersonalen »Gemeinschaft« einer »für« den anderen da ist, entwickelt sich in dieser Geschichte die Integration dessen, was »männlich« und was »weiblich« ist, in das von Gott gewollte Menschsein. Die Texte der Bibel, angefangen bei der Genesis, lassen uns ständig den Grund wiederentdecken, in dem die Wahrheit über den Menschen ihre Wurzeln hat, den festen und unzerstörbaren Grund inmitten so vieler Veränderungen der Existenz des Menschen.

Diese Wahrheit betrifft auch die Heilsgeschichte. Dazu eine besonders deutliche Aussage des II. Vatikanischen Konzils. Im Kapitel über die »menschliche Gemeinschaft« der PastoralkonstitutionGaudium et Spes lesen wir: »Wenn der Herr Jesus zum Vater betet, "daß alle eins seien ... wie auch wir eins sind" (Jn 17,20-22), und damit Horizonte aufreißt, die der menschlichen Vernunft unerreichbar sind, legt er eine gewisse Ähnlichkeit nahe zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und der Liebe. Dieser Vergleich macht offenbar, daß der Mensch, der auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist, sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann«.(26)

Mit diesen Worten stellt der Konzilstext in zusammenfassender Form die Wahrheit über Mann und Frau - eine Wahrheit, die sich schon in den ersten Kapiteln der Genesis abzeichnet - insgesamt als die tragende Struktur der biblischen und christlichen Anthropologie dar. Der Mensch - sowohl der Mann wie die Frau - ist unter den Kreaturen der sichtbaren Welt die einzige, die der Schöpfergott »um ihrer selbst willen gewollt hat«; er ist also eine Person. Personsein bedeutet: nach der Selbstverwirklichung (der Konzilstext spricht von »Selbstfindung«) streben, die nur»durch eine aufrichtige Hingabe seiner selbst« zustandekommen kann. Vorbild für eine solche Deutung der Person ist Gott selbst als Dreifaltigkeit, als Gemeinschaft von Personen. Die Aussage, der Mensch sei nach dem Bild und Gleichnis dieses Gottes geschaffen, bedeutet auch, daß der Mensch dazu berufen ist, »für« andere dazusein, zu einer »Gabe« zu werden.

Diese Berufung gilt für jeden Menschen, ob Mann oder Frau, die sie wohl in ihrer je besonderen Eigenart verwirklichen. Im Rahmen der vorliegenden Meditation über die Würde und Berufung der Frau stellt diese Wahrheit vom Menschen den unerläßlichen Ausgangspunkt dar. Schon dasBuch Genesis läßt, gleichsam in einem ersten Entwurf, diesen bräutlichen Charakter der Beziehung zwischen den Personen erkennen, eine Grundlage, auf der sich dann ihrerseits die Wahrheit über die Mutterschaft sowie über die Jungfräulichkeit als zwei einzelne Dimensionen der Berufung der Frau im Licht der göttlichen Offenbarung entwickeln wird. Diese zwei Dimensionen werden ihren erhabensten Ausdruck beim Kommen der »Fülle der Zeit« (vgl. Ga 4,4) in der Gestalt der »Frau« aus Nazaret finden: Mutter und Jungfrau.

(25) S. GRÉGOIRE DE NYSSE dit: « De plus, Dieu est amour et source d’amour. C’est le grand saint Jean qui le dit: «L’amour est de Dieu» et «Dieu est Amour.» (1Jn 4, 7, 8.) Le Créateur a imprimé en nous aussi ce caractère. «A ceci tous reconnaîtront que vous êtes mes disciples: si vous avez de l’amour les uns pour les autres.» (Jn 13,35) Si donc celui-ci vient à manquer, toute l’image est défigurée. » (De hom. Op. 5 : )
(26) CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, n. GS 24.



Mulieris dignitatem DE