Mulieris dignitatem DE 8

Anthropomorphe Sprache der Bibel


8 Die Vorstellung des Menschen als »Abbild und Gleichnis Gottes« sofort zu Beginn der Heiligen Schrift hat noch eine andere Bedeutung. Diese Tatsache ist der Schlüssel zum Verständnis der biblischen Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes. Wenn Gott von sich spricht - sei es »durch die Propheten«, sei es »durch den Sohn« (vgl. He 1,1 He 1,2), der Mensch geworden ist -, spricht er in menschlicher Sprache, gebraucht er menschliche Begriffe und Bilder. Wenn diese Ausdruckweise von einem gewissen Anthropomorphismus gekennzeichnet ist, hat das seinen Grund darin, daß der Mensch Gott »ähnlich« ist: geschaffen nach seinem Bild und Gleichnis. Dann ist auch Gott in gewissem Maße »dem Menschen ähnlich« und kann eben auf Grund dieser Ähnlichkeit von den Menschen erkannt werden. Zugleich aber ist die Sprache der Bibel klar genug, um die Grenzen dieser »Ähnlichkeit«, die Grenzen der »Analogie« anzuzeigen. Tatsächlich sagt die biblische Offenbarung, daß zwar die »Ähnlichkeit« des Menschen mit Gott, aber noch wesentlicher die »Nicht-Ähnlichkeit« zutrifft, welche die ganze Schöpfung vom Schöpfer trennt.(27) Für den nach dem Bild Gottes geschaffenen Menschen hört ja Gott schließlich nicht auf, derjenige zu sein, »der in unzugänglichem Licht wohnt« (1Tm 6,16): Er ist der wesenhaft »Verschiedene«, der »ganz Andere«.

Diese Feststellung über die Grenzen der Analogie - Grenzen der Gottähnlichkeit des Menschen in der Sprache der Bibel - müssen wir auch vor Augen haben, wenn wir in verschiedenen Abschnitten der Heiligen Schrift (besonders im Alten Testament) Vergleiche finden, die Gott »männliche« oder »weibliche« Eigenschaften zuschreiben. Wir finden in solchenVergleichen die indirekte Bestätigung der Wahrheit, daß beide, sowohl der Mann wie die Frau, nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen sind. Wenn es Ähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpfen gibt, ist verständlich, daß die Bibel, was ihn betrifft, Formulierungen gebraucht, die ihm sowohl »männliche« als auch »weibliche« Eigenschaften zuschreiben.

Wir führen hier einige charakteristische Abschnitte aus dem Buch des Propheten Jesaja an: »Doch Zion sagt: Der Herr hat mich vergessen. Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen, eine Mutter ihren eigenen Sohn? Und selbst wenn sie ihr Kind vergessen würde: Ich vergesse dich nicht« (Is 49,14-15). Und an einer anderen Stelle: »Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost« (Is 66,13). Auch in den Psalmen wird Gott mit einer fürsorglichen Mutter verglichen: »Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir. Israel, harre auf den Herrn« (Ps 131,2-3). An verschiedenen Stellen wird Gottes Liebe und Sorge für sein Volk mit denen einer Mutter verglichen: Wie eine Mutter hatGott die Menschheit und insbesondere sein auserwähltes Volk in seinem Schoß »getragen«; er hat es unter Schmerzen geboren; er hat es genährt und getröstet (vgl. Is 42,14 Is 46,3-4 Jr 31,20). Die Liebe Gottes wird an vielen Stellen als »männliche« Liebe eines Gatten und Vaters (vgl. Os 11,1-4 Jr 3,4-19), zuweilen aber auch als »frauliche« Liebe einer Mutter dargestellt.

Dieses Merkmal der biblischen Sprache, ihre anthropomorphe Redeweise von Gott, ist auch ein indirekter Hinweis auf das Geheimnis des ewigen »Zeugens«, das zum inneren Leben Gottes gehört. Dieses »Zeugen« an sich besitzt allerdings weder »männliche« noch »weibliche« Eigenschaften. Es ist ganz und gar göttlicher Natur. Es ist in vollkommenster Weise ein geistiges Zeugen - denn »Gott ist Geist« (Jn 4,24) - und besitzt keine, weder »weibliche« noch »männliche«, leibgebundene Eigenschaft. Darum ist auch die »Vaterschaft« in Gott ganz göttlicher Art, frei von den »männlichen« Körpermerkmalen, die für die menschliche Vaterschaft typisch sind. In diesem Sinne sprach das Alte Testament von Gott als einem Vater und wandte sich an ihn als einen Vater. Jesus Christus, der sich als Gottes eingeborener und wesensgleicher Sohn mit dem Anruf: »Abba-Vater« (Mc 14,36) an diesen wenden wird und der diese Wahrheit als Norm christlichen Betens in den Mittelpunkt seiner Frohen Botschaft gestellt hat, wies auf die Vaterschaft in diesem überleiblichen, übermenschlichen, ganz und gar göttlichen Sinn hin. Er sprach als Sohn, der durch das ewige Mysterium der göttlichen Zeugung mit dem Vater verbunden ist, und er tat das, während er zugleich der wahrhaft menschliche Sohn seiner jungfräulichen Mutter war.

Auch wenn der ewigen Zeugung des Wortes Gottes keine menschlichen Eigenschaften zugeschrieben werden können und die göttliche Vaterschaft keine »männlichen« Merkmale im leiblichen Sinne aufweist, muß man doch in Gott das absolute Vorbild jeder »Zeugung« in der Welt der Menschen suchen. In diesem Sinne, so scheint es, lesen wir im Epheserbrief: »Daher beuge ich meine Knie vor dem Vater, nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird« (Ep 3,14-15). Jede »Zeugung« im kreatürlichen Bereich findet ihr erstes Vorbild in jener vollkommen göttlichen, das heißt geistigen, Zeugung in Gott. Diesem absoluten, nicht geschaffenen Vorbild wird jede »Zeugung« in der geschaffenen Welt ähnlich. Daher trägt alles, was bei der menschlichen Zeugung in typischer Weise zum Manne gehört, wie auch alles, was typischer Anteil der Frau ist, das heißt die menschliche »Vaterschaft« und »Mutterschaft«,in sich eine Ähnlichkeit oder Analogie mit dem göttlichen »Zeugen« und mit der »Vaterschaft«, die in Gott »ganz anders« ist: vollkommen geistig und ihrem Wesen nach göttlich. In der menschlichen Ordnung dagegen gehört das Zeugen zur »Einheit der zwei«. Beide, der Mann wie die Frau, sind Eltern (»Erzeuger«).

(27) Cf. Nb 23,19 Os 11,9 Is 40,18 Is 46,5; cf. aussi IVE CONCILE DU LATRAN (DS 806).

IV.


EVA - MARIA


Der »Anfang« und die Sünde


9 »Obwohl in Gerechtigkeit von Gott begründet, hat der Mensch unter dem Einfluß des Bösen gleich von Anfang der Geschichte an durch Auflehnung gegen Gott und den Willen, sein Ziel außerhalb Gottes zu erreichen, seine Freiheit mißbraucht«.(28) Mit diesen Worten erinnert das letzte Konzil an die über die Sünde und im besonderen über jene erste Sünde, die »Ursünde«, offenbarte Lehre. Der biblische »Anfang« - die Erschaffung der Welt und des Menschen in der Welt - enthält auch die Wahrheit über diese Sünde, die auch die Sünde vom »Anfang« des Menschen auf Erden genannt werden kann. Auch wenn das, was im Buch Genesis geschrieben steht, die Form einer symbolhaften Erzählung hat, wie die Darstellung der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau (vgl. Gen Gn 2,18-25), so enthüllt es darin doch, was man »das Geheimnis der Sünde« und noch vollständiger »das Geheimnis des Bösen« in der von Gott geschaffenen Welt nennen muß.

Ohne Bezugnahme auf die ganze Wahrheit von der »Gottebenbildlichkeit« des Menschen, die der biblischen Anthropologie zugrunde liegt, kann man »das Geheimnis der Sünde« unmöglich verstehen. Diese Wahrheit zeigt die Erschaffung des Menschen als ein besonderes Geschenk des Schöpfers, in dem nicht nur Grund und Quelle der wesenhaften Würde des Menschen - von Mann und Frau - in der geschaffenen Welt, sondern auch der Anfang der Berufung beider, am inneren Leben Gottes selbst teilzuhaben, enthalten sind. Im Lichte der Offenbarung bedeutet Schöpfung zugleich Anfang der Heilsgeschichte. Gerade in diesen Anfang drängt sich die Sünde ein und tritt dort als Gegensatz und Verneinung auf.

Man kann also paradoxerweise sagen: Die in Gen 3 dargestellte Sünde ist die Bestätigung der Wahrheit über das Abbild und Gleichnis Gottes im Menschen, wenn diese Wahrheit die Freiheit, das heißt den freien Willen bedeutet, von dem der Mensch Gebrauch machen kann, indem er sich für das Gute entscheidet, den er aber auch mißbrauchen kann, indem er sich gegen den Willen Gottes für das Böse entscheidet. In ihrer eigentlichen Bedeutung ist Sünde jedoch die Verneinung dessen, was Gott - als Schöpfer - in Beziehung zum Menschen ist und was Gott von Anfang an und für alle Zeiten für den Menschen will. Durch die Erschaffung von Mann und Frau nach seinem eigenen Bild und Gleichnis will Gott für sie die Fülle des Guten, das heißt die übernatürliche Glückseligkeit, die aus der Teilhabe an seinem Leben erwächst. Dadurch daß der Mensch sündigt, weist er dieses Geschenk zurück und will zugleich werden »wie Gott und Gut und Böse erkennen« (Gn 3,5), das heißt, er will unabhängig von Gott, seinem Schöpfer, über Gut und Böse entscheiden. Die Sünde des Anfanges hat also ihr menschliches »Maß«, ihre innere Weise im freien Willen des Menschen, und zugleich hat sie etwas »Diabolisches« an sich,(29) wie in Gn 3,1-5 deutlich hervorgehoben wird. Die Sünde bewirkt das Zerbrechen der ursprünglichen Einheit, deren sich der Mensch im Stand der anfänglichen Gerechtigkeit erfreute: die Verbundenheit mit Gott als Quelle der Einheit innerhalb des eigenen »Ichs«, in der gegenseitigen Beziehung zwischen Mann und Frau (»communio personarum«) und schließlich gegenüber der Außenwelt, der Natur.

Die biblische Darstellung des Sündenfalls in Gen 3 nimmt gewissermaßen eine Verteilung der »Rollen« vor, die der Mann und die Frau dabei hatten. Darauf wird später noch die eine oder andere Bibelstelle Bezug nehmen, wie zum Beispiel der Brief des Paulus an Timotheus: »Zuerst wurde Adam erschaffen, danach Eva. Und nicht Adam wurde verführt, sondern die Frau ließ sich verführen« (1Tm 13-14). Es besteht jedoch kein Zweifel, daß unabhängig von dieser »Rollenverteilung« im biblischen Bericht jene erste Sünde die Sünde des Menschen ist, der von Gott als Mann und Frau erschaffen wurde. Sie ist auch die Sünde der »Voreltern«, womit ihr Erbcharakter verbunden ist. In diesem Sinne nennen wir sie »Erbsünde«.

Diese Sünde kann, wie schon gesagt, ohne Bezug auf das Geheimnis der Erschaffung des Menschen - als Mann und Frau - nach dem Ebenbild Gottes nicht richtig verstanden werden.Dieser Bezug macht auch das Geheimnis jener »Nicht-Ähnlichkeit« mit Gott begreiflich, die in der Sünde gegeben ist und sich in dem in der Geschichte der Welt vorhandenen Bösen äußert: jene »Nicht-Ähnlichkeit« mit Gott, der »allein 'der Gute' ist« (vgl. Mt 19,17) und die Fülle des Guten. Wenn diese »Nicht-Ähnlichkeit« der Sünde mit Gott, der die Heiligkeit selber ist, die »Ähnlichkeit« auf dem Gebiet der Freiheit, des freien Willens, voraussetzt, dann kann man sagen, daß gerade aus diesem Grund die in der Sünde enthaltene »Nicht-Ähnlichkeit« um so dramatischer und schmerzlicher ist. Man muß auch zugeben, daß hierbei Gott als Schöpfer und Vater getroffen und »beleidigt« wird, ja ganz offensichtlich beleidigt im innersten Grunde jener schenkenden Hingabe, die zum ewigen Plan Gottes für den Menschen gehört.

Gleichzeitig wird jedoch auch der Mensch - Mann und Frau - vom Übel der Sünde, deren Urheber er ist, getroffen. Der biblische Text von Gen 3 zeigt das mit den Worten, die die neue Lage des Menschen in der geschaffenen Welt klar beschreiben. Er zeigt vorausschauend die »Mühsal«, mit der sich der Mensch um seinen Lebensunterhalt kümmern wird (vgl. Gn 3,17-19), und er spricht von den großen »Schmerzen«, unter denen die Frau ihre Kinder gebären wird (vgl. Gn 3,16). Das alles ist schließlich gezeichnet von der Notwendigkeit des Todes, der das Ende des menschlichen Lebens auf Erden darstellt. So wird der Mensch als Staub »zurückkehren zum Ackerboden, von dem er ja genommen ist«: »Denn Staub bist du, zum Staub mußt du zurück« (vgl. Gn 3,19).

Diese Worte bestätigen sich von Generation zu Generation. Sie bedeuten nicht, daß das Bild und Gleichnis Gottes im Menschen, im Mann wie in der Frau, von der Sünde zerstört worden ist; sie bedeuten jedoch, daß es »getrübt«(30) und in gewissem Sinne »gemindert« ist. In der Tat »mindert« die Sünde den Menschen, wie auch das II. Vatikanische Konzil sagt.(31) Wenn der Mensch schon durch seine Natur als Person das Ebenbild Gottes ist, dann verwirklichen sich seine Größe und Würde eben im Bund mit Gott, in der Verbundenheit mit ihm, im Streben nach jener fundamentalen Einheit, die zur inneren »Logik« des Geheimnisses der Schöpfung gehört. Diese Einheit entspricht der tiefen Wahrheit aller mit Verstand ausgestatteten Geschöpfe und insbesondere des Menschen, der von Anfang an durch die ewige Erwählung von seiten Gottes in Christus über alle Geschöpfe der sichtbaren Welt erhoben wurde: »In Christus hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt (...); er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen« (vgl. Ep 1,4-6). Auf Grund der biblischen Lehre insgesamt dürfen wir sagen, daß diese Vorherbestimmung alle menschlichen Personen, Männer und Frauen, ausnahmslos jeden einzelnen und jede einzelne, betrifft.

(28) CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, GS 13.
(29) « Diabolique », du grec « dia-ballô » = « je divise, je sépare, je calomnie ».
(30) Cf. ORIGÈNE, In Gen. hom. 13, 4 : PG 12, 234; S. GRÉGOIRE DE NYSSE, Traité de la virginité, 12 : S. Ch. 119, 404-419; De beat. VI : PG 44, 1272.
(31) Cf. CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce tempsGaudium et spes, GS 13.


»Er wird über dich herrschen\b\i«


10 Die biblische Darstellung im Buch Genesis umreißt die Wahrheit über die Folgen der Sünde des Menschen, so wie sie außerdem auf die Störung jener ursprünglichen Beziehung zwischen Mann und Frau hinweist, die der Würde jedes von ihnen als Person entspricht. Der Mensch, sowohl der Mann wie die Frau, ist eine Person und daher »die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur auf Erden«; und zugleich kann eben diese einzige und unwiederholbare Kreatur »sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe ihrer selbst vollkommen finden«.(32) Hier nimmt die Gemeinschaftsbeziehung ihren Anfang, in der die »Einheit von zweien« und die Würde des Mannes wie der Frau als Person Ausdruck finden. Wenn wir daher in der biblischen Darstellung die an die Frau gerichteten Worte lesen: »Dennoch verlangt dich nach dem Mann, doch er wird über dich herrschen« (Gn 3,16), entdecken wir darin einen Bruch und eine ständige Bedrohung eben dieser »Einheit der zwei«, die der Würde des Ebenbildes Gottes in beiden entspricht. Diese Bedrohung erweist sich jedoch als schwerwiegender für die Frau. Denn an die Stelle einer aufrichtigen Hingabe und daher eines Lebens »für« den anderen tritt das Beherrschen: »Er wird über dich herrschen«. Dieses »Herrschen« zeigt die Störung undSchwächung jener grundlegenden Gleichheit an, die Mann und Frau in der »Einheit der zwei« besitzen: Und das gereicht vor allem der Frau zum Nachteil, während nur die Gleichheit, die sich aus der Würde der beiden als Personen ergibt, den gegenseitigen Beziehungen den Charakter einer echten »communio personarum« (Personengemeinschaft) zu geben vermag. Wenn die Verletzung dieser Gleichheit, die ein vom Schöpfergott selber stammendes Geschenk und Recht ist, sich zum Nachteil der Frau auswirkt, mindert sie gleichzeitig aber auch die wahre Würde des Mannes. Wir rühren hier an einen äußerst empfindlichen Punkt im Bereich jenes »Ethos«, das der Schöpfer schon von Anfang an mit der Tatsache verbunden hatte, daß er beide nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen hat.

Die in Gen 3, 16 gemachte Aussage ist von großer Bedeutung und Tragweite. Sie schließt einen Hinweis auf die gegenseitige Beziehung zwischen Mann und Frau in der Ehe ein. Es handelt sich hier um das im Bereich bräutlicher Liebe entstandene Verlangen, die bewirkt, daß »die aufrichtige Hingabe« von seiten der Frau in einer ähnlichen »Hingabe« von seiten des Gatten Antwort und Vervollständigung findet. Nur auf Grund dieses Prinzips können alle beide und besonders die Frau sich als wahre »Einheit von zweien«, der Würde der Person entsprechend, »selbst finden«. Die eheliche Vereinigung verlangt die Achtung und die Vervollkommnung des echten personalen Subjektseins beider. Die Frau darf nicht zum »Objekt« männlicher »Herrschaft« und »Besitzes« werden. Die Worte des Bibeltextes betreffen aber direkt die Erbsünde und ihre im Mann und in der Frau fortdauernden Auswirkungen. Sie sind von der erblichen Sündhaftigkeit belastet und tragen den ständigen »Sündenkeim« in sich, das heißt die Neigung zur Verletzung jener sittlichen Ordnung, die der Vernunftnatur und moralischen Würde des Menschen als Person entspricht. Diese Neigung kommt in der dreifachen Begierde zum Ausdruck, die der apostolische Text als Begierde der Augen, Begierde des Fleisches und Prahlen mit dem Besitz angibt (vgl. 1Jn 2,16). Die vorhin angeführten Worte der Genesis (Gn 3,16) machen deutlich, auf welche Weise diese dreifache Begierde als »Sündenkeim« das gegenseitige Verhältnis von Mann und Frau belasten wird.

Die Worte der Genesis beziehen sich direkt auf die Ehe; indirekt aber berühren sie die verschiedenen Bereiche des sozialen Zusammenlebens: Situationen, wo die Frau deshalb benachteiligt oder diskriminiert wird, weil sie Frau ist. Die offenbarte Wahrheit über die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau stellt das Hauptargument gegen alle Zustände dar, die schon rein objektiv schädlich, das heißt ungerecht sind und dabei das Erbe der Sünde enthalten und zum Ausdruck bringen, das alle Menschen in sich tragen. Die Bücher der Heiligen Schrift bestätigen an verschiedenen Stellen das tatsächliche Vorhandensein solcher Zuständeund verkünden zugleich die Notwendigkeit umzukehren, das heißt, sich vom Bösen zu reinigen und von der Sünde zu befreien: von dem, was den anderen beleidigt, was den Menschen »mindert« und herabsetzt, und nicht nur den, dem die Beleidigung zugefügt wird, sondern auch den, der sie zufügt. Das ist die unveränderliche Botschaft des von Gott geoffenbarten Wortes. Darin kommt das biblische »Ethos« mit ganzer Radikalität zum Ausdruck.(33)

In unserer Zeit hat die Frage der »Rechte der Frau« im weiten Rahmen der Rechte der menschlichen Person eine neue Bedeutung erlangt. Indemdie Botschaft der Bibel und des Evangeliums dieses Programm, das ständig durch Erklärungen verschiedenster Art in Erinnerung gehalten wird, erhellt, bewahrt sie die Wahrheit über die »Einheit der zwei«, das heißt über jene Würde und Berufung, die sich aus der spezifischen Verschiedenheit und personalen Eigenart von Mann und Frau ergeben. Daher darf auch der berechtigte Widerstand der Frau gegen die Aussage der biblischen Worte: »Er wird über dich herrschen« (Gn 3,16), unter keinen Umständen zur »Vermännlichung« der Frauen führen. Die Frau darf nicht - in Namen der Befreiung von der »Herrschaft« des Mannes - danach trachten, sich entgegen ihrer fraulichen »Eigenart« die typisch männlichen Merkmale anzueignen. Es besteht die begründete Furcht, daß sich auf einem solchen Weg die Frau nicht »verwirklichen« wird, sondern vielmehr das entstellen und einbüßen könnte,was ihren wesentlichen Reichtum ausmacht. Es handelt sich um einen außerordentlichen Reichtum. Im biblischen Schöpfungsbericht ist der Ausruf des ersten Menschen beim Anblick der soeben geschaffenen Frau ein Ausruf der Bewunderung und Verzauberung, wie er die ganze Geschichte des Menschen auf Erden durchzieht.

Die persönlichen Möglichkeiten des Frauseins sind gewiß nicht geringer als die Möglichkeiten des Mannseins; sie sind nur anders. Die Frau muß also - wie übrigens auch der Mann - ihre »Verwirklichung« als Person, ihre Würde und Berufung auf der Grundlage dieser Möglichkeiten anstreben, entsprechend dem Reichtum des Frauseins, das sie am Tag der Erschaffung empfangen und als den ihr eigenen Ausdruck des »Bildes Gottes« ererbt hat. Nur auf diese Weise kann auch jene Erbschaft der Sünde überwunden werden, die von den Worten der Bibel angedeutet wird: »Dennoch verlangt dich nach dem Mann, doch er wird über dich herrschen«. Die Überwindung dieses schlimmen Erbes ist von Generation zu Generation Aufgabe jedes Menschen, sowohl der Frau wie des Mannes. In der Tat handelt der Mann in allen Fällen, in denen er für die Verletzung der persönlichen Würde und Berufung der Frau verantwortlich ist, auch gegen die eigene persönliche Würde und Berufung.

(32) Cf. ibid., GS 24.
(33) C’est précisément en se référant à la loi divine que les Pères du IVe siècle ont fortement réagi contre la discrimination encore en vigueur à l’égard de la femme, dans les moeurs et la législation civile de leur temps. Cf. S. GRÉGOIRE DE NAZIANZE, Or. 37, 6 : PG 36, 290; S. JÉRÔME,Ad Oceanum ep. 77, 3: PL 22, 691; S. AMBROISE, De instit. Virg. III, 16 : PL 16, 309; S. Augustin, Sermon 132, 2 : PL 38, 735; Sermon 392, 4 : PL 39, 1711.

Protoevangelium


11 Das Buch Genesis gibt Zeugnis von der Sünde, die das Böse des menschlichen Anfangs ist, und von ihren Folgen, die seither die ganze Menschheit belasten, und enthält zugleich die erste Verkündigung des Sieges über das Böse, über die Sünde. Das beweisen die Worte von Gen 3, 15, die gewöhnlich als »Protoevangelium« bezeichnet werden: »Feindschaft stifte ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse«. Von Bedeutung ist, daß die in diesen Worten enthaltene Ankündigung des Erlösers, des Retters der Welt, die »Frau« betrifft. Sie wird im Protoevangelium an erster Stelle als Stammutter dessen genannt, der der Erlöser des Menschen sein wird.(34) Und wenn sich die Erlösung durch den Kampf gegen das Böse, durch die »Feindschaft« zwischen der Nachkommenschaft der Frau und der Nachkommenschaft dessen vollziehen soll, der als »Vater der Lüge« (Jn 8,44) der erste Urheber der Sünde in der Menschheitsgeschichte ist, wird diese auch die Feindschaft zwischen ihm und der Frau sein.

In diesen Worten eröffnet sich der Ausblick auf die gesamte Offenbarung, zunächst als Vorbereitung auf das Evangelium und sodann als Evangelium selbst. In diesem Ausblick verbinden sich unter dem Namen der Frau die beiden weiblichen Gestalten: Eva und Maria.

Im Licht des Neuen Testaments gelesen, bringen die Worte des Protoevangeliums in angemessener Weise die Sendung der Frau in dem heilbringenden Kampf des Erlösers gegen den Urheber des Bösen in der Geschichte des Menschen zum Ausdruck.

Die Gegenüberstellung Eva - Maria kehrt in der Betrachtung über das in der göttlichen Offenbarung empfangene Glaubensgut immer wieder und ist eines der Themen, die von den Vätern, den kirchlichen Schriftstellern und den Theologen häufig aufgegriffen wurden.(35) Für gewöhnlich meinen wir auf den ersten Blick in diesem Vergleich einen Unterschied oder gar Gegensatz zu erkennen. Eva ist als »Mutter aller Lebendigen« (Gn 3,20) Zeugin des biblischen »Anfangs«, in dem die Wahrheit über die Erschaffung des Menschen nach dem Bild und Gleichnis Gottes und die Wahrheit über die Erbsünde enthalten sind. Maria ist Zeugin des neuen »Anfangs« und der »neuen Schöpfung« (vgl. 2Co 5,17). Ja, sie selbst ist, als die Ersterlöste in der Heilsgeschichte, »eine neue Kreatur«: Sie ist die »Begnadete«. Es ist kaum zu verstehen, warum die Worte des Protoevangeliums die »Frau« so nachdrücklich hervorheben, wenn man nicht zugibt, daß in ihr der neue und endgültige Bund Gottes mit der Menschheit, der Bund im erlösenden Blut Christi, seinen Anfang hat. Er beginnt mit einer Frau, der »Frau«, bei der Verkündigung in Nazaret. Das ist das absolut Neue des Evangeliums: Verschiedene Male hatte sich Gott im Alten Testament an Frauen gewandt, wie zum Beispiel an die Mutter des Samuel und des Samson, um in die Geschichte seines Volkes einzugreifen; um aber seinen Bund mit der Menschheit zu schließen, hatte er sich nur an Männer gewandt: Noach, Abraham... Am Anfang des Neuen Bundes, der ewig und unwiderruflich sein soll, steht die Frau: die Jungfrau aus Nazaret. Es handelt sich um ein deutliches Zeichen dafür, daß es »in Jesus Christus« »nicht mehr Mann und Frau gibt« (Ga 3,28). In ihm wird der wechselseitige Gegensatz zwischen Mann und Frau - als Erbe der Ursünde - im wesentlichen überwunden. »Denn ihr alle seid einer in Christus Jesus«, wird der Apostel schreiben (Ga 3,28).

Diese Worte handeln von jener ursprünglichen »Einheit der zwei«, die zusammenhängt mit der Erschaffung des Menschen, als Mann und Frau, nach dem Bild und Gleichnis Gottes, nach dem Vorbild jener vollkommenen Personengemeinschaft, die Gott selber ist. Die Worte des Paulus stellen fest, daß das Geheimnis von der Erlösung des Menschen in Jesus Christus, dem Sohn Marias, das wieder aufgreift und erneuert, was im Schöpfungsgeheimnis dem ewigen Plan des Schöpfers entsprach. Es heißt ja gerade deshalb am Tag der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau: »Gott sah, daß alles, was er gemacht hatte, sehr gut war« (Gn 1,31). Die Erlösung stellt nun gewissermaßen das Gute, das durch die Sünde und ihr Erbe in der Geschichte des Menschen wesentlich »gemindert« worden ist, an seiner Wurzel selbst wieder her.

Die »Frau« des Protoevangeliums ist einbezogen in die Perspektive der Erlösung. Die Gegenüberstellung Eva - Maria läßt sich auch in dem Sinne verstehen, daß Maria das Geheimnis der »Frau«, dessen Anfang Eva, »die Mutter aller Lebendigen« (Gn 3,20),ist, in sich aufnimmt und umfängt: Sie nimmt es vor allem auf und umfängt es im Geheimnis Christi - »des neuen und letzten Adam« (vgl. 1Co 15,45) -, der in seiner Person die Natur des ersten Adam aufgenommen hat. Das Wesen des Neuen Bundes besteht darin, daß der Sohn Gottes der wesensgleich ist mit dem ewigen Vater, Mensch wird: Er nimmt die Menschennatur in die Einheit der göttlichen Person des Wortes auf. Der die Erlösung vollbringt, ist zugleich wahrer Mensch. Das Geheimnis von der Erlösung der Welt setzt voraus, daß Gott-Sohn das Menschsein als das Erbe Adams angenommen hat, indem er ihm und jedem Menschen in allem gleich geworden ist »außer der Sünde« (vgl. He 4,15). So »macht er ... dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«, wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt.(36) Er hilft gewissermaßen, neu zu entdecken, »was der Mensch ist« (vgl. Ps 8,5).

In allen Generationen geht in der Überlieferung des Glaubens und der christlichen Glaubensreflexion der Vergleich Adam - Christus häufigHand in Hand mit jenem Eva - Maria.Wenn Maria auch als »neue Eva« beschrieben wird, welche Sinngehalte kann dann eine solche Analogie haben? Sie sind sicher vielfältig. Man muß insbesondere jene Bedeutung im Auge behalten, die in Maria die volle Offenbarung all dessen sieht, was das biblische Wort »Frau« umfaßt: eine Offenbarung, die an Tiefe dem Geheimnis der Erlösung entspricht. Maria bedeutet in gewissem Sinne das Überschreiten jener Grenze, von der das Buch Genesis (Gn 3,16) spricht, und das Zurückgehen zu jenem «Anfang«, an dem wir die »Frau« so vorfinden, wie sie im Schöpfungswerk, also im ewigen Plan Gottes, im Schoß der Heiligsten Dreifaltigkeit, gewollt war.Maria ist »der neue Anfang« der Würde und Berufung der Frau, aller Frauen und jeder einzelnen.(37)

Ein Schlüssel zum Verständnis dieses Geheimnisses können in besonderer Weise die Worte sein, die der Evangelist Maria nach der Verkündigung, während ihres Besuches bei Elisabet, in den Mund legt: »Der Mächtige hat Großes an mir getan« (Lc 1,49). Sie beziehen sich gewiß auf die Empfängnis des Sohnes, der der »Sohn des Höchsten« (Lc 1,32) und der »Heilige« Gottes ist; zugleich aber können sie auch die Entdeckung des eigenen Menschseins als Frau bedeuten.»Der Mächtige hat Großes an mir getan«: Das ist die Entdeckung des ganzen Reichtums, der ganzen personalen Möglichkeiten des Frauseins, der ganzen von Ewigkeit her gegebenen Eigenart der »Frau«, so wie Gott sie gewollt hat, als eigenständige Person, die zugleich »durch eine aufrichtige Hingabe« sich selbst findet.

Diese Entdeckung verbindet sich mit dem klaren Bewußtsein von der Gabe, dem Gnadengeschenk Gottes. Die Sünde hatte gleich am »Anfang« dieses Bewußtsein getrübt, es gewissermaßen unterdrückt, wie die Worte der ersten Versuchung durch den »Vater der Lüge« (vgl. Gn 3,1-5) anzeigen. Als sich mit dem Herannahen der »Fülle der Zeit« (vgl. Ga 4,4) in der Menschheitsgeschichte das Geheimnis der Erlösung zu vollziehen beginnt, fließt dieses Bewußtsein mit seiner ganzen Kraft in die Worte der »Frau« aus Nazaret ein. In Maria entdeckt Eva wieder, was die wahre Würde der Frau, des fraulichen Menschseins ist. Diese Entdeckung muß ständig das Herz jeder Frau erreichen und ihrer Berufung und ihrem Leben Gestalt geben.

(34) Cf. S. IRÉNÉE, Contre les hérésies, III, 23, 7 : S. Ch. 211, 462-465; V, 21, 1 : S. Ch. 153, 260-265; S. ÉPIPHANE, Panar. III, 2, 78 : PG 42, 728-729; S. AUGUSTIN, Enarr. in Ps. 103, s. 4, 6 : CCL 40, 1525.
(35) Cf. S. JUSTIN, Dial. cum Tryph. 100 : PG 6, 709-712; S. IRÉNÉE, Contre les hérésies, III, 22, 4 : S. Ch. 211, 438-445; V, 19, 1 : S. Ch. 153, 248-251; S. CYRILLE DE JÉRUSALEM,Catech. 12, 15 : PG 33, 741; S. JEAN CHRYSOSTOME, in Ps. 44, 7 : PG 55, 193; S. JEAN DAMASCÈNE, Hom. 2 in dorm. B. V. M. 3 : S. Ch. 80, 130-135; HÉSYCHIUS, Sermon 5 in Deiparam: PG 93, 1464-1465; TERTULLIEN, De carne Christi 17 : CCL 2, 904-905; S. JÉRÔME, Epist. 22, 21 : PL 22, 408; S. AUGUSTIN, Sermon 51, 2-3 : PL 38, 335; Sermon 232, 2 : PL 38, 1108; cf. aussi J. H. NEWMAN, A Letter ta the rev. E. B. Pusey, Longmans, London 1865; M. J. SCHEEBEN, Handbuch der Katholischen Dogmatik, V/1 (Freiburg 1954), 243-266; V/2 (Freiburg 1954), 306-499.
(36) CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, GS 22.
(37) Cf. S. AMBROISE, De Instit. Virg., V, 33 : PL 16, 313.


V.

JESUS CHRISTUS

»Sie wunderten sich, daß er mit einer Frau sprach\b\i«


12 Die Worte des Protoevangeliums im Buch Genesis erlauben uns den Übergang in den Bereich des Evangeliums. Die dort angekündigte Erlösung des Menschen wird hier Wirklichkeit in der Person und Sendung Jesu Christi, an denen wir auch erkennen, was die Wirklichkeit der Erlösungfür die Würde und Berufung der Frau bedeutet. Diese Bedeutung wird uns noch stärker erhellt durch die Worte Christi und durch sein ganzes Verhalten zu den Frauen, das äußerst schlicht und gerade darum außergewöhnlich ist, wenn man es vor dem Hintergrund seiner Zeit sieht: ein Verhalten, das von großer Klarheit und Tiefe gekennzeichnet ist. Auf dem Weg der Sendung des Jesus von Nazaret treten verschiedene Frauen auf, und die Begegnung mit jeder von ihnen ist eine Bestätigung des »neuen Lebens« aus dem Geist des Evangeliums, von dem bereits die Rede war.

Es wird allgemein zugegeben - sogar von solchen Menschen, die der christlichen Botschaft kritisch gegenüberstehen -, daß Christus seinen Zeitgenossen gegenüber zum Förderer der wahren Würde der Frau und der dieser Würde entsprechenden Berufung geworden ist. Das löste bisweilen Befremden und Verwunderung aus und ging oft bis an die Grenze eines Skandals: »Sie wunderten sich, daß er mit einer Frau sprach« (
Jn 4,27); denn dieses Verhalten unterschied sich von dem seiner Zeitgenossen. Ja, »es wunderten sich« sogar die Jünger Christi. Der Pharisäer, in dessen Haus die Sünderin ging, um Jesus die Füße mit wohlriechendem Öl zu salben, dachte: »Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müßte er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren läßt; er wüßte, daß sie eine Sünderin ist« (Lc 7,39). Noch größere Bestürzung oder geradezu »heilige Empörung« mußten bei den selbstzufriedenen Zuhörern die Worte Christi auslösen: »Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr« (Mt 21,31).

Der so sprach und handelte, gab damit zu verstehen, daß er »die Geheimnisse des Reiches« zutiefst kannte. Ebenso »wußte er, was im Menschen ist« (Jn 2,25), in seinem Innersten, in seinem »Herzen«. Er war Zeuge des ewigen Planes Gottes für den von ihm nach seinem Ebenbild als Mann und Frau geschaffenen Menschen. Er wußte auch zutiefst um die Folgen der Sünde, jenes »Geheimnis der Bosheit«, das als die bittere Frucht der Trübung der Gottebenbildlichkeit in den Menschenherzen wirksam ist. Wie bedeutungsvoll ist es doch, daß Jesus in dem grundlegenden Gespräch über die Ehe und ihre Unauflöslichkeit gegenüber seinen Gesprächspartnern, den »Schriftgelehrten«, die von Amts wegen Kenner des Gesetzes waren, auf den »Anfang« Bezug nimmt! Es geht um die Frage, ob »dem Mann« das Recht zustehe, »seine Frau aus jedem beliebigen Grund aus der Ehe zu entlassen« (Mt 19,3); und damit geht es auch um das Recht der Frau, um ihre gerechte Stellung in der Ehe, um ihre Würde. Die Gesprächspartner Jesu sind der Meinung, das in Israel geltende mosaische Gesetz auf ihrer Seite zu haben: »Wozu hat dann Mose vorge schrieben, daß man (der Frau) eine Scheidungsurkunde geben muß, wenn man sich trennen will?« (Mt 19,7). Darauf antwortet Jesus: »Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so« (Mt 19,8). Jesus beruft sich auf den »Anfang«, auf die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau und auf jene Ordnung Gottes, die sich darauf gründet, daß alle beide »nach seinem Bild und Gleichnis« erschaffen sind . Wenn also der Mann »Vater und Mutter verläßt« und sich an seine Frau bindet, so daß die zwei »ein Fleisch werden«, bleibt daher das von Gott selbst stammende Gesetz in Kraft: »Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen« (Mt 19,6).

Der Grundsatz dieses »Ethos«, der von Anfang an der Wirklichkeit der Schöpfung eingeschrieben ist, wird nun von Christus gegen jene Tradition, welche die Diskriminierung der Frau mit sich brachte, bestätigt. In dieser Tradition »herrschte « der Mann, ohne genügend auf die Frau und jene Würde Rücksicht zu nehmen, die das »Ethos« der Schöpfung den gegenseitigen Beziehungen zweier in der Ehe verbundener Personen zugrunde gelegt hat. Dieses »Ethos« wirdvon den Worten Christi in Erinnerung gerufen und bekräftigt: Es ist das »Ethos« des Evangeliums und der Erlösung.


Mulieris dignitatem DE 8