Mulieris dignitatem DE 13

Die Frauen des Evangeliums


13 Wenn wir die Seiten des Evangeliums durchgehen, ziehen eine Vielzahl von Frauen verschiedenen Alters und Standes an uns vorüber. Wir begegnen Frauen, die von Krankheit oder körperlichen Gebrechen befallen sind, wie jene, die »von einem Dämon geplagt wurde; ihr Rücken war verkrümmt, und sie konnte nicht mehr aufrecht gehen« (vgl. Lk Lc 13,11), oder die Schwiegermutter des Simon, die »mit Fieber im Bett lag« (Mc 1,30), oder die Frau, die, »weil sie schon zwölf Jahre an Blutungen litt«, niemanden berühren konnte, weil man meinte, ihre Berührung würde den Menschen »unrein« machen (vgl. Mk Mc 5,25-34). Jede dieser Frauen wurde geheilt, und die letzte (die an Blutungen litt), die »in dem Gedränge« das Gewand Jesu berührte (Mc 5,27), wurde ihres großen Glaubens wegen von Jesus gelobt: »Dein Glaube hat dir geholfen« (Mc 5,34). Da ist sodann die Tochter des Jaïrus, die Jesus ins Leben zurückruft, indem er sie liebevoll auffordert: »Mädchen, ich sage dir, steh auf!« (Mc 5,41). Und da ist die Witwe in Naïn, deren einzigen Sohn Jesus ins Leben zurückruft und dabei sein Tun mit dem Ausdruck herzlichen Mitleids begleitet: »Er hatte Mitleid mit ihr und sagte zu ihr: Weine nicht!« (Lc 7,13). Und schließlich die Frau aus Kanaa, eine Frau, die wegen ihres Glaubens, ihrer Demut und jener geistigen Größe, zu der nur das Herz einer Mutter fähig ist, von Christus Worte besonderer Anerkennung verdient: »Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll geschehen« (Mt 15,28). Die kanaanäische Frau hatte um die Heilung ihrer Tochter gebeten.

Die Frauen, denen Jesus begegnete und die von ihm so große Gnaden empfingen, begleiteten ihn bisweilen, wenn er mit den Jüngern durch Stadt und Land zog und das Evangelium vom Reich Gottes verkündete; und »sie unterstützten ihn mit dem, was sie besaßen«. Das Evangelium nennt unter diesen Frauen Johanna, die Frau eines Beamten des Herodes, Susanna und »viele andere« (vgl. Lk Lc 8,1-3).

Manchmal kommen Frauen in den Gleichnissen vor, mit denen Jesus von Nazaret seinen Zuhörern die Wahrheit über das Reich Gottes erläuterte. So in den Gleichnissen von der verlorenen Drachme (vgl. Lk Lc 15,8-10), vom Sauerteig (vgl. Mt Mt 13,32), von den klugen und törichten Jungfrauen (vgl. Mt Mt 25,1-13). Besonders eindrucksvoll ist die Erzählung vom Scherflein der armen Witwe. Während »die Reichen ihre Gaben in den Opferkasten legten (...), warf eine arme Witwe zwei kleine Münzen hinein«. Da sagte Jesus: »Diese arme Witwe hat mehr hineingeworfen als alle anderen (...); denn sie, die kaum das Nötigste zum Leben hat, hat ihren ganzen Lebensunterhalt hergegeben« (Lc 21,1 Lc 21,4). Auf diese Weise stellt Jesus sie als Vorbild für alle hin und tritt zugleich für sie ein; denn im damaligen Gesellschafts- und Rechtssystem waren die Witwen völlig schutzlos (vgl. auch Lc 18,1-7).

In der gesamten Lehre Jesu wie auch in seinem Verhalten stoßen wir auf nichts, was die zu seiner Zeit übliche Diskriminierung der Frau widerspiegeln würde. Im Gegenteil, seine Worte und Taten bringen stets die der Frau gebührende Achtung und Ehrfurcht zum Ausdruck. Die verkrümmte Frau wird sogar »Tochter Abrahams« genannt (Lc 13,16), während dieser Titel (in der Form »Sohn Abrahams«) in der ganzen Bibel immer nur Männern beigelegt wird. Auf seinem Leidensweg nach Golgota wird Jesus zu den Frauen sagen: »Ihr Frauen von Jerusalem, weint nicht über mich!« (Lc 23,28). Diese Art und Weise, von den Frauen und mit den Frauen zu sprechen, sowie die Art des Umgangs mit ihnen stellt angesichts der damals herrschenden Gepflogenheiten etwas völlig »Neues« dar.

Das wird noch deutlicher gegenüber jenen Frauen, die die öffentliche Meinung mit Verachtung als Sünderinnen, Dirnen und Ehebrecherinnen bezeichnete. Da ist die Samariterin, zu der Jesus selbst sagt: »Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann«. Und als sie sieht, daß er um die Geheimnisse ihres Lebens weiß, erkennt sie in ihm den Messias und beeilt sich, es ihren Landsleuten zu verkünden. Das dieser Erkenntnis vorausgehende Gespräch gehört wohl zu den schönsten im Evangelium (vgl. Joh Jn 4,7-27).

Und dann ist da die bekannte Sünderin, die trotz der allgemeinen Verurteilung das Haus des Pharisäers betritt, um Jesus die Füße mit wohlriechendem Öl zu salben. Zu dem Gastgeber, der sich darüber entrüstete, sagte Jesus über diese Frau: "Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat" (vgl. Lk Lc 7,37-47).

Und schließlich die vielleicht deutlichste Szene all dieser Begegnungen: Eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden ist, wird zu Jesus gebracht. Auf die herausfordernde Frage: »Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?«, antwortet Jesus: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie«. Die in dieser Antwort enthaltene Wahrheit ist so mächtig, daß »einer nach dem andern fortging, zuerst die Ältesten«. Jesus und die Frau bleiben allein zurück. »Wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?« - »Keiner, Herr« -. »Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr« (vgl. Jn 8,3-11).

Diese Episoden geben ein sehr klares Gesamtbild ab. Christus ist derjenige, der »wußte, was im Menschen ist« (vgl. Joh Jn 2,25), im Mann und in der Frau. Er kennt die Würde des Menschen,seinen Wert in den Augen Gottes. Er selbst, der Erlöser, ist die endgültige Bestätigung dieses Wertes. Alles, was er sagt und tut, findet im Ostermysterium der Erlösung seine endgültige Erfüllung. Das Verhalten Jesu zu den Frauen, denen er auf den Wegen seines messianischen Dienstes begegnet, spiegelt den ewigen Plan Gottes wider, der eine jede von ihnen erschafft und sie in Christus erwählt und liebt (vgl. Eph Ep 1,1-5). Daher ist jede von ihnen jene »einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur«. Eine jede erbt auch vom »Anfang« her die Würde einer Person als Frau. Jesus von Nazaret bestätigt diese Würde, ruft sie in Erinnerung, erneuert sie und macht sie zum Inhalt des Evangeliums und der Erlösung, um deretwegen er in die Welt gesandt wurde. Man muß also jedes der von Christus im Umgang mit einer Frau gebrauchten Worte und jede solche Geste in das Licht des Ostergeheimnisses stellen. Auf diese Weise finden alle ihre vollständige Deutung.

Die beim Ehebruch ertappte Frau


14 Jesus begibt sich in die konkrete, geschichtliche Situation der Frau, eine Situation, die vom Erbe der Sünde belastet ist. Dieses Erbe kommt unter anderem in den Gewohnheiten zum Ausdruck, die die Frau zugunsten des Mannes diskriminieren, und ist auch in ihr selbst verwurzelt. Unter diesem Gesichtspunkt scheint die Episode von der Frau, »die beim Ehebruch ertappt wird« (vgl. Jn 8,3-11), besonders ergiebig zu sein. Zuletzt sagt Jesus zu ihr: »Sündige von jetzt an nicht mehr«; vorher aber weckt er das Schuldbewußtsein in den Männern, die sie anklagen, um sie zu steinigen, und offenbart so seine tiefe Fähigkeit, das Gewissen und die Werke der Menschen der Wahrheit gemäß zu sehen. Jesus scheint den Anklägern sagen zu wollen: Ist diese Frau mit ihrer ganzen Sünde nicht vielleicht auch und vor allem eine Bestätigung eurer Übertretungen, eurer »männlichen« Ungerechtigkeit, eurer Mißbräuche?

Diese Wahrheit ist für das ganze Menschengeschlecht gültig. Die im Johannesevangelium berichtete Begebenheit kann man in unzähligen ähnlichen Situationen in jeder Geschichtsepoche vorfinden. Eine Frau wird allein gelassen und mit »ihrer Sünde« der öffentlichen Meinung ausgesetzt, während sich hinter »ihrer« Sünde ein Mann als Sünder verbirgt, der »an der Sünde anderer« schuld, ja mitverantwortlich für sie ist. Seine Schuld entzieht sich jedoch der Aufmerksamkeit und wird stillschweigend übergangen: Für »fremde Schuld« erscheint er nicht verantwortlich! Manchmal macht er sich auch noch zum Ankläger, wie in dem geschilderten Fall, und vergißt dabei die eigene Schuld. Wie oft büßt in ähnlicher Weise die Frau für ihre Sünde (es kann durchaus sein, daß sie in gewissen Fällen schuld ist an der Sünde des Mannes); doch nur sie büßt und zahlt allein. Wie oft bleibt sie mit ihrer Mutterschaft verlassen zurück, wenn der Mann, der Vater des Kindes, die Verantwortung dafür nicht übernehmen will? Und neben den so zahlreichen «unverheirateten Müttern» in unserer Gesellschaft müssen wir auch an all jene Frauen denken, die sich sehr oft unter mancherlei Druck, auch von seiten des schuldigen Mannes, von ihrem Kind noch vor dessen Geburt »befreien«. Sie »befreien sich«: aber um welchen Preis? Die heutige öffentliche Meinung versucht auf verschiedene Weise das Übel dieser Sünde »wegzureden«; normalerweise jedoch vermag das Gewissen der Frau nicht zu vergessen, daß sie dem eigenen Kind das Leben genommen hat; denn sie ist nicht imstande, die ihrem Ethos am »Anfang« eingeschriebene Bereitschaft zur Annahme des Lebens auszulöschen.

Das Verhalten Jesu bei der im Johannesevangelium (Jn 8,3-11) beschriebenen Begebenheit ist bezeichnend. Wohl nur an wenigen Stellen wird seine Macht - die Macht der Wahrheit - gegenüber dem menschlichen Gewissen so wie hier offenbar. Jesus ist ruhig, gefaßt, nachdenklich. Besteht hier wie auch im Gespräch mit den Pharisäern (vgl. Mt Mt 19,3-9) nicht vielleicht eine Verbindung zwischen seinem Bewußtsein und dem Geheimnis des »Anfangs« ? Als der Mensch als Mann und Frau erschaffen wurde und die Frau mit ihrer fraulichen Eigenart, auch mit ihrer Fähigkeit zur Mutterschaft, dem Mann anvertraut wurde? Auch der Mann wurde vom Schöpfer der Frau anvertraut. Sie wurden einander als Personen anvertraut, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes selbst erschaffen waren. In diesem Anvertrauen liegt das Maß der Liebe, einer bräutlichen Liebe: Um zu einer »aufrichtigen Hingabe« füreinander zu kommen, muß sich jeder der beiden für diese Hingabe verantwortlich fühlen. Dieses Maß ist allen beiden - Mann und Frau - vom »Anfang« an bestimmt. Nach der Ursünde sind im Mann und in der Frau Gegenkräfte am Werk, auf Grund der dreifachen Begierde, dem »Sündenkeim«. Sie wirken aus der Tiefe des Menschen. Darum wird Jesus in der Bergpredigt sagen: »Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen« (Mt 5,28). Diese direkt an den Mann gerichteten Worte beweisen die grundlegende Wahrheit von seiner Verantwortung gegenüber der Frau: für ihre Würde, für ihre Mutterschaft, für ihre Berufung. Indirekt gehen diese Worte auch die Frau an. Christus hat sein Möglichstes getan, damit die Frauen - im Rahmen der Gewohnheiten und sozialen Verhältnisse jener Zeit - in seiner Lehre und seinem Handeln ihre eigene Selbständigkeit und Würde wiederfinden. Auf Grund der gottgewollten »Einheit der zwei« hängt diese Würde direkt von der Frau selbst als für sich verantwortliches Subjekt ab und wirdgleichzeitig dem Mann zur Aufgabe gestellt. Dementsprechend appelliert Christus an die Verantwortung des Mannes. In der vorliegenden Meditation über Würde und Berufung der Frau heute müssen wir uns so unbedingt auf den Ansatz beziehen, dem wir im Evangelium begegnen. Die Würde der Frau und ihre Berufung - wie auch jene des Mannes - haben ihre ewige Quelle im Herzen Gottes und hängen unter den zeitlichen Bedingungen des menschlichen Daseins eng mit der »Einheit der zwei« zusammen. Daher muß sich jeder Mann darauf besinnen, ob diejenige, die ihm als Schwester im selben Menschsein, als Braut und Ehefrau anvertraut ist, nicht in seinem Herzen Objekt eines Ehebruchs, ob diejenige, die in unterschiedlicher Weise Mitträgerin seines Daseins in der Welt ist, nicht für ihn zum »Objekt« geworden ist: Objekt des Genusses, der Ausbeutung.

Hüterinnen der evangelischen Botschaft


15 Die Handlungsweise Christi, das Evangelium seiner Taten und Worte, ist ein durchgehenderProtest gegen die Verletzung der Würde der Frau. Deshalb entdecken die Frauen der Umgebung Christi in den Wahrheiten, die er »lehrt«und »tut«, sich selbst, auch wenn es sich bei dieser Wahrheit um ihre eigene »Sündhaftigkeit« handelt. Sie fühlen sich durch diese Wahrheit »befreit«, sich selbst zurückgegeben: Sie fühlen sich geliebt mit »ewiger Liebe«, einer Liebe, die in Christus selbst ihren direkten Ausdruck findet. Im Wirkungskreis Christi verändert sich ihre soziale Stellung. Sie nehmen wahr, daß Jesus mit ihnen über Fragen spricht, die man in der damaligen Zeit nicht mit einer Frau erörterte. Das in diesem Zusammenhang bezeichnendste Beispiel ist wohl das Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen bei Sychar. Jesus - der weiß, daß sie eine Sünderin ist, und ihr gegenüber das auch erwähnt - erörtert mit ihr die tiefsten Geheimnisse Gottes. Er spricht mit ihr von dem unermeßlichen Geschenk der Liebe Gottes, das wie eine »sprudelnde Quelle ist, deren Wasser ewiges Leben schenkt« (Jn 4,14). Er spricht zu ihr von Gott, der Geist ist, und von der wahren Anbetung im Geist und in der Wahrheit, auf die Gott Vater ein Recht habe (vgl. Joh Jn 4,24). Schließlich enthüllt er ihr, daß er der an Israel verheißene Messias ist (ebd. Jn 4,26).

Das ist ein Ereignis, das ohne Beispiel dasteht: Jene Frau, und dazu noch eine »Sünderin«, wird »Jüngerin« Christi; ja, nachdem sie unterwiesen worden ist, verkündet sie den Bewohnern von Samarien Christus, so daß auch diese ihn gläubig annehmen (vgl. Joh Jn 4,39-42). Ein beispielloses Geschehen, wenn man bedenkt, wie die Frauen gerade von den Lehrern in Israel allgemein behandelt wurden, während in der Handlungsweise Jesu von Nazaret ein solches Geschehen normal ist. In diesem Zusammenhang verdienen auch die beiden Schwestern des Lazarus eine besondere Erwähnung: »Jesus liebte Marta, ihre Schwester (Maria) und Lazarus« (Jn 11,5). Maria »hörte den Worten« Jesu zu: Als er die Schwestern in ihrem Haus aufsuchte, bezeichnete er selbst das Verhalten Marias als »das bessere« im Vergleich zu Martas Sorge um die häuslichen Angelegenheiten (vgl. Lc 10,38-42). Bei einer anderen Begegnung - nach dem Tod des Lazarus - wird auch Marta zur Gesprächspartnerin Christi: In jenem Gespräch geht es um die tiefsten Wahrheiten der Offenbarung und des Glaubens. »Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben« - »Dein Bruder wird auferstehen» - «Ich weiß, daß er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag«. Jesus erwiderte ihr: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?« - »Ja, Herr, ich glaube, daß du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll« (Jn 11,21-27). Nach diesem Glaubensbekenntnis erweckt Jesus den Lazarus. Auch das Gespräch mit Marta ist eines der wichtigsten des Evangeliums.

Christus spricht mit den Frauen über Gott, und sie verstehen ihn: ein echter Widerhall des Geistes und Herzens, eine Antwort des Glaubens. Und Jesus zollt dieser unverkennbar »fraulichen« Antwort Anerkennung und Bewunderung, wie im Fall der kanaanäischen Frau (vgl. Mt Mt 15,28). Bisweilen stellt er diesen lebendigen, von Liebe durchdrungenen Glauben als Beispiel hin: Er nimmt also diese Antwort, die aus dem Geist und Herzen einer Frau stammt, zum Ausgangspunkt für seine Unterweisung. So geschieht es im Fall jener »Sünderin« im Hause des Pharisäers, deren Handeln von Jesus als Ausgangspunkt für die Erläuterung der Wahrheit über die Sündenvergebung genommen wird: »Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe» (Lc 7,47). Bei Gelegenheit einer anderen Salbung verteidigt Jesus gegenüber den Jüngern, besonders gegenüber dem Judas, die Frau und ihr Tun: »Warum laßt ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan (...) Als sie das Öl über mich goß, hat sie meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat« (Mt 26,6-13).

In der Tat beschreiben die Evangelien nicht nur, was jene Frau von Betanien im Hause Simons, des Aussätzigen, getan hat, sondern heben auch hervor, daß bei der endgültigen und für die ganze messianische Sendung Jesu von Nazaret entscheidenden Prüfung, unter dem Kreuz, sich vor allen anderen die Frauen eingefunden haben. Von den Aposteln ist nur Johannes treu geblieben. Die Frauen hingegen sind zahlreich. Da waren nicht nur die Mutter Christi und die »Schwester seiner Mutter, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala« (Jn 19,25), sondern auch »viele Frauen waren dort und sahen von weitem zu; sie waren Jesus seit der Zeit in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient » (Mt 27,55). In dieser härtesten Bewährungsprobe des Glaubens und der Treue haben sich, wie man sieht, die Frauen als stärker erwiesen als die Jünger; in diesen Augenblicken der Gefahr gelingt es denen, die »sehr lieben«, auch, die Furcht zu besiegen. Schon zuvor auf dem Kreuzweg waren es die Frauen gewesen, »die um ihn klagten und weinten« (Lc 23,27). Vorher schon hatte die Frau des Pilatus ihren Mann gewarnt: »Laß die Hände von diesem Mann, er ist unschuldig. Ich hatte seinetwegen heute Nacht einen schrecklichen Traum« (Mt 27,19).

Erste Zeugen der Auferstehung


16 Vom Beginn der Sendung Christi an zeigt die Frau ihm und seinem Geheimnis gegenüber eine besondere Empfänglichkeit, die einem Wesensmerkmal ihrer Fraulichkeit entspricht. Ferner muß gesagt werden, daß sich das besonders beim Ostergeheimnis bestätigt, nicht nur unter dem Kreuz, sondern auch am Morgen der Auferstehung. Die Frauen sind als erste am Grab. Sie sind die ersten, die es leer finden. Sie sind die ersten, die vernehmen: »Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat« (Mt 28,6). Sie sind die ersten, die »seine Füße umfassen« (vgl. Mt 28,9). Ihnen wird als ersten aufgetragen, den Jüngern diese Wahrheit zu verkünden (vgl. Mt 28,1-10 Lc 24,8-11). Das Johannes evangelium (vgl. auch Mc 16,9) hebt die besondere Rolle der Maria aus Magdala hervor. Sie ist die erste, die dem auferstandenen Christus begegnet. Zunächst hält sie ihn für den Gärtner: Sie erkennt ihn erst, als er sie bei ihrem Namen nennt. »Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie richtete aus, was er ihr gesagt hatte« (Jn 20,16-18).

Sie wurde darum auch »Apostel der Apostel« genannt.(38) Maria aus Magdala war früher als die Apostel Augenzeugin des auferstandenen Christus und hat deshalb auch als erste den Aposteln gegenüber von ihm Zeugnis gegeben. Dieses Geschehen stellt gewissermaßen die Krönung all dessen dar, was wir zuvor darüber gesagt haben, daß den Frauen - ebenso wie den Männern- die göttlichen Wahrheiten von Christus anvertraut worden sind. Man kann sagen, daß sich auf diese Weise die Worte des Propheten erfüllt haben: »Danach aber werde ich meinen Geist ausgießenüber alle Menschen. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein« (Jl 3,1). Am fünfzigsten Tag nach der Auferstehung Christi finden diese Worte im Abendmahlssaal von Jerusalem, bei der Herabkunft des Heiligen Geistes, des »Beistandes«, noch einmal ihre Bestätigung (vgl. Ac 2,17).

Alles bisher zum Verhalten Christi gegenüber den Frauen Gesagte bestätigt und klärt im Heiligen Geist die Wahrheit über die »Gleichheit« der beiden - Mann und Frau. Man muß von einer wesenhaften »Gleichberechtigung« sprechen: Da beide - die Frau wie der Mann - nach dem Abbild und Gleichnis Gottes erschaffen wurden, sind beide in gleichem Maße empfänglich für das Geschenk der göttlichen Wahrheit und der Liebe im Heiligen Geist. Beide empfangen seine heilbringenden und heiligmachenden »Heimsuchungen«.

Die Tatsache, Mann oder Frau zu sein, führt hier zu keinerlei Einschränkung, ebensowenig wie, nach den bekannten Worten des Apostels, jenes Heilswirken des Geistes im Menschen dadurch eingeschränkt wird, daß einer »Jude oder Grieche, Sklave oder Freier« ist: »Denn ihr alle seideiner in Christus Jesus« (Ga 3,28). Diese Einheit hebt die Verschiedenheit nicht auf. Der Heilige Geist, der in der übernatürlichen Ordnung der heiligmachenden Gnade eine solche Einheit bewirkt, trägt in gleichem Maße dazu bei, daß »eure Söhne Propheten werden«, wie dazu, daß auch »eure Töchter« es werden. »Prophetsein« heißt, unter Wahrung der Wahrheit und Eigenart der je eigenen Person, sei es Mann oder Frau, mit Wort und Leben »die großen Taten Gottes verkünden« (vgl. Ac 2,11). Die »Gleichheit« nach dem Evangelium, die »Gleichberechtigung« von Frau und Mann vor den »großen Taten Gottes«, wie sie im Wirken und Reden Jesu von Nazaret mit solcher Klarheit offenkundig geworden ist, bildet die deutlichste Grundlage für Würde und Berufung der Frau in Kirche und Welt. Jede Berufung hat ihren tief persönlichen und prophetischen Sinn. In der so verstandenen Berufung erreicht das Frauliche in einer Person ein neues Maß: Es ist das Maß der »großen Taten Gottes«, zu deren lebendigem Träger und unersetzlicher Zeugin die Frau wird.

(38) Cf. RABAN MAUR, De vita beatae Mariae Magdalenae, XXVII: « Salvator... ascensionis suae eam (= Mariam Magdalenam) ad apostolos instituit apostolam » (PL 112, 1474). « Facta est Apostolorum Apostola, per hoc quod ei committitur ut resurrectionem dominicam discipulis annuntiet» : S. THOMAS D’AQUIN, In Ioannem Evangelistam Expositio, c. XX, l. III, 6(Sancti Thomae Aquinatis Comment. in Matthaeum et loannem Evangelistas), Éd. Parmens. X, 629.

VI.


MUTTERSCHAFT - JUNGFRÄULICHKEIT


Zwei Dimensionen der Berufung der Frau


17 Wir müssen unsere Meditation jetzt der Jungfräulichkeit und der Mutterschaft zuwenden als zwei besonderen Dimensionen bei der Verwirklichung der Persönlichkeit einer Frau. Im Licht des Evangeliums erlangen sie in Maria, die als Jungfrau Mutter des Gottessohnes geworden ist, die Fülle ihrer Bedeutung und ihres Wertes. Diese zwei Dimensionen der Berufung der Frau sind sich in ihr begegnet und haben sich einzigartig verbunden, so daß die eine die andere nicht ausschloß, sondern sie auf wunderbare Weise vervollständigte. Die Darstellung der Verkündigung im Lukasevangelium zeigt deutlich, daß dies der Jungfrau aus Nazaret unmöglich erschien. Als sie die Worte vernimmt: »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben«, fragt sie sogleich: »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?« (Lc 1,31 Lc 1,34). In der allgemeinen Ordnung der Dinge ist die Mutterschaft Ergebnis des gegenseitigen »Erkennens« von Mann und Frau in der ehelichen Vereinigung. Unter entschiedener Betonung ihrer Jungfräulichkeit stellt Maria dem göttlichen Boten die Frage und erhält die Erklärung:»Der Heilige Geist wird über dich kommen«; deine Mutterschaft wird nicht Folge eines ehelichen »Erkennens«, sondern Werk des Heiligen Geistes sein, und die »Kraft des Höchsten« wird ihren »Schatten« über das Geheimnis der Empfängnis und der Geburt des Sohnes breiten. Als Sohn des Höchsten wird er dir in der von Ihm gewußten Weise ausschließlich von Gott geschenkt. Maria hat also an ihrem jungfräulichen »Ich erkenne keinen Mann« (vgl. Lk Lc 1,34) festgehalten und ist zugleich Mutter geworden. Jungfräulichkeit und Mutterschaft bestehen in ihr zugleich: Sie schließen sich nicht gegenseitig aus und behindern sich nicht. Ja, die Person der Gottesmutter hilft allen - besonders allen Frauen - wahrzunehmen, wie diese beiden Dimensionen und diese beiden Wege der Berufung der Frau als Person sich gegenseitig erklären und ergänzen.

Mutterschaft


18 Um an diesem »Wahrnehmen« teilzuhaben, müssen wir noch einmal die Wahrheit über die menschliche Person vertiefen, die uns das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung gerufen hat. Der Mensch - sowohl der Mann wie die Frau - ist auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur: Er ist eine Person, ein Subjekt, das über sich entscheidet. Zugleich kann der Mensch »sich selbst nur durch die aufrichtige Selbsthingabe vollkommen finden«.(39) Es wurde schon gesagt, daß diese Beschreibung, in gewissem Sinne eine Definition der Person, der biblischen Grundwahrheit über die Erschaffung des Menschen - als Mann und Frau - nach dem Bild und Gleichnis Gottes entspricht. Das ist keine rein theoretische Deutung oder abstrakte Definition; denn sie gibt im wesentlichen den Sinn des menschlichen Daseins an, indem sie den Wert der Selbsthingabe der Person betont. In dieser Sicht der Person ist auch das Wesen jenes »Ethos« enthalten, das in Verbindung mit der Wahrheit der Schöpfung von den Büchern der Offenbarung und besonders von den Evangelien voll entfaltet werden wird.

Diese Wahrheit über die Person eröffnet darüber hinaus den Weg zu einem vollen Verständnis der Mutterschaft der Frau. Die Mutterschaft ist das Ergebnis der ehelichen Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, jenes biblischen »Erkennens«, von dem es in der Genesis heißt: »Die zwei werden ein Fleisch« (vgl.
Gn 2,24); sie verwirklicht auf diese Weise - von seiten der Frau - eine besondere »Selbsthingabe« als Ausdruck jener bräutlichen Liebe, in der sich die Eheleute so eng miteinander vereinigen, daß sie »ein Fleisch« werden. Das biblische »Erkennen« wird nur dann gemäß der Wahrheit der Person Wirklichkeit, wenn die gegenseitige Selbsthingabe weder dadurch entstellt wird, daß sich der Mann zum »Beherrscher« seiner Frau machen will (»Er wird über dich herrschen«), noch dadurch, daß sich die Frau auf ihre triebhafte Veranlagung zurückzieht (»Nach dem Mann wird dich verlangen«: Gn 3,16).

Die gegenseitige Hingabe der Personen in der Ehe öffnet sich bereits für das Geschenk eines neuen Lebens, eines neuen Menschen, der auch eine Person nach dem Abbild seiner Eltern ist. Die Mutterschaft aber schließt von Anfang an eine besondere Aufnahmebereitschaft für diese neue Person ein: und eben das ist der Anteil der Frau. In dieser Bereitschaft, im Empfangen und Gebären eines Kindes, »findet die Frau durch ihre aufrichtige Selbsthingabe sich selbst«. Die Gabe der inneren Bereitschaft zum Empfangen und Gebären eines Kindes ist mit der ehelichen Vereinigung verbunden, die - wie schon gesagt - einen besonderen Augenblick der gegenseitigen Hingabe von seiten der Frau und des Mannes darstellen sollte. Empfängnis und Geburt des neuen Menschen werden nach der Bibel von den folgenden Worten der »Frau« und Mutter begleitet:»Ich habe einen Mann vom Herrn erworben« (Gn 4,1). Dieser Ausruf Evas, der »Mutter aller Lebendigen«, wiederholt sich jedesmal, wenn ein neuer Mensch zur Welt kommt; er ist Ausdruck der Freude und des Bewußtseins der Frau, teilzuhaben an dem tiefen Geheimnis des ewigen Zeugens. Die Ehegatten haben teil an Gottes Schöpferkraft!

Die Mutterschaft der Frau im Zeitraum zwischen der Empfängnis und der Geburt des Kindes ist ein biophysiologischer und psychischer Prozeß, über den wir heutzutage besser Bescheid wissen als in der Vergangenheit und der Gegenstand zahlreicher tiefreichender Untersuchungen ist. Die wissenschaftliche Analyse bestätigt voll und ganz, daß bereits die physische Konstitution und der Organismus der Frau die natürliche Veranlagung zur Mutterschaft, zur Empfängnis, zur Schwangerschaft und zur Geburt des Kindes, als Folge der ehelichen Vereinigung mit dem Mann enthalten. Gleichzeitig entspricht das alles auch der psycho-physischen Struktur der Frau. Alles, was die verschiedenen Wissenschaftszweige zu diesem Thema sagen, ist wichtig und nützlich, insofern sie sich nicht auf eine rein biophysiologische Interpretation der Frau und ihrer Mutterschaft beschränken. Ein solches »verkürztes« Bild entspräche nämlich völlig der materialistischen Menschen- und Weltsicht. In diesem Falle ginge bedauerlicherweise das wirklich Wesentliche verloren: Die Mutterschaft als menschliches Faktum und Phänomen läßt sich nur auf der Grundlage der Wahrheit über die Person voll erklären. Die Mutterschaft steht im Zusammenhang mit der personalen Struktur des Frauseins und mit der personalen Dimension der Hingabe: »Ich habe einen Mann vom Herrn erworben« (Gn 4,1). Der Schöpfer schenkt den Eltern ein Kind. Von seiten der Frau ist dies in besonderer Weise mit »einer aufrichtigen Hingabe ihrer selbst« verbunden. Die Worte Marias auf die Verkündigung hin: »Mir geschehe, wie du es gesagt hast«, bedeuten die Bereitschaft der Frau zur Hingabe und zur Annahme des neuen Lebens.

In der Mutterschaft der Frau, die an die Vaterschaft des Mannes gebunden ist, spiegelt sich das in Gott selber, dem dreieinigen Gott, gelegene ewige Geheimnis der Zeugung wider (vgl. Ep 3,14-15). Das menschliche Zeugen ist Mann und Frau gemeinsam. Und wenn die Frau in Liebe zu ihrem Mann spricht: »Ich habe dir ein Kind geschenkt«, so bedeuten ihre Worte zugleich: »Das ist unserKind«. Doch obwohl beide gemeinsam Eltern ihres Kindes sind, stellt die Mutterschaft der Frau einen besonderen Anteil dieser gemeinsamen Elternschaft, ja deren anspruchsvolleren Teil dar. Die Elternschaft gehört zwar zu beiden; sie verwirklicht sich jedoch viel mehr in der Frau, besonders in der vorgeburtlichen Phase. Die Frau muß unmittelbar für dieses gemeinsame Hervorbringen neuen Lebens »bezahlen«, das buchstäblich ihre leiblichen und seelischen Kräfte aufzehrt. Der Mann muß sich daher voll bewußt sein, daß ihm aus dieser gemeinsamen Elternschaft eine besondere Schuldverpflichtung gegenüber der Frau erwächst. Kein Programm für die »Gleichberechtigung« von Frauen und Männern ist gültig, wenn man diesem Umstand nicht ganz entscheidend Rechnung trägt.

Die Mutterschaft enthält eine besondere Gemeinschaft mit dem Geheimnis des Lebens, das im Schoß der Frau heranreift: Die Mutter steht staunend vor diesem Geheimnis, und mit einzigartiger Intuition »erfaßt« sie, was in ihr vor sich geht. Im Licht des »Anfangs« nimmt die Mutter das Kind, das sie im Schoß trägt, als Person an und liebt es. Diese einmalige Weise des Kontaktes mit dem neuen Menschen, der sich formt, schafft seinerseits eine derartige Einstellung zum Menschen - nicht nur zum eigenen Kind, sondern zum Menschen als solchem -, daß dadurch die ganze Persönlichkeit der Frau tief geprägt wird. Man ist allgemein überzeugt, daß die Frau mehr als der Mann fähig ist, auf die konkrete Person zu achten und daß die Mutterschaft diese Veranlagung noch stärker zur Entfaltung bringt. Der Mann befindet sich - trotz all seiner Teilhabe an der Elternschaft - immer »außerhalb« des Prozesses der Schwangerschaft und der Geburt des Kindes und muß in vielem von der Mutter seine eigene »Vaterschaft« lernen. Das gehört, so kann man sagen, zum normalen menschlichen Ablauf der Elternschaft, auch in ihrer weiteren Entwicklung nach der Geburt des Kindes, vor allem in der ersten Zeit. Die Erziehung des Kindes sollte, umfassend verstanden, den doppelten Beitrag der Eltern enthalten: den mütterlichen und den väterlichen Beitrag. Doch jener der Mutter ist entscheidend für die Grundlagen einer neuen menschlichen Persönlichkeit.

(39) CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, GS 24.

Die Mutterschaft in Beziehung zum Bund


19 Das vom Protoevangelium übernommene biblische Urbild der »Frau« kehrt nun in unsere Überlegungen zurück. Die »Frau« besitzt als Mutter, als erste Erzieherin des Menschen (die Erziehung ist die geistige Dimension der Elternschaft) einen besonderen Vorrang vor dem Mann. Wenn auch ihre Mutterschaft, vor allem im biophysischen Sinn, vom Mann abhängt, drückt sie doch dem ganzen Prozeß der Personwerdung der neuen Söhne und Töchter des Menschengeschlechts ein entscheidendes »Zeichen« auf. Die Mutterschaft der Frau im biophysischen Sinn zeigt eine scheinbare Passivität: der Prozeß der Ausformung eines neuen Lebens »geschieht« in ihrem Organismus, wobei er diesen allerdings tief einbezieht. Gleichzeitig drückt die Mutterschaft im personalen und ethischen Sinn eine sehr bedeutende Kreativität der Frau aus, von der das Menschsein des neuen Menschen hauptsächlich abhängt. Auch in diesem Sinne wird die Mutterschaft der Frau als ein besonderer Ruf und eine besondere Herausforderung für den Mann und seine Vaterschaft offenbar.

Seinen Höhepunkt findet das biblische Urbild der »Frau« in der Mutterschaft der Gottesmutter.Die Worte des Protoevangeliums: »Feindschaft stifte ich zwischen dir und der Frau«, finden hier eine neue Bestätigung. Ja, in ihr, in ihrem mütterlichen »Fiat« (»Mir geschehe, wie du gesagt hast«), stiftet Gott einen Neuen Bund mit der Menschheit. Es ist der ewige und endgültige Bund in Christus, in seinem Leib und Blut, in seinem Kreuz und seiner Auferstehung. Eben weil dieser Bund »in Fleisch und Blut« vollzogen werden soll, hat er seinen Anfang in der Mutter. Der »Sohn des Höchsten« kann allein durch sie, durch ihr jungfräuliches und mütterliches »Fiat«, zum Vater sagen: »Einen Leib hast du mir geschaffen. Ja, ich komme, um deinen Willen, Gott, zu tun« (vgl.
He 10,5 He 10,7).

In die Ordnung des Bundes, den Gott mit dem Menschen in Jesus Christus geschlossen hat, ist die Mutterschaft der Frau eingefügt. Und jedesmal, wenn sich in der Geschichte des Menschen auf Erden die Mutterschaft der Frau wiederholt, steht sie nun immer in Beziehung zu dem Bund,den Gott durch die Mutterschaft der Gottesmutter mit dem Menschengeschlecht geschlossen hat.

Wird diese Wirklichkeit nicht vielleicht von der Antwort Jesu an jene Frau bewiesen, die ihm aus der Menge zurief und ihn für die Mutterschaft seiner Mutter seligpries: »Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat!«? Jesus erwidert: »Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen« (Lc 11,27-28). Jesus bestätigt die Bedeutung von Mutterschaft im leiblichen Sinn; zugleich verweist er jedoch auf ihre noch tiefere Bedeutung, die mit der Ordnung des Geistes in Zusammenhang steht: Sie ist Zeichen des Bundes mit Gott, der »Geist« ist (vgl. Joh Jn 4,24). Das gilt vor allem für die Mutterschaft der Gottesmutter. Aber auchdie Mutterschaft jeder anderen Frau ist, im Licht des Evangeliums verstanden, nicht nur »aus Fleisch und Blut«: In ihr kommt das innere »Hören des Wortes des lebendigen Gottes« und die Bereitschaft zur »Bewahrung« dieses Wortes, das »Wort des ewigen Lebens« ist (vgl. Joh Jn 6,68), zum Ausdruck. Es sind ja in der Tat die von den irdischen Müttern geborenen Kinder, die Söhne und Töchter des Menschengeschlechts, die vom Sohn Gottes die Macht erhalten, »Kinder Gottes zu werden« (Jn 1,12). Die Dimension des Neuen Bundes im Blute Christi durchdringt das menschliche Zeugen und macht es zur Wirklichkeit und zum Auftrag »einer neuen Schöpfung« (vgl. 2Co 5,17). Die Mutterschaft der Frau ist aus der Sicht der Geschichte jedes Menschen gleichsam die erste Schwelle, deren Überwindung auch Vorbedingung für »das Offenbarwerden der Söhne Gottes« ist (vgl. Röm Rm 8,19).

»Wenn die Frau gebären soll, ist sie bekümmert, weil ihre Stunde da ist; aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not über der Freude, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist« (Jn 16,21). Die Worte Christi nehmen in ihrem ersten Teil Bezug auf jene »Geburtswehen«, die zum Vermächtnis der Erbsünde gehören; gleichzeitig weisen sie jedoch aufden Zusammenhang hin, der zwischen der Mutterschaft der Frau und dem Ostergeheimnisbesteht. Denn in diesem Geheimnis ist auch der Schmerz der Mutter unter dem Kreuz enthalten - der Mutter, die im Glauben am erschütternden Geheimnis der »Entäußerung« ihres Sohnes teilnimmt. »Dies ist vielleicht die tiefste "kenosis" (Entäußerung) des Glaubens in der Geschichte des Menschen«.(40)

Beim Anblick dieser Mutter, der »ein Schwert durch die Seele drang« (vgl. Lk Lc 2,35), gehen die Gedanken zu allen Frauen in der Welt, die leiden, leiden im physischen wie im moralischen Sinn. Bei diesem Leiden spielt auch die der Frau eigene Sensibilität eine Rolle, auch wenn sie dem Leiden oft besser zu widerstehen vermag als der Mann. Es ist kaum möglich, alle diese Leiden aufzuzählen, sie alle beim Namen zu nennen: Man kann an die mütterlichen Sorgen um die Kinder denken, besonders wenn sie krank sind oder auf Abwege geraten; an den Tod geliebter Menschen; an die Einsamkeit der von ihren erwachsenen Kindern vergessenen Mütter oder an die Einsamkeit der Witwen; an die Leiden der Frauen, die im Lebenskampf alleinstehen, und der Frauen, die Unrecht und Kränkung erlitten haben oder ausgebeutet werden. Schließlich gibt es die Leiden des Gewissens wegen der Sünde, die die menschliche oder mütterliche Würde der Frau verletzt hat, Wunden des Gewissens, die nur schwer verheilen. Auch mit diesen Leiden muß man sich unter das Kreuz Christi stellen.

Aber die Worte des Evangeliums über die Frau, die bekümmert ist, wenn ihre Stunde da ist, daß sie gebären soll, drücken gleich darauf Freude aus. Es ist »die Freude, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist«. Und auch diese Freude steht in Beziehung zum Ostergeheimnis, das heißt zu jener Freude, die den Aposteln am Tag der Auferstehung Christi zuteil wird: »So seid auch ihr jetzt bekümmert« (diese Worte hatte Jesus am Tag vor seinem Leiden und Sterben gesprochen); »aber ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen, und niemand nimmt euch eure Freude« (Jn 16,22).

(40) Encycl. Redemptoris Mater, RMA 18: l. c., p. 383.


Mulieris dignitatem DE 13