Novo miilennio ineunte DE 49

Auf die Liebe setzen


49 Aus der innerkirchlichen Gemeinschaft öffnet sich die Liebe, wie es ihrer Natur entspricht, auf den universalen Dienst hin und stellt uns in den Einsatz einer tätigen, konkreten Liebe zu jedem Menschen. Das ist ein Bereich, der das christliche Leben, den kirchlichen Stil und die pastorale Planung gleichermaßen bestimmt und kennzeichnet. Das Jahrhundert und das Jahrtausend, die im Anbruch begriffen sind, werden noch sehen müssen — und es ist wünschenswert, daß sie das mit größerem Nachdruck tun —, zu welcher Hingabe die Liebe zu den Ärmsten fähig ist. Wenn wir wirklich von der Betrachtung Christi ausgegangen sind, werden wir in der Lage sein, ihn vor allem im Antlitz derer zu erkennen, mit denen er sich selbst gern identifiziert hat: »Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen« (Mt 25,35-36). Diese Aussage ist nicht nur eine Aufforderung zur Nächstenliebe; sie ist ein Stück Christologie, das einen Lichtstrahl auf das Geheimnis Christi wirft. Daran mißt die Kirche ihre Treue als Braut Christi nicht weniger, als wenn es um die Rechtgläubigkeit geht.

Es ist sicher nicht zu vergessen, daß niemand von unserer Liebe ausgeschlossen werden darf. Denn »der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt«.35 Wenn wir uns aber an die unmißverständlichen Worte des Evangeliums halten, dann ist in den Armen Christus in besonderer Weise gegenwärtig, was der Kirche eine vorrangige Option für sie auferlegt. Durch diese Option wird die Art der Liebe Gottes, seine Fürsorge und sein Erbarmen, bezeugt. Außerdem werden in die Geschichte gewissermaßen jene Samenkörner des Gottesreiches ausgesät, die Jesus selbst in das Erdreich seines Lebens gelegt hat, indem er denen entgegenkam, die sich wegen aller möglichen geistigen und materiellen Nöte an ihn wandten.

(35) II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, GS 22.
50 In unserer Zeit gibt es in der Tat so viel Not und Elend, das sich fragend und mahnend an die christliche Einfühlungskraft wendet. Unsere Welt beginnt das neue Jahrtausend mit einer Last. Sie ist beladen mit den Widersprüchen eines wirtschaftlichen, kulturellen und technologischen Wachstums, das einigen wenigen Begünstigten große Möglichkeiten bietet, während es Millionen und Abermillionen Menschen vom Fortschritt ausgrenzt, die sich statt dessen mit Lebensbedingungen herumschlagen müssen, die weit unter dem liegen, was man der Menschenwürde schuldig ist. Kann es tatsächlich möglich sein, daß es in unserer Zeit noch Menschen gibt, die an Hunger sterben? Die dazu verurteilt sind, Analphabeten zu bleiben? Denen es an der medizinischen Grundversorgung fehlt? Die kein Haus, keine schützende Bleibe haben?

Der Schauplatz der Armut läßt sich unbegrenzt ausweiten, wenn wir zu den alten die neuen Formen der Armut hinzufügen, die häufig auch die Milieus und gesellschaftlichen Gruppen betreffen, die zwar in wirtschaftlicher Hinsicht nicht mittellos sind, sich aber der sinnlosen Verzweiflung, der Drogensucht, der Verlassenheit im Alter oder bei Krankheit, der Ausgrenzung oder sozialen Diskriminierung ausgesetzt sehen. Der Christ, der auf dieses Szenarium blickt, muß lernen, seinen Glauben an Christus in der Weise zu bekennen, daß er den Appell, den Christus von dieser Welt der Armut aussendet, entschlüsselt. Es geht um die Weiterführung einer Tradition der Nächstenliebe, die schon in den zwei vergangenen Jahrtausenden unzählige Ausdrucksformen gefunden hat, die aber in unseren Tagen vielleicht noch größeren Einfallsreichtum verlangt. Es ist Zeit für eine neue »Phantasie der Liebe«, die sich nicht so sehr und nicht nur in der Wirksamkeit der geleisteten Hilfsmaßnahmen entfaltet, sondern in der Fähigkeit, sich zum Nächsten des Leidenden zu machen und mit ihm solidarisch zu werden, so daß die Geste der Hilfeleistung nicht als demütigender Gnadenakt, sondern als brüderliches Teilen empfunden wird.

Daher muß es uns gelingen, daß sich die Armen in jeder christlichen Gemeinde wie »zu Hause« fühlen. Wäre dieser Stil nicht die großartigste und wirkungsvollste Vorstellung der Frohen Botschaft vom Reich Gottes? Ohne diese durch die Liebe und das Zeugnis der christlichen Armut vollzogene Weise der Evangelisierung läuft die Verkündigung, die auch die erste Liebestat ist, Gefahr, nicht verstanden zu werden oder in jenem Meer von Worten zu ertrinken, dem die heutige Kommunikationsgesellschaft uns täglich aussetzt. Die Liebe der Werke verleiht der Liebe der Worte eine unmißverständliche Kraft.

Die heutigen Herausforderungen


51 Wie könnten wir uns abseits halten angesichts eines voraussichtlichen ökologischen Zusammenbruchs, der weite Gebiete des Planeten unwirtlich und menschenfeindlich macht? Oder im Hinblick auf die Probleme des Friedens, der immer wieder durch den Alptraum katastrophaler Kriege bedroht ist? Oder angesichts der Verachtung der menschlichen Grundrechte gegenüber so vielen Personen, besonders den Kindern? Es gibt so viele Dringlichkeiten, die den Christen nicht kalt lassen dürfen.

Ein besonderes Engagement muß einigen Aspekten der Radikalität des Evangeliums gelten, die oft so wenig verstanden werden, daß sie die Intervention der Kirche unpopulär machen, die aber deshalb in der kirchlichen Agenda der Liebe nicht weniger präsent sein dürfen. Ich beziehe mich auf die Verpflichtung, sich für die Achtung des Lebens eines jeden Menschen von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Hinscheiden einzusetzen. In gleicher Weise erlegt uns der Dienst am Menschen auf, ob gelegen oder ungelegen auszurufen, daß alle, die von den neuen Möglichkeiten der Wissenschaft, besonders auf dem Gebiet der Biotechnologien, Gebrauch machen, niemals die grundlegenden Forderungen der Ethik mißachten dürfen, selbst wenn dies unter Berufung auf eine fragliche Solidarität geschehen sollte, die in Geringschätzung der jedem Menschen eigenen Würde letztlich zwischen Leben und Leben unterscheidet.

Um dem christlichen Zeugnis besonders auf jenen heiklen und umstrittenen Gebieten Wirkkraft zu verleihen, ist es wichtig, sich mit Kraft dafür einzusetzen, die Beweggründe des kirchlichen Standpunktes in angemessener Weise zu erklären. Dabei muß man vor allem herausheben, daß es nicht darum geht, den Nichtglaubenden eine Perspektive des Glaubens aufzudrücken, sondern die Werte zu deuten und zu schützen, die in der Natur des Menschen selbst verwurzelt sind. Die Liebe wird also notwendigerweise zum Dienst an der Kultur, der Politik, der Wirtschaft und der Familie, damit überall die Grundprinzipien geachtet werden, von denen das Schicksal des Menschen und die Zukunft der Kultur abhängt.


52 Das alles wird man natürlich in einem spezifisch christlichen Stil realisieren müssen: Bei diesen Aufgaben sollen vor allem die Laien in Erfüllung ihrer eigenen Berufung auf den Plan treten, ohne aber jemals der Versuchung nachzugeben, aus den christlichen Gemeinden Sozialagenturen zu machen. Besonders das Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft wird so gestaltet werden müssen, daß man deren Autonomie und Kompetenzen entsprechend den von der Soziallehre der Kirche aufgestellten Richtlinien Rechnung trägt.

Die Anstrengung ist bekannt, die das kirchliche Lehramt vor allem im zwanzigsten Jahrhundert unternommen hat, um die soziale Wirklichkeit im Licht des Evangeliums zu deuten und auf immer treffendere und eingehendere Weise ihren Beitrag zur Lösung der sozialen Frage, die inzwischen zu einem weltweiten Problem geworden ist, anzubieten.

Diese ethisch-soziale Seite stellt sich als unabdingbare Dimension des christlichen Zeugnisses dar. Es gilt, die Versuchung einer intimistischen und individualistischen Spiritualität zurückzuweisen, die sich nicht nur mit den Forderungen der Liebe, sondern auch mit der Logik der Inkarnation und schließlich mit der eschatologischen Spannung des Christentums schlecht in Einklang bringen ließe. Wenn uns diese letztere den relativen Charakter der Geschichte bewußt macht, bedeutet das für uns keineswegs die Entpflichtung von der Aufgabe, Geschichte aufzubauen. Hier bleibt die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils aktueller denn je: »Es ist klar, daß die christliche Botschaft die Menschen nicht vom Aufbau der Welt ablenkt noch zur Vernachlässigung des Wohls ihrer Mitmenschen hintreibt, sondern sie vielmehr strenger zur Bewältigung dieser Aufgaben verpflichtet«.36

(36) Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes,
GS 34.

Ein konkretes Zeichen

53 Um ein Zeichen für diese in den tiefsten Ansprüchen des Evangeliums verwurzelte Orientierung der Liebe und Förderung des Menschen zu setzen, wollte ich, daß das Jubiläumsjahr selbst unter den zahlreichen Früchten der Liebe, die es während seines Verlaufes bereits hervorgebracht hat — ich denke besonders an die so vielen ärmeren Brüdern und Schwestern angebotene Hilfe, um ihnen die Teilnahme am Jubiläum zu ermöglichen —, auch ein Werkhinterließe, das gewissermaßen die Frucht und das Siegel der vom Großen Jubiläum verkündeten Liebe darstellen sollte. In der Tat haben viele Pilger auf verschiedenste Weise ihr Scherflein beigetragen, und zusammen mit ihnen haben auch zahlreiche Vertreter aus der Welt der Wirtschaft großzügige Unterstützung geleistet, die dazu diente, eine angemessene Durchführung des Jubiläumsjahres zu gewährleisten. Nach Begleichung der Ausgaben, die im Laufe des Jahres notwendigerweise angefallen sind, soll das Geld, das man dabei sparen konnte, für karitative Zwecke bestimmt werden. Denn es ist wichtig, daß von einem so bedeutsamen religiösen Ereignis jeder Schein von wirtschaftlicher Spekulation ferngehalten werde. Was an Überschuß bleibt, soll dazu dienen, auch bei dieser Gelegenheit die im Laufe der Geschichte so oft gelebte Erfahrung zu wiederholen. Diese Erfahrung begann damit, daß in der Anfangszeit der Kirche die Gemeinde von Jerusalem den Nichtchristen den ergreifenden Anblick eines spontanen Gabentausches bis hin zur Gütergemeinschaft zum Wohl der Ärmsten bot (vgl. Apg Ac 2,44-45).

Das Werk, das verwirklicht werden soll, wird nur ein kleiner Bach sein, der in den großen Strom der christlichen Nächstenliebe einfließt, der die Geschichte durchzieht. Ein kleiner, aber bedeutsamer Bach: Das Jubiläum hat die Welt dazu gebracht, nach Rom zu blicken, auf die Kirche, »die den Vorsitz in der Liebe hat«,37 und dem Petrus ihre Spende zu leisten. Nun wendet sich die im Zentrum der Katholizität bekundete Nächstenliebe gewissermaßen wieder der Welt zu durch dieses Zeichen, das gleichsam Frucht und lebendiges Andenken an die anläßlich des Jubiläums erfahrene Gemeinschaft sein soll.

(37) Vgl. Hl. Ignatius von Antiochien, Brief an die Römer, Vorw. Funk I, 252.

Dialog und Mission


54 Ein neues Jahrhundert, ein neues Jahrtausend öffnen sich im Lichte Christi. Doch nicht alle sehen dieses Licht. Wir haben die wunderbare und anspruchsvolle Aufgabe, sein Widerschein zu sein. Es ist das den Kirchenvätern in ihrer kontemplativen Betrachtung so teure mysterium lunae; sie verwiesen mit diesem Bild auf die Abhängigkeit der Kirche von Christus, der Sonne, dessen Licht sie widerspiegelt.38 Das war eine Form, um auszudrücken, was Christus selbst sagt, wenn er sich als »Licht der Welt« vorstellt (Jn 8,12) und zugleich seine Jünger auffordert, »das Licht der Welt« zu sein (vgl. Mt 5,14).

Das ist eine Aufgabe, die uns bangen läßt, wenn wir auf die Schwachheit blicken, die uns so oft glanzlos macht und Schatten auf uns wirft. Doch die Aufgabe ist lösbar, wenn wir uns dem Licht Christi aussetzen und es fertigbringen, uns der Gnade zu öffnen, die uns zu neuen Menschen macht.

(38) So z.B. Hl. Augustinus: »Luna intelligitur Ecclesia, quod suum lumen non habeat, sed ab Unigenito Filio Dei, qui multis locis in Sanctis Scripturis allegorice sol est appellatus«: Enarr. in Ps., 10,3: CCL 38,42.


55 In dieser Sichtweise steht auch die große Herausforderung des interreligiösen Dialogs, für den wir uns auch noch im neuen Jahrhundert auf der vom Zweiten Vatikanischen Konzil angegebenen Linie einsetzen werden.39 In den Jahren der Vorbereitung auf das Große Jubiläum hat die Kirche auch durch Begegnungen von bemerkenswerter symbolischer Bedeutung versucht,ein Verhältnis der Öffnung und des Dialogs zu Vertretern anderer Religionen aufzubauen. Der Dialog muß weitergehen. In der Situation eines immer ausgeprägteren kulturellen und religiösen Pluralismus, wie man in der Gesellschaft des neuen Jahrtausends voraussehen kann, ist dieser Dialog auch wichtig, um eine sichere Voraussetzung für den Frieden zu schaffen und das düstere Gespenst der Religionskriege zu vertreiben, die viele Epochen der Menschheitsgeschichte mit Blut überzogen haben. Der Name des einzigen Gottes muß immer mehr zu dem werden, was er ist, ein Name des Friedens und ein Gebot des Friedens.

(39) Vgl. Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate.

56 Der Dialog kann jedoch nicht auf den religiösen Indifferentismus gegründet sein. So haben wir Christen die Pflicht, ihn so zu entwickeln, daß wir das volle Zeugnis der Hoffnung, die uns erfüllt (vgl. 1P 3,15), vortragen. Wir brauchen uns nicht zu fürchten, daß das eine Beleidigung für die Identität des anderen sein könnte, was frohe Verkündigung eines Geschenkes ist: eines Geschenkes, das für alle bestimmt ist und das allen mit größter Achtung der Freiheit eines jeden angeboten werden soll. Es ist das Geschenk der Verkündigung des Gottes, der Liebe ist und »die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn hingab« (Jn 3,16). Das alles kann, wie es auch kürzlich von der Erklärung Dominus Iesus hervorgehoben wurde, nicht Gegenstand einer Art von dialogischer Verhandlung sein, so als ginge es für uns um eine bloße Meinung: Die Verkündigung dieses Geschenkes ist jedoch für uns eine Gnade, die uns mit Freude erfüllt, und eine Nachricht, die wir zu verkünden verpflichtet sind.

Deshalb kann sich die Kirche der missionarischen Tätigkeit gegenüber den Völkern nicht entziehen. So gehört zu den vordringlichsten Aufgaben der missio ad gentes die Verkündigung, daß die Menschen die Fülle des religiösen Lebens in Christus finden, der »Weg, Wahrheit und Leben« ist (Jn 14,6). Der interreligiöse Dialog »kann nicht einfach die Verkündigung ersetzen, sondern bleibt stets auf die Verkündigung hin ausgerichtet«.40 Die missionarische Pflicht hindert uns jedoch nicht daran, zum Dialog überzugehen und mit innerer Bereitschaft zuzuhören. Denn wir wissen, daß angesichts des an Dimensionen und möglichen Folgen für das Leben und die Geschichte des Menschen unendlich reichen Gnadengeheimnisses die Kirche selbst bei dessen Ergründung niemals an ein Ende kommen wird, obwohl sie auf die Hilfe des Beistandes, des Geistes der Wahrheit (vgl. Joh Jn 14,17) zählen kann, dem es ja zukommt, sie »in die ganze Wahrheit« (Jn 16,13) einzuführen.

Dieses Prinzip liegt nicht nur der unerschöpflichen theologischen Vertiefung der christlichen Wahrheit zugrunde, sondern auch des christlichen Dialogs mit den Philosophien, den Kulturen und Religionen. Denn nicht selten erweckt der Geist Gottes, der »weht, wo er will« (Jn 3,8), in der allgemeinen menschlichen Erfahrung trotz ihrer vielen Widersprüchlichkeiten Zeichen seiner Gegenwart, die selbst den Jüngern Christi helfen, die Botschaft, deren Überbringer sie sind, vollkommener zu verstehen. War das Zweite Vatikanische Konzil nicht vielleicht mit dieser demütigen und vertrauensvollen Öffnung darum bemüht, die »Zeichen der Zeit« zu deuten? 41Auch wenn sie eine sorgfältige und wachsame Unterscheidung vornimmt, um die »wahren Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes« 42 zu erfassen, erkennt die Kirche nicht nur, daß sie etwas gegeben hat, sondern wieviel sie auch »der Geschichte und Entwicklung der Menschheit verdankt«.43 Diese Haltung der Öffnung und zugleich sorgfältiger Unterscheidung hat das Konzil auch gegenüber den anderen Religionen eingeführt. Wir müssen seiner Lehre und Spur mit großer Treue folgen.

(40) Instruktion der Kongregation für die Evangelisierung der Völker und des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, Dialog und Verkündigung: Überlegungen und Weisungen (19. Mai 1991), 82: AAS 84 (1992), 444.
(41) Vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, GS 4.
(42) Ebd., GS 11.
(43) Ebd., GS 44.

Im Licht des Konzils


57 Welchen Reichtum, liebe Brüder und Schwestern, bergen die Weisungen, die uns das Zweite Vatikanische Konzil gegeben hat! Deshalb habe ich bei der Vorbereitung auf das Große Jubiläum die Kirche um eine Prüfung bezüglich der Annahme des Konzils ersucht.44 Was ist daraus geworden? Die hier im Vatikan abgehaltene Tagung war ein Augenblick dieses Nachdenkens, und ich wünsche mir, daß das auf verschiedene Weise ebenso in allen Teilkirchen geschieht. Während die Jahre vergehen, verlieren jene Texte weder ihren Wert noch ihren Glanz. Sie müssen auf sachgemäße Weise gelesen werden, damit sie aufgenommen und verarbeitet werden können als qualifizierte und normgebende Texte des Lehramtes innerhalb der Tradition der Kirche. Zum Abschluß des Jubiläums fühle ich mich mehr denn je dazu verpflichtet, auf das Konzil als die große Gnade hinzuweisen, in deren Genuß die Kirche im 20. Jahrhundert gekommen ist. In ihm ist uns ein sicherer Kompaß geboten worden, um uns auf dem Weg des jetzt beginnenden Jahrhunderts zu orientieren.

(44) Vgl. Apostol. Schreiben Tertio millennio adveniente, (10. November 1934),
TMA 36: AAS 87 (1995), 28.


SCHLUSS


DUC IN ALTUM!



58 Gehen wir voll Hoffnung voran! Ein neues Jahrtausend liegt vor der Kirche wie ein weiter Ozean, auf den es hinauszufahren gilt. Dabei zählen wir auf die Hilfe Jesu Christi. Der Sohn Gottes, der aus Liebe zum Menschen vor zweitausend Jahren Mensch wurde, vollbringt auch heute sein Werk. Wir brauchen aufmerksame Augen, um es zu sehen, und vor allem ein großes Herz, um selber seine Werkzeuge zu werden. Haben wir etwa das Jubiläumsjahr nicht deshalb gefeiert, um wieder mit dieser lebendigen Quelle unserer Hoffnung Kontakt aufzunehmen? Nun fordert uns Christus, den wir in Liebe betrachteten, noch einmal auf, uns auf den Weg zu machen: »Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« (Mt 28,19). Der Missionsauftrag führt uns mit der Aufforderung zu derselben Begeisterung, welche die Christen der ersten Stunde auszeichnete, in das dritte Jahrtausend ein: Wir können auf die Kraft desselben Geistes zählen, der am Pfingstfest ausgegossen wurde und uns heute dazu anspornt, einen Neuanfang zu setzen. Dabei fühlen wir uns getragen von der Hoffnung, »die nicht zugrunde gehen läßt« (Rm 5,5),

Am Beginn dieses neuen Jahrhunderts muß unser Schritt schneller werden, wenn wir erneut die Straßen der Welt zurücklegen. Es gibt so viele Straßen, auf denen jeder von uns und jede unserer Kirchen geht, aber jene, die zusammengebunden werden durch die eine Gemeinschaft, die Gemeinschaft, die sich täglich am Tisch des eucharistischen Brotes und des Wortes des Lebens nährt, kennen keine Distanz. Jeden Sonntag gewährt uns der auferstandene Christus gleichsam eine Begegnung im Abendmahlssaal, wo er sich am Abend »des ersten Tages der Woche« (Jn 20,19) seinen Jüngern zeigte, um ihnen das lebendig machende Geschenk des Geistes »einzuhauchen« und sie in das große Abenteuer der Evangelisierung einzuführen.

Uns begleitet auf diesem Weg die allerseligste Jungfrau Maria, der ich vor einigen Monaten zusammen mit vielen Bischöfen, die aus allen Teilen der Welt nach Rom gekommen waren, das dritte Jahrtausend anvertraut habe. Viele Male in diesen Jahren habe ich sie als »Stern der Neuevangelisierung« vorgestellt und angerufen. So weise ich wiederum auf sie hin als leuchtende Morgenröte und sicheren Leitstern auf unserem Weg. »Frau, siehe deine Söhne und Töchter«, wiederhole ich im Anklang an Jesu eigene Worte (vgl. Joh Jn 19,26) und mache mich bei ihr zur Stimme der kindlichen Liebe der ganzen Kirche.


59 Liebe Brüder und Schwestern! Das Symbol der Heiligen Pforte schließt sich hinter uns, um aber die lebendige Pforte, die Christus ist, weiter geöffnet zu lassen denn je. Nach der Begeisterung des Jubiläums kehren wir in keinen grauen Alltag zurück. Im Gegenteil, wenn unser Pilgerweg echt war, hat er unsere Beine gleichsam gelockert für den Weg, der auf uns wartet. Wir müssen den Schwung des Apostels Paulus nachahmen: »Ich strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung, die Gott uns in Christus Jesus schenkt« (Ph 3,13-14). Zugleich müssen wir betrachten, wie es Maria getan hat, als sie von der Wallfahrt in die heilige Stadt Jerusalem nach Nazaret zurückkehrte und in ihrem Herzen über das Geheimnis des Sohnes nachdachte (vgl. Lk Lc 2,51).

Der auferstandene Jesus, der sich auf unseren Wegen zu uns gesellt und sich wie von den Emmaus-Jüngern »am Brechen des Brotes« erkennen läßt (Lc 24,35), möge uns wachsam und bereit finden, sein Angesicht zu erkennen und zu den Brüdern zu laufen, um ihnen die große Nachricht zu bringen: »Wir haben den Herrn gesehen!« (Jn 20,25).

Das ist die so ersehnte Frucht des Jubiläums des Jahres 2000, des Jubiläums, das uns das Geheimnis über Jesus von Nazaret, den Sohn Gottes und Erlöser des Menschen, wieder lebendig vor Augen gestellt hat.

Während das Jubiläum zu Ende geht und für uns eine hoffnungsvolle Zukunft einleitet, steige das Lob und der Dank der ganzen Kirche durch Christus im Heiligen Geist zum Vater auf.

Mit diesem Wunsch sende ich allen aus tiefstem Herzen meinen Segen.

Aus dem Vatikan, am 6. Januar, dem Hochfest der Erscheinung des Herrn, des Jahres 2001, im 23. Jahr meines Pontifikates.



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