Haurietis aquas DE


PIUS XII.

ENZYKLIKA

HAURIETIS AQUAS

ÜBER DIE VEREHRUNG DES HEILIGSTEN HERZENS JESU

An die ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten,

Erzbischöfe, Bischöfe und die anderen Oberhirten,

die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle leben

Ehrwürdige Brüder, Gruß und Apostolischen Segen!


In Freude werdet ihr Wasser schöpfen aus den Quellen des Erlösers.“ [1] Diese Worte, in denen der Prophet Isaias unter bedeutungsvollen Bildern jene vielfachen und reichen Gaben Gottes vorausverkündete, die das christliche Zeitalter bringen sollte, diese Worte, sagen Wir, kommen Uns unwillkürlich in den Sinn, während Wir des zu Ende gehenden Jahrhunderts gedenken, seitdem Unser Vorgänger unvergeßlichen Andenkens Pius IX., den aus dem katholischen Erdkreis vorgebrachten Bitten gerne willfahrend, das Fest des heiligsten Herzens Jesu in der gesamten Kirche zu feiern gebot.

Unmöglich können die Gnadengaben aufgezählt werden, welche die dem heiligsten Herzen Jesu erwiesene Verehrung in die Seelen der Gläubigen ergießt, sie reinigend, mit himmlischem Trost erquickend und zu allen Tugenden anregend.

Eingedenk daher des weisen Satzes des Apostels Jakobus: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Lichtwelt“ [2] , sehen Wir mit vollem Recht in dieser Andacht, die allenthalben auf Erden sich immer glutvoller durchsetzt, ein unschätzbares Geschenk, welches das menschgewordene Wort, unser göttlicher Heiland, der eine Mittler der Gnade und Wahrheit zwischen dem himmlischen Vater und dem Menschengeschlecht, der Kirche, seiner mystischen Braut, im Verlauf der letzten Jahrhunderte gewährt hat, in denen sie so viel Hartes zu bestehen und so viele Schwierigkeiten durchzukämpfen hatte. Im Besitz dieses unschätzbaren Geschenkes kann die Kirche eine glühendere Liebe zu ihrem göttlichen Stifter bekunden und auf umfassendere Weise den Ruf verwirklichen, den, wie der Evangelist Johannes bezeugt, Jesus Christus selbst aussprach: „Am letzten Tage, dem Höhepunkt des Festes, stand Jesus da und rief laut: Wen dürstet, komme zu mir und trinke, wer an mich glaubt. Aus seinem Inneren werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Er sagte dies von dem Geist, den jene empfangen sollten, die an ihn glaubten. [3] Für die Zuhörer Jesu war es in der Tat nicht schwer, diese Worte, mit denen Er selbst eine aus seinem Schoße entspringende Quelle „lebendigen Wassers“ versprach, auf die Aussprüche der das Messianische Reich vorausverkündenden heiligen Propheten Isaias, Ezechiel und Zacharias und ebenso auf jenen vorbildhaften Felsen zu beziehen, aus dem, von Moses angeschlagen, auf wunderbare Weise Wasser hervorquoll. [4]

Die göttliche Liebe hat ihren ersten Ursprung aus dem Heiligen Geist, der die persönliche Liebe des Vaters wie des Sohnes im Schoße der anbetungswürdigen Dreieinigkeit ist.

Ganz zu Recht schreibt also der Völkerapostel, gleich einem Echo auf die Worte Jesu Christi, die Ausgießung der Liebe in die Seelen der Gläubigen diesem Geist der Liebe zu: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ward.“ [5]

Dieser enge Zusammenhang, der, wie die Heiligen Schriften betonen, zwischen der göttlichen Liebe, die in den Herzen der Christen entbrennen soll, und dem Heiligen Geist – der aus sich Liebe ist – besteht, kennzeichnet uns allen, Ehrwürdige Brüder, lichtvoll das innerste Wesen jener Verehrung, die dem heiligsten Herzen Jesu Christi zu erweisen ist. Denn wie bekanntlich diese Andacht, wenn wir ihre besondere Natur betrachten, eine hochwertige Betätigung der Gottesverehrung ist, insofern sie von uns einen vollen und ganz unbedingten Willen der Hingabe und Weihe an die Liebe des göttlichen Erlösers fordert, an die Liebe, für die das verwundete Herz ein lebendiger Hinweis und ein lebensvolles Zeichen ist, so steht in gleichem, ja noch tieferem Sinne fest, daß derselben Andacht vor allem dieses Merkmal zukomme: Wir sollen die göttliche Liebe durch unsere Liebe vergelten. Nur durch die Kraft der Liebe wird ja erreicht, daß die Menschenherzen sich ganz und vollkommen der Herrschaft des Allerhöchsten fügen, da nämlich unser Liebesdrang so dem göttlichen Willen anhängt, daß er wie eine Art Einheit mit ihm wird, gemäß dem Wort: „Wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm.“ [6]



I.

Wiewohl nun die Kirche die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu allzeit so sehr schätzte und schätzt, daß sie sich bemüht, sie überall zum Blühen zu bringen und auf jede Weise unter den christ­lichen Völkern zu verbreiten, und sie auch gegen die falschen Lehren des sogenanntenNaturalismus und Sentimentalismus mit aller Kraft zu schützen sich angelegen sein läßt, so ist es doch sehr zu bedauern, daß in vergangenen Zeiten und auch heute diese höchst würdige Andacht nicht die gleiche Ehre und Wertschätzung findet bei manchen Christen und zuweilen auch bei solchen, die sich als eifrige, nach Heiligkeit strebende Katholiken bekennen.

Wenn du die Gabe Gottes kenntest. [7] Mit diesen Worten, Ehrwürdige Brüder, mahnen Wir, die Wir durch Gottes geheimen Ratschluß zum Hüter und Verwalter jenes heiligen Schatzes des Glaubens und der Frömmigkeit erwählt wurden, den der göttliche Erlöser seiner Kirche anvertraut hat, mahnen Wir im Bewußtsein Unserer Pflicht alle jene, die zwar Unsere Söhne, und obwohl die Verehrung des heiligsten, über die Irrungen und die Nachlässigkeit der Menschen gleichsam triumphierenden Herzens Jesu seinen mystischen Leib durchdrungen hat, dennoch weiterhin von vorgefaßten Meinungen sich leiten lassen und zuweilen so weit gehen, daß sie diese Andacht für minder geeignet, um nicht zu sagen, für schädlich erachten, um den geistigen, in unserer Zeit vordringlicheren Nöten der Kirche und des Menschengeschlechtes zu begegnen.

Es fehlt nicht an solchen, welche die ursprüngliche Natur dieser Andacht mit den Sonderandachten, den vielfältigen, von der Kirche gebilligten und geförderten, aber nicht befohlenen Frömmigkeits­formen vermengen und ihnen gleichstellen, und sie daher als etwas Zusätzliches betrachten, das die Einzelnen, ein jeder nach seinem Belieben, üben können; es gibt auch solche, die behaupten, diese Andacht sei etwas Lästiges und besonders für jene von keinem oder nur geringem Nutzen, die im Reiche Gottes kämpfen hauptsächlich in der Absicht, mit ihren Kräften, Mitteln und der Ausnutzung ihrer Zeit zur Verteidigung, Weitergabe und Verbreitung der katholischen Wahrheit, zur Geltendmachung der christlichen Soziallehre und zur Förderung jener Akte der Gottesverehrung und jener Werke beizutragen, die sie heute für viel notwendiger halten; endlich fehlt es nicht an solchen, die, weit entfernt davon, diese Andacht als eine mächtige Hilfe für die rechte Bildung und Erneuerung der christlichen Sitten im privaten Leben des Einzelnen wie im häuslichen Zusammenleben zu betrachten, sie vielmehr wie eine durch die Sinne, nicht durch den Geist und die Seele genährte Frömmigkeit ansehen, geradezu mehr den Frauen angepaßt, da sie in ihr etwas finden, was gebildeten Menschen nicht genügend entspreche.

Außerdem gibt es solche, die in der Erwägung, daß die Herz-Jesu-Verehrung vor allem Buße, Sühne und die übrigen Tugenden verlangt, die sie „passive“ nennen, weil sie keine greifbare Frucht trügen, sie nicht für geeignet halten zur Neuanfachung des religiösen Lebens in unseren Tagen, eines religiösen Lebens, das mehr auf eine offene und gestraffte Tätigkeit hinzielen müsse, auf den Triumph des katholischen Glaubens und auf den tatkräftigen Schutz der christlichen Sitten. Denn diese werden heute, wie alle wissen, leicht von den trügerischen Aufstellungen derer beeinflußt, die zu jeder Form der Gottesverehrung die gleiche Haltung einnehmen, nachdem sie im Denken und Handeln den Unterschied zwischen wahr und falsch aufgehoben haben, und die sich auch leider von den Grundsätzen des gottlosen Materialismus und des sogenannten Laizismus anstecken lassen.

Wer sähe nicht, Ehrwürdige Brüder, daß solche Ansichten ganz und gar von dem Urteil abweichen, das Unsere Vorgänger in Gutheißung der Verehrung des heiligsten Herzens Jesu von diesem Sitz der Wahrheit öffentlich ausgesprochen haben? Wer möchte es wagen, jene Frömmigkeit als unnütz oder für unsere Zeit weniger geeignet hinzustellen, die Unser Vorgänger unvergeßlichen Andenkens Leo XIII. als „sehr bewährte Form der Gottesverehrung“ bezeichnete und die, wie er nicht zweifelte, als kraftvolles Mittel zur Heilung der Übel zu betrachten sei, die auch heute, und sicher in weiterem und schärferem Maße, den Einzelmenschen und die gesamte Gesellschaft quälen und beunruhigen? „Diese Andacht, die Wir allen raten“, so sagte er, „wird allen von Nutzen sein.“ Und er fügte folgende Mahnungen hinzu, die auch auf die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu Bezug haben: „Daher jene Gewalt der Übel, die seit langem im Geheimen wirken und die eindringlich fordern, daß man Hilfe bei einem suche, durch dessen Kraft sie vertrieben werden könnten. Wer könnte dies aber sein, wenn nicht Jesus Christus, der Eingeborene Gottes! , Denn kein anderer Name ist unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir das Heil erlangen sollten.’ [8] Zu ihm also muß man sich flüchten, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.“ [9]

Und nicht weniger hat Unser nächster Vorgänger gesegneten Andenkens Pius XI. diese Verehrung als empfehlenswert und für die Förderung der christlichen Frömmigkeit geeignet anerkannt. Er erklärte in einem Rundschreiben: „Liegt nicht in dieser ... Andachtsform der Inbegriff der ganzen Religion und die Wegweisung zur Vollkommenheit? Denn leicht führt sie unseren Verstand zur tiefen Erkenntnis Christi, und nachdrücklich vermag sie die Herzen zu immer glühenderer Liebe und immer engerer Nachfolge des Heilands anzuspornen.“ [10]

Für Uns aber, nicht weniger als für Unsere Vorgänger, ist dieser Kernpunkt der Wahrheit klar und erwiesen; und als Wir das oberste Hirtenamt übernahmen und wie ein gutes Vorzeichen die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu bei den christlichen Völkern gemehrt und frohen Herzens wie triumphierend sahen, haben Wir Uns gefreut, daß daraus unzählige heilsame Früchte für die gesamte Kirche erwachsen; und es gefiel Uns, schon im ersten Rundschreiben darauf hinzuweisen. [11] Diese Früchte wurden in den Jahren Unseres Pontifikats – der nicht allein der Sorgen und Nöten, sondern auch unsagbarer Tröstungen voll war – weder an Zahl noch an Kraft und Schönheit vermindert, sondern eher vermehrt; denn es sind glücklicherweise verschiedene Werke in Angriff genommen worden, die der Wiederbelebung dieser Andacht dienlich und für die Nöte unserer Tage äußerst geeignet sind: Wir meinen die Vereinigungen zur Förderung der seelischen Kultur, der Religion und der Mildtätigkeit; die Veröffentlichungen zur Erläuterung der einschlägigen Geschichte, Aszetik und Mystik; die frommen Sühnewerke; und namentlich jene Zeugnisse innigster Frömmigkeit, welche die „Vereinigung vom Gebetsapostolat“ herausgab; ihrer Anregung und Förderung ist es vor allem zu danken, daß häusliche Gemeinschaften, Kollegien, Unternehmungen, zuweilen auch Nationen dem heiligsten Herzen Jesu geweiht wurden; ihnen haben Wir nicht selten durch diesbezügliche Schreiben, durch Ansprachen oder auch durch Rundfunkbotschaften Unsere väterlichen Wünsche entboten. [12]

Wo Wir daher sehen, wie eine reiche, aus dem heiligen Herzen unseres Erlösers sprudelnde Fülle heilbringender Wasser, himmlischer Gaben der göttlichen Liebe ungezählte Söhne der katholischen Kirche durch den Hauch und das Wirken des Gottesgeistes durchdringt, können Wir nicht umhin, euch, Ehrwürdige Brüder, väterlich zu mahnen, mit Uns zusammen Gott, dem Geber alles Guten, tief und innig Lob und Dank zu sagen, die Worte des Völkerapostels wiederholend: „Ihm aber, der durch seine in uns wirksame Kraft weit mehr zu tun vermag als alles, was wir erbitten oder ersinnen: Ihm sei Ehre in der Kirche und in Christus Jesus über alle Geschlechter hin von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ [13] Doch nachdem Wir dem ewigen Gott den schuldigen Dank erstattet haben, ist es Unser Wunsch, euch und alle geliebten Söhne der Kirche durch dieses Rundschreiben zu ermahnen, jene aus der Bibel, der Lehre der heiligen Väter und der Gottesgelehrten stammenden Grundsätze, auf die sich, wie auf feste Fundamente, die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu stützt, achtsamer zu erwägen. Wir sind nämlich tief davon überzeugt: nur dann, wenn wir im Lichte der von Gott geoffenbarten Wahrheit die ursprüngliche und innerlicher erfaßte Natur dieser Andacht genau kennen, nur dann, sagen Wir, können wir ihre unvergleichlich hohe Würde und ihre unerschöpfliche Fülle himmlischer Gaben recht und voll schätzen; und wenn wir die unzähligen daraus erwachsenen Wohltaten in frommer Betrachtung uns vorführen, können wir auch würdig die erste Jahrhundertfeier begehen, seitdem das Herz-Jesu-Fest in der gesamten Kirche zu feiern ist.

In der Absicht also, den Seelen der Christgläubigen heilbringende Nahrung zu bieten, durch die genährt sie die wahre Natur dieser Verehrung leichter und tiefer ersehen und ihre reichen Früchte erfahren können, werden Wir jene Seiten des Alten und Neuen Testamentes darlegen, in denen die unendliche Liebe Gottes gegen das Menschengeschlecht, in die wir niemals genug schauend eindringen können, geoffenbart und vorgelegt wird. Hierauf werden Wir zweckentsprechend die Grundlinien der Ausführungen berühren, welche die Kirchenväter und Kirchenlehrer überliefert haben. Zuletzt werden Wir darauf bedacht sein, den engen Zusammenhang ins rechte Licht zu stellen, der zwischen der dem Herzen des göttlichen Erlösers gebührenden Andacht und der Verehrung besteht, die seiner Liebe wie der Liebe der Heiligsten Dreifaltigkeit gegen alle Menschen geschuldet wird. Wir meinen nämlich: Wenn einmal die Hauptelemente, auf denen diese höchst würdige Andacht ruht, aus dem Licht der Heiligen Schriften und der von den Vorfahren überlieferten Lehre erläutert werden, so können die Christen leichter „in Freuden Wasser aus den Quellen des Erlösers“ [14] schöpfen; das heißt, die besondere Wichtigkeit besser schätzen, welche die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu in der Liturgie der Kirche und in ihrem inneren und äußeren Leben und Tun besitzt; und so können sie auch die geistlichen Früchte sammeln, wodurch die Einzelnen heilbringend ihre Sitten zu erneuern vermögen, wie es die Hirten der christlichen Herde erhoffen.

Damit jedoch alle um so richtiger die Beweiskraft verstehen können, welche die vorzulegenden Stellen des Alten und Neuen Testamentes für diese Andacht haben, muß ihnen der Grund ganz klar sein, warum die Kirche dem Herzen des göttlichen Erlösers den Kult der Anbetung zollt. Nun wißt ihr sicher, Ehrwürdige Brüder, daß es ein zweifacher Grund ist. Der eine, der auch für die übrigen hochheiligen Glieder des Leibes Jesu Christi gilt, beruht auf dem Grundsatz, daß sein Herz, als ein vornehmster Teil seiner menschlichen Natur, hypostatisch mit der Person des göttlichen Wortes verbunden ist; und daß ihm deshalb der gleiche Kult der Anbetung zu erweisen ist, womit die Kirche die Person des menschgewordenen Sohnes Gottes ehrt. Es handelt sich dabei um eine mit katholischem Glauben festzuhaltende Wahrheit, da sie schon auf den Allgemeinen Kirchenversammlungen von Ephesus und der zweiten von Konstantinopel [15] feierlich festgelegt wurde. Der andere Grund, der sich in besonderer Weise auf das Herz des göttlichen Erlösers bezieht und ebenfalls unter einer besonderen Rücksicht den ihm zu erweisenden Kult der Anbetung fordert, liegt darin, daß sein Herz, mehr als alle übrigen Glieder seines Leibes, ein natürliches Zeichen oder Sinnbild seiner unermeßlichen Liebe zum Menschengeschlecht ist. „Es liegt im heiligsten Herzen – wie Unser Vorgänger unvergeßlichen Andenkens Leo XIII. bemerkte – ein Sinnbild, ja ein ausdrückliches Bild der unendlichen Liebe Jesu Christi, das durch sich selbst uns zur Gegenliebe bewegt.“ [16]

Es ist zweifellos, daß die Heiligen Bücher nie eine sichere Erwähnung tun von einem besonderen, dem physischen Herzen des fleischgewordenen Wortes als dem Sinnbild seiner brennenden Liebe erwiesenen Kult der Verehrung und Liebe. Wenn dies offen zuzugeben ist, so braucht es uns doch nicht zu verwundern, noch irgendwie Zweifel in uns hervorzurufen, daß die göttliche Liebe zu uns, der Hauptgrund jenes Kultes, im Alten wie im Neuen Testamente in solchen Bildern, welche die Herzen stark bewegen, verkündet und nahegebracht wird. Da diese Bilder schon in den Heiligen Büchern vorgelegt wurden, welche die Ankunft des menschgewordenen Gottessohnes vorher verkündeten, können sie als Vorzeichen des Sinnbildes jener edelsten göttlichen Liebe und des Hinweises auf sie: die Liebe des heiligsten und anbetungswürdigen Herzens des göttlichen Erlösers betrachtet werden.

Für unseren Gegenstand ist es wohl nicht notwendig, aus den alttestamentlichen Büchern, die von Gott und in alter Zeit kundgegebene Wahrheiten enthalten, vieles vorzubringen; es genügt gewiß, in Erinnerung zu rufen, daß jener zwischen Gott und dem Volk eingegangene und durch Friedensopfer geheiligte Bund – dessen ursprüngliches, auf zwei Tafeln geschriebenes Gesetz Moses veröffentlichte [17] und die Propheten erklärten – ein Vertrag war, der nicht nur durch die Bande der Oberherrschaft Gottes und des schuldigen Gehorsams der Menschen festgelegt, sondern auch durch tiefere Gründe der Liebe gefestigt und genährt wurde. Auch für das Volk Israel war der letzte Grund, Gott zu gehorchen, nicht die Furcht vor den göttlichen Strafgerichten, welche die vom Gipfel des Berges Sinai aufleuchtenden und ausgehenden Donner und Blitze einflößten, sondern mehr die Gott geschuldete Liebe: „Höre, Israel! Der Herr ist unser Gott, der Herr allein. So liebe denn den Herrn, deinen Gott, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deiner Kraft! Diese Gebote, die ich dir heute gebe, seien dir ins Herz geschrieben!“ [18]

Wir wundern uns also nicht, wenn Moses und die Propheten, die der Engelgleiche Lehrer mit Recht „maiores, Eingeweihte“ [19] des Auserwählten Volkes nennt, aus der klaren Einsicht, daß die Grundlage des ganzen Gesetzes in dieses Gebot der Liebe gesetzt war, alle zwischen Gott und ihrem Volk bestehenden Beziehungen und Bindungen mehr mit Gleichnissen beschrieben, die aus der gegenseitigen Liebe von Vater und Sohn oder der Gatten geschöpft waren, als mit strengen, der Oberherrschaft Gottes oder der von uns allen geschuldeten und erzittern machenden Knechtschaft entnommenen Bildern.

Um Beispiele anzuführen: Als Moses sein berühmtes Lied über die Befreiung des Volkes aus der Knechtschaft Ägyptens sang und aussprechen wollte, daß dies durch Gottes Kraft geschehen war, verwendet er folgende ergreifende Sätze und Gleichnisse: „Gleichwie der Adler seine Jungen zum Fluge lockt und über ihnen schwebt, so breitete er (Gott) seine Flügel aus, und nahm es (das Volk) und trug es auf seinen Schultern.“ [20]

Doch bringt vielleicht keiner der heiligen Seher mehr als Oseas offen und stark die Liebe zum Ausdruck, mit der Gott zu jeder Zeit sein Volk geleitet. In den Schriften dieses Propheten, der unter den übrigen kleinen Propheten durch die Großartigkeit gedrängter Rede hervorragt, bekennt Gott eine solche Liebe zum Auserwählten Volk, eine gerechte und heilig besorgte, wie es die Liebe eines erbarmenden und liebenden Vaters ist oder eines Bräutigams, dessen Ehre verletzt wird. Es handelt sich um eine Liebe, die so wenig infolge der Niedertracht von Verrätern und unmenschlicher Verbrechen gemindert wird oder erkaltet, daß sie vielmehr diese zwar nach Gebühr bestraft, aber nur aus dem einen Grunde, die entfremdete und treulose Braut und die undankbaren Söhne – geschweige denn siezu verstoßen und zu entlassen – nein, zu entsühnen, zu läutern und durch erneute und verstärkte Bande der Liebe wieder mit sich zu verbinden: „Als Israel jung war, gewann ich es lieb und rief meinen Sohn aus Ägypten ... Ich war wie ein Nährvater für Ephraim; ich trug sie auf meinen Armen, doch sie erkannten nicht, daß ich ihr Heiland war. Mit Banden der Güte zog ich sie, mit Fesseln der Liebe ... Von ihrem Abfall will ich sie heilen, herzlich sie lieben; denn mein Zorn ist von ihnen gewichen. Wie der Tau will ich sein, Israel soll gleich einer Lilie blühen und seine Wurzel schlagen wie des Libanon Zedern.“ [21]

Nicht unähnlich spricht der Prophet Isaias, wenn er Gott selbst und das Auserwählte Volk folgende Wechselrede miteinander führen läßt: „Und Sion sprach: Verlassen hat mich der Herr. Der Allmächtige hat meiner vergessen. Vergißt wohl ein Weib ihres Kindes? Erbarmt sie sich nicht der Frucht ihres Leibes? Und vergäße sie's auch: ich vergesse dich nicht.“ [22] Ebenso ergreifend sind die Worte, mit denen der Verfasser des Hohenliedes in Bildern ehelicher Liebe deutlich die Bande der gegenseitigen Liebe beschreibt, durch die Gott und das von ihm geliebte Volk verbunden sind: „Wie eine Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern ... Ich bin sein, und mein Geliebter ist mein; Hirte ist er auf Liliengefilden ... Wie ein Siegel leg mich aufs Herz dir, auf deinen Arm wie ein Siegel! Die Liebe ist stark wie der Tod; der Liebe Eifern hart wie die Totenwelt. Lohend Feuer ist ihre Glut, Blitze sind ihre Flammen.“ [23]

Diese so zarte, nachsichtige und geduldige Liebe Gottes, die sich zwar über das Untat auf Untat häufende Volk Israel entrüstet, aber es dennoch niemals verstößt, scheint gewiß stark und erhaben, aber sie ist nur Ankündigung und Vorzeichen jener innigen Liebe, die der den Menschen verheißene Erlöser aus seinem liebenden Herzen über alle ergießen würde, und die das Vorbild für unsere Liebe und das Fundament des Neuen Bundes werden sollte. Fürwahr nur Er, der Einziggezeugte vom Vater und das fleischgewordene Wort „voller Gnade und Wahrheit“ [24] , konnte, als er zu den von unzähligen Sünden und Armseligkeiten bedrückten Menschen gekommen war, aus seiner menschlichen, in Personeinheit mit der göttlichen Person verbundenen Natur heraus dem menschlichen Geschlechte eine „Quelle lebendigen Wassers“ eröffnen, welche die dürre Erde reichlich bewässern und sie zu einem blühenden und fruchtreichen Garten machen würde.

Daß diese ganz wundersame Tatsache infolge der erbarmungsvollen und ewigen Liebe Gottes eintreten werde, scheint schon der Prophet Jeremias irgendwie mit folgenden Worten vorauszuverkünden: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt; darum habe ich dich in Erbarmung an mich herangezogen ... Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da schließe ich einen neuen Bund mit Israels Haus und Judas Haus ... Dies wird der Bund sein, den ich schließen werde nach jenen Tagen mit Israels Haus, spricht der Herr: Ich lege mein Gesetz in ihr Herz und schreibe es in ihre Seele. So werde ich ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein ... Denn ihre Schuld vergebe ich ihnen, und ihrer Sünden gedenke ich nicht mehr.“ [25]



II.


Nur aus den Evangelien haben wir jedoch die volle Gewißheit, daß der Neue Bund zwischen Gott und den Menschen – für den jener Vertrag, den Moses zwischen dem Volk Israel und Gott geschlossen hatte, nichts anderes als Sinnbild und Zeichen war, wie es der Prophet Jeremias vorherverkündet hatte – daß der Neue Bund, sagen Wir, gerade das ist, was durch die gnadenerwerbende Tat des fleischgewordenen Wortes beschlossen und verwirklicht wurde. Dieses Bündnis ist deshalb als unvergleichlich höher und beständiger zu schätzen, weil es nicht, wie das vorhergehende, durch das Blut von Böcken und Rindern, sondern durch das hochheilige Blut dessen besiegelt wurde, den die gleichen friedlich-vernunftlosen Tiere schon vorgebildet hatten als das „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ [26]

Denn der christliche Bund erweist sich, viel mehr denn der alte, als ein Vertrag, der sich nicht auf Knechtschaft und nicht auf Furcht stützt, sondern durch jene Freundschaft geschlossen wurde, die zwischen Vater und Kindern herrschen soll, und der durch eine freigebigere Ausgießung der göttlichen Gnade und Wahrheit erhalten und bekräftigt wird, gemäß dem Ausspruch des Evangelisten Johannes: „Und aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade über Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Moses gegeben; die Gnade und Wahrheit aber ward uns durch Jesus Christus.“ [27]

Durch diesen Satz jenes Jüngers, „den Jesus lieb hatte und der beim Mahle an seiner Brust ruhte“ [28] , sind wir schon zum Geheimnis der unendlichen Liebe des fleischgewordenen Wortes hingeführt. Und es scheint, Ehrwürdige Brüder, würdig und recht, geziemend und heilsam, in dessen trauter Betrachtung ein wenig zu verweilen, damit auch wir, erleuchtet von dem Licht, das aus dem Evangelium widerstrahlend das gleiche Geheimnis erhellt, den Wunsch verwirklichen können, von dem der Völkerapostel in seinem Schreiben an die Epheser spricht: „Daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Möget ihr, in der Liebe festgewurzelt und festgegründet, imstande sein, mit allen Heiligen zu begreifen, was es ist um die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe und die Erkenntnis der jeden Begriff übersteigenden Liebe Christi, damit ihr mit der ganzen Gottesfülle erfüllt werdet!“ [29]

Das Geheimnis der göttlichen Erlösung ist in erster Linie und von Natur ein Geheimnis der Liebe: und zwar der gerechten Liebe Christi zum himmlischen Vater, dem das mit liebender und gehorsamer Gesinnung dargebrachte Kreuzesopfer die ob der Sünden des Menschengeschlechtes geschuldete Genugtuung in überreichem und unendlichem Maße bietet: „Aus Liebe und Gehorsam leidend hat Christus Gott etwas Größeres dargeboten als die Wiedergutmachung der ganzen Schuld des Menschengeschlechtes gefordert hätte.“ [30] Es ist ferner ein Geheimnis der barmherzigen Liebe der Heiligsten Dreifaltigkeit und des göttlichen Erlösers zu allen Menschen: da diese keineswegs imstande waren, für ihre Vergehen genugzutun [31] , hat Christus kraft der unerforschlichen Reichtümer der Verdienste, die er durch sein kostbares vergossenes Blut für uns erwarb, jenen Freundschaftsbund zwischen Gott und den Menschen wiederherzustellen und zu vollenden vermocht, der zuerst im irdischen Paradiese durch den unglücklichen Fall Adams, dann aber durch die unzähligen Sünden des Auserwählten Volkes verletzt worden war.

Da unser göttlicher Erlöser – als unser rechtmäßiger und vollkommener Mittler – in seiner glühenden Liebe zu uns die Pflichten und Schulden des Menschengeschlechtes mit den göttlichen Rechten ganz in Ausgleich brachte, ist es ihm zu verdanken, daß jene wunderbare Übereinstimmung der göttlichen Gerechtigkeit und der göttlichen Barmherzigkeit stattfand, die das alles übersteigende Geheimnis unseres Heiles ausmacht. Dazu äußert sich der Engelgleiche Lehrer weise mit folgenden Worten: „Es ist zu sagen, daß die Befreiung des Menschen durch das Leiden Christi für seine Barmherzigkeit wie für seine Gerechtigkeit geziemend war. Für die Gerechtigkeit, weil Christus durch sein Leiden für die Sünde des Menschengeschlechtes genug getan hat: und so wurde der Mensch durch die Gerechtigkeit Christi befreit. Für die Barmherzigkeit, denn da der Mensch aus sich für die Sünde der ganzen menschlichen Natur nicht genug tun konnte, hat Gott ihm seinen Sohn als Genugtuer gegeben. Und dies war eine Tat überreicher Erbarmung, als wenn er die Sünden ohne Genugtuung nachgelassen hätte. Daher heißt es: „Gott, reich an Erbarmen wie er ist, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt, uns, da wir tot waren durch unsere Sünden, zusammen mit Christus lebendig gemacht.“ [32]

Damit wir aber wirklich, soweit es Sterblichen gestattet ist, „begreifen können mit allen Heiligen, was es ist um die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe“ [33] der geheimnisvollen Liebe des fleischgewordenen Wortes zum himmlischen Vater und zu den mit dem Makel der Sünden befleckten Menschen, muß man beachten, daß seine Liebe nicht nur eine geistige war, wie sie Gott zukommt, insofern „Gott Geist ist“ [34] . Gewiß war von dieser Art die Liebe, mit der Gott unsere Stammeltern und das Volk der Hebräer liebte; und so sind die Ausdrücke menschlicher, vertrauter und väterlicher Liebe, die man in den Psalmen, in den Schriften der Propheten und im Hohenliede liest, Bezeichnungen für eine sehr wahre, aber ganz geistige Liebe, die Gott zum Menschengeschlecht hegte; während dagegen die Liebe, die aus dem Evangelium, aus den Apostelbriefen und aus den Seiten der Geheimen Offenbarung spricht, welche die Liebe des Herzens Jesu Christi beschreiben, nicht eine nur göttliche Liebe, sondern auch menschliche Empfindungen der Liebe bezeichnet; was für alle, die sich katholisch nennen, ganz gewiß ist. Das Wort Gottes hat nämlich nicht einen unwirklichen Scheinleib angenommen, wie schon im ersten christlichen Jahrhundert einige Irrlehrer behaupteten, die vom Apostel Johannes mit folgenden ernsten Worten getadelt wurden: „Es sind viele Verführer in der Welt aufgetreten, die sich nicht zu dem in Fleisch erschienenen Jesus Christus bekennen. Das ist der Verführer, der Antichrist[35] ; es hat wirklich die menschliche, individuelle, vollständige und vollkommene Natur, die im reinsten Schoße der Jungfrau Maria aus der Kraft des Heiligen Geistes empfangen wurde [36] , seiner göttlichen Person verbunden. Es fehlte ihm also nichts an der menschlichen Natur, die sich das Wort Gottes zu eigen gemacht hat; es hat sie in der Tat angenommen ohne Minderung und ohne Änderung in dem, was das Geistige und das Körperliche betrifft: also ausgestattet mit Verstand und Willen und mit den übrigen inneren und äußeren Erkenntnisfähigkeiten, ebenso wie mit dem Strebevermögen der Sinne und allen natürlichen Antrieben. Dies alles lehrt die katholische Kirche als etwas, das von den Römischen Päpsten und den Allgemeinen Kirchenversammlungen feierlich bestimmt und bekräftigt ist: „Vollkommen in dem Seinigen, vollkommen in dem Unsrigen“ [37] ; „vollkommen der Gottheit und vollkommen der Menschheit nach“ [38] ; „der ganze Gott Mensch, und der ganze Mensch Gott.“ [39]

Deshalb kann in keiner Weise daran gezweifelt werden, daß Jesus Christus einen wahren Leib erhalten hat, ausgestattet mit allen, einem solchen eigenen Affekten, unter denen die Liebe vor allen anderen den Vorrang hat. Gleicherweise kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß er ein physisches, dem unsrigen ähnliches Herz hatte, da ohne dieses hochwichtige Organ des Körpers das menschliche Leben, auch bezüglich der Gemütszustände, nicht bestehen kann. Daher hat das Herz Jesu Christi, mit der göttlichen Person des Wortes hypostatisch vereint, zweifellos auch wegen der Liebe und der übrigen Gemütsbewegungen geschlagen; diese waren jedoch mit dem menschlichen, von der göttlichen Liebe erfüllten Willen, wie mit der unendlichen Liebe selbst, die der Sohn mit dem Vater und dem Heiligen Geiste gemeinsam hat, so ganz und gar in Übereinstimmung und Einklang, daß zwischen diesen drei Liebesarten niemals etwas Gegensätzliches oder Unstimmiges herrschte. [40]

Daß das Wort Gottes eine wahre und vollkommene Menschennatur als eigen angenommen und sich ein Herz aus Fleisch gebildet und einverleibt hat, das nicht weniger als das unsrige leiden und durchbohrt werden konnte – diese Tatsache kann, so sagen Wir, wenn nicht im Lichte der hypostatischen und substanziellen Vereinigung, und ebenso im Licht der Erlösung der Menschheit wie aus deren Ergänzung gesehen, wahrhaftig für manche zu Ärgernis und Torheit werden, wie es der ans Kreuz geschlagene Christus tatsächlich für das Volk der Juden und Heiden war. [41] Die gültigen Dokumente des katholischen Glaubens, in vollem Einklang mit den Heiligen Schriften, versichern uns, daß der Einziggeborene Sohn Gottes die leidensfähige und sterbliche Menschennatur hauptsächlich aus dem Grunde angenommen hat, weil er das blutige Opfer, am Kreuze hängend, darzubringen wünschte, um das Werk des Heiles der Menschheit zu vollenden. Dies lehrt übrigens der Völkerapostel mit folgenden Worten: „Der heiligt und die geheiligt werden, sind ja alle von einem Vater. Darum schämt er sich nicht, sie seine Brüder zu nennen, da er spricht: Ich will deinen Namen meinen Brüdern kundgeben ... Und wieder: Siehe, hier bin ich mit den Kindern, die Gott mir gegeben hat. Weil nun die Kinder Fleisch und Blut gemeinsam haben, so nahm er gleichfalls beides an ... Darum mußte er in allem seinen Brüdern gleich werden, um als barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu walten und des Volkes Sünden zu sühnen. Denn da er selbst gelitten hat und versucht wurde, kann er auch denen helfen, die versucht werden.“ [42]

Die Heiligen Väter haben als wahrhafte Zeugen der von Gott geoffenbarten Lehre sehr gut das betont, was schon der Apostel Paulus klar genug ausgesprochen hatte, daß nämlich das Geheimnis der göttlichen Liebe gleichsam Anfangs- und Höhepunkt der Menschwerdung wie der Erlösung sei. Denn oft und lichtvoll liest man in ihren Schriften, daß Jesus Christus deshalb eine vollkommene Menschennatur und unseren hinfälligen und gebrechlichen Leib angenommen hat, um für unser ewiges Heil Sorge zu tragen und uns seine unendliche Liebe, auch die fühlbare, überzeugend zu offenbaren und zu öffnen.

Der hl. Justinus nimmt gleichsam das Wort des Völkerapostels wieder auf, wenn er schreibt: „Den aus dem ungezeugten und unaussprechlichen Gott Geborenen, das Wort beten wir an und lieben wir; ist es doch unsertwegen Mensch geworden, um unseren Leiden, ihrer teilhaft geworden, ein Heilmittel zu bereiten.“ [43] Und der hl. Basilius, der erste unter den drei kappadozischen Vätern, versichert, daß die Sinnesregungen in Christus wahr und zugleich heilig waren. „Es ist klar, daß der Herr die natürlichen Gemütsbewegungen auf sich genommen hat zur Bestätigung der wahren und nicht eingebildeten Menschwerdung; daß er aber fehlerhafte Affekte, welche die Reinheit unseres Lebens trüben, als unwürdig seiner makellosen Gottheit abgewiesen hat.“ [44] In gleicher Weise sieht die Leuchte der antiochenischen Kirche, der hl. Johannes Chrysostomus, in den Regungen der Sinne, die der göttliche Erlöser erfuhr, einen klaren Beweis dafür, daß er eine vollständige Menschennatur angenommen hat: „Wenn er nämlich nicht unsere Natur gehabt hätte, wäre er nicht wieder und wieder von Trauer erfaßt worden.“ [45]

Von den lateinischen Vätern aber möchten Wir jene erwähnen, welche die Kirche heute als die größten Lehrer verehrt. So bezeugt der hl. Ambrosius, daß die sinnfälligen Regungen und Affekte, die dem menschgewordenen Wort Gottes nicht fremd waren, aus der hypostatischen Vereinigung wie aus einem natürlichen Grund sich ergeben: „Weil er die Seele übernahm, hat er auch die Empfindungen der Seele auf sich genommen; als Gott nämlich hätte er, dadurch daß er Gott war, weder erschüttert werden noch sterben können.“ [46] Aus diesen Empfindungen schöpft der hl. Hieronymus den Hauptbeweis dafür, daß Christus wirklich die menschliche Natur angenommen hat: Um die Wahrheit der Annahme der Menschennatur zu beweisen, ist unser Herr wahrhaft betrübt gewesen. [47]

Der hl. Augustinus aber weist besonders auf jene Beziehungen hin, die zwischen den Empfindungen des menschgewordenen Wortes und dem Zweck der Erlösung der Menschheit bestehen: „Diese Regungen der menschlichen Schwachheit, wie auch das Fleisch der menschlichen Schwachheit und den Tod des menschlichen Fleisches hat der Herr Jesus auf sich genommen nicht aus der Not seiner Lage, sondern aus dem Willen seiner Erbarmung, um in sich zu verwandeln seinen Leib, der die Kirche ist und für den das Haupt zu sein er sich würdigte, das heißt, seine Glieder in seinen Heiligen und Gläubigen; damit, wenn einer von ihnen inmitten menschlicher Versuchungen betrübt wäre und litte, er nicht deshalb seiner Gnade fern zu sein glauben sollte; dies seien nicht Sünden, sondern Zeichen der menschlichen Schwachheit; so wie ein Chor der vorsingenden Stimme nachsingt, so sollte sein Leib von ihm, seinem Haupte, lernen.“ [48]

Gedrängter, doch nicht weniger wirksam machen die folgenden Stellen des hl. Johannes Damaszenus die Lehre der Kirche deutlich: „Denn mich ganz hat er als Ganzer angenommen, und als Ganzer hat er sich dem Ganzen vereint, um dem Ganzen das Heil zu bringen. Denn sonst hätte nicht geheilt werden können, was nicht angenommen war.“ [49] „Alles also hat er angenommen, um alles zu heiligen.“ [50]

Es ist jedoch zu bemerken: Obwohl jene Stellen aus den Heiligen Schriften und den Vätern und nicht wenige ihnen ähnliche, die Wir nicht angeführt haben, lichtvoll bezeugen, daß Jesus Christus Regungen der Sinne und Gemütsbewegungen empfand, und daß er deshalb die menschliche Natur angenommen hat, um für unser ewiges Heil zu sorgen – beziehen sie doch niemals diese Gemütsbewegungen so auf sein physisches Herz, daß sie dieses offen als Sinnbild seiner unendlichen Liebe bezeichneten.

Doch wenn auch die Evangelisten und die übrigen heiligen Schriftsteller das Herz des Erlösers nicht ausdrücklich beschreiben: das lebendige und mit Empfindungsfähigkeit nicht weniger als das unsere begabte Herz, und das infolge der verschiedenen seelischen Bewegungen und Regungen und infolge der brennenden Liebe seines doppelten Willens schlagende und zitternde Herz – so heben sie dennoch dessen göttliche Liebe und die damit verbundene Ergriffenheit der Sinne häufig hervor: also Verlangen, Freude, Kummer, Furcht und Zorn, wie sie sich in seinem Antlitz, aus seinen Worten, aus seinem Benehmen offenbaren. Besonders das Antlitz unseres anbetungswürdigen Heilands war ein Gradmesser und sozusagen ein treuer Spiegel jener Regungen, die, während sie die Seele verschiedenartig bewegten, wie sich gegenseitig steigernde Wellen an sein heiligstes Herz gelangten und es schlagend erregten. Denn auch hier gilt, was der Engelgleiche Lehrer, durch allgemeine Erfahrung belehrt, über die menschliche Psychologie und deren Folgerungen bemerkt: „Die Verwirrung des Zornes geht durch bis zu den äußeren Organen; und am stärksten bis zu jenen, in denen die Spur des Herzens sich deutlicher abspiegelt, wie in den Augen, dem Angesicht und der Zunge.“ [51]

Daher wird mit vollem Recht das Herz des menschgewordenen Wortes hauptsächlich als Zeichen und Sinnbild jener dreifachen Liebe betrachtet, mit der der göttliche Erlöser den ewigen Vater und die Menschen alle immerfort liebt. Sinnbild ist es jener göttlichen Liebe, die er mit dem Vater und dem Heiligen Geist gemeinsam hat, die aber doch nur in ihm, als in dem fleischgewordenen Wort, uns durch einen hinfälligen und gebrechlichen Menschenleib geoffenbart wird, denn „in ihm wohnt alle Fülle der Gottheit in leiblicher Einwohnung.“ [52] Sinnbild ist es außerdem jener brennenden Liebe, die, in seine Seele eingegossen, den menschlichen Willen Christi bereichert, und deren Akte von einem doppelten ganz vollkommenen Wissen, dem der seligen Schau und dem eingegebenen oder eingegossenen, erleuchtet und geleitet werden. [53] Endlich – und zwar in mehr natürlicher und unmittelbarer Art – ist es auch Sinnbild der sinnenfälligen Regung, da der Leib Jesu Christi, im Schoße der Jungfrau Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes gebildet, die vollkommenste Fähigkeit des Empfindens und Wahrnehmens besitzt, mehr sogar als jeder andere Menschenleib. [54]

Die Heiligen Schriften und die zuständigen Urkunden des katholischen Glaubens lehren uns also, daß in der hochheiligen Seele Jesu Christi die höchste Übereinstimmung und Eintracht herrscht und daß er seine dreifache Liebe offensichtlich auf das Ziel unserer Erlösung hingelenkt hat. Damit ist gegeben, daß wir mit vollem Recht das Herz des göttlichen Erlösers als bezeichnendes Bild seiner Liebe und als Zeugen unserer Erlösung betrachten und verehren können, wie auch als geheimnisvolle Himmelsleiter, auf der wir aufsteigen zur Umarmung „Gottes, unseres Erlösers“ [55] . Seine Worte und Handlungen, seine Weisungen und Wundertaten, und besonders jene seiner Werke, die eindringlicher seine Liebe zu uns bezeugen – wie die göttliche Einsetzung der Eucharistie, sein bitteres Leiden und Sterben, seine uns gütig geschenkte heiligste Mutter, die für uns gegründete Kirche und endlich der den Aposteln und uns gesandte Heilige Geist – alles dies, sagen Wir, sollen wir bewundern als Beweise seiner dreifachen Liebe. Ebenso sollen wir mit liebender Seele die Schläge seines heiligsten Herzens betrachten, mit denen er gleichsam die Zeit seiner irdischen Wanderschaft abzumessen schien, bis zu jenem letzten Augenblick, in dem er, wie die Evangelisten bezeugen, „mit lauter Stimme rief: Es ist vollbracht, sein Haupt neigte und den Geist aufgab.“ [56] Da stand der Schlag seines Herzens still; seine fühlbare Liebe wurde unterbrochen, bis er selbst im Triumph über den Tod aus dem Grabe erstand. Nachdem aber sein Leib, in den Zustand immerwährender Herrlichkeit eingetreten, wiederum mit der Seele des göttlichen Erlösers, des Siegers über den Tod, vereinigt war, hörte sein heiligstes Herz nie mehr auf, noch wird es jemals aufhören, sich in unerschütterlich friedlichem Schlag zu bewegen, und es wird gleichfalls nie ablassen, seine dreifache Liebe kundzugeben, durch die der Sohn Gottes verbunden ist mit seinem himmlischen Vater und mit der Gesamtheit der Menschen, deren mystisches Haupt er mit vollem Recht ist.




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