Mystici corporis DE


PIUS XII.

ENZYKLIKA

MYSTICI CORPORIS CHRISTI

AN DIE EHRWÜRDIGEN BRÜDER, DIE PATRIARCHEN, PRIMATEN,

ERZBISCHÖFE, BISCHÖFE UND DIE ANDEREN OBERHIRTEN,

DIE IN FRIEDEN UND GEMEINSCHAFT

MIT DEM APOSTOLISCHEN STUHLE LEBEN

ÜBER DEN MYSTISCHEN LEIB CHRISTI

EHRWÜRDIGE BRÜDER,

GRUSS UND APOSTOLISCHEN SEGEN!

EINLEITUNG

Über den mystischen Leib Christi, der die Kirche ist (Kol l, 24), hat uns zuerst das Wort des Erlösers selbst unterrichtet. Durch diese Lehre wird die große, nie genug gepriesene Huld unserer innigen Verbindung mit einem so erhabenen Haupte in das rechte Licht gestellt. Es handelt sich also gewiß um eine Angelegenheit, die durch ihre Wichtigkeit und Würde alle Menschen, die sich von Gottes Geist führen lassen, zur Betrachtung einlädt, sie erleuchtet und dadurch in hohem Maße anspornt zu jenen heilbringenden Werken, die solchen Weisungen entsprechen. Wir halten es daher für Unsere Aufgabe, hierüber in diesem Rundschreiben mit euch zu sprechen, indem Wir davon vor allem das herausstellen und darlegen, was die streitende Kirche betrifft. Dazu bestimmt Uns nicht nur die außergewöhnliche Erhabenheit dieser Wahrheit selbst, sondern auch unsere gegenwärtige Zeitlage.

Wir beabsichtigen, vom Reichtum zu reden, der im Schoße der Kirche ruht, die Christus mit Seinem Blute erworben hat (Ac 20,28 Ac 20,3) und deren Glieder sich ihres dornenumkrönten Hauptes rühmen. Dies ist ein leuchtendes Zeugnis dafür, daß alles Herrliche und Hohe nur aus dem Leid geboren wird, und daß wir uns sogar freuen sollen, wenn wir an Christi Leiden teilnehmen dürfen, damit wir auch bei der Offenbarung Seiner Herrlichkeit uns freuen und frohlocken können (l Petr 4, 13). Zunächst ist dies zu bedenken: wie der Erlöser des Menschengeschlechtes von denen, deren Heil zu wirken Er auf sich genommen hatte, mit Nachstellungen, Verleumdungen und Qualen überhäuft wurde, so muß die von Ihm gegründete Gemeinschaft auch hierin ihrem göttlichen Stifter ähnlich werden. Zwar leugnen Wir nicht, ja bekennen vielmehr mit Dank gegen Gott, daß es auch in unserer verworrenen Zeit nicht wenige gibt, die, obgleich getrennt von der Herde Jesu Christi, dennoch auf die Kirche wie auf den einzigen Port des Heiles schauen. Aber Wir wissen auch, daß die Kirche Gottes verachtet und hochmütig und feindselig geschmäht wird, nicht nur von solchen, die das Licht der christlichen Weisheit ablehnen und einer erbärmlichen Rückkehr zu den Lehren, Sitten und Einrichtungen einer heidnischen Vorzeit das Wort reden. Sie begegnet vielfach Verkennung, Gleichgültigkeit und selbst einem gewissen Überdruß und Abscheu auch bei vielen Christen, die sich durch den blendenden Schein des Irrtums bestricken oder von den Verlockungen und Verführungen der Welt umgarnen lassen. Wir haben daher allen Grund, Ehrwürdige Brüder, aus Gewissenspflicht und um den Wünschen vieler zu willfahren, die Schönheit, Erhabenheit und Herrlichkeit unserer Mutter, der Kirche, der wir nächst Gott alles verdanken, allen vor Augen zu stellen und sie zu preisen.

Es ist zu hoffen, daß diese Unsere Weisungen und Mahnungen in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen bei den Christgläubigen reiche Früchte bringen. Denn Wir wissen, wenn das namenlose Weh und Leid dieser sturmbewegten Zeit, das schier unzählbare Menschen aufs bitterste heimsucht, wie aus Gottes Hand in stiller Ergebung hingenommen wird, dann lenkt es wie mit Naturgewalt das Herz der Leidenden vom irdisch Vergänglichen weg dem Himmlischen und ewig Bleibenden zu, und erweckt in ihnen einen geheimen Durst und ein dringendes Verlangen nach den geistlichen Dingen. Unter dem Wirken des göttlichen Geistes fühlen sie sich angeregt und gedrängt, eifriger das Reich Gottes zu suchen. Je mehr nämlich die Menschen von den Nichtigkeiten dieser Welt und von der ungeordneten Liebe zum Diesseits losgelöst werden, desto mehr werden sie fähig zum Erfassen des Lichtes überirdischer Geheimnisse. Nun zeigt sich aber heute vielleicht deutlicher denn je die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, da Reiche und Staaten stürzen, da ungeheure Werte und Reichtümer aller Art auf den weiten Weltmeeren versenkt, da Städte, Festungen und fruchtbare Gefilde zu grausigen Ruinen zerschlagen und durch Brudermord befleckt werden.

Wir hoffen außerdem, es werde auch für jene, die vom Schoße der katholischen Kirche getrennt sind, nicht ungelegen noch unnütz sein, was Wir nun über den mystischen Leib Jesu Christi darlegen wollen. Und dies nicht bloß deshalb, weil ihr Wohlwollen gegen die Kirche täglich zu wachsen scheint, sondern auch aus folgendem Grunde: wenn sie wahrnehmen, wie gegenwärtig Volk gegen Volk und Reich gegen Reich sich erhebt und wie Zwietracht und Mißgunst, wie der Same der Feindschaft ins Ungemessene wachsen; wenn sie dann ihr Auge auf die Kirche richten und ihre gottgegebene Einheit betrachten - wodurch alle Menschen jedweder Abstammung in brüderlichem Bunde mit Christus vereint sind -, dann werden sie sich wahrlich genötigt sehen, eine solche Gemeinschaft der Liebe zu bewundern und unter der Anregung und Hilfe der Gnade sich angezogen fühlen, an dieser Einheit und Liebe teilzuhaben. Wir sehen noch einen Uns besonders lieben Anlaß, weshalb gerade diese Wahrheit Uns in den Sinn kommt und Uns mit hoher Freude erfüllt. Im vergangenen Jahr, dem fünfundzwanzigsten seit Unserer Bischofsweihe, erlebten Wir zu Unserem großen Trost etwas, was das Bild des mystischen Leibes Jesu Christi in allen Teilen der Welt hellstrahlend aufleuchten ließ. Während nämlich der todbringende, lange Krieg die brüderliche Gemeinschaft der Völker jämmerlich zerbrochen hatte, sahen Wir allenthalben unsere Söhne in Christo in einmütiger Gesinnung und Liebe ihr Herz zum gemeinsamen Vater erheben, der mit den Kümmernissen und Sorgen aller beladen in so stürmischer Zeit das Steuer der katholischen Kirche zu führen hat. Hierin erblicken Wir nicht nur ein Zeugnis für die wunderbare Einheit der Christengemeinschaft, sondern auch für folgende Tatsache: gleichwie Wir alle Völker jeglicher Nation mit Vaterliebe umfangen, so schauen die Katholiken von überall her, obgleich ihre Völker untereinander im Kampfe stehen, zum Vertreter Jesu Christi wie zum Vater auf, der alle liebt, der von völlig unparteilichem und unbestechlichem Urteil geleitet über den aufgewühlten Wogen der menschlichen Wirren steht, der die Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe empfiehlt und nach Kräften vertritt.

Ein nicht geringerer Trost war es für Uns, zu erfahren, daß aus freiwilligen, lieben Gaben ein Beitrag gesammelt wurde, damit sich in Rom ein Heiligtum erheben könne zu Ehren Unseres heiligen Vorgängers und Namenspatrons Eugen I. Wie diese Kirche, durch den Willen und die Spenden aller Christgläubigen errichtet, das Andenken an dieses Festjahr verewigen soll, so wünschen Wir Unserer Dankbarkeit durch dieses Rundschreiben bleibenden Ausdruck zu verleihen; handelt es doch von jenen lebendigen Bausteinen, die auf dem lebendigen Eckstein, der Christus ist, mitauferbaut werden zu einem heiligen Tempel, weit erhabener als jeglicher Tempel von Menschenhand, zu einer Wohnung Gottes im Geiste (Ep 2,21 Ep 2,22 l Petr Ep 2,5).

Der Hauptgrund aber, weswegen Wir jetzt diese erhabene Lehre einigermaßen ausführlich behandeln wollen, ist Unsere Hirtensorge. Wohl ist vieles hierüber veröffentlicht worden, und es ist Uns nicht unbekannt, daß heute nicht wenige mit Eifer und Hingabe sich mit diesem Gedanken beschäftigen, der auch die christliche Frömmigkeit so sehr anzieht und fördert. Dies ist, wie es scheint, vorab darauf zurückzuführen, daß ein erneuertes Verständnis für die heilige Liturgie, der sich durchsetzende häufigere Empfang des eucharistischen Mahles und schließlich die heute so erfreuliche, innigere Verehrung des heiligsten Herzens Jesu viele zu einer tieferen Betrachtung der unerforschlichen Reichtümer Christi geführt haben, die in der Kirche hinterlegt sind. Dazu kommt, daß die neuerlichen Veröffentlichungen über die Katholische Aktion, die ja die Bande zwischen den Christen untereinander und mit der kirchlichen Hierarchie, besonders mit dem Bischof von Rom, immer enger knüpfen, zweifellos nicht wenig beitrugen, um die Frage gebührend zu beleuchten. Dürfen Wir uns jedoch über diese Tatsachen auch mit gutem Grunde freuen, so sind trotzdem nicht nur bei den von der wahren Kirche Getrennten schwere Irrtümer über diese Lehre verbreitet, sondern es zeigen sich unleugbar auch bei den Christgläubigen weniger richtige oder ganz verfehlte Ansichten, die vom rechten Wege der Wahrheit abziehen können.

Während nämlich auf der einen Seite noch immer ein falscher Rationalismus alles, was menschliche Geisteskraft übersteigt und hinter sich läßt, für sinnlos betrachtet; während ein diesem verwandter Irrtum, ein flacher Naturalismus, in der Kirche Christi nichts anderes sieht noch sehen will als ein rein rechtliches und gesellschaftliches Band, schleicht sich auf der anderen Seite ein falscher Mystizismus ein, der die unverrückbaren Grenzen zwischen Geschöpf und Schöpfer zu beseitigen sucht und die Heilige Schrift mißdeutet.

Infolge dieser entgegengesetzten, einander widersprechenden und falschen Auffassungen halten manche aus ganz unbegründeter Furcht eine solch tiefere Lehre für gefährlich, ja erschrecken vor ihr wie vor einem schönen, aber verbotenen Paradiesapfel. Das ist unberechtigt; denn von Gott geoffenbarte Geheimnisse können dem Menschen nicht verderblich sein, noch dürfen sie, gleich dem verborgenen Schatz im Acker, unfruchtbar bleiben. Sie sind uns vielmehr dazu von Gott geschenkt, damit sie durch ehrfurchtsvolle Betrachtung zum geistlichen Fortschritt beitragen. So lehrt ja das Vatikanische Konzil: "Die vom Glauben erleuchtete Vernunft vermag durch eifrige, ehrfürchtige und bescheidene Erwägung mit Gottes Gnade eine gewisse Einsicht in die Geheimnisse zu gewinnen, und zwar eine überaus fruchtbare, auf Grund von Ähnlichkeiten im Bereich der natürlichen Erkenntnisse sowie aus dem Zusammenhang der Geheimnisse untereinander und mit dem letzten Ziel des Menschen." Freilich wird die Vernunft, so betont das gleiche Konzil, "niemals fähig, dieselben so zu durchdringen wie die Wahrheiten, die den ihr eigenen Erkenntnisgegenstand ausmachen" (Sessio III: Const. de fide cath., c. 4).

Damit also die erhebende Schönheit der Kirche in neuer Herrlichkeit erstrahle; damit der unvergleichliche, übernatürliche Adel der Gläubigen, die im Leibe Christi mit ihrem Haupte verbunden sind, lichtvoller zutage trete; damit endlich den vielfachen Irrtümern hierüber jedweder Zugang verschlossen werde, hielten Wir es nach reiflicher Überlegung vor Gott für Unsere Hirtenpflicht, der gesamten Christenheit durch dieses Rundschreiben die Lehre über den mystischen Leib Jesu Christi und über die Verbindung der Gläubigen in diesem Leibe mit dem göttlichen Erlöser vorzulegen und zugleich aus dieser anziehenden Lehre einige Punkte hervorzuheben, die ein tieferes Verständnis des Geheimnisses und dadurch immer reichere Früchte der Vollkommenheit und Heiligkeit bewirken mögen.



ERSTER TEIL

DIE KIRCHE UND DER MYSTISCHE LEIB CHRISTI

Der Betrachtung dieser Lehre bietet sich zunächst das Apostelwort dar: "Als die Sünde übergroß geworden war, wurde die Gnade noch überwältigender (Rm 5,20). Der Stammvater des ganzen Menschengeschlechtes war, wie bekannt, von Gott in einen so erhabenen Stand versetzt, daß er in seinen Nachkommen zugleich mit dem irdischen auch das überirdische Leben der himmlischen Gnade vermitteln sollte. Aber nach dem traurigen Falle Adams verlor die gesamte Menschenfamilie, von der Erbschuld angesteckt, die Teilnahme an der göttlichen Natur (2 Petr l, 4), so daß wir alle Kinder des Zornes wurden (Ep 2,3). Doch der erbarmungsreiche Gott "hat so sehr die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn hingab" (Jn 3,16), und das Wort des Ewigen Vaters hat mit der gleichen göttlichen Liebe aus der Nachkommenschaft Adams eine menschliche Natur angenommen, freilich eine sündenlose und von jeder Makel freie, damit von dem neuen, himmlischen Adam die Gnade des Heiligen Geistes auf alle Kinder des Stammvaters niederströme. Diese waren durch die Sünde des ersten Menschen der göttlichen Kindschaft verlustig gegangen. Jetzt aber sollten sie durch das menschgewordene Wort, dem Fleische nach Brüder des eingeborenen Sohnes Gottes geworden, die Macht erlangen, Kinder Gottes zu werden (Joh l, 12). So hat denn Christus durch seinen Tod am Kreuze nicht bloß der verletzten Gerechtigkeit des Ewigen Vaters Genüge getan, sondern Er hat uns als Seinen Brüdern zugleich eine unaussprechliche Fülle von Gnaden verdient. Diese hätte Er selbst unmittelbar dem gesamten Menschengeschlecht zuteilen können; Er wollte es aber tun durch die sichtbare Kirche, zu der die Menschen sich vereinigen sollten, damit so bei der Verteilung der göttlichen Erlösungsfrüchte alle Ihm gewissermaßen Helferdienste leisten könnten. Wie nämlich das Wort Gottes unsere Natur gebrauchen wollte, um durch seine Schmerzen und Peinen die Menschen zu erlösen, so gebraucht Es ähnlicherweise im Laufe der Jahrhunderte die Kirche, um dem begonnenen Werk Dauer zu verleihen (Conc. Vat., Const. de ).

Bei einer Wesenserklärung dieser wahren Kirche Christi, welche die heilige, katholische, apostolische, römische Kirche ist (ebd., Const. de fid. cath., Kap. 1), kann nichts Vornehmeres und Vorzüglicheres, nichts Göttlicheres gefunden werden als jener Ausdruck, womit sie als "der mystische Leib Jesu Christi" bezeichnet wird. Dieser Name ergibt sich und erblüht gleichsam aus dem, was in der Heiligen Schrift und in den Schriften der heiligen Väter häufig darüber vorgebracht wird.


DIE KIRCHE IST EIN «LEIB»

Daß die Kirche ein Leib ist, sagen die Heiligen Bücher des öfteren "Christus ist das Haupt des Leibes der Kirche" (Kol l, 18). Wenn aber die Kirche ein Leib ist, so muß sie etwas Einziges und Unteilbares sein nach dem Worte des heiligen Paulus: "Viele zwar, bilden wir doch nur einen Leib in Christus" (Rm 12,5). Doch nicht bloß etwas Einziges und Unteilbares muß sie sein, sondern auch etwas Greifbares und Sichtbares, wie Unser Vorgänger sel. Anged. Leo XIII. in seinem Rundschreiben Satis cognitum feststellt: "Deshalb, weil sie ein Leib ist, wird die Kirche mit den Augen wahrgenommen" (A.S.S., XXVIII, S. 710). Infolgedessen weicht von der göttlichen Wahrheit ab, wer die Kirche so darstellt, als ob sie weder erfaßt noch gesehen werden könnte; als ob sie, wie man behauptet, nur etwas "Pneumatisches" wäre, wodurch viele christliche Gemeinschaften, obgleich voneinander im Glauben getrennt, doch durch ein unsichtbares Band untereinander vereint wären.

Aber ein Leib verlangt auch eine Vielheit von Gliedern, die so untereinander verbunden sein müssen, daß sie sich gegenseitig Hilfe leisten. Und gleichwie in unserem sterblichen Leib, wenn ein Glied leidet, alle andern mitleiden und die gesunden Glieder den kranken zu Hilfe kommen, so leben auch in der Kirche die einzelnen Glieder nicht einzig für sich, sondern unterstützen auch die andern, und alle leisten sich gegenseitig Hilfsdienste zu gegenseitigem Trost, wie besonders zum weiteren Aufbau des ganzen Leibes.

Wie außerdem in der Natur ein Leib nicht aus einer beliebigen Zusammensetzung von Gliedern entsteht, sondern mit Organen ausgestattet sein muß, das heißt mit Gliedern, die verschiedene Aufgaben haben und die in geeigneter Ordnung zusammengesetzt sind, so muß die Kirche hauptsächlich deshalb ein Leib genannt werden, weil sie aus einer organischen Verbindung von Teilen erwächst und mit verschiedenen, aufeinander abgestimmten Gliedern versehen ist. Nicht anders beschreibt der Apostel die Kirche, wenn er sagt: "Gleichwie ... wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder den gleichen Dienst verrichten, so sind wir viele ein Leib in Christus, die einzelnen aber untereinander Glieder" (Rm 12,4).

Man darf jedoch nicht glauben, dieser organische Aufbau des Leibes der Kirche beziehe und beschränke sich allein auf die Stufenfolge der kirchlichen Ämter, noch auch, wie eine entgegengesetzte Meinung behauptet, sie bestehe einzig aus Charismatikern, wenngleich solche mit wunderbaren Gaben ausgestattete Menschen niemals in der Kirche fehlen werden. Gewiß ist unbedingt festzuhalten, daß die mit heiliger Vollmacht in diesem Leibe Betrauten dessen erste und vorzügliche Glieder sind, da durch sie in Kraft der Sendung des göttlichen Erlösers selbst die Ämter Christi, des Lehrers, Königs und Priesters für immer fortgesetzt werden. Aber mit vollem Recht haben die Kirchenväter, wenn sie die Dienstleistungen, Stufen, Berufe, Stellungen, Ordnungen und Ämter dieses Leibes hervorheben, nicht nur jene vor Augen, die heilige Weihen empfangen haben, sondern auch alle jene, die nach Übernahme der evangelischen Räte ein tätiges Leben unter den Menschen oder ein in der Stille verborgenes führen, oder auch beides je nach ihrer besonderen Verfassung zu verwirklichen trachten; ferner jene, die, obgleich in der Welt lebend, doch sich eifrig in Werken der Barmherzigkeit betätigen, um andern seelische oder leibliche Hilfe zu leisten; endlich auch jene, die in keuscher Ehe vermählt sind. Ja, es ist zu beachten, daß zumal in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen, die Familienväter und -mütter, auch die Taufpaten und namentlich jene, die als Laien zur Ausbreitung des Reiches Christi der kirchlichen Hierarchie hilfreiche Hand bieten, einen ehrenvollen, wenn auch oft unansehnlichen Platz in der christlichen Gemeinschaft einnehmen, ja daß auch sie mit Gottes Huld und Hilfe zur höchsten Heiligkeit aufsteigen können, die gemäß den Verheißungen Jesu Christi niemals in der Kirche fehlen wird.

Wie aber der menschliche Leib offensichtlich mit eigenen Werkzeugen ausgerüstet ist, mit denen er für das Leben, die Gesundheit und das Wachstum seiner selbst und der einzelnen Glieder sorgen kann, so hat der Heiland der Menschen in seiner unendlichen Güte wunderbar für seinen mystischen Leib vorgesorgt, indem Er ihn mit Sakramenten bereicherte, um dadurch die Glieder gleichsam in ununterbrochener Gnadenfolge von der Wiege bis zum letzten Atemzuge zu erhalten und zugleich für die sozialen Bedürfnisse des ganzen Leibes reichlich zu sorgen. Durch das Bad der Taufe werden die in dieses sterbliche Leben Geborenen nicht nur aus dem Tode der Sünde wiedergeboren und zu Gliedern der Kirche gemacht, sondern auch mit einem geistlichen Merkmal gezeichnet und dadurch befähigt und instand gesetzt, die übrigen heiligen Sakramente zu empfangen. Durch die Salbung der Firmung wird den Gläubigen neue Kraft verliehen, daß sie die Mutter Kirche und den Glauben, den sie von ihr erhielten, tapfer schützen und verteidigen. Durch das Sakrament der Buße wird den Gliedern der Kirche, die in Sünde fielen, ein wirksames Heilmittel geboten, womit nicht nur für deren eigenes Heil gesorgt, sondern zugleich von den ändern Gliedern des mystischen Leibes die Gefahr der Ansteckung ferngehalten und ihnen überdies ein Ansporn und ein Tugendbeispiel gegeben wird. Doch noch nicht genug: durch die heilige Eucharistie werden die Gläubigen mit einem und demselben Mahle genährt und gestärkt, sowie untereinander und mit dem göttlichen Haupte des ganzen Leibes durch ein unaussprechliches, göttliches Band geeint. Und zuletzt steht die liebevolle Mutter Kirche dem Todkranken bei, um ihm durch das heilige Sakrament der Ölung, wenn Gott will, die Genesung dieses sterblichen Leibes zu spenden; wenn nicht, so doch der wunden Seele ein himmlisches Heilmittel zu reichen und so dem Himmel neue Bürger und sich selbst neue Anwälte zu schenken, die Gottes Güte für ewig genießen.

Für die sozialen Bedürfnisse der Kirche hat Christus sodann durch zwei von ihm eingesetzte Sakramente noch in besonderer Weise Sorge getragen. Durch die Ehe, in welcher die Brautleute sich gegenseitig Spender der Gnade sind, wird die äußere und geordnete Zunahme der christlichen Gemeinschaft und, was noch wichtiger ist, die rechte religiöse Kindererziehung gewährleistet, ohne die der mystische Leib aufs schwerste bedroht wäre. Durch die heilige Priesterweihe aber werden jene Gott völlig zum Dienste geweiht, welche die eucharistische Hostie opfern, die Schar der Gläubigen mit dem Brote der Engel und mit der Speise der Lehre nähren, sie mit den göttlichen Geboten und Räten leiten und mit den übrigen himmlischen Gaben stärken sollen.

Dabei ist dies zu bedenken: wie Gott zu Beginn der Zeit den Menschen mit einer überaus reichen körperlichen Ausstattung bedachte, kraft deren er die Schöpfung sich unterwerfen und sich vermehrend die Erde erfüllen sollte, so hat Er am Anfang des christlichen Zeitalters die Kirche mit den nötigen Mitteln ausgestattet, daß sie nach Überwindung schier unzähliger Gefahren nicht nur den ganzen Erdkreis, sondern auch den Himmel erfülle.

Den Gliedern der Kirche aber sind in Wahrheit nur jene zuzuzählen, die das Bad der Wiedergeburt empfingen, sich zum wahren Glauben bekennen und sich weder selbst zu ihrem Unsegen vom Zusammenhang des Leibes getrennt haben, noch wegen schwerer Verstöße durch die rechtmäßige kirchliche Obrigkeit davon ausgeschlossen worden sind. "Denn - so sagt der Apostel - durch einen Geist wurden wir alle zu einem Leibe getauft, ob Juden oder Heiden, ob Sklaven oder Freie" (l Kor 12, 13). Wie es also in der wahren Gemeinschaft der Christgläubigen nur einen Leib gibt, nur einen Geist, einen Herrn und eine Taufe, so kann es auch nur einen Glauben in ihr geben (Ep 4,5); und deshalb ist, wer die Kirche zu hören sich weigert, nach dem Gebot des Herrn als Heide und öffentlicher Sünder zu betrachten (Mt 18,17). Aus diesem Grunde können die, welche im Glauben oder in der Leitung voneinander getrennt sind, nicht in diesem einen Leib und aus seinem einen göttlichen Geiste leben.

Es wäre aber auch falsch zu glauben, daß der Leib der Kirche deshalb, weil er den Namen Christi trägt, schon hienieden, zur Zeit seiner irdischen Pilgerschaft nur aus heiligmäßigen Gliedern oder nur aus der Schar derer bestehe, die von Gott zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt sind. In seiner unendlichen Barmherzigkeit versagt nämlich unser Heiland in seinem mystischen Leib auch denen den Platz nicht, welchen Er ihn einst beim Gastmahl nicht versagte (Mt 9,11 Mk Mc 2,16 Lk Lc 15,2). Denn nicht jede Schuld, mag sie auch ein schweres Vergehen sein, ist dergestalt, daß sie, wie dies die Folge der Glaubensspaltung, des Irrglaubens und des Abfalls vom Glauben ist, ihrer Natur gemäß, den Menschen vom Leib der Kirche trennt. Auch gehen die nicht allen übernatürlichen Lebens verlustig, die zwar durch ihre Sünde die Liebe und heiligmachende Gnade verloren haben und deswegen unfähig geworden sind zu übernatürlichem Verdienst, die aber den Glauben und die christliche Hoffnung bewahren und durch himmlisches Licht erleuchtet, durch die Einsprechungen und inneren Antriebe des Heiligen Geistes zu heilsamer Furcht gebracht und zum Gebet und zur Reue über ihren Fall angespornt werden.

So möge denn jeder vor der Sünde zurückschrecken, da durch sie die mystischen Glieder des Erlösers befleckt werden; wer aber das Unglück gehabt hat zu sündigen, ohne sich durch Verstocktheit der Gemeinschaft der Christgläubigen unwürdig gemacht zu haben, dem soll man mit größtem Wohlwollen begegnen und in ihm in echter Liebe nichts anderes sehen als ein krankes Glied Jesu Christi. Es ist nämlich besser, wie der Bischof von Hippo bemerkt, "im Lebenszusammenhang mit der Kirche geheilt, als aus ihrem Körper als unheilbares Glied ausgeschnitten zu werden" (August., Epist., CLVII, 3, 22: Migne, P.L., XXXIII, 686). "Denn was noch mit dem Leibe zusammenhängt, an dessen Heilung braucht man nicht zu verzweifeln; was aber abgeschnitten ist, kann nicht mehr gepflegt und geheilt werden" (August., Senn., CXXXVII, l: Migne, P.L., XXXVIII, 754).

DIE KIRCHE IST DER «LEIB CHRISTI»

Aus den bisherigen Erklärungen sehen wir, Ehrwürdige Brüder, daß die Kirche derart gestaltet ist, daß man sie einem Leibe vergleichen kann; nunmehr müssen wir deutlich und genau darlegen, warum sie nicht ein beliebiger Leib, sondern der Leib Jesu Christi genannt werden muß. Das aber geht daraus hervor, daß unser Herr Schöpfer, Haupt, Erhalter und Erlöser dieses mystischen Leibes ist.

Während Wir in Kürze auseinandersetzen wollen, auf welche Weise Christus den Leib Seiner Gemeinschaft gebildet hat, bietet sich Uns zu Beginn folgender Ausspruch Leos XIII., Unseres Vorgängers sel. Ang., dar: "Die Kirche, die bereits vorher empfangen, aus der Seite des zweiten, am Kreuze gleichsam schlummernden Adam hervorgegangen war, trat zum erstenmal in erkennbarer Weise ans Licht der Welt am hochheiligen Pfingstfest" (Leo XIII. Divinum Illud.:A.S.S., XXIX, S. 649). Der göttliche Erlöser begann nämlich den Bau des mystischen Tempels seiner Kirche damals, als Er predigend seine Gebote verkündete. Er vollendete ihn dann, als Er verherrlicht am Kreuze hing, und offenbarte und übergab ihn schließlich der Öffentlichkeit, als Er seinen Jüngern in sichtbarer Weise den Heiligen Geist als Tröster sandte.

Während Er nämlich das Amt des Predigers ausübte, wählte Er die Apostel und sandte sie aus, wie Er selber vom Vater gesandt war (Jn 17,18), als Lehrer, als Lenker und als Spender der Heiligkeit inmitten der Gläubigen. Er bestimmte ihr Haupt und seinen Stellvertreter auf Erden (Mt 16,18-19), offenbarte ihnen alles, was Er vom Vater gehört hatte (Jn 15,15 Jn 17, 8, Jn 14), ordnete die Taufe an (Jn 3,5), durch welche die Gläubigen dem Leibe der Kirche eingegliedert werden sollten. Schließlich, am Abend seines Lebens angelangt, setzte Er die heilige Eucharistie als wunderbares Opfer und wunderbares Sakrament ein.

Daß Christus sein Werk am Kreuzesstamme vollendet hat, versichern in ununterbrochener Reihenfolge die Zeugnisse der heiligen Väter, die darauf hinweisen, daß die "Kirche am Kreuz aus der Seite des Erlösers geboren worden sei als neue Eva und Mutter aller Lebendigen (Gn 3,20). Wo der große Ambrosius von der durchbohrten Seite Christi spricht, führt er aus: "Jetzt wird sie gebaut, jetzt gestaltet, jetzt ... gebildet, und jetzt erschaffen. ... Jetzt erhebt sich der geistliche Bau zum heiligen Priestertum" (Ambros., In Luc. 2, 87: Migne, P.L. XV, 1585). Wer in diese verehrungswürdige Lehre frommen Sinnes eindringt, wird leicht die Gründe erkennen, auf die sie sich stützt.

Fürs erste nämlich folgte auf den durch den Tod des Erlösers aufgehobenen Alten Bund der Neue. Damals wurde das Gesetz Christi mit Seinen Geheimnissen, Satzungen, Einrichtungen und heiligen Bräuchen für den ganzen Erdkreis im Blute Christi besiegelt. Denn während der göttliche Erlöser noch in den engen Grenzen seines Landes predigte - Er war ja nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (Mt 15,24) - liefen Gesetz und Evangelium nebeneinander her (S. Thom., I-II, p. 103, a. 3, ad 2). Doch am Stamme des Kreuzes hob Jesus durch seinen Tod das Gesetz mit seinen Vorschriften auf (Ep 2,15), heftete den Schuldschein des Alten Bundes ans Kreuz (Col 2,14) und gründete in seinem Blute, das Er für das gesamte Menschengeschlecht vergoß, den Neuen Bund (Mt 26,28 l Kor Mt 11,25). "Derart augenscheinlich", so sagt der heilige Leo der Große, wo er vom Kreuze des Herrn spricht, "wurde der Übergang vom Gesetz zum Evangelium, von der Synagoge zur Kirche, von der Vielfalt der Opfer zum einzigen Opfer bewerkstelligt, daß, als unser Herr seinen Geist aufgab, jener geheimnisvolle Vorhang, der das verborgene, innerste Heiligtum, des Tempels abschloß, plötzlich gewaltsam, von oben bis unten zerriß" (Leo M., Sem., LXVIII 3: Migne, P.L. LIV, 374).

Am Kreuze also starb das alte Gesetz, das bald begraben und todbringend werden sollte (Hier. et August., Epist. CXLI, 14 ; CXVI, 16: Migne, P.L. XXII, 924 ; 943; S. Thom., I-II,q. 103, a. 3 ad 2; a. 4 ad l; Concil. Flor., pro lacob.: Mansi. XXXI, 1738), um dem Neuen Bund Platz zu machen, zu dessen geeigneten Dienern Christus die Apostel erwählt hatte (2Co 3,6). In der Kraft des Kreuzes übt unser Heiland, obwohl schon im Schoße der Jungfrau zum Haupt der gesamten Menschenfamilie bestellt, das Amt des Hauptes in seiner Kirche in vollem Umfang aus. "Denn durch den Sieg des Kreuzes verdiente Er sich", nach der Ansicht des engelgleichen, allgemeinen Lehrers, "die Macht und Herrschaft über die Völker" (S. Thom., III, q. 42, a. 1). Durch diesen Sieg vermehrte Er für uns ins unermeßliche jenen Gnadenschatz, den Er glorreich im Himmel regierend seinen sterblichen Gliedern unaufhörlich austeilt. Durch sein am Kreuze vergossenes Blut beseitigte Er das Hemmnis des göttlichen Zornes, so daß aus den Quellen des Heilandes alle Gaben des Himmels, zumal die heiligen Sakramente des Neuen und Ewigen Bundes, zum Heile der Menschen, besonders der Gläubigen, erfließen konnten. Am Kreuzesbaum erkaufte Er sich schließlich seine Kirche, das heißt alle Glieder seines geheimnisvollen Leibes, die durch das Bad der Taufe diesem mystischen Leibe einzig eingegliedert werden konnten durch die heilbringende Kraft des Kreuzes, an dem sie schon in vollstem Maße Christus zu eigen geworden waren.

Wenn nun unser Erlöser durch seinen Tod im Vollsinn des Wortes Haupt der Kirche geworden ist, dann wurde der Kirche auch durch sein Blut die Fülle des Heiligen Geistes mitgeteilt, durch die sie seit der Erhebung und Verherrlichung des Menschensohnes am Kreuze auf göttliche Weise erleuchtet wird. Bis dahin nämlich, so bemerkt Augustinus (De pecc. orig., XXV. 29: Migne, P.L. XLIV, 400), war der Gnadentau des Trösters nur auf Gedeons Vlies, das heißt auf das Volk Israel, herabgestiegen. Jetzt aber, als der Tempelvorhang zerriß, überströmte er in reicher Fülle, während das Vlies trocken und verlassen blieb, die gesamte Erde, das heißt die katholische Kirche, die durch keine Schranken weder der Stammes- noch der Landeszugehörigkeit begrenzt werden sollte. Wie also im ersten Augenblick der Menschwerdung der Sohn des Ewigen Vaters die mit Ihm wesensvereinigte Menschennatur mit dem Vollmaß des Heiligen Geistes ausstattete, damit sie ein geeignetes Werkzeug der Gottheit beim blutigen Erlösungswerk würde, so wollte Er in der Stunde seines kostbaren Todes seine Kirche durch reichere Gäben des Trösters bereichert sehen, damit sie beim Austeilen der göttlichen Erlösungsfrüchte ein fähiges, niemals versagendes Werkzeug des fleischgewordenen Wortes würde. Die rechtliche Sendung der Kirche nämlich und ihre Befugnis zu lehren, zu leiten und die Sakramente zu spenden, besitzen deshalb die himmlische Kraft und Gewalt, Christi Leib aufzubauen, weil Christus Jesus am Kreuz seiner Kirche den Quell göttlicher Gaben eröffnete. So ward sie instandgesetzt, den Menschen eine stets unfehlbare Lehre zu künden, sie durch die von Gott erleuchteten Hirten heilbringend zu leiten und mit himmlischen Gnaden zu überschütten.

Wenn wir alle diese Geheimnisse des Kreuzes aufmerksam betrachten, sind uns die Worte des Apostels an die Epheser nicht mehr dunkel, Christus habe durch sein Blut die Juden und die Heiden vereint, "da Er in seinem Fleische die Scheidewand niederriß", die beide Völker trennte; Er habe zugleich das Alte Gesetz aufgehoben, "um aus den zweien in seiner Person einen neuen Menschen zu schaffen", das heißt die Kirche, "und beide in einem Leibe mit Gott zu versöhnen durch sein Kreuz" (Eph 2,l4-16).

So hatte Er also die Kirche durch sein Blut gegründet. Am Pfingstfeste aber stärkte Er sie mit der ihr eigenen Kraft vom Himmel. Denn als Er den schon früher zu seinem Stellvertreter bestimmten Apostelfürsten feierlich in sein erhabenes Amt eingesetzt hatte, war Er zum Himmel gefahren und wollte nunmehr, sitzend zur Rechten des Vaters, seine Braut durch die sichtbare Herabkunft des Heiligen Geistes unter dem Brausen eines gewaltigen Sturmes und unter feurigen Zungen (Ac 2,1-4) offenbaren und kundmachen. - Christus der Herr war ja selber beim Beginn seiner Lehrtätigkeit von seinem ewigen Vater durch den Heiligen Geist, der in leiblicher Gestalt gleich einer Taube herabkam und über ihm blieb (Lc 3,22 Mk l, Mc 10), geoffenbart worden. So sandte nun auch Er, als die Apostel ihr heiliges Predigtamt antreten sollten, seinen Geist vom Himmel herab, der sie mittels feuriger Zungen berührte und auf die übernatürliche Sendung und das übernatürliche Amt der Kirche wie mit göttlichem Finger hinweisen sollte.

Daß der mystische Leib, den die Kirche bildet, Christi Namen trägt, geht an zweiter Stelle daraus hervor, daß Christus tatsächlich von allen als Haupt der Kirche angesehen werden muß. "Er ist", wie Paulus sagt, "das Haupt des Leibes, der Kirche" (Kol l, 18). Er ist das Haupt, von dem der ganze Leib in passender Ordnung zusammengehalten wird, heranwächst und zunimmt zu seinem Aufbau (Ep 4,16 Kol Col 2,19).

Es ist Euch wohlbekannt, Ehrwürdige Brüder, wie lichtvoll und klar die Meister der scholastischen Theologie, vor allem der engelgleiche, allgemeine Lehrer, über diese Wahrheit gehandelt haben. Ihr wißt auch sicher, daß die von St. Thomas vorgebrachten Beweise den Ansichten der heiligen Väter getreu entsprechen, die übrigens nichts anderes wiedergaben und erläuterten als die Aussprüche der Heiligen Schrift.

Dennoch möchten Wir hier zum allgemeinen Nutzen diesen Punkt genauer besprechen. Zunächst ist es klar, daß Gottes und der seligen Jungfrau Sohn wegen seiner einzigartigen Stellung Haupt der Kirche genannt werden muß. Nimmt doch das Haupt die höchste Stelle im Leibe ein. Wer ist aber höher gestellt als Christus, unser Gott, der, Wort des Ewigen Vaters, als der "Erstgeborene aller Schöpfung" (Kol l, 15. 4) angesehen werden muß ? Wer steht auf erhabenerem Gipfel als Christus der Mensch, der, von der makellosen Jungfrau geboren, wahrer und wirklicher Sohn Gottes ist und nach seinem Sieg über den Tod durch die wunderbare, glorreiche Auferstehung der "Erstgeborene unter den Toten" ward? (Col 1,18 Offb Ap 1,5 Offb Ap 1,5) Wer endlich hat höheren Rang zu beanspruchen als der, welcher, "alleiniger Mittler ... zwischen Gott und den Menschen" (1Tm 2,5), auf ganz wunderbare Weise die Erde mit dem Himmel verbindet, der am Kreuz erhöht, wie von einem Thron der Barmherzigkeit alles an sich zog (Jn 12,32); der als Menschensohn, erwählt aus Zehntausenden, mehr von Gott geliebt wird als alle Menschen, alle Engel und die ganze Schöpfung? (Cyr. Alex., Comm. in Ioh. 1, 4: Migne, P.G. LXXIII, 69; S. Thom., I, q. 20, a. 4, ad I)

Weil aber Christus eine so erhabene Stelle einnimmt, lenkt und regiert Er allein mit Fug und Recht die Kirche. Darum ist Er auch aus diesem Grunde mit dem Haupt zu vergleichen. Das Haupt ist ja, um ein Wort des heiligen Ambrosius zu gebrauchen, die "königliche Burg" des Leibes (Hexaem. 6, 55: Migne, P.L. XIV, 265). Von ihm, als dem mit den vorzüglicheren Fähigkeiten ausgestatteten Glied, werden naturgemäß alle übrigen geleitet über die es gesetzt ist, um für sie Sorge zu tragen (August., De Agon. Christ., XX, 22: Migne, P.L. XL. 301). So führt der Erlöser das Steuer über die gesamte christliche Gemeinschaft und lenkt sie. Und da eine Gemeinschaft von Menschen zu leiten nichts anderes bedeutet, als sie durch zweckmäßiges Planen und geeignete Mittel auf rechtem Weg zum vorbestimmten Ziele zu führen (S. Thom., L, q. 22, a. 1-4), so ist leicht einzusehen, daß unser Heiland, Vorbild und Beispiel der guten Hirten (Jn 10,1-18 Jn 1 Petr Jn 5,1-5), all dies auf ganz wunderbare Weise ausübt.

Er selbst lehrte uns nämlich, als Er auf Erden weilte, durch Vorschriften, Räte und Mahnungen mit Worten, die niemals vergehen und die für die Menschen aller Zeiten Geist und Leben sein werden (Jn 6,63). Und überdies erteilte Er seinen Aposteln und deren Nachfolgern eine dreifache Gewalt: zu lehren, zu leiten und die Menschen zur Heiligkeit zu führen. Diese mit besonderen Vorschriften, Rechten und Pflichten umschriebene Gewalt stellte Er als Grundsatz der ganzen Kirche auf.

Aber unser göttlicher Erlöser lenkt und leitet auch selbst unmittelbar die von Ihm gegründete Gesellschaft. Er selber regiert nämlich im Geiste und Herzen der Menschen, beugt und spornt nach seinem Wohlgefallen sogar den widerspenstigen Willen, "Das Herz des Königs ist in der Hand des Herrn. Er lenkt es, wohin Er will" (Pr 21,1). Durch diese innere Leitung sorgt Er nicht nur als "Hirte und Bischof unserer Seelen" (1P 2,25) für die einzelnen, sondern trägt auch Fürsorge für die Gesamtkirche. Bald erleuchtet und stärkt Er ihre Vorsteher, damit jeder von ihnen getreu und fruchtbar sein Amt ausübe. Bald - und dies zumal in schwierigen Zeitumständen - erweckt Er im Schoße der Mutter Kirche Männer und Frauen, die durch den Glanz ihrer Heiligkeit hervorleuchten, um den übrigen Christgläubigen zum Beispiel zu dienen für das Wachstum seines geheimnisvollen Leibes. Mit besonderer Liebe aber blickt Christus vom Himmel auf seine makellose Braut, die hier auf Erden in der Verbannung leidet. Sieht Er sie in Gefahr, so entreißt Er sie der Sturmflut persönlich oder durch seine Engel (Ac 8,26 Ac 9,1-19 Ac 10,1-7 Ac 12,3-10), oder durch sie, die wir als Hilfe der Christen anrufen, und durch andere himmlische Helfer. Haben sich dann die Wogen gelegt und beruhigt dann tröstet Er sie mit jenem Frieden, "der alle Vorstellung übersteigt" (Ph 4,7).

Man darf aber nicht glauben, Er leite sie nur auf unsichtbare (Leo XIII, Satis Cognitum: A.S.S.XXVIII, 725) oder außerordentliche Weise. Unser göttlicher Erlöser übt auch eine sichtbare, ordentliche Leitung über seinen mystischen Leib aus durch seinen Stellvertreter auf Erden. Ihr wißt ja, Ehrwürdige Brüder, daß Christus, unser Herr, während seiner irdischen Pilgerfahrt "die kleine Herde" (Lc 12,32) zwar persönlich und auf wahrnehmbare Weise regiert hat. Als Er aber die Welt dann verlassen und zum Vater zurückkehren wollte, hat Er die sichtbare Leitung der ganzen von Ihm gegründeten Gesellschaft dem Apostelfürsten übertragen. In seiner Weisheit konnte Er ja den von Ihm geschaffenen gesellschaftlichen Leib der Kirche keineswegs ohne sichtbares Haupt lassen. Man kann auch nicht, um diese Wahrheit in Abrede zu stellen, behaupten, durch den in der Kirche aufgestellten Rechtsprimat sei dieser mystische Leib mit einem doppelten Haupte versehen. Denn Petrus ist kraft des Primates nur der Stellvertreter Christi, und daher gibt es nur ein einziges Haupt dieses Leibes, nämlich Christus. Er hört zwar nicht auf, die Kirchen auf geheimnisvolle Weise in eigener Person zu regieren, auf sichtbare Weise jedoch leitet Er sie durch den, der auf Erden seine Stelle vertritt. Bereits nach seiner glorreichen Himmelfahrt war die Kirche nicht nur auf Ihm selber, sondern auch auf Petrus als dem sichtbaren Grundstein erbaut. Daß Christus und sein Stellvertreter auf Erden nur ein einziges Haupt ausmachen, hat Bonifaz VIII., Unser Vorgänger unvergeßlichen Andenkens, durch das apostolische Schreiben Unam Sanctam feierlich erklärt (Corp. Iur. Can., Extr. comm., I, 8, 1), und seine Nachfolger haben diese Lehre immerfort wiederholt.

In einem gefährlichen Irrtum befinden sich also jene, die meinen, sie könnten Christus als Haupt der Kirche verehren, ohne seinem Stellvertreter auf Erden die Treue zu wahren. Denn wer das sichtbare Haupt außer acht läßt und die sichtbaren Bande der Einheit zerreißt, der entstellt den mystischen Leib des Erlösers zu solcher Unkenntlichkeit, daß er von denen nicht mehr gesehen noch gefunden werden kann, die den sicheren Port des ewigen Heiles suchen.

Was Wir aber hier von der allgemeinen Kirche sagten, das muß auch von den besonderen christlichen Gemeinschaften gesagt werden, sowohl von den orientalischen wie von den lateinischen, aus denen die eine katholische Kirche besteht und sich zusammensetzt. Jede von ihnen wird von Christus Jesus durch das Wort und die Regierungsgewalt ihres eigenen Bischofs geleitet. Deshalb sind die kirchlichen Oberhirten nicht bloß als vorzüglichere Glieder der allgemeinen Kirche anzusehen, weil sie durch ein ganz eigenartiges Band mit dem göttlichen Haupte des ganzen Leibes verbunden und daher mit Recht "die wichtigsten Teile der Glieder des Herrn" (Greg. Magn., Moral., XIV, 35, 43: Migne, P.L. LXXV, 1062) genannt werden, sondern jeder einzelne in seinem Sprengel weidet und leitet im Namen Christi als wahrer Hirte seine eigene ihm anvertraute Herde (Conc. Vat., Const. de Eccl., Kap. 3). Bei dieser Tätigkeit sind sie freilich nicht völlig eigenen Rechtes, sondern der dem Römischen Papst gebührenden Gewalt unterstellt, wiewohl sie eine ordentliche Jurisdiktionsgewalt besitzen, die ihnen unmittelbar gleichfalls vom Papste erteilt wird. Deshalb müssen sie als Nachfolger der Apostel zufolge göttlicher Einsetzung (Cod. Iur. Can., can. 329, 1) vom Volke verehrt werden. Und mehr als von den Regierenden dieser Welt, auch den allerhöchsten, gilt von den Bischöfen, da sie mit der Salbung des Heiligen Geistes versehen sind, das Schriftwort: "Vergreift euch nicht an meinem Gesalbten!" (1Ch 16,22 Psal 1Ch 105,15).

Wir werden darum von tiefer Wehmut ergriffen, wenn Uns berichtet wird, daß nicht wenige aus Unseren Brüdern im Bischofsamte Verfolgungen und Mißhandlungen erleiden, weil sie lebendiges Vorbild für ihre Herde (1P 5,3) geworden sind und das heilige, ihnen anvertraute "Glaubensgut" (1Tm 6,20) mit geziemender Tapferkeit und Treue behüten; weil sie auf das Einhalten der heiligsten Gesetze dringen, die von Gott in die Herzen geschrieben sind; weil sie die ihnen anvertraute Herde nach dem Beispiel des höchsten Hirten gegen räuberische Wölfe beschützen. Und dies wird nicht nur ihnen persönlich zugefügt, sondern - was sie noch grausamer und härter empfinden - auch den ihrer Obsorge anvertrauten Gläubigen, ihren Gehilfen in der apostolischen Arbeit, ja sogar den gottgeweihten Jungfrauen. Ein derartiges Unrecht erachten Wir als Uns selber persönlich angetan und wiederholen den erhabenen Ausspruch Gregors des Großen, Unseres Vorgängers unvergeßlichen Andenkens: "Unsere Ehre ist die allgemeine Ehre der Kirche. Unsere Ehre ist die feste Kraft Unserer Brüder; nur dann sind Wir wahrhaft geehrt, wenn jedem einzelnen die ihm gebührende Ehre nicht verweigert wird" ( Eulog., 30: Migne, P.L. LXXVII, 933).

Man darf aber nicht glauben, daß Christus, unser Haupt, weil Er eine so überragende Stellung einnimmt, nicht nach der Hilfe seines mystischen Leibes verlangt. Denn auch von diesem gilt, was Paulus vom menschlichen Organismus aussagt: "Das Haupt kann nicht zu den Füßen . .. sprechen: Ich bedarf euer nicht" (1Co 12,21). Es ist offenkundig, daß die Christgläubigen unbedingt der Hilfe des göttlichen Erlösers bedürfen, da Er selber sagte: "Ohne mich könnt ihr nichts tun" (Jn 15,5), und da nach des Apostels Ausspruch jeder Zuwachs beim Aufbau dieses mystischen Leibes von Christus, dem Haupte, sich herleitet (Ep 4,16 Kol Col 2,19). Jedoch muß auch festgehalten werden, so seltsam es erscheinen mag, daß Christus nach der Hilfe seiner Glieder verlangt. Und dies gilt vor allem vom obersten Hirten, insoweit er die Stelle Jesu Christi vertritt: um der Last des Hirtenamtes nicht zu erliegen, muß er andere zur Teilnahme an nicht wenigen seiner Obliegenheiten berufen, und bedarf täglich der Unterstützung durch die Gebetshilfe der Gesamtkirche. Überdies will unser Erlöser, soweit Er persönlich auf unsichtbare Weise die Kirche regiert, die Mitwirkung der Glieder seines mystischen Leibes bei der Ausführung des Erlösungswerkes. Das geschieht nicht aus Bedürftigkeit und Schwäche, sondern vielmehr deshalb, weil Er selber zur größeren Ehre seiner makellosen Braut es so angeordnet hat. Während Er nämlich am Kreuze starb, hat Er den unermeßlichen Schatz der Erlösung seiner Kirche vermacht, ohne daß sie ihrerseits dazu beitrug. Wo es sich aber darum handelt, den Schatz auszuteilen, läßt Er seine unbefleckte Braut an diesem Werke der Heiligung nicht nur teilnehmen, sondern will, daß dies sogar in gewissem Sinne durch ihre Tätigkeit bewirkt werde. Ein wahrhaft schaudererregendes Mysterium, das man niemals genug betrachten kann: daß nämlich das Heil vieler abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen der Glieder des geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die sie zu diesem Zweck auf sich nehmen; und von der Mitwirkung, die die Hirten und Gläubigen, besonders die Familienväter und -mütter, unserem göttlichen Erlöser zu leisten haben.

Den eben auseinandergesetzten Gründen, aus denen hervorgeht, daß Christus der Herr das Haupt seines gesellschaftlichen Leibes genannt werden muß, sind jetzt noch drei andere hinzuzufügen, die miteinander in engem Zusammenhang stehen.

Wir beginnen mit der Gleichförmigkeit, die offensichtlich zwischen Haupt und Gliedern auf Grund der gleichen Natur besteht. Dazu ist zu bemerken: unsere Natur erreicht zwar nicht die der Engel, hat jedoch durch Gottes Güte vor der Engelnatur einen Vorzug: "Christus ist nämlich", wie der Aquinate sagt, "das Haupt der Engel. Denn Christus steht über den Engeln auch seiner Menschheit nach ... Ebenso erleuchtet und beeinflußt Er die Engel auch als Mensch. Soweit jedoch die Naturgleichheit in Frage kommt, ist Christus nicht das Haupt der Engel, weil Er sich nach dem Wort des Apostels nicht der Engel, sondern der Kinder Abrahams annahm" (Comm. in Eph., Kap. 1, lect. 8; Hebr He 2,16-17). Aber nicht nur unsere Natur hat Christus angenommen, sondern Er ist auch in der Gebrechlichkeit, Leidensfähigkeit und Sterblichkeit seines Leibes unser Blutsverwandter geworden. Wenn aber das Wort "sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm" (Ph 2,7), so geschah dies auch deshalb, um uns, seine Brüder dem Fleische nach, der göttlichen Natur teilhaft zu machen (2P 1,4): hier in unserer irdischen Verbannung durch die heiligmachende Gnade, und dort in der ewigen Heimat durch Erlangung der ewigen Seligkeit. Deshalb wollte der Eingeborene des Ewigen Vaters Menschensohn sein, damit wir dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig würden (Rm 8,29) und nach dem Bilde unseres Schöpfers uns erneuerten (Col 3,10). Alle jene also, die sich des christlichen Namens rühmen, müssen nicht nur unseren göttlichen Erlöser als erhabenes und vollkommenstes Vorbild aller Tugenden betrachten, sondern auch durch weise Flucht vor der Sünde und eifriges Heiligkeitsstreben so seine Lehre und sein Leben in ihrem sittlichen Verhalten zum Ausdruck bringen, daß sie, wenn der Herr erscheint, Ihm in seiner Herrlichkeit ähnlich werden, und Ihn sehen, wie Er ist (1Jn 3,2).

Wie aber Christus will, daß die einzelnen Glieder Ihm ähnlich werden, so wünscht Er es auch vom ganzen Leib der Kirche. Und das geschieht in der Tat, indem die Kirche nach dem Vorbild ihres Stifters lehrt, leitet und das göttliche Opfer darbringt. Außerdem stellt sie durch Befolgung der evangelischen Räte die Armut, den Gehorsam und die unberührte Keuschheit des Erlösers in sich dar. In ihren zahlreichen und verschiedenartigen religiösen Genossenschaften, die gleichsam ihre Kleinode bilden, zeigt sie uns gewissermaßen Christus selbst, wie Er auf dem Berge betrachtend betet oder den Volksscharen predigt oder die Kranken und Verletzten heilt, die Sünder zum Guten bekehrt, oder allen Wohltaten spendet. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die Kirche, solange sie hier auf Erden weilt, nach dem Beispiel Christi auch mit Verfolgungen, Mißhandlungen und Leiden heimgesucht wird.

Überdies muß Christus deshalb als Haupt der Kirche gelten, weil sein mystischer Leib aus der Fülle und Vollkommenheit der übernatürlichen Gaben schöpft, die Er ihm spendet. Wie nämlich - worauf mehrere Väter hinweisen - das Haupt unseres sterblichen Leibes im Besitz aller Sinne ist, während die übrigen Glieder unseres Organismus nur am Gefühlssinn teilhaben, so strahlen auch alle Tugenden, Gaben und Gnadenvorzüge der christlichen Gemeinschaft in Christus dem Haupte aufs vollkommenste wieder. "Es war Gottes "Wille, in Ihm die ganze Fülle wohnen zu lassen" (Col 1,19). Ihn zieren jene übernatürlichen Gaben, welche die hypostatische Vereinigung der beiden Naturen im Gefolge hat: in Ihm wohnt der Heilige Geist in einer derartigen Gnadenfülle, daß sie größer nicht gedacht werden kann. Ihm ist gegeben "die Macht über alles Fleisch" (Jn 17,2), überreich sind in Ihm "alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis" (Col 2,3). Auch jene Erkenntnis, die man Erkenntnis der Gottschauung nennt, besitzt Er in solcher Fülle, daß sie an Umfang und Klarheit die beseligende Schau aller Heiligen im Himmel weit überragt. Und schließlich ist Er so reich an Gnade und Wahrheit, daß wir alle aus seiner unerschöpflichen Fülle empfangen (Joh l, 14-16).

Diese Worte des Jüngers, dem Jesus seine besondere Liebe schenkte, geben Uns Anlaß, den letzten, besonders einleuchtenden Beweisgrund dafür anzuführen, daß Christus der Herr das Haupt seines mystischen Leibes zu nennen ist. Wie nämlich die Nerven vom Haupte in alle Glieder unseres Leibes sich verteilen und ihnen die Fähigkeit verleihen, zu fühlen und sich zu bewegen, so flößt unser Erlöser seiner Kirche die Kraft und die Stärke ein, vermöge deren die Christgläubigen die göttlichen Dinge klarer erkennen und eifriger erstreben. Von Ihm strahlt in den Leib der Kirche alles Licht aus, wodurch die Gläubigen übernatürliche Erleuchtung empfangen und jegliche Gnade, durch die sie heilig werden, wie Er selber heilig ist.

Seine gesamte Kirche erleuchtet Christus; das kann fast aus unzähligen Stellen der Heiligen Schrift und der heiligen Väter bewiesen werden. "Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ruht, der hat Kunde von ihm gebracht" (Jn 1,18). Als Lehrer von Gott kommend (Jn 3,2), um der Wahrheit Zeugnis zu geben (Jn 18,37), erleuchtete Er die junge Kirche der Apostel mit seinem Lichte derart, daß der Apostelfürst ausrief: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens" (Jn 6,68). Den Evangelisten stand Er vom Himmel aus in der Weise bei, daß sie gleichsam als Glieder Christi aufzeichneten, was sie sozusagen durch das Diktat des Hauptes erkannten (August., De cons. evang., I, 35, 54: Migne, P; L. XXXIV, 1070). Und so ist Er auch heute noch für uns, die wir hier in der irdischen Verbannung weilen, Begründer des Glaubens, wie Er in der Heimat dessen Vollender (He 12,2) ist. Er ist es, der den Gläubigen das Licht des Glaubens eingießt; der die Hirten und Lehrer und besonders seinen Stellvertreter auf Erden mit den übernatürlichen Gaben der Erkenntnis, der Einsicht und Weisheit bereichert, damit sie den Schatz des Glaubens getreu bewahren, mutig verteidigen, fromm und eifrig erklären und sichern. Er ist es schließlich, der, wenn auch unsichtbar, die Konzilien der Kirche leitet und erleuchtet (Cyr. Alex. , Ep. Symb.: Migne, P. G. LXXVII, 293).

Christus ist Begründer und Urheber der Heiligkeit. Denn es gibt keinen heilbringenden Akt, der nicht aus Ihm als seiner übernatürlichen Quelle sich herleitete. "Ohne Mich", sagt Er, "könnt ihr nichts tun" (Jn 15,5). Wenn wir ob begangener Schuld von Seelenschmerz und Reue bewegt werden; wenn wir uns in kindlicher Furcht und Hoffnung zu Gott bekehren, immer werden wir von seiner Kraft geführt. Gnade und Glorie entspringen aus seiner unerschöpflichen Fülle. Besonders die hervorragenderen Glieder seines mystischen Leibes beschenkt unser Erlöser unaufhörlich mit den Gaben des Rates, der Stärke, der Furcht und der Frömmigkeit, damit der gesamte Leib von Tag zu Tag mehr und mehr zunehme an Heiligkeit und Reinheit des Lebens. Und wenn die Sakramente der Kirche mit einem äußeren Ritus gespendet werden, dann bringt Er selber die Wirkung in den Seelen hervor (S. Thom., III, q. 64, a. 3. 2). Ebenso ist Er es, der die Erlösten mit seinem Fleische und Blute nährt und die wirren, erregten Leidenschaften beruhigt. Er vermehrt die Gnade und bereitet die Glorie für Seele und Leib.

Diese Schätze der göttlichen Güte erteilt Er den Gliedern seines mystischen Leibes nicht bloß darum, weil Er sie als eucharistisches Opferlamm auf Erden und als verklärtes im Himmel durch Hinweis auf seine Wunden und mit innigem Flehen vom Ewigen Vater erbittet, sondern auch darum, weil Er für jeden Einzelnen jede einzelne Gnade "in dem Maße, in dem Christus sie austeilt" (Ep 4,7), auswählt, bestimmt und zuwendet. Daraus folgt, daß vom göttlichen Erlöser wie aus der Hauptkraftquelle "der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten wird mit Hilfe aller Gelenke, die ihren Dienst verrichten nach der Tätigkeit, die jedem Gliede zugewiesen ist. So vollzieht sich das Wachstum des Leibes, und baut er sich auf in Liebe." (Ep 4,16 Kol Col 2,19)

Oben haben Wir, Ehrwürdige Brüder, kurz und klar dargelegt, wie Christus der Herr seine reichen Gaben aus seiner göttlichen Fülle heraus in die Kirche einströmen lassen will, damit sie Ihm möglichst gleichgestaltet werde. Diese Erörterung dient gewiß auch der Klarstellung des dritten Grundes, aus dem sich ergibt, weshalb der gesellschaftliche Leib der Kirche den herrlichen Namen Christi trägt: dieser Grund liegt darin, daß unser Erlöser selbst die von Ihm gestiftete Kirche mit göttlicher Kraft erhält.

Wie Bellarmin (De Rom. Pont., I, 9; De Concil., II, 19) fein und scharfsinnig bemerkt hat, ist diese Benennung des Leibes Christi nicht bloß daraus zu erklären, daß Christus das Haupt seines mystischen Leibes genannt werden muß, sondern auch aus der Tatsache, daß Er derart Träger der Kirche ist und in ihr gewissermaßen derart lebt, daß sie selbst gleichsam ein zweiter Christus wird. Gerade das behauptet der Völkerapostel, wenn er im Schreiben an die Korinther (1Co 12,12) die Kirche einfachhin "Christus" nennt, indem er offensichtlich den Meister selbst nachahmt, der ihm, als er die Kirche verfolgte, vom Himmel zurief (Ac 9,4 Ac 22,7 Ac 26,14): "Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?" Ja, wenn wir Gregor von Nyssa (Greg. Nyss., De vita Moysis: Migne, P.G. XLIV, 385) glauben dürfen, wird die Kirche vom Apostel öfter "Christus" geheißen; auch ist euch, ehrwürdige Brüder, das Wort Augustins nicht unbekannt: "Christus predigt Christus" (Serm., CCCLIV, 1: Migne, P.L. XXXIX, 1563).

Diese erhabene Benennung ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob das unaussprechliche Band, womit der Sohn Gottes eine bestimmte menschliche Natur mit sich vereinigte, auch die Gesamtkirche umfasse. Sie hat vielmehr ihren Grund darin, daß unser Erlöser die Güter, die Ihm vornehmlich eigen sind, so seiner Kirche mitteilt, daß diese in ihrem ganzen Leben, dem sichtbaren wie dem geheimnisumhüllten, Christi Bild möglichst vollkommen zum Ausdruck bringt. Denn zufolge der rechtlichen Sendung, womit der göttliche Erlöser die Apostel in die Welt sandte, wie Er selbst vom Vater gesandt war (Jn 17,18 Jn 20,21), ist Er es, der durch die Kirche tauft, lehrt und regiert, löst und bindet, darbringt und opfert.

Mittels jener höheren, ganz inneren und erhabenen Schenkung, die Wir oben berührt haben, wo Wir nämlich die Art der Einflußnahme des Hauptes auf die Glieder beschrieben, läßt Christus der Herr die Kirche an seinem übernatürlichen Leben teilnehmen, durchdringt ihren ganzen Leib mit seiner göttlichen Kraft und nährt und erhält die einzelnen Glieder gemäß dem Rang, den sie im Leibe einnehmen, ungefähr in der Weise, in welcher der Weinstock die mit ihm verbundenen Rebzweige nährt und fruchtbar macht (Leo XIII, Sapientiae Christianae: A.S.S. XXII, 392; Satis cognitum: ebd., XXVIII, 710).

Wenn wir nun aufmerksam dieses göttliche von Christus gegebene Lebens- und Kraftprinzip in sich selbst betrachten, insofern es die Quelle einer jeden geschaffenen Gabe und Gnade bildet, werden wir leicht verstehen, daß es nichts anderes ist als der Tröster Geist, der vom Vater und vom Sohne ausgeht, und der in besonderer Weise Geist Christi und Geist des Sohnes genannt wird (Rm 8,9 Rm 2 Kor Rm 3,17 Gal Ga 4,6). Denn mit diesem Geist der Wahrheit und Gnade hat der Sohn Gottes im unversehrten Schoße der Jungfrau seine Seele gesalbt. Dieser Geist betrachtet es als seine Wonne, im lebenspendenden Erlöserherzen als in seinem bevorzugten Tempel zu wohnen. Diesen Geist hat uns Christus am Kreuze durch sein eigenes Blut verdient. Ihn hauchte Er über die Apostel aus und schenkte ihn so der Kirche zur Nachlassung der Sünden (Jn 20 Jn 22). Während jedoch nur Christus diesen Geist in ungemessener Fülle empfing (Jn 3,34), wird er den Gliedern des mystischen Leibes aus der Fülle Christi selbst nur in dem Grade verliehen, als Christus ihn gibt (Ep 1,8 Ep 4,7). Nachdem Christus am Kreuze verherrlicht ist, wird sein Geist der Kirche in reichstem Maße mitgeteilt, damit sie selbst und ihre einzelnen Glieder von Tag zu Tag unserem Erlöser ähnlicher werden. Der Geist Christi ist es, der uns zu Adoptivkindern Gottes gemacht hat (Rm 8,14-17 Gal Ga 4,6-7), damit wir einst "alle mit unverhülltem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn schauen und so von Herrlichkeit zu Herrlichkeit zu dem gleichen Bilde umgestaltet werden" (2Co 3,18).

Dem Geiste Christi als dem unsichtbaren Prinzip kommt auch die Aufgabe zu, alle Teile des Leibes untereinander sowie mit ihrem erhabenen Haupte zu verbinden, da Er ja ganz im Haupte ist, ganz im Leibe, ganz in den einzelnen Gliedern. Diesen letzteren aber teilt er seine Gegenwart und seinen Beistand in verschiedenem Grade mit, je nach ihren verschiedenen Aufgaben und Ämtern und je nach dem höheren oder geringeren Maße ihrer geistlichen Gesundheit. Er ist es, der infolge seines himmlischen Odems in allen Teilen des Leibes als das Prinzip jeder wirklich zum Heile ersprießlichen Lebensbetätigung angesehen werden muß. Er ist es, der, obwohl selbst in allen Gliedern gegenwärtig und in ihnen in göttlicher Weise tätig, dennoch in den untergeordneten auch durch die Dienstleistung der übergeordneten wirkt. Er ist es endlich, der der Kirche unter dem Wehen seiner Gnade fortwährend neues Wachstum verleiht, es aber verschmäht, in den vom Leibe völlig getrennten Gliedern durch die heiligmachende Gnade zu wohnen. Gerade diese Gegenwart Und Wirksamkeit des Geistes Jesu Christi hat Unser weiser Vorgänger unsterblichen Andenkens Leo XIII. in seiner Enzyklika Divinum illud mit folgenden Worten kurz und treffend ausgedrückt: "Es genüge der eine Satz: Christus ist das Haupt der Kirche, der Heilige Geist ihre Seele" (A.S.S., XXIX, p. 650).

Wenn wir hingegen die innere Lebenskraft, mittels deren die ganze Christengemeinschaft von ihrem Stifter erhalten wird, nun nicht in sich selbst, sondern in den aus ihr entspringenden geschöpflichen Wirkungen betrachten, so besteht sie in den übernatürlichen Gnaden, die unser Erlöser zugleich mit seinem Geiste der Kirche verleiht, und zugleich mit seinem Geiste, als dem Spender übernatürlichen Lichtes und Wirker der Heiligkeit, hervorbringt. Die Kirche kann also ebenso wie alle ihre heiligen Glieder das große Wort des Apostels sich zu eigen machen: "Ich lebe, vielmehr nicht ich, sondern Christus lebt in mir" (Ga 2,20).

Unsere Darlegungen über das "mystische Haupt" (Ambros., De Elia et jejun., 10 36-37 et In Psalm 118, serm. 20 2: Migne, P.L. XIV, 710 et XV, 1483) würden unvollkommen bleiben, wenn Wir nicht, wenigstens kurz, auch den folgenden Satz desselben Apostels berührten: "Christus ist das Haupt der Kirche, Er der Erlöser seines Leibes" (Ep 5,23). Denn in diesen Worten liegt die Hindeutung auf den letzten Grund, weshalb der Leib der Kirche den Namen Christi trägt. Christus ist nämlich der göttliche Erlöser dieses Leibes. Wird Er doch mit vollem Recht von den Samaritern als "der Heiland der Welt gepriesen" (Jn 4,42); ja, man muß Ihn ohne Zweifel als den "Heiland aller" ansprechen, wenngleich man mit Paulus hinzufügen muß, "vornehmlich der Gläubigen" (1Tm 4,10). Vor allen andern nämlich hat Er seine Glieder, die die Kirche bilden, mit seinem Blute erkauft (Ac 20,28). Es erübrigt jedoch, diesen Gedanken weiter zu erörtern, nachdem Wir oben über die aus dem Kreuze entsprossene Kirche, über Christus, den Spender des Lichtes, den Wirker der Heiligkeit und den Erhalter seines mystischen Leibes ausführlich genug gehandelt haben. Vielmehr haben wir Grund, Gott unaufhörlich dafür zu danken und demütigen Sinnes aufmerksam darüber nachzudenken. Was unser Erlöser aber einst am Kreuze begonnen hat, das setzt Er in seiner himmlischen Herrlichkeit ohne Unterlaß fort. "Unser Haupt - so Augustinus - legt Fürsprache für uns ein: die einen Glieder nimmt Er zu sich, andere züchtigt Er, andere läutert Er, andere tröstet Er, andere erschafft Er, andere beruft Er, andere ruft Er zurück, andere bessert Er, andere erneuert Er" (Enarr. in ps., LXXXV, 5: Migne, P.L. XXXVII, 1085). Uns aber ist die Aufgabe geworden, Christus in diesem Heilswirken hilfreiche Hand zu leisten, "die wir aus dem Einen und durch den Einen erlöst sind und selbst erlösen" (Clem. Alex., Strom., VII, 2: Migne, P.G. IX, 413).

Mystici corporis DE