Mystici corporis DE - PASTORALE ERMAHNUNG

Manche sprechen auch unseren Gebeten alle wirkliche Kraft ab oder suchen andern die Meinung beizubringen, die privaten Gebete hätten vor Gott geringe Bedeutung; vielmehr komme den öffentlichen, im Namen der Kirche verrichteten Gebeten der wahre Wert zu, weil sie vom mystischen Leibe Jesu Christi ausgehen. Das ist durchaus nicht richtig. Der göttliche Erlöser steht nicht nur in der engsten Lebensgemeinschaft mit seiner Kirche als der vielgeliebten Braut, sondern in ihr ist Er, auch aufs innigste vereint mit der Seele jedes einzelnen Gläubigen und sehnt sich danach, vor allem nach der heiligen Kommunion, traute Zwiesprache mit ihr zu führen. Obgleich das öffentliche Gebet, da es von der Mutter Kirche selbst verrichtet wird, wegen der Würde der Braut Christi jedes andere übertrifft, so entbehren doch auch alle ändern, selbst die ganz privaten Gebete, nicht der Würde und Kraft. Sie tragen sogar viel bei zum Nutzen des ganzen mystischen Leibes. Denn in ihm wird kein gutes Werk, kein Tugendakt von einzelnen Gliedern vollbracht, der nicht infolge der Gemeinschaft der Heiligen auch der Gesamtheit zugute käme. Es ist den einzelnen Menschen auch nicht verwehrt, deswegen, weil sie Glieder dieses Leibes sind, besondere, auch rein zeitliche Gaben, für sich selbst zu erbitten, wenn dabei nur die demütige Unterwerfung unter den Willen Gottes gewahrt wird: sie bleiben ja selbständige Personen und ihren persönlichen Bedürfnissen unterworfen (S. Thom. II-II, q. 83, a. 5 ; 6). Welche Hochschätzung endlich alle der Betrachtung himmlischer Wahrheiten entgegenbringen sollen, geht aus den amtlichen Äußerungen der Kirche sowie aus der Übung und dem Vorbild aller Heiligen hervor.

Schließlich kann man auch der Auffassung begegnen, wir dürften unsere Gebete nicht unmittelbar an die Person Jesu Christi richten; sie müßten sich vielmehr durch Christus an den ewigen Vater wenden, da unser Heiland als Haupt seines mystischen Leibes nur als "der Mittler zwischen Gott und den Menschen" (1Tm 2,5) angesehen werden dürfe. Aber eine solche Behauptung widerspricht nicht nur dem Geist der Kirche und der Gewohnheit der Gläubigen, sondern widerstreitet auch der Wahrheit. Christus ist nämlich, um uns ganz klar zu fassen, mit beiden Naturen zugleich das Haupt der ganzen Kirche (S. Thom., De Veritate, q. 29, a. 4, c); und im übrigen hat Er auch selbst feierlich erklärt: "Wenn ihr Mich um etwas in meinem Namen bitten werdet, werde Ich es tun" (Jn 14,14). Zwar werden, zumal beim heiligen Meßopfer, wo Christus zugleich Opferpriester und Opferlamm ist und so in besonderer Weise das Mittleramt ausübt, die Gebete meist durch seinen eingeborenen Sohn an den ewigen Vater gerichtet. Doch auch hier, selbst bei der heiligen Opferhandlung, wendet sich nicht selten das Gebet auch an den göttlichen Erlöser. Es sollte doch allen Christen bekannt und selbstverständlich sein, daß der Mensch Jesus Christus zugleich Gottes Sohn und Gott selber ist. Und so antwortet gewissermaßen die streitende Kirche, wenn sie das makellose Lamm und die konsekrierte Hostie anbetet und anfleht, auf die Stimme der triumphierenden Kirche, die nicht aufhört zu singen: "Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamme sei Preis und Ehre und Herrlichkeit und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!" (Ap 5,13).

Wir haben bisher, Ehrwürdige Brüder, in Erklärung des Geheimnisses, das unser aller verborgene Verbindung mit Christus in sich begreift, als Lehrer der gesamten Kirche den Geist mit dem Lichte der Wahrheit erleuchtet. Nunmehr halten Wir es noch für die Pflicht Unseres Hirtenamtes, auch das Herz zu jener innigen Liebe zum mystischen Leibe Christi anzuregen, die sich nicht nur im Denken und Reden, sondern auch im Handeln äußert. Schon die Mitglieder des Alten Bundes haben ihre irdische heilige Stadt mit dem Psalm besungen: "Sollte ich dein vergessen, Jerusalem, dann soll man meine rechte Hand vergessen! Meine Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich deiner nimmer gedenke; wenn ich nimmer Jerusalem als meine vorzüglichste Freude betrachte!" (Ps 136,5-6). Mit wie viel größerem Stolz und lebendigerer Freude müssen wir darüber frohlocken, daß wir wohnen dürfen in der Stadt, gebaut auf den heiligen Höhen, aus lebendigen und auserwählten Quadern, "auf dem hehren Eckstein, der Christus Jesus selber ist!" (Ep 2,20 1P 2,4-5). Nichts Ehrenvolleres, nichts Erhabeneres, nichts Ruhmreicheres kann je erdacht werden, als anzugehören der heiligen, katholischen, apostolischen, römischen Kirche, durch die wir Glieder an dem gleichen verehrungswürdigen Leib werden, von dem einen erhabenen Haupt geleitet, von dem gleichen göttlichen Geist durchdrungen, von derselben Lehre und demselben Brot der Engel in dieser Erdenverbannung gestärkt, bis wir dereinst auch dasselbe ewige Glück im Himmel genießen dürfen.

Um jedoch nicht vom Engel der Finsternis, der sich in einen Engel des Lichtes (2Co 11,14) kleidet, betrogen zu werden, sei oberstes Gesetz unserer Liebe: Christi Braut so zu lieben, wie Christus sie liebte und mit seinem Blute erkaufte. Teuer sollen uns daher die Sakramente sein, womit die gute Mutter Kirche uns stärkt; die Feiern, womit sie uns tröstet und erfreut, die heiligen Lieder und liturgischen Bräuche, womit sie unser Herz himmelwärts lenkt; teuer aber auch die Sakramentalien und jene verschiedenen Übungen der Frömmigkeit, womit sie die Herzen der Gläubigen liebevoll mit dem Geist Christi durchdringt und erhebt. Wie es unsere Kindespflicht ist, ihre mütterliche Liebe zu uns anzuerkennen, so noch mehr, die ihr von Christus verliehene Autorität zu verehren, die unseren Verstand für den Gehorsam gegen Christus (2Co 10,5) gefangennimmt. Kraft dessen sind wir gehalten, ihren Gesetzen und ihren sittlichen Vorschriften zu gehorchen, die bisweilen unsere gefallene Natur hart empfindet; sind wir gemahnt, den Widerstand des Leibes, den wir tragen, durch freiwillige Abtötung zu beugen, ja zuweilen uns selbst erlaubter Freuden zu enthalten. Es genügt ferner nicht, diesen mystischen Leib nur insoweit zu lieben, als er durch sein göttliches Haupt und seine himmlischen Gaben sich auszeichnet. Wir müssen ihm auch in der sterblichen Erscheinung unseres Fleisches unsere tatfreudige Liebe zollen, in seinen menschlich schwachen Bestandteilen, auch wenn diese bisweilen weniger der Stellung entsprechen, die sie in dem verehrungswürdigen Leib einnehmen.

Damit solch zuverlässige und unverfälschte Liebe in unserem Herzen Platz greife und täglich wachse, müssen wir uns angewöhnen, in der Kirche Christus selbst zu erblicken. Denn Christus ist es, der in seiner Kirche lebt, der durch sie Lehre, Leitung und Heiligung spendet. Christus ist es auch, der sich auf verschiedene Weise in den verschiedenen Gliedern seiner Gemeinschaft darstellt. Wo dies Streben nach lebendigem Glaubensgeist wirklich das Handeln aller Christgläubigen bestimmt, da werden sie gewiß nicht allein den hervorragenderen Gliedern des mystischen Leibes Ehre und gebührenden Gehorsam entgegenbringen, zumal denen, welche im Auftrag des göttlichen Hauptes einmal Rechenschaft abzulegen haben über unsere Seelen (He 13,17); sie werden auch um jene sich kümmern, denen die besondere Liebe unseres Erlösers galt: den Schwachen, Verwundeten und Kranken, ob sie natürlicher oder übernatürlicher Heilung bedürfen; den Kindern, deren Unschuld heute so leicht gefährdet, deren kleine Seele wie Wachs formbar ist; den Armen endlich, in denen unsere helfende Liebe mit innigem Mitleid die Person Jesu Christi selber erkennen soll.

So mahnt ja der Apostel mit vollem Recht: "Viel notwendiger sind jene Glieder des Leibes, die als die schwächeren erscheinen; und die, welche wir für die weniger achtunggebietenden ansehen, umkleiden wir mit reicherem Schmuck" (1Co 12,22-23). Im Bewußtsein der Uns auferlegten hohen Amtspflicht glauben Wir diesen ernsten Satz heute erneut betonen zu müssen. Mit großem Schmerz erleben Wir es, wie körperlich Mißgestaltete, Geistesgestörte und Erbkranke als Last der Gesellschaft zuweilen ihres Lebens beraubt werden; ja wie dies von manchen als neue Erfindung menschlichen Fortschritts und überaus gemeinnützige Tat gepriesen wird. Doch welcher rechtlich Denkende sieht nicht, daß solche Auffassung nicht minder dem natürlichen und dem göttlichen, allen Herzen eingeschriebenen Gesetz (Decret. S. Officii, 2 Dec. 1940: A.A.S., 1940, S. 553), als dem Empfinden jedweder höheren Menschlichkeit Hohn spricht? Das Blut derer, die unserem Erlöser gerade deswegen teurer sind, weil sie größeres Erbarmen verdienen, "schreit von der Erde zum Himmel" (Gn 4,10).

Damit aber jene echte Liebe, womit wir in der Kirche und ihren Gliedern unseren Erlöser erblicken müssen, nicht allmählich erlahme, ist es eine große Hilfe, wenn wir auf Jesus selbst als höchstes Vorbild der Liebe zur Kirche schauen.

In erster Linie wollen wir die Weite seiner Liebe nachahmen. Gewiß ist die Braut Christi nur eine: die Kirche. Doch die Liebe des göttlichen Bräutigams ist so weit, daß sie niemanden ausschließt und in der einen Braut das ganze Menschengeschlecht umfaßt. Aus diesem Grund hat unser Erlöser sein Blut vergossen, um alle Menschen, so verschieden sie durch Abstammung und Volkszugehörigkeit sein mögen, in seinem Kreuz mit Gott zu versöhnen und in einem Leibe zu einigen. Wahre Liebe zur Kirche fordert darum nicht nur von uns, daß wir als Glieder desselben Leines füreinander einstehen (Gn 4,10), uns freuen sollen, wenn ein anderes Glied Ehre erfährt, und mit seinen Schmerz (1Co 12,26) mitleiden sollen, sondern daß wir zugleich die Menschen, die noch nicht im Leibe der Kirche mit uns vereint sind, als Christi Brüder dem Fleische nach betrachten sollen, die gleich uns zu demselben ewigen Heil berufen sind.

Leider gibt es heute mehr denn je Menschen, die mit Feindschaft, Haß und Mißgunst hochmütig prahlen, als sei dies eine gewaltige Steigerung menschlicher Ehre und menschlicher Kraft. Wir sehen mit Schmerz die unheilvollen Früchte solcher Grundsätze vor uns. Laßt uns darum unserem Friedensfürsten folgen, der uns lehrte, nicht nur die zu lieben, die aus anderem Volk und Blut stammen als wir (Lc 10,33-37), sondern selbst unsere Feinde (Lc 6,27-35 Mt Mt 5,44-48). Wir wollen, von der tröstlichen Überzeugung des Völkerapostels tief durchdrungen, mit ihm die Höhe und die Breite, die Erhabenheit und Tiefe der Liebe Christi besingen (Ep 3,18). Sie kann keine Verschiedenheit des Stammes und der Sitten schmälern, kein Ozean mit seinen gewaltigen Fluten hemmen, kein Krieg auflösen, sei er aus gerechtem oder ungerechtem Grund begonnen.

In dieser schweren Stunde, Ehrwürdige Bruder, in der soviel Schmerz den Körper, soviel Traurigkeit die Seele durchwühlt, müssen alle zu solch übernatürlicher Liebe aufgerufen werden. Die Kräfte aller Gutgesinnten - Wir denken besonders an jene, die in den verschiedensten Vereinigungen der Linderung der Not sich widmen - sollen sich verbinden, um in herrlichem Wetteifer von Güte und Erbarmen Abhilfe zu schaffen in so gewaltiger leiblicher und seelischer Not. So soll allüberall die wohltätige Weite und unerschöpfliche Segensfülle des mystischen Leibes Christi aufstrahlen.

Der Weite der Liebe, womit Christus die Kirche umfing, entspricht deren ausdauernde Tatkraft, womit denn auch wir alle eifrig und beharrlich bemüht sein sollen, den mystischen Leib Christi zu umhegen. Es gab im Leben unseres Erlösers keine Stunde von der Menschwerdung an, womit er den Grund zu seiner Kirche legte bis zum Ende seines sterblichen Lebens, worin er nicht um die Formung und Vollendung seiner Kirche bis zur Ermattung, obgleich Gottes Sohn, bemüht war mit dem strahlenden Vorbild seiner Heiligkeit, in Predigten, Zwiegesprächen, Berufungen, Bestimmungen. Es ist darum Unser Wunsch, es möchten alle, die in der Kirche ihre Mutter erkennen, eifrig erwägen, daß tatkräftige Mitarbeit zum Auferbauen und zum Wachstum des mystischen Leibes Jesu Christi nach dem Maß ihrer Stellung Pflicht aller Glieder ist, nicht bloß der Diener des Heiligtums und jener, die sich Gott ganz im religiösen Leben geweiht haben. Wir erwarten, daß dies ganz besonders jene beachten, wie sie es ja schon lobenswerterweise tun, die in den Kampfscharen der Katholischen Aktion den Bischöfen und Priestern im apostolischen Amt ihre Mithilfe leihen, und jene, die zum gleichen Zweck in frommen Vereinigungen mitwirken. Wie bedeutungsvoll und wichtig ihrer aller tüchtige Mitarbeit in der gegenwärtigen Lage ist, sieht jeder.

Wir dürfen an dieser Stelle nicht schweigen von den Familienvätern und -müttern, denen unser Erlöser die zartesten Glieder seines mystischen Leibes anvertraut hat. Um ihrer Liebe zu Christus und zur Kirche willen bitten Wir sie innig, mit größter Sorgfalt über die ihnen zu treuen Händen übergebenen Kinder zu wachen und sie vor den mannigfachen Tücken, denen sie heute so leicht zum Opfer fallen, zu bewahren.

In besonderer Weise aber hat unser Heiland seine glühende Liebe zur Kirche durch die innigen Gebete geoffenbart, die Er an den himmlischen Vater für sie richtete. Wie allen bekannt ist, Ehrwürdige Brüder, - um nur einiges in Erinnerung zu rufen - betete Er kurz vor dem Kreuzestod aus ganzem Herzen für Petrus (Lc 22,32), für die übrigen Apostel (Jn 17,9-19) und dann für alle, die durch die Predigt des göttlichen Wortes an Ihn glauben würden (Jn 17,20-23).

Laßt uns darum in Nachahmung des Beispiels Christi täglich zum Herrn der Ernte flehen. Er wolle Arbeiter senden in seine Ernte (Mt 9,38 Lk Lc 10,2). Täglich sollen unsere vereinten Bitten zum Himmel emporsteigen, um Gott alle Glieder des mystischen Leibes Jesu Christi zu empfehlen, vor allem die Bischöfe, denen die Seelsorge über ihre Diözese anvertraut ist; sodann die Priester und Ordensleute, die, zum "Anteil des Herrn" berufen, in der Heimat und im Heidenland das Reich des göttlichen Erlösers schützen, mehren und fördern. Kein Glied des verehrungswürdigen Leibes Christi wollen wir in unserem gemeinsamen Beten vergessen. Auch jener laßt uns innig gedenken, die die Last der irdischen Verbannung besonders schmerzlich empfinden, oder die, aus diesem Leben geschieden, im läuternden Feuer gereinigt werden; schließlich derer, die in die Lehre Christi erst eingeführt werden, damit sie möglichst bald im Wasser der Taufe Erlösung finden.

Wir wünschen ferner sehnlichst, dieses gemeinsame Beten möge mit heißer Liebe auf die sich ausdehnen, die entweder von der Wahrheit des Evangeliums noch nicht erleuchtet und in die sichere Hürde der Kirche noch nicht eingetreten sind, oder welche von Uns, die Wir ohne Unser Verdienst die Stelle Jesu Christi hier auf Erden vertreten, durch unglückselige Spaltung im Glauben und in der Einheit getrennt sind. Laßt uns für sie das göttliche Gebet unseres Heilandes zum Vater im Himmel wiederholen: "Auf daß alle eins sein mögen, wie Du, Vater, in mir und ich in Dir, daß auch sie in Uns eins seien, damit die Welt glaube, daß Du mich gesandt hast" (Jn 17,21).

Wie euch sicher bekannt ist, Ehrwürdige Brüder, haben Wir von Anfang Unseres Pontifikates an auch sie, die nicht zur sichtbaren Gemeinschaft der katholischen Kirche gehören, Gottes Schutz und Leitung empfohlen und feierlich versichert, daß Uns in Nachahmung des Beispiels des guten Hirten nichts mehr am Herzen liegt, als daß auch sie das Leben haben und es in Fülle besitzen (Pius XII. Summi Pontificatus: A.A.S., 1939, S. 419). Wir wünschen diese Unsere feierliche Versicherung durch diese Enzyklika, die der Ehre "des großen und glorreichen Leibes Christi" (Iren., Adv. Haer., IV, 33, 7: Migne, P. G. VII, 1076) geweiht ist, zu wiederholen, nachdem Wir soeben um die Gebete der ganzen Kirche nachgesucht haben. Alle jene und jeden einzelnen von ihnen laden Wir mit liebendem Herzen ein, den inneren Antrieben der göttlichen Gnade freiwillig und freudig zu entsprechen und sich aus einer Lage zu befreien, in der sie des eigenen ewigen Heiles nicht sicher sein können (Pius IX, Iam vos omnes, 13 Sept. 1868: Act. Conc. Vat., C. L. VII, 10). Denn mögen sie auch aus einem unbewußten Sehnen und Wünschen heraus schon in einer Beziehung stehen zum mystischen Leib des Erlösers, so entbehren sie doch so vieler wirksamen göttlichen Gaben und Hilfen, deren man sich nur in der katholischen Kirche erfreuen kann. Möchten sie also eintreten in den Kreis der katholischen Einheit und alle, mit uns in der gleichen Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi geeint, an das eine Haupt sich wenden in ruhmreicher Liebesverbundenheit (Gelas. I, Epist. XIV: Migne, P.L. LIX, 89). In unablässigem Flehen zum Geiste der Liebe und der Wahrheit erwarten Wir sie mit ausgebreiteten Armen, nicht als Fremde, sondern als solche, die in ihr eigenes Vaterhaus heimkehren.

Doch wenn es auch Unser Wunsch ist, es möchte unaufhörlich dies Gemeinschaftsgebet des ganzen mystischen Leibes um möglichst baldigen Eintritt aller Irrenden in die eine Hürde Jesu Christi zu Gott emporsteigen, so müssen Wir doch betonen, daß solch ein Schritt aus freiem Willensentschluß geschehen muß, da niemand glauben kann, der es nicht freiwillig tut (August., In Ioann. Ev. tract., XXVI, 2: Migne, P.L. XXX, 1607). Sollten also Menschen, die nicht glauben, wirklich zum Eintritt in den äußerlichen Bau der Kirche, zum Hintreten an den Altar und zum Empfang der Sakramente genötigt werden, so können dies gewiß keine wahren Christgläubigen sein (August., Ibidem). Denn der Glaube, ohne den man Gott unmöglich gefallen kann (He 11,6), muß eine völlig freie "Hingabe des Verstandes und Willens" (Conc. Vat., Const. de fide cath., cap. 3) sein. Sollte daher einmal der Fall eintreten, daß jemand gegen die beständige Lehre dieses apostolischen Stuhles (Leo XIII, Immortale Dei: A.S.S., XVIII, S. 174-175; Cod. lur. Can., c. 1351) wider seinen Willen zum katholischen Glauben gezwungen würde, so müssen Wir dies im Bewußtsein Unserer Amtspflicht unbedingt zurückweisen. Weil aber die Menschen einen freien Willen haben und ihre Freiheit infolge ihrer verkehrten Neigungen und Leidenschaften auch mißbrauchen können, kann nur der Vater der Erleuchtung sie durch den Geist seines geliebten Sohnes wirksam zur Wahrheit bewegen.

Wenn also bedauerlicherweise so viele Menschen noch außerhalb der Wahrheit des katholischen Glaubens stehen und dem Walten der göttlichen Gnade ihre Freiheit nicht unterwerfen, so hat dies seinen Grund nicht nur darin, daß sie selbst (August., Ebd.), sondern auch darin, daß die Christgläubigen keine glühenderen Gebete um diese Gnade an Gott richten. Stets aufs neue wiederholen Wir darum Unsere Mahnung, daß alle in brennender Liebe zur Kirche und nach dem Beispiel des göttlichen Heilandes solche Gebete beharrlich verrichten.

Aber auch dies ist, zumal in der heutigen Zeitlage angebracht, ja notwendig, daß für Könige und Fürsten und für alle Regierenden, die durch ihren Schutz von außen der Kirche beistehen können, innig gebetet wird, damit nach Herstellung einer gerechten Ordnung "der Friede als Werk der Gerechtigkeit" (Is 32,17) von Gottes Liebe beseelt aus den trüben Fluten der Unwetter der müden Menschheit sich zeige und die liebevolle Mutter Kirche ein friedliches und ruhiges Leben führen könne in aller Frömmigkeit und Reinheit (1Tm 2,2). Man muß vor Gott darum anhalten, daß doch alle Lenker der Völker die Weisheit lieben möchten (Sg 6,23), so daß sie nie das furchtbare Urteil des Heiligen Geistes treffe: "Fragen wird der Allerhöchste nach euern Werken, und eure Gedanken wird Er verhören, weil ihr als Walter seiner Gewalt ungerecht geurteilt, die Satzung der Gerechtigkeit nicht beobachtet habt, nach Gottes Willen nicht gewandelt seid. Schrecklich und überraschend wird Er vor euch stehen; denn das härteste Gericht ergeht über die Obrigkeiten. Dem kleinen Mann wird Erbarmen zuteil, die Gewalthaber indes werden gewaltig geschlagen. Gott schont keinen ob seines Ranges, Er fürchtet sich vor keiner Größe. Den Kleinen und den Großen, Er hat sie beide gemacht und gleicherweise auf alle erstreckt sich seine Sorge; doch den Stärkeren droht größere Strafe. Euch, ihr Regenten, gilt dieses mein Wort, daß ihr Weisheit lernet und nie sie mißachtet!" (Ebd., 6, 4-10).

Christus der Herr hat seine Liebe zu seiner unberührten Braut jedoch nicht allein durch unermüdliches Wirken und beharrliches Beten geoffenbart, sondern auch durch die Leiden und Qualen, die Er aus freiwilliger Liebe für sie auf sich nahm. "Da Er die Seinen liebte ... liebte Er sie bis ans Ende" (Jn 13, l). Nur durch sein Blut hat Er sich die Kirche erkauft (Ac 20,28).

So laßt uns, wie es die Sicherstellung unseres Heiles verlangt, frei den blutigen Spuren unseres Königs folgen: "denn wenn wir zur Ähnlichkeit mit Seinem Tode verwachsen sind, werden wir es zugleich mit seiner Auferstehung sein" (Rm 6,5), und "wenn wir mitgestorben sind, werden wir auch mitleben" (2Tm 2,11). Dies heischt von uns zugleich eine echte und tätige Liebe zur Kirche und zu den Seelen, die sie für Christus gebiert. Zwar hat unser Heiland seiner Kirche durch das bittere Leiden und den bitteren Tod einen geradezu unendlichen Schatz von Gnaden verdient. Doch diese Gnaden werden uns nach Gottes weisem Rat nur zu Teilen zugedacht; ihre gößere oder geringere Fülle hängt nicht wenig auch von unseren guten Werken ab, durch die der von Gottes Huld gespendete Gnadenregen auf die Seelen der Menschen herabgezogen wird. Er wird sicherlich in reicher Fülle strömen, wenn wir nicht nur eifrig zu Gott beten und besonders am heiligen Meßopfer womöglich täglich andächtig teilnehmen, nicht nur in christlicher Liebespflicht die Not so vieler Bedürftigen zu lindern versuchen, sondern vor allem, wenn wir den vergänglichen Gütern dieser Welt die ewigen vorziehen; wenn wir diesen sterblichen Leib durch freiwillige Buße in Zucht halten, ihm Unerlaubtes versagen und auch Hartes und Rauhes ihm abfordern; wenn wir endlich die Mühen und Leiden des gegenwärtigen Lebens wie aus Gottes Hand ergeben annehmen. So werden wir gemäß dem Wort des Apostels "an unserem Fleische ergänzen, was an dem Leiden Christi noch fehlt für seinen Leib, die Kirche" (Kol l, 24).

Während wir dies schreiben, steht vor Unseren Augen eine fast unendliche Schar von Bedrängten, deren Schmerz Wir innig mitfühlen. Es sind die Kranken, die Armen, die Krüppel, die Witwen und Waisen, und viele, die am eigenen Leid oder an dem der Ihrigen oft bis zur Erschöpfung tragen. Sie alle ermuntern Wir mit der Liebe eines Vaters, was immer der Grund ihrer Leiden und Drangsale sein mag, sie mögen voll Vertrauen emporblicken zum Himmel und ihre Not dem darbringen, der ihnen einst reichen Lohn dafür spenden wird. Mögen alle sich erinnern, daß ihr Dulden nicht eitel ist, sondern ihnen selbst und der Kirche zugleich großen Segen bringt, wenn sie es in solcher Absicht gelassen auf sich nehmen. Zur größeren Wirksamkeit dieser Absicht trägt sicherlich ungemein viel die täglich erneuerte Selbsthingabe an Gott bei, wie sie die Mitglieder jener frommen Vereinigung üben, die unter dem Namen Gebetsapostolat bekannt ist. Wir legen Wert darauf, den Gott so wohlgefälligen Bund in diesem Zusammenhang herzlich zu empfehlen.

Sollen wir schon zu jeder Zeit um des Heiles der Seelen willen unsere Leiden mit denen des göttlichen Erlösers vereinen, so muß dies heute, Ehrwürdige Brüder, allen ein Gebot sein, indes die furchtbare Kriegsfackel fast den ganzen Erdkreis in Brand steckt und soviel Tod, Elend und Not schafft. Ebenso muß es heute in besonderer Weise für alle ein Gebot der Stunde sein, sich der Laster, der Verführungen der Welt und der körperlichen Ausschweifungen zu enthalten; ja selbst von allem irdischen Tand, dem keinerlei Bedeutung für die christliche Formung der Seele und für unser himmlisches Endziel zukommt. Vielmehr müssen wir das ernste Wort Unseres unsterblichen Vorgängers Leo des Großen einprägen, daß wir durch die Taufe zum Fleisch des Gekreuzigten wurden (Serm. LXIII, 6; LXVI, 3: Migne, P.L. LIV, 357 ; 366), und das herrliche Gebet des heiligen Ambrosius: "Trage mich (Christus) auf Deinem Kreuz, das heilsam ist für die Verirrten, in dem allein Ruhe ist für die Wegesmüden, in dem allein Leben sein wird für alle, die sterben müssen" (In Ps 118, XXII, 30: Migne, P.L. XV, 1521).

Bevor Wir nun schließen, fühlen Wir Uns gedrängt, wieder und wieder alle zu ermahnen, daß sie die gütige Mutter Kirche lieben mit herzlicher, tätiger Liebe. Für ihre Unversehrtheit und ihr reiches, blühendes Wachstum laßt uns täglich dem Ewigen Vater unser Beten, Schaffen und Leiden darbringen, sofern uns wirklich das Heil der gesamten Menschheitsfamilie am Herzen liegt, die durch göttliches Blut erlöst ist. Indes die jagenden Wolken den Himmel verdüstern; indes der gesamten menschlichen Gesellschaft und der Kirche selbst gewaltige Fährnisse drohen, laßt uns dem Vater der Erbarmungen uns und alles Unsere mit dem Gebet vertrauen: "Sieh' hernieder, o Herr, wir bitten Dich, auf diese Deine Familie, für die unser Herr Jesus Christus ohne Bedenken den Händen der Henker sich hingab und Kreuzesqual auf sich nahm" (Off. Maior. Hebd).



EPILOG

DIE SELIGE JUNGFRAU MARIA

Möge die jungfräuliche Gottesmutter, Ehrwürdige Brüder, diesen Unseren Wünschen, die gewiß auch die euern sind, zur Verwirklichung helfen und allen eine unverfälschte Liebe zur Kirche erflehen! Ihre hochheilige Seele war mehr als alle ändern von Gott geschaffenen Seelen vom göttlichen Geiste Jesu Christi erfüllt. Sie hat ihre Zustimmung gegeben "im Namen der ganzen menschlichen Natur", so daß "sich zwischen dem Sohne Gottes und der Menschennatur eine Art geistlicher Ehe" vollzog (S. Thom., III, q, 80, a. 1). Sie hat Christus den Herrn, der schon in ihrem jungfräulichen Schöße mit der Hoheit des Hauptseins über die Kirche umkrönt war, in Wundern geboren, den Quell alles himmlischen Lebens. Sie hat den Neugeborenen denen, die Ihm aus Juden und Heidenland die erste Anbetung zollten, als Prophet, König und Priester dargereicht. Ihr Einziggeborener hat auf ihre Mutterbitte "zu Cana in Galiläa" das Wunderzeichen gewirkt, auf das hin "seine Jünger an Ihn glaubten" (Jn 2,11). Sie hat, frei von jeder persönlichen oder erblichen Verschuldung und immer mit ihrem Sohn aufs innigste verbunden, Ihn auf Golgatha zusammen mit dem gänzlichen Opfer ihrer Mutterrechte und ihrer Mutterliebe dem Ewigen Vater dargebracht als neue Eva für alle Kinder Adams, die von dessen traurigem Fall entstellt waren. So ward sie, schon zuvor Mutter unseres Hauptes dem Leibe nach, nun auch auf Grund eines neuen Titels des Leids und der Ehre im Geiste Mutter aller seiner Glieder. Sie war es, die durch ihre mächtige Fürbitte erlangte, daß der schon am Kreuz geschenkte Geist des göttlichen Erlösers am Pfingsttag der neugeborenen Kirche in wunderbaren Gaben gespendet wurde. Sie hat endlich dadurch, daß sie ihr namenloses Leid tapfer und vertrauensvoll trug, mehr als alle Christgläubigen zusammen, als wahre Königin der Märtyrer, "ergänzt, was an den Leiden Christi noch fehlt ... für seinen Leib, die Kirche" (Kol l, 24). Sie hat den geheimnisvollen Leib Christi, der aus dem durchbohrten Herzen des Heilandes geboren ward (Off. Ssmi Cordis in hymno ad vesp), mit derselben innigen Mutterliebe und Sorge begleitet, womit sie das Jesuskind in der Krippe und an ihrer Brust umhegte und nährte.

Ihrem unbefleckten Herzen haben Wir vertrauensvoll alle Menschen geweiht. Möge sie, die hochheilige Mutter aller Glieder Christi (Pius X, Ad diem illum: A.S.S., XXXVI, S. 453), strahlend jetzt mit Leib und Seele in der Himmelsglorie und herrschend droben mit ihrem Sohn, von Ihm inständig erflehn, daß reiche Ströme der Gnade unaufhörlich vom erhabenen Haupt auf alle Glieder des geheimnisvollen Leibes herabfließen. Möge sie mit ihrer wirksamen Fürsprache wie in vergangenen Zeiten so heute die Kirche schützen und ihr sowie der ganzen Menschheit endlich friedlichere Zeiten von Gott erlangen.

Von dieser übernatürlichen Hoffnung getragen, spenden Wir als Unterpfand himmlischer Gnaden und als Zeugnis Unseres besonderen Wohlwollens euch allen und jedem einzelnen. Ehrwürdige Brüder, sowie der jedem von euch anvertrauten Herde aus ganzem Herzen den apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom, am Grabe des hl. Petrus, am 29. Juni, dem Fest der Hll. Apostel Petrus und Paulus, im Jahre 1943, dem fünften unseres Pontifikats.

PIUS PP. XII





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