Pastores dabo vobis DE 43

I. Die Dimensionen der Priesterbildung


43 "Ohne eine angemessene menschliche Bildung entbehrte die ganze Priesterausbildung ihrer notwendigen Grundlage" (123). Diese Behauptung der Synodenväter benennt nicht nur eine täglich von der Vernunft empfohlene und von der Erfahrung bestätigte Voraussetzung, sondern bringt eine Forderung zum Ausdruck, die ihre tiefere und eigentliche Begründung im Wesen des Priesters und seines Dienstes findet.

Der Priester, der dazu berufen ist, Lebendiges Abbild" Jesu Christi, des Hauptes und Hirten der Kirche, zu sein, muß versuchen, im Maße des Möglichen in sich jene menschliche Vollkommenheit widerzuspiegeln, die im menschgewordenen Sohn Gottes aufleuchtet und mit einzigartiger Wirksamkeit in seinem Verhalten gegenüber den anderen, so wie die Evangelisten es darstellen, durchscheint. Das Dienstamt des Priesters besteht dann darin, daß er das Wort verkündet, das Sakrament feiert und die christliche Gemeinde "im Namen und in der Person Christi" in der Liebe führt, wobei er sich aber immer und nur an konkrete Menschen wendet: "Denn jeder Hohepriester wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott" (
He 5,1). Darum enthüllt die menschliche Bildung des Priesters ihre eigentliche Bedeutung in bezug auf die Empfänger seiner Sendung: Damit sein Dienst menschlich möglichst glaubwürdig und annehmbar ist, muß der Priester seine menschliche Persönlichkeit so formen, daß er sie für die anderen bei der Begegnung mit Jesus Christus, dem Erlöser des Menschen, zur Brücke und nicht zum Hindernis macht. Der Priester muß nach dem Vorbild Jesu, der wußte, was im Menschen ist" (Jn 2,25 vgl. Jn 8,3-11), in der Lage sein, die menschliche Seele in ihrer Tiefe zu kennen, die Schwierigkeiten und Probleme zu erfassen, die Begegnung und den Dialog zu erleichtern, Vertrauen und Zusammenarbeit zu bewirken und ausgewogene, objektive Urteile abzugeben.

Die zukünftigen Priester müssen also nicht nur für eine persönlich richtige und angemessene Reife und Selbstverwirklichung, sondern gerade auch im Hinblick auf ihren Dienst eine Reihe menschlicher Eigenschaften ausbilden, die für die Auferbauung ausgeglichener, starker und freier Charaktere notwendig sind. Solche Persönlichkeiten sollen fähig sein, die Last der pastoralen Verantwortlichkeiten zu tragen. Die Kandidaten müssen also erzogen werden: zu Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit, Achtung vor jedem Menschen, Gerechtigkeitssinn, Einhaltung des gegebenen Wortes, zu echtem Mitgefühl, zu einem konsequenten Lebensstil und besonders zu Ausgewogenheit im Urteil und Verhalten (124). Ein einfaches und verpflichtendes Programm für diese menschliche Formung wird vom Apostel Paulus den Philippern vorgeschlagen. "Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, lobenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!" (Ph 4,8). Interessant ist die Feststellung, daß Paulus gerade für diese zutiefst menschlichen Eigenschaften sich selbst seinen Gläubigen als Vorbild hinstellt: "Was ihr gelernt und angenommen", - so fährt er unmittelbar fort -"gehört und an mir gesehen habt, das tut!" (ebd. Ph 4,9).

Besonders wichtig ist die Beziehungsfähigkeit zu den anderen Menschen. Sie bildet ein wirklich wesentliches Element für jemanden, der berufen ist, für eine Gemeinde Verantwortung zu tragen und "Gemeinschaftsmensch" zu sein. Das verlangt vom Priester, daß er weder arrogant noch streitsüchtig ist, sondern liebenswürdig, gastfreundlich, aufrichtig in dem, was er sagt und denkt, (125) klug und diskret, selbstlos und dienstbereit, fähig, lautere und brüderliche Beziehungen persönlich anzubieten und bei allen zu wecken, bereit, zu verstehen, zu verzeihen und zu trösten (vgl. auch 1Tm 3,1-5 Tt 1,7-9). Die Menschheit unserer Zeit, die sich vor allem in den Ballungsgebieten der Großstädte häufig zu Vermassung und Einsamkeit verurteilt sieht, wird immer empfänglicher für den Wert der Gemeinschaft: Das ist heute eines der beredtsten Zeichen und einer der wirksamsten Wege zur Durchsetzung der Botschaft des Evangeliums.

In diesen Zusammenhang fügt sich als kennzeichnendes und entscheidendes Moment die Ausbildung des Priesterkandidaten zur gefühlsmäßigen Reife ein, als Ergebnis der Erziehung zur wahren und verantwortungsvollen Liebe.


44 Die Reifung des Gefühlslebens setzt voraus, daß man sich der zentralen Stellung der Liebe im menschlichen Dasein bewußt ist. Es ist, wie ich in der Enzyklika Redemptor hominis geschrieben habe, tatsächlich so, daß "der Mensch nicht ohne Liebe leben kann. Er bleibt für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er nicht der Liebe begegnet, wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält" (126).

Es handelt sich um eine Liebe, die den ganzen Menschen, in seinen physischen, psychischen und geistigen Dimensionen und Komponenten, miteinbezieht und die in der "bräutlichen Bedeutung" des menschlichen Leibes zum Ausdruck kommt, dank der sich der Mensch dem anderen hingibt und ihn annimmt. Um das Verständnis und die Verwirklichung dieser "Wahrheit" der menschlichen Liebe geht es der richtig verstandenen Sexualerziehung. Man muß in der Tat in weiten Kreisen eine soziale und kulturelle Situation feststellen, "die menschliche Geschlechtlichkeit banalisiert, weil sie diese in verkürzter und verarmter Weise interpretiert und lebt, indem sie sie einzig mit dem Leib und dem egoistisch verstandenen Vergnügen in Verbindung setzt" (127). Häufig weist der Zustand der Familien, aus denen die Priesterberufe hervorgehen, diesbezüglich viele Mängel und bisweilen auch schwere Störungen auf.

In einem solchen Kontext wird eine Erziehung zu verantworteter Geschlechtlichkeit immer schwieriger, aber auch dringender, die wahrhaft und voll menschlich ist und daher der Achtung und Liebe zur Keuschheit Raum schafft, "als einer Tugend, die die wahre Reifung der Person fördert und sie befähigt, die "bräutliche Bedeutung des Leibes zu achten und zu entfalten" (128).

Die Erziehung zur verantwortungsvollen Liebe und zur gefühlsmäßigen Reife der Person erweist sich nun als ganz und gar unverzichtbar für den, der als Priester zum Zölibat berufen ist, das heißt dazu, mit der Gnade des Geistes und mit der freien Antwort seines eigenen Willens, mit der Gesamtheit seiner Liebe und seiner Sorge für Jesus Christus und die Kirche verfügbar zu sein. Im Hinblick auf die Zölibatsverpflichtung muß die gefühlsmäßige Reife imstande sein, in die menschlichen Beziehungen unbeschwerter Freundschaft und tiefer Brüderlichkeit eine große, lebendige und persönliche Liebe zu Jesus Christus miteinzuschließen. Wie die Synodenväter geschrieben haben: "Wenn die gefühlsmäßige Reifung geweckt werden soll, ist die Liebe Christi von größter Bedeutung, die als ganzheitliche Hingabe fortwirkt. Der zum Zölibat berufene Kandidat wird deshalb in der Reife des Gefühlslebens eine feste Stütze finden, um die Keuschheit in Treue und mit Freude zu leben" (129).

Da das Charisma der Ehelosigkeit, auch wenn es glaubwürdig und erwiesen ist, die Veranlagungen und Neigungen des Gefühls- und des Trieblebens bestehen läßt, benötigen die Priesterkandidaten eine affektive Reife, die fähig ist zu Klugheit, zum Verzicht auf alles, was sie gefährden kann, zum sensiblen Umgang mit Körper und Geist, zu Hochachtung und Respekt in den zwischenmenschlichen Beziehungen mit Männern und Frauen. Eine wertvolle Hilfe dabei kann eine angemessene Erziehung zur wahren Freundschaft bieten, nach dem Vorbild brüderlicher Zuneigung, wie sie Christus selbst in seinem Erdendasein vorgelebt hat (vgl.
Jn 11,5).

Die menschliche Reife, und besonders die im Bereich des Gefühlslebens, verlangt eine klare und starkeFormung zu einer Freiheit, die Gestalt annimmt als überzeugter und liebenswürdiger Gehorsam gegenüber der "Wahrheit" des eigenen Seins, gegenüber dem "Sinngehalt" der eigenen Existenz, das heißt als Gehorsam gegenüber der "aufrichtigen Hingabe seiner selbst" als Weg und Hauptinhalt der authentischen Selbstverwirklichung (130). So verstanden, erfordert die Freiheit, daß die menschliche Person wahrhaft Herrin über sich selbst ist: Sie ist entschlossen, die verschiedenen Formen des Egoismus und Individualismus, die das Leben jedes einzelnen beeinträchtigen, zu bekämpfen und zu überwinden, und bereit, sich in selbstloser Hingabe und im Dienst am Nächsten den anderen gegenüber zu öffnen. Das ist wichtig für die Antwort auf die Berufung, speziell auf die zum Priestertum und für die Treue zu diesem Weg und den mit ihm verbundenen Verpflichtungen auch in schwierigen Augenblicken. Hilfe kann auf diesem Erziehungsweg zu einer reifen, verantwortlichen Freiheit vom Gemeinschaftsleben des Priesterseminars kommen (131).

Mit der Bildung zur verantwortlichen Freiheit eng verbunden ist die Gewissensbildung im moralischen Bereich: Diese enthüllt, während sie im Innersten des eigenen "Ich" darauf drängt, den sittlichen Verpflichtungen zu entsprechen, die tiefe Bedeutung eines solchen Gehorsams: nämlich eine bewußte und freie und daher aus Liebe gegebene Antwort auf den Anruf Gottes und seiner Liebe zu sein. "Die menschliche Reife des Priesters", schreiben die Synodenväter, "muß besonders die Bildung seines Gewissens einschließen. Damit er seine Verpflichtungen gegenüber Gott und der Kirche getreu zu erfüllen und die Gewissen der Gläubigen weise zu führen vermag, muß sich der Kandidat nämlich angewöhnen, auf die Stimme Gottes zu hören, der im Herzen zu ihm spricht, und seinem Willen mit Liebe und Festigkeit nachkommen" (132).


45 Wenn die menschliche Bildung im Rahmen einer Anthropologie erfolgt, die die ganze Wahrheit des Menschen erfaßt, öffnet und vervollkommnet sie sich in der geistlichen Formung. jeder Mensch ist, da er von Gott geschaffen und durch das Blut Christi erlöst wurde, dazu berufen, "aus Wasser und Geist von neuem geboren (vgl. Jn 3,5) und "Kind im Sohn Gottes" zu werden. In diesem eindrucksvollen Plan Gottes liegt das Fundament der grundlegend religiösen Dimension des menschlichen Seins, die übrigens von der einfachen Vernunft intuitiv erkannt und anerkannt wird: Der Mensch ist offen für das Transzendente, für das Absolute; er besitzt ein Herz, das unruhig ist, bis es Ruhe findet im Herrn (133).

Bei diesem nicht unterdrückbaren religiösen Grundbedürfnis setzt der Erziehungsprozeß eines geistlichen Lebens ein und entfaltet sich. Dieses Leben wird als Beziehung zu und Gemeinschaft mit Gott verstanden. Nach der Offenbarung und der ihr entsprechenden christlichen Glaubenserfahrung besitzt die geistliche Formung die unverkennbare Ursprünglichkeit, die aus der "Neuheit" der Christusbotschaft stammt. Denn "sie ist das Werk des Geistes und verpflichtet die Person in ihrer Ganzheit; sie führt ein in die tiefe Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Guten Hirten; sie führt zu einer Unterordnung des ganzen Lebens unter den Geist, in einer kindlichen Haltung gegenüber dem Vater und in einer vertrauensvollen Zugehörigkeit zur Kirche. Sie ist verwurzelt in der Erfahrung des Kreuzes, um in einer tiefen Gemeinschaft zur ganzen Fülle des Ostergeheimnisses führen zu können" (134).

Es handelt sich, wie man sieht, um eine geistliche Formung, die allen Gläubigen gemeinsam ist, die aber entsprechend jenen Sinngehalten und Merkmalen gestaltet werden will, die sich aus der Identität des Priesters und seines Dienstes. herleiten. Und wie für jeden Gläubigen in bezug auf sein Wesen und seine christliche Existenz im Sinn der "neuen Schöpfung" in Christus, die im Geiste lebt, die geistliche Formung den zentralen Einheitsgrund bildet, so stellt für Jeden Priester die geistliche Formung die Mitte dar, die sein Priestersein und sein Wirken als Priester zusammenhält und belebt. In diesem Sinne stellen die Synodenväter fest, daß "beim Fehlen einer geistlichen Formung die pastorale Ausbildung ohne Grundlage vorgenommen würde (136) und daß die geistliche Formung gleichsam das wichtigste Element in der Priestererziehung darstellt"(137).

Der wesentliche Inhalt der geistlichen Formung für einen klar konzipierten Ausbildungsweg zum Priestertum wird von dem Konzilsdekret Optatam totius gut umschrieben: Bei der geistlichen Formung "sollen die Alumnen lernen, in inniger und steter Gemeinschaft mit dem Vater durch seinen Sohn Jesus Christus im Heiligen Geist zu leben. Durch die heilige Weihe werden sie einst Christus dem Priester gleichförmig; so sollen sie auch lernen, ihm wie Freunde in enger Gemeinschaft des ganzen Lebens verbunden zu sein. Sein Pascha-Mysterium sollen sie so vorleben, daß sie das Volk, das ihnen anvertraut wird, darin einzuführen vermögen. Sie sollen angeleitet werden, Christus zu suchen: in der gewissenhaften Meditation des Gotteswortes, in der aktiven Teilnahme an den heiligen Geheimnissen der Kirche, vor allem in der Eucharistie und im Stundengebet, im Bischof, der ihnen die Sendung gibt, und in den Menschen, zu denen sie gesandt werden, vor allem in den Armen, den Kindern und den Kranken, den Sündern und Ungläubigen. Die seligste Jungfrau Maria, die von Christus Jesus bei seinem Tod am Kreuz dem jünger als Mutter gegeben wurde, sollen sie mit kindlichem Vertrauen lieben und verehren".


46 Der Konzilstext verdient es, daß sorgfältig und liebevoll über ihn nachgedacht wird; daraus lassen sich dann leicht einige grundlegende Wertvorstellungen und Erfordernisse für den spirituellen Bildungsweg des Priesteramtskandidaten gewinnen.

Zunächst werden der Wert und die Notwendigkeit herausgestellt, Jesus Christus "in enger Gemeinschaft verbunden zu sein". Die Verbundenheit mit dem Herrn Jesus, die sich auf die Taufe gründet und durch die Eucharistie genährt wird, will im Leben jedes Tages dadurch Ausdruck finden, daß sie dieses Leben radikal erneuert. Die enge Gemeinschaft mit der göttlichen Trinität, das heißt das neue Leben der Gnade, die Menschen zu Kindern Gottes macht, stellt die "Neuartigkeit" des Glaubenden dar: eine Neuartigkeit, die das Sein und das Tun miteinbezieht. Sie macht das "Geheimnis" der christlichen Existenz aus, die unter dem Einfluß des Geistes steht: Diese Neuartigkeit muß folglich auch das "Ethos" im Leben des Christen prägen. Diesen wunderbaren Gehalt der christlichen Existenz, der auch die Herzmitte des geistlichen Lebens ist, hat uns Jesus mit dem Gleichnis vom Weinstock und von den Reben gelehrt: "Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer ... Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen" (
Jn 15,1 Jn 15,4-5).

In der modernen Kultur fehlt es gewiß nicht an geistlichen und religiösen Werten, und allem gegenteiligen Anschein zum Trotz hungert und dürstet es den Menschen auch heute unablässig nach Gott. Aber der christliche Glaube läuft nicht selten Gefahr, als eine Religion unter vielen betrachtet und auf eine bloße Sozialethik im Dienst des Menschen verkürzt zu werden. So wird seine umwälzende Neuartigkeit in der Geschichte nicht immer sichtbar: Er ist "Geheimnis", er ist das Heilsgeschehen vom Sohn Gottes, der Mensch wird und allen, die ihn aufnehmen, "Macht gibt, Kinder Gottes zu werden" (Jn 1,12), er ist die Verkündigung, ja das Geschenk eines persönlichen Liebes- und Lebensbundes Gottes mit dein Menschen. Nur wenn die künftigen Priester durch eine angemessene geistliche Formung dieses "Geheimnis" in seiner Tiefe kennengelernt und in wachsendem Maße erfahren haben, werden sie den anderen diese erstaunliche und seligmachende Botschaft mitteilen können (vgl. 1Jn 1,1-4).

Der Konzilstext kennzeichnet, obgleich er um die absolute Transzendenz des christlichen Geheimnisses weiß, die enge Verbundenheit der künftigen Priester mit Jesus durch den nuancierten Ausdruck der Freundschaft. Sie ist kein vermessener Anspruch, den der Mensch von sich aus stellt. Sie ist einfach das unschätzbare Geschenk Christi, der zu seinen Aposteln gesagt hat: "Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe" (Jn 15,15)

Der Konzilstext weist dann auf einen weiteren großen spirituellen Wert hin: die Suche nach Jesus."Sie sollen angeleitet werden, Christus zu suchen." Das ist, zusammen mit dem quaerere Deum, ein klassisches Thema der christlichen Spiritualität, das gerade im Zusammenhang mit der Berufung der Apostel seine spezifische Anwendung findet. Wenn Johannes davon berichtet, wie die ersten beiden jünger Jesus folgen, macht er deutlich, welchen Stellenwert diese "Suche" einnimmt. Es ist Jesus selbst, der die Frage stellt: "Was wollt ihr?" Und die beiden antworten: "Rabbi, wo wohnst du?" Der Evangelist fährt fort: "Er antwortete: Kommt und steht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm" (Jn 1,37-39). Das geistliche Leben dessen, der sich auf das Priestertum vorbereitet, wird in gewissem Sinne von dieser Suche beherrscht: von ihr und vom "Finden" des Meisters, um ihm zu folgen, um bei ihm zu bleiben. Auch im Dienst und im Leben des Priesters wird dieses "Suchen" weitergehen müssen, so unerschöpflich ist das Geheimnis der Nachahmung und Teilnahme am Leben Christi. Ebenso muß das "Finden" des Meisters weitergehen, um die anderen auf ihn hinzuweisen, besser noch, um in den anderen das sehnsüchtige Verlangen zu wecken, den Meister zu suchen. Ein solcher Prozeß ist tatsächlich möglich wenn den Menschen eine Lebenserfahrung bezeugt wird, die sich als mitteilenswert erweist. Das war der Weg, den Andreas einschlug, als er seinen Bruder Simon zu Jesus brachte: Andreas, so schreibt der Evangelist Johannes, "traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Er führte ihn zu Jesus" (Jn 1,41-42). Und so wird auch Simon als Apostel in die Nachfolge des Messias berufen: Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus)" (Jn 1,42).

Aber was bedeutet die Suche nach Jesus im geistlichen Leben? Und wo ist er zu finden? "Rabbi, wo wohnst du?" Das Konzilsdekret Optatam totius scheint einen dreifachen Weg anzugeben, der durchlaufen werden soll: die gewissenhafte Meditation des Gotteswortes, die aktive Teilnahme an den heiligen Geheimnissen der Kirche, der Liebesdienst an den "Kleinen". Das sind drei große Werte und Anforderungen, die den Inhalt der geistlichen Formung des Priesterkandidaten weiter bestimmen.


47 Ein wesentliches Element der geistlichen Formung ist die von Betrachtung und Gebet begleitete Lesung des Gotteswortes (lectio divina), das demütige und liebevolle Hinhören auf den, der spricht. Denn im Licht und in der Kraft des Gotteswortes kann die eigene Berufung entdeckt, verstanden, geliebt und befolgt und die eigene Sendung so erfüllt werden, daß die ganze Existenz ihre eine und radikale Bedeutung darin findet, Zielpunkt für das Wort Gottes zu sein, der den Menschen ruft, und Ausgangspunkt für das Wort des Menschen, der Gott antwortet. Die Vertrautheit mit dem Wort Gottes wird den Weg der Umkehr nicht nur in der Weise erleichtern, daß eine Abwendung vom Bösen erfolgt, um dem Guten anzuhängen, sondern auch in dem Sinn, daß im Herzen die Gedanke Gottes genährt werden, so daß der Glaube als Antwort auf Gottes Wort zum neuen Kriterium für die Beurteilung und Bewertung von Menschen und Dingen, von Ereignissen und Problemen wird.

Nur wenn wir uns dem Wort Gottes in seiner Wesenswahrheit nähern und es aufnehmen, ermöglicht es uns tatsächlich die Begegnung mit Gott selbst, mit Gott, der zum Menschen spricht; es ermöglicht uns die Begegnung mit Christus, dem Wort Gottes, der Wahrheit, die zugleich auch der Weg und das Leben ist (vgl.
Jn 14,6). Es geht darum, die "Schriften" zu lesen und dabei auf die "Worte", auf das "Wort" Gottes, zu hören, wie uns das Konzil in Erinnerung bringt: "Die Heiligen Schriften enthalten das Wort Gottes und, weil inspiriert, sind sie wahrhaft Wort Gottes (138). Und ebenso sagt das Konzil: "In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Col 1,15 1Tm 1,7) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11 Jn 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Ba 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen" (139).

Das liebevolle Kennenlernen und die vom Gebet begleitete Vertrautheit mit dem Wort Gottes sind von besonderer Bedeutung für den prophetischen Dienst des Priesters, für dessen angemessene Durchführung diese Haltung zu einer unumgänglichen Voraussetzung wird, vor allem im Zusammenhang mit der "Neu-Evangelisierung", zu der die Kirche heute aufgerufen ist. Das Konzil ermahnt: "Darum müssen alle Kleriker, besonders Christi Priester und die anderen, die sich als Diakone oder Katecheten ihrem Auftrag entsprechend dem Dienst des Wortes widmen, in beständiger heiliger Lesung und gründlichem Studium sich mit der Schrift befassen, damit keiner von ihnen werde zu einem, hohlen und äußerlichen Prediger des Wortes Gottes, ohne dessen innerer Hörer zu sein (hl. Augustinus, Serm.179, 1 - PL 38, 966)" (140).

Die erste und grundlegende Form einer Antwort auf das Wort Gottes ist das Gebet, das zweifellos einen wesentlichen Wert und ein zentrales Erfordernis der geistlichen Formung darstellt. Diese soll die Priesteramtskandidaten dazu anleiten, den echten Sinn des christlichen Gebets kennenzulernen und zu erfahren, daß es nämlich eine lebendige und persönliche Begegnung mit dem Vater durch den eingeborenen Sohn unter der Einwirkung des Geistes ist, ein Dialog, der zur Teilnahme an der Sohnesbeziehung Jesu zum Vater wird. Daß der Priester "Gebetserzieher" sein soll, ist sicher kein nebensächlicher Aspekt seiner Sendung. Aber nun wenn der Priester in der Schule des betenden Jesus ausgebildet worden ist und sich darin weiterbildet, wird er die anderen in der gleichen Schulung ausbilden können. Die Menschen wollen den Priester so haben: "Der Priester ist der Mann Gottes, der Gott gehört und an Gott erinnert. Wenn der Hebräerbrief von Christus spricht, stellt er ihn vor als einen barmherzigen und treuen Hohepriester vor Gott (He 2,17) ... Die Christen hoffen, im Priester nicht nur einen Menschen zu finden, der sie aufnimmt, sie gern anhört und ihnen aufrichtige Sympathie entgegenbringt, sondern auch und vor allem einen Menschen, der ihnen hilft, auf Gott zu schauen und auf ihn zuzugehen. Deshalb ist es notwendig, daß der Priester zu einer tiefen Verbundenheit mit Gott erzogen wird. Diejenigen, die sich auf den Priesterberuf vorbereiten, müssen verstehen, daß der ganze Wert ihres Priesterlebens davon abhängt, inwieweit sie sich selbst Christus und durch Christus dem Vater schenken" (141).

Angesichts des lärmenden Treibens und aufgeregter Unruhe, wie sie in unseren Gesellschaften so häufig zu beobachten sind, ist die Gebetserziehung auch und zuerst Erziehung zum tief menschlichen Verständnis und zum religiösen Wert der Stille. sie bildet die unerläßliche geistliche Atmosphäre, um die Gegenwart Gottes zu erfassen und sich von ihr ergreifen zu lassen (vgl. 1R 19,11 ff.).


48 Höhepunkt des christlichen Gebets ist die Eucharistie, die sich ihrerseits als "Höhepunkt und Quelle" der Sakramente und des Stundengebets erweist. Und ganz notwendig für die geistliche Formung jedes Christen und insbesondere jedes Priesters ist die liturgische Erziehung, verstanden als lebendige Einbeziehung in das Paschamysterium Jesu Christi, der, gestorben und auferstanden, in den Sakramenten der Kirche gegenwärtig und wirksam ist. Die Gemeinschaft mit Gott, Stütze des ganzen geistlichen Lebens, ist Geschenk und Frucht der Sakramente; und gleichzeitig ist sie Aufgabe und Verantwortung, die die Sakramente der Freiheit des Glaubenden übertragen, damit eben diese Gemeinschaft in den Entschlüssen, Entscheidungen, Haltungen und Tätigkeiten seines Alltagslebens lebendig ist. In diesem Sinne ist die "Gnade", die das christliche Leben "neu" macht, die Gnade des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, der seinen heiligen und heiligmachenden Geist weiter in den Sakramenten ausgießt. Auf diese Weise wird das "neue Gesetzt", das die Existenz des Christen leiten und regeln soll, von den Sakramenten in das "neue Herz" eingeschrieben. Es ist das Gesetzt der Liebe zu Gott und den Menschen als Antwort und Fortsetzung der von den Sakramenten zum Ausdruck gebrachten und mitgeteilten Liebe Gottes zum Menschen. Von daher läßt sich unmittelbar die Bedeutung einer "vollen, bewußten und tätigen" (142). Teilnahme an der Feier der Sakramente für die Gabe und Aufgabe jener "Hirtenliebe" begreifen, die die Seele des priesterlichen Dienstes bildet.

Das gilt vor allem für die Teilnahme an der Eucharistie, die zum Gedächtnis des Opfertodes Christi und seiner glorreichen Auferstehung als "Sakrament der Frömmigkeit, Zeichen der Einheit und Band der Liebe" (143) gefeiert wird; sie ist das Ostermahl, bei dem "wir Christus empfangen, unsere Seele mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der zukünftigen Herrlichkeit geschenkt wird" (144). In ihrer Berufung zum Dienst am Heiligen sind die Priester also vor allem Diener beim Meßopfer (145): Ihre Rolle ist ganz und gar unersetzlich, denn ohne Priester kann es kein Eucharistieopfer geben.

Das erklärt die zentrale Bedeutung der Eucharistie für das Leben und den Dienst des Priesters; dies gilt folglich auch für die geistliche Ausbildung der Kandidaten zum Priesterberuf. Ich wiederhole schlicht und einfach und mit größter Sachlichkeit: "Es ist daher notwendig, daß die Seminaristen jeden Tag an der Eucharistiefeier teilnehmen, damit sie später in ihrem Priesterleben diese tägliche Feier zur Regel machen. Sie sollen außerdem dazu erzogen werden, die Eucharistiefeier als den wichtigsten Augenblick des Tages zu betrachten, an dem sie aktiv teilnehmen; sie sollen sich aber nie mit einem nur gewohnheitsmäßigen Mitvollzug begnügen. Endlich sollen die Priesteramtskandidaten zu den inneren Haltungen erzogen werden, die die Eucharistie fördert: zur Dankbarkeit für die von oben empfangenen Wohltaten, denn Eucharistie ist Danksagung; zur Haltung der Hingabe, die sie drängt, das eigene persönliche Opfer mit dem eucharistischen Opfer Christi zu vereinen; zur Liebe, die von einem Sakrament genährt wird, das Zeichen der Einheit und der Mitbeteiligung ist; zu dem Verlangen nach Betrachtung und Anbetung des in den eucharistischen Gestalten wirklich gegenwärtigen Christus" (146).

Dringend geboten ist der Hinweis, daß im Rahmen der geistlichen Ausbildung die Schönheit der sakramentalen Versöhnung und die Freude daran wiederentdeckt werden sollte. In einer Kultur, die Gefahr läuft, durch neu hervorgeholte, sehr subtile Formen der Selbstrechtfertigung unglücklicherweise das "Sündenbewußtsein" und infolgedessen die trostreiche Freude über das Geschenk der Vergebung (vgl. Ps
Ps 51,24) und über die Begegnung mit Gott, "der voll Erbarmen ist" (Ep 2,4), zu verlieren, ist es dringend notwendig, die künftigen Priester zur Tugend der Buße zu erziehen, die von der Kirche in ihren liturgischen Feiern und in den verschiedenen Abschnitten des Kirchenjahres weise genährt wird und ihre Fülle im Sakrament der Versöhnung findet. Daraus entspringen der Sinn für Askese und innere Disziplin, der Opfergeist und die Bereitschaft zum Verzicht, die Annahme der Mühe und des Kreuzes. Es handelt sich um Elemente des geistlichen Lebens, die sich nicht selten als besonders schwierig für viele Priesteramtskandidaten herausstellen, die in relativ bequemen und wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen sind und infolge der durch die Massenmedien verbreiteten Verhaltensmodelle und Ideale nicht gerade sensibel und empfänglich für eben diese Elemente gemacht worden sind; das trifft auch in Ländern zu, wo die Lebensverhältnisse einfacher und die Situation der Jugend strenger ist. Darum, aber vor allem um die "radikale Selbsthingabe" nach dem Vorbild Christi, des Guten Hirten, gerade im Leben des Priesters zu verwirklichen, haben die Synodenväter geschrieben: "Es ist notwendig, den Kandidaten den Sinn für das Kreuzesgeschehen einzuprägen, das in der Mitte des Ostergeheimnisses steht. Dank dieser Identifikation mit dem als Knecht gekreuzigten Christus vermag die Welt, selbst in der von Säkularismus, Gewinn- und Genußsucht geprägten Kultur unserer Zeit, den Wert der Einfachheit, des Schmerzes und auch des Martyriums wiederzuentdecken" (147).


49 Zur geistlichen Formung gehört auch, Christus in den Menschen zu suchen. Das geistliche Leben ist sicher innerliches Leben, Leben inniger Vertrautheit mit Gott, Leben des Gebets und der Kontemplation. Aber gerade die Begegnung mit Gott und mit seiner väterlichen Liebe zu allen stellt unvermeidlich die Forderung nach der Begegnung mit dem Nächsten, der Hingabe an die anderen in dem demütigen und selbstlosen Dienst, den Jesus, als er den Aposteln die Füße wusch, allen als Lebensprogramm aufgetragen hat: "Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe" (Job 13,15).

Die Hinführung zu der großherzigen und freiwilligen Selbsthingabe, die auch von der normalerweise für die Vorbereitung auf das Priestertum gewählten Gemeinschaftsform begünstigt wird, stellt eine unverzichtbare Voraussetzung für den dar, der berufen ist, zur Erscheinung und Transparenz des Guten Hirten zu werden, der sein Leben hingibt (vgl. Job 10, 11. 15). In dieser Hinsicht verfügt die geistliche Formung über eine innere pastorale bzw. karitative Dimension, die sie entfalten muß. Dabei kann sie sich auch vorteilhaft einer richtigen, das heißt einer tiefen und zarten Verehrung des Herzens Jesu bedienen, wie die Synodenväter hervorheben: "Die künftigen Priester in der Herz-Jesu-Spiritualität zu formen, heißt ein Leben führen, das der Liebe und Zuneigung Christi, des Priesters und Guten Hirten, entspricht: seiner Liebe zum Vater im Heiligen Geist, seiner Liebe zu den Menschen bis zur Aufopferung seines Lebens" (148).

Der Priester ist also der Mann der Liebe, und er ist dazu berufen, die anderen zur Nachahmung Christi und zu dem neuen Gebot von der brüderlichen Liebe zu erziehen (vgl. Joh
Jn 15,12). Aber das erfordert, daß er selber sich ständig vom Geist zur Liebe Christi erziehen läßt. In diesem Sinne muß die Vorbereitung auf den Priesterberuf eine ernsthafte Bildung zur Liebe einschließen, im besonderen zur vorrangigen Liebe für die "Armen", in denen der Glaube die Gegenwart Jesu entdeckt (vgl. Joh Jn 25,40), und zur barmherzigen Liebe für die Sünder.

In der Perspektive dieser liebenden Selbsthingabe findet die Erziehung zum Gehorsam, zurEhelosigkeit und zur Armut in der geistlichen Formung des künftigen Priesters ihren angemessenen Platz (149). In diesem Sinne liegt auch die Aufforderung des Konzils: "Die Alumnen müssen mit voller Klarheit verstehen, da sie nicht zum Herrschen oder für Ehrenstellen bestimmt sind, sondern sich ganz dem Dienst Gottes und der Seelsorge widmen sollen. Mit besonderer Sorgfalt sollen sie im priesterlichen Gehorsam, in armer Lebensweise und im Geist der Selbstverleugnung erzogen werden, so daß sie sich daran gewöhnen, auch auf erlaubte, aber unnötige Dinge bereitwillig zu verzichten und dem gekreuzigten Christus ähnlich zu werden" (150).


50 Die geistliche Formung dessen, der zu einem ehelosen Leben berufen ist, muß den künftigen Priester mit besonderer Sorgfalt darauf vorbereiten, den Zölibat in seinem eigentlichen Wesen und in seinen wahren Zielsetzungen, also in seinen evangeliumsgemäßen geistlichen und pastoralen Begründungen kennenzulernen, zu achten, zu lieben und zu leben. Voraussetzung und Inhalt dieser Vorbereitung ist die Tugend der Keuschheit, die alle menschlichen Beziehungen kennzeichnet und die dazu anleitet, "nach dem Beispiel Christi eine aufrichtige, menschliche, brüderliche, persönliche und opferfähige Liebe zu allen und zu jedem einzelnen zu erproben und zu bekunden" (151).

Die Ehelosigkeit der Priester trägt das Merkmal der Keuschheit. Ihre prägenden Charakteristika lassen sich im Blick auf die Priester so umschreiben: "Sie verzichten um des Himmelreiches willen (vgl. Mt
Mt 19,12) auf die eheliche Gemeinschaft, bangen dem Herrn mit ungeteilter Liebe an, wie sie dem Neuen Bund in besonderer Weise entspricht; sie geben Zeugnis für die Auferstehung in der künftigen Welt (vgl. Lk Lc 20,36) und gewinnen besonders wirksame Hilfe zur ständigen Übung jener vollkommenen Liebe, die sie in ihrer priesterliche Arbeit allen alles werden läßt" (152). In diesem Sinne kann der priesterliche Zölibat weder als eine bloße Rechtsnorm noch als eine ganz äußerliche Bedingung für die Zulassung zur Priesterweihe angesehen werden. Er ist vielmehr als ein Wert zu begreifen, der tief mit der heiligen Weihe verbunden ist, die den Priester Jesus Christus, dem Guten Hirten und Bräutigam der Kirche gleichförmig macht, und daher als die Wahl einer größeren und ungeteilten Liebe zu Christus und zu seiner Kirche und in voller, freudiger Verfügbarkeit des Herzens für den priesterlichen Dienst. Der Zölibat ist als eine besondere Gnade, als ein Geschenk anzusehen: "Nicht alle können es erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist" (Mt 19,11). Gewiß handelt es sich um eine Gnade, die ihren Empfänger nicht von der bewußten und freien Antwort entbindet, sondern diese mit einzigartiger Kraft von ihm fordert. Dieses Charisma des Geistes schließt auch die Gnade ein, daß derjenige, der sie empfängt, das ganze Leben treu bleibt und mit Selbstlosigkeit und Freude die damit verbundenen Verpflichtungen erfüllt. In der Ausbildung zum priesterlichen Zölibat muß das Bewußtsein vom "kostbaren Geschenk Gottes" (153) gewährleistet sein; es wird zum Gebet und zur Wachsamkeit anleiten, damit das Geschenk vor allem, was es bedrohen könnte, geschützt wird.

Der ehelos lebende Priester wird seinen Dienst im Volk Gottes besser erfüllen können. Indem er den evangelischen Wert der Jungfräulichkeit bezeugt, wird er insbesondere die christlichen Eheleute dazu anhalten können, das "große Sakrament" der Liebe des Bräutigams Christus zu seiner Braut, der Kirche, in seiner Fülle zu leben, so wie auch seine Treue im Zölibat für die Treue der Eheleute hilfreich sein wird (154).

Die Bedeutung und die Schwierigkeit der Hinführung zur priesterlichen Ehelosigkeit, insbesondere unter den heutigen sozialen und kulturellen Gegebenheiten, haben die Synodenväter zu einer Reihe von Anträgen veranlaßt, deren bleibende Gültigkeit im übrigen von der Weisheit der Mutter Kirche bestätigt wird. Ich lege sie hier als Kriterien wieder vor, die bei der Erziehung zur Keuschheit im Zölibat befolgt werden sollten: "Die Bischöfe sollen zusammen mit den Rektoren und den Spirituälen der Seminare Grundsätze festlegen, Kriterien und Hilfen anbieten für den Unterscheidungsprozeß auf diesem Gebiet. Von größter Wichtigkeit für die Erziehung zur Keuschheit im Zölibat sind die Sorge des Bischofs und das brüderliche Leben unter den Priestern. Im Seminar, das heißt in seinem Ausbildungsprogramm, soll der Zölibat mit aller Klarheit, ohne jede Doppeldeutigkeit und in seinem positiven Gehalt, dargestellt werden. Der Seminarist soll über einen hinreichenden Grad psychischer und sexueller Reife sowie über ein eifriges und echtes Gebetsleben verfügen und unter der Führung eines geistlichen Begleiters stehen. Der Spiritual soll dem Seminaristen dabei helfen, daß er zu einer reifen und freien Entscheidung gelangt, die sich auf die Wertschätzung der priesterlichen Freundschaft und der Selbstbeherrschung sowie auch auf die Annahme der Einsamkeit und auf ein in rechter Weise verstandenes physisches und psychologisches Persönlichkeitsbild gründet. Darum sollen die Seminaristen die Lehre des II. Vatikanischen Konzils, die Enzyklika Sacerdotalis caelibatus und die 1974 von der Kongregation für das katholische Bildungswesen herausgegebene Instruktion über die Erziehung zum priesterlichen Zölibat gut kennen. Damit der Seminarist den priesterlichen Zölibat in freier Entscheidung um des Himmelreiches willen auf sich nehmen kann, ist es notwendig, daß er um die christliche und wahrhaft menschliche Natur sowie um den Zweck der Geschlechtlichkeit in der Ehe und im Zölibat Bescheid weiß. Es ist auch notwendig, die gläubigen Laien über die dem Zölibat eigenen evangelischen, spirituellen und pastoralen Motivationen zu unterweisen, so daß sie den Priestern durch Freundschaft, Verständnis und Zusammenarbeit behilflich sein können" (155).


Pastores dabo vobis DE 43