Vita consecrata DE 31

Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensformen des Christen


31 Die verschiedenen Lebensformen, in die sich nach dem Plan des Herrn Jesus das kirchliche Leben gliedert, weisen wechselseitige Beziehungen auf, die einer eingehenderen Betrachtung wert sind.Alle Gläubigen teilen kraft ihrer Wiedergeburt in Christus eine gemeinsame Würde; alle sind zur Heiligkeit berufen; alle wirken am Aufbau des einen Leibes Christi mit, ein jeder entsprechend seiner Berufung und der vom Geist empfangenen Gabe (vgl. Röm Rm 12,3-8).Die gleiche Würde unter allen Gliedern der Kirche ist das Werk des Geistes, sie ist begründet auf der Taufe und der Firmung und wird gestärkt durch die Eucharistie. Aber Werk des Geistes ist auch die Vielgestaltigkeit. Er ist es, der in der Vielfalt von Berufungen, Charismen und Dienstämtern die Kirche in einer organischen Gemeinschaft begründet.ie Berufungen zum Leben als Laie, zum geweihten Dienst und zum geweihten Leben können gleichsam als beispielhaft angesehen werden, da alle einzelnen Berufungen sich unter dem einen oder anderen Aspekt auf sie berufen oder auf sie zurückführen lassen, ob man sie nun einzeln oder zusammen empfängt, je nach dem Reichtum der Gabe Gottes. Darüber hinaus dienen sie einander zum Wachstum des Leibes Christi in der Geschichte und zu seiner Sendung in der Welt. Alle in der Kirche haben die Tauf-oder Firmweihe erhalten, aber das geweihte Dienstamt und das geweihte Leben setzen jeweils eine unterschiedliche Berufung und eine besondere Weiheform im Hinblick auf eine bestimmte Sendung voraus.Angemessene Grundlage für die Sendung der Laien, deren Aufgabe es ist, »in der Verwaltung und gottgemäben Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen«,ist die allen Gliedern des Gottesvolkes gemeinsame Taufweihe. Die geweihten Diener empfangen auber dieser grundlegenden Weihe jene der Ordination, um das apostolische Dienstamt in der Zeit fortzuführen. Die Personen des geweihten Lebens, die die evangelischen Räte befolgen, erhalten eine neue und besondere Weihe, die – auch wenn sie keinen sakramentalen Charakter hat – sie verpflichtet, sich in Zölibat, in der Armut und im Gehorsam die Lebensform zu eigen zu machen, die Jesus persönlich gelebt hat und von ihm den Jüngern empfohlen worden ist. Obwohl diese verschiedenen Stände Bekundungen des einzigartigen Geheimnisses Christi sind, haben die Laien als besonderes, wenn auch nicht ausschliebliches Merkmal den Weltcharakter, die geweihten Hirten den Dienstamtscharakter, die Ordensleute die besondere Gleichförmigkeit mit dem keuschen, armen und gehorsamen Christus.

Der besondere Wert des geweihten Lebens


32 In dieser harmonischen Gesamtheit von Gaben ist jede der grundlegenden Lebensformen mit der Aufgabe betraut, in ihrem eigenen Lebensstand die eine oder andere Dimension des einzigartigen Geheimnisses Christi zum Ausdruck zu bringen. Wenn das Laienleben einen besonderen Auftrag hat, der Botschaft des Evangeliums innerhalb der zeitlichen Wirklichkeit Gehör zu verschaffen, so wird im Bereich der kirchlichen Gemeinschaft von den Mitgliedern des geweihten Standes ein unersetzlicher Dienst versehen, in besonderer Weise von den Bischöfen. Diese haben die Aufgabe, das Volk Gottes zu leiten durch die Lehre des Wortes, die Spendung der Sakramente und die Ausübung der heiligen Amtsgewalt im Dienste der kirchlichen Gemeinschaft, die eine organische, hierarchisch geordnete Gemeinschaft ist.as die Bedeutung der Heiligkeit der Kirche angeht, mub ein objektiver Vorrang dem geweihten Leben zuerkannt werden, das die Lebensweise Christi selbst widerspiegelt. Eben deshalb findet sich darin eine besonders reichhaltige Beschreibung der evangelischen Güter und eine vollkommenere Verwirklichung des Zieles der Kirche, das die Heiligung der Menschheit ist. Das geweihte Leben kündigt die künftige Zeit an und nimmt sie gewissermaben vorweg, wenn jenes Himmelreich, das schon jetzt im Keim und im Geheimnis gegenwärtig ist, zur Vollendung gelangt ist,und die Kinder der Auferstehung nicht mehr heiraten, sondern sein werden wie die Engel Gottes (vgl. Mt Mt 22,30).Tatsächlich ist die Vorzüglichkeit der vollkommenen Keuschheit um des Himmelreiches willen,die zu Recht als das »Tor« zum ganzen geweihten Leben gilt,Thema der feststehenden Lehre der Kirche. Sie zollt allerdings grobe Hochachtung der Berufung zur Ehe, die die Eheleute zu »Zeugen und Mitarbeitern der fruchtbaren Mutter Kirche« macht »zum Zeichen und in Teilnahme jener Liebe, in der Christus seine Braut geliebt und sich für sie hingegeben hat«.nter diesem Gesichtspunkt, der dem ganzen geweihten Leben gemeinsam ist, bewegen sich untereinander verschiedene, aber sich ergänzende Wege. Die Personen des geweihten Lebens, die sich gänzlich der Kontemplation widmen, sind in besonderer Weise Abbild Christi, der auf dem Berg betet.Die geweihten Personen mit einem aktiven Leben tun ihn kund, »wie er den Scharen das Reich Gottes verkündigt oder wie er die Kranken und Schwachen heilt und die Sünder zum Guten bekehrt oder wie er die Kinder segnet und allen Wohltaten erweist«.Einen besonderen Dienst an der Ankunft des Reiches Gottes versehen die Personen geweihten Lebens in denSäkularinstituten ; sie vereinen in einer spezifischen Synthese den Wert der Weihe mit dem Charakter des Säkularen. Indem sie ihre Weihe in der Welt und von der Welt ausgehend leben,»sind [sie] bestrebt, wie ein Sauerteig alles mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen zur Stärkung und zum Wachstum des Leibes Christi«.Sie haben zu diesem Zweck Anteil am Verkündigungsdienst der Kirche durch das persönliche Zeugnis eines christlichen Lebens, durch den Einsatz, damit die zeitlichen Dinge nach dem Willen geordnet seien, durch die Mitarbeit im Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft, entsprechend dem ihrer Lebensausrichtung eigenen Weltcharakter.

Das Evangelium der Seligpreisungen bezeugen


33 Besondere Aufgabe des geweihten Lebens ist es, in den Getauften das Bewubtsein für die wesentlichen Werte des Evangeliums lebendig zu erhalten, indem sie »ein deutliches und hervorragendes Zeugnis dafür geben, dab die Welt nicht ohne den Geist der Seligpreisungen verwandelt und Gott dargebracht werden kann«.Auf diese Weise läbt das geweihte Leben fortwährend im Bewubtsein des Gottesvolkes das Bedürfnis aufbrechen, mit der Heiligkeit des Lebens auf die durch den Heiligen Geist in die Herzen ausgegossene Liebe Gottes zu antworten (vgl. Röm Rm 5,5), indem sich in der Haltung die sakramentale Weihe widerspiegelt, die durch Gottes Wirken in der Taufe und in der Firmung oder in der Weihe erfolgt ist. Es ist in der Tat notwendig, von der in den Sakramenten vermittelten Heiligkeit zur Heiligkeit des täglichen Lebens überzugehen. Das geweihte Leben stellt sich mit seiner Existenz in der Kirche in den Dienst der Heiligung des Lebens jedes Gläubigen, des Laien wie des Klerikers.Andererseits darf man nicht vergessen, dab die Personen des geweihten Lebens auch ihrerseits vom eigenen Zeugnis der anderen Berufungen eine Hilfe erhalten, um die Zugehörigkeit zum Geheimnis Christi und der Kirche in ihren vielfältigen Dimensionen vollständig zu leben. Auf Grund dieser wechselseitigen Bereicherung wird die Sendung des geweihten Lebens bedeutsamer und wirksamer: den anderen Brüdern und Schwestern mit festem Blick auf den zukünftigen Frieden als Ziel die endgültige Seligkeit bei Gott aufzuzeigen.

Lebendiges Bild der Kirche als Braut


34 Einen besonderen Stellenwert im geweihten Leben hat der Sinn des Bräutlichen, der auf das Bedürfnis der Kirche hinweist, in ausschlieblicher Ganzhingabe an ihren Bräutigam zu leben, von dem sie alles Gute empfängt. In dieser Dimension des Bräutlichen, die dem ganzen geweihten Leben zueigen ist, ist es vor allem die Frau, die sich in einzigartiger Weise wiederfindet, so als würde sie den besonderen Charakter ihrer Beziehung zum Herrn entdecken.Eindrucksvoll ist diesbezüglich die neutestamentliche Stelle, die Maria mit den Aposteln im Abendmahlssaal in betender Erwartung des Heiligen Geistes darstellt (vgl. Apg Ac 1,13-14). Da kann man ein lebendiges Bild der Kirche als Braut sehen, die auf die Zeichen des Bräutigams achtet und bereit ist, sein Geschenk zu empfangen. Bei Petrus und den anderen Aposteln tritt vor allem die Dimension der Fruchtbarkeit hervor, die sich im kirchlichen Dienstamt ausdrückt, das durch die Weitergabe des Wortes, die Feier der Sakramente und die Seelsorge zum Werkzeug des Geistes für die Zeugung neuer Söhne und Töchter wird. In Maria ist die Dimension der bräutlichen Aufnahme besonders lebendig, mit der die Kirche durch ihre ganze jungfräuliche Liebe in sich das göttliche Leben fruchtbar werden läbt.Das geweihte Leben wurde immer vorwiegend von seiten Mariens, der jungfräulichen Braut, gesehen. In dieser jungfräulichen Liebe hat eine besondere Fruchtbarkeit ihren Ursprung, die zum Entstehen und Wachstum des göttlichen Lebens in den Herzen beiträgt.Auf den Spuren Mariens, der neuen Eva, bringt die Person des geweihten Lebens ihre geistliche Fruchtbarkeit dadurch zum Ausdruck, dab sie aufnahmebereit wird für das Wort, um mit ihrer bedingungslosen Hingabe und ihrem lebendigen Zeugnis am Aufbau der neuen Menschheit mitzuwirken. So offenbart die Kirche voll ihre Mütterlichkeit sowohl durch die dem Petrus anvertraute Mitteilung des göttlichen Handelns als auch durch die für Maria typische verantwortungsvolle Annahme des göttlichen Geschenkes.Das christliche Volk findet seinerseits im geweihten Dienstamt die Mittel des Heils, im geweihten Leben den Ansporn zu einer vollkommenen Antwort der Liebe in allen verschiedenen Formen der Diakonie.


IV. VOM GEIST DER HEILIGKEIT GEFÜHRT

»Verklärte« Existenz: der Ruf zur Heiligkeit


35 «Als die Jünger das hörten, bekamen sie grobe Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden« (Mt 17,6). Im Ereignis der Verklärung betonen die Synoptiker, wenn auch mit verschiedenen Nuancen, den Sinn der Angst, die die Jünger ergreift. Der Glanz des verklärten Antlitzes Christi verhindert nicht, dab sie sich angesichts der göttlichen Majestät, die sie in ihren Bann schlägt, bestürzt vorkommen. Wann immer der Mensch die Herrlichkeit Gottes erfährt, berührt er auch mit den Händen sein Kleinsein, und er bekommt davon ein Gefühl des Schreckens. Diese Angst ist heilbringend. Sie erinnert den Menschen an die göttliche Vollkommenheit und gleichzeitig drängt sie ihn mit einem dringenden Aufruf zur »Heiligkeit«.Alle Söhne und Töchter der Kirche, die vom Vater aufgerufen sind, auf Christus »zu hören«, müssenein tiefes Bedürfnis nach Bekehrung und Heiligkeit verspüren. Wie bei der Synode betont wurde, ruft dieses Bedürfnis aber in erster Linie das geweihte Leben auf den Plan. Denn die Berufung der Personen des geweihten Lebens, vor allen anderen Dingen das Reich Gottes zu suchen, ist vor allem ein Ruf zur völligen Umkehr, in der Selbstaufgabe, um ganz vom Herrn zu leben, damit Gott alles in allen sei. Die Personen des geweihten Lebens sind berufen, das verklärte Angesicht Christi zu betrachten und zu bezeugen; sie sind aber auch zu einem »verklärten« Dasein berufen.Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, was im Schlubbericht der II. Auberordentlichen Versammlung der Synode formuliert wurde: »In der ganzen Kirchengeschichte sind heilige Männer und Frauen stets in den schwierigsten Situationen Quelle und Ursprung der Erneuerung gewesen. Heute haben wir gröbten Bedarf an Heiligen, die wir eindringlich von Gott erflehen müssen. Die Institute des geweihten Lebens müssen sich durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten ihrer besonderen Sendung in der Kirche von heute bewubt sein, und wir müssen sie in ihrer Sendung ermutigen«.Dieser Beurteilung stimmten die Väter der IX. Synodenversammlung zu, die erklärten: »Das geweihte Leben ist während der ganzen Kirchengeschichte eine lebendige Gegenwart dieses Wirkens des Geistes gewesen. Es war ein bevorzugter Raum der absoluten Liebe zu Gott und zum Nächsten, ein Zeugnis für den göttlichen Plan, aus der ganzen Menschheit in der Zivilisation der Liebe die grobe Familie der Kinder Gottes zu machen«.ie Kirche hat stets im Bekenntnis zu den evangelischen Räten einen bevorzugten Weg zur Heiligkeit gesehen. Die Ausdrücke selbst, mit denen sie diese umschreibt — Schule des Dienstes am Herrn, Schule der Liebe und Heiligkeit, Weg oder Stand der Vollkommenheit —, weisen sowohl auf die Wirksamkeit und den Reichtum der dieser evangelischen Lebensform eigenen Wege wie auf das besondere Engagement derer hin, die sie annehmen.Es ist kein Zufall, dab im Laufe der Jahrhunderte so viele Personen des geweihten Lebens eindrucksvolle Zeugnisse der Heiligkeit hinterlassen und besonders grobherzige und schwierige Werke der Evangelisierung und des Dienstes vollbracht haben.

Treue zum Charisma


36 In der Nachfolge Christi und in der Liebe zu seiner Person gibt es einige Punkte bezüglich des Wachstums der Heiligkeit im geweihten Leben, die heute besonders hervorgehoben zu werden verdienen.Vor allem wird die Treue zum Gründungscharisma und dem sich daraus ergebenden geistlichen Erbe jedes Instituts verlangt. Gerade in dieser Treue zur Inspiration der Gründer und Gründerinnen, einer Gabe des Heiligen Geistes, lassen sich die wesentlichen Elemente des geweihten Lebens leichter wiederentdecken und intensiver wiederbeleben.Jedes Charisma hat nämlich an seinem Anfang eine dreifache Orientierung: vor allem ist es auf den Vater ausgerichtet im Verlangen, kindlich seinen Willen zu suchen durch einen dauernden Bekehrungsprozess, in dem der Gehorsam die Quelle wahrer Freiheit ist, die Keuschheit die Erwartung eines von jeder vergänglichen Liebe unbefriedigten Herzens zum Ausdruck bringt, die Armut jenen Hunger und Durst nach Gerechtigkeit nährt, den zu stillen Gott verheiben hat (vgl. Mt Mt 5,6). In dieser Sicht wird das Charisma jedes Instituts die Person des geweihten Lebens anspornen, ganz Gott zu gehören, mit Gott oder von Gott zu reden, wie vom hl. Dominikus gesagt wird,um zu kosten, wie gütig der Herr in allen Situationen ist (vgl. Ps Ps 34 [33],9).Die Charismen des geweihten Lebens schlieben auch eine Orientierung auf den Sohn hin ein: sie leiten dazu an, mit ihm eine innige und frohe Lebensgemeinschaft in der Schule seines grobherzigen Dienstes vor Gott und an den Brüdern und Schwestern zu pflegen. »Der nach und nach Christus ähnlich gewordene Blick lernt so, sich abzukehren vom Äuberlichen, vom Sturm der Gefühle, das heibt von allem, was den Menschen daran hindert, sich leicht und bereitwillig vom Geist ergreifen zu lassen«,und erklärt sich so bereit, mit Christus in die Mission zu gehen, indem er mit ihm bei der Ausbreitung seines Reiches arbeitet und leidet.Schlieblich wohnt jedem Charisma eine Orientierung nach dem Heiligen Geist inne, denn es veranlabt den Betreffenden, sowohl auf seinem persönlichen geistlichen Weg wie im Leben der Gemeinschaft und bei der apostolischen Tätigkeit sich von ihm leiten und bestärken zu lassen, um in jener Haltung des Dienens zu leben, die jede Entscheidung eines glaubwürdigen Christen inspirieren mub.Tatsächlich tritt bei jedem Gründungscharisma immer diese dreifache Beziehung zutage, wenn auch mit den je spezifischen Zügen der verschiedenen Lebensmodelle, auf Grund der Tatsache, dab in ihm »eine tiefe, brennende Sehnsucht des Herzens« herrscht, »Christus gleichförmig zu werden, um einen gewissen Aspekt seines Geheimnisses zu bezeugen«;gemeint ist der spezifische Aspekt, gemäb den Regeln, Konstitutionen und Statuten in die echte Tradition des Instituts hineinzuwachsen und sich darin zu entfalten.

Schöpferische Treue


37 Die Institute werden daher eingeladen, als Antwort auf die in der heutigen Welt auftretenden Zeichen der Zeit mutig den Unternehmungsgeist, die Erfindungsgabe und die Heiligkeit der Gründer und Gründerinnen wieder hervorzuheben.Diese Einladung ist vor allem ein Aufruf zur Beharrlichkeit auf dem Weg der Heiligkeit durch die materiellen und geistlichen Schwierigkeiten hindurch, von denen das Alltagsgeschehen gezeichnet ist. Sie ist aber auch ein Aufruf, die Zuständigkeit wieder in der eigenen Arbeit zu suchen und eine dynamische Treue zur eigenen Sendung zu pflegen, indem die Institute in voller Fügsamkeit gegenüber der göttlichen Eingebung und der kirchlichen Erkenntnis die Formen, falls nötig, an die neuen Situationen und verschiedenen Bedürfnisse anpassen. Es mub freilich die Überzeugung lebendig bleiben, dab auf der Suche nach immer vollkommenerer Gleichförmigkeit mit dem Herrn die Gewähr für jede Erneuerung gegeben ist, die der ursprünglichen Inspiration treu bleiben will.n diesem Geist wird heute für jedes Instituteine erneuerte Bezugnahme auf die Regel zur dringenden Notwendigkeit, da in ihr und in den Konstitutionen ein Weg der Nachfolge enthalten ist, der von einem eigenen, von der Kirche beglaubigten Charisma gekennzeichnet ist. Eine stärkere Beachtung der Regel wird es nicht versäumen, den Personen des geweihten Lebens ein sicheres Kriterium anzubieten auf der Suche nach geeigneten Formen eines Zeugnisses, das auf die Forderungen der Zeit zu antworten imstande ist, ohne sich von der Anfangsinspiration zu entfernen.

Gebet und Askese: der geistliche Kampf


38 Der Ruf zur Heiligkeit wird nur in der Stille der Anbetung vernommen und kann nur vor der unendlichen Transzendenz Gottes gepflegt werden: »Wir müssen uns eingestehen, dab wir alle dieses von angebeteter Gegenwart erfüllte Schweigen nötig haben: die Theologie, um die eigene Seele der Weisheit und des Geistes voll erschlieben zu können; das Gebet, damit es niemals vergesse: Gott schauen heibt, mit so strahlendem Gesicht vom Berg hinabzusteigen, dab man es mit einem Schleier verhüllen mub (vgl. Ex Ex 34,33) [...]; das Engagement, damit es darauf verzichte, sich in einen Kampf zu verbeiben, der keine Liebe und Gnade kennt [...]. Alle, Glaubende und Nicht-Glaubende, müssen ein Schweigen erlernen, das dem anderen zu sprechen erlaubt, wann und wo er will, und uns jenes Wort verstehen läbt«.Dies schliebt konkret eine grobe Treue zum liturgischen und persönlichen Gebet ein, zu den für das geistige Gebet und die Betrachtung vorgesehenen Zeiten, zur eucharistischen Anbetung, zu den monatlichen Einkehrtagen und zu den geistlichen Exerzitien.Es gilt auch die für die geistliche Tradition der Kirche und des eigenen Instituts typischen asketischen Mittel wiederzuentdecken. Sie waren und sind noch immer eine wirksame Hilfe für einen echten Weg der Heiligkeit. Da die Askese die Neigungen der von der Sünde verletzten menschlichen Natur zu beherrschen und zu korrigieren hilft, ist sie für die Person des geweihten Lebens wirklich unentbehrlich, um ihrer Berufung treu zu bleiben und Jesus auf dem Kreuzweg zu folgen.Es ist ebenso notwendig, einige Versuchungen zu erkennen und zu überwinden, die bisweilen durch teuflische Verlockung unter dem Anschein des Guten auftreten. So kann zum Beispiel das berechtigte Bedürfnis, die heutige Gesellschaft kennenzulernen, um auf ihre Herausforderungen zu antworten, dazu verleiten, bei Minderung des geistlichen Eifers oder mit erkennbaren Anzeichen von Mutlosigkeit den Moden des Augenblicks nachzugeben. Die Möglichkeit einer höheren geistlichen Bildung könnte die Personen des geweihten Lebens zu einem gewissen Überlegenheitsgefühl gegenüber den anderen Gläubigen verleiten, während die Dringlichkeit begründeter und gebührender beruflicher Qualifikation zu einem übertriebenen Bemühen um Effizienz werden kann, als hinge der apostolische Dienst vorwiegend von den menschlichen Mitteln und nicht von Gott ab. Das lobenswerte Anliegen, den Männern und Frauen unserer Zeit, Glaubenden und Nicht-Glaubenden, Armen und Reichen, näherzukommen, kann zur Annahme eines säkularisierten Lebensstils oder zu einer Förderung der menschlichen Werte in rein horizontalem Sinne führen. Die Billigung der berechtigten Forderungen der eigenen Nation oder Kultur könnte dazu verleiten, sich Formen des Nationalismus anzu-schlieben oder gewohnheitsmäbige Elemente anzunehmen, die jedoch der Reinigung und Verbesserung im Lichte des Evangeliums bedürfen.Der Weg zur Heiligkeit schliebt also die Annahme des geistlichen Kampfes ein. Das ist eine anspruchsvolle Tatsache, der man heute nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit widmet. In der Überlieferung ist häufig das geistliche Ringen in Jakobs Kampf mit dem Geheimnis Gottes dargestellt worden, den er angreift, um zu seinem Segen zu gelangen und sein Angesicht zu schauen (vgl. Gen Gn 32,23-31). In diesem Geschehen der Anfänge der biblischen Geschichte können die Personen des geweihten Lebens das Symbol des asketischen Eifers lesen, den sie brauchen, um das Herz weitzumachen und für die Annahme des Herrn sowie der Brüder und Schwestern zu öffnen.

Die Förderung der Heiligkeit


39 Ein erneuertes Engagement der Personen des geweihten Lebens zur Heiligkeit ist heute notwendiger denn je, auch um das Streben jedes Christen nach Vollkommenheit zu fördern und zu unterstützen. »Es mub daher in jedem Gläubigen eine echte Sehnsucht nach Heiligkeit geweckt werden, ein starkes Verlangen nach Umkehr und persönlicher Erneuerung in einem Klima immer intensiveren Betens und solidarischer Annahme des Nächsten, besonders des am meisten Bedürftigen«.n dem Mabe, in dem sie ihre Freundschaft mit Gott vertiefen, versetzen sich die Personen des geweihten Lebens in die Lage, durch wirksame geistliche Initiativen Brüdern und Schwestern zu helfen, wie Gebetsschulen, Exerzitien und geistliche Einkehrtage, geistliches Hören und geistliche Anleitung. Auf diese Weise wird der Fortschritt im Gebet von Menschen erleichtert, die daraufhin eine bessere Erkenntnis hinsichtlich des Willens Gottes in bezug auf sich selbst erreichen und sich für die vom Glauben geforderten mutigen, ja bisweilen heroischen Optionen entscheiden können. In der Tat »fügen sich die Ordensleute durch ihr tiefstes Wesen in den Dynamismus der Kirche ein, ergriffen vom Absoluten, das Gott ist, und zur Heiligkeit aufgerufen. Von dieser Heiligkeit geben sie Zeugnis«.Die Tatsache, dab wir alle aufgerufen sind, heilig zu werden, mub jene in höherem Mabe anspornen, die auf Grund ihrer Lebensentscheidung die Sendung haben, die anderen daran zu erinnern.

»Steht auf, habt keine Angst«: ein erneuertes Vertrauen


40 «Da trat Jesus zu ihnen, fabte sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst« (Mt 17,7). Wie die drei Apostel im Ereignis der Verklärung, so wissen die Personen des geweihten Lebens aus Erfahrung, dab ihr Leben nicht immer von jenem spürbaren Eifer erleuchtet ist, der rufen läbt: »Es ist gut, dab wir hier sind« (Mt 17,4). Es ist jedoch immer ein von der Hand Christi »berührtes« Leben, von seiner Stimme erreicht und seiner Gnade unterstützt.»Steht auf, habt keine Angst«. Diese Ermutigung des Meisters ist selbstverständlich an jeden Christen gerichtet. Aber sie gilt noch mehr für den, der berufen ist »alles zu verlassen« und folglich für Christus »alles zu riskieren«. Dies gilt in besonderer Weise jedes Mal, wenn man mit dem Meister vom »Berg« herabsteigt, um den Weg einzuschlagen, der vom Tabor auf den Kalvarienberg führt.Wenn Lukas sagt, dab Mose und Elija mit Christus von seinem Ostergeheimnis sprachen, benützt er bezeichnenderweise den Ausdruck »Ende« (éxodos): »sie sprachen von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte« (Lc 9,31). »Ende«: Grundbegriff der Offenbarung, auf den sich die ganze Heilsgeschichte beruft und der den tiefen Sinn des Ostergeheimnisses zum Ausdruck bringt. Ein für die Spiritualität des geweihten Lebens besonders wichtiges Thema, das seine Bedeutung gut hervorhebt. Darin ist unvermeidlich enthalten, was zum mysterium Crucis gehört. Aber dieser anspruchsvolle »Weg zum Ende hin«, aus der Perspektive des Berges Tabor betrachtet, erscheint wie ein Weg zwischen zwei Lichtern: das vorwegnehmende Licht der Verklärung und jenes endgültige Licht der Auferstehung.Die Berufung zum geweihten Leben — unter dem Blickwinkel des ganzen christlichen Lebens — ist trotz seiner Entsagungen und Prüfungen, im Gegenteil, gerade deswegen, Weg »des Lichtes«, über den der Blick des Erlösers wacht: »steht auf, habt keine Angst«.

KAPITEL II


SIGNUM FRATERNITATIS


DAS GEWEIHTE LEBEN ALS ZEICHEN


DER GEMEINSCHAFT IN DER KIRCHE



I. BLEIBENDE WERTE

Als Abbild der Dreifaltigkeit


41 Während seines Erdenlebens rief der Herr Jesus jene zu sich, die er erwählt hatte, um sie bei sich zu haben und sie zu unterweisen, nach seinem Beispiel für den Vater und für den von ihm erhaltenen Auftrag zu leben (vgl. Mk Mc 3,13-15). Damit begründete er jene neue Familie, zu der im Laufe der Jahrhunderte alle gehören sollen, die bereit sein werden, »den Willen Gottes zu erfüllen« (vgl. Mk Mc 3,32-35). Nach der Himmelfahrt entstand unter der Wirkung der Gabe des Geistes um die Apostel eine brüderliche Gemeinde, die sich versammelte, um Gott zu loben und Gemeinschaft konkret zu erfahren (vgl. Apg Ac 2,42-47 Ac 4,32-35). Das Leben dieser Gemeinde und noch mehr die Erfahrung der vollen Zugehörigkeit zu Christus, wie sie von den zwölf Aposteln gelebt wurde, sind stets das Modell gewesen, an dem sich die Kirche inspirierte, wenn sie den glühenden Eifer der Anfangszeiten wiederbeleben und sich mit erneuerter evangelischer Kraft wieder auf ihren Weg in der Geschichte machen wollte.In der Tat ist die Kirche ihrem Wesen nach Geheimnis der Gemeinschaft, »das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk«.Die Tiefe und die Fülle dieses Geheimnisses will das geschwisterliche Leben dadurch widerspiegeln, dab es sich als von der Dreifaltigkeit bewohnter menschlicher Raum gestaltet, der auf diese Weise die den drei göttlichen Personen eigenen Gaben der Gemeinschaft in die Geschichte einbringt. Vielfältig sind im kirchlichen Leben die Bereiche und Modalitäten, in denen die geschwisterliche Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht wird. Das geweihte Leben hat zweifellos das Verdienst, wirksam dazu beigetragen zu haben, in der Kirche das Verlangen nach Geschwisterlichkeit als Bekenntnis zur Dreifaltigkeit lebendig zu erhalten. Es hat durch die ständige Förderung der geschwisterlichen Liebe auch in der Form des Gemeinschaftslebens gezeigt, dabdie Teilnahme an der trinitarischen Gemeinschaft die menschlichen Beziehungen dahingehend zu verändern vermag , dab sie eine neue Art von Solidarität hervorbringt. Auf diese Weise zeigt das geweihte Leben den Menschen sowohl die Schönheit der geschwisterlichen Gemeinschaft als auch die Wege, die konkret zu ihr führen. Denn die Personen des geweihten Lebens leben »für« Gott und »von« Gott und können sich eben deshalb zur Macht der versöhnenden Wirkung der Gnade bekennen, die die im Herzen des Menschen und in den sozialen Beziehungen vorhandenen zersetzenden Kräfte niederwirft.

Geschwisterliches Leben in Liebe


42 Das geschwisterliche Leben, verstanden als in Liebe geteiltes Leben, ist ein ausdrucksvolles Zeichen der kirchlichen Gemeinschaft. Es wird mit besonderer Sorgfalt von den Ordensinstituten und den Gesellschaften des apostolischen Lebens gepflegt, wo das Leben in Gemeinschaft besondere Bedeutung erlangt.Doch die Dimension der geschwisterlichen Gemeinschaft ist weder den Säkularinstituten noch den individuellen Formen geweihten Lebens fremd. So entziehen sich die Eremiten in ihrer tiefen Einsamkeit keineswegs der kirchlichen Gemeinschaft, sondern dienen ihr mit ihrem besonderen Charisma der Kontemplation; die gottgeweihten Jungfrauen in der Welt verwirklichen ihre Weihe durch eine besondere Verbindung der Gemeinschaft mit der Teil- und der Universalkirche. Ähnliches gilt für Witwen und Witwer, die die Weihe empfangen haben.Alle diese Personen bemühen sich, in Verwirklichung der Jüngerschaft im Sinn des Evangeliums das »neue Gebot« des Herrn zu leben, nämlich einander zu lieben, wie er uns geliebt hat (vgl. Joh Jn 13,34). Die Liebe hat Christus zur Selbsthingabe bis hin zum höchsten Opfer am Kreuz geführt. Auch unter seinen Jüngern gibt es keine echte Einheit ohne diese bedingungslose gegenseitige Liebe, die Verfügbarkeit zum Dienst unter Einsatz aller Kräfte erfordert, Bereitschaft, den anderen so, wie er ist, ohne Vorurteil anzunehmen, die Fähigkeit, auch »siebenundsiebzigmal« zu vergeben (Mt 18,22), den Willen, keinen zu verurteilen (vgl. Mt Mt 7,1-2). Für die Personen des geweihten Lebens, die durch diese vom Heiligen Geist in die Herzen ausgegossene Liebe (vgl. Röm Rm 5,5) »ein Herz und eine Seele« geworden sind (Ac 4,32), wird es zum inneren Bedürfnis, alles gemeinsam zu haben: materielle Güter und geistliche Erfahrungen, Begabungen und Eingebungen sowie apostolische Ideale und Dienst der Nächstenliebe: »Im Gemeinschaftsleben geht die in einem vorhandene Kraft des Geistes gleichzeitig auf alle über. Da erfreut man sich nicht nur der eigenen Gabe, sondern vervielfältigt sie, indem man andere daran teilhaben läbt, und geniebt die Frucht der Gabe der anderen wie die eigene«.odann mub im Gemeinschaftsleben irgendwie erkennbar werden, dab die geschwisterliche Gemeinschaft, noch eher als Weg für eine bestimmte Sendung,göttlicher Ort ist, an dem die mystische Gegenwart des auferstandenen Herrn erfahren werden kann (vgl. Mt Mt 18,20).Das geschieht dank der gegenseitigen Liebe aller, die die Gemeinschaft bilden, einer Liebe, die vom Wort und von der Eucharistie genährt, im Sakrament der Versöhnung gereinigt und von der Bitte um Einheit gestärkt wird, dem besonderen Geschenk des Geistes für diejenigen, die gehorsam auf das Evangelium hören. Er, der Geist selbst ist es, der die Seele zur Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn Jesus Christus führt (vgl. 1Jn 1,3), zur Gemeinschaft, in der die Quelle des geschwisterlichen Lebens ist. Vom Geist werden die Gemeinschaften des geweihten Lebens bei der Erfüllung ihrer Sendung zum Dienst an der Kirche und an der ganzen Menschheit entsprechend ihrer ursprünglichen Inspiration geleitet.In dieser Perspektive sind die »Kapitel« (oder analoge Versammlungen), sei es besondere oder Generalkapitel, von besonderer Bedeutung. Während dieser Kapitel ist jedes Institut berufen, nach den von deren Konstitutionen festgelegten Normen die Oberen oder die Oberinnen zu wählen und im Lichte des Geistes die angemessenen Bestimmungen zu treffen, um das eigene Charisma und das eigene spirituelle Erbe zu bewahren und es in den verschiedenen historischen und kulturellen Situationen auf den aktuellen Stand zu bringen.

Die Aufgabe der Autorität


43 Im geweihten Leben war das Amt der Oberen und Oberinnen, auch der Ortsoberen, stets von grober Bedeutung sowohl für das geistliche Leben als auch für die Sendung. In diesen Jahren des Suchens und der Veränderungen war gelegentlich auch von der Notwendigkeit einer Revision dieses Amtes zu hören. Es gilt aber anzuerkennen, dab derjenige, der die Autorität ausübt, auf seine Aufgabe als erster Verantwortlicher der Gemeinschaft, nämlich auf die Leitung der Brüder und Schwestern auf dem geistlichen und apostolischen Weg, nicht verzichten kann.Es ist nicht leicht, in einem stark vom Individualismus geprägten Milieu die Aufgabe, die die Autorität zum Vorteil aller ausübt, anzuerkennen und anzunehmen. Es mub jedoch die Wichtigkeit dieser Aufgabe erneut herausgestellt werden, die sich als notwendig erweist, um die geschwisterliche Gemeinschaft zu festigen und nicht den gelobten Gehorsam zu vereiteln. Auch wenn die Autorität vor allem geschwisterlich und geistlicher Art sein soll und infolgedessen derjenige, der mit ihr ausgestattet ist, die Mitbrüder und Mitschwestern durch den Dialog in den Entscheidungsprozeb einzubeziehen wissen mub, ist es dennoch angebracht, sich daran zu erinnern, dab die Autorität das letzte Wort hat und es ihr zusteht, dab die gefabten Beschlüsse eingehalten werden.


Vita consecrata DE 31