Verbum Domini DE 57

Die Heilige Schrift und das Lektionar


57 Bei der Hervorhebung der Verknüpfung zwischen Wort und Eucharistie wollte die Synode zu recht auch auf einige Aspekte der liturgischen Feier hinweisen, die den Dienst am Wort betreffen. Vor allem möchte ich auf die Bedeutung des Lektionars Bezug nehmen. Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewollte Reform[201] hat Früchte getragen, indem sie den Zugang zur Heiligen Schrift bereichert hat. Sie wird in Fülle angeboten, vor allem in den sonntäglichen Gottesdiensten. In der gegenwärtigen Struktur werden die wichtigsten Texte der Schrift häufig aufgegriffen, und darüber hinaus wird das Verständnis für die Einheit des göttlichen Plans durch die Wechselbeziehung zwischen den Lesungen aus dem Alten und dem Neuen Testament gefördert: »Ihre Mitte ist Christus, der in seinem Pascha-Mysterium vergegenwärtigt wird«.[202] Einige Schwierigkeiten, die es beim Verständnis der Beziehung zwischen den Lesungen der beiden Testamente nach wie vor gibt, müssen im Licht der kanonischen Auslegung betrachtet werden, also unter dem Gesichtspunkt der inneren Einheit der ganzen Bibel. Wo es sich als notwendig erweist, können die zuständigen Organe die Veröffentlichung von Erläuterungen veranlassen, die das Verständnis der Verknüpfung zwischen den vom Lektionar vorgesehenen Lesungen erleichtern. Diese müssen, wie von der Tagesliturgie vorgesehen, in der liturgischen Versammlung alle verkündigt werden. Eventuelle weitere Probleme und Schwierigkeiten sind der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung vorzulegen.

Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß das gegenwärtige Lektionar des lateinischen Ritus auch eine ökumenische Bedeutung besitzt, da es auch von Konfessionen benutzt und geschätzt wird, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen. Anders stellt sich das Problem des Lektionars in den Liturgien der katholischen Ostkirchen dar; die Synode bittet diesbezüglich, daß es »maßgeblich geprüft werde«,[203] der jeweiligen Überlieferung und den Zuständigkeiten der Kirchen sui iuris entsprechend und auch hier unter Berücksichtigung des ökumenischen Umfelds.

Verkündigung des Wortes und Lektorendienst


58 Bereits die Synodenversammlung über die Eucharistie hatte größere Sorgfalt bei der Verkündigung des Wortes Gottes verlangt.[204] Bekanntlich wird das Evangelium vom Priester oder vom Diakon verkündet, die Erste und Zweite Lesung hingegen in der lateinischen Tradition vom damit beauftragten Lektor, einem Mann oder einer Frau. Ich möchte mich hier zum Sprachrohr der Synodenväter machen, die auch bei dieser Gelegenheit die Notwendigkeit einer angemessenen Schulung[205] für die Ausübung des munus des Lektors in der liturgischen Feier[206] betont haben – insbesondere was den Lektorendienst betrifft, der als solcher im lateinischen Ritus ein Laiendienst ist. Die mit dieser Aufgabe betrauten Lektoren müssen, auch wenn sie nicht die Beauftragung erhalten haben, wirklich dafür geeignet und gut vorbereitet sein. Diese Vorbereitung muß sowohl biblischen und liturgischen als auch technischen Charakter haben: »Die biblische [Vorbereitung] soll darauf abzielen, daß die Lektoren bzw. Vorleser die Lesungen in ihrem Kontext erfassen und die Hauptaussagen der geoffenbarten Botschaft im Licht des Glaubens verstehen können. Die liturgische Vorbereitung soll die Lektoren bzw. Vorleser in den Sinn und den Aufbau des Wortgottesdienstes einführen und ihnen die Beziehung zwischen ihm und der Eucharistiefeier erschließen. Die technische Schulung soll die Lektoren bzw. Vorleser immer mehr vertraut machen mit der Kunst, vor der Gemeinde zu lesen und dabei die eigene Stimme sowie gegebenenfalls die Möglichkeiten einer Lautsprecheranlage richtig einzusetzen«.[207]

Die Bedeutung der Homilie


59 »Die einzelnen [haben] auch in bezug auf das Wort Gottes verschiedene Aufgaben und Dienste. Das Wort Gottes zu hören und zu bedenken ist Aufgabe aller Gläubigen, das Wort Gottes auszulegen ist allein Sache jener, die aufgrund der Weihe am Lehramt teilhaben oder aufgrund einer Beauftragung den Dienst der Verkündigung ausüben«,[208] also die Bischöfe, Priester und Diakone. Von daher wird verständlich, warum dem Thema der Homilie in der Synode solche Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Bereits im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Sacramentum caritatis habe ich in Erinnerung gerufen: »In Verbindung mit der Bedeutung des Wortes Gottes erhebt sich die Notwendigkeit, die Qualität der Homilie zu verbessern. Sie ist ja „Teil der liturgischen Handlung“ und hat die Aufgabe, ein tieferes Verstehen und eine umfassendere Wirksamkeit des Wortes Gottes im Leben der Gläubigen zu fördern«.[209] Die Homilie ist eine Aktualisierung der Botschaft der Schrift, durch die die Gläubigen bewegt werden, die Gegenwart und Wirksamkeit des Wortes Gottes im Heute des eigenen Lebens zu entdecken. Sie muß zum Verständnis des gefeierten Geheimnisses führen und zur Mission einladen, indem sie die Gemeinde auf das Glaubensbekenntnis, das allgemeine Gebet und die eucharistische Liturgie vorbereitet. Folglich muß jenen, die durch ihren besonderen Dienst mit dem Predigen betraut sind, diese Aufgabe wirklich am Herzen liegen. Zu vermeiden sind allgemein gehaltene und abstrakte Predigten, die die Einfachheit des Wortes Gottes verdunkeln, ebenso wie nutzlose Abschweifungen, bei denen Gefahr besteht, daß sie die Aufmerksamkeit mehr auf den Prediger als auf den Kernpunkt der Botschaft des Evangeliums lenken. Die Gläubigen müssen deutlich erkennen, daß es dem Prediger am Herzen liegt, Christus aufzuzeigen, der im Mittelpunkt einer jeden Predigt stehen muß. Die Prediger müssen daher mit dem heiligen Text vertraut sein und unablässig mit ihm in Kontakt stehen;[210] sie müssen sich in der Betrachtung und im Gebet auf die Predigt vorbereiten, um mit Überzeugung und Leidenschaft zu predigen. Die Synodenversammlung hat dazu aufgerufen, sich folgende Fragen vor Augen zu halten: »Was sagen die Lesungen, die verkündigt wurden? Was sagen sie mir persönlich? Was soll ich der Gemeinde sagen, unter Berücksichtigung ihrer konkreten Situation?«[211] Der Prediger muß sich »als erster vom Wort Gottes, das er verkündet, befragen lassen«,[212] denn – wie der hl. Augustinus sagt – »wer das Wort Gottes äußerlich predigt und nicht in sein Innerstes hinein hört, wird zweifellos keine Frucht tragen«.[213] Der Predigt an Sonn- und Feiertagen muß besondere Sorgfalt gewidmet werden; aber auch unter der Woche sollte es in der Messe cum populo nicht versäumt werden, dort, wo es möglich ist, kurze, der Situation angemessene Reflexionen anzubieten, um den Gläubigen zu helfen, das gehörte Wort anzunehmen und fruchtbar werden zu lassen.

Zweckmäßigkeit eines homiletischen Direktoriums


60 Mit Bezug auf das Lektionar angemessen zu predigen ist wirklich eine Kunst, die gepflegt werden muß. In Kontinuität mit den Forderungen der vorausgegangenen Synode[214] bitte ich die zuständigen Autoritäten, in Analogie zum eucharistischen Kompendium[215] auch Werkzeuge und Hilfsmittel zu erarbeiten, die den Amtsträgern helfen können, ihre Aufgabe möglichst gut zu erfüllen – wie zum Beispiel homiletische Leitlinien, in denen die Prediger nützliche Hilfestellungen finden können, um sich auf die Ausübung ihres Dienstes vorzubereiten. Der hl. Hieronymus erinnert uns auch daran, daß die Predigt stets vom Zeugnis des eigenen Lebens begleitet sein muß: »Deine Handlungen sollen deine Worte nicht Lügen strafen, damit es nicht geschieht, daß, während du in der Kirche predigst, jemand in seinem Inneren überlegt: „Warum also handelst gerade du nicht so?“ … Beim Priester Christi müssen der Geist und das Wort in Einklang stehen«.[216]

Wort Gottes, Versöhnung und Krankensalbung


61 Im Mittelpunkt der Beziehung zwischen dem Wort Gottes und den Sakramenten steht zweifellos die Eucharistie. Dennoch ist es gut, die Bedeutung der Heiligen Schrift auch in den anderen Sakramenten hervorzuheben, insbesondere in denen der Heilung, also im Sakrament der Versöhnung oder Buße und im Sakrament der Krankensalbung. Oft wird der Bezug auf die Heilige Schrift in diesen Sakramenten vernachlässigt. Ihr muß jedoch der Platz eingeräumt werden, der ihr zukommt. Denn niemals darf man vergessen, daß »das Wort Gottes ein Wort der Versöhnung ist, weil Gott in ihm alles mit sich versöhnt (vgl. 2Kor 2Co 5,18-20 Eph Ep 1,10). Die in Jesus inkarnierte barmherzige Vergebung Gottes richtet den Sünder wieder auf«.[217] »Das Wort Gottes hilft dem Sünder bei der Erkenntnis seiner Sünden und ruft ihn zur Umkehr und zum Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes«.[218] Um die versöhnende Kraft des Wortes Gottes zu vertiefen, wird empfohlen, daß der einzelne Pönitent sich durch die Betrachtung eines geeigneten Abschnitts aus der Heiligen Schrift auf die Beichte vorbereitet und daß diese mit dem Lesen oder Hören einer biblischen Ermahnung beginnt, so wie es der jeweilige Ritus vorsieht. Zur anschließenden Bezeigung seiner Reue ist es gut, wenn der Pönitent ein vom Ritus vorgesehenes Gebet spricht, »das sich auf Texte der Heiligen Schrift stützt«.[219] Wenn möglich, sollte die Einzelbeichte von seiten mehrerer Pönitenten in besonderen Momenten des Jahres, oder wenn sich die Gelegenheit bietet, im Rahmen von Bußfeiern stattfinden – wie vom Rituale vorgesehen und unter Beachtung der verschiedenen liturgischen Traditionen –, in denen dem Wortgottesdienst durch geeignete Lesungen viel Raum gewährt werden kann.

Auch in bezug auf das Sakrament der Krankensalbung sollte nicht vergessen werden, daß »die heilende Kraft des Wortes Gottes im Hörenden ein lebendiger Aufruf zur ständigen persönlichen Bekehrung ist«.[220] Die Heilige Schrift enthält zahlreiche Beispiele des Trostes, der Stärkung und der Heilung, die dem Eingreifen Gottes zu verdanken sind. Man denke insbesondere an die Nähe Jesu zu den Leidenden und daran, daß er selbst, das fleischgewordene Wort Gottes, unsere Schmerzen auf sich genommen, aus Liebe zum Menschen gelitten und so der Krankheit und dem Sterben einen Sinn verliehen hat. In den Pfarreien und vor allem in den Krankenhäusern sollte je nach den Umständen das Sakrament der Krankensalbung in gemeinschaftlicher Form gefeiert werden. Bei diesen Gelegenheiten soll dem Wortgottesdienst breiter Raum gegeben und den kranken Gläubigen geholfen werden, das eigene Leiden im Glauben zu leben, vereint mit dem erlösenden Opfer Christi, der uns vom Bösen befreit.

Wort Gottes und Stundengebet


62 Zu den Gebetsformen, die die Heilige Schrift hervorheben, gehört zweifellos das Stundengebet. Den Synodenvätern zufolge ist es »eine vorzügliche Form des Hörens auf das Wort Gottes, weil es die Gläubigen mit der Heiligen Schrift und mit der lebendigen Überlieferung der Kirche in Berührung bringt«.[221] Man muß sich vor allem die hohe theologische und kirchliche Würde dieses Gebets ins Gedächtnis rufen: »Im Stundengebet übt die Kirche das Priesteramt ihres Hauptes aus und bringt Gott „ohne Unterlaß“ (1Th 5,17) das Lobopfer dar, die Frucht der Lippen, die seinen Namen preisen (vgl. Hebr He 13,15). Dieses Gebet ist die „Stimme der Braut, die zum Bräutigam spricht, ja es ist das Gebet, das Christus vereint mit seinem Leibe an seinen Vater richtet“«.[222] Das Zweite Vatikanische Konzil hat in diesem Zusammenhang gesagt: »Alle, die das vollbringen, erfüllen eine der Kirche obliegende Pflicht und haben zugleich Anteil an der höchsten Ehre der Braut Christi; denn indem sie Gott das Lob darbringen, stehen sie im Namen der Mutter Kirche vor dem Throne Gottes«.[223] Im Stundengebet als einem öffentlichen Gebet der Kirche zeigt sich das christliche Ideal der Heiligung des ganzen Tages, der seinen Rhythmus erhält durch das Hören auf das Wort Gottes und das Gebet der Psalmen, so daß jede Aktivität ihren Bezugspunkt im Gott dargebrachten Lob findet.

Diejenigen, die aufgrund ihres Lebensstandes zum Stundengebet verpflichtet sind, sollen diese Aufgabe zum Wohl der ganzen Kirche treu erfüllen. Die Bischöfe, die Priester und die Diakone, die Anwärter auf den Presbyterat sind, haben von der Kirche den Auftrag zum Stundengebet empfangen und sind verpflichtet, täglich alle Horen zu beten.[224] Was die Verbindlichkeit dieses Gebets in den katholischen Ostkirchen sui iuris betrifft, so ist den Weisungen des Eigenrechts Folge zu leisten.[225]Außerdem ermuntere ich die Gemeinschaften des geweihten Lebens, in der Feier des Stundengebets vorbildlich zu sein, um so Bezugspunkt und Inspiration für das geistliche und pastorale Leben der ganzen Kirche zu sein.

Die Synode hat den Wunsch geäußert, daß sich diese Art des Gebets im Gottesvolk stärker verbreiten möge, besonders das Gebet der Laudes und der Vesper. Eine solche Ausweitung wird von selbst zu einer größeren Vertrautheit der Gläubigen mit dem Wort Gottes führen. Auch der Wert des für die Erste Vesper der Sonn- und Feiertage vorgesehenen Stundengebets sollte hervorgehoben werden, insbesondere für die katholischen Ostkirchen. Zu diesem Zweck empfehle ich, daß dort, wo es möglich ist, die Pfarreien und Ordensgemeinschaften dieses Gebet unter Beteiligung der Gläubigen fördern.

Wort Gottes und Benediktionale


63 Auch beim Gebrauch des Benediktionale soll der für die Verkündigung, das Hören und die kurze Auslegung des Wortes Gottes vorgesehene Raum berücksichtigt werden. Die Segensgeste darf nämlich – in den von der Kirche vorgesehenen Fällen und wenn sie von den Gläubigen erbeten wird – nicht als solche isoliert werden, sondern muß in dem ihr zukommenden Grad zum liturgischen Leben des Gottesvolkes in Beziehung gesetzt werden. In diesem Sinne erhält die Segnung als wirkliches heiliges Zeichen ihren Sinn und ihre Wirksamkeit aus der Verkündigung des Wortes Gottes.[226]Daher ist wichtig, auch diese Gelegenheiten zu nutzen, um in den Gläubigen den Hunger und Durst nach jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt (vgl. Mt Mt 4,4), neu zu entfachen.

Empfehlungen und konkrete Vorschläge für die liturgische Gestaltung


64 Nachdem ich auf einige grundlegende Elemente der Beziehung zwischen der Liturgie und dem Wort Gottes hingewiesen habe, möchte ich nun einige Vorschläge und Empfehlungen der Synodenväter zusammenfassen und hervorheben, die dazu dienen sollen, im Bereich der liturgischen Handlungen oder in Verbindung mit ihnen im Volk Gottes eine immer größere Vertrautheit mit dem Wort Gottes zu fördern.

a) Wort-Gottes-Feiern


65 Die Synodenväter haben alle Hirten aufgefordert, in den ihnen anvertrauten Gemeinden die Wort-Gottes-Feiern zu verbreiten:[227] Sie sind bevorzugte Gelegenheiten der Begegnung mit dem Herrn. Deshalb bringt ein solche Gepflogenheit den Gläubigen großen Nutzen und muß als wichtiges Element der liturgischen Pastoral betrachtet werden. Diese Feiern haben eine besondere Bedeutung in Vorbereitung auf die sonntägliche Eucharistie, indem sie den Gläubigen die Möglichkeit geben, weiter in den Reichtum des Lektionars vorzudringen, um die Heilige Schrift zu betrachten und darüber zu beten, vor allem in den liturgischen Festkreisen von Advent und Weihnachten, Fastenzeit und Ostern. Äußerst angezeigt ist die Wort-Gottes-Feier dann in jenen Gemeinden, in denen es aufgrund des Priestermangels nicht möglich ist, an den gebotenen Feiertagen das eucharistische Opfer zu feiern. Unter Berücksichtigung der Hinweise, die bereits im Nachsynodalen Apostolischen SchreibenSacramentum caritatis über die sonntäglichen Versammlungen in Erwartung eines Priesters zum Ausdruck gekommen sind,[228] empfehle ich, daß von den zuständigen Autoritäten Direktorien für deren Riten verfaßt werden, die sich die Erfahrung der Teilkirchen zunutze machen. Auf solche Weise sollen in diesen Situationen Wort-Gottes-Feiern gefördert werden, die den Glauben der Gemeinde nähren, wobei jedoch vermieden wird, daß sie mit Eucharistiefeiern verwechselt werden; »sie sollten vielmehr bevorzugte Gelegenheiten sein, zu Gott zu beten, daß er heilige Priester nach seinem Herzen sende«.[229]

Darüber hinaus haben die Synodenväter dazu eingeladen, das Wort Gottes auch anläßlich von Wallfahrten, besonderen Festen, Volksmissionen, geistlichen Einkehrtagen und besonderen Tagen der Buße, der Sühne und der Vergebung zu feiern. Was die verschiedenen Formen der Volksfrömmigkeit betrifft, so sind sie zwar keine liturgischen Handlungen und dürfen auch nicht mit den liturgischen Feiern verwechselt werden, sollen sich aber dennoch an diesen orientieren und vor allem der Verkündigung und dem Hören des Wortes Gottes einen angemessenen Raum geben, denn »in der Bibel findet die Volksfrömmigkeit eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration, unübertreffliche Vorbilder des Gebets und fruchtbare thematische Vorlagen«.[230]

b) Das Wort und die Stille


66 Nicht wenige Beiträge der Synodenväter haben den Wert der Stille in bezug auf das Wort Gottes und seine Annahme im Leben der Gläubigen hervorgehoben.[231] In der Tat kann das Wort nur in der inneren und äußeren Stille ausgesprochen und gehört werden. Unsere Zeit ist der inneren Sammlung nicht förderlich, und manchmal hat man den Eindruck, daß geradezu eine Angst besteht, sich auch nur für einen Augenblick von den Massenkommunikationsmitteln zu trennen. Daher ist es heute notwendig, dem Gottesvolk den Wert der Stille zu vermitteln. Die Zentralität des Wortes Gottes im Leben der Kirche wiederzuentdecken bedeutet auch, den Sinn der inneren Sammlung und Ruhe wiederzuentdecken. Die große patristische Überlieferung lehrt uns, daß die Geheimnisse Christi an die Stille gebunden sind,[232] und nur in ihr kann das Wort Raum in uns finden, wie in Maria, die zugleich Frau des Wortes und der Stille ist – diese Aspekte sind in ihr nicht voneinander zu trennen. Unsere Gottesdienste müssen dieses wahre Hören erleichtern: Verbo crescente, verba deficiunt.[233]

Dieser Wert muß insbesondere in der Liturgie des Wortes aufscheinen, die »so zu feiern [ist], daß sie die Betrachtung fördert«.[234] Dort, wo das Schweigen vorgesehen ist, ist es »als Teil der Feier«[235] zu betrachten. Ich rufe daher die Hirten auf, die Momente der Sammlung zu fördern, durch die mit Hilfe des Heiligen Geistes das Wort Gottes im Herzen aufgenommen wird.

c) Feierliche Verkündigung des Wortes Gottes


67 Ein weiterer Vorschlag, der aus der Synode hervorging, war der, vor allem bei herausragenden liturgischen Anlässen die Verkündigung des Wortes, besonders die des Evangeliums, feierlicher zu gestalten, indem das Evangeliar während der Eingangsriten in der Prozession mitgeführt und dann vom Diakon oder einem Priester für die Verkündigung zum Ambo gebracht wird. Dadurch kann das Gottesvolk erkennen: »Die Verkündigung des Evangeliums ist der Höhepunkt des Wortgottesdienstes«.[236] Gemäß den Weisungen der Einführung in das Meßlektionar ist es gut, die Verkündigung des Wortes Gottes durch Gesang zur Geltung zu bringen, vor allem die des Evangeliums und besonders an den Hochfesten. Es wäre gut, den Gruß und die Ankündigung »Aus dem heiligen Evangelium …« und den Ruf am Ende »Evangelium unseres Herrn Jesus Christus« zu singen, um die Bedeutung dessen, was vorgelesen wird, hervorzuheben.[237]

d) Das Wort Gottes im christlichen Sakralbau


68 Um das Hören auf das Wort Gottes zu fördern, dürfen die Hilfsmittel nicht übersehen werden, die die Aufmerksamkeit der Gläubigen steigern können. In diesem Sinn ist es notwendig, daß in den Sakralbauten – unter Beachtung der liturgischen und architektonischen Vorschriften – niemals die Akustik vernachlässigt wird. »Die Bischöfe müssen, gebührend unterstützt, beim Bau von Kirchen dafür sorgen, daß diese für die Verkündigung des Wortes, die Betrachtung und die Eucharistiefeier geeignete Orte sind. Auch außerhalb der Liturgie müssen die sakralen Räume eine Aussagekraft besitzen und das christliche Geheimnis im Bezug zum Wort Gottes vermitteln«.[238]

Mit besonderer Sorgfalt sollte man auf den Ambo achten als den liturgischen Ort, von dem aus das Wort Gottes verkündigt wird. Er muß an einem gut sichtbaren Platz aufgestellt werden, auf den sich die Aufmerksamkeit der Gläubigen während des Wortgottesdienstes von selbst richtet. Am besten sollte er fest angebracht und als plastisches Element in ästhetischer Harmonie mit dem Altarentworfen sein, so daß auch optisch der theologische Sinn des zweifachen Tisches des Wortes und der Eucharistie vermittelt wird. Am Ambo werden die Lesungen, der Antwortpsalm und das Osterlob verkündet; außerdem können dort die Homilie gehalten und die Fürbitten vorgetragen werden.[239]

Darüber hinaus schlagen die Synodenväter vor, daß es in den Kirchen einen Platz geben soll, an dem die Heilige Schrift auch außerhalb der liturgischen Feier aufbewahrt wird.[240] Es ist gut, wenn das Buch, das das Wort Gottes enthält, einen sichtbaren Ehrenplatz im christlichen Sakralbau bekommt, ohne jedoch dem Tabernakel, das das Allerheiligste Sakrament enthält, die ihm zukommende zentrale Stellung zu nehmen.[241]

e) Ausschließlichkeit der biblischen Texte in der Liturgie


69 Die Synode hat außerdem noch einmal nachdrücklich das bekräftigt, was im übrigen bereits von der liturgischen Norm der Kirche festgelegt ist,[242] daß nämlich die der Heiligen Schrift entnommenen Lesungen nie durch andere Texte ersetzt werden dürfen, so bedeutsam diese vom pastoralen oder geistlichen Gesichtspunkt aus auch sein mögen: »Kein Text der Spiritualität oder der Literatur kann den Wert und den Reichtum erlangen, der in der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes, enthalten ist«.[243] Es handelt sich um eine altehrwürdige Norm der Kirche, die bewahrt werden muß.[244] Angesichts einiger Mißbräuche hatte bereits Papst Johannes Paul II. in Erinnerung gerufen, wie wichtig es ist, niemals die Heilige Schrift durch andere Lesungen zu ersetzen.[245] Wir erinnern daran, daß auch der Antwortpsalm Wort Gottes ist, mit dem wir auf die Stimme des Herrn antworten, und daß er deshalb nicht durch andere Texte ersetzt werden darf. Es ist jedoch angebracht, ihn in gesungener Form auszuführen.

f) Biblisch inspirierter liturgischer Gesang


70 Im Rahmen der Bemühungen, das Wort Gottes in der liturgischen Feier besser zur Geltung zu bringen, sollte auch der Gesang in den vom jeweiligen Ritus vorgesehenen Augenblicken berücksichtigt werden. Dabei bevorzuge man Gesänge, die ganz klar biblisch inspiriert sind und durch die harmonische Übereinstimmung von Text und Musik die Schönheit des göttlichen Wortes zum Ausdruck bringen. In diesem Sinne ist es gut, jene Gesänge zu verwenden, die wir der Überlieferung der Kirche verdanken und die diesem Kriterium entsprechen. Ich denke insbesondere an den Gregorianischen Choral.[246]

g) Besondere Aufmerksamkeit gegenüber Blinden und Gehörlosen


71 In diesem Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, daß die Synode allen ans Herz gelegt hat, jenen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, die aufgrund ihrer persönlichen Verfassung Probleme haben, an der Liturgie tätig teilzunehmen, wie zum Beispiel die Blinden und die Gehörlosen. Ich ermutige die christlichen Gemeinden, mit geeigneten Hilfsmitteln so weit wie möglich dafür zu sorgen, den Brüdern und Schwestern, die unter dieser Schwierigkeit leiden, entgegenzukommen, damit auch sie die Möglichkeit haben, in lebendigem Kontakt mit dem Wort des Herrn zu stehen.[247]

Das Wort Gottes im kirchlichen Leben

Dem Wort Gottes in der Heiligen Schrift begegnen


72 Wenn einerseits die Liturgie der bevorzugte Ort für die Verkündigung, das Hören und die Feier des Wortes Gottes ist, so muß andererseits diese Begegnung in den Herzen der Gläubigen vorbereitet und vor allem von diesen vertieft und verinnerlicht werden. Das christliche Leben ist ja wesentlich gekennzeichnet durch die Begegnung mit Jesus Christus, der uns in seine Nachfolge ruft. Darum hat die Bischofssynode mehrmals die Bedeutung der Pastoral in den christlichen Gemeinden als den eigentlichen Bereich hervorgehoben, in dem ein persönlicher und gemeinschaftlicher Weg mit dem Wort Gottes beschritten werden kann, so daß dieses wirklich die Grundlage des geistlichen Lebens bildet. Zusammen mit den Synodenvätern wünsche ich mir von Herzen das Aufkeimen »einer neuen Zeit, in der alle Glieder des Gottesvolkes eine größere Liebe zur Heiligen Schrift empfinden, so daß sich durch ihr betendes und gläubiges Lesen allmählich die Beziehung zur Person Christi selbst vertieft«.[248]

In der Kirchengeschichte fehlt es nicht an Ermahnungen von seiten der Heiligen bezüglich der Notwendigkeit, die Schrift kennenzulernen, um in der Liebe Christi zu wachsen. Besonders deutlich tritt das bei den Kirchenvätern hervor. Der hl. Hieronymus, der wahrhaft »verliebt« war in das Wort Gottes, fragte sich: »Wie könnte man ohne die Kenntnis der Schrift leben, durch die man Christus selbst kennenlernt, der das Leben der Gläubigen ist?«.[249] Er war sich wohl bewußt, daß die Bibel das Mittel ist, »durch das Gott jeden Tag zu den Gläubigen spricht«.[250] So rät er der römischen Matrone Laeta für die Erziehung ihrer Tochter: »Vergewissere dich, daß sie täglich einige Abschnitte aus der Schrift studiert… An das Gebet schließe sie die Lesung an und an die Lesung das Gebet… Statt der Juwelen und Seidengewänder soll sie die Heiligen Bücher lieben«.[251] Für uns gilt das, was der heilige Hieronymus an den Priester Nepotianus schrieb: »Lies sehr häufig die göttlichen Schriften; ja, lege das Heilige Buch nie aus der Hand. Lerne hier, was du lehren sollst«.[252] Nach dem Vorbild des großen Heiligen, der sein Leben dem Studium der Bibel widmete und für dir Kirche ihre lateinische Übersetzung – die sogenannte Vulgata – erstellt hat, und aller Heiligen der Kirche, die in den Mittelpunkt ihres geistlichen Lebens die Begegnung mit Christus gestellt haben, wollen wir uns mit neuem Eifer bemühen, das Wort zu vertiefen, das Gott der Kirche geschenkt hat. Auf diese Weise können wir nach jenem »hohen Maßstab des gewöhnlichen christlichen Lebens«[253] streben, den Papst Johannes Paul II. zu Beginn des dritten christlichen Jahrtausends wünschte und der aus dem Hören auf das Wort Gottes unablässig Nahrung zieht.

Die Bibel als Seele der Pastoral


73 Auf dieser Linie hat die Synode zu einem besonderen pastoralen Einsatz aufgefordert, um die zentrale Stellung des Wortes Gottes im kirchlichen Leben deutlich werden zu lassen, und empfohlen, die »„biblische Pastoral“ nicht neben anderen Formen der Pastoral, sondern als Seele der ganzen Pastoral zu fördern«.[254] Es geht also nicht darum, in der Pfarrei oder in der Diözese noch weitere Begegnungen hinzuzufügen, sondern es muß sichergestellt werden, daß in den gewohnten Aktivitäten der christlichen Gemeinden, in den Pfarreien, in den Verbänden und in den Bewegungen wirklich das Herzensanliegen die persönliche Begegnung mit Christus ist, der sich uns in seinem Wort mitteilt. »Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen«[255] – in diesem Sinne führt die Bibel als Seele der gesamten ordentlichen und außerordentlichen Pastoral zu einer größeren Kenntnis der Person Christi, der der Offenbarer des Vaters und die Fülle der göttlichen Offenbarung ist.

Ich ermuntere daher die Hirten und die Gläubigen, die Bedeutung der Bibel als Seele der Pastoral zu berücksichtigen: Das wird auch die beste Art sein, einigen pastoralen Problemen zu begegnen, die auf der Synodenversammlung zur Sprache kamen und die zum Beispiel mit der Ausbreitung von Sektenverbunden sind, die eine verzerrte und instrumentalisierte Auslegung der Heiligen Schrift verbreiten. Dort, wo die Gläubigen nicht zu einer Bibelkenntnis gemäß dem Glauben der Kirche und im Schoß ihrer lebendigen Überlieferung herangebildet werden, entsteht in der Tat ein pastorales Vakuum, in dem unter anderem Sekten Boden finden können, um Wurzeln zu schlagen. Aus diesem Grund muß auch für eine angemessene Ausbildung der Priester und der Laien gesorgt werden, die das Gottesvolk den unverfälschten Zugang zur Schrift lehren können.

Wie in den Arbeiten der Synode hervorgehoben wurde, sollte darüber hinaus in der Pastoralarbeit auch die Verbreitung kleiner Gemeinschaften begünstigt werden, »die aus Familien bestehen, die entweder in den Pfarreien verwurzelt oder an die verschiedenen kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften gebunden sind«[256] und in denen die Unterweisung, das Gebet und die Kenntnis der Bibel gemäß dem Glauben der Kirche gefördert werden.

Biblische Dimension der Katechese


74 Ein wichtiges Moment der pastoralen Initiativen der Kirche, in denen man geschickt die Zentralität des Wortes Gottes wieder hervorheben kann, ist die Katechese, die in ihren verschiedenen Formen und Phasen das Gottesvolk stets begleiten muß. Die Begegnung der Jünger von Emmaus mit Jesus, die der Evangelist Lukas (vgl. 24,13-35) beschreibt, ist gewissermaßen das Vorbild für eine Katechese, in deren Mittelpunkt die »Darlegung der Schrift« steht, die nur Jesus zu geben in der Lage ist (vgl. Lk Lc 24,27-28), indem er in sich selbst ihre Erfüllung aufzeigt.[257] So keimt wieder die Hoffnung auf, die stärker ist als jede Niederlage und die jene Jünger zu überzeugten und glaubwürdigen Zeugen des Auferstandenen macht.

Im Allgemeinen Direktorium für die Katechese finden wir wertvolle Hinweise, wie die Katechese biblisch beseelt werden kann; auf sie verweise ich gern.[258] Bei dieser Gelegenheit möchte ich vor allem hervorheben, daß die Katechese »sich von Gedanken, Geist und Haltungen der Bibel und der Evangelien durch ständigen Kontakt mit den Texten selber prägen und durchdringen lassen muß; das heißt aber auch, daß die Katechese um so reichhaltiger und wirksamer sein wird, je mehr sie die Texte mit dem Verstand und dem Herzen der Kirche liest«[259] und sich von der Reflexion und dem zweitausendjährigen Leben der Kirche anregen läßt. Man muß also die Kenntnis der Gestalten, der Ereignisse und der grundlegenden Stellen des heiligen Textes fördern; dazu kann auch ein verständiges Auswendiglernen einiger in bezug auf die christlichen Geheimnisse besonders bedeutsamer Bibelstellen nützlich sein. Die katechetische Tätigkeit setzt immer voraus, daß man im Glauben und im Geist der Überlieferung der Kirche an die Schrift herangeht, damit jene Worte als lebendig wahrgenommen werden, so wie Christus heute lebendig ist, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind (vgl. Mt Mt 18,20). Sie muß die Heilsgeschichte und die Glaubensinhalte der Kirche lebendig vermitteln, damit jeder Gläubige erkennt, daß auch das eigene persönliche Leben Teil dieser Geschichte ist.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es wichtig, die Beziehung zwischen der Heiligen Schrift und demKatechismus der Katholischen Kirche hervorzuheben, wie es im Allgemeinen Direktorium für die Katechese heißt: »Die Heilige Schrift als „Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet wurde“, und der Katechismus der Katholischen Kirche als bedeutsamer gegenwartsbezogener Ausdruck der lebendigen Überlieferung der Kirche und als sichere Norm für die Glaubensunterweisung sind, auf je eigene Weise und nach ihrer je besonderen Autorität, berufen, die Katechese in der Kirche unserer Zeit zu befruchten«.[260]

Biblische Ausbildung der Christen


75 Um das von der Synode angestrebte Ziel zu erreichen, der gesamten Pastoral der Kirche eine stärkere biblische Ausrichtung zu geben, ist eine angemessene Ausbildung der Christen und insbesondere der Katecheten notwendig. In diesem Zusammenhang muß das Bibelapostolatverstärkt werden, eine für diesen Zweck sehr wertvolle Methode, wie die kirchliche Erfahrung zeigt. Die Synodenväter haben außerdem empfohlen, Ausbildungszentren für Laien und Missionare einzurichten – wobei möglichst bereits bestehende akademische Einrichtungen genutzt werden sollten –, in denen man lernt, das Wort Gottes zu verstehen, zu leben und zu verkündigen. Wo es für notwendig erachtet wird, sollten auch Fachinstitute für Bibelstudien eingerichtet werden, damit die Exegeten ein solides theologisches Verständnis und eine entsprechende Sensibilität für die Zusammenhänge ihrer Sendung haben.[261]


Verbum Domini DE 57