Rosarium Virginis Mariae DE 32

Das »Vaterunser«


32 Nach dem Hören des Wortes und der Besinnung auf das Geheimnis erhebt sich naturgemäß die Seele zum Vater. Jesus führt uns in jedem einzelnen seiner Mysterien zum Vater, auf den er beständig hingewendet ist, weil er an seinem ,,Herzen“ ruht (vgl. Joh Jn 1,18). Er will uns in die Vertrautheit mit dem Vater einführen, so daß wir mit ihm »Abba, Vater« sagen können (Rm 8,15 Gal Ga 4,6). Es ist in der Verbindung mit dem Vater, daß Er uns zu seinen Brüdern und zu Brüdern untereinander macht, indem er uns den Geist mitteilt, der zugleich der seinige und der des Vaters ist. Das sich beim Ave Maria wiederholende »Vaterunser« bildet gleichsam das Fundament dieser christologisch – marianischen Betrachtung und verleiht der Meditation des Geheimnisses selbst beim Beten in Einsamkeit eine kirchliche Dimension.

Die zehn »Gegrüßet seist du Maria«


33 Dieser Teil ist der umfangreichste des Rosenkranzes und macht ihn im Gesamt zu einemmarianischen Gebet par excellence. Gerade im Licht des recht verstandenen Ave Maria läßt sich jedoch mit Klarheit feststellen, daß der marianische Charakter dem christologischen nicht nur nicht entgegensteht, sondern – im Gegenteil – ihn unterstreicht und hervorhebt. Der erste Teil des Ave Maria, der sich aus den Worten des Erzengels Gabriel und der heiligen Elisabeth an Maria herleitet, ist in der Tat eine anbetende Betrachtung des Geheimnisses, das sich in der Jungfrau von Nazareth erfüllt. Diese Worte drücken sozusagen die Bewunderung des Himmels und der Erde aus und lassen in gewisser Weise die Freude Gottes selbst durchscheinen, wenn er sein Meisterwerk – die Menschwerdung des Sohnes im jungfräulichen Schoß Marias – betrachtet, im Sinne jenes freudigen Blickes der Genesis (vgl. Gen Gn 1,31), jenes ursprünglichen »pathos, mit welchem Gott, am Anfang der Schöpfung das Werk seiner Hände betrachtete«.36Das wiederholte Ave Maria des Rosenkranzes bringt uns an die Freude Gottes heran: es ist Jubel, Staunen und Dankbarkeit für das größte Wunder der Geschichte. Es ist die Erfüllung der Verheißung, die an Maria ergangen ist: »Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter« (Lc 1,48).

Der Mittelpunkt des Gegrüßet seist du Maria, gleichsam das Scharnier zwischen dem ersten und dem zweiten Teil, ist der Name Jesus. Manchmal geschieht es, vor allem in einer hastigen Betweise, daß dieser Mittelpunkt entweicht und mit ihm auch der Kontakt zum Mysterium, welches man soeben betrachtet. Gerade die Betonung, die man dem Namen Jesu und seinem Geheimnis beimißt, macht jedoch ein bedeutungsvolles und fruchtbares Beten des Rosenkranzes aus. Papst Paul VI. erinnerte bereits im Apostolischen Schreiben Marialis cultus daran, daß es in einigen Gegenden den Brauch gibt, den Namen Jesu hervorzuheben, indem man eine Anrufung des Gesätzes, welches man gerade betrachtet, einfügt.37 Dies ist ein lobenswerter Brauch, besonders beim gemeinsamen Gebet. Er drückt kraftvoll den christologischen Glauben aus, der sich den verschiedenen Momenten im Leben des Erlösers zuwendet. Dies ist Bekenntnis des Glaubens und gleichzeitig eine Hilfe, um die Betrachtung wach zu halten. So kann die der Wiederholung des Ave Maria innewohnende assimilierende Funktion in Bezug auf das Christusgeheimnis gelebt werden. Einen Weg der Assimilierung, der darauf abzielt, uns immer tiefer in das Leben Christi eintreten zu lassen, bildet die Wiederholung des Namens Jesu – der einzige Name, der uns gegeben ist, durch den wir gerettet werden sollen (vgl. Apg Ac 4,12) – verflochten mit jenem der Allerseligsten Mutter. Dabei lassen wir gleichsam zu, daß sie uns diesen Namen eingibt.

Sodann ergibt sich aus der ganz besonderen Christusbeziehung, die Maria, die Mutter Gottes, die Theotòkos, werden ließ, die Kraft der Bitte, mit der wir uns im zweiten Teil des Gebetes an sie wenden, indem wir ihrer mütterlichen Fürsprache unser Leben und die Stunde unseres Todes anvertrauen.

36 Johannes Paul II., Brief an die Künstler (4. April 1999), 1: AAS 91 (1999), 1155.
37 Vgl. Nr. 46: AAS 66 (1974), 155. Dieser Brauch wurde auch kürzlich von der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung lobenswert erwähnt im »Direktorium über die Liturgie und Volksfrömmigkeit. Prinzipien und Orientierungshilfen« (17. Dezember 2001), 201, Vatikanstadt 2002, 165.

Das »Gloria«


34 Die trinitarische Doxologie ist der Zielpunkt der christlichen Kontemplation. Christus ist tatsächlich der Weg, der uns im Geist zum Vater führt. Wenn wir diesen Weg bis zum Ende durchlaufen, finden wir uns immerfort vor dem Geheimnis der drei göttlichen Personen wieder, die wir loben, anbeten und denen wir danken. Es ist wichtig, daß das Gloria, der Höhepunkt der Kontemplation, beim Rosenkranzbeten gut hervorgehoben wird. Beim öffentlichen Beten könnte es auch gesungen werden, um so der tragenden Struktur und Perspektive eines jeden christlichen Gebetsvollzugs geeigneten Nachdruck zu verleihen.

Die trinitarische Verherrlichung in jedem Rosenkranzgesätz erhält, ohne sich auf eine schnelle Beendigung zu beschränken, eine entsprechende kontemplative Tonlage, und zwar in dem Maße, in dem die Betrachtung des Geheimnisses – von Ave zu Ave – durch die Liebe zu Christus und zu Maria aufmerksam, vertieft und wiederbelebt wird. So als ob der Geist sich zur Höhe des Paradieses erhebt und uns in gewisser Weise die Erfahrung von Tabor, die Vorwegnahme der zukünftigen Schauung wieder erleben läßt: »Es ist gut, daß wir hier sind« (
Lc 9,33).

Das abschließende Stoßgebet


35 Nach der geläufigen Praxis des Rosenkranzgebetes folgt auf die trinitarische Schlußformel ein Stoßgebet, daß je nach Gewohnheit verschieden ist. Ohne etwas vom Wert dieser Anrufungen wegnehmen zu wollen, scheint es angebracht zu betonen, daß die Betrachtung der Geheimnisse ihre ganze Fruchtbarkeit besser entfalten kann, wenn darauf geachtet wird, daß jedes Gesätz mit einem Gebet endet, das darauf ausgerichtet ist, die besonderen geistlichen Früchte aus der Betrachtung des jeweiligen Geheimnisses zu gewinnen. In diesem Sinn wird das Rosenkranzgebet noch wirksamer in Verbindung zum christlichen Leben stehen. So schlägt es ein schönes Gebet aus der Liturgie vor, welches uns einlädt, durch die Betrachtung der Geheimnisse des Rosenkranzes das »nachzuahmen, was sie enthalten und zu erlangen, was sie verheißen«.38

Das abschließende Gebet kann, wie bereits üblich, legitimerweise vielfältige Formen annehmen. So paßt sich das Rosenkranzgebet auch an die unterschiedlichen geistlichen Traditionen in den verschiedenen christlichen Gemeinschaften an. In dieser Perspektive ist es wünschenswert, daß die besten Formulierungsvorschläge mit gebührender pastoraler Klugheit Verbreitung finden. Dazu sind die Erfahrungen in marianischen Zentren und Wallfahrtsorten dienlich, in denen dem Rosenkranz ein besonderer Stellenwert zukommt, so daß sich das Volk Gottes des ganzen echten geistlichen Reichtums erfreuen und daraus Nahrung für die eigene Betrachtung erlangen kann.

38 Missale Romanum1960, in festo B.M. Virginis a Rosario.

Die Perlenschnur des Rosenkranzes


36 Das gebräuchliche Hilfsmittel für das Rosenkranzgebet ist die Perlenschnur. In einer eher oberflächlichen Sichtweise ist sie lediglich ein Gegenstand zum Zählen der aufeinanderfolgendenAve Maria. Jedoch hat sie auch eine symbolische Bedeutung. Sie kann dazu beitragen, der Betrachtung eine noch tiefere Innigkeit zu verleihen.

Diesbezüglich ist erstens festzuhalten, daß der Rosenkranz auf das Kreuz hin zusammenläuft, das somit den Weg des Gebetes selbst eröffnet und abschließt. In Christus finden Leben und Gebet der Gläubigen ihren Mittelpunkt. Alles geht von ihm aus, alles strebt zu ihm hin, alles führt durch ihn im Heiligen Geist zum Vater.

Als Hilfsmittel zum Zählen der fortlaufenden Gebetselemente erinnert uns der Rosenkranz an den beharrlichen Weg der christlichen Kontemplation und Vervollkommnung. Der selige Bartolo Longo sah in ihm auch eine ,,Kette“, die uns an Gott bindet. Eine Kette, aber eine süße Kette, die uns immer die Beziehung zu einem Gott offenlegt, der unser Vater ist. Er ist die Kette der Kindschaft, die uns in Einklang mit Maria, der »Magd des Herrn« (
Lc 1,38) bringt und schließlich mit Christus selbst verbindet, der, obwohl er Gott gleich war, aus Liebe zu uns zum »Sklaven« wurde (vgl. Phil Ph 2,7).

Es ist schön, diese symbolische Bedeutung der Perlenschnur des Rosenkranzes auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen auszuweiten und darin das Band der Gemeinschaft und der Brüderlichkeit zu erkennen, das alle in Christus vereint.

Der Beginn und das Ende


37 Entsprechend den kirchlichen Gebräuchen sind in der gegenwärtigen Praxis die Einführungsgebete des Rosenkranzes verschiedenartig. In einigen Gebieten pflegt man ihn mit der Anrufung des Psalmes 70 zu beginnen: »O Gott, komm mir zu Hilfe; Herr, eile mir zu helfen«, um im Beter das demütige Bewußtsein seiner Bedürftigkeit zu nähren. Anderswo hingegen beginnt das Rosenkranzgebet mit dem Credo, um das Glaubensbekenntnis dem Betrachtungsweg sozusagen als Grundlage voranzustellen. Diese und ähnliche Gebetsweisen sind gleichermaßen berechtigt, insofern sie den Geist gut auf die Betrachtung einzustimmen vermögen. Der Rosenkranz schließt mit dem Gebet in der Meinung des Heiligen Vaters ab. Er weitet so den Blick des Betenden auf den umfassenden Rahmen kirchlicher Anliegen und Nöte. Um dem Rosenkranz gerade diese gesamtkirchliche Blickrichtung zu geben, wollte die Kirche ihn mit Ablässen für diejenigen versehen, die ihn in der richtigen Absicht beten.

So gesehen wird das Rosenkranzgebet tatsächlich zu einem wahren geistlichen Weg, auf dem Maria sich zur Mutter, Lehrerin und Führerin macht, um die Gläubigen mit ihrer mächtigen Fürbitte zu unterstützen. Es ist also nicht verwunderlich, daß der Geist am Ende dieses Gebetes, in dem er die Mütterlichkeit Mariens so inniglich erfahren durfte, sich gedrängt fühlt, im Lob an die heilige Jungfrau aufzugehen. Sei es im herrlichen Gebet des Salve Regina, oder in jenem derLauretanischen Litanei. Der Rosenkranz krönt einen inneren Weg, der die Gläubigen in lebendigen Kontakt mit dem Geheimnis Christi und seiner heiligsten Mutter gebracht hat.

Die Aufteilung in der Zeit


38 Der Rosenkranz kann jeden Tag ganz gebetet werden. Nicht wenige tun dies lobenswerterweise. Er dient dazu, den Tageslauf vieler kontemplativer Menschen im Gebet zu erfüllen; ebenso ist er ein Begleiter der kranken und alten Menschen, die ausreichend über Zeit verfügen. Andererseits ist es klar, daß viele Menschen nur einen Teil des Rosenkranzes entsprechend einer bestimmten wöchentlichen Ordnung beten können. Dies gilt umso mehr angesichts der Hinzufügung der neuen lichtreichen Geheimnisse. Diese wöchentliche Einteilung verleiht letztendlich den verschiedenen Tagen der Woche eine gewisse geistliche ,,Färbung“, analog zu den verschiedenen Zeiten des liturgischen Jahres.

Nach der üblichen Praxis sind Montag und Donnerstag den freudenreichen Geheimnissen, Dienstag und Freitag den schmerzhaften Rosenkranzgesätzen, sowie Mittwoch, Samstag und Sonntag den glorreichen Geheimnissen gewidmet. Wo sollen nun die »lichtreichen Rosenkranzgeheimnisse« eingefügt werden? Unter der Rücksicht, daß die glorreichen Geheimnisse sich in der Abfolge von Samstag und Sonntag direkt wiederholen und der Samstag traditionell als ein Tag besonderer Marienverehrung begangen wird, scheint es zweckmäßig, die zweite wöchentliche Betrachtung der freudenreichen Gesätze auf den Samstag zu verschieben, in denen die Gegenwart Marias am stärksten betont ist. So bleibt der Donnerstag für die Betrachtung der lichtreichen Geheimnisse frei.

Diese Anleitung beabsichtigt allerdings keine Einschränkung der gebührenden Freiheit in der persönlichen und gemeinschaftlichen Betrachtung, die sich an den spirituellen und pastoralen Bedürfnissen sowie vor allem an den liturgischen Feiern ausrichtet, die entsprechende Anpassungen nahelegen können. Wirklich wichtig ist, daß der Rosenkranz immer besser als betrachtende Wegstrecke erfaßt und erfahren wird. In liturgieergänzender Weise prägt die Rosenkranzbetrachtung die Woche des Christen, deren Angelpunkt der Sonntag, der Tag der Auferstehung, ist. Sie wird zu einem Weg, auf dem wir die Geheimnisse des Lebens Christi durchschreiten, der sich im Leben seiner Jünger als Herr von Zeit und Geschichte erweist.



SCHLUSS


»Gebenedeiter Rosenkranz Mariens, süße Kette, die uns an Gott bindet«

39 Die bisherigen Überlegungen geben den Reichtum dieses althergebrachten Gebetes ausführlich wieder, das die Einfachheit eines Volksgebetes mit der theologischen Tiefe eines Gebetes verbindet, welches sich für Menschen eignet, die die Notwendigkeit einer reiferen Betrachtung spüren.

Die Kirche hat diesem Gebet stets eine besondere Wirksamkeit zugesprochen. Sie legt die schwersten Anliegen vertrauensvoll in das gemeinsame und beharrliche Beten des Rosenkranzes hinein. In Zeiten, in denen die Christenheit selbst bedroht war, hat dieses Gebet zur Errettung aus Gefahr beigetragen und die Jungfrau vom Heiligen Rosenkranz wurde als Mittlerin zum Heil verehrt.

Gerne anempfehle ich der Wirksamkeit dieses Gebetes – wie ich eingangs erwähnt habe – die Bitte um den Frieden in der Welt und die Anliegen der Familien.

Der Friede


40 Die Probleme, die die Bühne der Welt zu Beginn dieses neuen Jahrtausends zeigt, bringen uns auf den Gedanken, daß nur ein Eingriff von oben – der die Herzen all jener, die in Konfliktsituationen leben, zu lenken vermag, und all derer, denen die Führung der Geschicke der Nationen obliegt – auf eine weniger dunkle Zukunft hoffen läßt.

Seiner Natur nach ist der Rosenkranz auf den Frieden ausgerichtet. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß dieses Gebet in der Betrachtung Christi des Fürsten des Friedens besteht, der »unser Friede« ist (
Ep 2,14). Wer das Christusgeheimnis verinnerlicht – und genau darauf zielt der Rosenkranz ab –, eignet sich das Geheimnis des Friedens an und macht es zu seinem Lebensentwurf. Kraft seines meditativen Charakters übt das Rosenkranzgebet ferner in der ruhigen Abfolge des Ave Maria auf den Beter selbst einen friedensstiftenden Einfluß aus. Es disponiert ihn für das Empfangen und das Erfahren seines Seins in der Tiefe und macht ihn bereit, den wahren Frieden, der das besondere Geschenk des Auferstandenen ist (vgl. Joh Jn 14,17 Jn 20,21), in seiner Umgebung weiterzuschenken.

Sodann ist der Rosenkranz Friedensgebet auch aufgrund der Früchte der Liebe, die er hervorbringt. Wenn er als eigentliche Meditation gut gebetet wird, weist der Rosenkranz, indem er die Begegnung mit Christus in seinen Geheimnissen fördert, auf das Antlitz Christi in den Brüdern hin, vor allem auf das in denen, die sehr leiden müssen. Wie könnten wir bei der Betrachtung der freudenreichen Geheimnisse das zu Bethlehem geborene Kind anschauen, ohne vom Wunsch erfüllt zu sein, das Leben aufzunehmen, zu verteidigen und zu fördern, sowie uns der Leiden der Kinder in vielen Teilen der Welt anzunehmen? Wie könnten wir Christus, dem Offenbarer, in den lichtreichen Geheimnissen nachgehen, ohne daß wir uns vornehmen, seine Seligpreisungen im täglichen Leben zu bezeugen? Und wie könnten wir den mit dem Kreuz beladenen und gekreuzigten Christus betrachten, ohne daß wir uns gedrängt fühlen, selbst zum Simon von Cyrene für jeden Bruder zu werden, der erschöpft von Krankheit oder überwältigt von der Hoffnungslosigkeit ist? Wie könnten wir schließlich die Augen auf die Herrlichkeit des auferstandenen Christus und auf die zur Königin gekrönten Maria gerichtet halten, ohne den Wunsch zu verspüren, diese Welt schöner und gerechter zu machen und sie dem Plan Gottes näher zu bringen?

Indem der Rosenkranz uns den Blick auf Christus richten läßt, macht er uns also auch zu Friedensstiftern in der Welt. Weil er in besonderer Weise ein inständiges und gemeinsames Bittgebet ist, das im Einklang mit der Aufforderung Christi steht, allezeit zu beten »und darin nicht nachzulassen« (vgl. Lk Lc 18,1), erfüllt er uns mit der Hoffnung, daß auch heute eine so schwierige ,,Schlacht“, wie die des Friedens gewonnen werden kann. Weit davon entfernt eine Flucht vor den Problemen dieser Welt zu sein, drängt uns der Rosenkranz, diese mit den Augen der Verantwortung und des Großmutes zu betrachten.

Er erwirkt uns die Kraft, uns der Probleme in der Gewißheit göttlicher Hilfe und mit dem festen Vorsatz zuzuwenden, unter allen Umständen die Liebe zu bezeugen, die »das Band ist, das alles vollkommen macht« (Col 3,14).

Die Familie: die Eltern...


41 Als Gebet um den Frieden ist der Rosenkranz auch und schon immer das Gebet der Familie und für die Familie. Früher war dieses Gebet den christlichen Familien besonders teuer und hat sicherlich die Eintracht unter ihren Gliedern gefördert. Dieses kostbare Erbe darf nicht verlustig gehen. Es tut Not, zum Beten in der Familie und zum Gebet für die Familien zurückzukehren, indem gerade von dieser Gebetsform Gebrauch gemacht wird.

Im Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte habe ich dazu ermutigt, daß die Feier des Stundengebetes auch von den Laien im gewöhnlichen Leben der Pfarrgemeinden oder in verschiedenen christlichen Gruppen39 vollzogen wird. Dasselbe wünsche ich auch für das Rosenkranzgebet. Hierbei handelt es sich nicht um zwei alternative Vorschläge, sondern um zwei einander ergänzende Wege der christlichen Betrachtung. Deshalb bitte ich all jene, die sich in der Familienseelsorge engagieren, mit Überzeugung zum Rosenkranzgebet anzuregen.

Eine Familie, die vereint betet, bleibt eins. Seit altersher wird der Rosenkranz in besondererWeise als Gebet gepflegt, zu dem sich die Familie versammelt. Indem die einzelnen Familienmitglieder ihren Blick auf Jesus richten, werden sie befähigt, sich stets aufs Neue in die Augen zu schauen, miteinander zu sprechen, füreinander einzustehen, sich gegenseitig zu vergeben und in einem durch den Heiligen Geist belebten Liebesbündnis wieder neu zu beginnen.

Viele Probleme der heutigen Familien, insbesondere in der wirtschaftlich hochentwickelten Gesellschaft, hängen damit zusammen, daß die Kommunikation untereinander immer schwieriger wird. Es gelingt nicht mehr, gemeinsam Zeit zu verbringen, und sogar jene wenigen Augenblicke des Zusammenseins werden von den Bildern des Fernsehens beherrscht. Die Wiederbelebung des Rosenkranzgebetes in der Familie bedeutet, ganz andere Bilder in das alltägliche Leben hineinzulassen, und zwar die der Heilsmysterien: das Bild des Erlösers, das Bild seiner heiligsten Mutter. Die Familie, die zusammen den Rosenkranz betet, gibt ein wenig das Klima des Heimes von Nazareth wieder: sie stellt Jesus in den Mittelpunkt, sie teilt mit ihm Freud und Schmerz, sie legt Bedürfnisse und Vorhaben in seine Hände, von ihm schöpft sie Hoffnung und Kraft für den Lebensweg.

39 Vgl. Nr.
NM 34: AAS 93 (2001), 290.

... und die Kinder


42 Es ist auch schön und fruchtbar, diesem Gebet die Jahre des Wachstums der Kinderanzuvertrauen. Ist nicht vielleicht gerade das Rosenkranzgebet der Weg des Lebens Jesu – von seiner Empfängnis, seinem Tod, bis zur Auferstehung und zur Verherrlichung? Es wird gerade heute für die Eltern immer schwieriger, die Kinder in den verschiedenen Etappen ihres Lebens zu begleiten. In der heutigen Gesellschaft der hochentwickelten Technologie, der Massenmedien und der Globalisierung ist alles so viel schneller geworden, und der kulturelle Generationenunterschied wird immer einschneidender. Eine Fülle von Informationen und ganz unvorhersehbare Erfahrungen nehmen früh Raum im Leben der Kinder und der Heranwachsenden ein. Für die Eltern ist die Bewältigung der Risiken, die die Kinder eingehen, manchmal beängstigend. Nicht selten machen sie Erfahrungen unsäglicher Enttäuschung, wenn sie das Scheitern der eigenen Kinder angesichts der Verführung zur Droge, der Reize eines zügellosen Hedonismus, der Versuchung zur Gewalt, sowie angesichts der verschiedensten Ausdrucksformen der Sinnlosigkeit und der Verzweiflung feststellen.

Das Rosenkranzgebet für die Kinder, und noch wichtiger mit den Kindern, – wobei sie vom zartesten Alter an zu dieser täglichen Atempause des ,,betenden Innehaltens“ in der Familie erzogen werden – ist sicher nicht die Patentlösung für jedes Problem, aber es ist eine geistliche Hilfe, die nicht unterschätzt werden darf. Dem könnte man entgegenhalten, daß der Rosenkranz ein Gebet sei, das dem Geschmack der Kinder und der Jugendlichen von heute wenig entspricht. Der Einwand bezieht sich vielleicht auf eine Art und Weise des Rosenkranzbetens, die es oftmals an Sorgfalt vermissen läßt. Unter der Voraussetzung, daß die grundlegende Struktur des Rosenkranzes gewahrt bleibt, spricht übrigens nichts dagegen, den mit Kindern und Jugendlichen in der Familie oder in Gruppen gebeteten Rosenkranz mit angebrachten symbolischen und praktischen Elementen zu versehen, die geeignet sind, das Verständnis und die Wertschätzung dieses Gebetes zu fördern. Warum nicht ausprobieren? Eine Jugendpastoral, die nicht nur auf nichts Wesentliches verzichtet, sondern begeistert und kreativ ist, kann mit der Hilfe Gottes durchaus so wichtige Dinge vollbringen. Die Weltjugendtage haben dafür den Maßstab angegeben! Wenn der Rosenkranz in guter Weise eingeführt wird, bin ich sicher, daß die Jugendlichen selbst die Erwachsenen noch einmal überraschen können, indem sie sich dieses Gebet zu eigen machen und es mit dem für ihr Alter typischen Enthusiasmus vollziehen.

Der Rosenkranz – ein Schatz, der wiederentdeckt werden muß


43 Liebe Brüder und Schwestern! Ein Gebet, das so einfach und gleichzeitig so reich ist, verdient es wirklich, von der christlichen Gemeinschaft neu entdeckt zu werden. Dies wollen wir vor allem im laufenden Jahr tun, indem wir dieses Angebot als eine bestärkende Fortsetzung der Grundlinien annehmen, die das Apostolische Schreiben Novo millennio ineunte vorgezeichnet hat, von dem sich viele Teilkirchen bei der Erarbeitung ihrer Pastoralpläne für die nächste Zukunft haben inspirieren lassen.

Besonders wende ich mich an Euch, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, Priester und Diakone, und an Euch, die Ihr in den verschiedenen Diensten der Seelsorge tätig seid: Wenn Ihr die Schönheit des Rosenkranzes persönlich erfahrt, werdet Ihr selbst zu eifrigen Förderern dieses Gebetes!

Auch in Euch, die Theologen, setze ich mein Vertrauen, daß Ihr im Rahmen gleichermaßen präziser und weiser Überlegungen, die mit Achtsamkeit gegenüber dem Lebensvollzug des Gottesvolkes auf das Wort Gottes gründen, mithelft, die biblischen Grundlagen, den geistlichen Reichtum und die pastorale Wirksamkeit dieses Gebetes zu entdecken.

Ich zähle auf Euch, die gottgeweihten Gläubigen, die Ihr in ganz besonderer Weise dazu berufen seid, das Antlitz Christi in der Schule Mariens zu betrachten.

Auf Euch alle schaue ich, Brüder und Schwestern jeglichen Standes, auf Euch, die christlichen Familien, auf Euch, die Kranken und die betagten Menschen, auf Euch, die Jugendlichen: nehmt aufs Neue den Rosenkranz mit Vertrauen in Eure Hände! Entdeckt den Rosenkranz wieder im Licht der Heiligen Schrift, in Einklang mit der Feier der Liturgie und unter den Umständen des alltäglichen Lebens.


44 Dieser Aufruf darf nicht ungehört bleiben! Zu Beginn des fünfundzwanzigsten Jahres meines Pontifikates lege ich dieses Apostolische Schreiben vertrauensvoll in die weisen Hände der Jungfrau Maria. Im prachtvollen Heiligtum, das der selige Bartolo Longo, der Apostel des Rosenkranzes, zu ihrer Ehre erbaut hat, werfe ich mich geistig vor ihrem Bilde nieder. Gerne mache ich mir die berührenden Worte zu eigen, mit welchen er die berühmte Bitte an die Königin des Heiligen Rosenkranzes beschließt: »O Rosenkranz, gesegnet von Maria, süße Kette, die uns an Gott bindet, Band der Liebe, das uns mit den Engeln vereint, Turm des Heiles gegen die Angriffe der Hölle, sicherer Hafen im allgemeinen Schiffbruch, dich lassen wir nie mehr los. Du, unsere Stärke in der Stunde des Todes. Dir gilt der letzte Kuß unseres Lebens, wenn wir sterben. Der letzte Gruß unserer Lippen sei dein holder Name, o Königin des Rosenkranzes von Pompeji! O gute Mutter, du Zuflucht der Sünder, erhabene Trösterin der Betrübten, sei überall gepriesen, heute und immer im Himmel und auf Erden!« .

Aus dem Vatikan, am 16. Oktober des Jahres 2002, dem Beginn des fünfundzwanzigsten Jahres meines Pontifikates.

JOHANNES PAUL II.




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