Slavorum Apostoli DE 15


15 Vor allem Methodius schreckte nicht zurück vor Unverständnis und Widerstand, sogar nicht vor Diffamierung und physischer Verfolgung, ohne dabei in seiner beispielhaften kirchlichen Treue nachzulassen, und indem er seinen Pflichten als Christ und Bischof treu blieb wie auch seinen Verpflichtungen gegenüber der byzantinischen Kirche, aus der er stammte und die ihn zusammen mit Cyrill als Missionar ausgesandt hatte, gegenüber der Kirche von Rom, dank derer er sein Amt als Erzbischof »für den Glauben« auf »dem Territorium des hl. Petrus« 27 ausübte, wie auch gegenüber jener jungen Kirche auf slawischem Boden, die er als eigene annahm und die er - überzeugt von Recht und Gerechtigkeit - vor den kirchlichen und staatlichen Autoritäten zu verteidigen wußte, indem er besonders die Liturgie in altslawischer Sprache und die kirchlichen Grundrechte der Kirchen bei den verschiedenen Völkern zu schützen suchte.

Dabei verwandte er immer, wie Konstantin, der Philosoph, den Dialog mit denjenigen, die gegen seine Ideen oder pastoralen Initativen waren und deren Erlaubtheit in Frage stellten. So wird er immer für jene ein Lehrer bleiben, die, in welcher Zeit auch immer, Streitigkeiten zu vermindern suchen, indem sie die vielfältige Fülle der Kirche achten, die nach dem Willen ihres Stifters Jesu Christi immer die eine, heilige, katholische und apostolische sein muß: diese Weisung fand ihren vollen Widerhall im Symbolum der 150 Väter des II. Ökumenischen Konzils von Konstantinopel, welches das unantastbare Glaubensbekenntnis aller Christen darstellt.

V. DER KATHOLISCHE SINN DER KIRCHE



16 Nicht nur der vom Evangelium geprägte Inhalt der durch die heiligen Cyrill und Methodius verkündeten Lehre verdient besonders hervorgehoben zu werden. Sehr ausdrucksvoll und lehrreich für die Kirche von heute ist auch ihre katechetische und pastorale Methode, die sie bei ihrer apostolischen Tätigkeit unter den Völkern anwandten, die noch nicht erlebt hatten, wie die göttlichen Geheimnisse in ihrer Muttersprache gefeiert wurden, noch die Verkündigung des Wortes Gottes in einer Weise vernommen hatten, die ganz ihrer eigenen Mentalität entsprach und ihre konkreten Lebensbedingungen berücksichtigte.

Wir wissen, daß das II. Vatikanische Konzil vor 20 Jahren die besondere Aufgabe hatte, das Selbstverständnis der Kirche zu wecken und ihr durch eine innere Erneuerung einen neuen missionarischen Impuls für die Verkündigung der bleibenden Botschaft des Heils, des Friedens und der gegenseitigen Eintracht unter den Völkern und Nationen zu geben, die alle Grenzen sprengt, die unseren Planeten noch teilen, der durch den Willen Gottes, seines Schöpfers und Erlösers, dazu bestimmt ist, eine gemeinsame Wohnstatt für die ganze Menschheitsfamilie zu sein. Die Bedrohungen, die sich heutzutage über der Erde auftürmen, können die prophetische Sicht von Papst Johannes XXIII. nicht vergessen machen, der das Konzil in der Absicht und in der Überzeugung zusammengerufen hat, es möge imstande sein, eine Zeit des Frühlings und der Wiedergeburt im Leben der Kirche vorzubereiten und einzuleiten.

Zum Thema der Universalität der Kirche hat das Konzil unter anderem ausgeführt:

»Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen berufen. Darum muß dieses Volk eines und ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten. So soll sich das Ziel des Willens Gottes erfüllen, der das Menschengeschlecht am Anfang als eines gegründet und beschlossen hat, seine Kinder aus der Zerstreuung wieder zur Einheit zu versammeln (vgl. Jo 11, 52).... Die Kirche oder das Gottesvolk entzieht mit der Verwirklichung dieses Reiches nichts dem zeitlichen Wohl irgendeines Volkes. Vielmehr fördert und übernimmt es Anlagen, Fähigkeiten und Sitten der Völker, soweit sie gut sind. Bei dieser Übernahme reinigt, kräftigt und hebt es sie aber auch ... Diese Eigenschaft der Weltweite, die das Gottesvolk auszeichnet, ist Gabe des Herrn selbst ... Kraft dieser Katholizität bringen einzelne Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so daß das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken«. 28


17 Wir können zu Recht feststellen, daß eine solche traditionelle und zugleich äußerst moderne Sicht der Katholizität der Kirche - erlebt wie eine Sinfonie der verschiedenen Liturgieformen in allen Weltsprachen, geeint in einer einzigen Gesamtliturgie, oder wie ein harmonischer Chor, der, getragen von den Stimmen endloser Mengen von Menschen, zum Lob Gottes anhebt mit unzähligen Variationen, Klangfarben und Rhythmen, von jedem Punkt unseres Erdballs aus, in jedem Augenblick der Geschichte - in besonderer Weise der theologischen und pastoralen Sicht entspricht, die das apostolische und missionarische Werk von Cyrill und Methodius beseelte und die Mission unter den slawischen Nationen stützte.

Vor den Vertretern der kirchlichen Kultur in Venedig, die an einem eher engen Verständnis der kirchlichen Wirklichkeit festhielten und deshalb jene Sicht ablehnten, verteidigte der hl. Cyrill sie tapfer, indem er auf die Tatsache hinwies, daß viele Völker bereits in der Vergangenheit eine Liturgie eingeführt hatten und besaßen, die in der eigenen Sprache aufgeschrieben und gefeiert wurde, wie »die Armenier, die Perser, die Abasken, die Georgier, die Sukden, die Goten, die Awarer, die Tirsen, die Chasaren, die Araber, die Kopten, die Syrer und viele andere«. 29 Er erinnerte daran, daß Gott seine Sonne aufgehen und regnen läßt über allen Menschen ohne Ausnahme 30 und sagte: »Atmen wir etwa die Luft alle in derselben Weise ein? Und ihr scheut nicht davor zurück, nur drei Sprachen festzusetzen (Hebräisch, Griechisch und Latein) und zu entscheiden, daß alle anderen Völker und Stämme blind und taub bleiben müssen! Sagt mir: Unterstützt ihr dies, weil ihr Gott für so schwach haltet, es nicht anders erlauben zu können, oder für so neidisch, es nicht anders zu wollen?«. 31 Auf die geschichtlichen und logischen Argumente, die ihm entgegengehalten wurden, antwortete der Heilige mit dem Hinweis auf das inspirierte Fundament, die Heilige Schrift: »Jeder Mund bekennt: 'Jesus Christus ist der Herr', zur Ehre Gottes, des Vaters«; 32 »alle Welt bete dich an und singe dein Lob, sie lobsinge deinem Namen«; 33 »lobet den Herrn, alle Völker, preist ihn, alle Nationen«. 34


18 Die Kirche ist auch darum katholisch, weil sie es versteht, die geoffenbarte Wahrheit, die sie in ihrem göttlichen Inhalt unversehrt behütet, in jeder menschlichen Umgebung so vorzulegen, daß es zu einer geistigen Begegnung mit den höchsten Ideen und den berechtigten Erwartungen jedes Menschen und jedes Volkes kommt. Zudem ist das gesamte Erbe an Werten, das jede Generation der nächsten verbunden mit dem unschätzbaren Geschenk des Lebens übergibt, wie eine bunte und überreiche Menge von charakteristischen Farben, die zusammen das lebende Mosaik des Pantokrátor bilden, der sich in seinem vollen Glanz erst im Augenblick der Wiederkunft offenbaren wird.

Das Evangelium führt nicht zur Verarmung oder zur Auslöschung dessen, was jeder Mensch, jedes Volk und jede Nation, was jede Kultur während ihrer Geschichte als Wert, Wahrheit und Schönheit anerkennen und leben. Es regt vielmehr an, diese Werte aufzunehmen und sie weiter zu entwickeln: sie mit Freude und Großmut zu leben und im geheimnisvollen und erhebenden Licht der Offenbarung zu vollenden.

Die konkrete Dimension der Katholizität, von Christus, dem Herrn, der Struktur der Kirche selbst eingeschrieben, ist nicht etwas Statisches, Geschichtsloses, eintönig und flach, sondern entspringt und entwickelt sich gleichsam täglich wie eine Neuheit aus dem einmütigen Glauben all derer, die an den einen und dreifaltigen Gott glauben, den Jesus Christus offenbart hat und den die Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes verkündet. Diese Dimension geht ganz spontan aus der gegenseitigen Achtung - wie sie brüderlicher Liebe zu eigen ist - gegenüber jedem Menschen und jeder Nation hervor, sei sie groß oder klein, sowie aus der redlichen Anerkennung der Eigenschaften und Rechte der Glaubensbrüder.


19 Die Katholizität der Kirche zeigt sich ebenso in der aktiven Mitverantwortung und großzügigen Zusammenarbeit mit allen für das Gemeinwohl. Die Kirche verwirklicht allenthalben ihre Universalität, indem sie jeden echten menschlichen Wert auf ihre Weise mit mütterlicher Sorgfalt aufnimmt, einfügt und erhebt. Zugleich bemüht sie sich an jeder Stelle der Welt und in jeder geschichtlichen Situation, die Menschen einzeln und alle zusammen für Gott zu gewinnen, sie untereinander und mit ihm in seiner Wahrheit und Liebe zu vereinen.

Jeder Mensch, jede Nation, jede Kultur und Zivilisation haben eine eigene Rolle und einen eigenen Platz im geheimnisvollen Plan Gottes und in der universalen Heilsgeschichte. Dies war der Gedanke der beiden heiligen Brüder: Der »barmherzige und gütige« 35 Gott, der »will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen«, 36 erträgt es nicht, daß das Menschengeschlecht der Schwäche erliegt und zugrunde geht, indem es der Versuchung des Feindes anheimfällt, sondern teilt in allen Jahren und Zeiten unaufhörlich vielfältige Gnaden aus, von Anfang an bis heute auf die gleiche Weise: zuerst durch die Patriarchen und Väter, nach diesen durch die Propheten; dann durch die Apostel und Märtyrer, durch Gerechte und Weise, die er mitten aus diesem stürmischen Leben erwählt«. 37


20 Die Botschaft des Evangeliums, die die heiligen Cyrill und Methodius für die slawischen Völker übersetzt haben, indem sie mit Weisheit aus dem Schatz der Kirche »Altes und Neues» 38 schöpften, wurde durch Predigt und Katechese in Übereinstimmung mit den ewigen Wahrheiten übermittelt und zugleich der konkreten geschichtlichen Situation angepaßt. Dank der missionarischen Anstrengungen der beiden Heiligen konnten sich die slawischen Völker zum erstenmal der eigenen Berufung zur Teilnahme am ewigen Entwurf der Heiligsten Dreifaltigkeit, am universalen Heilsplan der Welt, bewußt werden. Damit erkannten sie auch die eigene Rolle zum Besten der gesamten Geschichte der Menschheit, die von Gott, dem Vater, geschaffen, vom Sohn und Heiland erlöst und vom Heiligen Geist erleuchtet ist. Dank dieser Verkündigung, die damals von den Autoritäten der Kirche, den Bischöfen von Rom und den Patriarchen von Konstantinopel, anerkannt wurde, konnten sich die Slawen zusammen mit den anderen Völkern der Erde als Abkömmlinge und Erben der Verheißung fühlen, die Gott dem Abraham gegeben hat. 39 Dank der kirchlichen Organisation, die der hl. Methodius geschaffen hat, und dank des Bewußtseins von der eigenen christlichen Identität nahmen sie so den ihnen zugedachten Platz in der Kirche ein, die auch in jenem Teil Europas bereits entstanden war. Dafür bewahren ihre heutigen Nachfahren eine dankbare und bleibende Erinnerung an den, der das Bindeglied geworden ist, das sie mit der Reihe der großen Verkünder der göttlichen Offenbarung des Alten und Neuen Testamentes verbindet: »Nach all jenen erweckte der barmherzige Gott zu unserer Zeit zum Besten unseres Volkes - um das sich noch nie jemand gekümmert hatte - für das gute Werk unseren Lehrer, den seligen Methodius, dessen Tugenden und Mühen wir, ohne zu erröten, eine nach der anderen mit denen jener gottgefälligen Menschen gleichsetzen«. 40


VI. EVANGELIUM UND KULTUR

21 Die Brüder von Saloniki waren nicht nur Erben des Glaubens, sondern auch der antiken griechischen Kultur, die in Byzanz fortlebte. Es ist bekannt, welche Bedeutung dieses Erbe für die gesamte europäische Kultur und direkt oder indirekt für die Weltkultur hat. Im Werk der Evangelisierung, das sie als Pioniere in den von slawischen Völkern bewohnten Gebieten vollbracht haben, findet sich zugleich ein Beispiel für das, was man heute als »Inkulturation« bezeichnet - die Inkarnation des Evangeliums in den einheimischen Kulturen - wie auch die Eingliederung dieser Kulturen in das Leben der Kirche.

Dadurch daß die heiligen Cyrill und Methodius das Evangelium mit der einheimischen Kultur der von ihnen missionierten Völker in eine lebendige Einheit gebracht haben, besitzen sie besondere Verdienste um die Bildung und Fortentwicklung eben dieser Kultur oder, besser, vieler Kulturen. Denn alle Kulturen der slawischen Völker verdanken ihren »Anfang« oder ihre Entwicklung dem Werk der Brüder aus Saloniki. Diese haben nämlich mit der eigenen, originalen und genialen Schöpfung eines Alphabetes für die slawische Sprache einen grundlegenden Beitrag für die Kultur und Literatur aller slawischen Völker geleistet.

Die Übersetzung der Heiligen Bücher, die von Cyrill und Methodius zusammen mit ihren Schülern durchgeführt wurde, hat der altslawischen Liturgiesprache Kraft und kulturelle Würde verliehen: Sie wurde für viele Jahrhunderte nicht nur die Kirchensprache, sondern auch die offzielle und literarische, ja sogar die allgemeine Sprache der gebildeteren Schichten des Großteils der slawischen Völker und insbesondere aller Slawen des orientalischen Ritus. Sie war auch in der Heilig-Kreuz-Kirche in Krakau in Gebrauch, bei der sich die slawischen Benediktiner niedergelassen hatten. Hier wurden die ersten in dieser Sprache gedruckten liturgischen Bücher herausgegeben. Bis heute wird diese Sprache verwendet in der byzantinischen Liturgie der slawisch-orientalischen Kirchen des konstantinopolitanischen Ritus, der katholischen wie der orthodoxen, in Ost- und Südosteuropa sowie in verschiedenen Ländern Westeuropas; ferner wird sie benutzt in der römischen Liturgie der Katholiken in Kroatien.


22 In der geschichtlichen Entwicklung der Slawen des orientalen Ritus hatte diese Sprache eine ähnliche Bedeutung wie die lateinische Sprache im Westen; sie hat sich aber noch länger erhalten - teilweise bis ins 19. Jahrhundert - und einen viel direkteren Einfluß auf die Bildung der einheimischen Literarsprachen ausgeübt dank ihrer engen Verwandtschaft mit ihnen.

Diese Verdienste um die Kultur aller slawischen Völker und Nationen machen das Werk der Glaubensverbreitung der heiligen Cyrill und Methodius in einem gewissen Sinn ständig gegenwärtig in der Geschichte und im Leben dieser Völker und Nationen.


VII. DIE BEDEUTUNG UND AUSSTRAHLUNG DES CHRISTLICHEN MILLENIUMS IN DEN SLAWISCHEN GEBIETEN


23 Das apostolisch-missionarische Wirken der heiligen Cyrill und Methodius, das in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts fällt, kann als die »erste wirkliche Evangelisierung der Slawen« betrachtet werden.

Es erstreckte sich in verschiedenem Grade auf die einzelnen Gebiete, wobei es sich jedoch hauptsächlich auf den Bereich des Staates von Großmähren konzentrierte. Es umfaßte vor allem die Regionen des Metropolitansitzes, dessen Oberhirte Methodius war, nämlich Mähren, Slowakei und Pannonien, einen Teil des heutigen Ungarn. Im weiteren Einflußgebiet dieses apostolischen Wirkens, besonders von seiten der durch Methodius vorbereiteten Missionare, befanden sich die anderen Gruppen der Westslawen, vor allem die von Böhmen. Der erste geschichtlich namhafte Fürst Böhmens aus der Dynastie der Premysliden, Bozyvoj (Borivoj), wurde wahrscheinlich nach dem slawischen Ritus getauft. Später erreichte dieser Einfluß die serbo-lusazianischen Stämme und die Gebiete von Südpolen. Dennoch trat seit dem Fall von Großmähren (ca. 905-906) an die Stelle dieses Ritus der lateinische Ritus, und Böhmen wurde kirchlich dem Bischof von Regensburg und dem Metropolitansitz von Salzburg unterstellt. Besondere Aufmerksamkeit verdient jedoch der Umstand, daß noch gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts, also zu den Zeiten des hl. Wenzeslaus, eine starke gegenseitige Durchdringung der Elemente beider Riten und eine vorgeschrittene Symbiose der zwei in der Liturgie benutzten Sprachen bestand: der slawischen und der lateinischen Sprache. Im übrigen war die Christianisierung des Volkes nicht möglich, ohne sich seiner Muttersprache zu bedienen. Und nur auf einer solchen Grundlage konnte sich die christliche Terminologie in Böhmen entwickeln und sich später von hier aus die kirchliche Terminologie in Polen entfalten und festigen. Die Bemerkung über den Fürsten der Vislani im Leben des Methodius ist der älteste geschichtliche Hinweis auf einen der polnischen Stämme. 41 Es fehlen aber hinreichende Daten, um mit dieser Anmerkung die Errichtung einer kirchlichen Organisation in slawischem Ritus in den polnischen Landen verbinden zu können.


24 Die Taufe Polens im Jahre 966 in der Person des ersten geschichtlichen Herrschers Mieszko, der die böhmische Prinzessin Dubravka heiratete, geschah hauptsächlich durch die Kirche Böhmens. Auf diesem Wege kam das Christentum nach Polen von Rom aus in der lateinischen Form. Es bleibt jedoch die Tatsache, daß sich die ersten Anfänge des Christentums in Polen in gewisser Weise mit dem Werk der beiden Brüder verbinden, die aus dem fernen Saloniki aufgebrochen waren.

Unter den Slawen der Balkanhalbinsel hat der pastorale Einsatz der beiden heiligen Brüder noch deutlichere Prüchte hervorgebracht. Dank ihres Apostolats hat sich das Christentum in Kroatien gefestigt, das dort schon seit längerem Wurzel gefaßt hatte.

In Bulgarien behauptete und entfaltete sich die Mission von Cyrill und Methodius hauptsächlich durch Gefährten, die aus ihrem ursprünglichen Wirkungsgebiet ausgewiesen worden waren. Hier entstanden dank des Wirkens des hl. Klemens von Ochrida kraftvolle Zentren des monastischen Lebens, hier entfaltete sich besonders das kyrillische Alphabet. Von hier aus verbreitete sich das Christentum auch in andere Gebiete, über das benachbarte Rumänien bis hin in das antike Rus' -Reich von Kiew, um sich dann von Moskau noch weiter nach Osten auszubreiten In einigen Jahren, genau im Jahre 1988, ist die Tausendjahrfeier der Taufe des hl. Wladimir, des Großfürsten von Kiew.


25 Zu Recht wurden deshalb die heiligen Cyrill und Methodius von der Familie der slawischen Völker schon früh als Väter sowohl ihres Christentums, als auch ihrer Kultur anerkannt. In vielen der schon genannten Gebiete bewahrte ein Großteil der slawischen Bevölkerung, obwohl schon verschiedene Missionare dort gewirkt hatten, noch im 9. Jahrhundert heidnische Bräuche und Überzeugungen. Nur auf dem von unseren Heiligen bestellten oder von ihnen wenigstens für die Bestellung vorbereiteten Land hat das Christentum im folgenden Jahrhundert seinen endgültigen Einzug in die Geschichte der Slawen gehalten.

Ihr Werk bildet einen hervorragenden Beitrag für die Bildung der gemeinsamen christlichen Wurzeln Europas; jener Wurzeln, die wegen ihrer Festigkeit und Lebenskraft einen der solidesten Bezugspunkte bilden, von denen kein ernsthafter Versuch, die Einheit des Kontinents auf neue und heutige Weise wiederherzustellen, absehen kann.

Nach elf Jahrhunderten des Christentums unter den Slawen sehen wir deutlich, daß das Erbe der Brüder von Saloniki für jene tiefer und stärker ist und bleibt als irgendeine Spaltung. Beide christlichen Traditionen - die östliche, die sich von Konstantinopel herleitet, und die westliche, die von Rom stammt - sind im Schoß der einen Kirche entstanden, wenn auch im Rahmen verschiedener Kulturen und eines unterschiedlichen Umgangs mit den gleichen Problemen. Eine solche Verschiedenheit kann, wenn nur ihr Ursprung richtig verstanden sowie ihr Wert und ihre Bedeutung angemessen eingeschätzt wird, die Kultur Europas und seine religiöse Tradition nur bereichern und ebenso eine angemessene Grundlage für seine ersehnte geistige Erneuerung werden.


26 Seit dem 9. Jahrhundert, als sich in Europa eine neue Ordnung abzuzeichnen begann, verkünden uns die heiligen Cyrill und Methodius eine Botschaft, die sich für unsere Zeit als sehr aktuell erweist, welche gerade wegen vieler schwieriger Probleme religiöser und kultureller, gesellschaftlicher und internationaler Natur eine lebenskräftige Einheit in der konkreten Gemeinschaft der verschiedenen Bestandteile sucht. Von den beiden Glaubensboten kann man sagen, daß für sie die Liebe zur Gemeinschaft mit der universalen Kirche, sei es im Osten oder im Westen, und in ihr zur Ortskirche, die sich in den slawischen Völkern gerade herausbildete, charakteristisch war. Sie richten auch an die Christen und an die Menschen unserer Zeit die Einladung, zusammen die Gemeinschaft aufzubauen.

Von noch größerem Wert ist aber das Beispiel von Cyrill und Methodius im besonderen Bereich der missionarischen Tätigkeit. Diese ist nämlich eine wesentliche Aufgabe der Kirche und heute dringend in der schon erwähnten Form der »Inkulturation«. Die beiden Brüder vollbrachten ihre Sendung nicht nur in hoher Achtung vor der bei den slawischen Völkern schon bestehenden Kultur, sondern haben diese zusammen mit der Religion auf hervorragende und ständige Weise gefördert und bereichert. Analog können und müssen die Kirchen alten Ursprungs den jungen Kirchen und Völkern helfen, in ihrer Identität zu reifen und sich in ihr weiter zu entfalten. 42


27 Cyrill und Methodius sind gleichsam die Verbindungsringe, eine geistige Brücke zwischen der östlichen und der westlichen Tradition, diebeide in der einen großen Tradition der universalen Kirche zusammenfließen. Sie sind für uns Beispiele und zugleich Fürsprecher in den ökumenischen Anstrengungen der Schwesterkirchen des Ostens und des Westens, um durch Dialog und Gebet die sichtbare Einheit in der vollkommenen und umfassenden Einheit wiederzufinden, »die Einheit, die - wie ich anläßlich meines Besuches in Bari gesagt habe - weder ein Aufsaugen noch eine Verschmelzung ist«. 43 Die Einheit ist die Begegnung in der Wahrheit und in der Liebe, die uns vom göttlichen Geist geschenkt sind. Cyrill und Methodius sind in ihrer Persönlichkeit und in ihrem Werk Gestalten, die in allen Christen »eine große Sehnsucht nach Gemeinschaft und nach Einheit« zwischen den zwei Schwesterkirchen des Ostens und des Westens wachrufen. 44 Für die volle Katholizität hat jedes Volk, jede Kultur im universalen Heilsplan eine eigene Aufgabe zu erfüllen. Jede besondere Tradition, jede Ortskirche muß offen und empfänglich bleiben für die anderen Kirchen und Traditionen und zugleich für die universale und katholische Gemeinschaft; wenn sie in sich verschlossen bliebe, würde sie sich der Gefahr aussetzen, auch selber zu verarmen.

Indem Cyrill und Methodius ihr eigenes Charisma verwirklichten, leisteten sie einen entscheidenen Beitrag zur Bildung Europas, und zwar nicht nur in der religiösen, christlichen Gemeinschaft, sondern auch für seine gesellschaftliche und kulturelle Einheit. Auch heute gibt es keinen anderen Weg, um die Spannungen zu überwinden und die Risse und Gegensätze in Europa und in der Welt zu beheben, die eine entsetzliche Zerstörung von Leben und Werten herbeizuführen drohen. Christen zu sein in unserer Zeit bedeutet Baumeister an der Gemeinschaft in der Kirche und in der Gesellschaft zu sein. Zu diesem Zweck sind von besonderem Wert ein offenes Herz gegenüber den Brüdern, gegenseitiges Verständnis, Bereitschaft zur Zusammenarbeit durch einen ausgiebigen Austausch der kulturellen und geistigen Güter.

Eine tiefe Sehnsucht der heutigen Menschheit ist tatsächlich, die Einheit und die Gemeinschaft für ein wirklich menschenwürdiges Leben auf Weltebene neu zu finden. Die Kirche, die sich bewußt ist, universales Zeichen und Sakrament des Heils und der Einheit des Menschengeschlechts zu sein, erklärt sich bereit, diese ihre Pflicht zu erfüllen, der »die gegenwärtigen Zeitverhältnisse ...eine besondere Dringlichkeit geben, daß nämlich alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangen«. 45


VIII. SCHLUSS

28 Die ganze Kirche soll deshalb mit festlicher Freude die elf Jahrhunderte feiern, die seit der Beendigung des apostolischen Wirkens des ersten in Rom für die slawischen Völker geweihten Erzbischofs, des Methodius, und seines Bruders Cyrill vergangen sind, in Erinnerung daran, daß hiermit diese Völker auf die Weltbühne der Heilsgeschichte getreten sind und in die Zahl der europäischen Nationen eingegliedert wurden, die schon während der vorhergehenden Jahrhunderten die Botschaft des Evangeliums angenommen hatten. Alle können verstehen, mit welch großer Freude der erste Sohn slawischer Herkunft an dieser Jubiläumsfeier teilzunehmen gedenkt, der berufen ist, nach fast zweitausend Jahren den Bischofssitz innezuhaben, der in dieser Stadt Rom dem hl. Petrus gehört hat.


29 »In deine Hände empfehle ich meinen Geist«: Wir grüßen die elfhundertjährige Wiederkehr des Todes des hl. Methodius mit denselben Worten, die er selber - wie seine Lebensbeschreibung in altslawischer Sprache berichtet 46 - vor seinem Tode ausgesprochen hat, als er im Begriffe war, sich mit seinen Vätern im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu vereinen: mit den Patriarchen, Propheten, Aposteln, Kirchenlehren, Märtyrern. Mit dem Zeugnis des Wortes und des Lebens, die vom Charisma des Heiligen Geistes getragen waren, gab er das Beispiel einer fruchtbaren Berufung sowohl für das Jahrhundert, in dem er lebte, als auch für die nachfolgenden Jahrhunderte und in besonderer Weise für unsere Zeit.

Sein seliger »Heimgang« im Frühjahr des Jahres 885 seit der Menschwerdung Christi (nach der byzantinischen Zeitrechnung im Jahre 6393 seit der Erschaffung der Welt) erfolgte in einer Zeit, da sich beängstigende Wolken über Konstantinopel zusammenzogen und feindselige Spannungen immer mehr die Ruhe und das Leben der Völker und sogar die heiligen Bande der christlichen Brüderlichkeit und der Gemeinschaft zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens bedrohten.

In seiner Kathedrale, gefüllt mit Gläubigen verschiedener völkischer Abstammung, haben die Menschen, die dem hl. Methodius im Glauben gefolgt sind, ihrem verstorbenen Oberhirten die feierliche Ehre erwiesen für die Botschaft des Heils, des Friedens und der Versöhnung, die er ihnen gebracht hat und der er sein Leben geweiht hat: »Sie feierten einen Gottesdienst in Latein, Griechisch und Slawisch«, 47 indem sie Gott anbeteten und den ersten Erzbischof der von ihm unter den Slawen gegründeten Kirche verehrten, denen er zusammen mit seinem Bruder das Evangelium in ihrer Sprache verkündet hatte. Diese Kirche erstarkte noch mehr, als sie mit ausdrücklicher Zustimmung des Papstes eine einheimische Hierarchie erhielt, die in der apostolischen Sukzesssion gründete und in der Einheit des Glaubens und der Liebe sowohl mit der Kirche von Rom als auch mit der von Konstantinopel blieb, von der die Slawenmission ihren Ausgang genommen hatte.

Während sich elf Jahrhunderte seit seinem Tod vollenden, möchte ich wenigstens geistig in Welehrad gegenwärtig sein, wo - wie es scheint - die Vorsehung Methodius sein apostolisches Leben hat beenden lassen:

ich möchte auch in der Basilika San Clemente in Rom verweilen, an dem Ort, wo der hl. Cyrill beigesetzt ist; und an den Gräbern dieser beiden Brüder, der Apostel der Slawen, möchte ich ihr geistiges Erbe mit einem besonderen Gebet der Heiligsten Dreifaltigkeit anempfehlen.


30 »In deine Hände empfehle ich...«.

O großer Gott, einer in drei Personen, dir empfehle ich das Glaubenserbe der slawischen Völker; erhalte und segne dieses dein Werk!

Gedenke, allmächtiger Vater, des Augenblicks, als nach deinem Willen, für diese Völker und für diese Nationen die »Fülle der Zeit« kam und die heiligen Missionare von Saloniki in treuer Erfüllung des Auftrags, den dein Sohn Jesus Christus seinen Aposteln gegeben hat, und nach ihrem Beispiel und dem ihrer Nachfolger in die von Slawen bewohnten Länder das Licht des Evangeliums, die Frohe Botschaft des Heils, gebracht und vor ihnen Zeugnis für dich abgelegt und verkündet haben:

daß du der Schöpfer des Menschen bist, daß du uns Vater bist und wir Menschen alle in dir Brüder sind; daß du durch deinen Sohn, dein ewiges Wort, allen Dingen das Dasein gegeben und die Menschen dazu berufen hast, an deinem Leben ohne Ende teilzuhaben; daß du die Welt so geliebt hast, daß du ihr deinen eingeborenen Sohn geschenkt hast, der für uns Menschen und um unseres Heiles willen vom Himmel herabgestiegen ist und durch das Wirken des Heiligen Geistes im Schoß der Jungfrau Maria Fleisch angenommen hat und Mensch geworden ist; und daß er schließlich den Geist der Stärke und des Trostes gesandt hat, damit jeder von Christus erlöste Mensch in ihm die Würde des Sohnes erhalte und zum Miterben der unvergänglichen Verheißungen werde, die du der Menschheit gegeben hast!

Dein Schöpfungsplan, o Vater, der in der Erlösung gipfelt, berührt den lebendigen Menschen und umfaßt sein ganzes Leben und die Geschichte aller Völker.

Erhöre, Vater, was die ganze Kirche heute von dir erbittet und mach, daß die Menschen und die Nationen, die dank der apostolischen Sendung der beiden heiligen Brüder von Saloniki dich, den wahren Gott, erkannt und angenommen haben und durch die Taufe in die heilige Gemeinschaft deiner Kinder aufgenommen wurden, weiterhin ohne Hindernisse und mit Begeisterung und Vertrauen dieses Programm des Evangeliums annehmen und alle ihre menschlichen Möglichkeiten auf der Grundlage ihrer Lehren verwirklichen!

Mögen sie im Einklang mit ihrem Gewissen der Stimme deines Rufes auf jenen Wegen folgen können, die ihnen vor elf Jahrhunderten zum ersten Mal aufgezeigt worden sind! Ihre Zugehörigkeit zum Reich deines Sohnes möge niemandem jemals als Gegensatz zum Wohl ihres irdischen Vaterlandes erscheinen! Mögen sie dir die geschuldete Ehre erweisen können im privaten wie im öffentlichen Leben! Mögen sie leben können in der Wahrheit, in der Liebe, in der Gerechtigkeit und im Verkosten des messianischen Friedens, der die Herzen der Menschen, die Gemeinschaften, die Erde und den gesamten Kosmos umfaßt! Im Bewußtsein ihrer Würde als Menschen und Kinder Gottes mögen sie die Kraft haben, jeglichen Haß zu überwinden und das Böse mit dem Guten zu besiegen.

Gewähre aber auch, o Heiligste Dreifaltigkeit, dem ganzen Europa, daß es auf die Fürsprache der beiden heiligen Brüder immer mehr die Notwendigkeit einer religiös-christlichen Einheit und der brüderlichen Gemeinschaft aller seiner Völker verspürt, damit es, nachdem das Unverständnis und das gegenseitige Mißtrauen überwunden und die ideologischen Konflikte im gemeinsamen Bewußtsein der Wahrheit beigelegt sind, für die ganze Welt Beispiel für ein gerechtes und friedliches Zusammenleben in gegenseitiger Achtung und in unverletzlicher Freiheit sein kann.


31 Dir also, allmächtiger Vater, dir, Gott Sohn, der du die Welt erlöst hast, dir, Gott Heiliger Geist, der du Stütze und Lehrer aller Heiligkeit bist, möchte ich die ganze Kirche von gestern, von heute und von morgen anempfehlen, die Kirche in Europa und in aller Welt. In deine Hände empfehle ich diesen einzigartigen Reichtum, der sich aus so vielen verschiedenen Gaben zusammensetzt, alten und neuen, die in den gemeinsamen Schatz so vieler verschiedener Söhne und Töchter eingegangen sind.

Die ganze Kirche dankt dir, daß du die slawischen Völker in die Gemeinschaft des Glaubens gerufen hast, für das Erbe und den Beitrag, den sie zum universalen Schatz geleistet haben. Dir dankt dafür in besonderer Weise der Papst slawischer Abstammung. Möge dieser Beitrag nie aufhören, die Kirche, den europäischen Kontinent und die ganze Welt zu bereichern! Er gehe nicht verloren im Europa und in der Welt von heute! Er fehle nicht im Bewußtsein unserer Zeitgenossen! Wir möchten alles vollständig aufnehmen, was die slawischen Nationen an Ursprünglichem und Wertvollem zum geistigen Schatz der Kirche und der Menschheit beigetragen haben und noch beitragen. Im Bewußtsein des gemeinsamen Reichtums bekennt die ganze Kirche ihre geistige Solidarität mit ihnen und bekräftigt die eigene Verantwortung für das Evangelium, für das Heilswerk, das sie gemäß ihrer Berufung auch heute in der ganzen Welt, bis zu den Grenzen der Erde, vollbringen muß. Es ist unerläßlich, zur Vergangenheit zurückzukehren, um in ihrem Licht die konkrete Gegenwart zu verstehen und in die Zukunft auszuschauen. Die Sendung der Kirche ist nämlich immer mit unerschütterlicher Hoffnung auf die Zukunft hin orientiert und ausgerichtet.


Slavorum Apostoli DE 15