Esther (EUS) 1



DAS BUCH ESTER (EUB)




Die Erhebung Esters zur Königin: 1,1 - 2,23


Der Traum Mordechais

1 1 Im zweiten Jahr der Regierung des Großkönigs Artaxerxes, am ersten Tag des Monats Nisan, hatte Mordechai, der Sohn Jaïrs, des Sohnes Schimis, des Sohnes des Kisch, aus dem Stamm Benjamin, einen Traum. (b) Der Jude Mordechai wohnte in der Stadt Susa; er war ein angesehener Mann, der am Hof des Königs diente. (c) Er gehörte zu denen, die der babylonische König Nebukadnezzar mit Jojachin, dem König von Juda, aus Jerusalem verschleppt hatte. (d) Er hatte folgenden Traum: Es gab Geschrei und Lärm, Donner und Erdbeben, und ein Tumult entstand auf der Erde. (e) Plötzlich kamen zwei große Drachen, beide bereit zu kämpfen. Sie brüllten laut, (f) und durch ihr Brüllen wurden alle Völker zum Kampf aufgereizt, so daß sie gegen das Volk der Gerechten Krieg führten. (g) Es war ein Tag des Dunkels und der Finsternis; Bedrängnis und Not, Unheil und großer Tumult waren auf der Erde. (h) Das ganze Volk der Gerechten geriet in Bestürzung. Sie fürchteten Unheil und rechneten mit ihrem Untergang. Da schrien sie zu Gott. (i) Auf ihr Rufen hin wurde aus einer kleinen Quelle ein großer Strom mit viel Wasser. (k) Licht und Sonne schienen wieder; die Niedrigen wurden erhöht, und sie vernichteten die Angesehenen. (l) Als Mordechai diesen Traum gehabt hatte, erwachte er. Den ganzen Tag überlegte er, was Gott wohl beschlossen habe, und versuchte, auf jede nur mögliche Weise den Traum zu verstehen.

Die Aufdeckung der Verschwörung

(m) Mordechai schlief im Palast in der Nähe der zwei Hofbeamten Gabata und Teresch, die den Palast bewachten. (n) Dabei hörte er, was sie miteinander überlegten; er versuchte, über ihre Pläne Genaueres zu erfahren, und entdeckte, daß sie einen Anschlag gegen König Artaxerxes vorbereiteten. Er zeigte sie beim König an, (o) und der König verhörte die beiden Beamten. Sie gestanden und wurden hingerichtet. (p) Zur Erinnerung ließ der König diese Begebenheit aufzeichnen; auch Mordechai machte Aufzeichnungen darüber. (q) Und der König beauftragte Mordechai, im Palast zu dienen, und belohnte ihn für seine Tat mit reichen Geschenken. (r) Aber der Bugäer Haman, der Sohn Hammedatas, ein angesehener Mann beim König, suchte wegen der beiden Hofbeamten des Königs Unheil über Mordechai und sein Volk zu bringen. Es war zur Zeit des Artaxerxes, jenes Artaxerxes, der von Indien bis Kusch über hundertsiebenundzwanzig Provinzen herrschte.

Das Mahl im Königspalast

2 Drei Jahre, nachdem König Artaxerxes in der Burg Susa den Thron seines Reiches bestiegen hatte,3 gab er ein Festmahl für alle seine Fürsten und Beamten. Die Obersten des Heeres von Persien und Medien, die Vornehmen und die Statthalter der Provinzen waren erschienen,4 und er stellte viele Tage lang seinen ganzen Reichtum und seine königliche Pracht, seine Herrlichkeit und seinen ungeheueren Prunk zur Schau, hundertachtzig Tage lang.
5
Am Ende dieser Tage gab der König allen, die in der Burg Susa waren, vom Größten bis zum Geringsten, sieben Tage lang im Hofgarten des Palastes ein Festmahl.6 Weißes Leinen, violetter Purpurstoff und andere feine Gewebe waren mit weißen und roten Schnüren in silbernen Ringen an Alabastersäulen aufgehängt. Auf dem Mosaikboden aus Alabaster, weißem und buntem Marmor und Perlmuttsteinen standen goldene und silberne Ruhelager.
7
Man trank aus goldenen Gefäßen, von denen keines den andern gleich war. Großzügig ließ der König seinen Wein ausschenken.8 Bei dem Gelage sollte keinerlei Zwang herrschen. Denn der König hatte seinen Palastbeamten befohlen: Jeder kann tun, was ihm beliebt.9 Auch Königin Waschti gab ein Festmahl für die Frauen, die im Palast des Königs Artaxerxes lebten.

Die Verstoßung der Königin Waschti

10 Als König Artaxerxes am siebten Tag vom Wein angeheitert war, befahl er Mehuman, Biseta, Harbona, Bigta, Abagta, Setar und Karkas, den sieben Hofbeamten, die ihn persönlich bedienten,11 die Königin Waschti im königlichen Diadem vor ihn zu bringen, damit das Volk und die Fürsten ihre Schönheit bewunderten; denn sie war sehr schön.12 Aber die Königin Waschti weigerte sich, dem Befehl des Königs, den die Hofbeamten überbracht hatten, zu folgen und zu kommen. Da wurde der König erbost, und es packte ihn großer Zorn.
13
Er besprach sich mit den Weisen, die sich in der Geschichte auskennen; denn er pflegte seine Angelegenheiten vor den Kreis der Gesetzes- und Rechtskundigen zu bringen,14 die zu ihm Zutritt hatten, nämlich Karschena, Schetar, Admata, Tarschisch, Meres, Marsena, Memuchan, die sieben Fürsten Persiens und Mediens. Sie hatten freien Zugang zum König und nahmen den ersten Rang im Königreich ein.15 Er fragte: Was soll man nach dem Gesetz mit der Königin Waschti tun, nachdem sie dem Befehl des Königs Artaxerxes, den ihr die Hofbeamten überbracht haben, nicht gefolgt ist?
16
Da sagte Memuchan zum König und zu den Fürsten: Nicht nur gegen den König, sondern auch gegen alle Fürsten und alle Völker, die in all den Provinzen des Königs Artaxerxes leben, hat sich Königin Waschti verfehlt.17 Denn das Verhalten der Königin wird allen Frauen bekannt werden, und sie werden die Achtung vor ihren Ehemännern verlieren und sagen: König Artaxerxes befahl der Königin Waschti, vor ihm zu erscheinen; aber sie kam nicht.18 Von heute an werden alle Fürstinnen Persiens und Mediens, die vom Verhalten der Königin hören, dies allen Fürsten des Königs vorhalten, und es gibt viel Ärger und Verdruß.19 Wenn es dem König recht ist, möge ein unwiderruflicher königlicher Erlaß ergehen, der in den Gesetzen der Perser und Meder aufgezeichnet wird: Waschti darf dem König Artaxerxes nicht mehr unter die Augen treten. Der König aber verleihe den Rang der Königin einer anderen, die würdiger ist als sie.20 Wenn die Anordnung, die der König erläßt, in seinem ganzen großen Reich bekannt wird, dann werden alle Frauen ihren Ehemännern, den vornehmsten wie den geringsten, die gebührende Achtung erweisen.
21
Der Vorschlag gefiel dem König und den Fürsten, und der König handelte nach Memuchans Worten.22 Er sandte Schreiben an alle königlichen Provinzen, an jede Provinz in ihrer eigenen Schrift und an jedes Volk in seiner Sprache, damit alle Männer Herr in ihrem Haus blieben [redend in der Sprache seines Volkes].


Der Entschluss des Königs

2 1 Als sich nach einiger Zeit der Zorn des Königs gelegt hatte, erinnerte er sich wieder an Waschti und an das, was sie getan und was man über sie beschlossen hatte.2 Da sagten die Pagen des Königs: Man sollte für den König schöne junge Mädchen suchen.3 Der König soll in jeder Provinz seines Reiches Männer beauftragen, alle schönen jungen Mädchen in den Frauenpalast auf der Burg Susa zu bringen und dem königlichen Kämmerer Hegai, dem Aufseher der Frauen, zu übergeben. Dort sollen sie der nötigen Schönheitspflege unterzogen werden.4 Und das Mädchen, das dem König gefällt, soll anstelle Waschtis Königin werden. Der König fand den Vorschlag gut und handelte nach ihm.

Ester am königlichen Hof

5 In der Burg Susa lebte ein Jude namens Mordechai. Er war der Sohn Jaïrs, des Sohnes Schimis, des Sohnes des Kisch, aus dem Stamm Benjamin.6 Er war mit den Verschleppten aus Jerusalem gekommen, die der babylonische König Nebukadnezzar zusammen mit König Jojachin deportiert hatte.7 Er war der Vormund von Hadassa, der Tochter seines Onkels, die auch Ester hieß. Sie hatte keinen Vater und keine Mutter mehr. Das Mädchen war von schöner Gestalt und großer Anmut. Nach dem Tod ihres Vaters und ihrer Mutter hatte Mordechai sie als seine Tochter angenommen.
8
Als der Befehl und Erlaß des Königs bekannt wurde, brachte man viele Mädchen zur Burg Susa und gab sie in die Obhut Hegais. Auch Ester wurde in den Königspalast geholt und Hegai, dem Aufseher der Frauen, übergeben.9 Das Mädchen fand sein Gefallen und seine Gunst. Er war sehr darauf bedacht, daß sie die nötige Pflege und die richtige Kost erhielt; außerdem gab er ihr sieben auserlesene Dienerinnen aus dem Königshaus. Später ließ er sie mit ihren Dienerinnen in die schönsten Räume des Frauenpalastes umziehen.10 Ester hatte nichts von ihrem Volk und ihrer Abstammung erzählt; denn Mordechai hatte sie angewiesen, nichts davon zu sagen.11 Jeden Tag ging Mordechai zum Hof des Frauenpalastes, um zu erfahren, wie es Ester ging und was mit ihr geschah.12 Der Reihe nach wurden alle Mädchen zu König Artaxerxes geholt. Zuvor waren sie, wie es für die Frauen Vorschrift war, zwölf Monate lang gepflegt worden; denn so lange dauerte ihre Schönheitspflege: sechs Monate Myrrhenöl und sechs Monate Balsam und andere Schönheitsmittel der Frauen.13 Dann gingen die Mädchen zum König, und alles, was sie sich aus dem Haus der Frauen wünschten, gab man ihnen in den Königspalast mit.14 Am Abend gingen sie hinein, und am Morgen kamen sie zurück und wurden in den zweiten Frauenpalast gebracht und dem königlichen Kämmerer Schaaschgas anvertraut, dem Aufseher der Nebenfrauen. Sie durften nicht mehr zum König gehen, außer wenn der König Gefallen an ihnen gefunden hatte und sie ausdrücklich rufen ließ.

Esters Erhebung zur Königin

15 Eines Tages war Ester, die Tochter Abihajils, des Onkels Mordechais, der sie als seine Tochter angenommen hatte, an der Reihe, zum König zu gehen. Sie wollte nichts mitnehmen, außer was der königliche Kämmerer Hegai, der Aufseher der Frauen, ihr nahelegte. Ester aber gefiel allen, die sie sahen.16 Es war im zehnten Monat, dem Monat Tebet, im siebten Jahr der Regierung des Königs, als Ester zu Artaxerxes in den königlichen Palast geholt wurde.17 Und der König liebte Ester mehr als alle Frauen zuvor, und sie gewann seine Gunst und Zuneigung mehr als alle anderen Mädchen. Er setzte ihr das königliche Diadem auf und machte sie anstelle Waschtis zur Königin.18 Der König veranstaltete zu Ehren Esters ein großes Festmahl für alle seine Fürsten und Diener. Den Provinzen gewährte er einen Steuererlaß, und mit königlicher Freigebigkeit teilte er Geschenke aus.
19
Damals, als man die Mädchen [zum zweitenmal] zusammenholte, hatte Mordechai einen Posten am Tor des königlichen Palastes.20 Ester aber erzählte nichts von ihrer Abstammung und ihrem Volk, wie Mordechai ihr aufgetragen hatte. Ester hielt sich an die Worte Mordechais, wie früher, als sie noch seine Pflegetochter war.

Die Aufdeckung einer Verschwörung

21 In jenen Tagen, als Mordechai einen Posten am Tor des königlichen Palastes hatte, planten Bigtan und Teresch, zwei unzufriedene königliche Kämmerer, die zu den Türhütern gehörten, einen Anschlag auf König Artaxerxes.22 Mordechai erfuhr davon und berichtete es der Königin Ester. Ester sagte es im Auftrag Mordechais dem König weiter.23 Die Sache wurde untersucht und aufgedeckt. Man hängte die beiden auf und hielt das Ereignis in der Chronik fest, die für den König geführt wurde.


Hamans Anschlag gegen die Juden: 3,1-15

Der Racheplan

3 1 Nach diesen Ereignissen zeichnete König Artaxerxes den Agagiter Haman, den Sohn Hammedatas, in besonderer Weise aus und gab ihm einen höheren Rang als allen anderen Fürsten seiner Umgebung.2 Alle königlichen Diener am Tor des Palastes fielen vor Haman nieder und huldigten ihm; denn so hatte es der König ihm zu Ehren befohlen. Mordechai aber fiel nicht nieder und huldigte ihm nicht.3 Da sagten die königlichen Diener am Tor des Palastes zu Mordechai: Warum setzt du dich über das Gebot des Königs hinweg?4 Das sagten sie jeden Tag zu ihm, doch er hörte nicht auf sie. Sie meldeten es Haman, weil sie sehen wollten, ob Mordechai mit seiner Begründung Erfolg haben werde; er hatte ihnen nämlich gesagt, er sei Jude.
5
Als Haman merkte, daß Mordechai nicht vor ihm niederfiel und ihm nicht huldigte, wurde er sehr zornig.6 Aber es schien ihm nicht genug, nur Mordechai zu beseitigen. Da man ihm gesagt hatte, welchem Volk Mordechai angehörte, wollte Haman alle Juden im Reich des Artaxerxes vernichten - das ganze Volk Mordechais.

Der Ausrottungsplan

7 Im ersten Monat, dem Monat Nisan, im zwölften Jahr des Königs Artaxerxes, warf man in Gegenwart Hamans das Pur, das ist das Los, über die einzelnen Tage und Monate, und das Los fiel auf den dreizehnten Tag des zwölften Monats, des Monats Adar.8 Darauf sagte Haman zu König Artaxerxes: Es gibt ein Volk, das über alle Provinzen deines Reiches verstreut lebt, aber sich von den anderen Völkern absondert. Seine Gesetze sind von denen aller anderen Völker verschieden; auch die Gesetze des Königs befolgen sie nicht. Es ist nicht richtig, daß der König ihnen das durchgehen läßt.9 Wenn der König einverstanden ist, soll ein schriftlicher Erlaß herausgegeben werden, sie auszurotten. Dann kann ich den Schatzmeistern zehntausend Talente Silber übergeben und in die königlichen Schatzkammern bringen lassen.10 Da zog der König seinen Siegelring vom Finger und gab ihn dem Agagiter Haman, dem Sohn Hammedatas, dem Feind der Juden,11 und er sagte zu Haman: Das Silber lasse ich dir; mach mit dem Volk, was dir richtig erscheint.

Der Erlass

12 Am dreizehnten Tag des ersten Monats wurden die Schreiber des Königs gerufen. Man schrieb an die Satrapen des Königs, die Statthalter der einzelnen Provinzen und die Fürsten aller Völker der einzelnen Provinzen in ihrer eigenen Schrift und Sprache alles genau so, wie es Haman befohlen hatte. Der Erlaß war im Namen des Königs Artaxerxes geschrieben und mit dem Siegelring des Königs gesiegelt.13 Durch Eilboten sandte man das Schreiben an alle königlichen Provinzen (mit dem Befehl): Man solle alle Juden, jung und alt, auch Kinder und Frauen, am gleichen Tag, dem dreizehnten Tag im zwölften Monat, dem Monat Adar, erschlagen, ermorden und ausrotten und ihren Besitz plündern. (a) Hier ist eine Abschrift des Briefes: Der Großkönig Artaxerxes schreibt den Statthaltern der hundertsiebenundzwanzig Provinzen von Indien bis Kusch und den untergeordneten Behörden: (b) Als Herrscher über viele Völker und Gebieter über die ganze Welt habe ich beschlossen - nicht aus überheblicher Willkür, sondern in meinem allzeit bewiesenen Streben nach Milde und Güte -, meinen Untertanen in jeder Hinsicht ein ruhiges Leben zu sichern, die Entwicklung des Reiches zu fördern, es bis an die Grenzen mit guten Straßen zu versehen und allen Menschen wieder den ersehnten Frieden zu schenken. (c) Als ich meine Ratgeber fragte, wie das erreicht werden könnte, hat Haman, der sich bei uns durch seine Besonnenheit hervorgetan und seine unwandelbare edle Gesinnung und feste Treue unter Beweis gestellt hat und der im Reich den zweithöchsten Rang innehat, (d) uns darauf hingewiesen, daß sich ein bestimmtes heimtückisches Volk unter alle Nationen der Erde gemischt habe, das durch seine Gesetze zu jedem anderen Volk in Gegensatz stehe. Es mißachte ununterbrochen die Anordnungen unserer Könige, so daß die Verwaltung des ganzen Reiches beeinträchtigt ist, obwohl sie von uns ausgezeichnet geleitet wird. (e) So sind wir zu der Ansicht gelangt, daß dieses Volk als einziges sich gegen alle Menschen ohne Ausnahme feindselig verhält, nach absonderlichen und befremdlichen Gesetzen lebt und sich gegen die Interessen unseres Landes stellt und die schlimmsten Verbrechen begeht, so daß im Reich keine geordneten Verhältnisse eintreten können. (f) Darum ordnen wir an: Alle, die euch Haman, der Leiter der Staatskanzlei, unser zweiter Vater, in seinem Brief näher beschrieben hat, sollen am vierzehnten Tag des Monats Adar des laufenden Jahres samt ihren Frauen und Kindern ohne Gnade und Erbarmen durch das Schwert ihrer Feinde radikal ausgerottet werden. (g) So werden diese seit jeher feindseligen Menschen an einem einzigen Tag eines gewaltsamen Todes sterben und in die Unterwelt hinabfahren, unser Land aber wird sich in Zukunft einer beständigen und ungestörten Ruhe erfreuen.14 In jede einzelne Provinz wurde eine Abschrift des Erlasses geschickt, und dieser wurde als Gesetz veröffentlicht, damit alle Völker für diesen Tag bereit seien.15 Die Boten ritten hinaus, durch königlichen Befehl zur Eile gedrängt. Während das Gesetz in der Burg Susa veröffentlicht wurde, saßen der König und Haman beisammen und tranken; die Stadt Susa aber war in großer Aufregung.


Die Abwendung der Gefahr: 4,1 - 7,10

Esters Vermittlung


4 1 Als Mordechai von allem, was geschehen war, erfuhr, zerriß er seine Kleider, hüllte sich in Sack und Asche, ging in die Stadt und erhob ein lautes Klagegeschrei.2 So kam er bis vor das Tor des Königspalastes; aber es war nicht erlaubt, im Trauergewand durch das Tor des Palastes zu gehen.3 Auch in allen Provinzen herrschte bei den Juden überall große Trauer, sobald der Erlaß und das Gesetz des Königs eintrafen. Man fastete, weinte und klagte. Viele schliefen in Sack und Asche.4 Als die Dienerinnen und Kämmerer zu Ester kamen und ihr berichteten, erschrak die Königin sehr. Sie schickte Mordechai Gewänder, damit er sich bekleiden und das Trauergewand ablegen könne. Doch er nahm sie nicht an.
5
Da rief Ester den königlichen Kämmerer Hatach, den der König zu ihrem Diener bestimmt hatte, und schickte ihn zu Mordechai, um zu erfahren, was vorgefallen sei und warum er sich so seltsam verhalte.6 Hatach ging zu Mordechai auf den Marktplatz vor das Tor des Palastes hinaus.7 Und Mordechai erzählte ihm alles, was geschehen war, und sagte ihm sogar, wieviel Silber Haman in die königlichen Schatzkammern liefern wollte, sobald er die Juden ausgerottet hätte.8 Er gab ihm auch eine Abschrift des Erlasses über die Ausrottung der Juden, der in Susa veröffentlicht worden war; ihn sollte Hatach Ester zeigen, ihr alles erzählen und sie dringend bitten, zum König zu gehen und ihn inständig um Gnade für ihr Volk anzuflehen.
9
Hatach kam und berichtete Ester, was Mordechai gesagt hatte.10 Ester schickte Hatach wieder zu Mordechai und ließ ihm sagen:11 Alle Diener des Königs und alle Einwohner der königlichen Provinzen wissen, daß für jeden, Mann oder Frau, der zum König in den inneren Hof geht, ohne gerufen worden zu sein, das gleiche Gesetz gilt: Man tötet ihn. Nur wenn der König ihm das goldene Zepter entgegenstreckt, bleibt er am Leben. Ich bin schon dreißig Tage nicht mehr zum König gerufen worden.
12
Hatach teilte Mordechai mit, was Ester gesagt hatte.13 Mordechai ließ Ester erwidern: Glaub ja nicht, weil du im Königspalast lebst, könntest du dich als einzige von allen Juden retten.14 Wenn du in diesen Tagen schweigst, dann wird den Juden anderswoher Hilfe und Rettung kommen. Du aber und das Haus deines Vaters werden untergehen. Wer weiß, ob du nicht gerade dafür in dieser Zeit Königin geworden bist?
15
Ester ließ Mordechai antworten:16 Geh und ruf alle Juden zusammen, die in Susa leben. Fastet für mich! Eßt und trinkt drei Tage und Nächte lang nichts! Auch ich und meine Dienerinnen wollen ebenso fasten. Dann will ich zum König gehen, obwohl es gegen das Gesetz verstößt. Wenn ich umkomme, komme ich eben um.17 Mordechai ging weg und tat alles genau so, wie es Ester ihm befohlen hatte. (a) Mordechai dachte an alle die Taten des Herrn, und er betete zum Herrn: (b) Herr, Herr, König, du Herrscher über alles! Deiner Macht ist das All unterworfen, und niemand kann sich dir widersetzen, wenn du Israel retten willst; (c) denn du hast Himmel und Erde gemacht und alles, was wir unter dem Himmel bestaunen. Du bist der Herr über alles, und niemand kann es wagen, sich dir, dem Herrn, entgegenzustellen. (d) Du kennst alles. Du weißt, Herr, daß es weder aus Hochmut, noch aus Überheblichkeit, noch aus Ruhmsucht geschah, wenn ich mich vor dem überheblichen Haman nicht niedergeworfen habe. Denn ich würde gern seine Fußsohlen küssen, wenn es für die Rettung Israels von Nutzen wäre. (e) Ich habe so gehandelt, weil ich nicht die Ehre eines Menschen über die Ehre Gottes stellen wollte. Ich werde mich vor niemand niederwerfen, außer vor dir, meinem Gott, und ich handle nicht aus Überheblichkeit so. (f) Und nun, Herr und Gott, König, Gott Abrahams, verschone dein Volk! Denn sie blicken voll Haß auf uns und wollen uns ins Verderben stürzen; sie sind darauf aus zu vernichten, was von Anfang an dein Erbbesitz war. (g) Übersieh dein Erbteil nicht, das du dir von den Ägyptern losgekauft hast. (h) Hör auf mein Flehen, hab Erbarmen mit deinem Erbbesitz und verwandle unsere Trauer in Freude, damit wir am Leben bleiben und deinen Namen preisen Herr; laß den Mund derer, die dich loben, nicht verstummen! (i) Auch ganz Israel schrie mit aller Kraft (zum Herrn); denn der Tod stand ihnen vor Augen. (k) Auch die Königin Ester wurde von Todesangst ergriffen und suchte Zuflucht beim Herrn. Sie legte ihre prächtigen Gewänder ab und zog die Kleider der Notzeit und Trauer an. Statt der kostbaren Salben tat sie Asche und Staub auf ihr Haupt, vernachlässigte ihren Körper, und wo sie sonst ihren prunkvollen Schmuck trug, hingen jetzt ihre Haare in Strähnen herab. Und sie betete zum Herrn, dem Gott Israels: (l) Herr, unser König, du bist der einzige. Hilf mir! Denn ich bin allein und habe keinen Helfer außer dir; die Gefahr steht greifbar vor mir. (m) Von Kindheit an habe ich in meiner Familie und meinem Stamm gehört, daß du, Herr, Israel aus allen Völkern erwählt hast; du hast dir unsere Väter aus allen ihren Vorfahren als deinen ewigen Erbbesitz ausgesucht und hast an ihnen gehandelt, wie du es versprochen hattest. (n) Wir aber haben uns gegen dich verfehlt, und du hast uns unseren Feinden ausgeliefert, weil wir ihre Götter verehrt haben. Du bist gerecht, Herr. (o) Jetzt aber ist es unseren Feinden nicht mehr genug, uns grausam zu unterjochen, sondern sie haben ihren Götzen geschworen, dein Versprechen zu vereiteln, deinen Erbbesitz zu vernichten, den Mund derer, die dich loben, verstummen zu lassen und das Licht deines Tempels und das Feuer auf deinem Altar auszulöschen. (p) Statt dessen wollen sie den Heiden den Mund öffnen, damit sie ihre nichtigen Götzen preisen und auf ewige Zeiten einen sterblichen König verherrlichen. (q) Überlaß dein Zepter, Herr, nicht den nichtigen Götzen! Man soll nicht höhnisch über unseren Sturz lachen. Laß ihre Pläne sich gegen sie selbst kehren; den aber, der all das gegen uns veranlaßt hat, mach zum warnenden Beispiel! (r) Denk an uns, Herr! Offenbare dich in der Zeit unserer Not, und gib mir Mut, König der Götter und Herrscher über alle Mächte! (s) Leg mir in Gegenwart des Löwen die passenden Worte in den Mund, und stimm sein Herz um, damit er unseren Feind haßt und ihn und seine Gesinnungsgenossen vernichtet. (t) Uns aber rette mit deiner Hand! Hilf mir, denn ich bin allein und habe niemand außer dir, o Herr! (u) Du kennst alles. Du weißt auch, daß ich den Prunk der Heiden hasse und das Bett eines Unbeschnittenen und Fremden verabscheue. (v) Du weißt, daß ich das Zeichen meiner Würde verabscheue und es an den Tagen meines öffentlichen Auftretens nur unter Zwang auf dem Kopf trage. (w) Ich verabscheue es wie die blutigen Stoffetzen zur Zeit meiner Unreinheit und trage es nicht an den Tagen, an denen ich meine Ruhe habe. (x) Deine Magd hat nicht am Tisch Hamans gegessen, ich habe keinem königlichen Gelage durch meine Anwesenheit Glanz verliehen und habe keinen Opferwein getrunken. (y) Seit deine Magd hierher kam, bist du für sie der einzige Grund, sich zu freuen, Herr, du Gott Abrahams. (z) Gott, du hast Macht über alle: Erhöre das Flehen der Verzweifelten, und befrei uns aus der Hand der Bösen! Befrei mich von meinen Ängsten!



5 1 Am dritten Tag legte Ester ihre königlichen Gewänder an und ging in den inneren Palasthof, der vor dem Haus des Königs lag. Der König saß im Königshaus auf seinem Königsthron, dem Eingang gegenüber. [Am dritten Tag legte Ester, als sie ihr Gebet beendet hatte, ihr Bußgewand ab und zog ihre Prunkgewänder an. (a) Nachdem sie ihre strahlende Schönheit wieder gewonnen hatte, betete sie zu dem allsehenden Gott und Retter. Dann nahm sie zwei Dienerinnen mit; auf die eine stützte sie sich nach der Art der vornehmen Frauen, die andere ging hinter ihr und trug ihr die Schleppe. (b) Sie selbst strahlte in blühender Schönheit, ihr Gesicht war bezaubernd und heiter, ihr Herz aber war beklommen vor Furcht. (c) Sie durchschritt alle Türen und blieb vor dem König stehen. Er saß auf seinem königlichen Thron, angetan mit seinen Prunkgewändern voll Gold und Edelsteinen. Der Anblick war furchterregend. (d) Als er aufblickte und die Königin in wildem Zorn mit feuerrotem Gesicht ansah, wurde sie bleich, fiel in Ohnmacht und sank auf die Schulter der Dienerin, die vorausging. (e) Da erweichte Gott das Herz des Königs. Besorgt sprang er vom Thron auf und nahm sie in seine Arme, bis sie wieder zu sich kam. Dann redete er ihr mit freundlichen Worten zu und sagte: (f) Was hast du, Ester? Ich bin dein Bruder, sei unbesorgt! Du sollst nicht sterben; denn unser Befehl gilt nur für die anderen. Komm her!2 Als der König die Königin Ester im Hof stehen sah, fand sie Gnade vor seinen Augen. Der König streckte ihr das goldene Zepter entgegen, das er in der Hand hielt. Ester trat näher und berührte die Spitze des Zepters. Dann nahm er das goldene Zepter, legte es ihr auf den Nacken, küßte sie und sagte: Nun rede mit mir! (a) Da sagte sie zu ihm: Ich sah dich, Herr, wie einen Engel Gottes, und mein Herz erschrak aus Furcht vor deinem majestätischen Anblick; denn du bist herrlich, Herr, und dein Gesicht ist voll Wohlwollen. (b) Während sie mit ihm redete, fiel sie wieder in Ohnmacht. Der König war sehr bestürzt, und sein ganzes Gefolge suchte ihr Mut zu machen.]3 Der König sagte zu ihr: Was willst du, Königin Ester? Was hast du für einen Wunsch? Auch wenn es die Hälfte meines Reiches wäre, du sollst es erhalten.4 Ester antwortete: Wenn es dem König gefällt, möge er heute mit Haman zu dem Festmahl kommen, das ich für ihn vorbereitet habe.

Die Einladung zum Festmahl bei Ester

5 Der König sagte: Holt in aller Eile Haman her, damit wir Esters Wunsch erfüllen können. Und der König kam mit Haman zu dem Festmahl, das Ester vorbereitet hatte.
6
Als sie beim Wein saßen, sagte der König zu Ester: Was hast du für eine Bitte? Sie wird dir erfüllt. Was hast du für einen Wunsch? Selbst wenn es die Hälfte des Reiches wäre, man wird es dir geben.7 Ester antwortete: Das ist meine Bitte und mein Wunsch:8 Wenn ich beim König Gnade gefunden habe und es ihm gefällt, mir zu geben, worum ich bitte, und meinen Wunsch zu erfüllen, dann möge der König auch morgen mit Haman zu dem Festmahl kommen, das ich für sie veranstalte. Morgen will ich dann die Frage des Königs beantworten.

Hamans Racheplan gegen Mordechai

9 Haman ging an diesem Tag fröhlich und gut gelaunt nach Hause. Als er aber am Tor des Königspalastes Mordechai sah, der sich nicht erhob und keinerlei Ehrfurcht vor ihm zeigte, geriet er in Zorn über Mordechai.10 Doch er ließ sich nichts anmerken. Er ging nach Hause und rief seine Freunde und seine Frau Seresch zu sich.11 Und er erzählte ihnen von seinem gewaltigen Reichtum und von seinen vielen Söhnen, von all der Macht, die ihm der König verliehen habe, und wie er ihn hoch über alle anderen Fürsten und königlichen Diener gestellt habe.12 Haman sagte: Auch Königin Ester hat an dem Festmahl, das sie veranstaltete, nur den König und mich teilnehmen lassen. Und auch morgen bin ich von ihr zusammen mit dem König eingeladen.13 Aber mein Glück ist noch nicht vollkommen, solange ich den Juden Mordechai am Tor des Palastes sitzen sehe.14 Da sagten seine Frau Seresch und alle seine Freunde zu ihm: Man könnte doch einen Galgen errichten, fünfzig Ellen hoch. Du aber sag morgen früh dem König, man solle Mordechai daran aufhängen. Dann kannst du mit dem König frohen Herzens zu dem Mahl gehen. Der Vorschlag gefiel Haman sehr, und er ließ den Galgen aufstellen.


Die Erhöhung Mordechais

6 1 In jener Nacht konnte der König nicht einschlafen. Darum ließ er sich das Buch der Denkwürdigkeiten, die Chronik, bringen, und man las ihm daraus vor.2 Da fand man den Bericht, wie Mordechai Bigtan und Teresch anzeigte, die beiden königlichen Kämmerer, die zu den Türhütern gehörten und einen Anschlag auf den König Artaxerxes geplant hatten.3 Der König fragte: Welche Belohnung und Auszeichnung hat Mordechai dafür erhalten? Die Diener des Königs, die um ihn waren, antworteten: Er hat nichts erhalten.
4
Da fragte der König: Wer steht draußen im Hof? Haman aber war gerade in den äußeren Hof des Königspalastes gekommen, um dem König zu sagen, man solle Mordechai an dem Galgen aufhängen, den er für ihn hatte aufstellen lassen.5 Die Diener antworteten dem König: Haman steht im Hof. Der König sagte: Er soll hereinkommen.6 Haman trat ein. Der König fragte ihn: Was soll mit einem Mann geschehen, den der König besonders ehren will? Haman dachte: Wen könnte der König wohl mehr ehren wollen als mich?7 Deshalb sagte Haman zum König: Wenn der König einen Mann besonders ehren will,8 lasse er ein königliches Gewand holen, das sonst der König selbst trägt, und ein Pferd, auf dem sonst der König reitet und dessen Kopf königlich geschmückt ist.9 Das Gewand und das Pferd soll man einem der vornehmsten Fürsten des Königs geben, und er soll den Mann, den der König besonders ehren will, bekleiden, ihn auf dem Pferd über den Platz der Stadt führen und vor ihm ausrufen: So geht es einem Mann, den der König besonders ehren will.10 Darauf sagte der König zu Haman: Hol in aller Eile das Gewand und das Pferd, und tu alles, was du gesagt hast, mit dem Juden Mordechai, der am Tor des Palastes sitzt. Und laß nichts von dem aus, was du vorgeschlagen hast.
11
Haman nahm das Gewand und das Pferd, kleidete Mordechai ein, führte ihn auf dem Pferd über den Platz der Stadt und rief vor ihm aus: So geht es einem Mann, den der König besonders ehren will.
12
Dann kehrte Mordechai zum Tor des Palastes zurück. Haman aber eilte nach Haus, traurig und mit verhülltem Kopf.13 Und er erzählte seiner Frau Seresch und seinen Freunden alles, was ihm zugestoßen war. Seine weisen [Ratgeber] und seine Frau Seresch sagten: Wenn Mordechai, der dich schon zu stürzen begonnen hat, zum Volk der Juden gehört, wirst du nichts gegen ihn ausrichten, sondern du wirst gewiß durch ihn zu Fall kommen.
14
Als sie noch redeten, trafen die königlichen Kämmerer ein, um Haman in Eile zu dem Festmahl zu holen, das Ester vorbereitet hatte.


Hamans Ende

7 1 Der König und Haman kamen zu dem Mahl, das die Königin Ester gab,2 und der König sagte auch am zweiten Tag zu Ester, als sie beim Wein saßen: Was hast du für eine Bitte, Königin Ester? Sie wird dir erfüllt. Was hast du für einen Wunsch? Selbst wenn es die Hälfte des Reiches wäre - man wird es dir geben.3 Die Königin Ester antwortete: Wenn ich beim König Wohlwollen gefunden habe und wenn es ihm gefällt, dann möge mir und meinem Volk das Leben geschenkt werden. Das ist meine Bitte und mein Wunsch.4 Man hat mich und mein Volk verkauft, um uns zu erschlagen, zu ermorden und auszurotten. Wenn man uns als Sklaven und Sklavinnen verkaufen würde, hätte ich nichts gesagt; denn dann gäbe es keinen Feind, der es wert wäre, daß man seinetwegen den König belästigt.
5
Da sagte der König Artaxerxes zu Königin Ester: Wer ist der Mann? Wo ist der Mensch, der es wagt, so etwas zu tun?6 Ester antwortete: Dieser gefährliche Feind ist der verbrecherische Haman hier. Da erschrak Haman vor dem König und der Königin.
7
Der König aber stand auf, verließ voll Zorn das Trinkgelage und ging in den Garten des Palastes. Haman trat zu Ester und flehte sie um sein Leben an; denn er sah, daß sein Untergang beim König besiegelt war.8 Als der König aus dem Garten wieder in den Raum zurückkam, in dem das Trinkgelage stattfand, hatte sich Haman über das Polster geworfen, auf dem Ester lag. Der König sagte: Tut man jetzt sogar hier in meiner Gegenwart der Königin Gewalt an? Kaum hatte der König das gesagt, da verhüllte man schon das Gesicht Hamans.9 Harbona, einer der Hofbeamten, sagte zum König: Vor dem Haus Hamans steht schon ein fünfzig Ellen hoher Galgen; ihn hat Haman für Mordechai aufgestellt, der dem König durch seine Anzeige einen guten Dienst erwiesen hat. Der König befahl: Hängt ihn daran auf!10 Da hängten sie Haman an den Galgen, den er für Mordechai errichtet hatte, und der Zorn des Königs legte sich.


Die Rettung der Juden: 8,1 - 10,3

Mordechais Erhöhung und Esters erneute Bitte


Esther (EUS) 1