(Contra Haereses) 321

21. Kapitel: Geburt Jesu aus der Jungfrau. Entstehung der LXX

321 1.

Gott ist also Mensch geworden, und der Herr selbst wird uns erlösen, indem er das Zeichen der Jungfrau gibt. Falsch ist daher die Deutung derer, die da wagen, die Schrift so zu erklären: Siehe, ein Mädchen wird im Leibe haben und einen Sohn gebären. So übersetzen es Theodotion aus Ephesus und Aquila aus Pontus, beides jüdische Proselyten; ihnen folgen die Ebioniten, die da sagen, er sei der natürliche Sohn Josephs. Damit zerstören sie die großartigen Heilspläne Gottes, soviel an ihnen ist, und vernichten das Zeugnis der Propheten, das Gott kundgetan hat. Denn noch vor der babylonischen Gefangenschaft, d. h. bevor noch die Meder und Perser die Herrschaft antraten, wurde es geweissagt und ins Griechische übersetzt von den Juden selbst lange vor den Zeiten der Ankunft des Herrn, sodaß der Verdacht völlig ausgeschlossen ist, die Juden hätten dies so uns zuliebe übersetzt. Hätten sie unsere zukünftige Existenz bloß geahnt und gewußt, daß wir diese Zeugnisse aus den Schriften gebrauchen würden, so hätten sie niemals Bedenken getragen, selbst Ihre Schriften zu verbrennen, die da kundtun, daß auch alle übrigen Völker an dem Leben Anteil haben sollen, und die da zeigen, daß die, welche sich als das Haus Jakobs und das Volk Israel rühmen, von der Gnade Gottes enterbt sind.



2.

Bevor nämlich die Römer sich ihres Reiches bemächtigten, als noch die Mazedonier Asien besaßen, da bat Ptolomäus, der Sohn des Lagus, die Jerusalemitaner, ihre Schriften ins Griechische zu übersetzen, weil er seine in Alexandria angelegte Bibliothek mit den vorzüglichsten Schriftwerken aller Länder auszustatten wünschte. Jene nun, die damals noch den Mazedoniern untertan waren, schickten siebzig Älteste, die in den Schriften besonders bewandert waren und beide Sprachen beherrschten, zu Ptolomäus, damit sie seinem Wunsche willfahrten. Um aber sicher zu gehen, und weil er fürchtete, daß sie vielleicht auf Verabredung die Wahrheiten der Schrift in ihrer Übersetzung verbergen möchten, sonderte er sie voneinander ab und ließ alle dieselbe Schrift übersetzen, und so machte er es mit allen Büchern. Als diese nun vor Ptolomäus zusammen kamen und ihre Übersetzungen verglichen, da sagten alle zum Ruhme Gottes und zur Beglaubigung des göttlichen Charakters der Schriften dasselbe mit denselben Worten und denselben Ausdrücken von Anfang bis zu Ende, sodaß auch die anwesenden Heiden erkannten, daß unter göttlicher Inspiration die Schriften übersetzt waren. Und es ist wahrlich nicht wunderbar, wenn Gott bei ihnen dies gewirkt hat. Hatte er doch auch nach der siebzigjährigen Gefangenschaft unter Nebukadnezar, als die Juden unter Artaxerxes in ihre Heimat zurückkehrten, da die Schriften verloren gegangen waren, dem Priester Esdras aus dem Stamme Levi eingegeben, daß er sich an alle Reden der früheren Propheten erinnerte and dem Volke das Gesetz wiederherstellte, das durch Moses gegeben war.



3.

So sind also getreu und unter dem Beistand Gottes die Schriften übersetzt, durch die Gott unsern Glauben an seinen Sohn vorbereitete und erneuerte. So hat er uns in Ägypten die Schriften unverfälscht bewahrt, wo auch das Haus Jakobs groß wurde, als es vor der Hungersnot in Kanaan floh, und wohin auch unser Herr sich rettete, als er der Verfolgung des Herodes sich entzog. Diese Übersetzung ihrer Schriften ist angefertigt, bevor unser Herr herabstieg, und bevor die Christen sich zeigten. Denn unser Herr wurde erst um das einundvierzigste Jahr der Regierung des Augustus geboren, und viel älter ist Ptolomäus, unter dem die Schriften übersetzt wurden. Als wahrhaft schamlos und frech offenbaren sich also diejenigen, welche jetzt eine andere Übersetzung anfertigen wollen, wo sie aus den Schriften selbst von uns überführt werden und zum Glauben an die Ankunft des Sohnes Gottes gezwungen werden. Sicher aber und nicht erdichtet und allein wahr ist unser Glaube, der den klaren Beweis aus den Schriften für sich hat, die auf die angegebene Weise übersetzt sind, und die unverfälschte Verkündigung der Kirche. Denn die Apostel, die doch älter sind als jene, stimmen mit der genannten Übersetzung überein, und die Übersetzung mit der Tradition der Apostel. Denn Petrus und Johannes und Matthäus und die übrigen alle samt ihren Schülern verkünden alle Worte der Propheten so, wie es in der Übersetzung der Ältesten enthalten ist.



4.

Es ist also ein und derselbe Geist Gottes, der in den Propheten gesprochen hat, wo und wie der Herr erscheinen werde, und der in den Ältesten gut übersetzt hat, was gut geweissagt war. Derselbe hat auch durch die Apostel verkündet, daß die Fülle der Kindschaftszeiten gekommen und das Reich des Himmels nahe sei und in den Menschen wohne, die an den Emmanuel glauben, der aus der Jungfrau geboren ist. So bezeugen sie selbst, daß bevor noch Joseph mit Maria zusammenkam, die also in ihrer Jungfräulichkeit verblieb, sie als schwanger vom Hl. Geiste (
Mt 1,18) erfunden wurde. Und daß der Engel Gabriel ihr sagte: „Der Heilige Geist wird ankommen in dir, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten, deswegen wird das Heilige, das aus dir geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden“ (Lc 1,35). Und zu Joseph sprach der Engel im Traum: ,,Dies aber ist geschehen, damit erfüllt würde, was gesagt ist von dem Propheten Isaias: Siehe, die Jungfrau wird im Mutterleibe empfangen“ (Mt. l,22 f.). Die Ältesten haben aber die Worte des Isaias so übersetzt: „Und es fuhr fort der Herr zu sprechen zu Achaz: Verlange dir ein Zeichen von dem Herrn, deinem Gotte, in der Tiefe unten oder in der Höhe oben. Und es sprach Achaz: Nicht werde ich fordern noch versuchen den Herrn, und er sprach: Kein Kleines ist es euch, Beschwerde zu machen den Menschen, und wie macht der Herr Beschwerde? Deswegen wird der Herr selbst euch das Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird im Leibe empfangen und einen Sohn gebären, und ihr werdet seinen Namen Emmanuel nennen. Butter und Honig wird er essen; bevor er erkennt oder erwählt das Böse, wird er das Gute eintauschen, denn bevor das Kind das Böse oder Gute erkennt, wird es dem Bösen nicht zustimmen, um das Gute zu wählen“ (Is 7,10 ff.). Genau also hat durch diese Worte der Heilige Geist seine Geburt aus der Jungfrau und seine göttliche Wesenheit bezeichnet. Letzteres bezeichnet nämlich der Name Emmanuel, und seine menschliche Natur bezeichnen die Worte: „Butter und Honig wird er essen“, und die Benennung als Kind durch diese Worte: „Bevor er das Gute und Böse erkennt.“ Das alles sind Zeichen eines Menschenkindes. Daß er aber „dem Bösen nicht zustimmen wird, um das Gute zu erwählen“, bezeichnet seine göttliche Natur. So sollen wir ihn also nicht als bloßen Menschen betrachten, der Butter und Honig ißt, noch andrerseits in ihm einen Gott ohne Leib vermuten, wie der Name Emmanuel nahe legen könnte.



5.

Indem er ferner sagte: „Höret ihr vom Hause Davids“, zeigte er an, daß aus einer Jungfrau von dem Geschlechte Davids jener geboren werden sollte, von dem Gott dem David verheißen hatte, daß er ihm von der Frucht seines Leibes einen ewigen König erwecken werde (Ps 131,11) . Deshalb verhieß er ihm auch aus der Frucht seines Leibes und nicht aus der Frucht seiner Lenden oder Nieren den König — das erstere bezeichnet die schwangere Jungfrau, das zweite den zeugenden Mann und das empfangende Weib. Es schloß also die Schrift bei dieser Verheißung die Genitalien des Mannes aus und erwähnt sie nicht, da der, welcher geboren werden sollte, nicht aus dem Willen des Mannes war. Mit Nachdruck aber betont sie die Frucht des Leibes, um die Geburt dessen zu verkünden, der aus der Jungfrau geboren werden sollte, wie Elisabeth, vom Heiligen Geiste erfüllt, bezeugt, indem sie zu Maria spricht: „Du bist gebenedeiet unter den Weibern, und gebenedeiet ist die Frucht deines Leibes“ (Lc 1,42). So tat der Heilige Geist allen kund, die hören wollen, daß seine Verheißung, er werde aus der Frucht des Leibes den König erwecken, in der Jungfrau erfüllt ist, d.h. in der Geburt Mariens. Die also aus der „Jungfrau“ bei Isaias eine „junge Frau“ machen und ihn den Sohn Josephs sein lassen, die mögen auch die Verheißung, die bei David geschrieben steht, ändern, wo Gott ihm versprach, er werde ihm aus der Frucht seines Leibes ein Hörn erwecken, d. h. das Reich Christi. Aber sie haben die Stelle nicht verstanden, sonst hätten sie auch versucht, diese abzuändern.



6.

Mit den Worten: „In der Tiefe unten oder in der Höhe oben“, bezeichnete Isaias, daß der, welcher hinabstieg, derselbe war als der, welcher hinaufstieg (Ep 4,10) , und die Worte: „Der Herr selbst wird euch ein Zeichen geben“, weisen hin auf den einzigartigen Charakter seiner Geburt, die nur deswegen so geschah, weil Gott der Herr, der Gott aller, im Hause Davids das Zeichen gab. Was wäre es aber Großes oder überhaupt Kennzeichnendes gewesen, wenn eine junge Frau nach der Empfängnis vom Manne geboren hätte? Das ist doch der gewöhnliche Lauf der Dinge. Weil aber mit Gottes Hilfe ein ganz ungewöhnliches Heil den Menschen werden sollte, darum geschah auch die ungewöhnliche Geburt aus einer Jungfrau, indem Gott dieses Zeichen gab und kein Mensch es bewirkte.



7.

Ebenso bezeichnete Daniel, indem er die Ankunft des Herrn voraussah und verkündete, daß er „als ein ohne Hände losgerissener Stein in diese Welt kommen werde“ (Da 2,45), durch die Worte: „Ohne Hände“, daß nicht durch das Zutun menschlicher Hände, d.h. jener Männer, von welchen die Steine gewöhnlich gebrochen werden, seine Ankunft in dieser Welt erfolgen werde, d.h. nicht durch das Zutun des Joseph, sondern allein, indem Maria mit dem Heilsplan mitwirkte. Dieser „Stein“ nämlich ist von der Erde und besteht durch die Kraft und Kunst Gottes. Deswegen spricht auch Isaias: „So spricht der Herr: „Siehe, ich lege in die Fundamente Sions einen kostbaren, auserwählten, einen Haupt-, Eck- und Ehrenstein“ (Is 28,16), damit wir verstehen sollen, daß seine Ankunft in menschlicher Gestalt nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus dem Willen Gottes erfolgt sei.



8.

Deshalb warf auch Moses vorbildlich den Stock auf die Erde (Ex 7,9 f.) , damit er dadurch, daß er Fleisch wurde, alle Widerspenstigkeit der Ägypter, die sich gegen die göttliche Anordnung erhob, zurückwies und brach, und damit die Ägypter selbst bezeugen sollten, dies ist der Finger Gottes (Ebd. 8,19) , der seinem Volke Heil verschafft, und nicht der Sohn Josephs. Denn wenn er bloß der Sohn Josephs gewesen wäre, wie hätte er dann mehr vermocht als Salomon oder Jonas oder David, da er doch aus demselben Geschlecht und Stamme war? Wozu hätte er auch den Petrus selig gepriesen, weil dieser erkannt hatte, daß er der Sohn des lebendigen Gotte« sei? (Mt 16,17)



9.

Außerdem hätte er auch nicht König sein können, wenn er der Sohn Josephs gewesen wäre, noch Erbe nach Jeremias. Joseph nämlich wird aufgeführt als der Sohn des Joachim und Jechonias. Jechonias aber und alle seine Nachkommen waren nach Jeremias von der Königsherrschaft ausgeschlossen. Es heißt daselbst: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, wenn geworden wäre Jechonias, der Sohn des Joachim, der König von Juda, ein Siegel an meiner rechten Hand, so hätte ich ihn losgerissen von da und ihn übergeben in die Hand derer, die seine Seele suchten“ (Jr 22,24 f.). Und ferner: „Entehrt ist worden Jechonias wie ein Gefäß, das man nicht mehr gebraucht, verworfen ist er in ein Land, das er nicht kannte. Erde, höre das Wort des Herrn: Schreibe diesen Mann als einen abgesetzten Menschen, weil nicht wachsen wird von seinem Samen einer, der sitzen wird auf dem Throne Davids als Fürst in Juda“ (Ebd. 22,28 ff.). Und wiederum spricht Gott über Joachim, seinen Vater: „Deshalb spricht der Herr so über Joachim, seinen Vater, den König Judäas: Denn nicht wird sein aus ihm einer, der sitzt auf dem Throne Davids, und sein Leichnam wird weggeworfen werden in der Hitze des Tages und in der Kälte der Nacht, und ich werde herabschauen auf ihn und seine Söhne, und ich werde herabbringen auf sie und auf die, welche wohnen in Jerusalem und im Lande Juda, alle Übel, die ich gesprochen habe über sie“ (Ebd, 36,30 f.). Die ihn also einen Sohn Josephs sein lassen und trotzdem auf ihn ihre Hoffnung setzen, die schließen sich selbst vom Reiche aus und stellen sich unter den Fluch und die Verwünschung, die über Jechonias und seinen Samen ausgesprochen ist. Deswegen nämlich hat der Geist solche Worte über Jechonias gesprochen, weil er das voraussah, was von schlechten Lehrern würde gelehrt werden, damit sie wissen sollen, daß er aus seinem Samen, d. h. aus Joseph, nicht werde geboren werden, sondern daß nach der Verheißung Gottes aus dem Mutterleibe Davids der ewige König werde erweckt werden, der in sich alles rekapitulieren würde und die alte Schöpfung in sich auch rekapituliert hat.



10.

Denn wie durch eines Menschen Ungehorsam die Sünde ihren Eingang hatte und durch die Sünde der Tod die Überhand gewann (Vgl. Röm. Rm 5,12) , so ist durch den Gehorsam eines Menschen die Gerechtigkeit auf die Welt gekommen und brachte als Frucht für die Menschen, die einst gestorben waren, das Leben. Und wie jener Adam, das erste Geschöpf, aus der unbebauten und noch jungfräulichen Erde — denn noch hatte Gott nicht regnen lassen und noch hatte kein Mensch die Erde bebaut (Gn 2,5 f.) — seine Wesenheit erhielt und durch die Hand Gottes, d. h. durch das Wort Gottes, — denn alles ist durch dasselbe gemacht worden — gebildet wurde, und wie der Herr Schlamm von der Erde nahm und den Menschen bildete, so nahm das persönliche Wort, in sich den Adam rekapitulierend, geziemenderweise aus Maria, die noch Jungfrau war, seinen Ursprung zur Rekapitulierung Adams. Wenn demgemäß der erste Adam als Vater einen Menschen gehabt hätte und aus dem Samen eines Mannes geworden wäre, dann könnten sie mit Recht sagen, auch der zweite Adam wäre aus Joseph geworden. Wenn aber jener von der Erde genommen und von dem Worte Gottes gebildet wurde, dann mußte auch das Wort selbst, Adam in sich rekapitulierend, in seiner Geburt ihm ähnlich sein. Warum nahm aber Gott nicht wiederum den Schlamm, sondern vollzog aus Maria seine Gestaltung? Damit dasselbe Geschöpf gebildet wurde, welches gerettet werden sollte, und in der Rekapitulierung gerade die volle Ähnlichkeit gewahrt wurde.





22. Kapitel: Christus nahm wahres Fleisch an aus Maria

322 1.

Andererseits glauben zuviel, die da sagen, er habe nichts von der Jungfrau angenommen, um das Erbteil des Fleisches[79] auszuschließen und die Ähnlichkeit[80] abzulehnen. Hatte nämlich jener von der Erde und durch die Hand und Kunst Gottes seine Gestalt und Wesenheit, dieser aber nicht durch die Hand und Kunst Gottes, dann hätte er nicht mehr das Ebenbild des Menschen bewahrt, der nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen war, und die Kunst Gottes hätte sich als verfehlt erwiesen, da sie ihre Weisheit nicht weiter offenbaren konnte. Das nämlich bedeutet es, wenn man sagt, er sei nur scheinbar als Mensch erschienen, da er doch kein Mensch war, und er sei Mensch geworden, ohne etwas vom Menschen angenommen zu haben. Hat er nämlich vom Menschen die Wesenheit des Fleisches nicht angenommen, dann ist er auch nicht Mensch geworden, noch Menschensohn. Ist er aber das nicht geworden, was wir waren, dann hat auch sein Leiden und Aushalten nichts Großes zu bedeuten. Unwidersprochen bestehen wir aus einem Leibe, der Erde entnommen, und einer Seele, die von Gott den Geist erhält. Dasselbe gilt von dem Worte Gottes, der in sich selbst sein Geschöpf rekapitulierte, und deswegen bekennt er sich als den Sohn des Menschen und preist die Sanftmütigen selig, da sie das Erdreich erben werden (
Mt 5,4) . Und der Apostel Paulus lehrt in dem Brief an die Galater deutlich: „Es schickte Gott seinen Sohn, geworden aus einem Weibe“ (Ga 4,4). Und ebenso in dem Brief an die Römer: „Von seinem Sohne, der geworden ist aus dem Samen Davids dem Fleische nach, aber vorausbestimmt wurde zum Sohne Gottes gemäß dem Geiste der Heiligmachung durch die Auferstehung Jesu Christi, unseres Herrn“ (Röm. l,3 f.).



2.

Übrigens ist dann auch überflüssig seine Herabkunft auf Maria. Wozu nämlich wäre er auf sie hinabgestiegen, wenn er nichts von ihr annehmen wollte? Wenn er ferner nichts von Maria angenommen hätte, dann hätte er auch nicht die von der Erde genommenen Speisen aufgenommen, durch die der von der Erde genommene Leib ernährt wird, noch hätte sein Leib, nachdem er vierzig Tage wie Moses und Elias gefastet hatte, gehungert, indem sein Leib nach der ihm gebührenden Speise verlangte; noch hätte sein Schüler Johannes von ihm geschrieben und gesagt: „Jesus aber, von dem Wege ermüdet, setzte sich“ (Jn 4,6) , noch hätte David von ihm verkündet: „Und zu dem Schmerze meiner Wunden fügten sie noch hinzu.“ (Ps 68,27) , noch hätte er über Lazarus geweint. (Vgl. Joh. Jn 11,33) , noch Blutstropfen geschwitzt (Lc 22,44) , noch gesprochen: „Betrübt ist meine Seele“ (Mt 26,38) , noch wäre bei dem Durchbohren seiner Seite Blut und Wasser herausgekommen (Jn 20,34) . Das sind alles Kennzeichen des Fleisches, das von der Erde genommen ist, das er in sich rekapituliert hat, um sein Geschöpf zu retten.



3.

Deshalb weist Lukas darauf hin, daß das Geschlechtsregister von der Geburt unseres Herrn bis auf Adam zweiundsiebzig Glieder hat, und verbindet das Ende mit dem Anfang, um dadurch zu zeigen, daß, er es ist, der alle seit Adam zerstreuten Völker und sämtliche Zungen und das Geschlecht der Menschen einschließlich Adam in sich selbst rekapituliert hat. Daher hat Paulus diesen Adam den Typus des zukünftigen (Rm 5,14) genannt, weil das Wort als Schöpfer aller Dinge die zukünftige Heilsordnung des menschlichen Geschlechtes hinsichtlich des Sohnes Gottes auf sich selbst eingerichtet hatte, indem Gott zunächst den seelischen Menschen bildete, damit er von dem geistigen erlöst werde. Da nämlich der, welcher erlösen sollte, im voraus existierte, so mußte auch der, welcher erlöst werden sollte, geschaffen werden, damit der Erlöser nicht überflüssig wäre.



4.

Demgemäß wird auch die Jungfrau Maria gehorsam erfunden, indem sie spricht; „Siehe, ich bin deine Magd, o Herr, es geschehe mir nach deinem Worte“ (Lc 1,38) . Eva aber, die ungehorsame, gehorchte nicht, als sie noch Jungfrau war. Wie jene den Adam zum Manne hatte, dennoch aber Jungfrau war — beide nämlich waren nackt im Paradiese und schämten sich nicht (Gn 2,25) , da sie, eben erst erschaffen, von der Kindererzeugung noch nichts verstanden; sie mußten nämlich erst heranwachsen, ehe sie sich vermehrten — und durch ihren Ungehorsam für sich und das gesamte Menschengeschlecht den Tod verschuldet hat: so hatte auch Maria ihren vorbestimmten Mann und war dennoch Jungfrau und wurde durch ihren Gehorsam für sich und das gesamte Menschengeschlecht die Ursache des Heils. Deshalb nennt das Gesetz sie, die mit einem Manne verlobt war, obwohl sie noch Jungfrau war, die Gemahlin des mit ihr Verlobten, und bezeichnet damit den Kreislauf von Maria zu Eva, weil nur dadurch das Gebundene gelöst wurde, daß die Bänder der Knoten zurückgeschlungen wurden. So werden die ersten Knoten durch die zweiten gelöst, und die zweiten befreien die ersten. So kommt es, daß die erste Schlinge von dem zweiten Knoten aufgezogen wird, der zweite Knoten die Lösung des ersten bewirkt. Deshalb sagte auch der Herr, daß die ersten die letzten und die letzten die ersten werden würden (Mt 19,30) . Dasselbe bezeichnet auch der Prophet mit den Worten; „Statt der Väter sind dir Söhne geboren“ (Ps 44,7). Deswegen nahm auch der Herr, der als „Erstgeborener von den Toten“ (Col 1,18)geboren wurde, in seinen Schoß die alten Väter auf und gebar sie wieder zum Leben Gottes, indem er selbst der Anfang der Lebenden wurde, wie Adam der Anfang der Sterbenden geworden war. Deswegen begann auch Lukas den Anfang seines Geschlechtsregisters mit dem Herrn und führte es auf Adam zurück, indem er damit andeuten wollte, daß nicht etwa sie ihn, sondern er jene zum Evangelium des Lebens wiedergeboren hat (1Co 15,20 ff.) . So wurde auch der Knoten des Ungehorsams der Eva durch den Gehorsam Mariens gelöst; denn was die Jungfrau Eva durch ihren Unglauben angebunden hatte, das löste die Jungfrau Maria durch ihren Glauben.





23. Kapitel: Auch Adam ist erlöst worden

323 1.

Da nun der Herr zu seinem verlorenen Schaf kam und eine so große Heilsordnung rekapitulierte und sein Geschöpf aufsuchte, so mußte er gerade jenen Menschen retten, der nach dem Bild und Gleichnis Gottes gemacht war, d. h, Adam, indem er die wegen seines Ungehorsams festgesetzte Zeit der Verdammnis erfüllte, „die der Vater kraft seiner Macht festgesetzt hatte“ (
Ac 1,7). Denn die gesamte Heilsordnung hinsichtlich des Menschen vollzog sich nach dem Wohlgefallen des Vaters, damit Gott nicht unterliege, noch besiegt werde seine Kunst. Der Mensch nämlich war von Gott zum Leben erschaffen, verlor aber, verwundet von der Schlange, die ihn verführt hatte, das Leben. Wäre er nun zum Leben nicht zurückgekehrt, sondern völlig dem Tode preisgegeben worden, dann wäre ja Gott besiegt worden, und die Bosheit der Schlange hätte den göttlichen Willen überwunden. Da aber Gott unbesiegbar und langmütig ist, so zeigte er sich auch langmütig in der Besserung Adams und der Prüfung aller Menschen, wie wir gesagt haben, band durch den zweiten Menschen den Starken und zerbrach seine Gefäße (Mt 12,29) und vernichtete den Tod, indem er den Menschen lebendig machte, der getötet war. Das erste Gefäß, das ihm gehörte, war Adam geworden, den er in seiner Gewalt hielt, d. h. ungerechterweise zur Übertretung verleitete, und an dem er unter dem Vorwand der Unsterblichkeit zum Mörder wurde. Indem er ihnen nämlich versprach, daß sie sein würden wie die Götter (Gn 3,5) , was doch schlechthin unmöglich ist, brachte er den Tod über sie. Darum ward mit Recht von Gott gefangen genommen, der den Menschen gefangen genommen hatte, und von den Banden der Verdammnis wurde gelöst der Mensch, der als Gefangener fortgeführt worden war.



2.

Das ist aber Adam, wenn man die Wahrheit sagen soll, jener erstgebildete Mensch, von dem nach der Schrift der Herr sprach: „Lasset uns den Menschen machen nach unserm Bild und Gleichnis“ (Gn 1,26). Aus ihm sind wir alle, und weil wir aus ihm sind, haben wir auch seinen Namen geerbt. Wenn aber der Mensch gerettet wird, dann muß auch der Mensch gerettet werden, der zuerst gebildet wurde. Denn es wäre doch sehr unvernünftig, wenn jener, der von dem Feinde heftig verwundet war und zuerst in die Gefangenschaft geführt worden war, von dem, der den Feind besiegte, nicht gerettet sein sollte, wohl aber seine Söhne, die er in derselben Gefangenschaft gezeugt hat. Dann wird der Feind nicht in Wahrheit besiegt erscheinen, wenn in seinen Händen noch die alten Beutestücke zurückbleiben. Wenn Feinde einige überwinden und gebunden in die Gefangenschaft abführen und lange Zeit in Knechtschaft halten, sodaß sie bei ihnen Kinder erzeugen, und jemand aus Mitleid mit denen, die Sklaven geworden sind, eben jene Feinde besiegen würde, dann würde er keineswegs gerecht handeln, wenn er die Söhne jener, die in die Gefangenschaft geführt worden waren, aus der Gewalt derer, die ihre Väter gefangen genommen hatten, befreien wollte, aber jene, welche in die Gefangenschaft geführt wurden, in der Gewalt der Feinde belassen wollte, derentwegen er den Rachezug unternahm. Haben aber die Kinder aus diesem Anlaß die Freiheit erlangt, dann durften die Väter nicht zurückbleiben, die in die Gefangenschaft geführt waren. So ist auch Gott, der dem Menschen zu Hilfe kam und ihn in seine Freiheit wieder einsetzte, weder schwach noch ungerecht.



3.

Deswegen hat er auch gleich zu Beginn der Übertretung des Adam nicht diesen verflucht, sondern die Erde in ihren Werken (Gn 3,17) nach dem Berichte der Schrift, wie auch einer von den Alten sagt: „Es übertrug Gott den Fluch auf die Erde, damit er nicht auf dem Menschen verbleibe.“ Als Strafe aber für seine Übertretung (Gn 3,16 ff.) empfing der Mann Mühe und irdische Arbeit und mußte das Brot essen im Schweiße seines Angesichtes und zur Erde zurückkehren, von der er genommen war. In ähnlicher Weise auch das Weib Mühen und Plagen and Seufzer und Traurigkeit bei der Geburt und die Pflicht des Gehorsams gegen den Mann. So sollten sie weder als von Gott Verfluchte gänzlich untergehen, noch straflos Gott verachten dürfen. Der ganze Fluch aber ging auf die Schlange über, die sie verführt hatte, wie geschrieben steht: „Und es sprach Gott zur Schlange: Weil du dies getan hast, bist du verflucht von allen großen und kleinen Tieren der Erde“ (Gn 3,14). Dasselbe sagt auch der Herr im Evangelium zu denen, die auf seiner linken Seite gefunden werden: „Gehet weg, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das mein Vater dem Teufel und seinen Engeln bereitete“ (Mt 25,41). Damit tut er kund, daß das Feuer nicht hauptsächlich für den Menschen, sondern ewiglich dem bereitet ist, der ihn verführte und sündigen ließ und, sage ich, dem Fürsten des Abfalls, wie den Engeln, die mit ihm abtrünnig wurden. Dieselbe Strafe werden mit Recht auch die empfangen, die ähnlich wie er ohne Buße und Besserung in ihren bösen Werken verharren.



4.

Dem Kain z. B. riet Gott, er möge sein verkehrtes Betragen gegen seinen Bruder ändern und davon ablassen (Gn 4,7) ; jener war aber der Meinung, daß er mit Neid und Bosheit ihn unterbekommen werde, und hörte nicht nur nicht auf den Herrn, sondern fügte Sünde auf Sünde, indem er durch sein Werk seine Gesinnung kundtat. Was er nämlich dachte, das tat er auch, erhob sich wider ihn und tötete ihn. So ließ Gott den Gerechten dem Ungerechten unterliegen, damit jener in seinen Leiden als der Gerechte, dieser in seinen Taten als der Ungerechte offenbar werde. Aber auch nicht einmal dann kam jener zur Einsicht und hörte auf, verkehrt zu handeln, sondern antwortete auf die Frage, wo sein Bruder wäre: „Ich weiß es nicht, bin ich denn der Wächter meines Bruders?“ (Gn 4,9) So erweiterte und vermehrte er noch durch seine Antwort seine Sünde. Denn wenn es schon Sünde ist, den Bruder zu töten, so ist es noch viel schlimmer, dem allwissenden Gott so frech und respektlos zu antworten, gleich als ob er ihn hintergehen könnte. Deswegen traf ihn auch der Fluch, weil er die Sünde ableugnete, ohne Ehrfurcht vor Gott und ohne Reue über den Brudermord.



5.

Bei Adam aber ist nichts Derartiges geschehen, sondern alles verhielt sich umgekehrt. Von einem andern war er verführt unter dem Vorwand der Unsterblichkeit. Sogleich wird er von Furcht ergriffen und verbirgt sich, nicht als ob er Gott entfliehen könnte, sondern beschämt, weil er das Gebot übertreten hatte und unwürdig war, vor dem Angesicht Gottes zu einer Unterredung zu erscheinen. „Die Furcht Gottes aber ist der Anfang der Weisheit“ (Spr. l,7). Die Erkenntnis seiner Übertretung aber bewirkte die Reue, und den Reumütigen schenkt Gott seine Gnade. Nämlich gleich bei der Tat zeigt er durch die Schürze seine Reue, indem er sich mit Feigenblättern bedeckte (Gn 3,7) . Es gab ja auch viele andere Blätter, die seinen Körper weniger gestochen hätten. Dennoch machte er sich gerade ein Kleid, das seinem Ungehorsam angepaßt war. Da er durch die Furcht Gottes erschüttert war und den ungestümen Angriff des Fleisches zurückdrängen wollte — denn nun hatte er seinen kindlichen Charakter und Sinn verloren und war auf bösere Gedanken gekommen — so legte er sich und seiner Frau den Zügel der Enthaltsamkeit an, weil er Gott fürchtete und seine Ankunft erwartete. Damit wollte er gleichsam kundtun: Das Gewand der Heiligkeit, das ich vom Geiste hatte, habe ich verloren, und erkenne nun, daß ich ein solches Kleid verdiene, das keinerlei Ergötzung bietet, sondern das Fleisch beißt und kratzt. Und dieses Kleid hätte er, um sich zu demütigen, fortan getragen, wenn nicht Gott in seiner Barmherzigkeit sie mit Tierröcken statt der Feigenblätter bekleidet hätte. Deshalb richtet er auch an sie die Frage, damit die Klage auf das Weib falle, und dann wiederum an das Weib, damit sie die Schuld auf die Schlange schieben könne. Sie sagte nämlich, was geschehen war: „Die Schlange verführte mich, und ich aß“ (Gn 3,13). Die Schlange aber fragte er nicht, denn er wußte, daß sie die Ursache der Übertretung geworden war; so sandte er zuerst auf sie den Fluch, und dann traf den Menschen der Tadel. Den nämlich, der den Menschen verführt hatte, haßte Gott; über den aber, der verführt worden ist, erbarmte er sich ganz allmählich.



6.

Deswegen warf er ihn auch aus dem Paradiese hinaus und entfernte ihn von dem Baume des Lebens, nicht als ob er ihm diesen nicht gegönnt hätte, wie einige sich erkühnen zu behaupten, sondern aus Erbarmen, damit er nicht für immer der Sünder bliebe und die Sünde an ihm nicht unsterblich wäre oder das Übel unendlich und unheilbar. So setzte er der Übertretung einen Damm, indem er den Tod dazwischen legte und der Sünde ein Ende machte durch die Auflösung des Fleisches in Erde, damit endlich einmal der Mensch aufhöre, der Sünde zu leben, und sterbend anfange, für Gott zu leben.



7.

Deswegen setzte er Feindschaft zwischen die Schlange und das Weib und ihren Samen, die sich gegenseitig nachstellen. Der eine sollte in die Fußsohle gebissen werden und über das Haupt des Feindes dahinschreiten, der andere sollte beißen und töten und den Schritt des Menschen aufhalten, bis der verheißene Same käme, sein Haupt zu zertreten, der Sprössling Mariens, von dem der Prophet sagt: „Über die Natter und den Basilisken wirst du gehen, und du wirst zertreten den Löwen und den Drachen“ (Ps 90,13). Die Sünde also, die sich wider den Menschen erhob und ausdehnte und ihn kalt machte, die sollte mit der Herrschaft des Todes ausgetrieben werden, und zertreten werden von ihm in den letzten Zeiten der gegen das Menschengeschlecht anspringende Löwe, d. h. der Antichrist, indem er jenen Drachen, die alte Schlange, anband und der Macht des Menschen, der besiegt worden war, unterwarf, um alle seine Kraft zu zertreten. Adam war aber besiegt worden, indem von ihm alles Leben hinweggenommen worden war; nachdem also der Feind besiegt war, empfing Adam das Leben wieder. Als letzter Feind aber wird der Tod vernichtet (1Co 15,26) , der zuerst vom Menschen Besitz ergriffen hatte. Deshalb wird, nachdem der Mensch befreit worden ist, geschehen, was geschrieben steht: „Verschlungen ist der Tod im Siege; wo ist, Tod, dein Sieg? Wo ist, Tod, dein Stachel?“ (Ebd. 15,51 f.) Das könnte aber nicht rechtmäßig gesagt werden, wenn nicht jener befreit worden wäre, über den der Tod zuerst herrschte. Seine Rettung nämlich ist die Vernichtung des Todes. Indem also der Herr den Menschen, d. h. den Adam, lebendig machte, wurde der Tod vernichtet.



8.

Es lügen also alle, die seine Rettung bestreiten, indem sie immer sich selbst vom Leben ausschließen, weil sie nicht glauben, daß das verlorene Schaf gefunden ist (Lc 15,4) . Wäre es aber nicht gefunden, dann wäre ja immer noch das ganze Menschengeschlecht in der Verdammnis. Lügnerisch also ist der, welcher diese Lehre oder vielmehr diese Unwissenheit und Blindheit zuerst aufgebracht hat, der Tatian, der zwar zum Kompendium aller Häresien geworden ist, wie wir gezeigt haben, dies aber aus sich selbst erfunden hat, um vor den andern etwas Neues beizubringen. Leeres spricht er, glaubensleere Hörer sammelt er um sich, trachtet nach dem Rufe eines Lehrers und bedient sich beständig des Paulinischen Wortes: „In Adam sterben wir alle“ (1Co 15,22), übersieht aber, daß „wie die Sünde überhandnahm, auch die Gnade überschwenglich wurde“ (Rm 5,20). Bei diesen klaren Beweisen mögen alle, die von ihm abstammen und über Adam streiten, erröten, gleich als ob sie etwas Großes gewonnen hätten, wenn jener nicht gerettet würde. Das kann ihnen ebensowenig nützen, wie es der Schlange nützte, daß sie den Menschen verleitete. Zwar brachte sie ihn zur Sünde und hatte an ihm einen Anlaß und ein Objekt für ihren Abfall, Gott aber hat sie nicht besiegt. So erreichen auch die, welche dem Adam das Heil absprechen, nichts anderes, als daß sie sich zu Häretikern machen, die von der Wahrheit abfallen, und sich als Anwälte der Schlange und des Todes offenbaren.






(Contra Haereses) 321