(Contra Haereses) 412

12. Kapitel: Die Gebote des Alten und des Neuen Testamentes

412 1.

Die Überlieferung ihrer Vorsteher, die sie nach dem Gesetze zu beobachten vorgaben, war dem Gesetze des Moses entgegengesetzt. Deswegen sagt auch Isaias: „Deine Wirte mischen Wein mit Wasser“ (
Is 1,22) , indem er dadurch anzeigte, daß die Ältesten dem herben Gesetze Gottes ihre verwässerte Tradition beimischten und ein falsches, dem Gesetze widersprechendes Gesetz aufstellten. Das tut auch der Herr kund, indem er zu ihnen spricht: „Warum übertretet ihr das Gesetz Gottes wegen eurer Tradition?“ (Mt 15,3) Aber sie vereitelten nicht nur das Gesetz Gottes durch ihre Übertretung, indem sie Wasser mit Wein mischten, sondern bildeten sogar einen Gegensatz mit ihrem Gesetz, das bis heute das pharisäische genannt wird. Darin wird einiges fortgenommen, anderes hinzugefügt, einiges nach ihrem Willen ausgelegt, welcher Stellen sich ihre Lehrer besonders bedienen. Indem sie auf diese Überlieferungen besonderes Gewicht legten, wollten sie sich dem Gesetz nicht unterordnen, das sie für die Ankunft Christi erzog, und tadelten noch den Herrn, daß er am Sabbat heilte, was, wie wir vorher gezeigt haben, das Gesetz nicht verbot. Heilten sie doch selbst in gewisser Hinsicht, indem sie den Menschen am Sabbat beschnitten, und tadelten sich selber nicht, wenn sie auf Grund ihrer Tradition und des vorgenannten pharisäischen Gesetzes das Gesetz Gottes übertraten und die Vorschrift des Gesetzes nicht hielten, d. h. die Liebe Gottes.



2.

Daß aber dies das erste und größte Gebot ist, das folgende aber die Liebe des Nächsten, das hat der Herr gelehrt, indem er sagte, daß das ganze Gesetz und die Propheten an diesen Geboten hängen. Auch hat er selbst kein anderes und größeres Gebot als dieses gebracht, sondern dies nur für seine Schüler erneuert, indem er ihnen befahl, Gott aus ganzem Herzen zu lieben und die andern wie sich. Wäre er aber von einem andern Vater hergekommen, dann hätte er niemals aus dem Gesetze das erste und größte Gebot übernommen, sondern doch noch mit allen Kräften danach gestrebt, ein größeres als dies von dem vollkommenen Vater zu bringen, und nicht das aufzunehmen, das von dem Gott des Gesetzes gegeben war. Auch Paulus sagt: „Die Erfüllung des Gesetzes ist die Liebe“ (1Co 13,13); und wenn alles andere aufgehört habe, bleibe Glaube, Hoffnung und Liebe; das größte aber von allem sei die Liebe; nichts gelte die Wissenschaft ohne Gottesliebe, noch die Kenntnis der Geheimnisse, noch der Glaube, noch die Prophetengabe, sondern alles sei eitel und vergeblich ohne die Liehe; die Liebe aber mache den vollkommenen Menschen aus, und der, welcher Gott liebt, sei vollkommen in diesem und im zukünftigen Leben. Niemals nämlich hören wir auf, Gott zu lieben, und je mehr wir ihn anschauen werden, umso mehr lieben wir ihn.



3.

Da nun im Gesetz und im Evangelium das erste und größte Gebot ist, Gott den Herrn aus ganzem Herzen zu lieben, und das zweite, diesem ähnlich, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, so ist offenkundig der Urheber des Gesetzes und der Urheber des Evangeliums ein und derselbe. Die Übereinstimmung der Gebote für das vollkommene Leben in beiden Testamenten weist auf denselben Gott hin. Die besonderen Gebote passte er den besonderen Umständen an; die wichtigsten und höchsten Gebote aber, ohne die man nicht gerettet werden kann, sind in beiden Testamenten dieselben.



4.

Daß aber das Gesetz von keinem andern Gotte stammt, das ergibt sich mit schlagender Beweiskraft aus den Worten, die der Herr an die Menge und an die Jünger richtete, die von ihm belehrt wurden: „Auf dem Stuhle Moses sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Daher beobachtet und tut alles, was sie euch sagen, nach ihren Werken aber sollt ihr nicht tun. Denn sie sagens und tuns nicht. Sie binden nämlich schwere Bündel und legen sie auf die Schultern der Menschen; sie selbst aber wollen nicht einmal mit dem Finger sie bewegen“ (Mt 23,2 ff.). Er tadelt also nicht das Gesetz, das von Moses gegeben wurde, sondern riet, es zu halten, solange noch Jerusalem bestand, und tadelt sie deshalb, weil sie die Worte des Gesetzes verkündeten, aber ohne Liebe waren und deswegen ungerecht gegen Gott und gegen die Nächsten. So sagt Isaias: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, ihr Herz aber ist ferne von mir. Doch vergebens ehren sie mich, da sie die Lehren und Gebote von Menschen lehren“ (Is 29,13). Nicht das mosaische Gesetz nennt er Gebote von Menschen, sondern die Traditionen ihrer Vorsteher, die sie sich gemacht hatten und durch deren Beobachtung sie das Gesetz Gottes vereitelten, so daß sie seinem Worte nicht gehorchten. Dieses nämlich sagt auch Paulus von ihnen: „Da sie nämlich die Gerechtigkeit Gottes nicht kennen und ihre eigene Gerechtigkeit aufstellen wollen, unterwerfen sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht. Denn das Ende des Gesetzes ist Christus, zur Gerechtigkeit jedem, der glaubt“ (Rm 10,3 f.). Wie wäre aber Christus das Ende des Gesetzes, wenn er nicht auch der Anfang desselben wäre? Der das Ende brachte, der hat auch den Anfang gewirkt, und er ist es, der dem Moses sagte: „Mit meinen Augen habe ich gesehen die Quälerei meines Volkes, das in Ägypten ist, und ich bin herabgestiegen, um sie zu erretten“ (Ex 3,7). So gewöhnte sich schon im Anfange das Wort, hinauf- und herabzusteigen, um die zu erlösen, denen es schlecht ging.



5.

Daß aber das Gesetz im voraus die Menschen lehrte, Christus zu folgen, hat er selbst kundgetan. Als einer ihn fragte, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erwerben, antwortete er ihm: „Wenn du in das Leben eingehen willst, so beobachte die Gebote!“ Und als jener fragte: Welche? antwortete er ihm wiederum: „Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst kein falsches Zeugnis geben, ehre deinen Vater und deine Mutter und liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ (Mt 19,17 ff.) Damit legte er denen, die ihm folgen wollten, die Gebote gleichsam als Stufen zu dem Eingang ins Leben vor; denn was er damals einem sagte, gilt für alle. Als jener dann sagte: „Alles habe ich getan“ — vermutlich hatte er es nicht getan, sonst hätte der Herr ihm nicht gesagt: Halte die Gebote — da legte der Herr den Finger auf seine Habsucht, indem er sprach: „Wenn du vollkommen sein willst, dann gehe hin, verkaufe alles, was du hast und verteile es unter die Armen, und komme und folge mir nach!“ Der Apostel Erbe verhieß er denen, die so tun wurden; aber keinen anderen Gott verkündete er denen, die ihm folgten, außer dem, der von Anfang an von dem Gesetze verkündet war, noch einen anderen Sohn, noch eine Mutter, noch die Enthymesis eines Äonen, der in Leidenschaft geriet oder ins Unglück, noch ein Pleroma von dreißig Äonen, das, wie wir gezeigt haben, leer und unbeständig ist, noch die anderen häretischen Fabeln. Vielmehr lehrte er, daß man die Gebote beobachten müsse, die Gott von Anfang an gegeben hat, die alte Begierlichkeit durch gute Werke ertöten und Christus folgen. Daß aber die Verteilung des Besitzes die alte Begierlichkeit ertöte, das tat Zachäus kund mit den Worten: „Siehe, die Hälfte von meinen Gütern gebe ich den Armen, und wenn ich wen um etwas betrogen habe, erstatte ich es vierfach“ (Lc 19,8).





13. Kapitel: Die Vervollkommnung der Gebote

413 1.

Die Naturgebote des Gesetzes aber, durch die der Mensch gerechtfertigt wird, und welche schon vor der Gesetzgebung diejenigen beobachteten, die durch den Glauben gerechtfertigt wurden und Gott gefielen, die hat der Herr nicht aufgehoben, sondern ausgedehnt und erfüllt, wie aus seinen Reden offenbar ist. „Es ist zu den Alten gesagt“, sprach er, „du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch, daß jeder, der ein Weib ansieht, um sie zu begehren, schon in seinem Herzen mit ihr die Ehe gebrochen hat“ (
Mt 5,27 f.). Und wiederum: „Es ist gesagt: Du sollst nicht töten. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder ohne Grund zürnt, wird des Gerichtes schuldig sein“ (Ebd. 5,21 f.). Und ferner: „Es ist gesagt: Du sollst nicht falsch schwören. Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören. Eure Rede sei aber: Ja, ja, nein, nein“ (Ebd. 5,33 ff.). Und anderes derart. Alle diese Anweisungen enthalten aber nicht eine Aufhebung oder Auflösung der früheren, wie die Markioniten faseln, sondern die Erfüllung und Ausdehnung, wie er selber sagt: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht mehr überfließen wird, als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, dann werdet ihr in das Himmelreich nicht eingehen“ (Ebd. 5,20). Worin soll aber das Mehr bestehen? Erstlich muß man nicht bloß an den Vater, sondern auch an seinen nunmehr geoffenbarten Sohn glauben; denn dieser ist es, der den Menschen in die Gemeinschaft und Einheit mit Gott einführt. Dann muß man es nicht allein sagen, sondern auch tun — jene aber sagten bloß und taten nicht — und sich nicht bloß enthalten von schlechten Werken, sondern auch von der Begierde danach. Damit lehrte er aber nichts dem Gesetze Entgegengesetztes, sondern erfüllte es und pflanzte uns seine Gerechtigkeit ein. Nur das wäre gegen das Gesetz gewesen, wenn er seinen Jüngern etwas geboten hätte, was das Gesetz verbietet. Wenn er aber befiehlt, nicht bloß das vom Gesetz Verbotene zu vermeiden, sondern auch die Begierden danach, dann steht er nicht im Gegensatz zum Gesetz, wie wir gesagt haben, und löst nicht das Gesetz, sondern erfüllt es, dehnt es aus, erweitert es.



2.

Das Gesetz war nämlich für Knechte gegeben; durch seine äußerlichen, körperlichen Vorschriften unterwies es die Seele, indem es wie durch ein Band heranziehen wollte zur Beobachtung der Gebote, damit der Mensch lernen sollte, Gott zu gehorchen. Das Wort aber befreite die Seele und lehrte, wie sich der Körper durch sie freiwillig reinige. Demgemäß war es nötig, die Bande wegzunehmen, an die der Mensch sich schon gewöhnt hatte, und ungefesselt Gott zu folgen. Erweitern aber mußten sich die Gebote der Freiheit und wachsen mußte die Unterwürfigkeit gegen den König, damit niemand wieder umkehre und dessen unwürdig erscheine, der ihn befreit hat. Die Ergebenheit und Unterwürfigkeit gegen den Hausvater sollte für die Knechte und Kinder die gleiche sein, die größere Zu versicht aber sollten die Kinder haben, da größer und ruhmreicher die Werke der Freiheit sind als der Gehorsam in der Knechtschaft.



3.

Deswegen hat der Herr statt des Gebotes: Du sollst nicht ehebrechen, das: Du sollst nicht begehren gesetzt; statt des: Du sollst nicht töten, das: Du sollst nicht einmal zürnen; statt des Zehnten die Verteilung der gesamten Habe unter die Armen geboten und befohlen, nicht nur den Nächsten, sondern auch die Feinde zu lieben, nicht nur gute Geber und Verteiler zu sein, sondern freiwillige Geber gegen die, welche uns das Unsrige nehmen. „Nimmt dir nämlich jemand deinen Rock“, sagt er, „so laß ihm noch den Mantel; nimmt dir jemand das Deinige, so fordere es nicht zurück (Lc 6,29) , und wie ihr wollt, daß euch die Menschen tun, tuet ihnen (Ebd. 6,31) . Nicht sollen wir uns betrügen wie solche, die sich nicht wollen betrügen lassen, sondern sollen uns freuen, wie solche, die freiwillig schenken, indem wir mehr unsern guten Willen gegen den Nächsten zeigen, als der Notwendigkeit nachgeben. „Und wenn jemand dich zwingt“, sagt er, „zu tausend Schritten, gehe mit ihm andere zwei (Mt 5,41) , damit du ihm nicht wie ein Sklave folgst, sondern ihm wie ein Freier vorangehest, indem du dich in allem für den Nächsten dienstbereit und nützlich erweisest, nicht auf ihre Bosheit schauend, sondern deine Güte vervollkommnend, dich anpassend deinem „Vater, der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen läßt und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45). Das aber löst, wie wir gesagt haben, das Gesetz nicht auf, sondern erfüllt es und erweitert es in uns, sodaß man sagen könnte, unsern Herzen sei eine größere Wirksamkeit der Freiheit und vollere Unterwerfung und Ergebenheit gegen unsern Erlöser eingeprägt. Denn deswegen hat er uns nicht befreit, daß wir ihn verlassen — kann doch niemand außerhalb der Güter des Hauses die Speisen des Heils sich verdienen — sondern damit wir, die wir mehr Gnade erlangt haben, ihn auch mehr lieben. Je mehr wir aber ihn lieben werden, umso größeren Ruhm werden wir von ihm erlangen, wenn wir dereinst immer in der Anschauung des Vaters leben werden.



4.

So haben alle jene Naturgebote, die uns mit ihnen gemeinsam sind, bei jenen ihren Anfang und Ursprung genommen, bei uns aber die Vollendung und Erfüllung erreicht. Denn Gott gehorchen und seinem Worte folgen, ihn über alles lieben und den Nächsten wie sich selbst — jeder Mensch ist aber der Nächste —, sich jeder bösen Tat enthalten und was sonst noch beiden gemeinsam ist, das weist auf einen und denselben Gott hin. Das ist aber unser Herr, das Wort Gottes, das zuerst die Knechte zu Gott hinzog, dann aber die befreite, die sich ihm unterwarfen, wie er selber seinen Jüngern sagt: „Nicht mehr werde ich euch Knechte nennen, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut, Euch habe ich meine Freunde genannt, da ich euch alles kundgetan habe, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Jn 15,15). Dadurch, daß er sagte: „Nicht mehr werde ich euch Knechte nennen“, zeigte er auf das deutlichste an, daß er es war, der zuerst den Menschen die Knechtschaft unter Gott durch das Gesetz auferlegt hat, später aber ihnen die Freiheit geschenkt hat. Und mit den Worten: „Der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut“, verkündet er die Unwissenheit des knechtischen Volkes bei seiner Ankunft. Dadurch aber, daß er „Freunde Gottes“ seine Jünger nennt, zeigt er deutlich an, daß er das Wort Gottes ist, dem Abraham freiwillig und ohne Fesseln infolge der Großmut seines Glaubens folgte, wodurch er ein Freund Gottes wurde. Aber nicht wegen des eigenen Bedürfnisses nahm das Wort Gottes die Freundschaft Abrahams an, war es doch von Anfang an vollkommen: „Ehe denn Abraham war, bin ich“ (Jn 8,58), sagte es, sondern weil es dem Abraham in seiner Güte das ewige Leben schenken wollte. Denn Unsterblichkeit schenkt die Freundschaft Gottes denen, die sich darum bemühen.





14. Kapitel: Der göttliche Heilsplan

414 1.

Also hat Gott im Anfang den Adam erschaffen, nicht als ob er selbst des Menschen bedurft hätte, sondern damit er auf jemand sein Wohlgefallen ausschütten konnte. Denn nicht nur vor Adam, sondern schon vor aller Schöpfung verherrlichte das Wort seinen Vater, indem es in ihm blieb, und es selbst wurde von dem Vater verherrlicht, wie er selber sagt: „Vater, verkläre mich mit der Klarheit, die ich bei dir gehabt habe, bevor die Welt ward“ (Ebd. 17,5). Auch befahl er uns, ihm zu folgen, nicht als ob er unseres Dienstes bedurfte, sondern weil er uns sein Heil zuwenden wollte. Denn dem Erlöser nachfolgen, heißt teilnehmen am Heil, und dem Lichte folgen, heißt das Licht erlangen. Die aber im Lichte sind, erleuchten nicht selber das Licht, sondern werden von ihm erleuchtet und erhellt; sie selbst geben ihm nichts, sondern empfangen die Wohltat, vom Lichte erleuchtet zu werden. So bringt auch unsere Tätigkeit im Dienste Gottes Gott nichts ein, noch bedarf er des menschlichen Dienstes, wohl aber verleiht er denen, die ihm folgen und dienen, Leben, Unvergänglichkeit und ewigen Ruhm; aber von ihnen empfängt er keine Wohltat, denn er ist reich, vollkommen und ohne Bedürfnis. Nur deswegen verlangt Gott den Dienst der Menschen, weil er gut und barmherzig ist und denen wohltun will, die in seinem Dienste verharren. Denn ebenso sehr, wie Gott keines Menschen bedarf, bedarf der Mensch der Gemeinschaft Gottes, Das nämlich ist der Ruhm des Menschen, auszuharren und zu verbleiben im Dienste Gottes. Deswegen sagte der Herr zu seinen Schülern: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (
Jn 15,16). Das bedeutet: Nicht sie verherrlichten ihn, indem sie ihm folgten, sondern dadurch, daß sie dem Sohne Gottes folgten, wurden sie von ihm verherrlicht. Und abermals sagt er: „Ich will, daß dort, wo ich bin, auch diese sind, damit sie meine Herrlichkeit sehen“ (Ebd. 17,24). Dessen rühmt er sich nicht in Eitelkeit, sondern er will, daß an seiner Herrlichkeit auch seinen Jüngern Anteil werde, wie Isaias sagt: „Vom Sonnenaufgang werde ich deinen Samen herbeiziehen und vom Sonnenuntergang dich sammeln; und ich werde zum Nordwind sprechen: Bring herbei! und zum Südwind: Halt nicht zurück! Ziehe herbei meine Söhne von ferne und meine Töchter von den Enden der Erde, sie alle, die berufen sind in meinem Namen. In meiner Herrlichkeit habe ich ihn bereitet, gebildet und gemacht“ (Jes. 43,5ff.). Weil, „wo immer ein Leichnam ist, sich dort auch die Adler versammeln“ (Mt 24,28), nehmen sie teil an der Herrlichkeit Gottes, der uns dazu geformt und bereitet hat, daß wir teilnehmen an seiner Herrlichkeit, solange wir bei ihm sind.



2.

So hat Gott auch im Anfange den Menschen wegen seiner Güte erschaffen, die Patriarchen dann auserwählt, um sie zu retten, dann das Volk erzogen und das ungelehrige gelehrt, Gott zu folgen, alsdann die Propheten auf Erden vorgebildet, indem er den Menschen daran gewöhnte, seinen Geist zu tragen und die Gemeinschaft mit Gott zu erhalten. Er bedurfte ja niemandes, aber denen, die seiner bedurften, schenkte er seine Gesellschaft, und denen, welche ihm gefielen, zeigte er wie ein Baumeister den Plan der Erlösung. Ohne daß sie es sahen, führte er sie in Ägypten, gab denen, die ruhelos in der Wüste umherzogen, das passendste Gesetz und denen, die in das gute Land einzogen, das schöne Erbe. Denen, die zum Vater zurückkehren, „schlachtet er das Mastkalb und schenkt ihnen das beste Kleid“ (Lc 15,22)und führt auf vielerlei Weise das menschliche Geschlecht zu dem einen Heil. Daher sagt Johannes in der Apokalypse: „Und seine Stimme ist wie die Stimme vieler Wasser“ (Ap 1,15). Wahrhaft, viele Wege hat der Geist, und reich und groß ist der Vater. Und alle diese legte das Wort zurück, nützte neidlos allen, die sich ihm unterwarfen, und gab jeglicher Kreatur das passende und geziemende Gesetz.



3.

So bestimmte er für das Volk die Einrichtung des Zeltes und den Bau des Tempels, die Wahl der Leviten, die Opfer und Weihegeschenke, die Monitionen und den ganzen übrigen Dienst durch das Gesetz. Er selber gebraucht dies alles ja nicht, denn er besitzt immer die Fülle aller Güter und jeglichen lieblichen Geruch und allen Opfergeruch in sich, auch bevor Moses war. Er unterrichtete das Volk, das so leicht zu dem Götzen zurückkehrte, und durch viele Berufungen lehrte er sie, auszuharren und Gott zu dienen. Durch das zweite rief er sie zum ersten, d. h, durch den Typus zur Wahrheit, durch das Zeitliche zum Ewigen, durch das Fleischliche zum Geistigen, durch das Irdische zum Himmlischen, wie auch zu Moses gesagt war: „Alles sollst da machen nach dem Vorbilde dessen, was du auf dem Berge gesehen hast“ (Ex 25,40). Vierzig Tage lernte er, die Reden Gottes festhalten und die himmlischen Zeichen, die geistigen Bilder und die Typen der zukünftigen Güter, wie auch Paulus sagt: „Sie tranken aber aus dem folgenden Felsen, der Fels aber war Christus“ (1Co 10,4). Und nachdem er weiter erwähnt hat, was im Gesetze steht, fügte er hinzu: „Alles dies aber kam ihnen im Vorbilde, geschrieben jedoch ist es zu unserer Besserung, da an uns das Ende der Zeiten gekommen ist“ (1Co 10,11). Durch Typen also lernten sie Gott fürchten und in seinem Gehorsam verharren.





15. Kapitel: Die Zweckmäßigkeit der alttestamentlichen Gebote

415 1.

Daher war das Gesetz ein Zuchtmittel für sie und eine Vorherverkündigung der zukünftigen Güter. Denn zuerst ermahnte sie Gott durch die natürlichen Gebote, die er den Menschen in das Herz geschrieben hat, d. h. durch den Dekalog. Ohne diese gibt es kein Heil, und nichts weiteres verlangte er von ihnen. So sagt Moses im Deuteronomium: „Das sind alle Worte, die gesprochen hat der Herr zu der Versammlung der Söhne Israels auf dem Berge; und er hat nichts hinzugefügt und hat sie auf zwei steinerne Tafeln geschrieben und mir gegeben“ (
Dt 5,22), damit die, welche ihm folgen wollten, die Gebote beobachteten. Wie sie sich aber angeschickt hatten, das Kalb zu machen, und mit ihren Seelen nach Ägypten zurückgekehrt waren, indem sie lieber Knechte als Kinder zu sein begehrten, da empfingen sie die ihrer Begierde angepaßte übrige Knechtschaft, die sie zwar von Gott nicht losriß, aber das Joch der Knechtschaft ihnen aufzwang. So gibt auch der Prophet Ezechiel die Ursache dieses Gesetzes an, indem er sagt: „Und nach der Begierde ihres Herzens waren ihre Augen, und ich gab ihnen nicht gute Gesetze und Satzungen, in denen sie nicht leben werden“ (Ez 20,24 f.). Und Stephanus, der zuerst von den Aposteln zum Diakonat auserwählt und zuerst wegen seines Zeugnisses für Christus getötet wurde, hat nach Lukas über Moses also gesprochen: „Jener empfing die Gebote des lebendigen Gottes, sie euch zu geben; ihm wollten eure Väter nicht gehorchen, sondern verwarfen ihn und wandten sich in ihrem Herzen nach Ägypten, indem sie zu Aaron sprachen: Mache uns Götter, welche uns vorangehen! Moses nämlich, der uns aus dem Lande Ägypten herausgeführt hat, was ihm geschehen ist, wissen wir nicht. Und sie machten ein Kalb in jenen Tagen und brachten Opfer dem Götzenbilde und freuten sich ob der Taten ihrer Hände. Es wandte sich aber Gott ab und ließ sie dienen den Heeren des Himmels, wie geschrieben ist im Buche der Propheten: „Habt ihr mir Opfer und Gaben dargebracht während der vierzig Jahre in der Wüste, Haus Israel? Ihr habt angenommen das Zelt des Moloch und den Stern des Gottes Remphan, Bilder, die ihr gemacht habt, sie anzubeten“ (Ac 7,38 ff.). Das bedeutet offenbar, daß ein solches Gesetz nicht von einem anderen Gott, sondern von demselben gegeben wurde, passend zu ihrer Knechtschaft. Deshalb spricht er auch im Exodus zu Moses: „Ich werde vorsenden vor dir meine Engel ..., denn nicht will ich mit dir hinaufziehen, weil du ein halsstarriges Volk bist“ (Ex 33,2 f.).



2.

Und weiter hat der Herr kundgetan, daß auch manche Gesetze von Moses ihnen wegen ihrer Härte gegeben sind, weil sie sich nicht unterwerfen wollten, indem er auf die Frage: „Warum hat Moses vorgeschrieben, einen Scheidebrief zu geben und die Gattin zu entlassen?“ ihnen antwortete: „Dies hat er wegen der Härte eures Herzens erlaubt, von Anfang an ist es aber nicht so geschehen“ (Mt 19,7 f.). Moses entschuldigte er als treuen Diener, Gott bekannte er als den, der im Anfang Mann und Weib gemacht hat; jene aber bezichtigte er als hart und ungehorsam. Und deswegen empfingen sie von Moses das Gebot des Scheidebriefes, das ihrer Härte entsprach. Doch was sagen wir dies vom Alten Testamente? Haben doch im Neuen Testamente die Apostel aus dem angegebenen Grunde ersichtlich ebenso gehandelt. So sagt gleich Paulus: „Dies aber sage ich, nicht der Herr“ (1Co 7,12).





16. Kapitel: Die Bedeutung der alttestamentlichen Vorschriften

416 1.

Daß aber auch die Beschneidung nicht als Vollendung der Gerechtigkeit, sondern nur als ein Zeichen von Gott eingesetzt wurde, damit das Geschlecht Abrahams erkennbar blieb, lernen wir aus der Schrift selbst. „Es sprach nämlich“, heißt es, „der Herr zu Abraham: Es soll beschnitten werden jede männliche Erstgeburt von euch, und ihr werdet beschneiden das Fleisch eurer Vorhaut zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch“ (
Gn 17,10). Ebendasselbe sagt in Betreff der Sabbate der Prophet Ezechiel; „Und meine Sabbate gab ich ihnen, damit sie seien zum Zeichen zwischen mir und ihnen, damit sie wissen, daß ich der Herr bin, der ich sie heilige“ (Ez 20,12). Und im Exodus spricht der Gott zu Moses: „Meine Sabbate sollt ihr beobachten, denn er ist euch ein Zeichen bei mir für eure Geschlechter“ (Ez 31,13). Zum Zeichen also dienten diese Vorschriften, aber nicht waren sie bedeutungslose Zeichen, d. h. ohne Grund und Zweck, da sie von einem weisen Künstler eingesetzt waren, sondern die leibliche Beschneidung bedeutete die geistige, wie der Apostel sagt: „Wir nämlich sind beschnitten, aber nicht mit der Hand“ (Col 2,11). Und der Prophet spricht: „Beschneidet die Härte eures Herzens!“ (Dt 10,16) Die Sabbate aber lehrten, daß der Dienst für Gott den ganzen Tag dauern müsse. So sagt der Apostel Paulus: „Geachtet sind wir den ganzen Tag wie Schlachtschafe“ (Rm 8,36), d. h. zu jeder Zeit sind wir geweiht und dienen unserm Glauben und harren in ihm aus und enthalten uns von jedem Geiz, und wir erwerben nicht, noch besitzen wir Schätze auf Erden. Durch den Sabbat wurde aber auch gleichsam bezeichnet die Ruhe Gottes nach der Schöpfung, d. h, das Reich, in dem der Mensch, wenn er ausharrt, bei Gott ruhen und teilnehmen wird am Tische Gottes.



2.

Daß aber diese Vorschriften nicht an und für sich den Menschen rechtfertigen, sondern dem Volke nur zum Zeichen gegeben waren, beweist der Umstand, daß Abraham selbst ohne Beschneidung und ohne Beobachtung der Sabbate Gott glaubte, was ihm zur Gerechtigkeit angerechnet wurde (Ebd. 4,3) , und daß er ein Freund Gottes genannt wurde (Jc 2,23) . Aber auch Lot ist ohne Beschneidung aus Sodoma herausgeführt worden, indem er von Gott gerettet wurde. Ebenso empfing Noe, der Gott wohlgefiel, obwohl er unbeschnitten war, die Maße der Welt für die zweite Generation. Aber auch Henoch gefiel unbeschnitten Gott; als Mensch brachte er eine Botschaft an die Engel und wurde hinweggenommen und wird bis auf den heutigen Tag aufbewahrt als Zeuge des gerechten Gerichtes Gottes. Die abtrünnigen Engel fielen zum Gericht auf die Erde hinunter, der wohlgefällige Mensch wurde zum Heil hinweggenommen. Aber auch die übrige Menge der Gerechten vor Abraham und die Patriarchen vor Moses wurden ohne die vorgenannten Vorschriften und ohne das Gesetz des Moses gerechtfertigt. So spricht Moses selber im Deuteronomium zum Volke: „Der Herr, dein Gott, hat einen Bund geschlossen auf Horeb, aber nicht mit euren Vätern schloß der Herr diesen Bund, sondern mit euch“ (Dt 5,2 f.).



3.

Warum schloß also mit den Vätern der Herr keinen Bund? Weil das Gesetz nicht für die Gerechten gegeben ist (1Tm 1,9) . Die gerechten Väter hatten die Kraft des Dekalogs in ihre Herzen und Seelen geschrieben, liebten Gott, ihren Schöpfer, und enthielten sich jeder Ungerechtigkeit gegen den Nächsten, sodaß es nicht nötig war, die durch strenge Buchstaben zu ermahnen, welche die Gerechtigkeit des Gesetzes in sich selber hatten. Als aber die Gerechtigkeit und Liebe gegen Gott in Vergessenheit geriet und in Ägypten erloschen war, da mußte Gott wegen seiner vielfältigen Wohltaten gegen den Menschen sich durch seine Stimme offenbaren und in seiner Kraft das Volk aus Ägypten hinausführen, damit der Mensch wieder ein Schüler und Nachfolger Gottes werde. Und es bestrafte Gott die Ungehorsamen, damit sie ihren Schöpfer nicht verachteten. Und mit Manna speiste er das Volk, damit sie eine zweckmäßige Speise bekamen, wie Moses im Deuteronomium sagt: „Und er speiste dich mit Manna, das deine Väter nicht kannten, damit du erkennest, daß der Mensch nicht vom Brote allein lebt, sondern von jedem Worte Gottes, das aus seinem Munde kommt, lebt der Mensch“ (Dt 8,3). So schrieb er also die Liebe Gottes vor und schärfte die Gerechtigkeit gegen den Nächsten ein, damit der Mensch gerecht und Gottes würdig wäre, und bereitete ihn durch den Dekalog auf seine Freundschaft und auf die Eintracht mit dem Nächsten vor, was zu seinem Vorteil war, nicht aber als ob Gott irgend etwas vom Menschen bedurfte.



4.

Darum sagt die Schrift: „Diese Worte sprach der Herr zu der ganzen Versammlung der Söhne Israels auf dem Berge, und er fügte nichts hinzu“ (Ebd. 5,22); denn nichts gebrauchte er von ihnen, wie wir bereits gesagt haben. Und wiederum spricht Moses: „Und nun, Israel, was fordert der Herr, dein Gott von dir, als daß du den Herrn deinen Gott fürchtest, auf allen seinen Wegen wandelst, und ihn liebst und dem Herrn deinem Gott dienest aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele?“ (Ebd. 10,12) Dies machte den Menschen herrlich und verlieh ihm das, was ihm fehlte, d. h, die Freundschaft Gottes; Gott aber gab es nichts, denn Gott gebrauchte nicht die Liebe des Menschen. Dem Menschen aber fehlte die Herrlichkeit Gottes, die er auf keine andere Weise erreichen konnte als durch den Gehorsam gegen Gott. Und deswegen spricht Moses abermals: „Erwähle das Leben, damit du lebest, du und dein Same; zu lieben den Herrn, deinen Gott, auf seine Stimme zu hören, und ihn zu ergreifen, das ist dein Leben und die Verlängerung deiner Tage“ (Ebd. 30,19 f.). Um für dieses Leben den Menschen zu erziehen, sprach der Herr durch sich selber die Worte des Dekalogs zu allen in gleicher Weise, und darum dauern sie gleicher Weise auch bei uns fort, indem sie Ausdehnung und Erweiterung, nicht aber Aufhebung durch seine Ankunft empfangen.



5.

Die Gebote der Knechtschaft aber hat er dem Volke besonders gegeben, wie sie zu seiner Belehrung dienlich waren. Deshalb sagt Moses selbst: „Und mir hat der Herr in jener Zeit befohlen, euch seine Gesetze und Satzungen zu geben“ (Dt 4,14). Was also zur Knechtschaft und zum Zeichen jenen gegeben ist, hob er durch das Neue Testament der Freiheit auf. Die freien und allgemeinen Naturgebote steigerte und erweiterte er, indem er neidlos durch die Annahme an Kindesstatt den Menschen die Gnade verlieh, Gott den Vater kennen zu lernen und ihn aus ganzem Herzen zu lieben und ohne Abwendung seinem Worte zu folgen nicht nur durch die Enthaltung von schlechten Werken, sondern auch von der Begierde nach solchen. Er steigerte zugleich die Furcht, denn die Söhne müssen den Vater mehr fürchten als die Knechte und größere Liebe zu ihm haben. Deshalb sagt der Herr; „Jedes müßige Wort, welches die Menschen gesprochen haben, am jüngsten Tage werden sie dafür Rechenschaft ablegen“ (Mt 12,36); und: „Wer ein Weib anschaut, um ihrer zu begehren, hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen“ (Ebd. 5,28); und: „Wer seinem Bruder ohne Grund zürnt, ist schuldig des Gerichtes“ (Ebd. 5,22). So sollen wir wissen, daß wir nicht nur wie die Knechte für die Handlungen Gott Rechenschaft ablegen werden, sondern auch für unsere Worte und Gedanken, als solche, welche frei über sich verfügen können, wodurch der Mensch mehr erprobt wird, ob er den Herrn ehrt, fürchtet und liebt. Deshalb sagt Petrus, daß wir „die Freiheit nicht zum Deckmantel der Bosheit haben“ (l Petr. 2,16), sondern zur Erprobung und Offenbarung unseres Glaubens.





17. Kapitel: Die Heilsbedeutung der Opfer

417 1.

Die Propheten geben ganz deutlich zu verstehen, daß Gott gewisse Beobachtungen im Gesetz der Menschen wegen vorgeschrieben hat, aber nicht, als ob er ihres Dienstes bedurfte. Auch der Herr lehrte, wie wir deutlich gezeigt haben, daß Gott ihre Gaben nicht gebraucht, sondern daß diese der opfernden Menschen wegen angeordnet sind. Als aber Samuel einmal sah, daß sie die Gerechtigkeit vernachlässigten und von der Liebe Gottes abfielen, daß sie dagegen meinten, durch Opfer und die übrigen vorbildlichen Beobachtungen Gott versöhnen zu können, da sprach er zu ihnen: „Nicht will Gott Brand- und Schlachtopfer, sondern er will, daß seine Stimme gehört werde. Siehe, gutes Hören ist besser als Schlachtopfer, und Gehorsam ist besser als Widderfett“ (
1R 15,22). David aber sagt: „Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gewollt; Ohren jedoch hast du mir gegeben; Brandopfer auch für die Sünde hast du nicht gewollt“ (Ps 39,7). Das soll heißen: Gott will Gehorsam, der die Menschen bewahrt, nicht Brand- und Schlachtopfer, die zur Gerechtigkeit nichts nützen, und zugleich weist er prophetisch hin auf das Neue Testament. Noch deutlicher spricht er hierüber im fünfzigsten Psalm: „Wenn du ein Schlachtopfer gewollt hättest, hätte ich es freilich gegeben; durch Brandopfer wirst du nicht ergötzt. Ein Brandopfer ist dem Herrn ein zerknirschter Geist, ein zerknirschtes und gedemütigtes Herz wird der Herr nicht verachten“ (Ebd. 50,18 f.). Daß aber Gott nichts gebraucht, sagt David in dem vorhergehenden Psalm: „Nicht will ich annehmen von deinem Hause Kälber, noch Böcke von deinen Herden. Denn mein sind alle Tiere der Erde, die Lasttiere auf den Bergen und die Ochsen. Ich kenne alle Vögel des Himmels und die Arten des Feldes sind vor mir. Wenn ich hungere, werde ich es dir nicht sagen, denn mein ist der Erdkreis und seine Fülle. Esse ich denn Fleisch von Stieren, oder trinke ich das Blut von Böcken?“ (Ebd. 49,9 ff.) Damit man aber nicht meine, daß er nur zurückweise, weil er zürne, gibt er gleich darauf den Rat: „Opfere Gott das Opfer des Lobes und erfülle dem Höchsten deine Gelübde und rufe mich an am Tage deiner Trübsal, und ich will dich erretten, und du wirst mich preisen“ (Ebd. 49,14 f.). Das also, wodurch die Sünder glaubten, ihn zu versöhnen, weist er zurück, was aber den Menschen rechtfertigt und Gott näher bringt, das empfiehlt er dringend. Dasselbe sagt auch Isaias: „Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer? spricht der Herr; ich bin davon voll“ (Is 1,11). Und während er die Brand-, Schlacht- und Speiseopfer, auch die Neumonde, Sabbate und Festtage und die übrigen damit zusammenhängendem Beobachtungen ablehnt, rät er gleich darauf als nutzbringend an: „Waschet euch, seid rein, bringet weg die Bosheiten von euren Herzen aus meinen Augen; höret auf mit euren Schlechtigkeiten, lernet Gutes tun, erforschet das Rechte, suchet auf den, der Unrecht duldet, schaffet Recht den Waisen und Gerechtigkeit der Witwe, dann kommet, und lasset uns reden, spricht der Herr“ (Ebd. 1,16 ff.).



2.

Denn nicht wie ein gereizter Mensch — wie viele zu sagen sich erkühnen — weist er ihre Opfer zurück, sondern weil er mit ihrer Blindheit Mitleid hat und ihnen das wahre Opfer nahe legen will, dessen Darbringung Gott versöhnt, damit sie das Leben erlangen. So heißt es irgendwo: „Ein Opfer für Gott ist ein zerknirschtes Herz, ein angenehmer Wohlgeruch für Gott ein Herz, das seinen Schöpfer preist“[86] . Wäre er nämlich so erzürnt, daß er deswegen ihre Opfer zurückweist, weil sie unwürdig waren, seine Barmherzigkeit zu erlangen, so hätte er sie nicht auf jene Werke verwiesen, durch die sie gerettet werden konnten. Eben weil er Barmherzigkeit ist, schloß er sie von seinem guten Rate nicht aus. Nachdem er durch Jeremias gesprochen: „Wozu bringt ihr mir Weihrauch von Saba und Zimmet aus fernem Lande? Eure Brand- und Schlachtopfer ergötzen mich nicht“ (Jr 6,20), fährt er fort: „Höret die Rede des Herrn, alle aus Juda: Machet gerade eure Wege und euer Sinnen, und ich werde euch befestigen auf diesem Orte. Verlasset euch nicht auf lügnerische Worte, denn gar nichts werden sie euch nützen, wenn sie zu euch sagen: Der Tempel des Herrn, es ist der Tempel des Herrn“ (Jr 7,2 ff.).



3.

Durch denselben Jeremias tut er kund, daß er sie aus Ägypten nicht herausgeführt, damit sie ihm Opfer darbrächten, sondern damit sie den ägyptischen Götzendienst vergessen und die Stimme des Herrn hören sollten, die ihr Heil und Ruhm war. „So spricht der Herr“, heißt es dort: „Eure Brandopfer sammelt mit euren Schlachtopfern und esset Fleisch! Denn nicht habe ich, als ich zu euren Vätern sprach, ihnen Brand- und Schlachtopfer vorgeschrieben an dem Tage, da ich sie aus Ägypten herausführte, sondern dies Wort habe ich ihnen befohlen, indem ich sprach: Höret meine Stimme, und ich werde euer Gott sein, und ihr werdet mein Volk sein, und wandelt auf allen Wegen, die ich euch vorgeschrieben habe, damit es euch wohl gehe. Aber sie gehorchten nicht und gaben nicht acht, sondern wandelten in den boshaften Gedanken ihres Herzens und kamen zurück und nicht nach vorne“ (Ebd. 7,21 ff.). Und abermals spricht er durch denselben: „Aber darin rühme sich, wer sich rühmt, daß er weiß und versteht, daß ich der Herr bin, der ich Barmherzigkeit tue und Recht und Gerechtigkeit auf Erden; daran habe ich meine Freude, spricht der Herr“ (Ebd. 9,24), aber nicht an Schlacht- und Brandopfern und Weihegaben. Denn nicht als Hauptsache hatte diese das Volk, sondern nur wegen ihrer Folge und des vorgenannten Grundes, wie wiederum Isaias sagt: „Nicht mir brachtest du die Schafe deines Brandopfers noch verherrlichtest du mich mit deinen Schlachtopfern, nicht mir dientest du mit deinen Opfern noch gabst du dir für mich Mühen mit dem Weihrauch, nicht kauftest du mir für Silber Rauchopfer noch begehrte ich das Fett deiner Schlachtopfer, sondern in deinen Sünden und Ungerechtigkeiten standest du vor mir“ (Is 43,23 f). „Auf wen also“, spricht er, „werde ich herabsehen als auf den Demütigen und Ruhigen, der meine Worte fürchtet? Denn Fettstücke und fettes Fleisch werden deine Ungerechtigkeiten von dir nicht fortnehmen“ (Is 11,15). „Dies ist das Fasten, das ich will“, spricht der Herr, „löse auf jeden Knoten der Ungerechtigkeit, mache los die Fesseln der gewaltsamen Geschöpfe, gib Ruhe den Bedrängten und jeden ungerechten Schuldschein zerreiße! Brich dem Hungrigen dein Brot von Herzen, und den Fremden ohne Dach führe in dein Haus! Wenn du siehst einen Nackten, bekleide ihn und verachte dein Fleisch nicht! Dann wird dein Morgenlicht hervorbrechen und deine Gesundung schneller kommen; vor dir hergehen wird die Gerechtigkeit, und der Ruhm des Herrn wird dich umgeben, und während du noch sprichst, werde ich sagen: Siehe, hier bin ich“ (Ebd. 58,6 ff.). Auch Zacharias, einer von den zwölf Propheten, zeigt ihnen den Willen Gottes mit den Worten: „So spricht der allmächtige Herr: Ein gerechtes Gericht sollt ihr richten, Mitleid and Barmherzigkeit erweise ein jeder seinem Bruder! Die Witwe and die Waise, den Ankömmling und den Armen sollt ihr nicht unterdrücken, und der Bosheit seines Bruders soll keiner gedenken in seinem Herzen“ (Za 7,9 f.). Und abermals sagt er: „Dies sind die Reden, die ihr sprechen sollt: Redet Wahrheit ein jeder zu seinem Bruder und ein friedliches Gericht richtet in euren Toren, und keiner gedenke der Bosheit des Bruders in seinem Herzen, und falschen Schwur sollt ihr nicht lieben, denn all dieses hasse ich, spricht der Herr, der Allmächtige“ (Ebd. 8,16 f.). Ähnlich spricht auch David: „Wer ist der Mensch, der das Leben will und liebt, gute Tage zu sehen? Behüte deine Zunge von dem Bösen und deine Lippen, daß sie nicht List reden! Wende dich ab vom Bösen und tue Gutes; suche den Frieden und folge ihm nach!“ (Ps 33,13 ff.)



4.

Aus all diesem ist offenbar, daß nicht Schlacht- und Brandopfer Gott von ihnen verlangte, sondern wegen ihres Heiles Glauben, Gehorsam und Gerechtigkeit So lehrt sie der Herr bei dem Propheten Oseas seinen Willen mit den Worten: „Barmherzigkeit will ich mehr als Schlachtopfer, und die Kenntnis Gottes ziehe ich vor den Brandopfern“ (Os 6,6). Ebendaran ermahnt sie auch der Herr, indem er spricht: „Wenn ihr erkannt hättet, was das ist: Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer, so hättet ihr niemals die Unschuldigen verdammt“ (Mt 12,7). So stellt er den Propheten das Zeugnis aus, daß sie die Wahrheit lehrten, und überführt jene, daß sie aus eigener Schuld unwissend sind.



5.

Auch seinen Jüngern gibt er den Rat, die Erstlinge aus der Schöpfung Gott darzubringen, nicht als ob er selbst dessen bedürfe, sondern damit sie nicht unfruchtbar und undankbar sind. Als er deshalb die Gabe des Brotes nahm, sagte er Dank und sprach: „Das ist mein Leib“ (Ebd. 26,26). Und ähnlich bekannte er den Kelch, der aus dieser irdischen Schöpfung stammt, als sein Blut und machte ihn zur Opfergabe des Neuen Bundes, sodaß ihn die Kirche, wie sie ihn von den Aposteln empfangen hat, auf der ganzen Welt Gott darbringt, ihm, der uns ernährt, als die Erstlinge seiner Gaben im Neuen Bunde. Auf diesen weist unter den zwölf Propheten Malachias mit folgenden Worten hin: „Ich habe kein Wohlgefallen an euch, spricht der Herr, der Allmächtige, und das Opfer nehme ich nicht an von euren Händen. Denn vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang wird mein Name verherrlicht werden unter den Völkern, und an jedem Orte wird ein Rauchopfer meinem Namen dargebracht werden und ein reines Opfer, denn groß ist mein Name unter den Völkern, spricht der Herr, der Allmächtige“ (Ml 1,10 f.). Das besagt ganz deutlich, daß zunächst das Volk aufhören wird, Gott zu opfern, daß dann aber an jedem Orte ihm ein Opfer dargebracht werden wird, und zwar ein reines, und daß sein Name herrlich werden wird unter den Völkern.



6.

Dieser Name aber, der unter den Völkern verherrlicht werden soll, ist kein anderer, als der unseres Herrn, durch den der Vater verherrlicht wird und ebenso der Mensch. Weil es aber der Name seines eigenen Sohnes ist, und weil er den Menschen gemacht hat, darum nennt er ihn seinen Namen. Wenn ein König das Bild seines Sohnes malt, dann nennt er es mit doppeltem Recht sein Bild: denn es stellt seinen Sohn dar, und er hat es gemacht. So bekennt auch der Vater den Namen seines Sohnes Jesu Christi, der auf der ganzen Welt in der Kirche verherrlicht wird, als seinen, weil es der Name seines Sohnes ist, und weil er selbst ihn geschrieben und den Menschen zum Heile gegeben hat. Da also der Name des Sohnes auch der des Vaters ist und die Kirche in dem allmächtigen Gott durch Jesum Christum ihr Opfer darbringt, so heißt es mit Recht in doppelter Beziehung: „Und an jedem Orte wird meinem Namen ein Rauchopfer dargebracht werden und ein reines Opfer.“ Als die Rauchopfer aber bezeichnet Johannes in der Apokalypse die Gebete der Heiligen (Ap 5,8) .






(Contra Haereses) 412